Lade Inhalt...

Ursachen der geringen Wahlbeteiligung bei Landtagswahlen in Brandenburg

©2012 Bachelorarbeit 43 Seiten

Zusammenfassung

Im Gegensatz zur Stabilisierung der Wahlbeteiligung bei Bundestagswahlen im Zeitraum von 1990 bis 2005, stieg die Wahlenthaltung bei Landtagswahlen in derselben Periode nahezu allen Bundesländern drastisch an. Lag die Wahlbeteiligung bei Landtagswahlen in der Wahlperiode von 1990 bis 1992 durchschnittlich noch bei über 70%, so sank diese innerhalb von 20 Jahren auf durchschnittlich 60% in der Wahlperiode von 2007 bis 2011. Wenngleich auch die Westdeutschen Bundesländer herbe Verluste bei der Wahlbeteiligung einstecken mussten, ist das Bild in den neuen Bundesländern noch erschreckender. Die fünf Länder verzeichnen Beteiligungsraten von oftmals lediglich knapp über 50% der Wahlberechtigten. Bei der Landtagswahl 2006 in Sachsen-Anhalt wurde selbst diese ohnehin schon niedrige Rate noch um fünf Prozentpunkte unterboten und markiert damit einen traurigen Rekord. Alleinig das Bundesland Brandenburg konnte bei der letzten Landtagswahl im Jahr 2009 zu den Beteiligungsraten der alten Bundesländer aufschließen und zwei Drittel der Wahlberechtigten zur Stimmabgabe bewegen. Dies ist jedoch auf den Einmaleffekt der zeitgleich stattfindenden Bundestagswahl zurückzuführen, wie im späteren Verlauf dieser Arbeit aufgezeigt wird.
Da zu vermuten ist, dass die Wahlbereitschaft der Bevölkerung bei der voraussichtlich 2014 stattfindenden Wahl zum sechsten Brandenburger Landtag wieder ein Niveau um 55% erreichen wird, ist es wichtig zu ergründen, welche Faktoren die steigende Wahlenthaltung der Brandenburger bedingen. Diese Arbeit beschäftigt sich daher mit den Ursachen, welche die Höhe der Wahlbeteiligung maßgeblich beeinflussen. Leitend stellt sich hierbei die Forschungsfrage: Durch welche Ursachen sich eine geringe Wahlbeteiligung bei Wahlen zum Brandenburger Landtag im Zeitraum von 2004 bis 2009 erklären lässt?

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


zeitgleich stattfindenden Bundestagswahl zurückzuführen, wie im späteren Verlauf dieser
Arbeit aufgezeigt wird.
Da zu vermuten ist, dass die Wahlbereitschaft der Bevölkerung bei der voraussichtlich 2014
stattfindenden Wahl zum sechsten Brandenburger Landtag wieder ein Niveau um 55%
erreichen wird, ist es wichtig zu ergründen, welche Faktoren die steigende Wahlenthaltung
der Brandenburger bedingen. Diese Arbeit beschäftigt sich daher mit den Ursachen, welche
die Höhe der Wahlbeteiligung maßgeblich beeinflussen. Leitend stellt sich hierbei die
Forschungsfrage: Durch welche Ursachen sich eine geringe Wahlbeteiligung bei Wahlen zum
Brandenburger Landtag im Zeitraum von 2004 bis 2009 erklären lässt?
Der Beantwortung der Forschungsfrage soll wie folgt begegnet werden. Beginnen wird diese
Abhandlung mit einem theoretisch einleitenden Kapitel, in dem zuerst der
Untersuchungsgegenstand und -zeitraum deutlich abgegrenzt werden. Nach einer kurzen
Einführung in den Sachstand der Forschung in Bezug auf das Phänomen ,,Wahlenthaltung",
werden für diese Arbeit notwendige Begriffe und Definitionen erläutert. Weiterhin wird der
grundlegende theoretische Rahmen für die weiteren Ausführungen gelegt und die
einflussausübenden Faktoren auf die Wahlbeteiligung allgemein dargelegt. Nachdem die
theoretische Basis geschaffen ist, wendet sich das nachfolgende Kapitel der Empirie zu.
Hierzu werden die allgemeinen Befunde am Fallbeispiel Brandenburg untersucht. Einleitend
werden für jeden Faktor Arbeitsthesen hinsichtlich der zu erwartenden Befunde erstellt.
Diese Thesen werden nach der Darstellung und Analyse der Datenlage für jedes Merkmal
abschließend bewertet. Nachdem alle Faktoren behandelt worden sind, schließt diese Arbeit
mit einem Fazit. Ziel dieser Arbeit ist es, mögliche einflussnehmende sozio-strukturelle
Faktoren der Wahlbeteiligung bei Landtagswahlen in Brandenburg herauszustellen und diese
zu bewerten. Dahingegen beabsichtigt sie nicht, Aussagen oder Profile des
brandenburgischen Nichtwählers zu erstellen. Da diese Analyse auf Aggregatdaten basiert,
würde dieses Vorgehen auf einen ökologischen Fehlschluss hinauslaufen. Untersucht werden
soll die Wahlbeteiligung bei Landtagswahlen in Brandenburg als abhängige Variable. Die
einzelne Stimme des Wahlberechtigten stellt demnach die unabhängige, die zu erklärenden
Faktoren die intervenierende Variable dar.
4

II. Theoretische Verortung
Eingerahmt ist diese Arbeit von der Wahlforschung als einem Bereich der Vergleichenden
Regierungslehre. Im Zusammenhang mit einer zunehmenden Wahlenthaltung und einem
steigenden Anteil der Nichtwähler stehen die Bereiche Wahlsystemforschung und
Wahlverhaltensforschung. Diese Arbeit beschränkt sich auf die Disziplin der
Wahlverhaltensforschung und deren Gegenstände, sowie der Beschreibung und Erklärung
einer geringen Wahlbeteiligung anhand sozio-struktureller, sozio-politischer und politisch-
institutioneller Merkmale. Wegen der Komplexität des Themas und in Anbetracht des
begrenzten Umfangs dieser Abhandlung, wird sich diese alleinig mit den sozio-strukturellen
Merkmalen, die im anschließenden Abschnitt vorgestellt werden, auseinandersetzen.
Weitere mögliche Erklärungsfaktoren wie politisch-institutionelle Merkmale, welche eine
geringe Wahlbeteiligung anhand des Parteien, Wahl- und Regierungssystem zu erklären
versuchen, werden in dieser Arbeit keine Berücksichtigung finden. Weiterhin keine
Beachtung, aufgrund der in diesem Bereich dünnen Datenlage, finden sozio-politische
Merkmale, welche das Phänomen anhand des Individuums und seiner Eigenschaften sowie
Merkmale zu erfassen versucht. Zentrale Punkte für diesen Ansatz sind zum Beispiel die
Sozialisation durch die Familie, Lebensgewohnheiten, politisches Interesse,
Konfessionszugehörigkeit, politische Zufriedenheit und Vereinsmitgliedschaft.
Einflussnehmende Gründe für eine geringe Wahlbeteiligung sind vielfältig und durch die
Komplexität des Wahlaktes nur schwer empirisch erforschbar. Die wissenschaftliche
Gemeinschaft ist sich jedoch darüber weitgehend einig, dass sozialstrukturelle Merkmale wie
Geschlecht, Alter, sozio-geographischer Faktor, Bildungsgrad, Berufsstatus der
Wahlberechtigten sowie die daraus resultierenden Einkommensverhältnisse als
grundlegende Faktoren mehr oder weniger stark Einfluss auf die Bereitschaft der
Bevölkerung, an Wahlen teilzunehmen, ausüben. Als tiefergreifende Ursachen können
Politik-, Parteien- oder gar Staatsverdrossenheit genannt werden. Ein weiterer Ansatzpunkt
ist die gesunkene Einbindung der Wähler in soziopolitische Milieus sowie Periodeneffekte
wie vorübergehende politische Mobilisierung und politisches Interesse am Wahlvorgang
(Kleinhenz 1995: 127). Desweiteren wird der Wahlakt selbst von der Bevölkerung
zunehmend weniger als zentrale bürgerliche Pflicht angesehen und verliert damit an
Bedeutung (Kleinhenz 1995: 15; Schäfer 2011: 136).
5

a.
Untersuchungsgegenstand und -zeitraum
Als zentraler Gegenstand dieser Untersuchung wurden die Wahlen zum brandenburgischen
Landtag in den Jahren 2004 und 2009 aufgrund der breit zugänglichen Daten ausgewählt.
Die Wahl zum vierten Brandenburger Landtag wurde am 19. September 2004 abgehalten.
Gleichzeitig mit der Bundestagswahl 2009 fanden die Landtagswahlen in Brandenburg und
Schleswig-Holstein am 27. September 2009 statt. Während sich an der Landtagswahl 2004
nur 56,4% der Wahlberechtigten beteiligten, konnte die fünf Jahre später folgende Wahl
deutliche Zuwächse bei der Wahlbeteiligung, nämlich 66,6% verbuchen. Dieser Zuwachs
,,wurde im Wesentlichen durch die gleichzeitig stattfindende Bundestagswahl
hervorgerufen" (Amt für Statistik Berlin-Brandenburg 2009a: 96).
Eine generell steigende Wahlbeteiligung bei Landtagswahlen durch zeitgleich stattfindende
Bundestagswahlen ist weiterhin durch Tabelle 3 zu bestätigen. Betrachtet wurden all die
Jahre in denen mindestens eine Landtagswahl zeitgleich mit der Bundestagswahl abgehalten
wurde. Dies ist 1983, 1990, 1994, 1998, 2002 und 2009 der Fall gewesen. Danach wurde
verglichen, ob Wahlen zu den Landesparlamenten, die vor oder erst nach der
Bundestagswahl stattfanden, eine geringere Wahlbeteiligung als zeitgleiche Wahlen zum
Bundestag- sowie Landtag aufweisen. Abschließend kann, mit drei Ausnahmen bestätigt
werden, dass die Beteiligungsraten an Landtagswahlen, die am selben Tag wie die
Bundestagswahl stattfinden, höher sind als bei Wahlen, die vor oder erst nach der
Bundestagswahl stattfinden. Zudem weisen, in der Landtagswahlperiode von 2003 bis 2006
insgesamt elf Bundesländer eine höhere Wahlbeteiligung als das Bundesland Brandenburg
auf. Erst in der darauffolgenden Wahlperiode von 2007 bis 2011 besaß Brandenburg, bis auf
die Ausnahmen der Landtagswahlen im Saarland und Schleswig-Holstein, eine höhere
Beteiligung als alle anderen Bundesländer.
1
Daher kann von einem Einmaleffekt im Zuge
zeitgleich stattfindender Bundes- und Landtagswahl ausgegangen werden. Sämtliche
verwendeten statistischen Werte beziehen sich auf den Zweitstimmenanteil der Parteien.
b.
Forschungsstand
Während der Nichtwählerforschung in den meisten westlichen Industrienationen im Laufe
der Zeit steigendes Interesse entgegengebracht und sie so zunehmend intensiviert wurde,
1
Verdeutlicht durch Tabelle 4.
6

beschränkt sich die Forschung in Deutschland in Anbetracht der immer noch vergleichsweise
hohen Wahlbeteiligungsquote auf ein Minimum (Schäfer 2011: 135; Schoof 1980: 27). Für
die Bundesrepublik und diese Ausarbeitung sind vor allem die Studien von Ralf-Rainer Lavies
(1973), Peter Schoof (1980), Jürgen W. Falter und Siegfried Schuman (1994), Michael Eilfort
(1994) sowie Thomas Kleinhenz (1995) von zentralem Interesse.
c.
Definitionen
In diesem Abschnitt sollen alle verwendeten Begriffe und Definitionen festgehalten und
präzise formuliert werden, um die weitere Abhandlung verständlich und eindeutig verstehen
zu können.
Wahlen, in diesem Fall Landtagswahlen, sind gemäß den Normen der Landesverfassung
Brandenburgs ,,allgemein, unmittelbar, gleich, frei und geheim" (Verfassung des Landes
Brandenburg 1992: Artikel 22) abzuhalten. Weiterhin bilden sie ,,innerhalb der
repräsentativen Demokatie [...] die allgemeinste Form politischer Beteiligung" (Nohlen 2011:
668), erfordern den geringsten Aufwand für die Bevölkerung und können dadurch politische
Ungleichheit unter den einzelnen Bürgern am niedrigsten halten (Nohlen 2011: 668). Zudem
sind sie allen anderen Partizipationsmöglichkeiten, wie öffentlichen Demonstrationen,
Unterschriftenaktionen usw., durch ihre periodische Wiederkehr sowie ihrer egalitären,
einfachen Form überlegen und gewährleisten schon damit die Legitimität der Demokratie
(Nohlen 2011: 668; Schultze 2011: 669).
Die Wahlbeteiligung ist Ausdruck der Bereitschaft der Bevölkerung zur politischen
Partizipation und Teilhabe am politischen Leben eines Staates. Sie bildet sich aus dem
Verhältnis der Anzahl der abgegebenen Stimmen der Wähler und der Anzahl der
Wahlberechtigen (Nohlen/Zinterer 2011: 666). Hierbei ist zu beachten, dass sich die Anzahl
der Wähler aus den Wahllokalwählern und den Wahlscheinempfänger zusammensetzt,
unabhängig davon, ob diese durch Briefwahl, durch Stimmabgabe im Wahllokal oder
überhaupt an der Wahl teilgenommen haben (Amt für Statistik Berlin-Brandenburg 2009b:
5). Wahlscheinempfänger sind Wahlberechtigte, die durch den Wahlschein berechtigt sind,
ihre Stimme per Briefwahl oder in einem anderen Wahllokal ihres Wahlkreises abzugeben
(Amt für Statistik Berlin-Brandenburg 2009b: 5).
7

Nichtwähler sind wahlberechtigte Bürger, die aus verschiedensten Motiven der Wahlurne
fern bleiben und damit eine sinkende Wahlbeteiligung bedingen. ,,Bei den wenigen, die in
der Vergangenheit nicht wählten, vermutete man, daß Krankheit oder andere persönliche
Gründe ihre Teilnahme verhinderten" (Kleinhenz 1995: 15). Abgesehen von diesen
kurzfristigen Motiven, wurden, wie bereits erläutert, weitere Faktoren für die
Nichtteilnahme am Wahlakt durch die Wahlforschung erschlossen. Diese sollen im
nachfolgenden Abschnitt verdeutlicht werden.
d.
Beeinflussung der Wahlbeteiligung durch sozio-strukturelle Faktoren
Bezüglich der Wahlbeteiligung erachten drei verschiedene Theorieschulen unterschiedliche
Faktoren als maßgebliche Einflussfaktoren. So kann zwischen politisch-institutionellen, sozio-
strukturellen und sozio-politischen Merkmalen unterschieden werden (Freitag 2005: 669).
Wie bereits erwähnt, beschränkt sich diese Abhandlung allein auf die sozio-strukturellen
Merkmale.
Nach der sozio-strukturellen Theorienlehre sind kognitive und materielle Ressourcen
ausschlaggebend für das Wahlverhalten der Bürger. Demnach beeinflussen das Geschlecht,
das Alter, der Familienstand und der sozio-geographische Faktor sowie der individuelle
Bildungsgrad, der gegenwärtige Berufsstatus und die damit einhergehenden
Einkommensverhältnisse das Wahlverhalten der Wahlberechtigten. Dieser Abschnitt
beschäftigt sich, die genannten Faktoren und die allgemeinen Befunde herauszustellen, an
denen nachfolgend die Empirie überprüft werden soll.
Merkmal Geschlecht: Dieser Faktor wird in der Literatur allgemein nicht mehr als
ausschlaggebend bezüglich der Wahlbeteiligung angesehen. So ,,nähern sich im langfristigen
Zeithorizont die Wahlbeteiligungsraten von Männern und Frauen seit 1918 immer mehr an"
(Lavies 1973: 65f). Frauen beteiligen sich in einem etwas geringeren Umfang als Männer
aktiv am Wahlakt. Nicht eingeschlossen sind hierbei die meist höheren Briefwahlquoten der
Frauen, sondern lediglich alle Wahllokalwähler. Findet die Quote in der Analyse
Berücksichtigung, so ist kaum ein merklicher Unterschied zwischen der Beteiligung der
Männer und Frauen bei Wahlen auszumachen. Kleinhenz stellt in seiner Studie fest, dass
,,Merkmale [wie] Geschlecht und Konfessionszugehörigkeit [seit] Anfang der neunziger Jahre
[...] kaum mehr von Bedeutung" seien (1995: 26). Viel deutlicher als das
8

Geschlechtsmerkmal wirken sich die vorgelagerten Faktoren ,,Bildungsgrad" und ,,politisches
Interesse" auf die Wahlbeteiligung aus (Falter/Schuman 1990: 137; 1994: 182). Gemessen
wird dieses Merkmal anhand des Geschlechts im Verhältnis zur Wahlbeteiligung. Hierbei
werden die repräsentativen Wahlstatistiken Anwendung finden.
Merkmal Alter: Als ein entscheidender Faktor, der die Wahlbeteiligung maßgeblich
beeinflusst, wird im wissenschaftlichen Diskurs das Alter der wahlberechtigten Person
angeführt. So lässt sich an mehreren Fällen empirisch belegen, dass jüngere und ältere
Wähler vermehrt als andere Altersgruppen der Wahlurne fern bleiben. Demnach steigt die
Bereitschaft, zur Wahl zu gehen, mit zunehmendem Alter an, erreicht ihren Gipfel zwischen
50 und 70 Jahren und sinkt danach zügig ab (Eilfort 1994: 184; Huth 2004: 156). Kleinhenz
bestätigt und präzisiert dieses Ergebnis. Demnach nimmt die Wahlbeteiligung bereits bei
Menschen über 60 Jahren kontinuierlich ab (1995: 27). In diesem Zusammenhang spricht er
von einem ,,Lebenszyklus der Wahlbeteiligung" (Kleinhenz 1995: 27) So gesehen markiert
dieser Zyklus die unterschiedlichen Integrationsphasen des Wahlberechtigten in das
gesellschaftliche Leben. Die Bereitschaft, am Wahlakt teilzunehmen ist in der Jugend noch
nicht fest fixiert, erhöht sich jedoch mit zunehmendem Alter durch die Einbindung in die
Arbeitswelt und in ein Familienleben sowie durch wachsende Lebenserfahrung, steigendes
Einkommen und zunehmendes politisches Interesse. Diese soziale Integration sowie das
verfügbare Einkommen nehmen mit steigendem Alter, beginnend mit dem Renteneintritt
wieder ab. Damit einhergehend und verstärkt durch Gebrechen, Unwohlsein sowie
Krankheiten sinkt die Beteiligung bei Personen über 60 Jahren (Kleinhenz 1995: 27;
Völker/Völker 1998: 103). Weiterhin hat sich der Einfluss der Zusammensetzung der
Bevölkerung nach Altersgruppen auf die Wahlbeteiligung erheblich verstärkt (Schwarz 1991:
27). Auch das Merkmal ,,Alter" wird durch die repräsentative Wahlstatistik erfasst, die für
diese Untersuchung herangezogen wird.
Merkmal Familienstand: Von großer Bedeutung für das Wahlverhalten von Individuen ist die
persönliche, soziale Bindung in der näheren Umgebung. So begünstigt soziale Integrität die
Beteiligung an Wahlen (Falter/Schuman 1994: 33). Da das Wählerverhalten auch auf das
soziale Gruppenverhalten zurückführbar ist, wie Klaus Liepelt feststellte und die Wahl als
individueller Gruppenakt angesehen werden kann, ist davon auszugehen, dass der
Familienstand Einfluss auf die Wahlbeteiligung ausübt (1985: 55). Gerade bei verheirateten
9

Personen kann davon ausgegangen werden, dass sich das Verhalten des Partners im eigenen
Verhalten widerspiegeln wird. So ist anzunehmen, dass sich ein Fernbleiben an der
Wahlurne durch den Ehepartner, auf das Verhalten des anderen Ehepartners übertragen
lässt (Liepelt 1985: 55). Ledige, geschiedene und verwitwete Personen weisen eine geringere
Wahlbeteiligung als Eheleute auf. Demnach ist diese Gruppe oftmals unglücklich über die
fehlende Bindung an einen Partner. Letztendlich fühlen sich diese Personen vermehrt
einsam, welches sich in einer geringeren Wahlbereitschaft niederschlägt. Das Institut für
Demoskopie Allensbach erklärt die geringere Wahlbeteiligung im Verhältnis zur ,,Einsamkeit"
wie folgt: der Wahlakt an sich ist eine ,,gemeinsame Unternehmung. Wenn im [Alter die]
eheliche Gemeinschaft in vielen Fällen durch Verwitwung aufgelöst wird, entfällt das Motiv
des Miteinander-zur-Wahlgehens" (Institut für Demoskopie Allensbach 1989: 18).
Abschließend sei die Frage gestellt, inwiefern dieser Faktor angesichts zunehmender
Fragmentierung der Bevölkerung nach Familienstand überhaupt eine tragbare Rolle für das
Wahlverhalten spielen kann. In der heutigen Zeit leben viele Personen zwar nicht als
Ehepaar zusammen jedoch oftmals in langen, eheähnliche Partnerschaften, die einer Ehe an
sich entsprechen könnten. Daher ist die Aussagekraft dieses Faktors und der Ehe als
Erklärungsmerkmal begrenzt.
Merkmal sozio-geographischer Faktor: In Hinblick auf die Höhe der Wahlbeteiligung wird zur
Analyse vermehrt auf das unterschiedliche Wahlverhalten von Land- und Stadtbevölkerung
hingewiesen. Es wird davon ausgegangen, dass die Wahlbeteiligung mit steigender
Einwohnerzahl tendenziell abnimmt. Grundsätzlich stützt sich dieser Ansatz auf die Studien
von Robert A. Dahl. Demnach löst sich die Bindung zwischen Individuum und Gemeinschaft
durch den fortschreitenden Verstädterungsprozess zunehmend auf. Dieser Effekt wirkt sich
negativ auf die Bereitschaft des Einzelnen, am lokalen und regionalen politischen Geschehen
teilzunehmen, aus (Dahl 1967: 960f). Erklärt wird dies damit, dass ,,mit zunehmender Größe
der Verwaltungseinheit [...] sich die Anonymität der Kommunikationsbeziehungen
[verstärkt]" (Czarnecki 1992: 29). Weiterhin erschwert sich damit der Aufbau einer
persönlichen Beziehung zwischen Wahlberechtigten und Kandidaten in Städten bzw.
Großstädten. Auf der anderen Seite führt eine enge Bindung und Verflechtung kleiner
örtlicher Gemeinschaften zu einer stärkeren Verpflichtung des Einzelnen, am Wahlakt
teilzunehmen (Eilfort 1994: 225). In ländlichen Regionen ist jeder Wahlberechtigte deshalb
10

eher darauf bedacht der Uniformität der Gemeinschaft zu entsprechen als dies in der
Anonymität der Stadt der Fall wäre.
Merkmal sozio-ökonomischer Faktor: Dieses Merkmal setzt sich aus den drei
interdependenten Faktoren ,,formaler Bildungsgrad", ,,Berufsstatus" und
,,Einkommensverhältnis" zusammen. Ausgehend von der Annahme, dass mit steigendem
Bildungsniveau ein höherer Berufsstatus erlangt wird und daraus steigende
Einkommensverhältnisse resultieren, nimmt die Wahlbeteiligungsbereitschaft der
Bevölkerung zu (Kleinhenz 1995: 26). Ein höherer formaler Bildungsgrad erleichtert es dem
Individuum demnach, komplexe politische Themen zu erfassen und führt zu einem
gesteigerten politischen Interesse. Jedoch weisen die allgemeinen Befunde auf eine
Abstufung der Aussagekraft der einzelnen Faktoren hin. So sind die Faktoren ,,Einkommen"
und ,,Beruf" dem Merkmal ,,Bildungsgrad" in ihrer Aussagekraft unterlegen, da sie von
diesem abhängig sind. Die Forschung präsentierte in mehreren Studien, dass Personen, die
über einen niedrigen Bildungsabschluss beispielsweise einen Hauptschulabschluss verfügen,
bei den Nichtwähler überrepräsentiert sind, während sich Personen, die über die allgemeine
Hochschulreife oder einen Hochschulabschluss verfügen, überdurchschnittlich an Wahlen
beteiligen (Falter/Schuman 1994: 180; Eilfort 1994: 218). Der erlangte Bildungsabschluss
beeinflusst den Faktor ,,Berufsstatus" in entscheidender Weise mit. So lässt sich durch den
ausgeübten Beruf feststellen, dass die Wahlbeteiligung bei Beamten, Selbstständigen und
leitenden Angestellten am höchsten ist, während Arbeiter dazu neigen,
unterdurchschnittlich oft zur Wahl zu gehen (Lavies 1973: 91; Eilfort 1994: 212;
Falter/Schuman 1994: 177). Hinlänglich belegt ist zudem, dass Gesellschaftsgruppen mit
einem hohen sozio-ökonomischen Status eine höhere Beteiligung an Wahlen aufweisen
(Schwarz 1992: 35). In mehreren Befunden wurde nachgewiesen, dass ein signifikanter
Unterschied im Wahlverhalten zwischen den Erwerbstätigen und Erwerbslosen feststellbar
ist. Ist der Anteil der Erwerbslosen in einem Verwaltungsbezirk überdurchschnittlich, so ist
die Wahlbeteiligung eher unterdurchschnittlich. Wenngleich das Einkommen nicht als
einflussreicher und besonders aussagekräftiger Faktor angesehen wird, so stellen Falter und
Schuman doch heraus, dass geringer Verdienende vermehrt zur Wahlenthaltung neigen als
reichere Bevölkerungsschichten (1994: 176). Abschließend resümiert Peter Schoof:
11

Der Bürger aus der gehobenen Gesellschaftsschicht fühlt sich von politischen
Entscheidungen
eher
betroffen,
er
informiert sich in stärkeren Umfang über das
politische Tagesgeschehen und hat einen Sinn für die Wirksamkeit politischer
Verwaltungsakte
(1980:
39).
III. Empirischer Teil: Ursachenforschung für die geringe Wahlbeteiligung bei den
Landtagswahlen 2004 und 2009 in Brandenburg
Nach der Behandlung der theoretischen Grundlage widmet sich diese Arbeit nun der Empirie
am Fallbeispiel Brandenburg. Dazu werden alle unter Punkt II.d. vorgestellten Merkmale
hinsichtlich ihrer Aussagekraft sowie die vorgestellten Behauptungen und Annahmen für das
Bundesland Brandenburg untersucht.
a.
Das Merkmal ,,Geschlecht" als Erklärungsfaktor der Wahlbeteiligung
Beschränkt auf das Merkmal ,,Geschlecht", zeichnet sich für das Bundesland Brandenburg
bei den Landtagswahlen 2004 und 2009 eine ähnliche Datenlage ab, die den allgemeinen
Entwicklungen entspricht. Während Frauen bei der Wahl 2004 im Durchschnitt eine etwas
geringere Wahlbeteiligungsquote aufweisen, lag diese bei der darauffolgenden Wahl im Jahr
2009 höher als die der Männer, wie Tabelle 1 verdeutlicht. Insgesamt handelt es sich jedoch
um einen Unterschied von 0,3 bzw. 0,5 Prozentpunkten in 2004 bzw. 2009. Weiterhin ist
anzumerken, dass die insgesamt höhere Wahlbeteiligung bei der Landtagswahl 2009 auf die
zeitgleich stattfindende Bundestagswahl zurückgeführt werden kann, wie eingangs erläutert.
Tabelle 1 Wahlbeteiligung an den Landtagswahlen am 19. September 2004 und am 27. September 2009 nach
Altersgruppen und Geschlecht der Wahlberechtigten
Alter von ... bis
unter ... Jahren
Wahlbeteiligung in %
Veränderung 2009 im Vergleich
zu 2004
2009
2004
Insgesamt Männer Frauen Insgesamt Männer Frauen Insgesamt
Männer
Frauen
18-21
58,4
59,0
57,8
43,0
44,2
41,7
15,4
14,8
16,1
21-25
54,0
54,6
53,3
37,0
37,1
36,8
17,0
17,5
16,5
25-30
53,4
52,3
54,5
40,6
40,1
41,3
12,8
12,2
13,2
30-35
59,8
57,3
62,4
48,4
45,6
51,3
11,4
11,7
11,1
35-40
65,1
61,8
68,7
54,8
53,2
56,4
10,3
8,6
12,3
40-45
69,5
66,9
72,1
58,4
58,0
58,9
11,1
8,9
13,2
45-50
69,5
67,7
71,5
59,6
58,8
60,4
9,9
8,9
11,1
50-60
70,9
69,4
72,4
62,6
62,2
63,0
8,3
7,2
9,4
60-70
75,1
75,0
75,2
66,2
66,5
65,9
8,9
8,5
9,3
70 und mehr
65,5
72,6
60,9
57,0
65,1
52,0
8,5
7,5
8,9
Insgesamt
66,6
66,3
66,8
56,4
56,6
56,3
10,2
9,7
10,5
12
Quelle: Eigene Darstellung; Daten von (Amt für Statistik Berlin-Brandenburg 2009b: 9); hervorgehoben sind
jeweils die höchsten Beteiligungswerte bzw. Zuwächse bei Männern oder Frauen.

Details

Seiten
Erscheinungsform
Erstausgabe
Jahr
2012
ISBN (PDF)
9783955498023
ISBN (Paperback)
9783955493028
Dateigröße
659 KB
Sprache
Deutsch
Institution / Hochschule
Universität Trier
Erscheinungsdatum
2015 (Februar)
Note
2,7
Schlagworte
Politik Wahl Landtagswahl Wähler Nichtwähler
Zurück

Titel: Ursachen der geringen Wahlbeteiligung bei Landtagswahlen in Brandenburg
Cookie-Einstellungen