Die Berufsgenese am Beispiel von Hybridberufen: Eine Empfehlung für die zukünftige Berufsgeneseforschung
Zusammenfassung
Dennoch gelang es in den vergangenen Jahren immer wieder, auf die wechselnden Bedingungen und die Forderungen der einzelnen Akteure im Umfeld der Berufsgenese einzugehen, und es konnten in Bezug auf die Entwicklung von Berufen Erfolge verzeichnet werden.
Ein Beispiel für die aussichtsreiche Konzeption eines neuen Berufsmodells sind die sogenannten Hybridberufe, die nachstehend am Beispiel des Mechatronikers beschrieben werden. Es wird darauf eingegangen, wie und aus welchen Gründen Hybridberufe entstehen. Des Weiteren werden Zusammensetzung sowie Vor- und Nachteileteile dieser neuen Berufsbilder vor dem Hintergrund eines anspruchsgesteigerten Arbeitsmarktes thematisiert.
Auf Basis der abgeleiteten Erkenntnisse wird eine Empfehlung für die zukünftige Berufsforschung abgeleitet.
Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
2.1.1 Beruf
Der Begriff des Berufes wird in der Wissenschaft weiterhin sehr unterschiedlich definiert und genutzt. Eine weitestgehend kompakte und einheitliche Definition des Phänomens Beruf existiert bis heute nicht. Vielmehr wird der Berufsbegriff, je nach Ziel und Verwendungszweck der Analysen, anhand ausgewählter Dimensionen explorativ beschrieben. Eine Vollständigkeit der tatsächlichen Dimensionen wird dabei jedoch nie erreicht. (vgl. Dostal 2006, S. 7)
Dies ist vor allem mit der historischen Entwicklung des Berufes zu begründen. Durch die Industrialisierung und die damit verbundenen Veränderungen der Anforderungen an Arbeitskräfte, verloren die bisherigen berufsständischen Kooperationen zunehmend an Einfluss. Die unmittelbare Folge davon war, dass es dem einzelnen Individuum immer mehr möglich war, Berufe auch außerhalb von Zünften und berufsständischen Verbindungen frei zu wählen und zu erlernen. Es bildeten sich immer mehr neue Berufe innerhalb der Industrie und die traditionell handwerklichen Berufe verloren an Bedeutung. Aus diesem Grund entstanden immer größere Tendenzen, die Ausbildungsberufe durch den Staat zu institutionalisieren und zu standardisieren. (vgl. Beck/Brater/Daheim 1980, S. 19) Damit verbunden kam es zu einer immer stärkeren Auflösung der bis dahin im Handwerk üblichen klassischen Einheit von Produktionsprozess, Produkt, Produktionsmittel und Ausbildung. Dies meint, dass sich der Zusammenhang von tatsächlicher Tätigkeit und Fähigkeit immer mehr wandelte. Beck, Brater und Daheim führen in diesem Zusammenhang an, dass ein Schlosser nur noch ein groß skizziertes Tätigkeitsfeld hat auf dem er sich aufgrund seiner Qualifikation auswirkt und auch nicht zwingend in einer Schlosserei arbeiten muss. (vgl. Beck/Brater/Daheim 1980, S. 16)
Dies ist die spezifische Ursache, die den Beruf als Phänomen immer schwerer erfassbar gemacht hat. Eine pragmatische Lösung zur Frage nach dem Beruf bieten z.B. Ulrich und Lahner an. […] „Taucht die Frage nach der Definition des Begriffes „Beruf“ auf, die man tunlichst umgehen sollte, um endlose Erörterungen, die dem Leser nicht helfen, zu vermeiden, ist es zweckmäßig einen pragmatischen Weg der Erörterung einzuschlagen.“ (Ulrich/Lahner 1970, S. 34) Dem Pragmatiker genügen laut Ulrich und Lahner folgende Berufsbestimmungen:
1. Der wirtschaftliche Aspekt: Berufstätigkeit dient dem Lebensunterhalt
2. Aufgabe und Ergebnis der Berufstätigkeit sind abgrenzbar.
3. Die Kombination der Elemente ist harmonisch („Blumenstrauß-Aspekt)
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Hier werden also eher Elemente differenzierter Berufsinformation – verbildlicht am Beispiel des Blumenstraußes - zur Begriffsbestimmung verwendet, anstatt die Begrifflichkeit als Ganzes zu erfassen. […] „Diese pragmatische Haltung hat die Arbeit der Berufsforschung über lange Zeit geprägt.“ (Dostal 2006, S. 12) Dabei bleibt jedoch der Berufsbegriff als ganzheitliches Phänomen im Raum stehen, was nach Dostal unmittelbare Folgen für Forschungsfelder wie die Berufsforschung hat. (vgl. Dostal 2006, S 27) Auch Beck, Brater und Daheim gelingt es die Begrifflichkeit des Berufes nur weiträumig zu umschreiben. Sie definieren den Beruf als […] „ relativ tätigkeitsunabhängige, gleichwohl tätigkeitsbezogene Zusammensetzung und Abgrenzung von spezialisierten und institutionell fixierten Mustern von Arbeitskraft, die u.a. als Ware am Arbeitsmarkt gehandelt und gegen Bezahlung in fremdbestimmten, kooperativ-betrieblich organisierten Arbeits- und Produktionszusammenhängen eingesetzt werden.“ (Beck/Brater/Daheim 1980, S. 20)
Es scheint, als wäre es bisher nicht gelungen den Kern des Berufsbegriffes zu spezifizieren. Aus diesem Grund fällt es der Forschung oft schwer Fragen zur Genese von Berufen, sowie dem Verschwinden von Berufen, zu beantworten. Gerade die Berufs- und Innovationsforschung hat mit dieser Tatsache zu kämpfen. Betrachtet man die Vieldimensionalität des Berufsbegriffs innerhalb von Organisationen und dessen komplexe Einbettung in das Gesamtsystem wird diese Schwierigkeit zusätzlich verdeutlicht.
Abbildung 1.: Die Vieldimensionalität von Beruf
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten (Entnommen bei: Dostal/Stooß/Troll 1998, S.440)
Die komplexe Vernetzung und Mehrdimensionalität des Berufs, seine historische Bedeutung sowie die ständige Anpassungsnotwendigkeit an erwerbsbezogene und gesellschaftliche Veränderungen, machen es fast unmöglich eine allgemein gültige und aussagekräftige Definition des Berufsbegriffs zu formulieren. Es bleibt aber festzuhalten, dass man eine entscheidende Dimension von Beruf […] „in den Vollzügen am Arbeitsplatz“ (Henninges 1976, S. 6) sieht, wie die Abbildung 1. verdeutlicht.
2.1.2 Berufsgeneseforschung als Teildisziplin der Berufsforschung
Das Aufgabenfeld der Berufsforschung ist sehr umfangreich. Die mannigfaltigen Ausprägungen des Berufsforschungsbegriffs können in der vorliegenden Arbeit nicht vollständig erfasst werden. Der Autor bezieht sich deshalb auf die für die Thematik relevanten Punkte der Berufsforschung (die Berufsgeneseforschung) und stützt sich dabei auf die bereits dargestellten Vorüberlegungen. Im nachstehenden Definitionsversuch wird es deshalb vorrangig darum gehen die Schwerpunkte und Aufgaben der Berufsforschung bezüglich der Berufsgenese darzustellen und abzugrenzen.
Der Begriff der Berufsforschung umfasst als Dimension zwei wesentliche Konstrukte. Dies sind zum einen der Beruf und zum anderen die Forschung. Da bereits festgestellt wurde, dass der Berufsbegriff vielschichtig, mehrdeutig und umstritten ist, (vgl. Rauner 2006, S. 105) soll im Folgenden zuerst die Forschung als Begrifflichkeit fokussiert werden, um den Auftrag und Sinn der Berufsforschung besser erfassen zu können.
Unter Forschung versteht man im Allgemeinen die theoretisch-begrifflich abgeleitete und methodisch kontrollierte Erzeugung von Wissen. Darüber hinaus wird sie als die methodische Suche nach neuen Erkenntnissen sowie deren systematische Dokumentation und Veröffentlichung in Form von wissenschaftlichen Arbeiten definiert. Man unterscheidet hier die Grundlagenforschung, welche das Wissen für die angewandte Forschung liefert und die angewandte Forschung, die unter anderem als Impulsgeber für die Grundlagenforschung dient. (vgl. Hamburger 2005, S. 35ff) […] „Der wissenschaftliche Erkenntnisgrad nimmt von der Grundlagenforschung zur angewandten Forschung hin ab. Der Konkretisierungsgrad sowie der Praxisbezug nehmen hingegen weiter zu. Diese Trends verstärken sich in dem der Forschung nachgelagerten Prozess der Entwicklung, die ihr Wissen aus der angewandten Forschung bezieht.“ (Hamburger 2005, S. 37)
Bezieht man zur Definition von Berufsforschung zusätzlich die vorangestellte Definition des Berufs mit ein, wird deutlich, dass die Mannigfaltigkeit des Berufsbegriffs eine monodisziplinäre Interpretation nicht zulässt. (vgl. Rauner 2006, S. 107) Zusätzlich wird die Berufsforschung eingerahmt durch die Berufsbildungsforschung und die Berufs- und Arbeitsmarktforschung. […] „Da beide Seiten über erhebliche Forschungskapazitäten verfügen, wird die Berufsforschung, die nur marginal ausgestattet ist, oft eingeklemmt und steht dabei in der Gefahr, von anderen Forschungsbereichen vereinnahmt zu werden. Dies erfolgt vor allem durch die Berufsbildungsforschung, die sich traditionell mit Beruf und vor allem beruflichen Kompetenzen befasst.“ (Rauner 2006, S. 107) Vor allem die universitäre Forschung zeigte, dass der Berufsforschung vor diesem Hintergrund keine spezifische Position – weder in der Berufspädagogik noch in der Arbeitswissenschaft – zugewiesen werden konnte. Deshalb befasst sich die Berufsforschung mit spezifisch ausgerichteten Themengebieten die Schwerpunktmäßig von Institutionen wie dem IAB, dem BIBB oder anderen Instituten aus dem Bereich der Bildungs-, Arbeits-, und Innovationsforschung vorgegeben werden. (vgl. Rauner 2006, S. 108) Dabei kommt ihr allgemein betrachtet vor allem die Aufgabe zu, die vielfältige Berufslandschaft zu strukturieren und transparent zu machen. (vgl. Rauner 109) Ein zentraler Schwerpunkt der Berufsforschung ist dabei die Untersuchung der berufsförmig organisierten Arbeit mit dem Ziel, […] „ hieraus gewonnene Erkenntnisse für die Gestaltung von Berufsbildern, Curricula und beruflichen Lernens zu nutzen.“(Howe/Spöttl 2008, S. 24)
Bezüglich der Berufsgenese kommt der Berufsforschung vor allem die Aufgabe zu die angesprochene Berufsdynamik zu erfassen und auszuwerten. Der wichtige Zweig der Berufsforschung - die Berufsgeneseforschung - beschäftigt sich mit der Analyse der Entstehung von Berufen. Durch sie werden die Veränderungen von Anforderungen und der Bedarf an neuen Berufen und Kompetenzbildern erfasst, strukturiert und die jeweiligen Auslösefaktoren ermittelt. Die gewonnenen Forschungsergebnisse dienen Institutionen wie dem BIBB und den entsprechenden politischen Instanzen dazu, auf Forderungen des Arbeitsmarktes einzugehen und wenn nötig neue Berufe zu generieren. (vgl. Rauner 2006, S109)
In diesem Zusammenhang muss darauf verwiesen werden, dass die angesprochenen Veränderungen in der Facharbeit und den renommierten Berufsbildern in der Praxis eher kontinuierlich ablaufen. […] „Es kann daher nicht ausreichen, punktuelle Untersuchungen vorzunehmen. Vielmehr sind Strukturuntersuchungen und Entwicklungsverläufe bei der Berufsgeneseforschung mit einzubeziehen.“(Howe/Spöttl 2008, S. 26) Zur Feststellung der realen Berufsinhalte und Änderungen wird dabei vornehmlich das Instrumentarium der Arbeitsplatzanalyse (Tätigkeitsanalyse) verwandt. (vgl. Fenger 1968, S. 327)
Der Schwerpunk von Berufsforschung lässt sich demnach in Bezug auf die vorliegende Thematik wie folgt zusammenfassen: Die Berufsforschung erfolgt im Regelfall auftragsgebunden und verfolgt das Ziel, die charakteristischen Aufgaben und die in diesen inkorporierten Qualifikationsanforderungen von Berufen zu identifizieren, um auf dieser Grundlage Anstöße für die auf dem Arbeitsmarkt benötigten Veränderungen und Neuerungen geben zu können. Die größte Herausforderung ist in diesem Zusammenhang die Erfassung und Identifizierung von tatsächlich benötigten Fähigkeiten in einem oft unklar definierten Berufsfeld. Bei der Analyse und Systematisierung von Aufgaben, Tätigkeiten, Neuerungen und Arbeitsmitteln, bedient sie sich sowohl qualitativer als auch quantitativer Forschungsmethoden um die veränderten Arbeitsmarkt- und Qualifikationsanforderungen zu erfassen und deren Folgen abzuschätzen. (vgl. Howe/Spöttl 2008, S. 35, sowie Rauner 2006, S. 111)
In diesen Zusammenhang muss auch die Professionalisierungsforschung genannt werden. Diese untersucht Aspekte bei der Verschiebung von Aufgaben und Tätigkeiten in die professionelle Sphäre, die vormals außerhalb von Berufen geleisteter wurden. Sie befasst sich somit direkt mit der Entstehung von neuen erwerbsbezogenen Berufen. (vgl. Rauner 2006, S. 112)
2.1.3 Professionalisierung
Im Gegensatz zum Berufsbegriff wurde der Begriff der Profession in der Wissenschaft viel ausführlicher behandelt. Professionen werden heute oft mit wissensbasierenden Berufen gleichgesetzt, […] „sodass die Professionalisierung im Rahmen der Informatisierung abläuft. Der Professionalisierungsbegriff wird somit eher gesehen als die Genese von anspruchsvollen Berufen, die aber nicht auf vergleichbare Vorbilder zurückblicken.“ (Dostal 2006, S. 11) In der Berufsforschung wird der Begriff der Professionalisierung somit prinzipiell als das Entstehen neuer Berufe und deren weitere Entwicklung verstanden. So wird in verschiedensten Veröffentlichungen statt des Begriffs der Berufsgenese der Begriff der Professionalisierung verwendet, während unter Deprofessionalisierung das Verschwinden vormaliger Berufe verstanden wird. (vgl. Dostal 2006, S. 10 ff.) Rauner betrachtet die Begrifflichkeit der Professionalisierung etwas differenzierter und schließt in deren Definition auch die Anreicherung von Berufen durch Tätigkeitsfelder und Arbeiten, die bisher außerhalb des beruflichen Bereiches geleistet worden sind, mit ein. Aus Sicht der Berufsgenese kann die Professionalisierung bzw. Deprofessionalisierung als ein Teilprozess der Berufsgenese verstanden werden, der allerdings nur spezielle Berufe betrifft und auch nur bestimmte Phasen der Berufsgenese abdeckt.
2.1.4 Innovationsforschung
Unter dem Begriff der berufsbildungsrelevanten Innovation versteht man pragmatisch betrachtet eine Neuerung, die es bisher an einem bestimmten Ort des Systems oder des Praxisfeldes nicht gibt. Diese Neuerung kann ein neuer Beruf, eine neue didaktische Methode, eine zukunftsweisende Weiterbildungsstruktur oder ein neuartiger Bildungsdienstleister sein. Daraus lässt sich ableiten, dass sich die Innovationsforschung auf allen Ebenen (Mikro-, Meso- und Metaebene) der Berufsbildung bezieht. Dabei muss die Innovation nicht originär sein und darf durchaus in einem anderen Bereich existent sein. (vgl. Lauer-Ernst 2006, S 82) Sie muss lediglich […] „für den aktuellen Ort zum definierten Zeitpunkt eine Veränderung darstellen, die von den Beteiligten als aussichtsreich erlebt wird. (Lauer-Ernst 2006, S 82) In der Förderlandschaft der Berufsbildung ist die Singularität einer Innovation keinesfalls erwünscht. Vielmehr geht es darum, transferierbare und breit implementierbare Lösungsansätze zu generieren. Innovationen sollten vor allem praktizierbar und in die Realität übertragbar sein und dort nachweisbar positiv wirken.
Die Innovationsforschung wird in der beruflichen Bildung zumeist von Bund und Ländern oder konkreten Interessenverbänden wie zum Beispiel Gewerkschaften und Arbeitgeberverbänden ins Leben gerufen. (vgl. Severing 2005, S. 5) Dies verweist auf ein hohes Konfliktpotential, der Innovationsforschung. Widerstreitende politische Positionen, sowie die häufig sehr heterogenen Untersuchungsfelder und die divergierenden Interessen aller Beteiligten bestimmen das innovative Handeln und den Forschungsprozess mit. Die Innovationsprozesse vollziehen sich […] „in mehreren Phasen von der Konzeption über die Entwicklung bis hin zur Verankerung des Neuen in der Alltagspraxis.“(Lauer-Ernst 2006, S 82) Vor allem der Modellversuchsforschung kann in diesem Zusammenhang besondere Bedeutung zugeschrieben werden. (Sloane/Twardy 1990, S. 26) Leider werden die Ergebnisse der Innovationsforschung nicht selten und ganz gegen das oben dargestellte Wunschdenken viel zu oft als singuläre Ereignisse behandelt und ein breiter Transfer findet allzu oft nicht statt. (vgl. Lauer-Ernst 2006, S 82) Dennoch liefert die Innovationsforschung viele berufskundliche Erkenntnisse, die verdichtet und systematisiert betrachtet von der Berufsgeneseforschung bewertet und verwendet werden können. Die Innovationsforschung kann vor diesem Hintergrund und in Bezug auf die Genese von Berufen als wichtiger Informationsträger verstanden werden, welchem die Berufsgeneseforschung wichtige Erkenntnisse verdankt. Die Innovationsforschung ist dabei ein Forschungsstrang, der vor allem die Nahtstelle zur beruflichen Tätigkeit untersucht. (vgl. Lahner/Ulrich 1996, S. 417)
2.2 Berufswandel aus Sicht der Innovations- und Berufsforschung
Im Rahmen der Berufsgeneseforschung bezog sich ein anderer Forschungsstrang der Innovationsforschung auf die Betrachtung der Berufslandschaft, in der das Aussterben bisheriger Berufe und das Aufkommen neuer Berufe, mit Blick auf die Gesamtheit der Berufe betrachtet und nachgewiesen werden sollte. Der Versuch hatte zum Ziel, den Berufswandel längerfristig zu prognostizieren. Es wurde angenommen, dass die Entstehung von neuen Berufen bei vollständiger Kenntnis des Innovationsprozesses frühzeitig vorausgesagt werden könne. Es zeigte sich jedoch, dass die Unschärfe des Berufsbegriffs auch die Erfassung des „Neuen“ deutlich erschwerte. (vgl. Dostal 2006, S. 13) Wegen der mangelnden Starrheit der Ursprungsphänomene waren Berufsentwicklungsprognosen mit dem geforderten Horizont von möglichst einem ganzen Erwerbsleben schlichtweg nicht möglich. Die Berufsforschung wird aufgrund der bereits aufgezeigten Problematik auch zukünftig nicht in der Lage sein die Forderung nach ganzheitlichen und präzisen Berufsentwicklungsprognosen über einen Zeitraum von 40 bis 50 Jahren zu leisten. (vgl. Rauner 2006, S. 111) Es hat sich darüber hinaus gezeigt, dass sich auch die traditionellen und seit langem bestehenden Berufe […] „implizit verändern und dass sich sehr komplexe Verschiebungen in der Bedeutung und Bewertung einzelner Komponenten von Berufen und zwischen Berufen“ (Dostal 2006, S.14) abspielen. Berufliche Flexibilität in der Praxis verdeckt die zunächst häufig marginal anmutenden Prozesse der Berufsentstehung. Die Früherkennung von Qualifikationsforderungen des Arbeitsmarktes gestaltet sich bis heute schwierig, denn es konnte festgestellt werden, dass eine flexibel strukturierte Erwerbstätigkeit und eine weiche Berufsgliederung den Prozess der Berufsgenese umso schwerer erkennbar macht. (vgl. Dostal 2006, S. 15) Die Innovations- und auch Berufsforschung stand in diesem Zusammenhang bereits vor großen Problemen, die in vielen Fällen dennoch überwunden werden konnten, wie die folgenden Kapitel aufzeigen werden.
3.0 Berufsgenese
Nachdem ein ausreichendes theoretisches Verständnis der Thematik erzeugt wurde, soll im Folgenden die Berufsgenese näher beleuchtet werden, bevor auf die Thematik des Hybridberufes eingegangen wird. Dazu sollen die einzelnen Schritte, sowie die Akteure, die bei der Berufsforschung beteiligt sind aufgezeigt werden, um im anschließenden Kapitel die erfolgreiche Entwicklung und Umsetzung eines Hybridberufes zu erläutern. Zunächst sollen jedoch die Auslösefaktoren für die Entstehung von neuen Berufen ausführlich skizziert werden.
3.1 Gründe für die Entstehung von Berufen
Veränderungen in der Qualifikations- und Tätigkeitsstruktur, neue Formen der Arbeitsorganisation und wachsende Anforderungen an das Wissen und dessen abnehmende Halbwertszeit bedeuten für viele Erwerbstätige, dass sie immer wieder neue Aufgaben bewältigen müssen. So kommt es auch, dass[…] „ in der Dynamik der technischen Entwicklungen ferner manche Berufe einen grundlegenden Wandel in ihrem Tätigkeitsinhalt, dem die tradierten Berufsbezeichnungen nur unvollständig Rechnung tragen.“(Schuster 1969, S. 11) Die neu entstehenden und innovativen Berufe, die diesen veränderten Qualifikationsanforderungen gerecht werden müssen, entstehen deshalb nicht zufällig. Ihre Genese hängt aber, wie die weitere Untersuchung zeigen wird, nicht nur vom technischen Fortschritt ab, sondern wird vielmehr durch verschiedenste Auslösefaktoren bedingt. Im Wesentlichen lassen sich nach Dostal drei wesentliche Auslösefaktoren spezifizieren:
- Innovationen technischer Art
- Innovationen gesellschaftlicher/organisatorischer Art
- Innovationen administrativer Art
(vgl. Dostal 2006, S. 22)
Diese werden vom Autor nachfolgend ausführlich erläutert. Es sei bereits an dieser Stelle angemerkt, dass es kaum möglich ist monokausale Auslösefaktoren für die Berufsgenese zu finden. Meistens sind die Auslösefaktoren miteinander verzahnt und es bestehen enorme Schwierigkeiten diesen Auslösefaktoren genaue Gewichtungen zuzuschreiben. Die Wirkungskette, die sich zwischen den Auslöser und Folgen der Neuentstehung eines Berufes aufspannt, ist daher kaum eindeutig zu erkennen. (vgl. Dostal 2006, S. 25)
3.1.1 Technische Innovationen
Es liegt auf der Hand, dass Berufe durch technische Neuerungen massiv beeinflusst werden. Dass diese sogar Grund für die Neuentstehung von Berufen sein können, zeigte bereits die im 18. Jahrhundert begonnene industrielle und technische Revolution. Zu den traditionellen Handwerksberufen gesellten sich eine Vielzahl von neuen Berufen im Verkehrswesen, Kraftfahrzeugbau, bei der Eisenbahn und natürlich vor allem in den industriellen Fertigungsberufen. Wenn man die neuerdings entstandenen Berufe in der Elektro- und Informationstechnik betrachtet, setzt sich dieser Prozess aus heutiger Sicht immer weiter fort. (vgl. Dostal 2006, S. 22) […] „Zwar wird immer wieder deutlich, dass es für viele dieser neuen Berufe Vorläufer gibt, die auf vergleichsweise traditionelle Verrichtungen und Hilfsmittel zurückgreifen (als Beispiel sei hier der Vergleich zwischen Telegrafie und Internet aufgeführt), doch gibt es heute kaum Berufe, die sich nicht durch technische Arbeitsmittel oder Infrastrukturen verändert haben.“(Dostal 2006, S. 22)
Diese eher historische Betrachtungsweise kann nach Dostal durch die Innovationsforschung gestützt werden. Die Auswirkungen technischer Änderungen auf den Beruf wurden bereits durch verschiedene empirische Analysen bestätigt. Als Beispiel führt Dostal eine Langzeituntersuchung des IAB von etwa 1971 bis 1985 an. Diese Untersuchung stellte den Versuch dar, Personalveränderungen in verschieden und voneinander abgegrenzten Wirtschaftsbrachen abzufragen, die aufgrund von technischen Neuerungen entstanden sind. Es zeigte sich, dass die Veränderungen in verschieden Arbeitsbereichen stark von technischen Neuerungen abhängt. Jedoch wurde festgestellt, dass dieser Umstand in vielen Fällen nicht alleiniger Auslösefaktor für eine Berufsgenese war, sondern lediglich zu einer Veränderung des Arbeitsinhalts führte. (vgl. Dostal 2006, S. 23) Lahner und Ulrich beschreiben diesen Umstand ähnlich. […] „Erst nach dem wirtschaftlichen Durchbruch einer technischen Neuerung können neue Berufe entstehen. Aber nicht jede technische Neuerung führt nach ihrem wirtschaftlichen Durchbruch zu einem neuen Beruf. […] „Völlig neuartige Berufe entstehen aus technischen Neuerungen also seltener als es den Anschein hat. Technische Neuerungen wirken sich zwar erheblich auf den Inhalt der Berufstätigkeiten aus, daraus kann aber nicht unmittelbar auf das Entstehen neuer Berufe geschlossen werden.“ (Lahner/Ulrich 1970, S. 3 f.)
Es gilt also wie bereits erwähnt, noch andere mögliche Auslösefaktoren der Berufsgenese zu betrachten.
3.1.2 Organisatorische Innovationen
[…] „In der Technikfolgen-Forschung dominierte über Jahrzehnte hinweg die Vorstellung, dass die Technik ganz bestimmte Anpassungsprozesse im Betrieb auslöst und deshalb die Wirkungen ausschließlich durch die Technikeigenschaften determiniert sind. […] Faktisch kann diese neue Technik aber auf sehr verschiedene betriebsspezifische Anforderungen und Problemlagen zugeschnitten werden.“ (Becker 1992, S. 20) Das heißt, dass die Neuerungen in der Technik und die daraus resultierenden Folgen sehr stark von der Aufnahme und Umsetzung in Organisationen abhängen. Sobald Unternehmen beim Einsatz neuer Techniken Gestaltungsspielräume haben, müssen die betrieblichen Gegebenheiten und Handlungsweisen in die Überlegung mit einbezogen werden, denn der Umgang mit neuer Technik beeinflusst die „Technikfolgen“(vgl. Becker 1992, S. 20) und verleiht ihnen teilweise einen sehr individuellen Charakter.
Laut Dostal gehören organisatorische Innovationen und Veränderungen in Betrieben und Unternehmen zu einem Segment, dass bei der Erforschung der Berufsgenese eher vernachlässigt wurde. Trotzdem schreibt auch er diesem Bereich eine enorme Wirkung auf die Aufgaben und Tätigkeiten in Berufen zu, die maßgeblich dazu beitragen, dass sich Berufe verändern und neu entstehen. (vgl. Dostal 2006, S. 24) Folglich gilt es, wenn man die Berufsgenese untersucht, auch diese Segmente näher zu betrachten um festzustellen, inwieweit die Neuentstehung von Berufen durch sie beeinflusst wird. Dies kann im Rahmen der vorliegenden Arbeit nicht geleistet werden. Es muss aber der Vollständigkeit halber erwähnt werden, dass Neuerungen im Bereich der Technik eng mit der Auslegung dieser Technik und der Erarbeitung neuer Organisationskonzepte verzahnt sind. Es lässt sich daher feststellen, dass der Ursprung eins neuen Berufes meist in der Praxis zu finden ist. Viele einzelne Unternehmen gehen zunächst individuell auf die Veränderungen durch die Technik ein und generieren ihre eigenen Lösungsansätze zum Umgang mit diesen Neuerungen. Der Berufsforschung kommt dabei die Aufgabe zu, die daraus entstehenden Strukturen zu analysieren, zu gestalten, zu strukturieren und letztlich den Bedarf der Organisationen zu ermitteln. (vgl. Rauner 2006, S. 111) Erst aus einer Vielzahl von vielen verschiedenen Lösungsansätzen der einzelnen Organisationen entsteht, meist viel später, ein neuer Beruf. In diesem Zusammenhang erwähnt zum Beispiel Kleemann die Entstehung der Telearbeit. (vgl. Kleemann 2005, S. 373)
3.1.3 Administrative Innovationen
Ein Bereich der für die Berufsgeneseforschung eine eher untergeordnete Rolle spielt und dennoch Auslöser für die Neuentstehung von Berufen sein kann, sind administrative Innovationen. Die Änderungen von Gesetzen und Verordnungen können nicht nur unmittelbare Auswirkungen auf die Tätigkeitsinhalte von tradierten Berufen haben, (der Autor verweist in diesem Zusammenhang zum Beispiel auf neue Arbeitsschutzmaßnahmen u. ä.), sondern auch die Neuentstehung von Berufen bedingen. In den meisten Fällen beschäftigen sich diese Berufe mit Kontroll- und Regelungsaufgaben, die aufgrund von Gesetzesänderungen (auch bedingt durch gesellschaftlichen Wandel) entstehen. […] „Beispiele für dieses Phänomen sind die Gleichstellungsbeauftragten oder die Datenschutzbeauftragten, die durch jeweilige Gesetze vorgegeben und somit administrativ generiert worden sind.“ (Dostal 2006, S. 24)
[...]
Details
- Seiten
- Erscheinungsform
- Erstausgabe
- Erscheinungsjahr
- 2010
- ISBN (PDF)
- 9783955497538
- ISBN (Paperback)
- 9783955492533
- Dateigröße
- 401 KB
- Sprache
- Deutsch
- Institution / Hochschule
- Helmut-Schmidt-Universität - Universität der Bundeswehr Hamburg
- Erscheinungsdatum
- 2015 (Februar)
- Note
- 1,3
- Schlagworte
- Berufsbildung Berufsforschung Mechatroniker Berufskonzeption Hybridberuf
- Produktsicherheit
- BACHELOR + MASTER Publishing