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Kritische Bewertung der Zeitarbeit

©2012 Diplomarbeit 54 Seiten

Zusammenfassung

Bedingt durch die Auswirkungen des Strukturwandels, befindet sich die gesamte Arbeits-und Berufswelt im Umbruch. So ist die Erwerbstätigkeit in der heutigen Zeit durch befristete Arbeitsverhältnisse und flexible Arbeitseinsätze, durch einen häufigen Wechsel von Arbeitsplätzen, Berufsbildern und Unternehmen gekennzeichnet. Aufgrund des gestiegenen Wettbewerbsdruckes, fordern die Unternehmen zunehmend Arbeitnehmer, die lernfähig, flexibel und kurzfristig einsetzbar sind. Ein überaus dynamisches Wachstum weist in den letzten Jahren die Zeitarbeit aus. Dies ist u.a. darauf zurückzuführen, dass die Zeitarbeit in den vergangenen Jahren einen zunehmenden Imagegewinn und Bekanntheitsgrad verzeichnen konnte. Trotz des Imagegewinns in den letzten Jahren befindet sich die Zeitarbeit im Mittelpunkt von kontroversen arbeitspolitischen und sozialpolitischen Diskussionen. Während die Wirtschaft die Zeitarbeit als ein wichtiges Flexibilisierungsinstrument des Arbeitsmarktes bewertet, kritisieren die Gewerkschaften diese aufgrund der unsicheren Beschäftigungssituation für Arbeitnehmer. Kritiker der Zeitarbeit vermuten ferner, dass der Einsatz von Zeitarbeit eine Verdrängung der regulären Beschäftigung in den Unternehmen begünstigt.
Daher stellt sich die Frage, welche Chancen und Grenzen sich durch Zeitarbeit für Arbeitnehmer und Unternehmen ergeben.

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


3. Skizzierung des Marktes der Zeitarbeit in Deutschland

3.1. Kurzabriss der Entwicklung der Zeitarbeit in Deutschland

Die Zeitarbeit in ihrem heutigen Erscheinungsbild in Deutschland fand ihren Ursprung in den USA in den 50er Jahren. In dieser Zeit stellten die Juristen und Geschäftspartner Elmar L. Winter und Aaron Scheinfeld fest, dass ihr aufgetretener akuter Arbeitnehmerbedarf nicht gedeckt werden konnte. Es existierte kein Unternehmen, das Arbeitskräfte zeitlich überließ. Sie gründeten schließlich ein derartiges Unternehmen, da sie annahmen, dass auch andere Unternehmen über Personalengpässe verfügen. In der nachfolgenden Zeit kam es auch durch andere Personen zu einer großen Zahl an Unternehmensgründungen im Zeitarbeitssegment.[1]

In Deutschland stellt die Zeitarbeit eine noch recht junge Erscheinung dar, die durch Deregulierungen seit dem Jahr 2003 insbesondere einen enormen Aufstieg verzeichnete.[2] Die Zeitarbeit zählt heute zu den dynamischsten Branchen. Seit sie in der den 70er Jahren in der BRD auftrat, ist die Zahl der Zeitarbeitnehmer zunehmend gestiegen. Bis etwa Mitte der 80er Jahre stagnierte die Zahl der Zeitarbeitnehmer bei 20.000 bis 30.000 und stelle somit eine Randerscheinung dar. Ein erste deutliches Wachstum der Zeitarbeit mit einer jährlichen Wachstumsrate von 26% konnte in den Jahren ab Mitte der 80er Jahre bis Beginn der 90er Jahre verzeichnet werden. Nach Rückgängen der Beschäftigungszahlen im Segment Zeitarbeit setzte am dem Ende des Jahres 1994 eine zweite Wachstumsphase ein, die eine Expansion von 7 Jahren sowie eine Verdreifachung der Zeitarbeitnehmerzahl bewirkte. Das Wachstum konnte in dieser Zeit selbst durch eine Krise auf dem Arbeitsmarkt im Jahr 1997 kaum beeinflusst werden. In den Jahren 2000 bis 2001 stieg die Zahl der Zeitarbeitnehmer auf bis zu 357.000 Beschäftigte weiter an. In dem Zeitraum von Ende 2002 bis zum Ende des Jahres 2007 verdoppelte sich die Zahl der Leiharbeitnehmer. Das enorme Wachstum der Zeitarbeitsbranche der Vergangenheit konnte in den Jahren 2008 und 2009 durch die Wirtschafts- und Finanzkrise nicht fortgesetzt werden.[3] Laut den statistischen Auswertungen der Bundeagentur für Arbeit waren im Ende Dezember 2011 in der BRD rund 872.000 Zeitarbeitnehmer bei Personaldienstleistern beschäftigt. Im Vergleich mit den Zahlen von Dezember 2010 ist ein Anstieg von rund 48.000 Zeitarbeitnehmern zu verzeichnen. Werden die Dezemberzahlen aus dem Jahr 2011 mit den Zahlen aus Ende 2007 verglichen, kann eine Zunahme von 150.000 Leiharbeitern verzeichnet werden. Während sich die Zahl der Zeitarbeitnehmer in den In den letzten zehn Jahren verdreifacht, hat sich die Zahl der Zeitarbeitnehmer in den vergangenen 20 Jahren versiebenfacht. Eine kurze Zeit nach den Zeitpunkten der wichtigsten rechtlichen Änderungen im Bereich der Zeitarbeit, zeichnen sich Anstiege der Leiharbeiterzahlen deutlich ab.[4]

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 3: Entwicklung der Zeitarbeit seit 1980[5]

Neben der Betrachtung der quantitativen Entwicklung der Zeitarbeitnehmerzahlen werden nachfolgend die Entwicklung der Anzahl der Zeitarbeitsunternehmen und deren Umsätze in den letzten Jahren in Deutschland angeführt.

Nach Brömser (2008) verfügt der Markt für Zeitarbeitsdienstleitungen über ein dynamisches Wachstum.[6] So hat die sich Zahl der Zeitarbeitsunternehmen in den letzten Jahren stark erhöht. Gegen Ende des Jahres 2011 wurden 17.700 Zeitarbeitsunternehmen erfasst, die über die Voraussetzungen zur gewerbsmäßigen Arbeitnehmerüberlassung verfügten. Diese Zahl liegt um zwei Fünftel höher als in den vorherigen fünf Jahren. In den Jahren der Wirtschaftskrise 2008 und 2009 vollzog sich ein geringfügiger Rückgang der Zahlen. In dieser Zeit war gerade die Entwicklung der Unternehmen rückläufig, die ihren Betriebszweck größtenteils oder nur auf die Arbeitnehmerüberlassung ausrichteten. In der Zeit nach der Krise nahm die Anzahl der Zeitarbeitsunternehmen wieder zu, so dass diese am Ende des Jahres 2011 höher war als im Dezember 2010. Hinsichtlich der Anzahl Beschäftigten unterscheiden sich die Zeitarbeitsunternehmen stark. Etwa die Hälfte der im Dezember des Jahres 2011 erfassten 17.700 Personaldienstleister beschäftigten unter 20 Leiharbeiter. Die Zahl der Unternehmen, die über 20 bis 99 Mitarbeiter verfügten, betrug 36 Prozent. Bei etwa 13 Prozent der Zeitarbeitsunternehmen lag die Zahl der Beschäftigten bei mindestens hundert und mehr Beschäftigten.[7]

Brömser (2008) betrachtet auf der Basis der Lünendonk-Liste des Jahres 2007, die regelmäßig durch das Unternehmen Lünendonk GmbH, das u.a. auf systematische Marktforschung, Branchen- und Unternehmensanalysen spezialisiert ist, erstellt wird, die Umsatzentwicklung führender Zeitarbeits- und Personaldienstleistungsunternehmen im deutschen Raum. Eine Umsatzsteigerung von im Durchschnitt etwas über 43% konnten die größten 25 Leiharbeitsunternehmen im Jahr 2006 erzielen. Bei einem Vergleich mit dem Wachstum des Gesamtmarktes im gleichen Zeitraum ließ sich ein Wachstum nachweisen, das weit über dem Durschnitt lag. Im Jahr 2006 erzielten die 25 größten Zeitarbeitsunternehmen ebenfalls einen Inlandumsatz von über 5,7 Milliarden Euro. Dies entsprach mehr als der Hälfte des gesamten Marktes. Die verbleibenden etwa 46 Prozent des Marktvolumens teilten sich mehreren Tausend kleine bis mittelgroße Zeitarbeitsunternehmen, die zum Teil nur regional tätig sind.[8]

Anhand der Lünendonk-Liste des Jahres 2011 (Abbildung 4), die u.a. den Umsatz und die Zahl der Zeitarbeitnehmer der führenden 24 Zeitarbeits-und Personaldienstleistungsunternehmen in der BRD aufzeigt, lässt sich erkennen, dass fast alle Unternehmen eine Umsatzsteigerung im Jahr 2011 im Vergleich mit den Umsatzzahlen aus 2010 erreicht haben. Mit der Ausnahme eines Unternehmens, das in der Liste geführt wird, erhöhte sich in den Unternehmen die Zahl der Zeitarbeitnehmer im Jahr 2011 ebenfalls. Mit einem Umsatz von 1,96 Milliarden EUR nimmt das Unternehmen Randstadt Deutschland GmbH & Co. KG mit dem Sitz in Eschborn die Rolle des Marktführers ein.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 4: Lünendonk-Liste 2011[9]

3.2. Wesentliche Einsatzbereiche der Zeitarbeit

Im diesem Kapitel wird aufgezeigt, in welchen Wirtschaftszweigen Zeitarbeitnehmer eingesetzt werden und ob sich hinsichtlich des branchen- und berufsspezifischen Einsatzes der Zeitarbeitnehmer seit der Zeit der letzten Jahre Veränderungen vollzogen wurden. Weiter wird dargestellt in welchen Tätigkeitsbereichen die Beschäftigung von Frauen oder Männern überwiegt.

Nach den Ausführungen der Bundesagentur für Arbeit war der größte der Teil der Zeitarbeitnehmer im Dezember 2011 mit rund 32 Prozent in Berufen beschäftigt, die dem Segment Elektro und Metall zugehörig sind. 23 Prozent der Leiharbeiter betätigten sich im Bereich Schutz und Sicherheit sowie Verkehr und Logistik. Die Beschäftigung von Zeitarbeitnehmer in den Bereichen der Agrarwirtschaft und übrige Fertigungsberufe betrug Ende 2011 rund 18 Prozent. Ferner arbeiteten neun Prozent im Bereich der Unternehmensorganisation oder u.a. in der Verwaltung. Der Anteil der Tätigkeitsfelder Architektur oder auch Bau bzw. u.a. Soziales und Erziehung betrug sechs Prozent. U.a. übten im Bereich kaufmännischen Dienstleistungen und Tourismus rund fünf Prozent der Zeitarbeitnehmer eine Beschäftigung aus. Betrachtet man die einzelnen Tätigkeitsfelder auf der Basis der Daten des Jahres 2011 danach, ob in ihnen hauptsächlich Frauen oder Männer in einem Leiharbeitsverhältnis tätig waren, so überwiegt im gewerblichen Bereich und im Bereich Verkehr und Logistik der Männeranteil. Etwa zwei Fünftel der Männer übten Tätigkeiten im Bereich Metall und Elektro aus. Im Bereich Landwirtschaft und Gartenbau arbeiteten u.a. ein Fünftel der Männer. Mit einem Anteil von 46 Prozent überwiegen hingegen die weiblichen Zeitarbeitnehmer im Bereich der Dienstleistungsberufe u.a. aus dem kaufmännischen Segment und dem Gesundheitssektor. Etwa ein Fünftel der Frauen übten allein Berufe aus, die dem Segment der Unternehmensorganisation oder Buchhaltung angehören. Bei der Betrachtung der Einsatzfelder der Zeitarbeitnehmer ist der Strukturwandel in Deutschland vom primären und sekundären Sektor bis hin zum tertiären Sektor zu erkennen. Wählt man die letzten Jahre als Betrachtungsgrundlage, so ist einen Verschiebung von Anteilen der Tätigkeitsfelder festzustellen.[10]

Besonders ist ein Rückgang des Anteils der Zeitarbeitnehmer zu verzeichnen, die eine Tätigkeit im Bereich der Elektro- und Metallberufe ausüben. Zu einer Zunahme von Leiharbeitern kam es im Bereich der Hilfstätigkeiten und bei Tätigkeiten, die im Segment der Dienstleistungsberufe angesiedelt sind. Im Verlauf der Wirtschaftskrise in den Jahren 2008 und 2009 kam es zu einer geringen Reduzierung der Zeitarbeitnehmerzahl in fast allen Berufsfeldern. Im Bereich der Hilfstätigkeiten war dies besonders spürbar. Die Gesundheitsdienstberufe konnten auch während der Zeit der Wirtschaftskrise und in der Zeit danach eine deutliche Zunahme der Zeitarbeitnehmerzahlen aufweisen.[11]

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 5: Leiharbeitnehmer nach ihrer Tätigkeit[12]

4. Wichtige Aspekte der Zeitarbeit aus der Arbeitsnehmerperspektive

4.1. Beweggründe für eine Arbeitsaufnahme als Zeitarbeitnehmer

Die Motive zum Eintritt in eine atypische Beschäftigung wie die Zeitarbeit sind verschieden, dennoch lassen sie sich nach Bornewasser (2010) aversiven und attraktiven Motiven zuordnen. Eines der Motive von Leiharbeitern, die über eine aversive Prägung verfügt, ist u.a. mangelndes Durchhaltevermögen bei der Suche nach einem Arbeitsplatz.[13] Das meist verbreitete Motiv zur Aufnahme einer Leiharbeitertätigkeit stellt die Suche nach einer unbefristeten Beschäftigung dar, daher die Hoffnung, dass eine Übernahme in die Stammbelegschaft durch das Einsatzunternehmen erfolgt.[14] In diesem Zusammenhang führen Moser und Galais (2009) den Begriff der „Sprungbrettfunktion“ der Zeitarbeit an.[15] Der Sachverhalt, dass man durch Leiharbeit ebenfalls Einblicke in verschiedene Unternehmen und Aufgabenbereiche erhalten kann und dadurch der mitunter noch nicht abgeschlossene berufliche Findungsprozess positiv unterstützt wird, stellt u.a. ein Motiv dar, das über eine attraktive Prägung verfügt.[16] Der Wunsch nach dem Erhalt und der Weiterentwicklung der persönlichen Qualifikation stellt ebenfalls für die Zeitarbeitnehmer ein Motiv für eine Ausübung von Tätigkeiten im Bereich der Zeitarbeit dar, um ihre allgemeine Beschäftigungsfähigkeit zu steigern.[17]

Daher überwiegen die aversiv geprägten Motive die Motive, die über eine attraktive Prägung verfügen. Die Zeitarbeitnehmer üben ihre Tätigkeit daher größtenteils aus, um nicht arbeitslos zu sein und eine unbefristete Anstellung in einem Einsatzunternehmen zu erhalten.

4.2. Tarifvertraglichen Regelungen und deren Einfluss auf das Gleichbehandlungsprinzip

Der Großteil der Entgeltansprüche der Zeitarbeitnehmer basiert auf tarifvertraglichen Regelungen. Die im Jahr 2003 mit der Tarifgemeinschaft des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB) abgeschlossenen iGZ-/DGB-Tarifwerk bzw. BZA-/DGB-Tarifwerk nehmen innerhalb der Anwendung von Tarifverträgen eine dominierende Rolle ein. Über eine Bedeutung verfügt dabei der mit dem Arbeitgeberverband AMP abgeschlossene Tarifvertrag. Dreyer (2009) weist darauf hin, dass die in der Praxis hohe Anzahl verschiedener Tarifverträge verwendet werden, um das ansonsten gültige Gleichbehandlungsprinzip auch equal payment genannt, zu umgehen.[18] In diesem Zusammenhang kann der § 3 Abs. 1 Nr.3 AÜG angeführt werden, der besagt, dass der Antragsteller „[…] dem Leiharbeitnehmer für die Zeit der Überlassung an einen Entleiher die im Betrieb dieses Entleihers für einen vergleichbaren Arbeitnehmer des Entleihers geltenden wesentlichen Arbeitsbedingungen einschließlich des Arbeitsentgelts nicht gewährt. Ein Tarifvertrag kann abweichende Regelungen zulassen, […].“[19]

Das Prinzip der Gleichbehandlung wird in der Praxis nur selten von den Zeitarbeitsunternehmen umgesetzt, da u.a. gleiche Arbeitsbedingungen die Offenlegung der Gehalts- und Lohnstrukturen der Kundenunternehmen erfordern und zu einer Eliminierung des Kostenvorteils der Leiharbeit führen. Ferner würden sich für die Zeitarbeitsunternehmen ebenfalls Schwierigkeiten bei ihrer Einkommenskalkulierung ergeben, sofern - wie in der Praxis meist üblich - sie Tätigkeiten ausüben würden, die variable Arbeitsbedingungen in verschiedenen Einsätzen mit sich bringen. Dies hat auf der Grundlage der Schätzungen des Interessenverbandes Deutsche Zeitarbeitsunternehmen zur Folge, dass etwa 95 Prozent der Zeitarbeitnehmer nach einem externen Zeitarbeitstarif bezahlt werden.[20] Eine Studie des Institutes für Arbeitsmarkt und Berufsforschung weist als Ergebnis ebenfalls aus, dass für die Mehrheit der Zeitarbeitnehmer der Gleichstellungsgrundsatz nicht mehr gilt.[21]

Daher bewirkt die rechtliche Ausgestaltung des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes, dass durch die Anwendung von Tarifverträgen die Mehrzahl der Zeitarbeitnehmer nicht am im Gesetz fixierten Gleichbehandlungsprinzip partizipieren kann. Demnach die Leiharbeiter legal zu allgemein minderwertigen Arbeitsbedingungen beschäftigt werden.

4.3. Arbeitspsychologische Betrachtung der Zeitarbeit

4.3.1. Unsicherheit in der Zeitarbeit

Nach Bornewasser (2010) wirken verschiedene Aspekte, die die Entstehung von Unsicherheit bei Zeitarbeitnehmer entscheidend beeinflussen. Ein Aspekt stellt dabei das Normalarbeitsverhältnis dar, das Verhältnisse schuf, die sich durch weitgehende Klar- und Dauerhaftigkeit auszeichnen und eine berechenbare Erwartungshaltung ermöglichen. Bei der Praktizierung der Leiharbeit, wird dieser Zustand allerdings z.B. aufgrund meist zahlreicher Wechsel, die das Gefühl beim Zeitarbeitnehmer entstehen lassen können, dass dieser austauschbar ist, nicht erreicht. Eine meist recht kurze Überlassungsdauer der Zeitarbeitnehmer in den Einsatzunternehmen, die häufig für den Arbeitnehmer mit unklaren Wechselbedingungen und Anforderungen einhergeht sowie die recht hohe Abhängigkeit vom Zeitarbeitsunternehmen sind u.a. weitere Aspekte, die eine Distanz zum Normalarbeitsverhältnis schaffen. Dies begünstigt beim Leiharbeiter die Entstehung einer dauerhaften Angst hinsichtlich des Eintrittes einer möglichen Arbeitslosigkeit.[22]

Ein zusätzlicher Aspekt, der weitere Unsicherheit beim Zeitarbeitnehmer fördert, stellt u.a. die teils nicht klar definierte Struktur der Zuständigkeiten innerhalb des Konstrukts der Zeitarbeit dar. In der Praxis kommt es daher häufig vor, dass sich das Zeitarbeitsunternehmen und das Einsatzunternehmen gegenseitig Zuständigkeiten zuschieben oder diese abweisen und damit dem einzelnen Zeitarbeitnehmer nicht gerecht werden. Der Leiharbeiter nimmt bei Auseinandersetzungen zwischen den Unternehmen in der Regel die Verliererrolle ein. Die teilweise nicht eindeutigen Führungsverhältnisse, die sich in der Regel in der Form einer Matrix darstellen und die Konfrontation mit Mitarbeitern aus dem Zeitarbeitsunternehmen und Einsatzunternehmen mit sich bringen, sowie die teils nicht einfach gestaltete Entgeltgestaltung bergen ebenfalls Potenzial für die Entstehung von Unsicherheiten bei Zeitarbeitnehmern. Die genannten Faktoren können bei den Leiharbeitern durchaus einen Zustand erzeugen, der sehr belastend auf die Psyche der Zeitarbeitnehmer wirkt und u.a. Elemente wie z.B. der Bedrohung oder Verlustaversion enthalten kann.[23]

Daher treten bei Zeitarbeitnehmern zunehmend Unsicherheiten bedingt durch verschiedene Faktoren auf, die durch das Konstrukt der Zeitarbeit geschaffen wurden. Leiharbeiter sind der Gefahr ausgesetzt, dass ihnen durch ihren Arbeitseinsatz im Rahmen der Zeitarbeit starke psychische Belastungen widerfahren.

4.3.2. Stress in der Relation zur regulären Beschäftigung

Aufgrund der meist kurzen Dauer der Arbeitseinsätze von Leiharbeitern ordnen die Unternehmen Zeitarbeitnehmer in der Regel dem Segment der peripheren Mitarbeiter zu. Als Konsequenz dieser Zuordnung folgt, dass diese Gruppe der Mitarbeiter in der Regel nicht an Investitionen des Unternehmens partizipiert, die u.a. im Rahmen der Bindung der Stammbelegschaft durchgeführt werden. Dabei können diese Investitionen im Detail z.B. Sozialleistungen oder Weiterbildungsmöglichkeiten darstellen, die das Unternehmen offeriert. Dieser Sachverhalt wirkt mitunter als Stressor auf den Leiharbeitnehmer.[24] Nach Lewchuk, de Wolf, King und Polanyi (2005) stellt der Sachverhalt, dass Leiharbeitnehmer im Bezug auf ihre Form der Beschäftigung, die ein hohes Anforderungsniveau aufweist, einer geringen Kontrolle unterliegen, ebenfalls einen weiteren Stressor dar. Eine recht geringe Kontrolle ist durch Unsicherheiten bezüglich eines möglichen Arbeitsplatzverlustes gekennzeichnet. Einen guten Eindruck beim Arbeitgeber zu hinterlassen sowie grundsätzlich die Anstellung nicht zu verlieren erfordern Anstrengungen und stellen hohe Anforderungen an den Zeitarbeitnehmer.[25] Die in der Praxis durch Zeitarbeit teilweise auftretende Trennung des Zeitarbeiters von seiner Familie und auftretenden Spannungen, die allgemeine Sozialbeziehungen betreffen, stellen zusätzliche Stressquellen dar. Der Bundesverband Deutscher Psychologinnen und Psychologen (BDP) weist darauf hin, dass der erhöhte Anpassungsdruck durchaus negative Auswirkungen auf die Gesundheit der Zeitarbeitnehmer mit sich bringen kann. Ergebnisse von Untersuchungen aus dem Segment der Gesundheitspsychologie untermauern die Aussage des BDP. Zunehmend verstärkt treten u.a. bei Zeitarbeitnehmern Gesundheitsbeeinträchtigungen sowie depressive Stimmungslagen auf.[26]

Durch das Konstrukt der Zeitarbeit ist der Leiharbeiter daher verschiedenen Stressquellen ausgesetzt, so dass der Stress bei Leiharbeitern zunehmend zu gesundheitlichen Beeinträchtigungen führt. Im Gegensatz dazu sind die regulär beschäftigten Arbeitnehmer einem geringeren Stressrisiko ausgesetzt.

4.3.3. Commitment bei Stamm- und Zeitarbeitnehmern gegenüber den Einsatzunternehmen

Bornewasser (2012) beschreibt das so genannte Commitment als ein zentrales psychologisches Konstrukt, welches „[…] die Beziehungen eines Arbeitnehmers zu einem Unternehmen beschreibt, in das er mittels eines Vertrages eingetreten ist und in dem er nunmehr zur weisungsgebundenen Erbringung von Leistungen verpflichtet ist, für die er ein vorab festgelegtes Entgelt erhält“.[27]

Das Verhältnis von Leistungserbringung und Weisungsbefugnis ist durch zahlreiche psychologische Restriktionen gekennzeichnet, die der Ökonom Herbert A. Simon (1951) in den Fokus seiner formalen Beschäftigungsstrategie rückte. Auf dieser Theorie basierend erfolgt eine Akzeptanz der Arbeitnehmerweisungen nur unter der Prämisse, dass sich die vom Arbeitnehmer erwarteten Arbeitsleistungen in einem im Vorfeld undefinierten Akzeptanzbereich des Arbeitnehmers befinden. Keine exakte Zuordnung von Aufgabenzuweisung und Vergütung kennzeichnen den Akzeptanzbereich. Der konkrete Interessensbereich eines Arbeitnehmer kennzeichnet eine bestimmte Fläche, in der ein mehr oder weniger ausgeprägtes Verhältnis der Akzeptanz vorliegt und es in diesem Bereich ebenfalls zeitweise Disproportionalität, Kontrast, Abweichung, Irregularität, Ungleichheit, Unterschied, Gegensatz, Widerspruch, Abnormität, Anomalie oder Missverhältnis zwischen der Anweisung und Vergütung entstehen können. Die Zufriedenheit des Arbeitgebers und Arbeitnehmers liegt dann vor, wenn sich die Arbeitsanforderung des Arbeitgebers und die Bereitschaft des Arbeitnehmers zur Leistungserbringung in einem etablierten Bereich der Akzeptanz und wechselseitiger Übereinstimmung treffen. Eine Verfehlung dieses Bereiches führt entweder zu Widerständen oder es besteht der Bedarf nach einer mitunter kurz– oder langfristen Kompensation, die u.a. eine neue Aushandlung der Bedingungen erfordert. Das Vertrauen sowie die Dauer der Beziehung zwischen dem Arbeitgeber und Arbeitnehmer sind entscheiden dafür, ob sich der Arbeitnehmer auf längerfristige Kompensationsversprechen wie z.B. bessere Arbeitsbedingungen einlässt.[28] Den Aspekt der „Area of Acceptance“ bzw. den Akzeptanzbereich umschreibt Bornewasser (2012) als einen „[…] gedanklichen Raum, der all jene Anweisungen beinhaltet, die entweder gern oder auch nur zähneknirschend und gerade noch so befolgt werden“.[29]

Ein dauerhaftes Beschäftigungsverhältnis zeichnet das klassische Commitmentkonzept aus. Commitment soll mit seiner Ausprägung dazu beitragen, dass sich die Zahl der Kündigungen reduziert und die Arbeitnehmerbindung gegenüber dem Unternehmen steigt, so dass sich der Nutzen von Investitionen u.a. in Bereich der Weiterbildung von Arbeitnehmern auf längere Sicht maximiert. Ebenfalls ist es durch Commitment möglich, dass ein eine Flexibilisierung des Austauschverhältnisses weitgehend umgesetzt werden kann. Nach Bornewasser (2012) gehen „[…] alle Austauschtheorien von Akteuren aus, die zielgerichtet, rational und freiwillig (also ohne äußeren Zwang) agieren.“[30] Ein Arbeitnehmer, der gebunden ist, zeigt eher eine Bereitschaft in Ausnahmesituationen seinen Akzeptanzbereich für eine gewisse Zeit zu erweitern und kurzfristig mitunter auf Kompensation zu verzichten, wenn dies seinen Arbeitsplatzerhalt begünstigt. Eine tendenzielle Ausrichtung auf eine dauerhafte Rationalität ist bei einem Arbeitsverhältnis zu verzeichnen, das über eine normative Regelung verfügt, wobei u.a. rechtliche Rahmenbedingungen wie z.B. Schutzregelungen im Rahmen von Kündigungen diese Langfristigkeit flankierten. Diese Bedingungen sind gerade für Stammmitarbeiter, die sich in einem Normalarbeitsverhältnis befinden von Vorteil. Leiharbeiternehmer, gerade solche, die ihre Tätigkeiten im Helfersegment ausüben, können davon nicht profitieren. Zwar ist der Leiharbeiter in der Regel langfristig an ein Zeitarbeitsunternehmen gebunden, dennoch beträgt die durchschnittliche Dauer der Überlassung in Entleihunternehmen im Jahr 2011 nur etwa 3 Monate, so dass dies aufgrund der kurzen Einsatzdauer in Verbindung mit der geringen Qualifikation und die daraus resultierende Austauschbarkeit ein erhöhtes Commitment kaum zulässt. Aufgrund der geringen Machtstellung des Zeitarbeitnehmers ist sein Akzeptanzbereich recht großzügig. Ebenfalls wird der Leiharbeiter nicht selten mit erheblichen Zumutungen konfrontiert, denen kein Anspruch auf eine höhere Kompensation gegenüber steht.[31]

Diverse empirische Untersuchungen kamen zum Ergebnis, dass die Leiharbeitnehmer in Entleihunternehmen ein geringeres Commitment entwickeln als Stammarbeitnehmer. Bei der Betrachtung des affektiven Commitments, das sich auf die emotionale Bindung bezieht, über die ein Mitarbeiter zu einem Unternehmen verfügt,[32] weisen die Untersuchungen aus, dass Stammarbeiter gegenüber dem Zeitarbeiter im Unternehmen über ein wesentlich höheres affektives Commitment verfügen. Ferner zeigen die Untersuchungsergebnisse auf, dass die Leiharbeitnehmer ein recht geringes Commitment, das fast identisch ist, gegenüber dem Zeitarbeitsunternehmen und dem Einsatzunternehmen aufweisen.[33] Ergebnisse von Studien zu diesem Thema zeigten weiter auf, dass Leiharbeiter tendenziell eher ein Commitment zu den Unternehmen aufbauen, in dem Sie eingesetzt werden. Sollte dieses Commitment sehr hoch sein, dann ist es im Falle einer ausbleibenden Übernahme durch das Einsatzunternehmen möglich, dass dies zu gesundheitlichen Beeinträchtigungen bei Leiharbeitern führen kann.[34]

Beispielsweise weist bei der Betrachtung des Aspektes der variablen Beschäftigungsdauer von Zeitarbeitnehmern der Befund aus, dass das Commitment der Zeitarbeitnehmer über die Dauer des Leiharbeitsverhältnisses variiert. Zu Beginn des Zeitarbeitsverhältnisses steigt in der ersten bis zur siebten Woche das Commitment zunehmend stark und sinkt anschließend in der Zeit von der achten bis zur 20 Woche wieder. Nach Bornewasser (2012) liegt die Vermutung nahe, dass die Leiharbeitnehmer ihr affektives Commitment zu Beginn der Tätigkeit instrumentell einsetzen, um ihre Fähigkeiten aufzuzeigen und rasch in die Stammbelegschaft des Einsatzunternehmens integriert zu werden. Scheitert dies, distanziert sich in der Regel der Zeitabreitnehmer und spielt vermehrt mit Gedanken, seine Tätigkeit auch in einem anderen Unternehmen auszuüben. Auf der Basis von Befunden stellt sich ebenfalls heraus, dass das leistungsförderliche affektive Commitment bei Leiharbeitnehmer nur gering ausgeprägt ist.[35]

Leiharbeiter können demnach aufgrund der geschilderten Aspekte keine von Dauer geprägte für beide Seiten wichtige Bindung zu ihrem Zeitarbeitsunternehmen und zum Einsatzunternehmen aufbauen, über die Stammmitarbeiter verfügen. Sie werden regelmäßig mit prekären Arbeitssituationen konfrontiert und dulden dies, da sie auf eine Übernahme in die Stammbelegschaft hoffen .

[...]


[1] Vgl. Brömser, H.-P., (Potenzial 2008), S. 476.

[2] Vgl. Hinsen, L., (Tarifkonkurrenz 2009), S. 30.

[3] Vgl. Schäfer, H., (Entwicklung 2009), S. 6.

[4] Vgl. Bundesagentur für Arbeit, (Arbeitsmarkt 2012), S. 10.

[5] Bundesagentur für Arbeit, (Arbeitsmarkt 2012), S. 6.

[6] Vgl. Brömser, H.-P., (Potenzial 2008), S. 476.

[7] Vgl. Bundesagentur für Arbeit, (Arbeitsmarkt 2012), S. 10.

[8] Vgl. Brömser, H.-P., (Potenzial 2008), S. 477.

[9] Lünendonk GmbH, (Zeitarbeitsunternehmen 2012), S. 1.

[10] Vgl. Bundesagentur für Arbeit, (Arbeitsmarkt 2012), S. 13 ff.

[11] Vgl. Bundesagentur für Arbeit, (Arbeitsmarkt 2012), S. 13 ff.

[12] Bundesagentur für Arbeit, (Arbeitsmarkt 2012), S. 14.

[13] Vgl. Bornewasser, M., (Aspekte 2010), S. 8.

[14] Vgl. Jahn, E., (Phönix 2007), S. 39.

[15] Vgl. Moser, K., Galais, N., in: Fischer, H., Bouncken, R., (Kompetenzentwicklung 2012), S. 225.

[16] Vgl. Bornewasser, M., (Aspekte 2010), S. 8.

[17] Vgl. Galais, N., Moser, K., Münchhausen, G., (Arbeiten 2007), S. 163.

[18] Vgl. Dreyer, M., (Recht 2009), S. 24.

[19] Bundesministerium der Justiz, (Gesetz 2011), S. 3.

[20] Vgl. Stolz, W., (Entwicklungstendenzen 2009), S. 297.

[21] Vgl. Dauser, T., (Arbeitnehmer 2009), S. 187.

[22] Vgl. Bornewasser, M., (Aspekte 2010), S. 10 ff.

[23] Vgl. Bornewasser, M., (Aspekte 2010), S. 10 ff.

[24] Vgl. De Witte, H., Näswall, K., in: Lemanski, S. (Stress 2012), S. 81.

[25] Vgl. Lewchuk, W., de Wolf, A., King, A., Polany, M., in: Lemanski, S. (Stress 2012), S. 81.

[26] Vgl. Bornewasser, M., (Aspekte 2010), S. 15.

[27] Bornewasser, M., (Commitment 2012), S. 137.

[28] Vgl. Simon, H.A., (Commitment 2012), S. 137.

[29] Bornewasser, M., (Commitment 2012), S. 138.

[30] Bornewasser, M., (Commitment 2012), S. 124.

[31] Vgl. Bornewasser, M. (Commitment 2012), S. 147.

[32] Vgl. Gabler Verlag, Gabler Wirtschaftlexikon, Stichwort: Markencommitment.

[33] Vgl. Bornewasser, M., (Commitment 2012), S. 47.

[34] Vgl. Moser, K., Galais, N., (Zeitarbeit 2009), S. 61.

[35] Vgl. Bornewasser, M. (Commitment 2012), S. 48.

Details

Seiten
Erscheinungsform
Erstausgabe
Jahr
2012
ISBN (PDF)
9783955497866
ISBN (Paperback)
9783955492861
Dateigröße
1.4 MB
Sprache
Deutsch
Institution / Hochschule
Private Fachhochschule Göttingen
Erscheinungsdatum
2015 (Februar)
Note
1,7
Schlagworte
Arbeitsnehmer Arbeitsmarktintegration Randstad Zeitarbeitnehmer Klebeeffekt
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