Die Europäische Sicherheitsstrategie der Europäischen Union und die National Security Strategy der Vereinigten Staaten von Amerika - eine Analyse der Sicherheitsstrategien
Welche Entwicklungen, Unterschiede und Gemeinsamkeiten zeigen beide Sicherheitsstrategien im analytischen Vergleich?
Zusammenfassung
Zentrale These der Arbeit ist, dass es gravierende Unterschiede und wenig Gemeinsamkeiten der Strategiepapiere gibt, da Interessen und Mittel zur Umsetzung der jeweiligen Strategien elementar voneinander abweichen.
Neben der Darstellung der beiden Strategien werden Überblicke und Definitionen zur Thematik gegeben sowie ein Exkurs zur praktischen Umsetzung in militärischen- und sicherheitspolitischen Engagements. Weiterhin beinhaltet die Arbeit eine Reihe von Primär- und Sekundärquellen, die zur weiteren Beschäftigung der Thematik vertieft werden können.
Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
Kapitel II: Einsatz für die Menschenrechte
Die USA setzen sich für die Verteidigung von Freiheit und Gerechtigkeit der Menschenrechte ein und verurteilen Menschenrechtsverletzungen. Entwicklungshilfe seitens der USA soll dabei die Staaten belohnen, die demokratische Wege einschlagen und für die Förderung der Freiheit verwendet werden.[1]
Kapitel III: Bündnisse gegen den globalen Terrorismus stärken und Angriffe auf die Vereinigten Staaten und ihre Freunde verhindern
Bereits der erste Absatz macht den Inhalt des Kapitels sehr deutlich:
„The United States of America is fighting a war against terrorists of global reach. The enemy is not a single political regime or person or religion or ideology. The enemy is terrorism- premeditated, politically motivated violence perpetrated against innocents.“[2]
Folgend wird ausführlich geschildert, wie und mit welchen Mitteln der globale Terrorismus bekämpft werden soll. Als ein Beispiel wird Afghanistan angeführt, woran erkennbar wäre, wie zivilisierte Nationen gegen Regime vorgingen, die den Terrorismus unterstützen.
Bei den Maßnahmen stellen die USA heraus, dass Bedrohungen ausgemacht und ausgeschaltet werden, bevor sie ihre Grenzen erreichen, da die Verteidigung der USA, der Schutz des amerikanischen Volkes und nationale Interessen im Vordergrund stehen. Dabei werden sich die USA ständig um die Unterstützung der internationalen Organisationen bemühen, werden aber auch nicht zögern zu handeln, wenn es notwendig werden sollte, von ihrem Recht auf Selbstverteidigung Gebrauch zu machen, indem sie präemptiv gegen solche Terroristen vorgehen.[3]
Die USA will hierfür einen „war of ideas to win the battle against international terrorism“ [4] führen, welcher mit dem Einsatz von eigenen Mitteln und Institutionen, sowie der Zusammenarbeit von Verbündeten und Freunden geführt werden soll. Der Terrorismus soll im selben Licht wie Sklaverei, Piraterie oder Völkermord gesehen werden und keinerlei Unterstützung erhalten. Dieser globalen Bedrohung kann des weiteren nur mit Hilfe von Verbündeten und Freunden entgegen gewirkt werden.[5]
Eine weitere Erkenntnis in diesem Zusammenhang ist die Aussage: „our best defense is a good offense“[6], wonach zukünftig gehandelt werden soll.
Kapitel IV: Entschärfung regionaler Konflikte in Zusammenarbeit mit Partnern
In diesem Abschnitt werden diverse regionale Konflikte der Welt benannt und gleichzeitig bewertet. Allen voran steht der israelisch-arabische Konflikt, woran die USA ein großes Interesse zur friedlichen Konfliktbeilegung haben. Indien und Pakistan werden aufgerufen, ihre Auseinandersetzungen beizulegen. Thematisiert werden weiterhin Afrika und Südamerika.[7]
Kapitel V: Der Bedrohung der USA, ihrer Bündnispartner und Freunde durch MVW vorbeugen
Einleitend wird analysiert, dass sich die Bedrohungslage und die Art der Bedrohungen nach dem Ende des kalten Krieges gewandelt haben. Neue tödliche Gefahren würden demnach nun von Schurkenstaaten und Terroristen („rogue states and terrorists“) [8] ausgehen, welche nach MVW streben und unberechenbar seien, wodurch das Sicherheitsumfeld komplexer und gefährlicher geworden ist. Im Zuge der Definition von Schurkenstaaten werden der Irak, Iran und Nordkorea namentlich als solche kategorisiert.[9]
Auch in diesem Zusammenhang werden präemptive Mittel zum Schutz in Betracht gezogen:
„We must be prepared to stop rogue states and their terrorist clients before they are able to threaten or use weapons of mass destruction against the United States and our allies and friends.“[10]
Im Gegenzug müsse sich das Völkerrecht dahingehend ändern, als dass das Konzept der unmittelbaren Bedrohung an die Fähigkeiten und Ziele der heutigen Gegner angepasst wird.
Die USA werden gegebenenfalls präemptiv handeln, um dargestellte feindliche Akte ihrer Gegner zu vereiteln oder ihnen vorzubeugen. Trotzdem halten sie fest: „The United States will not use force in all cases to preempt emerging threats, nor should nations use preemption as a pretext for aggression.“ [11]
Kapitel VI: Freie Märkte und freier Handel- Einleitung einer neuen Ära globalen Wirtschaftswachstums
Die USA will sich für eine starke Weltwirtschaft und den Wohlstand in der restlichen Welt einsetzen. Starke Wirtschaften seien allerdings nur mit der freien Marktwirtschaft möglich. Durch eine stabile Weltwirtschaft würde sich auch die nationale Sicherheit der USA erhöhen.[12]
Kapitel VII: Ausweitung des Entwicklungsprozesses durch Öffnung von Gesellschaften und den Aufbau demokratischer Strukturen
Im Kern steht die Erkenntnis, dass jahrelange Entwicklungshilfe den ärmsten Ländern der Welt nicht zu einem Wirtschaftswachstum verholfen hat. Dies sei vor allem damit verbunden, dass die politischen Rahmenbedingungen für einen Aufbau nicht vorhanden sind. Daher möchten die USA künftig dort mehr Engagement und Hilfe leisten, wo Regierungen tatsächliche politische Richtungsänderungen vorgenommen haben. Ziel ist es, das BIP der Volkswirtschaften der ärmsten Länder der Welt innerhalb von zehn Jahren zu verdoppeln.[13]
Kapitel VIII: Entwicklung von Agenden für die Zusammenarbeit mit anderen wichtigen Hauptzentren der Welt
In diesem Abschnitt äußert sich die Strategie zu den weiteren Machtzentren der Welt. Zunächst wendet sie sich der NATO zu, welche nach 9/11 erstmals den Bündnisfall ausrief. Es wird darauf hingewiesen, dass sich die NATO den kommenden, veränderten Bedrohungsszenarien anpassen und beispielsweise schneller und flexibler werden muss. Gleichzeitig begrüßen die USA die Bemühungen der Europäischen Union, eine größere außen- und sicherheitspolitische Identität aufzubauen, welche mit der NATO zusammen funktionieren soll.[14]
Weiterhin sehen die USA die Möglichkeit einer erneuten Großmachtrivalität mit den potenziellen Großmächten Russland, Indien und China. Trotzdem wurden in allen drei Fällen in der letzten Zeit die Hoffnungen bestärkt, einen Konsens über grundlegende Prinzipien zu finden.[15]
Kapitel IX: Transformation amerikanischer nationaler Sicherheitsinstitutionen, um Herausforderungen zu meistern und Möglichkeiten zu nutzen
Das schließende Kapitel beschäftigt sich mit den eigenen Institutionen und Instrumenten. Dabei wird dem Militär eine besondere Aufmerksamkeit gewidmet:
„It is time to reaffirm the essential role of American military strength.“[16]
Dem folgt eine Beschreibung von Aufgaben und Zielen des Militärs, aber auch der Nachrichtendienste. Eine weitere wichtige Aussage bezieht sich auf den Internationalen Strafgerichtshof (ICC):
„We will take the actions necessary to ensure that our efforts to meet our global security commitments and protect Americans are not impaired by the potential for investigations, inquiry, or prosecution by the International Criminal Court (ICC), whose jurisdiction does not extend to Americans and which we do not accept.“[17]
Somit entziehen die USA sich und ihre Bürger der Rechtsprechung des ICC.
2.5. Der Irakkrieg von 2003
Wie in Kapitel V der NSS 2002 ausdrücklich erwähnt, sind sogenannte Schurkenstaaten, welche nach MVW streben, mit allen Mitteln auch präventiv zu bekämpfen. Der Irak wurde in diesem Zusammenhang als Primärziel kategorisiert, da die Gefahr durch MVW und die Verbindung zur Terrororganisation Al Quaida als sehr besorgniserregend zu bezeichnen seien.[18]
Am 5. Februar 2003 trat der damalige US-Außenminister Colin Powell vor den UN- Sicherheitsrat und plädierte vor diesem dafür, Saddam Hussein zu stürzen, da sich der Irak im Besitz von MWV befinden würde.[19] Grundlage seien Geheimdienstinformationen, welche dies belegen würden.
Da im UN-Sicherheitsrat keine Resolution für einen Militärangriff entstand,[20] verkündete George W. Bush den Irak auch ohne Legitimierung des UN-Sicherheitsrates anzugreifen und stellte Saddam Hussein ein Ultimatum, das Land binnen 48 Stunden zu verlassen.[21] Nachdem Hussein diesem Ultimatum nicht nachgekommen war, griff die USA mit einer Koalition der Willigen, worunter auch europäische Verbündete, wie Großbritannien oder Spanien teilnahmen, den Irak ohne UN- Mandat an. Bereits am 20. Mai 2003, sprich zwei Monate später, erklärt Bush die Kampfhandlungen für beendet.[22]
Die USA machten somit bereits wenige Monate nach der Veröffentlichung ihrer NSS und dem darin selbst verliehenen Recht der preemptive self-defense Gebrauch ohne eine Legitimation durch die UN bzw. den Sicherheitsrat.
Dieses Vorgehen wurde weltweit und auch von den europäischen Verbündeten zum Teil scharf verurteilt, wodurch auch die transatlantischen Beziehungen mit der Europäischen Union gestört wurden,[23] wie im weiteren Verlauf der Arbeit zu erkennen sein wird.
2.6. Die National Security Strategy von 2006
Am 17. März 2006 veröffentlichte das Weiße Haus die NSS der zweiten Amtsperiode von Präsident George W. Bush.[24] Sein Vorwort beginnt mit den Worten „America is at war“ [25] und bezieht dies auf den stattfindenden Krieg gegen den Terror, welcher in Afghanistan und dem Irak geführt wird.
Die Gliederung und Abfolge sowie die Kapitel der Nachfolgestrategie wurden exakt aus der NSS von 2002 übernommen. Auch inhaltlich sowie rhetorisch finden sich kaum Unterschiede.[26] Als eine Neuerung ist allerdings ein Sachkapitel zu Chancen und Herausforderungen der Globalisierung zu erkennen. Das Weiße Haus bekräftigt in der NSS 2006, die USA würden sich gegenüber der Bedrohung durch MVW die Option militärischer Präventivschläge in Ausübung ihres Selbstverteidigungsrechts offen halten.[27]
Der heftigen Kritik der europäischen Verbündeten am Konzept der präventiven Schutzmaßnahmen kommt die NSS 2006 allenfalls mit dem vorsichtigen Bekenntnis zum Vorrang der nichtmilitärischen- vor der militärischen Gefahrenprävention entgegen.[28]
Ebenfalls ist zu erkennen, dass die Bush-Administration nach den Unstimmigkeiten des Irak- Krieges in der zweiten Amtsperiode vermehrt auf Diplomatie setzt, bzw. setzen möchte.[29] Es wird wieder auf eine konstruktivere Beziehung zu den europäischen und asiatischen Alliierten gesetzt.[30]
Trotzdem unterscheidet sich die NSS von 2006 in ihrer offensiven sicherheitsstrategischen Ausrichtung nicht von der Vorgängerstrategie.[31]
2.7. Zusammenfassung der Bush- Doktrin der NSS 2002 und 2006
Wie eindeutig zu erkennen ist, waren die Terroranschläge von 9/11 ein entscheidender Einflussfaktor für die nachfolgenden Sicherheitsstrategien. Die Ereignisse verursachten ebenfalls ein Umdenken in der öffentlichen Debatte.[32] Dies ermöglichte einen radikalen Wandel in der Außen- und Sicherheitspolitik hin zu einem neokonservativen Paradigma. Bereits seit Beginn der 1990er Jahre wurde von den Neokonservativen die Inanspruchnahme eines Rechts auf preemtive self- defence verlangt.[33] Besonders deutlich wurde dies nach den Terrorakten auf das World Trade Center 1993 und Oklahoma City 1995:
„But if we wait for such a terrorist strike before we plan in earnest for society´s protection, the result will be a response forged in fear and anger.“ [34]
Vor 9/11 war die Beachtung diese Thematik, sowie die des Terrorismus von der Bush-Administration begrenzt.[35] Dies änderte sich mit den Geschehnissen von 9/11, wodurch das Sicherheitsbedürfnis der USA enorm anwuchs.[36] Um diesem gestiegenen Sicherheitsbedürfnis gerecht zu werden, wurden die dargestellten Strategien formuliert.
Im Kern identifiziert Martin Kunde drei Handlungsmaximen dieser Bush- Doktrin:
1. Die Festigung und dauerhafte Wahrung der überlegenen Machtposition der USA. Allein die unangefochtene Vormachtstellung der USA könne die internationale Ordnung und die internationale Sicherheit gewährleisten. Als potenzielle Großmachtrivalen identifiziert die NSS 2002 Russland, China und Indien;
2. die Betonung der strategischen Unabhängigkeit der USA als außenpolitische Maxime;
3. die Doktrin des Präventivschlages, die sich gegen Terroristen und nach Massenvernichtungswaffen strebende Schurkenstaaten richtet.[37]
Die USA geht in ihrer Strategie von dem moralischen Anspruch aus, das Richtige zu tun und rechtfertigt die Anwendung jeglicher Mittel unilateral, präemptiv und präventiv.[38] Dabei ist die begriffliche Trennung von präemptiv und präventiv unscharf formuliert. So wird von einem präemptiven Angriff gesprochen, wenn ein gegnerischer Militärschlag unmittelbar und für alle Akteure offensichtlich bevor steht, während präventive Kriegshandlungen hingegen allein auf der Annahme beruhen, dass in naher Zukunft mit einem gegnerischen Angriff zu rechnen ist.[39]
Jene Präventivkriege, sprich ein Angriff auf Verdacht, werden durch die NSS 2002 ausdrücklich befürwortet. Dadurch kann Souveränität von Staaten seitens der USA suspendiert werden, wenn diese beispielsweise mit MVW die amerikanische Sicherheit bedrohen könnten.[40]
Die Bush-Doktrin in Gestalt der NSS 2002 und 2006 bildete die formale Legitimation für das neue Selbstverständnis der US-Außenpolitik und flankiert zugleich in konsequenter Weise mit der Option des Präventivkrieges, den Anspruch der US-Hegemonialposition im internationalen System. Sie beanspruchen unbegrenzte Handlungs- und Entscheidungsfreiheit, die sich vor allem auf ihre absolute militärische Überlegenheit gründet.[41]
Somit wurde auch der durchgeführte Präventivschlag der USA gegen den Irak ohne UN-Mandat legitimiert, um im Rahmen des primären Zieles der Terrorabwehr und gegen die Erlangung von MVW seitens der deklarierten Schurkenstaaten zu agieren.
Das am meisten diskutierte Element der Bush-Doktrin ist das letztgenannte mit der Legitimation des Präventivkrieges.[42]
Wie bereits oben beschrieben, wurde dieser Diskurs auch innerhalb der EU geführt.
Nach den unipolaren und unilateralen Identifizierungen der Bush-Administration[43], erwartete man nun die Sicherheitsstrategie von Präsident Barack Obama.
2.8. Die National Security Strategy von 2010
Bereits während seiner Wahlkampagne zu den Präsidentschaftswahlen im November 2008 betonte Obama, dass er mit den Elementen seines Vorgängers und der damit verbundenen Sprache des „war on terror“ brechen will.[44] Und tatsächlich findet sich, wie im Folgenden zu erkennen sein wird, allein diese Bezeichnung nicht.
Am 30. Januar 2009 trat Barack Obama sein Amt als US-Präsident an, doch erst über ein Jahr später, am 27. Mai 2010 legte seine Regierung die neue NSS vor.
Das Dokument umfasst 52 Seiten und ist in vier Kapitel mit mehreren Unterkapiteln sowie einem Vorwort des Präsidenten gegliedert. Im Folgenden soll allerdings nicht wie bei der oben dargestellten NSS von 2002 eine Beschreibung der einzelnen Kapitel erfolgen. Zur besseren Übersicht werden die wichtigsten Themenkomplexe dargestellt, da sich zu diesen an verschiedenen Stellen diverse Aussagen finden lassen.
Bereits im Vorwort wird deutlich, dass Obama eine Zeit des Umbruchs für die USA und die Welt identifiziert, die maßgeblich durch die Globalisierung getragen wird, welche Chancen beinhaltet sowie Gefahren, beispielsweise durch den Terrorismus, erhöht. Rückblickend erkennt er an, dass sich die USA seit zehn Jahren im Krieg gegen ein network of violence befindet und bei der Zerschlagung der Al-Quaida wiederum der Fokus zukünftig auf Afghanistan gelegt werden muss.[45]
Um bestehende und kommende Bedrohungen von den USA, ihren Verbündeten und Partnern abzuwenden, ist ein Stützpfeiler für die globale Sicherheit das Militär: „we will maintain the military superiority that has secured our country, and underpinned global security, for decades.“ [46]
Die Geschehnisse der Vergangenheit haben nach Obamas Einschätzung gezeigt, dass den globalen Herausforderungen nur mit vereinten Kräften in Form von Bündnissen entgegengetreten werden kann. Daher ist es das Bestreben der USA, an der Stärkung der Bündnisse unermüdlich zu arbeiten.
Globale Bedrohungen:
Als schwerwiegendste Bedrohung der amerikanischen Sicherheit wird in der NSS 2010 die Verbreitung von Massenvernichtungswaffen, insbesondere von Nuklearwaffen, identifiziert:
„And there is no greater threat to the American people than weapons of mass destruction, particularly the danger posed by the pursuit of nuclear weapons by violent extremists and their proliferation to additional states.“[47]
Diese Bedrohung wird, wie hier erkennbar ist, in Verbindung mit dem Terrorismus gesehen. Der Terrorismus wird im III. Kapitel mit dem Titel Advancing our Interests als Bedrohung erkannt, jedoch in direktem Zusammenhang mit dem Netzwerke der Al Quaida gestellt:
„We are at war with a specific network, al-Qa´ida, and its terrorists affiliates who support efforts to attack the United States, our allies and partners.“[48]
Bezogen auf das Engagement in Afghanistan werden im III. Kapitel sogar konkrete Maßnahmen zur Lösung der Bedrohungen in drei Schritten genannt. So soll das Militär die Aufständischen bekämpfen, die Vereinten Nationen und andere Partner für die Schaffung einer effektiven Regierungsarbeit sowie für eine verbesserte Beziehung mit Pakistan zur besseren Bekämpfung von extremistischen Kräften sorgen.[49] In diesem Zusammenhang werden gescheiterte und scheiternde Staaten (failed und failing states) als eine globale Bedrohung identifiziert, da hier oftmals die Abwesenheit von Staatlichkeit terroristische Strukturen fördern kann.[50]
Mit dem Unterkapitel Secure Cyberspace verweist die NSS auf mögliche Bedrohungen durch das Internet für die nationale Sicherheit sowie eingeleitete Vorsorge zur Bekämpfung.[51]
Die Interessen der USA, die internationale Ordnung und vernetzte Sicherheit
Am Anfang des III. Kapitels formuliert die NSS vier nationale Sicherheitsinteressen:
1. Die Sicherheit der Vereinigten Staaten, ihrer Bürger, der Verbündeten und Partner der USA;
2. eine starke, innovative, wachsende Wirtschaft in einem offenen internationalen Wirtschaftssystem, welches Chancen und Wohlstand fördert;
3. Respekt für universelle Werte in den USA und überall auf der Welt; sowie
4. eine internationale Ordnung unter der Führung der USA, die Frieden, Sicherheit und Entfaltungsmöglichkeiten fördert, indem sie durch stärkere Kooperation globalen Herausforderungen begegnet.[52]
Unter Berücksichtigung dieser Primärinteressen ist der Gesamtausbau der NSS zu erkennen. Im Rahmen zur Gestaltung der internationalen Ordnung sollen internationale Organisationen, insbesondere die Vereinten Nationen, gestärkt werden:
„Strengthening the legitimacy and authority of international law and institutions, especially the U.N., will require a constant struggle to improve performance.[53]
Ein neues Prinzip ist der vernetzte Ansatz von Sicherheit, wonach verschiedene Ebenen, wie homeland security und national security oder auch verschiedene Maßnahmen, z.B. ziviler und militärischer Art, miteinander kombiniert werden sollen, um den Bedrohungen und Herausforderungen entgegen zu wirken.[54]
Die Regionen der Welt und die Sicht auf Russland
Die NSS befasst sich üblicherweise ebenfalls mit den Regionen der Welt und den Absichten der USA in Bezug auf Kooperation und Konfrontation. So sollen zu den aufstrebenden und bevölkerungsreichen Mächten Indien und China die kooperativen Beziehungen ausgebaut werden, da diese eine wachsende globale Bedeutung erhalten.[55]
Hohe Priorität hat weiterhin der Konflikt zwischen Israel und Palästina, in dem die USA eine Zwei-Staaten-Lösung favorisiert. Mit dem Irak wird eine endgültige Beendigung des Krieges angestrebt.
Bestrebungen gegenüber Nordkorea und dem Iran sind im III. Kapitel zu finden:
„The United States will pursue the denuclearization of the Korean peninsula and work to prevent Iran from developing a nuclear weapon.“[56]
Zu Russland wird unverändert ein stabiles, substantielles, multidimensionales Verhältnis angestrebt, das auf gemeinsamen Interessen beruht. Auch im Kampf gegen den Terrorismus in Afghanistan soll mit Russland kooperiert werden.[57]
Beziehungen zu Europa, NATO und den Verbündeten
Zu Europa, bzw. der Europäischen Union äußert sich die NSS folgendermaßen:
„Europe is now more united, free, and at peace than ever before. The European Union has deepened its integration.“[58]
Inwiefern die USA mit der EU kooperieren wollen, wird im Verlauf der NSS deutlich, indem sie sogar von einem „Grundpfeiler“ des Engagements sprechen:
„Our relationship with our European allies remains the cornerstone for U.S. engagement with the world, and a catalyst for international action.“[59]
Ebenfalls wird deutlich, dass sich die USA eine weitere Integration der EU wünscht: „Building on European aspirations for greater integration, we are committed to partnering with a stronger European Union to advance our shared goals, especially in promoting democracy and prosperity in Eastern European countries that are still completing their democratic transition and in responding to pressing issues of mutual concern.“ [60]
Die NATO bleibt für die USA herausragendes Instrument der sicherheitspolitischen Zusammenarbeit.[61] Sie ist in der Lage, die Herausforderungen des 21. Jahrhunderts anzugehen.[62]
Machtelemente der USA
Bereits im Vorwort von Präsident Obama wird deutlich, welchen Selbstanspruch bzw. Selbstverständnis die USA vorweisen:
„Indeed, no nation should be better positioned to lead in an era of globalization than America.“[63] Bei der Betrachtung der gesamten Strategie sind derartige Grundannahmen elementar.
Ein traditionell bekanntes Machtinstrument der USA ist ihre Verpflichtung, sich für Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechte einzusetzen. Obama macht allerdings auch deutlich, dass die USA keiner Nation ihr System aufdrängen wollen.[64]
Wie bereits oben benannt, ist das Militär der Grundpfeiler für die nationale Sicherheit.
In diesem Zusammenhang ist eine aus den vorherigen Strategien bekannte amerikanische Formel auch in der NSS 2010 wieder zu finden:
„The United States must reserve the right to act unilaterally if necessary to defend our nation and our interests, yet we will also seek to adhere to standards that govern the use of force.“[65]
Hier wird wiederum deutlich, dass die USA keine Kompromisse bei einer Gefahr für ihre nationale Sicherheit zulassen werden.
2.9. Zusammenfassung der National Security Strategy 2010 - Gemeinsamkeiten und Unterschiede zu den Vorgängerstrategien der Jahre 2002 und 2006
Die NSS 2010 setzt grundsätzlich das Verständnis und Engagement der USA, wie bereits erläutert, als Weltmacht fort, jedoch in einer veränderten Welt; einer Welt, die durchaus neue Herausforderungen stellt.[66]
Dieser Kontinuitätslinie folgen weitere Elemente. So bleibt, wie dargestellt, die unangefochtene Vormachtstellung des Militärs bestehen, wodurch die Unipolarität im Bereich der hard power gewahrt wird.
Auch Obama behält sich, wie zuletzt beschrieben, das Recht vor, diese Vormachtstellung auch gegebenenfalls unilateral ohne Abstimmungen mit Verbündeten oder anderen Akteuren (u.a. auch den Vereinten Nationen) einzusetzen. Auch den international diskutierten Präventivkriegen wird keine Absage erteilt.[67]
Die Verbreitung von Demokratie ist ebenfalls wieder als ein strategisches Ziel als „Promote Democracy and Human Rights Abroad“,[68] in die NSS 2010 aufgenommen worden.
Die transatlantischen Beziehungen sind für Obama von übergeordneter Bedeutung für die Außen- und Sicherheitspolitik der USA. Zwar wurden diese bereits von seinem Vorgänger ähnlich bewertet, doch in der Umsetzung weniger gefördert. Die NSS 2010 artikuliert dies glaubwürdiger.
Unterschiede zwischen den Sicherheitsstrategien zeigen sich ebenfalls in entscheidenden Punkten. So wird deutlich, dass nun nicht mehr der Terrorismus die mit Abstand absolute Hauptbedrohung ist, sondern vielmehr die Verbreitung von Massenvernichtungswaffen an extremistische Akteure was die nationale Sicherheit der USA bedroht. Trotzdem wird der Terrorismus eindeutig als eine Hauptbedrohung, auch im Zusammenhang mit MVW genannt.
Auch in den Begrifflichkeiten der Strategien zeigen sich Unterschiede sowie in Sprache und Stil. Der von Bush propagierte war against terrorism wird in der NSS 2010 nicht weiter verwendet. Der 2006 noch benannte Islamic radicalism wird in Verbindung mit Terrorismus nicht genannt. 2010 wird in diesem Zusammenhang sogar von einem homegrown terrorism gesprochen, welcher als eine Bedrohung anerkannt wird.[69] Auch der Begriff der Schurkenstaaten wurde nicht weiter benannt.
Obama benennt einige direkte Vorhaben, welche künftig auch offensichtlich erkennbar sein werden. Die Beendigung des Krieges im Irak wurde bereits angesprochen. Außerdem soll das Gefängnis von Guantanamo geschlossen werden.[70]
Die NSS zeigt ein breiteres Verständnis von Sicherheit auf. So erkennt sie die wirtschaftliche Stärke Amerikas als Fundament von nationaler Stärke und Sicherheit deutlicher, als die NSS 2002 und 2006.[71]
Die internationale Ordnung des 21. Jahrhunderts soll tragfähiger werden durch stärkere zwischenstaatliche Kooperation und modernisierte internationale Organisationen. Auffällig sind die Aussagen zur Stärkung der Vereinten Nationen, da in der Vergangenheit eine besonders kritische Haltung gegenüber dieser Organisation eingenommen wurde.[72] Wie oben beschrieben, wird auch die EU als Akteur für Kooperation erkannt und benannt. Der ICC wird allerdings weiterhin keine Geltung für die USA und seine Bürger besitzen.[73]
Wie dargestellt, wird die Führungsrolle der USA, welche sich auf militärische Macht, wirtschaftliche Konkurrenzfähigkeit, moralische Werte und globales Engagement stützt, keineswegs in Abrede gestellt. Allerdings will Obama eine bessere, kooperativere internationale Ordnung einbringen.[74]
Abschließend lässt sich in den Strategien beider Präsidenten feststellen, dass die gesetzlichen Vorgaben des Paragraphen 404a inhaltlich eingehalten wurden, jedoch die zeitliche Auflage von 150 Tagen vom Amtsantritt bis zur Erscheinung der jeweiligen NSS nicht eingehalten wurde, was jeweils mit verschiedenen, erschwerenden Umständen gerechtfertigt wurde.
Dieser erste Abschnitt stellte den Entstehungsrahmen der US-amerikanischen NSS, sowie die letzten Ausgaben in ihren Kernaussagen dar. Im nächsten Abschnitt wird die ESS sowie der gefolgte Bericht zur Umsetzung der ESS dargestellt.
[...]
[1] Vgl. ebenda.: 3-4.
[2] Ebenda.: 5.
[3] Vgl. ebenda.: 5-6.
[4] Ebenda.: 6.
[5] Vgl. ebenda.: 5ff.
[6] Ebenda.: 6.
[7] Vgl. ebenda.: 9-11.
[8] Vgl. ebenda.: S.13 Anmerkung: Der Begriff des Schurkenstaates oder rogue state wurde medial oft der Administration von George W. Bush zugeschrieben. Tatsächlich wurde der Begriff des rougue states bereits in der Regierung Clintons in seiner NSS aus dem Jahre 1998 verwendet. Siehe dazu NSS 1998 unter: http://www.au.af.mil/au/awc/awcgate/nss/nssr-1098.pdf: 6.
[9] Vgl. ebenda.: 13.
[10] Ebenda.: 14.
[11] Ebenda.: 15.
[12] Vgl. ebenda.: 17-20.
[13] Vgl. ebenda.: 21-23.
[14] Vgl. ebenda.: 25-26.
[15] Vgl. ebenda.: 26-27.
[16] Vgl. ebenda.: 29.
[17] Ebenda.: 31.
[18] Vgl. Wille 2006: 32.
[19] Vgl. http://www.ag-friedensforschung.de/regionen/Irak/powell3.html
[20] Vgl. Staack/Voigt 2004: 12.
[21] Vgl. http://www.ag-friedensforschung.de/regionen/Irak/ultimatum.html
[22] Vgl. http://www.sueddeutsche.de/politik/bush-als-praesident-kleiner-aussenpolitischer-rueckblick-1.930262
[23] Vgl. Vasconcelos 2008: 3.
[24] Vgl. Kunde 2006: 190.
[25] Vgl. NSS 2006: http://www.ag-friedensforschung.de/regionen/USA/nss2006.pdf, ohne Seitenangabe.
[26] Vgl. Hainz 2009: 43.
[27] Vgl. Kunde 2006: 215.
[28] Vgl. ebenda.: 191.
[29] Vgl. Keller/Mitchell 2006: 260.
[30] Vgl. Hutchings 2009: 109.
[31] Vgl. Hainz 2009: 57.
[32] Vgl. Goodnight 2006: 93.
[33] Vgl. Kunde 2006: 191.
[34] Carter/Perry 1999: 174.
[35] Vgl. Friedman 2009: 220.
[36] Vgl. Wortmann 2003: 23.
[37] Vgl. Kunde 2006: 176.
[38] Vgl. Hainz 2009: 57.
[39] Vgl. Wille 2006: 31.
[40] Vgl. Staack 2003: 9.
[41] Vgl. Wille 2006: 107.
[42] Vgl. Gärtner 2010, 21.
[43] Vgl. ebenda., 145.
[44] Vgl. Martin/Kaldor 2010: 2.
[45] Vgl. NSS 2010: Vorwort des Präsidenten, ohne Seitenangabe.
[46] Ebenda.: ohne Seitenangabe.
[47] NSS 2010: 4.
[48] Ebenda.: 20.
[49] Vgl. NSS 2010: 21 und Reschke 2010: 37 .
[50] Vgl. NSS 2010: 8.
[51] Vgl. ebenda.: 27.
[52] Vgl. ebenda.: 17 und Keller 2010: 3.
[53] NSS 2010: 13.
[54] Vgl. Reschke 2010: 38.
[55] Vgl. NSS 2010: 8.
[56] Ebenda.: 23.
[57] Vgl. Reschke 2010: 38.
[58] NSS 2010: 8.
[59] Ebenda.: 41.
[60] Ebenda.: 42.
[61] Vgl. Reschke 2010: 38.
[62] NSS 2010: 41/42.
[63] Ebenda.: Vorwort des Präsidenten, keine Seitenangabe.
[64] Vgl. Reschke 2010: 39.
[65] NSS 2010: 22.
[66] Vgl. Reschke 2010: 39.
[67] Vgl. Keller 2010: 4.
[68] Vgl. NSS 2010: 37.
[69] Vgl. Keller 2010: 4.
[70] Vgl. NSS 2010: 22.
[71] Vgl. Keller 2010: 4.
[72] Vgl. Reschke 2010: 39.
[73] Vgl. NSS 2010: 48.
[74] Vgl. Reschke 2010: 39.
Details
- Seiten
- Erscheinungsform
- Erstausgabe
- Erscheinungsjahr
- 2011
- ISBN (PDF)
- 9783955498153
- ISBN (Paperback)
- 9783955493158
- Dateigröße
- 387 KB
- Sprache
- Deutsch
- Institution / Hochschule
- Helmut-Schmidt-Universität - Universität der Bundeswehr Hamburg
- Erscheinungsdatum
- 2015 (Februar)
- Note
- 2,3
- Schlagworte
- ESVP GASP Außenpolitik Sicherheitspolitik Bush-Doktrin 11. September Barack Obama