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Diskrepanz zwischen Theorie und Empirie in ausgewählten Verhandlungsspielen: Eine empirische und experimentelle Analyse

©2010 Masterarbeit 80 Seiten

Zusammenfassung

Die experimentelle Wirtschaftsforschung hat in den vergangenen Jahren massiv an Popularität gewonnen und zählt zu den bedeutendsten Methoden der Ökonomie. Der Mensch ist ein sog. ‘Homo Oeconomicus’, ein vollkommen rationaler, mit vollständigen Informationen ausgestatteter und ein nüchtern abwägender Mensch. Jedoch zeigt die Empirie, dass es eine Diskrepanz zwischen der Theorie und Empirie gibt. Diese Studie stellt diese empirischen Resultate dar. Hierbei werden die Dilemma-Spiele (Centipede Game und Gefangenendilemma) und die Verhandlungs-Spiele (Diktator Game, Ultimatum Game, Rubinstein Game) erläutert. Ferner wird ein eigenes Experiment zum Ultimatum Game dargestellt und analysiert. Es werden die neueren Ansätze, die der sozialen Präferenzen, die die Abweichungen von Theorie und Empirie erklären können, dargestellt.

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


IV
Abkürzungsverzeichnis
A accept
CG Centipede
Game
BMN
Bereby-Meyer und Niedele
B/O
Bolton und Ockenfels
bzw. beziehungsweise
DG Diktator-Game
DGA Demand-Game
E Experten
ERC equity
reciprocity
competition
eW experimentelle
Wirtschaftsforschung
F/S
Fehr und Schmidt
FTV
Freedom to Veto
GD Gefangenen-Dilemma
GG Gleichgewicht
GK ganzer
Kuchen
GVD
Güth und van Damme
H
0
Nullhypothese
H
1
Alternativhypothese
i.d.R.
in der Regel
OGA Offer-Game
MWU Mann-Whitney-U-Test
NE Nicht-Experten
P Preis
R reject
RG Rubinstein-Spiel
RP rejection
payoff
S. Seite
SH
Stahl und Haruvy
sog. sogenannten
TK Transaktionskosten
UG Ultimatum-Spiel
USA
Vereinigten Staaten von Amerika
vgl. vergleiche

1
1 Einleitung
,,If this is rationality, they want none of it" (Aumann, 1992, S.218). Zahlreiche Experimente
wurden zu diversen Spielen wie zum Beispiel zum Gefangenen-Dilemma, Ultimatum-Spiel
und Diktator-Spiel gespielt
1
, um den Rational Choice Ansatz zu bekräftigen (der des homo
oeconomicus), in dem rationales Verhalten aller Akteure unterstellt wird (Ockenfels, Raub,
2010, S.1).
Resultat vieler Studien war es jedoch, dass entgegen der dominanten Strategien, welche Ge-
genstand im Diktator-Spiel und Gefangen-Dilemma sind (vgl. Forsythe, Horowitz, Savin,
Sefton, 1994, S.347; Bolton, Ockenfels, 2000, S.166) und entgegen teilspielperfekter Nash-
Gleichgewichte im Ultimatum-Spiel gespielt wurde (vgl. Güth, Huck, Müller, 2001, S.162;
Halko, Seppälä, 2006, S.1).
Das Ultimatum-Spiel ist ein Verhandlungs-Spiel, in dem zwei Spieler über die Aufteilung
eines ,,Kuchens" (i.d.R. einer Geldsumme) verhandeln. Der Spieler1 (Proposer) unterbreitet
dem Spieler2 (Responder) ein Angebot über die Aufteilung des Kuchens. Nimmt der Respon-
der an, wird gemäß des Vorschlags des Proposers aufgeteilt, lehnt der Responder jedoch ab,
bekommen beide Akteure nichts.
Die Standardtheorie zum Ultimatum-Spiel sagt voraus, dass der Proposer dem Responder das
minimal mögliche Angebot unterbreitet (i.d.R. 0,01) und der Responder diesen Betrag an-
nimmt, da es sich im Ultimatum-Spiel um ein ,,take-it-or-leave-it-Spiel" handelt und 1 Cent >
0 Cent ist (vgl. Kahn, Murnighan, 1993, S.1260; Forsythe et al., 1994, S.347). Jedoch haben
bereits Werner Güth et al. 1982, die das erste Experiment zum Ultimatum-Spiel durchgeführt
hatten, herausgefunden, dass das Modalangebot bei einer 50%-50% Aufteilung (equal split)
liegt und Responder positive Angebote ablehnen, was nicht mit dem prophezeiten Gleichge-
wicht einhergeht (Güth, Schmittberger, Schwarze, 1982, S.374).
Die für das Gefangenen-Dilemma und Diktator-Spiel existierenden dominanten Strategien
werden in den Experimenten ebenfalls nicht beobachtet, sodass auch hier eine Diskrepanz
zwischen Theorie und Empirie herrscht (vgl. Bohnet, Frey, 1999. S.44; Eckel, Grossman,
1996, S.182).
Um diese wohl vorhandene Diskrepanz zwischen Theorie und Empirie qualitativ und quanti-
tativ zu erfassen, ist die Arbeit folgendermaßen aufgebaut.
Abschnitt zwei wird sich aufgrund des intuitiveren Zugangs und der inhaltlichen Nähe von
Dilemma- und Verhandlungs-Spielen mit den beiden Dilemma-Spielen ,,prisoner´s dilemma"
und ,,centipede game" beschäftigen. Wie bereits erwähnt, sagt die Standardtheorie auch hier
1
Für einen Überblick siehe Roth und Kagel (1995): The Handbook of Experimental Economics.

2
voraus, dass es dominante Strategien und teilspielperfekte Gleichgewichte gibt. Hierbei ist es
interessant zu beobachten, ob in diesen Spielen ohne Verhandlungsmöglichkeit, pareto-
effizientere Lösungen als in den Verhandlungs-Spielen resultieren.
In Abschnitt drei werden die drei Verhandlungs-Spiele Diktator-, Ultimatum- und Rubinstein-
Spiel vorgestellt, wobei das Ultimatum-Spiel mit mehreren aus der bestehenden Literatur ent-
nommenen Variationen im Vordergrund steht.
Neben dem klassischen Ultimatum-Spiel (im Folgenden UG) werden verschiedene Variatio-
nen des UG vorgestellt. Interessant ist, dass unter bestimmten Bedingungen die Diskrepanz
zwischen Theorie und Empirie zum Teil geschlossen werden kann, sodass beispielsweise
,,Experten" theorienähere Resultate erzielen als ,,Nicht-Experten"
2
.
Im Juni 2010 habe ich ein eigenes Experiment zum UG und Rubinsein-Spiel zum Thema Ex-
perten und Nicht-Experten durchgeführt, welche ausführlicher in den Abschnitten 3.2.1.2 und
3.3 beschrieben werden.
Abschnitt vier versucht die herrschende Diskrepanz zwischen Theorie und Empirie mit Hilfe
diverser bestehender Ansätze zu erklären.
Hierbei werde ich zu Beginn des vierten Abschnittes das Rabin-Modell vorstellen, demnach
die Menschen viel Wert auf Fairness und Reziprozität legen, denn: ,,If somebody is being nice
to you, you be nice to him" (Rabin, 1993, S.1281).
In Abschnitt 4.2 werde ich die beiden Ungleichheitsaversionsmodelle von Fehr/Schmidt und
Bolton/Ockenfels vorstellen.
Zuerst werde ich das Modell von Fehr-Schmidt heran ziehen und erklären, wieso Menschen in
Verhandlungs-Spielen häufiger die 50%-50% Aufteilungsvariante wählen als die Gleichge-
wichtsoption, der zufolge eine klare Ungleichheitsverteilung vorliegen müsste (Fehr, Schmidt,
1999).
Im Anschluss werde ich mit Hilfe des Bolton-Ockenfels-Modells zeigen, dass Menschen nicht
nur durch den eigenen Pay-Off motiviert werden, wie dies die Rational Choice Theorie pro-
phezeit, sondern dass ihre Nutzenfunktion auch von ihrem relativen Pay-Off beeinflusst wird
(Bolton, Ockenfels, 2000).
Zum Abschluss des vierten Kapitels werde ich alternative Ansätze präsentieren, mit deren
Hilfe das Verhalten der Spieler in den Verhandlungs-Spielen erklärt werden kann.
Als Quintessenz werde ich im fünften und letzten Kapitel dieser Arbeit meine Resultate kurz
zusammen fassen und einen möglichen Ausblick geben.
2
Wer ein Experte bzw. Nicht-Experte im Verhandlungs-Spiel ist, wird im Abschnitt 3.2.1 geklärt.

3
2 Dilemma-Spiele
Lange Zeit wurden Dilemma- und Verhandlungs-Spiele in der Literatur separiert, sie wurden
gar wie ,,apples and oranges" unterschieden. Die Unterscheidung zwischen den beiden Arten
von Spielen kann mittels der dominanten Strategien bzw. der teilspielperfekten Nash-
Gleichgewichte überbrückt werden, da diese Elemente in beiden Spieltypen auftauchen (Bol-
ton, 1998, S.257).
Wie bereits erwähnt, tauchen auch hier Diskrepanzen zwischen den theoretischen Überlegun-
gen und den experimentellen Beobachtungen auf.
Das Dilemma besteht darin, dass in solchen Spielen der individuelle Rationalismus zum kol-
lektiv schlechtesten Resultat führt.
2.1 Das Gefangenen-Dilemma
Das Gefangenen-Dilemma (im Folgenden GD), in der Literatur besser bekannt als prisoner´s
dilemma, ist der Klassiker unter den Spielen innerhalb der Spieltheorie. Es ist ein nicht-
kooperatives Spiel. Melvin Dresher und Merrill Flood haben 1950 ein Experiment mit Hilfe
einer Auszahlungsmatrix durchgeführt, welches noch mit asymmetrischen Auszahlungen für
die beiden Akteure konstruiert war und nicht das uns heute bekannte GD illustrierte (vgl. Ta-
belle 2.1).
Tabelle 2.1: Das GD von Dresher und Flood
Spieler1
Spieler2
,,A"
,,B"
,,A"
-1/2
0,5/1
,,B"
0/0,5
1/-1
Quelle: Kagel, Roth (1995, S.9); Eigene Darstellung.
Tabelle 2.1 verdeutlicht, dass beide Spieler theoretisch eine dominante Strategie haben. Un-
abhängig von der Wahl des Spielers1 wird Spieler2 die Option ,,A" wählen, da diese stets zu
einer höheren Auszahlung führt als die Option ,,B". Spieler1 hingegen wird immer die Option
,,B" wählen, weil diese Strategie die Strategie ,,A" dominiert.
Ergo liegt das Gleichgewicht bei der Strategiekombination (B; A), was mit einem Pay-Off
von 0 für Spieler1 und 0,5 für Spieler2 einhergeht. Dieses Resultat ist ineffizient, da sie zum
einen in Summe den geringsten Pay-Off ausmacht und zum anderen beispielsweise die Stra-
tegiekombination (A; B) beide Akteure besser stellen würde. Dresher und Flood haben jedoch

4
in ihren Experimenten beobachtet, dass die durchschnittlichen Auszahlungen bei 0,40$ für
Spieler1 und 0,65$ für Spieler2 lagen, welche deutlich höher sind als die Pay-Offs des
Gleichgewichts, sodass die Spieler nicht das Nash-Gleichgewicht bzw. ihre dominanten Stra-
tegien gespielt haben. Mit anderen Worten tauchten bereits in den frühen 50er Jahren Un-
stimmigkeiten zwischen Theorie und Empirie auf (Dresher, Flood, 1952).
Das ,,modifizierte" GD mit den Optionen ,,defektieren", ,,kooperieren" und symmetrischen
Auszahlungen geht auf Tucker zurück, welcher die Geschichte zum Spiel entwickelte. Das
GD von Tucker wird in Tabelle 2.2 dargestellt:
Tabelle 2.2: Das GD von Tucker
Spieler1
Spieler2
Kooperieren
Defektieren
Kooperieren
5/5
0/10
Defektieren
10/0
2/2
Quelle: Andreoni, Miller (1993, S.527); Eigene Darstellung.
Wie im ursprünglichen GD von Dresher und Flood (vgl. Tabelle 2.1) haben auch hier die bei-
den Spieler eine und hier gar dieselbe dominante Strategie: ,,Defektieren", sodass beide Ak-
teure einen Pay-Off von jeweils zwei haben, was im Kollektiv die schlechtmöglichste Aus-
zahlung ausmacht. Ergo führt die individuelle Rationalität zum kollektiv schlechtesten Pay-
Off, was durch ein Zitat von Kreps et al. belegt wird: ,,This outcome is clearly and dramati-
cally inefficient" (Kreps, Milgrom, Wilson, 1982, S.246).
Trotz dieser Erkenntnis und dem Vorhandensein von dominanten Strategien (defektieren)
werden in Experimenten relativ viele Kooperationen beobachtet (vgl. Kreps et al., 1982,
S.245; Ockenfels, Raub, 2010, S.5).
Andreoni und Miller haben in ihrem wiederholten GD beobachtet, dass bei einem 10-Runden
GD die Kooperationsbereitschaft anfangs sehr hoch ist, jedoch mit Zunahme der Runden sie
immer mehr abnimmt und man einen sog. ,,Letztrundeneffekt" beobachten kann, welcher in
Abbildung 2.1 illustriert wird (Andreoni, Miller, 1993, S.576).
Anders formuliert versuchen die Spieler zu Beginn des Experimentes, trotz der bestehenden
Informationsasymmetrien, Reputation aufzubauen und erwarten, dass der Gegenspieler Rezip-
rozität an den Tag legt (,,tit-fot-tat"), da diese Strategie mittel- bis langfristig zu höheren Aus-
zahlungen führt als die dominante Strategie, sodass die Missachtung der dominanten Strategie
als ,,rational" bezeichnet werden kann (vgl. Bolton, 1998, S.259; Ockenfels, Raub, 2010, S.5).

5
Dies ist bereits der Fall, falls eine kleine Wahrscheinlichkeit aus Sicht des Spieler1 besteht,
dass sein Gegenspieler (Spieler2) entgegen seiner dominanten Strategie kooperiert. Selbst
wenn dies nicht der Fall ist, ,,versetzt der Glaube Berge", sprich alleine die Erwartung, dass
Spieler2 kooperiert, leitet den Spieler1 zur Kooperation (vgl. Samuelson, 1987, S.187;
Andreoni, Miller, 1993, S.570).
Ein Spieler interessiert sich für die Summe aller Pay-Offs. Mit Hilfe der Technik der Rück-
wärtsinduktion kann man zeigen, dass die dominante Strategie defektieren für alle Runden die
beste Wahl ist, jedoch in den Experimenten so i.d.R. nicht beobachtet wird. Letztendlich er-
höht sich die Kooperationswahrscheinlichkeit mit erhöhten Pay-Offs der Kooperation (Kagel,
Roth, 1995, S.26).
Abbildung 2.1: Kooperationsbereitschaft in wiederholten GD
Quelle: Andreoni, Miller (1993, S.576); Eigene Darstellung.
Die Experimente zum GD sind zahlreich und liefern unterschiedlichste Resultate. Beispiels-
weise haben Liberman et al. herausgefunden, dass der Name der zu spielenden Variante des
GD eine wichtige Rolle spielt. In einem identisch aufgebauten Spiel mit identischer Auszah-
lungsmatrix hat man signifikant mehr Kooperationen beobachten können, für den Fall, dass
das Spiel ,,Community Game" anstatt ,,Wallstreet Game" heißt (Liberman, Samuels, Ross,
2004).
Eine andere Studie von Croson et al. (2003) hat aufgezeigt, dass die bloße Androhung (,,che-
ap talk") ausreicht, um die Kooperationsbereitschaft zukünftiger Spiele zu stimulieren (Cro-
son, Boles, Murnighan, 2003, S.152). Thomas Schelling hatte 1960 sogenannte ,,Fokuspunk-
te" benannt, wofür er und Robert Aumann im Jahre 2005 den Nobelpreis bekamen, sodass
0
10
20
30
40
50
60
70
1
2
3
4
5
6
7
8
9
10
K
ooper
at
ion in %
Rundenzahl

6
sich Spieler genau an diesen Punkten orientieren. Im GD ist die Strategie ,,kooperieren" ein
solcher Fokuspunkt. Demzufolge orientieren sich Spieler, trotz vorhandener dominanter Stra-
tegien, an solche Punkte (Schelling, 1960).
Grundsätzlich hat das GD neben den dominanten Strategien ihre eigenen Gesetze, sodass ,,the
sound of silence" ihre eigene Macht innehat. Trotz keiner Kommunikation sind die Koopera-
tionsraten relativ hoch, da der Mitspieler (Gegenspieler) öfters eine Person ist, die man kennt
(Bohnet, Frey, 1999, S.45). Selbst in sequentiellen GD kann trotz der noch stärkeren domi-
nanten Strategie Kooperationsverhalten beobachtet werden. So haben Fehr und Gächter in
ihrem Arbeitsvertragsspiel beobachten können, welches als sequentielles GD konstruiert wer-
den kann (vgl. Tabelle 2.3), dass das Anstrengungsniveau der Mitarbeiter nach Vertrags-
schluss enorm hoch ist, sodass die Mitarbeiter nicht die dominante Strategie (minimales An-
strengungsniveau nach Vertragsschluss) gewählt haben. Die Begründung hierbei lag darin,
dass zum einen die Mitarbeiter dankbar waren und ihren Arbeitgebern etwas zurück geben
und sie nicht noch schädigen wollten. Zum anderen identifizierten sich die Mitarbeiter nach
Vertragsabschluss mit ,,ihrem" Unternehmen (Fehr, Gächter, 1998, S.849).
Tabelle 2.3: Sequentielles GD
Arbeitgeber
Arbeitnehmer
,,bemühend" arbeiten
,,locker" arbeiten
Einstellen
10/10
5/15
Quelle: Fehr, Gächter (1998, S.849); Eigene Darstellung.
Als Quintessenz weist das GD trotz diverser Variationen robuste Beobachtungen in Experi-
menten auf. Die Akteure spielen oftmals nicht ihre dominante Strategie, sondern kooperieren
eher, da dies, speziell im wiederholten GD, über den gesamten Zeithorizont (kumuliert) zu
höheren Auszahlungen führt. Neben den Standardtheorien beinhaltet das GD ein eigenes Ge-
setz: Das Gesetz der ,,stillen Kommunikation" (Bohnet, Frey, 1999). Trotz keiner Kommuni-
kation spielen die Spieler kooperativ, weil eine soziale Nähe zum Gegenspieler vorhanden ist.
Welche Rolle der Fairness-Aspekt in diesem Kontext spielt, wird in Kapitel 4.1 genauer
durchleuchtet.
Nachdem die Diskrepanz zwischen Theorie und Empirie im GD erfasst wurden ist, wird im
nächsten Abschnitt ein weiteres Dilemma-Spiel behandelt: Das ,,Tausendfüßler-Spiel".

7
2.2 Das Centipede Game
Der Begründer des Centipede Games (im Folgenden CG) ist Robert W. Rosenthal (Rosenthal,
1982). Wie bereits erwähnt, ist das CG ebenfalls ein Dilemma-Spiel, da auch hier individuel-
ler Rationalismus zum kollektiv schlechtesten Resultat führt. Die Abbildung 2.2 stellt das CG
in klassischer, extensiver, Form dar:
Abbildung 2.2: Das Centipede Game
Quelle: McKelvey, Palfrey (1992, S.806); Eigene Darstellung.
Der blaue Spieler beginnt und hat die beiden Handlungsalternativen ,,weiter" und ,,stopp".
Wählt der blaue Spieler ,,stopp" ist das Spiel bereits am ersten Knoten beendet und der blaue
Spieler bekommt einen Pay-Off von vier und der rote Spieler respektive eins. Entscheidet sich
der blaue Spieler hingegen für ,,weiter", ist der rote Spieler an der Reihe, welcher nun eben-
falls die beiden soeben genannten Strategien zur Verfügung hat (Palacios-Huerta, Volij, 2009,
S.1619).
Die Lösung dieses Spiels erfolgt mittels Eliminierung dominierter Strategien per Rückwärts-
induktion (Schotter, Weiss, Zapater, 1996, S.38). Der blaue Spieler überlegt sich, welche Al-
ternative der rote Spieler am letzten Knoten treffen wird. Da 32 > 16 ist, würde der rote Spie-
ler am letzten Knoten ,,stopp" wählen, was wiederum ein Pay-Off von acht für den blauen
Spieler zur Folge hätte. Verfolgt der blaue Spieler diese Kette bis zum ersten Knoten, resul-
tiert bei dieser Pay-Off-Konstruktion ein teilspielperfektes Nash-Gleichgewicht, demnach der
blaue Spieler am ersten Knoten ,,stopp" wählt und das Spiel einen Gesamt-Pay-Off von fünf
hätte (McKelvey, Palfrey, 1992, S.803).
Genau hierin liegt das Dilemma. Bei Befolgung der Standardtheorie resultiert die geringste
Auszahlung für das Kollektiv. Beide würden sich besser stellen, wenn sie das Spiel bis zum
Ende durchspielen würden.

8
2.2.1 Das Centipede Game von McKelvey und Palfrey
Die Herren McKelvey und Palfrey haben in ihrem Experiment mit Studenten des Pasadena
Community Colleges und California Institute of Technology das soeben geschilderte Gleich-
gewicht lediglich in 37 von 662 Fällen beobachten können. 23 Paare spielten das CG bis zum
Ende durch, der Rest pendelte sich zwischen den beiden Extrema ein (McKelvey, Palfrey,
1992, S.804f).
Ein Grund für diese Beobachtung ist, dass Spieler mit ihren Handlungsalternativen ,,experi-
mentieren" wollen und gucken, was dabei rauskommt.
Ein anderer Grund liegt darin, dass Spieler einfach nur ,,goof" sind, sprich sie das Spiel nicht
ganz verstanden haben und endsprechend nicht ,,richtig" handeln. Wie im Gefangenen-
Dilemma werden die Probanden mit Zunahme der Runden besser, sprich auch im CG sind
Lerneffekte zu verzeichnen (McKelvey, Palfrey, 1992, S.815).
Die Autoren Kreps et al. vertreten in diesem Zusammenhang die Theorie des ,,signallings",
demnach Spieler ein Signal setzen, indem sie in der ersten Runde nicht das teilspielperfekte
Nash-Gleichgewicht (,,stopp") wählen und somit Reputation aufbauen, was für die Glaubwür-
digkeit des Kooperierens zukünftiger Runden äußerst ausschlaggebend ist (Kreps, Milgrom,
Roberts, Wilson, 1982, S.247).
Als Quintessenz können auch im klassischen CG Diskrepanzen zwischen Theorie und Empi-
rie beobachtet werden. Um diese vorhandene Lücke zu schließen, wird im nächsten Abschnitt
ein CG mit Menschen gespielt, die für das CG geboren sind.
2.2.2 Das Centipede Game mit Schachspielern
Nach den ,,enttäuschenden" Resultaten bezüglich der Theorienähe von McKelvey und Palfrey
waren sich viele Experten einig, dass das CG ein ,,Paradoxon der Rückwärtsinduktion" dar-
stellen würde (Palacios-Huerta, Volij, 2009, S.1619).
Wissenschaftler wie Aumann (1992), Reny (1992) oder Ben-Porath (1997), die sich ausgiebig
mit dem CG beschäftigt haben, waren sich einig, dass für die theorienahe Durchführung (bzw.
Erzielung der theorienahen Resultate) des CG ein hohes Maß an rationalen Verhalten der Ak-
teure unabdingbar war, was jedoch in der Realität relativ rar war (Aumann, 1995, S.18), so-
dass die ,,Suche nach den perfekten und rationalen CG-Spielern" durch Palacios-Huerta und
Volij begann: ,,Backward induction reasoning in second nature to expert chess players" (Pa-
lacios-Huerta, Volij, 2009, S.1627).

9
Aufgrund der Tatsache, dass Schachspieler in einem Spiel einige Züge im Voraus überlegen
müssen, welchen Zug sie als nächstes machen, sind sie wohl die begabtesten CG-Spieler und
haben eine perfekte Intuition für die Technik der Rückwärtsinduktion.
Palacios-Huerta und Volij haben das CG an zwei verschiedenen Orten gespielt. Zum einen
haben sie während eines internationalen Schachturniers in Spanien (ein sog. Feldexperiment)
lediglich Schachspieler gegeneinander antreten lassen, wobei die Schachspieler entsprechend
ihrer ELO-Werte in vier Klassen unterteilt wurden sind
3
und zum anderen haben sie das Spiel
zwischen Schachspielern und Studenten unter gewöhnlichen Laborbedingungen stattfinden
lassen. Die Resultate ihrer Experimente lassen sich wie folgt zusammenfassen:
-
Spielen Schachspieler gegen andere Schachspieler, so spielen im Mittel 69% über alle
vier Klassen hinweg, das teilspielperfekte Gleichgewicht (am ersten Knoten ,,stopp")
-
Die Grandmaster spielen alle (!) am ersten Knoten ,,stopp".
-
Die Internationalen Master verzeichneten 76%, gefolgt von den Federation Mastern
mit 73% und den sonstigen Schachspielern mit 61%, sodass der ELO-Wert positiv mit
der spieltheoretischen Gleichgewichtsprämisse korreliert ist.
-
Jedoch spielen Schachspieler ,,lockerer", wenn sie gegen Studenten und nicht gegen
andere Schachspieler spielen. In diesem Falle erzielen die Schachspieler ,,nur" 37%.
-
Lediglich 7,5% der Studenten hingegen spielen das Gleichgewicht, wenn sie gegen
andere Studenten spielen (vgl. McKelvey und Palfrey, dort spielten nur 1,5% das
Gleichgewicht).
-
Wenn Studenten gegen Schachspieler spielen, dann sind sie ehrgeiziger und aufmerk-
samer, sodass sie dort Gleichgewichtsraten von 28% erzielen (Palacios-Huerta, Volij,
2009).
Alles in allem haben Palacios-Huerta und Volij gezeigt, dass Schachspieler die Centipede-
Game-Spieler schlechthin sind. Sämtliche Grandmaster haben das teilspielperfekte Gleichge-
wicht erkannt und gespielt. Auch die restlichen Schachspieler haben Werte von über 60%
erzielt, sodass letztendlich die vorhandene Diskrepanz zwischen Theorie und Empirie im
Centipede-Game größtenteils durch die Experten geschlossen werden konnte.
Nachdem ich das zweite Kapitel mit Hilfe der Dilemma-Spiele genutzt habe, vorhandene Dis-
krepanzen zwischen Theorie und Empirie aufzuzeigen, widme ich mich im dritten Kapitel den
3
Ein Schachspieler mit einem ELO-Wert von über 2.500 Punkten stellt einen ,,Grandmaster" dar, erreicht ein
Spieler den Wert von 2.400, darf er sich ,,International Master" nennen, gefolgt von einem ,,Federation Master"
von bis zu 2.300 Punkten. Die Spieler der vierten Klasse haben einen ELO-Wert von unter 2.300 Punkten, so-
dass sie keinen anerkannten Titel innehaben (Palacios-Huerta, Volij, 2009, S.1628f).

10
Verhandlungs-Spielen. Auch hier werde ich zu Beginn die vorhandenen Diskrepanzen anhand
von bestehenden Studien aufzeigen.
Anschließend werde ich sog. ,,Experten-Verhandlungs-Spiele", speziell im Ultimatum-Spiel,
erläutern. Ob die vorherrschende Diskrepanz auch hier durch Experten analog zum Centipe-
de-Game geschlossen werden kann, ist Gegenstand des Abschnittes 3.2.1.
3 Verhandlungs-Spiele
Das Bargaining Problem geht auf John Nash Jr. zurück: ,,A two-person bargaining situation
involves two individuals who have the opportunity to collaborate for mutual benefit in more
than one way. [...] no action taken by one of the individuals without the consent of the other
can affect the well-being of the other one. [...] we idealize the bargaining problem by assum-
ing the two individuals are highly rational" (Nash, 1950, S.155).
Ergo ist die Standardannahme der vollständigen Rationalität beider Akteure bereits hier ver-
ankert. Weiter hatte John Nash fünf Axiome der optimalen Verhandlung definiert, die wie
folgt lauten: Pareto-Optimalität, Symmetrie, individuelle Rationalität, Unabhängigkeit gegen-
über irrelevanten Alternativen und Unabhängigkeit gegenüber linearen Transformationen
(vgl. Nash, 1950, Rubinstein, 1982, S.97f). Die Abbildung 3.1 verdeutlicht die optimale
Nash-Verhandlungslösung, demnach maximal ein Tangentialpunkt auf der Möglichkeiten-
Kurve realisiert werden kann:
Abbildung 3.1: Nash-Verhandlungslösung
Quelle: Nash Jr. (1950, S.161); Eigene Darstellung.
Kapitel drei wird die drei Varianten Diktator-, Ultimatum- und Rubinstein-Spiele des Ver-
handlungs-Spiels betrachten, wobei der Fokus eindeutig auf dem Ultimatum-Spiel liegt.

11
3.1 Das Diktator-Spiel
Das Diktator-Spiel (im Folgenden DG) ist populär und äußerst simpel (Dufwenberg, Muren,
2006, S.42). Demnach gibt es im DG einen ,,Diktator" (oder auch Verteiler genannt) und ei-
nen ,,Rezipienten" (oder Empfänger genannt). Der Diktator bestimmt, wie der Kuchen unter
den beiden Spielern verteilt wird, wobei der Rezipient kein Veto-Recht hat, er ist machtlos
und muss daher das Angebot des Diktators annehmen (vgl. Eckel, Grossman, 1996, S.182;
Charness, Gneezy, 2008, S.32). Aufgrund der Machtlosigkeit des Empfängers hat der Vertei-
ler eine dominante Strategie, der zufolge er dem Empfänger nichts abgibt (vgl. Bolton, 1998,
S.261; Bohnet, Frey, 1999, S.44).
Ergo ist das DG eher auch als ein ,,one-person-decision-game" bzw. ein ,,take-it-game" be-
kannt (vgl. Bolton, 1998, S.261; Forsythe, Horowitz, Savin, Sefton, 1994, S.350).
Jedoch werden die theoretischen Voraussagen auch hier in den Experimenten nicht beobach-
tet. Es resultieren Angebote seitens der Diktatoren, die größer als 0 sind (vgl. Rotemberg,
2008, S.458; Ockenfels, Raub, 2010, S.6). Die nachfolgende Tabelle stellt die Ergebnisse
ausgewählter Experimente zum DG dar.
Hierbei ist zu erkennen, dass über alle Studien hinweg im Durchschnitt (lediglich) 36,5% das
Gleichgewicht bzw. die dominante Strategie spielen.
Tabelle 3.1: Ergebnisse ausgewählter DG
Jahr
Autoren
Gebote =
0%
Gebote <
50%
Gebote =
50%
Gebote >
50%
1994
Forsythe et al.
20%
60%
20%
0%
1994
Hoffman et al.
64%
29%
7%
0%
1995
Miller
40%
20%
40%
0%
1996b
Hoffman et al.
42%
50%
8%
0%
1996
Eckel, Grossman A
63%
30%
7%
0%
1996
Eckel, Grossman B
4
27%
41%
17%
15%
1999
Bohnet, Frey
28%
n.a.
5
26%
n.a.
2006
Dufwenberg, Muren
4%-18%
n.a.
n.a.
n.a
2008
Charness, Gneezy A
43%
37%
20%
0%
2008
Charness, Gneezy B
6
27%
30%
40%
3%
4
Der Rezipient der Variante B war eine wohltätige Organisation.
5
Die Daten wurden im Paper nicht ausgewiesen.
6
Dem Diktator war in der Variante B der Name des Rezipienten bekannt.

12
2010
Durchschnitt
7
36,5%
33%
22%
2,5%
Quelle: Eigene Darstellung.
Viele Indizien deuten darauf hin, dass der Diktator im DG nicht allein durch sein eigenes,
individuelles Pay-Off motiviert ist, sprich die Standardtheorie ,,mehr ist besser" gilt (Bolton,
Zwick, 1995, S.97).
Beispielsweise haben Eckel und Grossman ein DG gespielt, demnach die Abgabebereitschaft
massiv steigt, wenn der Rezipient eine wohltätige Organisation, sprich eine Charité, ist (vgl.
Tabelle 3.1) (Eckel, Grossman, 1996).
Dufwenberg und Muren haben gezeigt, dass:
a)
Frauen grundsätzlich mehr bekommen als Männer, wenn sie die Rezipienten sind.
b)
Im Falle, dass die Frauen Diktatoren sind, mehr geben als Männer (Dufwenberg, Mu-
ren, 2006, S.45).
In einer weiteren Studie haben Charness und Gneezy herausgefunden, dass mit Abbau von
sozialer Distanz der Abgabewille des Diktators ansteigt (Charness, Gneezy, 2008).
Der Fairness-Aspekt scheint eine große Rolle im DG zu spielen (vgl. Schotter, Weiss, Zapa-
ter, 1996, S.37; Hoffman, McCabe, Smith, 1996b, S.653), jedoch kann dieser die außerstan-
dardmäßige Geldabgabe erklären? Dieser Frage wird im Kapitel 4.1 nachgegangen. Nachdem
das DG abgehandelt wurden ist, ,,addieren" wir eine Ablehnungsmöglichkeit für den Spieler2
hinzu, sodass das Ultimatum-Spiel resultiert (Bolton, 1998, S.259), welches im folgenden
Abschnitt beschrieben wird.
3.2 Das Ultimatum-Spiel
Das Ultimatum-Spiel ist wohl das Verhandlungs-Spiel, worauf sich die experimentelle Wirt-
schaftsforschung am meisten konzentriert hat. Analog zum Diktator-Spiel stehen sich auch
hier in der Regel zwei Akteure gegenüber. Spieler1 ist der Proposer (auch Sender genannt),
welcher dem Spieler2 (Responder, in der Literatur auch Empfänger genannt) ein Angebot
über die Verteilung des Kuchens macht. Anders formuliert unterbreitet er dem Spieler2 ein
,,Ultimatum". Der Unterschied liegt nun darin, dass der Spieler2 ein Veto-Recht hat, sprich er
kann das von Spieler1 unterbreitete Ultimatum annehmen oder ablehnen. Lehnt er ab, be-
kommen beide Akteure nichts, nimmt er an, wird gemäß des Vorschlags des Proposers aufge-
teilt. Ergo handelt es sich beim UG um ein ,,take-it-or-leave-it-game" (vgl. Forsythe et al.,
1994, S.347; Harrison, McCabe, 1996, S.303; Halko, Seppälä, 2006, S.2). Das UG hat ein
7
Die Summe ist nicht 100, da aufgrund der nicht ausgewiesenen Zahlen die Basis nicht identisch ist.

13
teilspielperfektes Nash-Gleichgewicht inne, demnach der Proposer dem Responder das Mini-
mum des Kuchens bietet, welches der Responder annimmt, da das Minimum größer als nichts
ist, was bei einer Ablehnung resultieren würde.
Jedoch kann dieses vom Rational Choice Ansatz prophezeite Gleichgewicht selten, gar nie,
beobachtet werden (vgl. Forsythe et al., 1994, S.348; Declerck, Kiyonari, Boone, 2009,
S.336). Die nachfolgende Tabelle erfasst die Ergebnisse einiger Studien zum UG. Die Basis
für diese Zusammenstellung bietet das Paper von Ernst Fehr und Klaus Schmidt, welche ich
anhand diverser weiterer Studien aufbereitet habe (Fehr, Schmidt, 1999).
Tabelle 3.2: Ergebnisse ausgewählter UG
Jahr
Autoren
Gebot < 20 in %
40 Gebot 50 in %
1982
Güth et al.
8
61
1986
Kahneman et al.
n.a.
75
1991
Roth et al.
3
70
1992
Prasnikar & Roth
8
35
1993
Mitzkewitz & Nagel
13
48
1994
Forsythe et al.
0
82
1995
Cameron Variante A
0
66
1995
Cameron Variante B
8
5
57
1996a
Hoffman et al. Variante A
0
83
1996a
Hoffman et al. Variante B
4
74
1996
Harrison & McCabe
18
55
1997
Slonim & Roth Variante A
1
75
1997
Slonim & Roth Variante B
8
69
1998
Bornstein & Yaniv
0
100
2006
Halko & Seppälä
32
45
2008
Charness & Gneezy
4
94
2009
Declerck et al.
2
82
2010
Ihtiyar Variante A
7
60
2010
Ihtiyar Variante B
9
5
85
2010
Durchschnitt
6,21
69,26
Quelle: Fehr, Schmidt (1999, S.827); Eigene Darstellung.
8
In sämtlichen B-Varianten war der Verhandlungsgegenstand ein größerer Kuchen als in der Variante A.
9
Variante A bezieht sich auf die Experten-Gruppe, Variante B auf die Nicht-Experten-Gruppe (näheres auf Seite
18).

14
Die Resultate der betrachteten Studien, welche in Tabelle 3.2 komprimiert zusammengefasst
sind, sprechen entgegen der Rational Choice Theorie, da gerade einmal 6,21% Angebote unter
20% tätigen. Knapp 70% der Akteure bieten im Intervall zwischen 40% und 50%, wobei das
Modalangebot der sog. equal split ist, welchen viele Akteure als einen Fokuspunkt nach
Schelling ansehen (vgl. Güth et al., 1982, S383; Bohnet, Frey, 1999, S.45).
Diese Regelmäßigkeiten wurden unter sog. vier stilisierten Fakten von Fehr und Schmidt zu-
sammengefasst, die wie folgt lauten:
a)
Es gibt nahezu keine Angebote, die größer als 50% sind.
b)
Im Intervall [40% Gebot 50%] liegen die meisten Gebote.
c)
Es gibt nahezu keine Gebote, die kleiner als 20% sind.
d)
Je höher das Gebot des Proposers, desto höher ist die Annahmewahrscheinlichkeit des
Responders (Fehr, Schmidt, 1999, S.826).
Die Tabelle 3.2 illustriert genau zwei (Punkt b und c) der vier Punkte, wobei die anderen bei-
den Punkte intuitiv sind. Ist das Mehrbieten der Proposer bzw. die Ablehnung positiver Be-
träge seitens der Responder eine Art Anomalie (vgl. Camerer, Thaler, 1995, S.210; Pillutla,
Murnighan, 1996, S.208)?
Diese Aussage ist bei Heranziehung jeglicher Studien schlichtweg zu verneinen. Was das
Verhalten der Proposer angeht (40%-50% anzubieten), ist dies eine strategische Interaktion
ihrerseits. Im UG haben die Proposer Angst, dass geringe Angebote als unfair aufgefasst und
demzufolge abgelehnt werden (vgl. Eckel, Grossman, 1996, S.185; Charness, Gneezy, 2008,
S.32).
Die Responder hingegen haben das Verlangen, unfaire
10
Gebote abzulehnen, um damit die
Proposer zu bestrafen. Gegeben dieses Verlangen passen die Proposer ihre Angebote an, in-
dem sie equal splits anbieten (Güth, Huck, Müller, 2001, S162).
Anders formuliert antizipieren die Proposer zukünftige Aktionen ihrer Gegenspieler, sodass
sie ihre jetzigen Aktionen der zukünftigen ihrer Gegenspieler anpassen (Güth, Schmittberger,
Schwarze, 1982, S.368).
Viele Autoren relativierten diese Ablehnungsneigung der Responder, indem sie argumentier-
ten, dass der Verhandlungsgegenstand in Experimenten i.d.R. äußerst klein ist (meist 10$).
Dem entgegen haben Hoffman et al. in ihrem ,,high stakes" UG gezeigt, dass zum Teil Beträ-
ge von 30$ seitens der Responder abgelehnt worden sind (Hoffmann et al., 1996a).
10
Was in diesem Zusammenhang als fair bzw. unfair zu deuten ist, wird im Kapitel 4.1 geklärt.

15
Als Quintessenz hat dieser Abschnitt aufgezeigt, dass die Spieler nicht ausschließlich durch
die materiellen Gegebenheiten motiviert sind. Die Tabelle 3.2 hat visualisiert, dass in Experi-
menten nicht erwartungsgemäß gehandelt wird und auch hier Diskrepanzen zwischen Theorie
und Empirie vorhanden sind.
Im nächsten Abschnitt versuche ich anhand von ausgewählten Studien mit Hilfe von ,,Exper-
ten" diese vorhandenen Lücken, wie dies bereits im Centipede Game im Kapitel 2.2.2 ge-
schehen ist, zu schließen.
Hierfür ist der nächste Abschnitt zweigeteilt. Im ersten Teil werde ich anhand einer bestehen-
den Studie von Roth et al. (1991) aufzeigen, dass es kulturelle Unterschiede zwischen den
vier betrachteten Nationen gibt, wobei sich ein Land als Experte des Ultimatum-Spiels feiern
lassen kann. Im zweiten Teil werde ich mein eigenes Experiment zum Ultimatum-Spiel prä-
sentieren, indem ich eine Experten- und Nicht-Experten-Gruppe gegeneinander spielen lassen
habe.
3.2.1 Experten im Ultimatum-Spiel?
Die bestehende Diskrepanz zwischen Theorie und Empirie im Ultimatum-Game hat Tabelle
3.2 illustriert, demnach zum einen nahezu keine Gebote kleiner als 20% existieren und zum
anderen liegt das Modalgebot zwischen 40% und 50%. Eine weitere Diskrepanz liegt in der
relativ hohen Ablehnungswahrscheinlichkeit positiver Angebote seitens der Responder. In
diesem Abschnitt werde ich anhand zweier ausgewählter Charakteristika versuchen, theorie-
nähere Resultate im UG zu erzielen. Hierbei werde ich im ersten Teil untersuchen, ob ,,kultu-
relle Unterschiede" zu veränderten Verhaltensweisen im UG führen. Der zweite Abschnitt
wird sich mit Unterschieden bzgl. des ,,Bildungsstandes" der Probanden beschäftigen.
3.2.1.1 Kulturbedingte Experten
Alvin E. Roth et al. haben 1991 Experimente zu Markt- und Verhandlungs-Spielen, speziell
das UG, in vier verschiedenen Nationen durchgeführt, um heraus zu finden, ob es kulturelle
Unterschiede zwischen diesen Nationen gibt (Roth, et al., 1991, S.1068).
Die ausgewählten Nationen hierbei waren Israel, die Vereinigten Staaten von Amerika, das
ehemalige Jugoslawien und Japan.
Ex-ante existierten drei potenzielle Probleme, die die Ergebnisse der Experimente hätten ver-
zerren können. Aufgrund der geographischen Entfernung konnten nicht alle Experimente von
einer und derselben Person (Experimentator) durchgeführt werden, sodass die Autoren Angst
vor sog. ,,Experimentator-Effekten" hatten.

16
Des Weiteren befürchteten die Autoren, dass durch die unterschiedlichen Sprachen elementa-
re Inhalte des Experimentes verloren gehen könnten.
Drittes und letztes Problem war das Vorhandensein von unterschiedlichen Währungen, sodass
beispielsweise durch Wechselkursschwankungen die Ergebnisse der Experimente schlecht
miteinander vergleichbar sein könnten.
Jedoch wurden diese potenziellen Probleme vor Experimentbeginn gelöst. Jeder Experimenta-
tor musste in Pittsburgh (USA) eine Schulung machen, wodurch alle vier Experimentatoren
,,homogen" waren.
Das zweite Problem wurde insofern gelöst, als die Experiments-Texte von professionellen
Dolmetschern übersetzt wurden. Um das Problem der unterschiedlichen Währungen zu erfas-
sen, wurde die Höhe der ausländischen Währungen so ausgewählt, dass eine Kaufkraft von
10$ resultierte. Zudem wurde die Kaufkraft von 10$ auf 1000 ,,Token" (Spielmarken) ska-
liert, um psychologische Effekte auszublenden (Roth et al., 1991, S.1071f).
Vollständigkeitshalber schildere ich den Aufbau und die Resultate des Marktspiels aller vier
Nationen. Im Marktspiel waren jeweils zehn Teilnehmer im Rennen, wobei ein Anbieter und
neun potenzielle Käufer sich gegenüber standen. Derjenige Käufer, der das höchste Gebot
macht, erhält das Gut im Wert von 10$ und die anderen Kontrahenten gehen leer aus. Bieten
mehrere Akteure dieselbe Summe, so wird per Zufallsprinzip ausgelost, wer den Zuschlag
bekommt. Das teilspielperfekte Gleichgewicht liegt bei einem Angebot von 10$, was man per
Rückwärtsinduktion nachverfolgen kann, demnach die komplette Rente aufgrund der Mono-
polstellung an den Verkäufer geht (Roth et al., 1991, S.1069).
Dieses Gleichgewicht konnte in allen Nationen, ob früh oder spät, beobachtet werden, sodass
es im Marktspiel simultane Ergebnisse und ergo keine kulturellen Unterschiede gab.
Im Verhandlungs-Spiel hingegen resultierten nicht die prophezeiten Gleichgewichtslösungen
(vgl. Tabelle 3.2).
Das minimale Angebot seitens der Proposer konnte in nahezu keiner der vier Nationen beo-
bachtet werden. Unter den Nationen gab es zudem Unterschiede bzgl. des Verhaltens der
Proposer und Responder. Das Modalangebot war in der ersten von zehn Runden in allen vier
Nationen identisch und zwar 500 Token (equal split).
In der letzten Runde änderten lediglich die Japaner und Israelis ihr Verhalten, sodass bei den
Japaner 450 und bei den Israelis 400 als Modalangebot resultierten (Roth et al., 1991,
S.1082).

Details

Seiten
Erscheinungsform
Erstausgabe
Jahr
2010
ISBN (PDF)
9783955497750
ISBN (Paperback)
9783955492755
Dateigröße
814 KB
Sprache
Deutsch
Institution / Hochschule
Universität Kassel
Erscheinungsdatum
2015 (Februar)
Note
1,3
Schlagworte
Verhandlungs-Spiele Ultimatum Game Experimentelle Wirtschaftsforschung Dilemma-Spiele Soziale Präferenz

Autor

Dipl. Oec. Özcan Ihtiyar, M.A., wurde 1985 in Osterode am Harz geboren. Sein Studium der Wirtschaftswissenschaften an der Universität Kassel schloss der Autor im Jahr 2010 mit den akademischen Graden Diplom-Ökonom und Master of Arts in Wirtschaftswissenschaften erfolgreich ab. Nachdem Özcan Ihtiyar ein Jahr als Projektmitarbeiter an der Universität Kassel beschäftigt war, ist er aktuell Lehrkraft für besondere Aufgaben (‘Lecturer’) und Doktorrand an der Universität Kassel. Seine Forschungsinteressen liegen in der experimentellen Spieltheorie bzw. Wirtschaftsforschung, speziell in Bereichen der Emotionen und Kommunikation in Verhandlungs-Spielen.
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Titel: Diskrepanz zwischen Theorie und Empirie in ausgewählten Verhandlungsspielen: Eine empirische und experimentelle Analyse
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