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Spezialisierung, Diversifizierung, Kooperation: Freiberufliche nichtärztliche Heilmittelerbringer im strategischen Entscheidungsprozess zum langfristigen Erhalt ihrer Einrichtungen auf dem Gesundheitsmarkt

©2011 Bachelorarbeit 55 Seiten

Zusammenfassung

Die Arbeit setzt sich mit den Möglichkeiten auseinander, die Spezialisierungs-, Diversifizierungs- und Kooperationstheorien zum langfristigen Erhalt freiberuflicher nichtärztlicher Heilmittelerbringer am Gesundheitsmarkt beitragen können. Dazu werden die Grundlagen der jeweiligen Theorien erörtert. Die Managementrelevanz ergibt sich durch Änderung der Geschäftslogik und einem tiefgreifenden, die gesamte Einrichtung betreffenden Veränderungsprozess (vgl. Baum 2009).
Es wird gezeigt, inwieweit diese Theorien auf die besondere Situation der freiberuflich nichtärztlichen Heilmittelerbringer übertragbar sind. In einem ersten Punkt werden Stellung und Rahmenbedingungen freiberuflicher nichtärztlicher Heilmittelerbringer im deutschen Gesundheitswesen beschrieben. Es folgt die Darstellung der veränderten Bedingungen am Gesundheitsmarkt und die Auswirkungen auf Heilmittelerbringer. In einem weiteren Abschnitt werden Möglichkeiten wie Spezialisierung, Diversifizierung und Kooperation zur Stärkung der freiberuflichen nichtärztlichen Heilmittelerbringer am Gesundheitsmarkt erörtert sowie die Auswirkungen auf das bestehende Praxismanagement aufgezeigt.
In einer abschließenden kritischen Würdigung wird untersucht, inwieweit sich Spezialisierung, Diversifizierung und Kooperation tatsächlich als langfristige Lösungsmöglichkeit zur Stabilisierung und Stärkung freiberuflicher nichtärztlicher Heilmittelerbringer anbieten.

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


2.2 Aufgaben der freiberuflichen nichtärztlichen Heilmittelerbringer

Auf Grundlage der Heilmittelrichtlinien und unter Berücksichtigung des Heilmittelkataloges, dürfen die zuständigen niedergelassenen Kassenärzte eine Verordnung über Ergo-, Physiotherapie und Logopädie ausstellen (vgl. Lohmeier 2010: 8). „ Mit diesem Rezept in den Händen, hat der Patient derzeit freie Behand­ler­wahl zwischen den zugelassenen Praxen auf dem Gesundheitsmarkt“ (Lohmeier 2010: 8).

Bezugnehmend auf den Informationsdienst für Physiotherapeuten (2010) können die Aufgaben der nichtärztlichen Heilmittelerbringer wie folgt beschrieben werden:

Aufgabe der Ergotherapeuten ist es, durch ihre Behandlungen Menschen zu unterstützen, deren Handlungsfähigkeiten eingeschränkt oder von eingeschränkter Handlungsfähigkeit bedroht sind. Im Vordergrund steht die (Wieder-) Erlangung der motorischen, geistigen, psychischen und sozialen Selbstständigkeit. Statistisches Zahlenmaterial über freiberuflich wirkende Ergotherapeuten stand der Autorin leider nicht zur Verfügung.

Physiotherapeuten widmen sich in erster Linie den Menschen, die in ihrer motorischen Beweglichkeit Defizite aufweisen. Veröffentlichungen des Deutschen Bundesverbandes der Physiotherapeuten e. V. zufolge, waren am 30.06.2010 34.224 freiberufliche Physiotherapeuten in eigener Praxis tätig.

Das Berufsbild der Logopäden beinhaltet die Behandlung von Menschen mit Sprach-, Sprech-, Stimm- und Schluckstörungen. Im Vordergrund steht die Anbahnung oder Wiedererlangung der Kommunikationsfähigkeit. Rund 4.650 Mitglieder des Deutschen Bundesverbandes für Logopädie e. V. wirkten im Jahr 2010 in Deutschland als Freiberufler (vgl. dbl e. v. 2011).

2.3 Die Position der freiberuflichen nichtärztlichen Heilmittelerbringer im deutschen Gesundheitswesen

Seit April 2007 besteht in Deutschland die Krankenkassenpflicht. Somit ist die Gesamtbevölkerung Deutschlands Mitglied in einer gesetzlichen oder privaten Krankenversicherung. 2009 wurde der Gesundheitsfond eingeführt. Hier fließen alle Beiträge von Arbeitgebern, Arbeitnehmern, Rentenversicherungsträgern, sowie Steuerzuschüsse des Bundes zusammen. Hieraus erhält eine gesetzliche Krankenkasse für jede versicherte Person eine Pauschale, deren Höhe sich nach Alter, Geschlecht und Gesundheitszustand bemisst (vgl. Bundesministerium für Gesundheit 2011). Die freiberuflichen nichtärztlichen Heilmittelerbringer gehören zu den Akteuren im sogenannten „Dreiecksverhältnis“ des deutschen Gesundheitssystems, was sich wie folgt darstellt:

Die Mitglieder der gesetzlichen Krankenkassen zahlen anteilig Versicherungsbeiträge. Die gesetzlichen Krankenkassen müssen für ihre Versicherten eine ausreichende medizinische Versorgung bereitstellen (siehe Kapitel 1.1). Die Leistungserbringer erfüllen diese Aufgabe im Auftrag der Krankenkassen. D.h., die Versicherten nehmen medizinische Leistungen in Anspruch, die von den Leistungserbringern durchgeführt werden. Die Krankenkassen als Kostenträger vergüten diese Leistungen direkt an die Leistungserbringer. Die Abb. 1 visualisiert die, aufgrund der Thematik dieser Arbeit bewusst einfach gehaltene, Struktur des sogenannten Dreiecksverhältnisses im deutschen Gesundheitswesen.

Abb. 1:

Das Dreiecksverhältnis im deutschen Gesundheitswesen

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

(eigene Darstellung in Anlehnung von Alerion Health Care o. J.)

Die freiberuflichen nichtärztlichen Heilmittelerbringer befinden sich als Akteure in einem stark hierarchisch geprägten System der Leistungserbringer . Sie handeln zwar im Rahmen ihrer Freiberuflichkeit eigenverantwortlich, sind aber dem verordnenden Arzt gegenüber weisungsgebunden. Der Arzt legt fest welche Heilmittel zur Anwendung kommen. Es kann sich hierbei z. B. um die Verordnung einer logopädischen Therapie oder Physiotherapie handeln. Weiterhin entscheidet er wie oft und lange die Behandlungen durchgeführt werden sollen. Liegt keine ärztliche Verordnung vor, dürfen die nichtärztlichen Heilmittelerbringer keine Leistungen im Rahmen der gesetzlichen Krankenversicherung am Patienten durchführen, selbst dann nicht, wenn der Versicherte (Patient) diese Behandlung wünscht.

Die Position der freiberuflichen nichtärztlichen Heilmittelerbringer ist folglich geprägt von Abhängigkeiten, die sich zusammenfassend ausdrücken, in:

- der unter Kapitel 2 erwähnten, fehlenden Einflussnahme auf die Höhe der Vergütungsverhandlungen
- der unter Kapitel 2.1 beschriebenen Verortung der Tätigkeit im Heilmittelkatalog und den darauf bezogenen Richtgrößen sowie
- der Position im konfliktträchtigen Spannungsfeld zwischen den Bedürfnissen der Patienten und dem ärztlichen Auftrag.

3 Veränderte Bedingungen am Gesundheitsmarkt und deren Einflüsse auf die freiberuflichen nichtärztlichen Heilmittelerbringer

Wie bereits in Kapitel 1 erwähnt, ist die Gesundheitspolitik seit 1977 darum bemüht, die ständig wachsenden Ausgaben und die damit verbundenen Beitragssatzsteigerungen im Gesundheitswesen zu steuern (vgl. Lohmeier 2010: 10). Der überwiegende Teil der erwachsenen Bevölkerung erfährt die Auswirkungen der Reformen z. B. durch höhere Kostenbeteiligung bei Inanspruchnahme von Heilmitteln. Hier sind u. a. die Praxisgebühr, die Rezeptgebühr, die 10%ige Selbstbeteiligung bei Leistungen der nichtärztlichen Heilmittelerbringer zu nennen. Ebenso spürbar werden die Reformen durch bestimmte Medikamente, die nicht mehr auf Rezept erhältlich sind, sondern vom Patienten selbst, zum vollen Preis getragen werden müssen. Aber es gibt ebenfalls Bestrebungen in den Reformen, deren Auswirkungen nicht nur kostensenkend wirken, sondern auch bei richtiger Umsetzung, Vorteile für die Bundesbürger beinhalten können. Durch die jüngsten Gesundheitsreformen soll eine indikationsorientierte, ganzheitliche Versorgung für die Patienten aufgebaut werden. Sie ist abhängig vom Krankheitsbild. Sie reicht von der Prävention, über die akut medizinische Versorgung, bis hin zur ambulanten oder stationären Rehabilitation. Geplant ist hier also eine Versorgung, die dem Patienten unnötige Wege, Wartezeiten und Doppeluntersuchungen ersparen sowie vorausschauend und langfristig die individuellen Umstände berücksichtigen soll – die sogenannte „integrierte Versorgung“ (vgl. Röttger-Liepmann 2009: 5-8). Die Erkenntnis, dass integrierte Versorgungsstrukturen die beste Versorgung der Patienten sowie die optimale Nutzung der Ressourcen im Gesundheitswesen gewährleisten, erfordert Veränderungen auf struktureller Ebene (vgl. Walkenhorst, Klemme 2008: 181). Strukturveränderungen im Gesundheitswesen bedingen die Notwendigkeit der Entwicklung neuer Konzepte.

Auch der durch die Gesundheitsreform angetriebene Wettbewerb kommt einigen Menschen in Deutschland zugute. So ist es z. B. nicht mehr nur den Mitgliedern einer privaten Krankenversicherung vorbehalten eine ambulante Sprechstunde im Krankenhaus in Anspruch zu nehmen, sondern ebenso den gesetzlich Versicherten.

Für die freiberuflichen nichtärztlichen Heilmittelerbringer wird ein deutlicher Umbruch hin zu strukturellen und konzeptionellen Veränderungen sowie eine zunehmende Wettbewerbsintensität spürbar. Aber es ist nicht nur der verstärkte Wettbewerb der den Blick auf die Zukunft der Praxisinhaber trübt. Durch die Bindung der jährlichen, maximalen Leistungsvergütungserhöhung an die durchschnittliche Grundlohnsummensteigerung schrumpfen die Einkommen der freiberuflichen nichtärztlichen Heilmittelerbringer drastisch. Die Grundlohnsummensteigerung lag innerhalb der vergangenen acht Jahre sechs Jahre deutlich unterhalb der Teuerungsrate, wie z. B. im Jahre 2007. Zu dieser Zeit betrug die Teuerungsrate 2,3% (vgl. Dithmarscher Landeszeitung 2011) und die Grundlohnsummensteigerung 0,64% (vgl. Bundesministerium für Gesundheit 2011) (siehe Abb. 2). Zusätzlich steigen die jährlichen Ausgaben zur Erfüllung der gesetzlichen Anforderungen und Auflagen der Krankenkassen zum Betreiben einer nichtärztlichen Praxis. Auch Steffen Salutzki kam 2010 im Rahmen seiner Diplomarbeit an der Hochschule für Ökonomie & Management in Berlin zu dem Schluss „…, dass der freiberufliche Heilmittelerbringer im geltenden Regelungsgeflecht kaum eine realistische Chance hat, im Rahmen seiner Unternehmensführung angemessene Preise für seine Leistungen zu erzielen.“

Abb. 2:

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Inflation und Grundlohnsummensteigerung

Anstieg der Verbraucherpreise; Grundlohnsummensteigerung (eigene Darstellung)

Quelle: Grachtrup,B. (2011); Quelle: Bundesministerium für Gesundheit (2011)

Weiterhin ist seit Einführung der Richtgrößen im Jahr 2006, ein deutlicher Rückgang der Verordnungsquantität zu verzeichnen. Laut der IFK-Wirtschaftlichkeits­umfrage aus dem Jahr 2008 ist der Gesamtumsatz einer Physiotherapiepraxis 2007 im Vergleich zu 2006 um 3,5 % gesunken. Die Autorin, selbst als freiberufliche Logopädin tätig, verzeichnete einen Umsatzverlust innerhalb der vergangenen fünf Jahre von 5,2 %.

„Viele Ärzte betonen, dass die nach den Richtgrößen zulässigen Verordnungsmengen im Bereich der Heilmittel nicht ausreichend sind, um Heilmittel-konform verordnen zu können. Viele scheuen auch bereits die Androhung einer Wirtschaftlichkeitsprüfung, auch wenn diese nicht zum Regress führt. Ärzte, denen ein Regress angedroht wird, weigern sich nicht selten, weitere Verordnungen auszustellen – unabhängig von der medizinischen Notwendigkeit“ (vgl. dbl e. v. 2006) . Aktuell wurden im Januar 2011, für das Jahr 2011, die Richtgrößen in Schleswig-Holstein im Vergleich zum Vorjahr 2010 um 1,5 % gesenkt (vgl. dbl Landesverband SH 2011).

Die vielfältigen Reformen haben dazu geführt, dass das deutsche Gesundheitswesen sich mit seinen Determinanten der freien Marktwirtschaft annähert. Die Entwicklung in Richtung Gesundheitswirtschaft und Ökonomisierung ist eindeutig erkennbar. Um den neuen strukturellen und konzeptionellen Anforderungen begegnen zu können, müssen sich die freiberuflichen nichtärztlichen Heilmittelerbringer zwangsläufig mit Themen auseinandersetzten, die in der freien Marktwirtschaft schon immer zum Erhalt eines Unternehmens notwendig waren und sind.

4 Spezialisierung, Diversifizierung, Kooperation als Möglichkeit zur Stabilisierung und Stärkung der freiberuflichen nichtärztlichen Heilmittelerbringer am Gesundheitsmarkt

Die Entwicklung einer neuen Unternehmensidentität, mit einer auf die Besonderheiten der Einrichtung abgestimmten Strategieentwicklung, scheint für die freiberuflichen nichtärztlichen Heilmittelerbringer erforderlich, um langfristig auf dem Gesundheitsmarkt bestehen zu können (vgl. Nagel 2009:1). Spezialisierung, Diversifizierung und Kooperation sind strategische Instrumente, die in Unternehmen als Erfolgsstrategien kontrovers diskutiert werden.

Die Spezialisierungstheorie basiert auf der Annahme, dass die wachsende Komplexität der Welt nur mit einer Spezialisierung zu bewältigen ist (vgl. Friedrich 2007: 15). Friedrich (2007: 16) sieht für kleine und mittlere Unternehmen sowie für Freiberufler die Spezialisierung als ideale Strategie, um langfristig im Wettbewerb bestehen zu können.

Ansoff war 1957 der erste, der die Diversifikation als Wachstumsstrategie untersuchte. Es folgten Chandler (1962), Wrigley (1970) und Rumelt (1974) (vgl. Szeless 2001: 7-9). 2001 widmete sich Szeless im Rahmen seiner Dissertation der empirischen Analyse von Diversifikation und Unternehmenserfolg, auf deren Ergebnis sich diese Arbeit vornehmlich bezieht.

Durch das seit dem 01.01.2004 gültige Gesetz zur Integrierten Versorgung nach §140 a-d SGB V, haben sich die Möglichkeiten zur Ausgestaltung der Verträge zwischen den Krankenkassen und den Leistungserbringern im deutschen Gesundheitswesen verändert. Der Weg zu neuen Organisationsformen wurde dadurch bereitet. Eine aktuell diskutierte und favorisierte Zukunftsvariante, gerade im Bezug zu den Kosten- und Finanzierungsproblemen der Einrichtungen auf dem Gesundheitsmarkt, ist das strategische Instrument der Kooperation (vgl. Pflügel 2008: 6-7).

In den folgenden Kapiteln sollen die drei Theorien auf die Möglichkeit zur Stabilisierung und Stärkung der freiberuflichen nichtärztlichen Heilmittelerbringer am Gesundheitsmarkt geprüft werden.

4.1 Spezialisierung

Die Strategieberaterin Dr. Kerstin Friedrich begleitet Unternehmen und Selbstständige bei Spezialisierungs- und Diversifikationsprozessen. Die Spezialisierung ist aus ihrer Sicht die ideale Strategie für Selbstständige und Freiberufler, die unter einem starken Wettbewerbsdruck stehen. „ Spezialisten wecken Erwartungen hoher Kompetenz und besitzen darum schon von ganz allein eine hohe Anziehungskraft. ...Kunden lieben Spezialisten, denn von diesen erwarten sie die besten Problemlösungen“ (Friedrich 2007: 17). Spezialisierung hilft Kunden zu gewinnen und zu binden. Einen weiteren Vorteil der Spezialisierung sieht Friedrich in der Vereinfachung der internen Prozessabläufe, da Spezialisten sich auf ein kleines Marktsegment konzentrieren können. Das Lernfeld ist klar begrenzt, die Lerngewinne bauen systematisch aufeinander auf und innerhalb kurzer Zeit kann tiefes Wissen erworben werden. Basierend auf diesen Wissenserwerb ist es möglich, zukünftige Unternehmensbedrohungen sehr viel früher zu erkennen, rechtzeitig gegenzusteuern. Friedrich betont, dass durch Spezialisierung eine „schlanke“ Organisationsstruktur möglich ist, die zu einer Reduzierung der Grenzkosten führen kann. Auch die Autoren Görzig et al. (2007) berichten anhand von empirischen Untersuchungen, dass die Mehrzahl der Unternehmen im verarbeitenden Gewerbe in Deutschland eine Spezialisierungsstrategie verfolgt und dadurch den operativen Gewinn steigern.

Friedrich beschreibt anhand der drei Spezialisierungsrichtungen,

- Primärspezialisierung,
- Problemspezialisierung und
- Zielgruppenspezialisierung,

wie Unternehmen sich spezialisieren können.

4.1.1 Primärspezialisierung

Bei der Primärspezialisierung handelt es sich um eine Spezialisierung auf ein oder wenige Produkte, Rohstoffe, Techniken, eine besondere Dienstleistung oder spezielles Wissen. Sie baut auf Engpässe (Bedürfnisse, die von anderen Anbietern nicht erfüllt werden können), vereinfachte Organisation und auf Masse. Als Beispiel führt die Autorin des Buches das Unternehmen ALDI an, das von der Multiplizierbarkeit des Konzeptes und den stark reglementierten Arbeitsabläufen lebt. Durch diese Strategie ist es dem ALDI-Konzern möglich, Produkte auf einem niedrigen Preisniveau (Engpass) anzubieten. Friedrich betont, dass sich diese Art der Spezialisierung immer dann anbietet, wenn der Preis der größte Nachfrage-Engpass ist.

4.1.2 Problemspezialisierung

Spezialisten lösen die Probleme ihrer Kunden. „ Überall dort, wo sich die Problemlösungen in nichts von anderen unterscheiden, wird der Wettbewerb über den Preis ausgetragen “ (Friedrich 2007: 76). Der Problemspezialist konzentriert sich auf Wünsche, Probleme, Bedürfnisse potenzieller Kunden. Er bietet Lösungen an, so dass der Wettbewerb nicht über den Preis stattfinden muss. Als Beispiel führt die Autorin einen Bauunternehmer an, der sich auf die riskante Bebauung von Baulücken spezialisiert hat. Durch systematisch aufeinander aufbauende Lerngewinne und die Anschaffung besonderer Gerätschaften ist es ihm möglich, die Aufträge souverän auszuführen. Von den zyklischen Schwankungen des Baugeschäfts ist er kaum betroffen.

4.1.3 Zielgruppenspezialisierung

Die Zielgruppenspezialisierung umfasst die Ausrichtung auf ein Problem, sowie die Fokussierung auf eine speziell ausgewählte Zielgruppe. Ist eine Zielgruppe genau definiert, ist es wesentlich leichter die Probleme dieser zu erkennen und Lösungen zu erarbeiten. Die Zielgruppenspezialisierung bietet sich besonders an, wenn der Markt zu groß ist, um ihn mit den vorhandenen Kapazitäten erfolgreich zu bearbeiten. Den Vorteil der Zielgruppenspezialisten sieht Friedrich in der engen Kundenbindung, da Kaufentscheidungen von emotionalen Faktoren abhängig sind. Friedrich betont, dass die Zielgruppenspezialisierung sich hervorragend für kleine und mittelständische Unternehmen eignet. Durch diese Art der Marktsegmentierung ist es ihnen möglich, sich aus dem Wettbewerb der großen Anbieter loszulösen. Als Beispiel erwähnt Friedrich den ersten Reisekatalog für Alleinreisende oder Baumärkte, die sich stärker auf Frauen ausrichten.

4.1.4 Chancen und Risiken der Spezialisierung

Spezialisierung im Gesundheitswesen – gewiss nicht neu. So gibt es lange schon Chirurgen, die sich auf Hand-OP`s spezialisiert haben, ganze Kliniken, die sich der kosmetischen „Wiederherstellung“ von Unfallopfern widmen und Reha-Kliniken deren Ziel es ist, das Gewicht ihrer Patienten zu reduzieren. Problem- und Zielgruppenspezialisierung wird hier schon seit geraumer Zeit gelebt. Auch die freiberuflichen nichtärztlichen Heilmittelerbringer sind Spezialisten in ihrem Wissensbereich. Der Physiotherapeut verfügt über umfangreiches Wissen zu Menschen mit motorischen Defiziten und ist in der Lage ihnen gezielt zu helfen. Ebenso die Logopäden, die zielgerichtet Kommunikationsstörungen erkennen und behandeln können. Was meint also der Deutsche Berufsverband für Logopädie mit der Empfehlung, sich in der Logopädie zu spezialisieren?

Neue wissenschaftliche Erkenntnisse sorgen für eine große Dynamik. Aktuelles Wissen kann morgen schon überholt sein. Die einst eingegrenzten Wissensgebiete gewinnen dadurch an Umfang. So sind z. B. die Logopäden spezialisiert auf dem Gebiet der Kommunikationsstörungen, doch ist es mittlerweile kaum noch möglich, Spezialist für alle Arten von Sprach-, Sprech-, Stimm- und Schluckstörungen zu sein. Hier setzt der Berufsverband für Logopädie mit seiner Empfehlung an.

Ist eine Spezialisierungsnische gefunden, so kann die Wettbewerbsposition über das Alleinstellungsmerkmal der Spezialisierung gestärkt und der Patientenstamm erweitert werden.

Eine Spezialisierung der Freiberufler, auf bestimmte Wissensgebiete ihrer Fachrichtung, hat eine positive Auswirkung auf alle involvierten Akteure, da die Behandlungen effektiver und somit effizienter durchgeführt werden können.

Die Spezialisierung kommt dem unter Therapeuten weit verbreiteten vorrangigen Ziel entgegen, die eigene Arbeitsmotivation durch Qualifikation zu steigern (vgl. Walkenhorst, Klemme 2008: 190).

Die Ausgrenzung der nichtärztlichen Heilmittel aus dem Leistungskatalog der Krankenkassen wird immer wieder neu diskutiert (vgl. Höppner 2007: 32). Berufspolitisch betrachtet, unterstützt die Spezialisierung die langfristige Verortung der Leistungen im Heilmittelkatalog, da nachweislich nicht effektive Behandlungsmethoden aus dem Heilmittelkatalog der Krankenkassen entfernt werden.

Greift man noch einmal auf Friedrich zurück, ist das Ziel der Spezialisierung Kunden zu gewinnen, Kunden zu binden und sich durch Alleinstellungsmerkmale von Mitanbietern auf dem Markt abzuheben. Der Kundenbegriff umfasst die Menschen, die nach einer Problemlösung suchen und bereit sind, dafür die erforderlichen Kosten zu tragen. Doch wer ist der Kunde der freiberuflichen nichtärztlichen Heilmittelerbringer? Wer ist bereit, die Spezialisten angemessen für ihre Leistungen zu entlohnen?

Den Kundenbegriff der freien Marktwirtschaft auf das deutsche Gesundheitssystem zu übertragen erweist sich als äußerst schwierig. Wie in Kapitel 1.3 bereits erwähnt, übernehmen die Krankenkassen die Vergütung der Leistungen am Patienten. Sind also die Krankenkassen die Kunden der freiberuflich nichtärztlichen Heilmittelerbringer, die eine ausreichende (entspricht der Zeugnisnote 4), zweckmäßige Behandlung ihrer Mitglieder wünschen und dementsprechend, im Rahmen ihrer Spielräume (§71 Abs. 3 SGB V), vergüten? Oder ist der überweisende Arzt der Kunde, der die Nöte seiner Patienten ernst nimmt, sie an einen freiberuflich nichtärztlichen Heilmittelerbringer verweist und ein großes Interesse daran hat, dass seine Patienten im Rahmen seines Budget schnell und erfolgreich behandelt werden? Oder sind es die Patienten? Sie wünschen sich einen schnellen Zugang zu einer auf sie abgestimmten optimalen Behandlung, deren Kosten die Krankenversicherung übernimmt. Unter den Angehörigen der therapeutischen Berufe ist es durchaus üblich den Patienten als ihren Kunden zu betrachten, ist er es doch, der das Behandlungsergebnis intensiv mit dem Behandler kommuniziert, evtl. die Fachkompetenz in Frage stellt.

Aufgrund der unklaren Kundendefinition gestaltet sich eine einkommensstabilisierende „Spezialisierungsnischenfindung“ schwierig.

In der freien Marktwirtschaft haben laut Friedrich die spezialisierten Unternehmen aufgrund ihres Alleinstellungsmerkmales die Macht, ihre Arbeitsbedingungen und den Preis selbst zu bestimmen. Aufgrund der Position der freiberuflichen nichtärztlichen Heilmittelerbringer im deutschen Gesundheitssystem bedingt eine Spezialisierung hier keine Machtverschiebung. Die Abhängigkeit vom ärztlichen Budget und die Bindung des Honorars an die Grundlohnsummensteigerung hat trotz Spezialisierung weiterhin Bestand. Die fachliche Spezialisierung selbst ist kostspielig und es entstehen Folgekosten wie z. B. Personalkosten. Die Höhe der Vergütung wird durch die Spezialisierung entweder, wie z. B. bei den Logopäden gar nicht oder wie z. B. bei den Physiotherapeuten nur gering beeinflussbar.

Eine Spezialisierung in den Einrichtungen der freiberuflichen nichtärztlichen Heilmittelerbringer ist stets gebunden an das Wissen von Individuen. Wenn es sich nicht um eine Einzelpraxis handelt, ist der Praxisinhaber gleichzeitig Arbeitgeber. Als Führungskraft, Arbeitgeber, Sachbearbeiter und Therapeut in Personalunion bleibt dem Praxisinhaber selbst wenig Raum, sich in einem therapeutischen Wissensgebiet zu spezialisieren. Durch Personalveränderungen ist das Risiko des plötzlichen Verlustes des Alleinstellungsmerkmales groß.

Friedrich betont in ihren Ausführungen zur Spezialisierung, dass bei einer richtigen Spezialsierung keine Gefahr für das Unternehmen aufgrund der Einseitigkeit des Angebotes droht. Die freiberuflichen nichtärztlichen Heilmittelerbringer wirken in einem System, dass sich zurzeit in einem für sie noch unüberschaubaren und wenig beeinflussbaren Umbruch befindet. Die Aussage von Friedrich ist daher für die nichtärztlichen Freiberufler kritisch zu hinterfragen. Eine Spezialisierung auf eine bestimmte Therapieform oder auf ein bestimmtes Störungsbild stellt eine Einseitigkeit der Existenzgrundlage dar. Nicht kalkulierbare Einflüsse von außen wie z. B. Gesetzesänderungen können schnell zu einer Existenzbedrohung führen.

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Details

Seiten
Erscheinungsform
Erstausgabe
Erscheinungsjahr
2011
ISBN (PDF)
9783955498146
ISBN (Paperback)
9783955493141
Dateigröße
204 KB
Sprache
Deutsch
Institution / Hochschule
( Europäische Fernhochschule Hamburg )
Erscheinungsdatum
2015 (Februar)
Note
1,6
Schlagworte
Grundlohnsummensteigerung Heilmittel-Richtlinie Heilmittel Akademisierung Logopäde Management
Produktsicherheit
BACHELOR + MASTER Publishing

Autor

Karin Lohmeier, B.A., wurde 1962 in Varel geboren. Seit 1993 ist die Autorin als freiberufliche Logopädin in Heide/Schleswig-Holstein tätig. Das Studium des Gesundheits- und Sozialmanagements an der Hamburger Fern-Hochschule schloss die Autorin im Jahre 2011 mit dem Bachelortitel erfolgreich ab. Seit März 2013 ist die Autorin als nebenberufliche Lehrbeauftragte an der Hamburger Fern-Hochschule tätig.
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Titel: Spezialisierung, Diversifizierung, Kooperation: Freiberufliche nichtärztliche Heilmittelerbringer im strategischen Entscheidungsprozess zum langfristigen Erhalt ihrer Einrichtungen auf dem Gesundheitsmarkt
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