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Beeinflussen extrinsische Anreize soziales Verhalten? Eine modelltheoretische Betrachtung des Verdrängungseffekts

©2012 Diplomarbeit 54 Seiten

Zusammenfassung

In dieser wissenschaftlichen Arbeit wird ein mikroökonomisches Paradoxon untersucht, welches darin besteht, dass durch steigende materielle Anreize die Bereitschaft sinkt ein Engagement auszuführen. Menschen versuchen durch soziales Handeln, genauso wie durch jede andere Handlung, aus Sicht des motivationstheoretischen Ansatzes, ihre Bedürfnisse zu befriedigen. Innere und äußere Anreize können diese Bedürfnisse aktivieren und zu einer Anstrengungsentscheidung führen.
Oftmals versuchen staatliche Institutionen durch finanzielle Anreize prosoziales Verhalten zu fördern. Dabei stellt sich aus wirtschaftlicher Sicht die Frage nach der Effektivität und Effizienz dieser Maßnahmen. Führen die oben erwähnten finanziellen Anreize, wie es die klassische Volkswirtschaftslehre prognostiziert, zu einem Anstieg des Anstrengungsniveaus oder können diese externen Eingriffe gar zu einem Rückgang der intrinsischen Motivation führen, wie es von einigen Verhaltensforschern prognostiziert wird?

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


2.3 Motivation für soziales Verhalten

Das Modell von Bénabou & Tirole (2006) fasst einige wichtige Vorstellungen und Überlegungen zu den verschiedenen Motivationsformen in einem holistischen Konstrukt zusammen, welches in diesem Abschnitt erläutert wird.

In der modelltheoretischen Ausgangssituation steht ein Agent stets vor der Entscheidung, ob er sich überhaupt sozial verhalten soll bzw. wie groß sein Einsatz sein soll. Dieses Engagement kann sowohl altruistisch motiviert sein als auch darauf abzielen, den persönlichen Konsum von privaten Gütern zu maximieren. Das Anstrengungsniveau des Agenten kann in Zeit- sowie in Geldeinheiten ausgedrückt werden und sowohl eine diskrete als auch eine kontinuierliche Form annehmen (Bénabou & Tirole 2006: 1656). Es ist intuitiv nachvollziehbar, dass jede Handlung und damit auch das soziale Engagement des Agenten mit Kosten verbunden ist. Diese Kosten sind entweder direkte Kosten, wie sie z.B. bei der Anschaffung einer speziellen Ausrüstung für den Dienst bei der Freiwilligen Feuerwehr anfallen, oder indirekte Opportunitätskosten entgangener Verdienstmöglichkeiten. Der Agent wählt eine Handlung unter Berücksichtigung der Kosten , um seinen Nutzen zu maximieren bzw. um seine Bedürfnisse zu befriedigen. Für jede Handlung können folglich verschiedene Motive bzw. Bedürfnisse verantwortlich sein.

Die intrinsische Motivation, sich sozial zu engagieren, wird auf eine altruistische Neigung des Agentenzurückgeführt (Bénabou & Tirole, 2006: 1657). Damit ist es implizit ein Ausdruck der Wertschätzung des persönlichen sozialen Engagements durch den Agenten selbst. James Andreoni (1989) unterscheidet zwischen dem reinen und dem unreinen Altruismus.

Für einen Agenten dessen intrinsische Motivation auf eine reine altruistische Einstellung zurückzuführen ist, zählt lediglich das Gesamtangebot des öffentlichen Gutes (Andreoni, 1989: 1449), wobei für die Anzahl der Personen innerhalb einer betrachteten Gruppe steht und für den durchschnittlich geleisteten Beitrag zum öffentlichen Gut. Abhängig von seinem persönlichen Anteil an diesem öffentlichen Gut, wertschätzt der Agent seinen eigenen Beitrag mit 1.[Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten]

Der unreine Altruismus speist sich aus dem eigennützigen Bestreben des Agenten, sich in einem guten Licht[2] präsentieren zu wollen bzw. sich selbst durch eine wohltätige Aktion besser zu fühlen (Andreoni, 1989: 1449).

Die Überlegung, dass ein eigennütziges, intrinsisches Bestreben von einem Beobachter negativ gewertet werden könnte, stellen Bénabou und Tirole nicht explizit an. Sie modellieren den unreinen Altruismus lediglich als positive Freude am Geben, die in ihrem Modell mit als exogen und fix angenommen wird (Bénabou & Tirole, 2006: 1657). Intrinsisch motiviertes Verhalten, das lediglich egoistischen Zielen dient, z.B. der Steigerung der Jobchancen durch ein freiwilliges Engagement, kann von externen Beobachtern bzw. vom Agenten selbst als ein negatives Signal interpretiert werden. In der Folge könnte die Motivation für die Handlung sinken.

In den meisten Fällen wird davon ausgegangen, dass beide Formen des Altruismus Einfluss auf die intrinsische Motivation des Agenten nehmen können (Andreoni 1989: 1449). Formal werden die beiden intrinsischen Motivationsbestandteile folgendermaßen beschrieben:

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

In sehr großen Gruppen, in denen jedes Individuum den gleichen Einfluss auf das öffentliche Gut hat, wird der zweite Teil der Gleichung sehr klein und (Bénabou & Tirole, 2006: 1657). Die intrinsische Motivation würde sich dann vollständig aus dem unreinen Altruismus speisen, also dem hedonistischen Bestreben des Agenten durch die wohltätige Handlung einen höheren privaten Nutzen zu erhalten.

Der Prinzipal kann dem Agenten als (Aufwands-) Entschädigung für dessen soziale Aktivität einen monetären Anreiz anbieten, mit der der Agent wiederum private Güter erwerben und konsumieren kann. Bei diesem Anreiz kann es sich um eine (finanzielle) Aufwandsentschädigung, eine Steuerersparnis, verbale Anerkennung oder um sonstige materielle oder immaterielle Güter handeln. Alternativ kann auch als eine Strafzahlung bzw. Steuer ausgelegt werden, sofern das Vorzeichen negativ ist. Damit kann der Prinzipal erreichen, dass unerwünschte, unsoziale Handlungen unterlassen werden.

Inwiefern der Agent Geld bzw. den daraus abgeleiteten Konsum privater Güter wertschätzt, wie hoch demnach seine extrinsische Motivation ist, wird mit der Variable im Modell erfasst (Bénabou & Tirole 2006: 1658).

Für welches Engagement der Agent sich entscheidet, hängt dabei von seinem individuellen Typ bzw. seinen Präferenzen und von dem extrinsischen Anreiz ab. Es wird angenommen, dass die Präferenzen in der Bevölkerung normalverteilt sind, mit der Dichte, den Erwartungswerten und, der Varianz und der Kovarianz :

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Der Agent ist sich darüber im Klaren, dass sein (un-)soziales Handeln und die Werte, die damit assoziiert sind, von Außenstehenden beobachtet und beurteilt werden. Ein bestimmtes Verhalten wird demnach einem Typ Mensch zugeordnet. Wenn jemand beispielsweise Geld spendet, oder sich ehrenamtlich engagiert, wird er in der Folge als großzügig und sozial eingeschätzt; folglich als eine Person mit einer hohen intrinsischen Motivation . Diese Einschätzung durch seine Umwelt, kann für den Agenten von großer Bedeutung sein. Er erhält einen höheren Nutzen, wenn er weiß, dass seine Umwelt seine sozialen Handlungen wertschätzt (Ariely et al., 2009: 545). Ferner möchte er sich auch selbst bei der Handlung wohl fühlen.

Da davon ausgegangen wird, dass Individuen ex-post nicht genau nachvollziehen können, aus welchen intrinsischen oder extrinsischen Gründen sie eine Handlung begangen haben, dient ihnen ihre Handlung und die angebotene Vergütung als Anhaltspunkt dafür, welche Präferenzen sie tatsächlich besitzen (Bem, 1972: 2). Demnach befinden sich Agenten häufig in der gleichen Situation wie externe Beobachter: verschiedene Faktoren führen letztlich dazu, dass die beobachteten Handlungen darüber Aufschluss geben, welche Motive den Agenten geleitet haben (Bem, 1972: 8). Diese Positionen entstammen der Selbstwahrnehmungstheorie von Bem, die ebenfalls in das Modell von Bénabou und Tirole einfließen.

Das durch die soziale Handlung erzeugte Bild des Agenten kann darüber hinaus einen instrumentellen Charakter besitzen, indem z.B. die Karrierechancen oder die Chancen auf dem Partnermarkt des Agenten erhöht werden (Seabright, 2009: 9). Eine überdurchschnittlich starke Ausprägung der intrinsischen Motivation wird demnach in der Regel vom internen und externen Beobachter positiv bewertet. Umgekehrt will der Agent in den meisten Fällen nicht als geldgierig und geizig dastehen. Eine starke Orientierung an extrinsischen Anreizen , d.h. ein hoher marginaler Nutzengewinn aus einer zusätzlichen Konsumeinheit wird in vielen Kulturen negativ bewertet (Bénabou & Tirole, 2006: 1658).

Die externen und internen Bewertungen der persönlichen Präferenzen des Agenten werden mit den Parametern und wiedergegeben, wobei das Vorzeichen des letzteren meist negativ ist. Je positiver ein bestimmtes altruistisches Verhalten in der Gesellschaft bewertet wird, desto größer ist der Wert . Manche Aktivitäten, wie z.B. eine Organspende, genießen in der Gesellschaft eine höhere Bewunderung als andere, wie z.B. die Mitgliedschaft in einem Golfclub. Des Weiteren ist anzunehmen, dass insbesondere in der kurzen Frist relativ konstante gesellschaftliche und kulturelle Werte in diese Variablen einfließen (Holtbrügge, 2010: 13).

Darüber hinaus ist die Sichtbarkeit der Handlung von großer Bedeutung. Wenn das Engagement öffentlich ist bzw. wenn sich der Agent mit einer hohen Wahrscheinlichkeit in Zukunft an seine Tat erinnern kann, so verstärkt sich die Wirkung der Gewichtungsfaktoren und zusätzlich. Die beschriebenen Reputationseffekte lassen sich formal folgendermaßen darstellen:

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Der Prinzipal und der Agent bilden jeweils Erwartungen hinsichtlich des Agententyps, nachdem sie das endogene Anstrengungsniveau und den extrinsischen Anreiz, der dem Agenten exogen angeboten wird, betrachtet haben. Diese Annahme wird im Modell durch die bedingten Erwartungswerte dargestellt.

Diese Ansicht ist aus der oben formulierten Selbstwahrnehmungstheorie nach Bem abgeleitet. Die Einschätzung des persönlichen Typs ist für den Agenten von Bedeutung, da er bei einer positiven Bewertung seiner intrinsischen Motivation einen zusätzlichen Nutzen aus seiner Handlung in Form einer besseren Reputation (höheres ) erhält. Es gilt zu beachten, dass wenn der Prinzipal bzw. der Agent im Nachhinein nicht in der Lage sind, die soziale Handlung zu beobachten, sie die durchschnittlichen Ausprägungen der Präferenzen in der Bevölkerung als Grundlage für die Bewertung der Handlung des Agenten heranziehen.

Im Gegensatz zu früheren motivationstheoretischen Modellen werden nun nicht nur die intrinsischen und extrinsischen Anreize in der Nutzenfunktion des Agenten berücksichtigt, sondern auch der Einfluss der Reputation. Es gibt empirische Hinweise, die belegen, dass ein extrinsischer Anreiz von Seiten des Prinzipals die intrinsische Motivation des Agenten unterminieren könnte (Frey & Jegen, 2001: 596). Wie dieser Verdrängungseffekt auf die intrinsische bzw. Image Motivation wirken kann wird im Folgenden untersucht.

3. Verhaltensänderung durch extrinsische Anreize

In dem folgenden Kapitel werden zwei verschiedene Erklärungen für den sog. Verdrängungseffekt modelltheoretisch hergeleitet. Während Frey (1997) davon ausgeht, dass ein externer, monetärer Anreiz dazu führen kann, dass die intrinsische Motivation direkt reduziert wird (Gneezy & Rustichini, 2000: 802), formulieren Bénabou und Tirole (2006) ein Modell, in dem eine Verhaltensänderung auch auf einen Rückgang der Image Motivation zurückgeführt werden kann. Beide Ansätze spielen für das Verständnis des Verdrängungseffekts eine zentrale Rolle.

3.1 Verdrängung der intrinsischen Motivation

Eltern, Lehrer, Vorgesetzte, gemeinnützige Organisationen und staatliche Institutionen versuchen durch die Festlegung extrinsischer Anreize das Verhalten von Individuen (Arbeitnehmern, Kindern, etc.) in die von ihnen gewünschte Richtung zu lenken. Vergehen werden bestraft, kooperatives und soziales Verhalten wird in der Regel belohnt. Es wird vermutet, dass der Einsatz dieser Mittel zu einem falschen Zeitpunkt oder unter unpassenden Umständen jedoch dazu führen kann, dass die betreffenden Personen eine Belohnung bzw. eine Strafe anders als intendiert interpretieren und ihre intrinsische Motivation eine Handlung vorzunehmen bzw. zu unterlassen, untergraben wird (Frey, 1997: 7). Die Umweltbedingungen und die inneren, kognitiven Prozesse, die zu einer Verdrängung der intrinsischen Motivation durch extrinsische Anreize führen sollen, werden im Folgenden genauer analysiert. Dabei wird zunächst nicht freiwilliges oder prosoziales Verhalten im Speziellen, sondern die intrinsische Motivation im weiteren Sinne betrachtet.

Aufbauend auf frühen Überlegungen zur Selbstwahrnehmung und Laborexperimenten wurden in der psychologischen Forschung Theorien entwickelt, die sich mit den verborgenen Kosten von Belohnungen auf die intrinsische Motivation auseinandersetzten. Diese werden im folgenden Abschnitt näher untersucht und mit empirischen Ergebnissen abgeglichen. Im Anschluss wird ein Modell formuliert, welches die Vorstellungen über das Zusammenwirken von extrinsischen Anreizen und intrinsischer Motivation darstellt.

3.1.1 Die verborgenen Kosten von Belohnungen

Seit den frühen 1970er Jahren wurden zunächst von Psychologen, später auch von Ökonomen, zahlreiche Feldstudien und (Labor-)Experimente durchgeführt, um zu überprüfen, ob durch die Einführung extrinsischer Anreize die intrinsische Motivation und das Anstrengungsniveau von Menschen beeinträchtigt wird. Deci (1971) beobachtete in einem Experiment mit Psychologiestudenten, dass diejenigen Versuchspersonen, die für das Lösen eines komplexen Puzzles (sog. Soma-Puzzle) finanziell belohnt wurden, ihr zu Beginn vorhandenes intrinsisches Interesse mit der Zeit verloren (Deci, 1971: 110). Aufgrund der relativ kleinen Stichprobe (n= 24) und der fehlenden statistischen Signifikanz der Resultate wurden die Ergebnisse kritisch betrachtet (Cameron & Pierce, 1994: 365), jedoch als erste Hinweise für das Vorhandensein eines Verdrängungseffekts gedeutet. Deci führte die Ergebnisse auf eine veränderte Situationsbewertung zurück, durch die sich die Aktivität von einer unbezahlten, freiwilligen Tätigkeit zu einer vergüteten entwickelte (Deci, 1971: 114).

Seine Erkenntnisse formuliert Deci zu der sog. Cognitive Evaluation Theory. Demnach führen Situationen, in denen die vom Individuum wahrgenommene persönliche Kompetenz und Autonomie eingeschränkt werden, zu einer Verringerung der intrinsischen Motivation (Eisenberger & Cameron, 1996: 1155).

Mark R. Lepper, David Greene und Richard E. Nisbett (1973) untersuchten in einem Feldexperiment mit Kindergartenkindern, wie sich ein anfängliches, intrinsisches Interesse durch die Aussicht auf eine extrinsische Belohnung veränderte. Sie testeten explizit die aus der Selbstwahrnehmungstheorie abgeleitete Korrumpierungshypothese, nach der Individuen ihre intrinsische Motivation abwerten, sobald für ihre Handlung sichtbare extrinsische Anreize angeboten werden (Lepper et al., 1973: 130). Diese Abwertung wird damit erklärt, dass die Individuen bei einer rückblickenden Betrachtung ihrer Handlung nicht mehr genau feststellen können, welche Gründe tatsächlich für ihr Verhalten verantwortlich waren. Der Korrumpierungshypothese zu Folge kommen Menschen bei ausreichend großen, äußeren Einflüssen zu der Erkenntnis, dass sie allein durch die extrinsischen Anreize geleitet wurden (Bem, 1972: 39), obwohl ursprünglich intrinsische Motive hätten vorliegen können. Wenn der extrinsische Anreiz dann wieder entfernt werden würde, wäre der ursprüngliche Grund für die Aktivität, das intrinsische Interesse, bereits vollständig korrumpiert, d.h. untergraben worden. Nach Abschluss der rückblickenden Betrachtung entscheidet das Individuum über seine zukünftigen Handlungen. Das Anstrengungsniveau sinkt unter das ursprüngliche Niveau.

Die im Experiment von Lepper et al. (1973) analysierte Aktivität war das Malen mit speziellen bunten Stiften. Kinder, die ohne jeglichen äußeren Einfluss anfingen, mit den Stiften zu malen, wurden als Versuchsteilnehmer identifiziert. Bei ihnen wurde vermutet, dass sie über ein intrinsisches Interesse an der Handlung verfügten (Lepper et al., 1973: 132). Übertragen auf die bisherigen Überlegungen zur intrinsischen Motivation kann die Ausprägung des anfänglichen Interesses mit der Variable umschrieben werden. Es muss kritisch angemerkt werden, dass nicht die intrinsische Motivation in solchen Experimenten direkt gemessen wurde, sondern die vermutlich durch sie ausgelöste Verhaltensänderung.

Nach dieser Identifikationsphase wurden die Kinder für die folgenden Beobachtungsphasen per Zufall drei verschiedenen Versuchsgruppen zugeordnet: Kindern, die in die erste Gruppe kamen, wurde für das Malen eines Bildes eine Belohnung in Aussicht gestellt[3]. Die zweite Gruppe von Kindern erhielt unerwartet die gleiche Belohnung, während die dritte Gruppe als Kontrollgruppe genutzt wurde, der keine Anreize und Belohnungen angeboten wurden. Nach 1-2 Wochen wurde die Aktivität den Kindern wieder angeboten. Die Veränderung der intrinsischen Motivation wurde anhand der Reaktion der Kinder auf die wieder angebotenen Buntstifte gemessen. Dieser dreigliedrige Versuchsaufbau[4] wurde häufig in solchen Experimenten verwendet.

Die Autoren stellten, wie von ihnen prognostiziert, fest, dass die Kinder, die sich in der ersten Versuchsgruppe befanden, in der letzten Beobachtungsphase weniger Zeit mit Malen verbrachten. Die Kinder in der zweiten und dritten Gruppe zeigten hingegen ein unverändert hohes Interesse. Darüber hinaus stellte eine Jury fest, dass die Qualität des Gemalten in der ersten Gruppe schlechter war, während bei den anderen beiden Gruppen Quantität und Qualität des Gemalten unverändert blieben (Lepper et al., 1973: 135).

In diesen statistisch signifikanten Ergebnissen sahen die Autoren einen Hinweis für die negative Wirkung von (erwarteten) Belohnungen auf die intrinsische Motivation von Individuen (Lepper et al., 1973: 135). Sie warnten jedoch nachdrücklich vor einer Verallgemeinerung ihrer Ergebnisse: Das Experiment diente der Illustration des bis dahin lediglich vermuteten Korrumpierungseffekts. Eine generelle Aussage, dass Belohnungen stets zu einer Verringerung der intrinsischen Motivation führten, ließe sich nicht aus den Ergebnissen des Experiments ableiten (Lepper et al., 1973: 136). Der Korrumpierungseffekt als eine mögliche Ursache für den Verdrängungseffekt konnte hingegen genauer beschrieben werden.

Als Reaktion auf diese ersten Experimente beschäftigte sich eine Vielzahl von Studien mit dem Nachweis und der Messung des Verdrängungseffekts. Insbesondere die Unterschiede bei der Konzeptionierung der Experimente und bei der Messung der intrinsischen Motivation, sowie der extrinsischen Anreize, führten dazu, dass eine Prognose der Wirkungsrichtung nicht eindeutig war. Abhängig von der Belohnungsart und dem Versuchsaufbau konnten sowohl positive Effekte, z.B. bei mündlichem Lob als auch negative Auswirkungen von Anreizen beobachtet werden (Cameron & Eisenberger, 1996: 1154). Meta-Analysen, die mithilfe statistischer Methoden die Ergebnisse verschiedener Studien zusammenfassen[5], sind in ihren Interpretationen der Forschungsergebnisse ebenfalls nicht konsistent. Während Cameron und Eisenberger wenige Anhaltspunkte dafür finden, dass Belohnungen das intrinsische Interesse negativ beeinflussen (Cameron & Eisenberger, 1996: 1162), unterstützt die Mehrheit der durchgeführten Meta-Analysen die Position, dass unter bestimmten Umständen die Verwendung materieller Anreize einen negativen Einfluss auf die intrinsische Motivation von Individuen haben kann (Frey & Jegen, 2001: 597).

Es gilt zu beachten, dass der Großteil dieser Studien im Bildungs- und Erziehungsbereich durchgeführt wurden. Aus personalökonomischer Sicht ist es jedoch wichtig, zu verstehen, ob die im Berufsalltag häufig verwendeten monetären Anreiz­mechanis­men[6] die tatsächlich intendierte Wirkung entfalten. In diesem Bereich fehlten jedoch lange Zeit beweiskräftige, empirische Hinweise für den Verdrängungseffekt (Prendergast, 1999: 18). Bei leistungsabhängigen Löhnen ist die Vergütung implizit an das Anstrengungsniveau des Agenten gebunden. Je mehr sich ein Individuum anstrengt, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit, dass seine Arbeitsleistung den Anforderungen des Unternehmens entspricht, und desto höher fällt seine Entlohnung aus.

Edward P. Lazear (2000) zeigte anhand eines umfangreichen Datensatzes, dass die Einführung von leistungsabhängigen (Stück-)Löhnen die Produktivität von Arbeitern im Durchschnitt um 44% steigerte (Lazear, 2000: 1353). Unter Verwendung von arbeiterspezifischen Dummy-Variablen wurde die pure Anreizwirkung variabler Vergütung , ausgelöst durch die Umstellung auf den Akkordlohn, deutlich: Um 22% stieg die Anzahl der installierten Autoscheiben (Lazear, 2000: 1353). Aus diesen statistisch signifikanten Ergebnissen schloss Lazear, dass Arbeiter, genau wie von den Standardmodellen der Volkswirtschaftslehre prognostiziert, auf Leistungsanreize mit einer Verhaltensänderung reagieren.

Monetäre Anreize erfüllen demnach ihren intendierten Zweck: Sie steigern im Durchschnitt das Anstrengungsniveau der Arbeiter. Die oben aufgeführten Verhaltenshypothesen von Deci (1971) und Lepper et al. (1973), wonach extrinsische Anreize das Anstrengungsniveau senken könnten, betrachtet Lazear damit als widerlegt (Lazear, 2000: 1347).

Frey und Jegen (2001) kritisieren Lazears Feststellung scharf. Sie argumentieren, dass Lazear in seinen Daten deshalb keinen Verdrängungseffekt feststellen konnte, weil es bei der betrachteten Tätigkeit, dem Einsetzen von Windschutzscheiben, von Anfang an keine bedeutende intrinsische Motivation gegeben hat, die durch den Einsatz extrinsischer Anreize hätte verdrängt werden können (Frey & Jegen, 2001: 596).

Es zeigt sich, dass die Ergebnisse und Theorien hinsichtlich der Auswirkung von extrinsischen Anreizen auf die intrinsische Motivation zu keinen allgemeingültigen Verhaltensprognosen führen. Daher ist nicht die Frage, ob der Verdrängungseffekt stets auftaucht von Interesse, sondern die Umstände, unter denen der Effekt auftritt, müssen näher analysiert werden (Frey, 1997: 16). Um die Verhaltensänderung besser zu verstehen, unterteilt Frey (1997) die Wirkung extrinsischer Anreize in einen Preis- und einen Verdrängungseffekt. Die Darstellung dieser beiden häufig entgegengesetzten Effekte soll im Folgenden näher analysiert werden, da sie für die Entscheidung soziales Verhalten auszuüben von Bedeutung ist.

[...]


[1] Wenn jeder Agent den gleichen Beitrag leistet, ist .

[2] Engl.: „warm glow“.

[3] Die Kinder erhielten einen „Good Player Award“ (Lepper et al., 1973: 133), ein Blatt Papier mit goldenen Buchstaben bedruckt, welches als Auszeichnung diente.

[4] Identifikation, Einführung des Anreizes, und Beobachtung des Verhaltens nach Entfernung des Anreizes.

[5] So untersuchten Deci, Koestner und Ryan (1999) für den Zeitraum von 1971 bis 1991 128 Studien mit Hilfe einer Meta-Analyse.

[6] In Form von Boni, Stücklöhnen, etc.

Details

Seiten
Erscheinungsform
Erstausgabe
Erscheinungsjahr
2012
ISBN (PDF)
9783955498245
ISBN (Paperback)
9783955493240
Dateigröße
329 KB
Sprache
Deutsch
Institution / Hochschule
Universität zu Köln
Erscheinungsdatum
2015 (Februar)
Schlagworte
Image Motivation Signalling Korrumpierungseffekt Preis- und Verdrängungseffekt Bedingte Erwartungsfunktion

Autor

Sergej Heinrich wurde im Jahre 1986 in Moskau geboren. Von 2006 bis 2012 studierte er Volkswirtschaftslehre (Diplom) und absolvierte zusätzlich den CEMS Master in International Management sowie ein Auslandssemester in St. Petersburg. Seine Studien- und Interessenschwerpunkte lagen dabei im Bereich der Verhaltensökonomie, der Arbeitsmarktökonomie und der Personalwirtschaftslehre.
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