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Facebook Revolutions? Social Media und der politische Wandel in Ägypten

©2013 Bachelorarbeit 42 Seiten

Zusammenfassung

Auf dem Tahrir-Platz in Kairo geschieht im Januar 2011 etwas, mit dem die Welt nicht gerechnet hatte: Nach 30 Jahren der Diktatur unter Husni Mubarak steht das ägyptische Volk auf und fordert seine Rechte ein. Was kurz zuvor in Tunesien geschah, steht nun auch dem Regime am Nil bevor, viele weitere arabische Staaten werden ihrem Beispiel folgen.
Ausgerüstet mit Facebookprofil und Twitteraccount können sich die Akteure nicht nur untereinander vernetzen, sondern erreichen so auch den Rest der Welt, da reguläre Nachrichtenkanäle und Kommunikationsmöglichkeiten von Zensur geprägt und nur schwer zugänglich sind. Doch reicht das schon aus, um von einer Facebook Revolution zu sprechen?
Das Ziel dieser Arbeit ist es, anhand des Beispiels Ägypten zu untersuchen, welche Rolle soziale Medien und neue Kommunikationsformen bei den Umbrüchen in der arabischen Welt spielen.

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


1.2 Medien(r)evolution in Ägypten

Die Bedeutung von sozialen Medien während der arabischen Revolution kann nicht in einem Vakuum betrachtet werden. Ein Überblick über die Entwicklung und die Bedeutung der Medienlandschaft in Ägypten und in der arabischen Welt ist zunächst notwendig, um auch den Einfluss sozialer Medien während des Transformationsprozesses, der 2011 begann, zu verstehen.

Vor der Revolution von 1952 war Ägypten eine Monarchie, die noch immer die Folgen der britischen und französischen Besatzung zu spüren hatte. Dieser Hintergrund ist wichtig, die Medienlandschaft war dadurch geprägt von Berichten, die immer wieder das Ottomanische Regime und ausländische Besatzung im Allgemeinen thematisierten. Nicht selten waren dabei auch politische Debatten über Kolonialisierung und Nationalgefühl von großer Bedeutung.[1] Auf der anderen Seite war die Medienlandschaft geprägt von einer Vielfalt an Schriftstellern und Veröffentlichungen, die sich mit Literatur, Poesie und Kultur befassten. Zeitungen, Zeitungen, Radio und Magazine waren vielfältig und nicht nur sehr politisch orientiert, sondern konnten auch eine breite Leserschaft an sich binden.[2] Mit der Revolution von 1952, die Ägypten in eine Republik verwandelte, änderte sich jedoch auch die Medienlandschaft drastisch. Viele unabhängige Medien verschwanden aus der Öffentlichkeit, die Übrigen kamen unter staatliche Kontrolle. Paradoxerweise führte die Unabhängigkeit Ägypten von seinen Besatzern nicht zu einer freieren und unabhängigeren Medienlandschaft, vielmehr war diese von nun an von starker Zensur und staatlicher Kontrolle geprägt, unter der auch nun immer mehr Journalisten und Reporter mit Geld- oder Haftstrafen in ihre Schranken gewiesen wurden.[3] Besonders Präsident Nasser hatte während seiner Regierungszeit ein strenges Auge auf die Zeitungen und Journalisten im Land, die er wahrscheinlich ganz bewusst einschränkte, um politische Ideologien vor ihrer Verbreitung zu bewahren, die nicht mit der Führung des Landes konform waren.

Indem die Presselandschaft in ihrer Vielseitigkeit und vor allem in ihrer Unabhängigkeit stark eingeschränkt wurde, konnte die Propaganda der Regierung unter Nasser beinahe ohne Konkurrenz verbreitet werden.[4]

Unter seinem Nachfolger Sadat hat das System mehrfach einen Wandel durchgemacht, und auch wenn er der Presse mehr Freiheiten eingeräumt hat, als sein Vorgänger, nahm die staatliche Regulierung doch immer noch verstärkt Einfluss auf die Medien und ihre journalistischen Freiheiten.[5]

Mit der Machtübernahme von Husni Mubarak im Jahr 1981 änderte sich auch daran nicht viel. Die unterschiedlichen Parteien, die nun ihre eigenen Zeitungen herausgeben konnten, standen einer Bevölkerung gegenüber, die zu großen Teilen aus Analphabeten bestand, und auch die Erlaubnis einer eigenen Zeitung macht im Angesicht der generellen Abwesenheit von Demokratie und Meinungsfreiheit im Land nur wenig Mut. Dazu kommt, dass die ägyptische Bevölkerung ohnehin wenig Vertrauen in seine politischen Vertreter hatte, und deren journalistische Veröffentlichungen daher ohnehin oft wenig Ansehen erhielten. Diejenigen, die ohne Anbindung an politische Parteien veröffentlichen wollten, waren zudem der ständigen Gefahr ausgesetzt, inhaftiert, bestraft oder gar gefoltert zu werden, sollte ihre Meinung nicht der Ideologie des Staates entsprechen.[6]

Unter der Herrschaft von Mubarak hat sich dennoch einiges getan in der Medienwelt Ägyptens. Die Verbreitung des Satellitenfernsehens und der Zugang zum Internet leiteten eine neue Ära ein, die den Journalismus nachhaltig veränderte, eine Entwicklung, die auch Mubaraks strenges Regime nicht aufhalten konnte. Das staatliche Fernsehen hatte nun einen Konkurrenten, der nicht so einfach zensiert und reguliert werden konnte und seinen Zuschauern ein breiteres Bild über politische, soziale und kulturelle Gegebenheiten in anderen Teilen der Welt bieten konnte.

Außerdem ist anzunehmen, dass durch die Verbreitung von Satellitenfernsehen nun auch für die großen Teile der analphabetischen Bevölkerung die Möglichkeit bestand, sich über das Weltgeschehen aus verschiedenen Quellen zu informieren.[7] 28% der erwachsenen Bevölkerung sind auch im Jahr 2010 noch Analphabeten[8], das Aneignen von Informationen über Quellen wie das Fernsehen, sind also für einen großen Teil der Ägypter nach wie vor von Bedeutung.

Im Oktober 1993 kam es zur zweiten großen Veränderung, der Einführung des Internets in Ägypten.[9] Von Mubarak selbst kommt der Aufruf, die technischen Möglichkeiten zu nutzen, die seinen Bürgern nun offen stehen. Internetverbindungen werden im ganzen Land eingerichtet, Internetcafés finden sich schnell in jeder Stadt. Von diesen Modernisierungsmaßnahmen erhoffte Mubarak sich letztendlich, das Interesse ausländischer Investoren auf sich zu ziehen und Ägyptens Wirtschaft voran zu treiben. Aus diesem Grund wurde das Internet in Ägypten, im Gegensatz zu anderen arabischen Staaten wie dem Iran oder Saudi-Arabien daher auch nicht zensiert und kaum Inhalte blockiert. So konnten sich schon früh Bewegungen und Gruppen online zusammenfinden um sich über Ungerechtigkeiten im Land auszutauschen, die später vielleicht die Basis bildeten für die Proteste von 2011.[10]

Blogs, Kommunikationsplattformen und online Informationsdienste ermöglichen es den Menschen nun, sich miteinander, auch über regionale Grenzen hinweg, zu vernetzen und politische und soziale Ideen auszutauschen und große Menschengruppen zu erreichen und zu mobilisieren.

Durch die Anonymität, die das Internet seinen Nutzern bietet, ermöglicht es besonders den Menschen in diktatorischen Staaten, ihrer Meinung zu ökonomischen, sozialen und politischen Missständen Ausdruck zu verleihen, ohne die Sanktionen des Regimes fürchten zu müssen, würden sie ihre oppositionelle Meinung auf der Straße kundtun.

Auch die Gründung des Nachrichtensenders Al Jazeera im Jahr 1996 eröffnete neue Möglichkeiten der Informationsbeschaffung, die sich den Zensuren der Regierung entgegenstellten. Der Nachrichtensender gehört dem Regierungshaus von Katar an, und auch wenn von vielen Seiten angenommen wird, dass es auch als Werkzeug der Außenpolitik des Emirats eingesetzt wird, so muss doch gesagt werden, dass sich durch Al Jazeera die Medienlandschaft im Nahen Osten doch stark gewandelt hat. In Talkshows und Interviews verschiedener politischer Anhänger wurden unterschiedliche Meinungen publik gemacht und öffentlich diskutiert, während bis dato die Gesprächsthemen und Gäste im staatlichen Fernsehen stark reglementiert und zensiert wurden. Al Jazeera bot den Menschen erstmals auch die Möglichkeit, sich über Telefonanrufe an der Sendung zu beteiligen, indem einige Formate eine Hotline zur Verfügung stellten, in der das Publikum seine Meinung öffentlich vertreten konnte, und Viele machten davon Gebrauch.[11]

1.3 Shabab Al-Facebook – Bild einer Generation

Viele verschiedene soziale und politischer Gruppen sowie Menschen aller Altersklassen waren an den Umbrüchen in Ägypten auf vielfältige Art beteiligt, die Jugendgeneration als alleinige Verantwortliche herauszuheben, wäre deswegen unangebracht und würde die Situation unvollständig darstellen. Doch im Fall der Umbrüche in Ägypten, das Durchschnittsalter bei 24 Jahren liegt, lohnt es sich, diese Gruppe näher zu analysieren und so nicht nur deren Rolle während der Revolution besser zu verstehen, sondern die Umstände im Ganzen, die letztendlich dazu geführt haben, dass ein Diktator nach über 30-jähriger Regierungszeit innerhalb weniger Tage gestürzt werden konnte.

Die Generation, die mit Satellitenfernsehen und dem Internet aufgewachsen ist, die Smartphones und Blackberrys besitzt und sich auf Facebook und Twitter vernetzt, ist die, die jetzt, am Vorabend der Umbrüche in Ägypten und der arabischen Welt in den Startlöchern steht.

Im Gegensatz zu Generationen vor ihnen sind die meisten von ihnen gut ausgebildet, können lesen und schreiben (was zuvor noch nicht selbstverständlich war) und können sich neben Arabisch auch immer mehr auf Englisch oder Französisch verständigen und internationale Nachrichtensender verstehen.

Im Unterschied zu den meisten anderen Gebieten der Welt, ist in Ägypten die Jugendarbeitslosigkeit unter denen mit guter Ausbildung am höchsten. Im Jahr 2008 lag der Anteil derjenigen, die einen Universitätsabschluss besitzen, bei über 50%, während von ihren Altersgenossen, die nur ein elementares Bildungsniveau erreicht haben, nur weniger als 10% arbeitslos waren. Diese Statistiken sind üblich für Länder, in denen das Bildungssystem nicht an den lokalen Arbeitsmarkt angepasst ist. Umfragen unter Arbeitgebern in Ägypten und anderen arabischen Ländern haben gezeigt, dass das Wissen und die Fertigkeiten, die in den Schulen vermittelt werden, nur wenig oder gar keinen Bezug hat, zu dem, was auf dem Arbeitsmarkt gefragt ist.[12] Diese Umstände waren wahrscheinlich auch eine Ursache für die Unzufriedenheit und den Wunsch nach Reformen in Ägypten.

Im Jahrzehnt vor der Revolution formierten sich in Ägypten einige Bewegungen, die mehrheitlich von der Jugend des Landes initiiert wurden. Diese Jugendbewegungen machten es möglich, Schwächen zu überwinden, mit denen früherer Bewegungen zu kämpfen hatten. Sie waren die erste Generation, die durch den technischen Fortschritt ihrer Zeit, in der Lage war, über geographische und ideologische Grenzen hinweg verschiedene Gruppen zu erreichen und in einen Dialog mit einzubeziehen, um gemeinsame Ziele zu identifizieren und zu erreichen. Schließlich waren sie auch so in der Lage, eine Verbindung herzustellen zwischen den politischen und sozialen Bewegungen und Protesten, die es zuvor schon in Ägypten gab, die jedoch untereinander keine oder wenig Kontakt und Austausch hatten. Besonders in den Jahren ab 2004 werden auch zunehmend mehr Jugendbewegungen gegründet, darunter die Kefaya (arab. Genug) Bewegung und ihre Untergruppe Youth for Change, die sich später auch den Protesten 2011 anschließen werden.

Das Ziel der Bewegungen ist es, die bisher niedrige politische Beteiligung der Jugend zu erhöhen. Eine Reihe friedlicher Proteste fiel zwar in der Anzahl der Teilnehmer eher gering aus, doch die Aufmerksamkeit nationaler und internationaler Berichterstatter war dennoch vergleichsweise hoch. In den folgenden Jahren schlossen Jugendbewegungen wie Kefaya sich vermehrt mit Arbeiterbewegungen zusammen, um gemeinsam soziale und politische Ziele zu verfolgen. Im Jahr 2007 gründeten die Mitglieder von Youth for Change die Tadamon Bewegung (arab. Solidarität), die die Ziele und Erfahrungen der Jugend und der Arbeiter zusammenbringen sollte. 2008 spaltete sich ein Teil der Gruppe ab, um die radikalere Bewegung Jugend des 6. April zu gründen. Ende des Jahres 2010 gab es in Ägypten eine Vielzahl jugendlicher Protestbewegungen, auch die Facebookseite „Wir alle sind Khaled Said“, die gemeinsam mit der Jugend des 6.April viele Menschen mobilisierte, um im Namen des jungen Khaled Said gegen Polizeigewalt zu protestieren. Was diese Bewegungen von ihren Vorgängern unterscheidet, ist die Gegebenheit, dass ihre Mitglieder und Aktivisten mehrheitlich nicht in bestehenden politischen oder sozialen Bewegungen aktiv waren, die Proteste spielten sich außerhalb etablierter Gruppierungen, wie zum Beispiel der Muslimbruderschaft ab, mit denen sich einige der neuen, jungen Aktivisten nicht unbedingt identifizieren konnten. Auch die zunehmende Entfernung vom Campus war prägend für diese neuen Bewegungen, bis in die 1990er spielte sich jugendlicher Aktivismus fast ausschließlich im Rahmen der Universität ab, doch bedingt durch starke Einschränkungen der Regierung wurde dieser Aktivismus stark eingegrenzt. Eine weitere Unterscheidung zu bestehenden Bewegungen war die fehlende konkrete Ideologie, auf die sie sich berufen, beziehungsweise deren Vielfalt. Ein gemeinsames Grundverständnis von Demokratie, Meinungsfreiheit und sozialer Gerechtigkeit verband die Aktivisten, doch eine konkrete politische Linie war kein wesentlicher Beweggrund.[13] Vielleicht war auch das ein Grund, warum die Proteste während der 18 Tage seit dem 25. Januar 2011, die Mubarak zu Fall brachten, von vielen unterschiedlichen Akteuren geprägt waren, die zuvor verschiedenen oder gar keinen Bewegungen angehörten, sich nun aber doch für die gemeinsame Sache einzusetzen bereit waren, auch über soziale oder politische Grenzen hinweg.

2. Ägypten steht auf

2.1 #Jan25 und danach - 18 Tage bis zum Fall Mubaraks

Das folgende Kapitel soll einen Überblick über die Ereignisse, die sich während der letzten 18 Tage des Mubarak Regimes zugetragen haben verschaffen. Die Informationen berufen sich zum Teil auf Zeugenaussagen und Berichten aus sozialen Medien und Menschenrechtsorganisationen, genaue Zahlen und Daten liegen nicht in jedem Fall vor, ergeben sich jedoch aus Augenzeugenberichten und Ton- und Videoaufnahmen.

Ägyptens Nationalfeiertag am 25. Januar, dem Nationalen Tag der Polizei, wurde nach der Revolution von 1952 ins Leben gerufen, um an die Polizisten zu erinnern, die währenddessen ihr Leben gelassen hatten. Die Protestteilnehmer haben sich für diesen Tag entschieden, um ihrem Unmut über das ägyptische Regime Luft zu machen, viele von ihnen sehen die Polizisten als Symbol dafür an, was für die Missstände im Land verantwortlich ist: Unterdrückung, ungerechtfertigte Inhaftierungen, Korruption, Folter. Am „Tag der Wut“, wie die Demonstranten den Tag genannt haben, gehen Tausende in Kairo auf die Straße um für Reformen zu demonstrieren, der Protestzug endet auf dem Tahrir-Platz, Kairos größtem zentralen Platz. Viele von ihnen haben sich über den Hashtag #Jan25 organisiert und so ihre Mitmenschen zum Protest aufgerufen. Die Polizei setzt Tränengas und Wasserwerfer ein, um die Demonstranten, die keine Waffen tragen, in Schach zu halten. Auch von Protesten in anderen Teilen des Landes wird berichtet. Das Innenministerium beschuldigt die Muslimbruderschaft, für den Prozess verantwortlich zu sein, diese verneint den Vorwurf. Am nächsten Tag gehen die Proteste weiter und fordern erste Verletzte. Ein Sprecher der US Regierung fordert die ägyptische Regierung auf, die Rechte des Volkes anzuerkennen. Am Tag danach werden mehrere Hundert Protestanten inhaftiert, ein 17-jähriger Ägypter wird zum ersten Todesopfer, er stirbt an einer Schusswunde, der Schütze ist unbekannt.

Die Plattformen Twitter und Facebook werden zeitweise blockiert, Ägyptens Innenminister warnt die Demonstranten vor „entschiedenen Maßnahmen“ sollten die Proteste nicht enden.

Suez meldet weitere Todesopfer, in Kairo gibt es über 1000 Verletzte bei Zusammenstößen zwischen Demonstranten und der Polizei. Militärtruppen rücken in mehreren Großstädten an, um die Lage zu überwachen.

Am 29. Januar erklärt Mubarak, der Regierungsstab werde abgesetzt, er selbst wird jedoch nicht zurücktreten, sein Aufenthaltsort ist unbekannt. Zum ersten Mal in seiner 30-jährigen Amtszeit ernennt er einen Vizepräsidenten: Omar Suleiman, der ehemalige Spionagechef und ein enger Vertrauter Mubaraks.

Am 31. Januar finden sich 250,000 Demonstranten auf dem Tahrir-Platz ein und ignorieren die staatlich auferlegte Ausgangssperre. Der neue Vizepräsident Suleiman kündigt einen Dialog mit der Opposition an. Die Europäische Union fordert freie Wahlen für Ägypten. Währenddessen ernennt Mubarak ein neues Kabinett und entlässt 6 Al Jazeera Journalisten in Kairo aus der Haft. Al Jazeera meldet ungewöhnliche Sendeprobleme.

Am nächsten Morgen kündigt Mubarak an, er werde sich nicht zur Wiederwahl aufstellen lassen, jedoch auch nicht zurücktreten, was die Hauptforderung der Demonstranten ist. Die Zahl der Menschen, die in Kairo auf die Straße gehen, soll die Millionenmarke überschritten haben.

Am 2. Februar wird die Internetverbindung wieder hergestellt, nach dem die letzten 5 Tage das Netz blockiert war. Reuters meldet drei Todesopfer bei den Protesten auf dem Tahrir-Platz, dazu kommen Tausende Verletzte. Nach tagelangen weiteren Protesten wird Wael Ghonim aus der Haft entlassen, für viele wird er später zum Symbol der Revolution werden.

10. Februar. Mubarak tritt erneut in die Öffentlichkeit und teilt mit, er werde sich nicht zur Wiederwahl aufstellen lassen, und sei an einer friedlichen Transformation bei den kommenden Wahlen interessiert. Er wiederholt, er werde nicht zurücktreten. Bereits am Tag danach, am 11. Februar, verkündet Mubarak jedoch seinen Rücktritt und die Übergabe aller Handlungsmacht an das Militär. Kurz danach räumen die Demonstranten den Tahrir-Platz, der Straßenverkehr wird wieder wenige Tage später aufgenommen.[14]

2.2 Soziale Medien als Werkzeug der Bewegung

„Most of the time, authority belongs to the owners of information (…)”[15]

Autorität gehört dem, der Informationen besitzt, schreibt Wael Ghonim. Staatlich kontrollierte Medien sorgen dafür, dass der Staat entscheidet, welche Informationen er weitergibt, und welche besser nicht. Doch die sich immer weiter entwickelnde Technik und die damit verändernde Medienlandschaft macht es dem Staat zunehmend schwerer, das Monopol auf Informationen aufrecht zu erhalten. Soziale Medien ermöglichen jedem mit den technischen Mindestvoraussetzungen, sich am Dialog zu beteiligen und Informationen zu konsumieren, weiterzugeben und selbst zu schaffen. Soziale Plattformen, in Fall von Wael Ghonim vor allem Facebook, diente in diesem Zusammenhang als Infrastruktur, um Ereignisse zu mobilisieren und damit eine große Masse zu erreichen.[16]

Einige ägyptische Aktivisten nutzten soziale Medien nicht nur, um Informationen einer breiten Maße zur Verfügung zu stellen und Proteste zu organisieren. Als Raum, der Möglichkeit des freien Ausdrucks bietet in einer Gesellschaft, die stark von Zensur geprägt ist, waren das Austauschen von Meinungen und der Dialog mit Anderen für viele der Anstoß, sich an den Protesten zu beteiligen.[17] Die Orte, die während der Umbrüche am meisten Aufmerksamkeit erfahren haben, wie die Facebookseite „Wir alle sind Khaled Said“ und die 6. April Bewegung, dienten nicht nur als Treffpunkt, um Teilnehmer zu mobilisieren. Darüber hinaus wurden sie auch zur Plattform für Meinungsausdrücke in Form von geposteten Fotos, SMS, Tweets und Videos[18], die Interaktion der Mitglieder war so viel höher als bei einem Portal, das lediglich neue Termine zu Protesten bekannt gibt und keinen Dialog zulässt.

Was den vorhergehenden Protesten und Bewegungen fehlte, war unter anderem eine Möglichkeit, in kurzer Zeit eine große Anzahl an Menschen zu erreichen um Aktionen und Demonstrationen organisieren und planen zu können. Das bekannteste Beispiel dafür, wie soziale Medien diese Lücke schließen können, ist wohl die Facebookseite[19] „Wir alle sind Khaled Said“, die der Google Mitarbeiter Wael Ghonim geschaffen hatte, um den Menschen eine Plattform zu bieten, den Tod des jungen Ägypters Khaled Said zu betrauern und an ihn zu erinnern. Der junge Mann starb am 06. Juni 2011 nach einem gewaltsamen Übergriff zweier Polizisten in der Nähe von Alexandria, die in auf offener Straße so schwer misshandelten, dass er kurze Zeit später seinen Verletzungen erlegen ist.[20] Die offizielle Erklärung für den Tod des 28-jährigen war das Ersticken an einem Päckchen Marihuana, das er durch Herunterschlucken vor der Polizei verstecken wollte. Bereits am ersten Tag traten 36,000 Menschen der Seite bei[21], die Geschichte von Said und die Fotos seiner Familie, die den schwer verletzten Said nach seinen Misshandlungen zeigen, zogen die Aufmerksamkeit vieler Ägypter auf sich und wurden vor allem im Netz schnell verbreitet. Ghonim hatte den Plan, mit seiner Facebookseite die Menschen zu mobilisieren und seinen Protest zu unterstützen:

„ The first phase was to convince people to join the page and read its posts. The second was to convince them to start interacting with the content by ‘liking’ and ‘commenting’ on it. The third was to get them to participate in the page’s online campaigns and to contribute to its content themselves. The fourth and final phase would occur when people decided to take the activism onto the street. This was my ultimate aspiration.” [22]

Ghonims erklärtes Ziel war es, die Menschen in den Dialog mit einzubinden, indem er ihnen auf der Facebookseite Raum für Kommentare, Fotos und Ideen gab, in einer Umgebung, die anonymer und damit für viele sicherer war, als es die Straßen von Kairo waren.

Der Administrator der Facebookseite hielt seine Mitglieder dazu an, den Fall Khaled Said in Talkshows und Zeitungen öffentlich zu machen, Zeitungen der Opposition fingen an, von dem Vorfall zu berichten. Am 15. Juni wurde die Nachricht bekannt, eine zweite Autopsie solle an Said durchgeführt werden, um die Todesumstände zu erklären (die erste Autopsie blieb ohne Ergebnis), was von Ghonim und seinen Anhängern als Erfolg gesehen wird.[23] Zur selben Zeit werden auch die ersten offline Aktivitäten auf der Seite geplant und organisiert: ein „Silent Standing“ Protest in Alexandria und Kairo. Die Polizei war vor Ort und hatte Straßen und Plätze abgesperrt, denn auch die Regierung hatte durch die sozialen Medien von der Aktion erfahren. Jede Gruppe von mehr als 3 Leuten wurde von der Polizei sofort auseinandergebracht[24] Reuters berichtet anschließend von 8000 Teilnehmern in Kairo und Alexandria (Ghonim geht von weniger aus), viele schicken Fotos und Videos von ihren Smartphones direkt auf die sozialen Plattformen.[25]

Bis jetzt habe ich Soziale Medien als Werkzeug zur Mobilisierung und als Raum um Meinungen auszudrücken und zu beeinflussen betrachtet, um so ihre Bedeutung für Ägypten vor und während der Proteste näher betrachten und analysieren zu können. Ein wesentlicher weiterer Faktor darf darüber hinaus aber nicht vergessen werden und muss auch erwähnt werden: das Satellitenfernsehen, im Speziellen der arabische Nachrichtensender Al Jazeera, der diese beiden Aspekte miteinander verbindet und so einen relevanten Einfluss genommen hat (und nimmt) auf die Ereignisse in Ägypten und der arabischen Welt.

„When the Al-Jazeera office in Cairo was attacked, when its reporters were arrested and abused and press cards revoked, and the reporting on the ground made immensely difficult, it had to rely on Facebook, YouTube and local bloggers. And Al-Jazeera could not have aired the Tunisian revolution without taking interactive Internet sources seriously, which added tremendously to reaching the tipping point. “ [26]

Beide Medienformen zusammen, soziale Plattformen und Satellitenfernsehen, waren in der Lage, nicht nur die Aktivisten bei Organisation und Durchführung der Proteste zu unterstützen, sondern darüber hinaus eine breite, auch internationale Öffentlichkeit über die Lage aufzuklären, und das sehr zeitnah oder sogar in Echtzeit. Eine Aktivistin berichtet so in einem Interview, Teilnehmer einer Sitzblockade auf dem Tahrir-Platz waren in der Lage, über Twitter Nachrichten zu schreiben, die internationale Sender aufgriffen und so mit ihnen in Kontakt standen und die Informationen zur aktuellen Lage veröffentlichen konnten, auch als Reporter keinen Zugang zum Feld hatten. Foto- und Videomaterial von der tatsächlichen Lage vor Ort fand so ihren Weg zu BBC oder Al-Jazeera, wo es einem breiten Publikum zugänglich gemacht wurde.[27] Ein Aktivist erzählt:

„We built up a media camp at Tahrir Square. It was two tents, and we were around five or six technical friends with their laptops, memory-readers, hard disks. (…) And we hung a sign (…) on the tent saying: „Focal point to gather videos and pictures from people from the street. “ (…) In the first few hours, I gathered 75 GB of pictures and videos from people in the streets. “ [28]

Auch wenn natürlich die Frage nach Glaubwürdigkeit und Professionalität bei Material privater Natur unwillkürlich aufkommt und seine Berechtigung hat, so muss doch auf jeden Fall gesagt werden, dass der Citizen Journalism es den Menschen, besonders in Gebieten mit zensierten und mehrheitlich staatlichen Medien, ermöglicht, schnell die Aufmerksamkeit des internationalen Publikums auf sich zu ziehen. So kann sich letztlich die Möglichkeit ergeben, auf Missstände und Menschenrechtsverletzungen aufmerksam zu machen und so Hilfe und Unterstützung zu bekommen.

Eine Besonderheit muss noch erwähnt werden, was die Verwendung von Twitter angeht. Zusätzlich zu den Statistiken[29], die zeigen, wie vergleichsweise gering der Anteil an Twitternutzern in Ägypten ohnehin ist, muss noch beachtet werden, das Twitter, im Gegensatz zu Facebook und anderen Plattformen nicht oder nur eingeschränkt auf Arabisch bedient werden kann.

Der Hashtag # mit dem bei Twitter Schlüsselwörter gesucht und verwendet werden können, findet sich auf einer rein arabischen Tastatur nicht zwingend, und auch die wichtigsten Trendbegriffe während der Revolution, #25Jan oder #Tahrir waren meist englischsprachigen Tweets zugeordnet. Daraus lässt sich schließen, dass Twitter vermehrt eingesetzt wurde, um das internationale Publikum zu informieren, und nicht, wie Facebook, um ägyptische Aktivisten zu erreichen und zu mobilisieren.[30]

[...]


[1] Khamis, Sahar: The Transformative Egyptian Media Landscape: Changes, Challenges and Comparative Perspectives. In: Journal of Communications (5/2011). Seite 1f.

[2] Ebd. Seite 2f.

[3] Ebd. Seite 2f.

[4] Boyd, Douglas (1982): Broadcasting in the Arab World: A Survey of the Electronic Media in the Middle East. Iowa 1999. S. 15f.

[5] Ebd. S.16.

[6] Khamis (2011). S. 2ff.

[7] Sakr, Naomi: Satelitte Realms: Transnational television, globalization and the Middle East. London 2001. S. 3ff.

[8] CIA: The World Factbook 2010. Letzter Zugriff 22.01.2013. https://www.cia.gov/library/publications/the-world-factbook/geos/eg.html

[9] Khamis (2011). S. 3ff.

[10] Nordhausen, Frank: Die Sieger des Tahrir-Platzes. S.40ff. In: Nordhausen, Frank; Schmidt, Thomas (Hg.): Die arabische Revolution. Berlin 2011. S. 39-66.

[11] Noueihed, Lin; Warren, Alex: The Battle for the Arab Spring. Revolution, Counter-Revolution and the Making of a new Era. London 2012. S. 49ff.

[12] Drine, Imed (2012): Youth Unemployment in the Arab World. World Institute for Development. http://www.wider.unu.edu/publications/newsletter/articles-2012/en_GB/06-07-2012-Drine/ Letzter Zugriff: 30.01.2013.

[13] Noueihed (2012). S.50f.

[14] Al Jazeera Network: Timeline of Egypts Revolution. Letzter Zugriff: 24.01.2013.

http://www.aljazeera.com/news/middleeast/2011/01/201112515334871490.html

[15] Zitat von Wael Ghonim. In: Ghonim. Wael: Revolution 2.0. Kindle eBook 2012. 7% (keine Seitenangabe).

[16] Storck, Madeleine: The Role of Social Media in Political Mobilization: a Case Study of the January 2011 Egyptian Uprising. Schottland 2011.

[17] Aouragh, Miryam, Alexander, Anne: The Egyptian Experience: Sense and Nonsense of the Internet Revolution. In: International Journal of Communication 5/2011. S. 1347ff.

[18] Ebd. S. 1349.

[19] http://www.facebook.com/ElShaheeed (Arabisch). Letzter Zugriff am 22.01.2013.

[20] NATO Review 2011: Letzter Zugriff am 22.01.2013.

http://www.nato.int/docu/review/2011/Social_Medias/Egypt_Facebook/EN/index.htm

[21] Ghonim, Wael: Revolution 2.0. Kindle eBook 2012. 18% (keine Seitenangabe).

[22] Ebd. 19% (keine Seitenangabe).

[23] Ebd. 20%

[24] Ebd. 22%

[25] Ebd. 23%

[26] Aouragh (2011). S. 1351.

[27] Ebd. S. 1351f.

[28] Ebd. S. 1352.

[29] Arab Social Media Report. Overview. http://interactiveme.com/index.php/2011/06/twitter-usage-in-the-mena-middle-east/ Letzter Zugriff: 29.01.2012.

[30] Gerbaudo (2012). Zitiert nach Wilson und Dunn (2011: 1271).

Details

Seiten
Erscheinungsform
Erstausgabe
Jahr
2013
ISBN (PDF)
9783955498290
ISBN (Paperback)
9783955493295
Dateigröße
185 KB
Sprache
Deutsch
Institution / Hochschule
Philipps-Universität Marburg
Erscheinungsdatum
2013 (Juli)
Schlagworte
Arabischer Frühling Arabische Revolution Twitter Medienethnologie soziale Bewegung

Autor

Katrin Hillenbrand wurde 1985 in Heidelberg geboren. Sie hat vergleichende Kultur- und Religionswissenschaft in Marburg und Guadalajara/Mexiko studiert und schloss dieses Studium 2013 mit dem Schwerpunkt Kultur- und Sozialanthropologie erfolgreich ab. Nach einigen Auslandsaufenthalten in Lateinamerika, Asien und der arabischen Welt hat sie sich dazu entschlossen, ihre Abschlussarbeit Ägypten und dem arabischen Frühling zu widmen. Die Autorin lebt zurzeit in Frankfurt am Main.
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