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Sozialpädagogische Fanarbeit im deutschen Fußball: Rahmenbedingungen und Konzepte der deutschen Fanprojekte

©2012 Bachelorarbeit 68 Seiten

Zusammenfassung

Auch aufgrund der aktuellen Geschehnisse ist das Verhalten der Fußballfans in der Bundesrepublik Deutschland (BRD) in den letzten Jahren wieder verstärkt in den öffentlichen und medialen Fokus gerückt. Angesichts von Spielunterbrechungen oder Abbrüchen in Folge des Einsatzes von Wurfgeschossen oder illegaler Pyrotechnik, gewalttätigen Auseinandersetzungen unter den Fans, Schmähgesängen, beleidigenden oder rassistischen Choreographien der Fangruppen und nicht zuletzt dem notwendig gewordenen, äußerst kostspieligen wöchentlichen Einsatz hunderter Polizeibeamter im Rahmen der Bundesligaspiele wird der Kultur der Fußballfans vielerorts mit Argwohn begegnet. Dazu beigetragen hat sicherlich auch die Berichterstattung der Massenmedien, welche sich bisweilen äußerst plakativ, polemisch und vor allem sachlich undifferenziert gestaltet. Vielfach werden ganze Fangruppierungen unter Generalverdacht gestellt. Von ‚Verbrechern‘ und ‚Chaoten‘ ist die Rede, welche das Massenereignis Fußball als willkommene Bühne für Krawall und Provokation ausnutzen.
Fraglos ist Gewalt gegen friedfertige gegnerische Fans, Spieler oder Schiedsrichter scharf zu verurteilen und natürlich kein Fundament für die Erhaltung des Fußballsports in Deutschland als Massenereignis und ‚Volksreligion‘. Jedoch ist diesbezüglich eine differenziertere Wahrnehmung aller Beteiligten vonnöten. Welche Emotionen dürfen im Fußballstadion ausgelebt werden? Wo verschwimmt die Grenze zwischen hochemotionalem „Ultra“-Fan, der oft unter erheblichem Einsatz von Freizeit und Geld sein Team unterstützt, und gewaltsuchendem „Hooligan“, welcher den Fußball für die Auslebung seiner Gewaltgelüste benutzt? Welche Rolle spielt die teils repressive Vorgehensweise der Polizei bei der Bekämpfung des Gewaltproblems in deutschen Stadien?
Um diese Fragen beantworten und einen möglichst weitreichenden Einblick in die vielschichtigen Lebenswelten der innerdeutschen Fankulturen gewähren zu können, wird anhand von Fachliteratur versucht, die relevanten Begrifflichkeiten und Ausprägungen des ‚Fan-Seins‘ zu definieren, das Selbstverständnis der verschiedenen Fangruppen aufzuzeigen und anhand von Beispielen darzulegen. Die vorliegende Arbeit hat zum Ziel, die Tätigkeit der deutschen Fanprojekte in ihrer Gesamtheit zu erfassen und vorzustellen sowie die zugrunde liegende pädagogische Methodik und Konzeption der Fanprojektarbeit nachvollziehbar zu machen.

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


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spielt die teils repressive Vorgehensweise der Polizei bei der Bekämpfung des
Gewaltproblems in deutschen Stadien?
Um diese Fragen beantworten und einen möglichst weitreichenden Einblick in die
vielschichtigen Lebenswelten der innerdeutschen Fankulturen gewähren zu können, wird
anhand von Fachliteratur versucht, die relevanten Begrifflichkeiten und Ausprägungen des
,Fan-Seins` zu definieren, das Selbstverständnis der verschiedenen Fangruppen aufzuzeigen
und anhand von Beispielen darzulegen. Konkret widmet sich die vorliegende Bachelorarbeit
dem Thema: ,,Sozialpädagogische Fanarbeit im deutschen Fußball- Unter welchen
Rahmenbedingungen und mit welchen Zielgruppen und Konzepten arbeiten die deutschen
Fanprojekte?". Primär soll aufgezeigt werden, durch welche Formen sozialpädagogischer
Intervention versucht wird, den eingangs erwähnten Problemsituationen im deutschen Fußball
entgegenzuwirken. Die vorliegende Arbeit hat also zum Ziel, die Tätigkeit der deutschen
Fanprojekte in ihrer Gesamtheit zu erfassen und vorzustellen sowie die zugrunde liegende
pädagogische Methodik und Konzeption der Fanprojektarbeit nachvollziehbar zu machen. Zu
diesem Zweck wird die Entstehungsgeschichte der deutschen Fanprojekte nachgezeichnet, um
ihre historische Entwicklung zu verdeutlichen. Als ein wesentlicher inhaltlicher Schwerpunkt
dieser Arbeit sollen insbesondere die Konzepte und Handlungsentwürfe der Fanprojekte, wie
auch deren zugrunde liegenden strukturellen Rahmenbedingungen dargestellt werden. Ferner
liegt ebenso ein besonderes Augenmerk auf den Organisationsstrukturen und finanziellen
Gegebenheiten, unter denen Fanarbeit im deutschen Fußball zum gegenwärtigen Zeitpunkt
stattfindet.
Um die Bedeutung der inhaltlichen Konzeption und Methodik der Fanprojekte anhand der
divergenten Zielgruppen sozialpädagogischer Fanarbeit nachvollziehbar zu machen und damit
zugleich einen Überblick auf die Vielfältigkeit des beruflichen Klientel gewährleisten zu
können, werden zunächst die die jeweiligen Fan-Kategorien ausführlich porträtiert. In diesem
Zusammenhang wird ein besonderer Schwerpunkt auf die Beschreibung der historischen
Entwicklung der deutschen Fanszene seit Gründung der deutschen Bundesliga im Jahr 1963
gelegt. In der Darstellung der einzelnen Fankulturen werden insbesondere deren spezifische
Charakteristika, Wert-und Normvorstellungen, Motive und Mitgliederstärken aufgeführt.
Besagte Zielgruppen unterteilen sich grob in die Unterkategorien der ,normalen` Fans
(,,Normalos", siehe Punkt 2.1.), der ,,Kuttenfans"(siehe Punkt 2.2.), der ,,Hooligans" sowie
der ,,Ultras". Freilich ist bereits an dieser Stelle anzumerken, dass sich die Grenzen zwischen

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diesen Unterkategorien oftmals fließend gestalten und eine klare und absolute Unterscheidung
daher bisweilen nur bedingt möglich erscheint. Aus diesem Grund wird die vorliegende
Bachelorarbeit auch zum Ziel haben, sowohl die Unterschiede als auch die Gemeinsamkeiten
dieser verschiedenartigen Fankategorien herauszuarbeiten und die Ergebnisse in den Kontext
der sozialpädagogischen Fanarbeit zu stellen. Dahingehend soll bei der Bearbeitung dieser
Thematik und zur Veranschaulichung der Notwendigkeit sozialpädagogischer Intervention
weiterhin der Versuch unternommen werden, die Kultur der Fußballfans - ungeachtet ihrer
exakten Bezeichnung - unter soziologischen und gesellschaftlichen Gesichtspunkten
darzustellen, um die Interaktionen der Fans innerhalb ihrer Subkultur nachvollziehbar zu
machen. Abschließend soll anhand all dieser gesammelten Informationen ein Ausblick in die
Zukunft sozialpädagogischer Fanprojektarbeit geworfen ­ sowie ein Fazit zur konzeptionellen
und inhaltlichen Debatte über die Relevanz dieses Arbeitsfeldes gezogen - werden. Zur
Veranschaulichung der zugrunde liegenden Problemlage anhand empirisch gewonnener Daten
wird die vorliegende Arbeit mit der Zusammenfassung des ,,Jahresberichtes Fußball 2010/11"
der ,,Zentralen Informationsstelle Sporteinsätze" (ZIS) des ,,Landesamtes für Zentrale
Polizeiliche Dienste" (LZPD) begonnen.
1. Zusammenfassung des Jahresberichtes Fußball 2010/11 (ZIS)
In diesem Abschnitt sollen die wesentlichen Erkenntnisse des Jahresberichts Fußball 2010/11
der ,,zentralen Informationsstelle Sporteinsätze" (ZIS) in komprimierter Form wiedergegeben
werden. Sämtliche aufgeführten Daten basieren auf der Analyse besagten Berichtes, welcher
auf der Internetseite des LZPD Nordrhein-Westfalen (LZPD NRW 2012)
einzusehen ist.
Laut dem Jahresbericht Fußball 2010/11 der ZIS bewegen sich gewalttätige Ausschreitungen
durch Fußballfans seit ca. 12 Jahren (Saison 1999/2000) auf einem zwar saisonal
schwankenden, dabei jedoch konstant hohen Niveau. Grundsätzlich stellt sich der Vergleich
der Kennzahlen in den Bereichen Freiheitsentziehungen, Strafverfahren und geleisteten
Arbeitsstunden der Polizei zum Vorjahr leicht rückläufig dar, allerdings ,,[...] lag die Anzahl
der an den Standorten beider Bundesligen in der Saison 2010/11 eingeleiteten Strafverfahren
um knapp 40 sowie der geleisteten Arbeitsstunden um knapp 30 Prozent über dem
Durchschnitt der letzten zwölf Jahre." (ZIS, Jahresbericht 2010/11, S.3).
Dabei entfiel der Großteil dieser Verfahren (47, 2%) auf anlasstypische Gewaltdelikte wie
Körperverletzung, Widerstand, Landfriedensbruch oder Sachbeschädigung (vgl. ebd., S.10).

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Die häufigsten Tatorte dieser Delikte waren zu über 50% in und um die Stadien angesiedelt,
für die Polizei ,,[...] ein eindeutiges Indiz dafür, dass die Fußball-Gewalttäter die ,,Bühne"
und die Nähe des Stadions für ihre Aktivitäten benötigen." (ebd., S.13) Demgegenüber steht
allerdings der weiterhin andauernde Trend, dass einige gewaltbereite Fans in Absprache
zueinander Orte abseits des Stadions für ihre Konflikte zu verabreden pflegen und diese
mitunter auch losgelöst vom Spieltag austragen.
Grundsätzlich unterteilt die deutsche Polizei die Fans in die Kategorien A, B und C. (Vgl.
ebd., S. 5ff.) Während Kategorie A den ,,friedlichen Fan" (ebd., S. 5) bezeichnet, sind die
,Problemfans` als priorisierte Zielgruppe von polizeilichen Gegenmaßnahmen und
sozialpädagogischer Intervention durch die Fanprojekte in die Kategorien B und C
zusammengefasst. Der Fan der Kategorie B wird als grundsätzlich
,,gewaltbereit/gewaltgeneigt" (ebd., S. 5) eingestuft, während der viel zitierte Kategorie C-
Fan als ,,Gewalt suchendender" (ebd., S. 5) Fan oder auch als Hooligan klassifiziert wird. In
Deutschland wurden auf Grundlage des Jahresberichts 2010/11 im Rahmen von
Fußballspielen (1. und 2. Bundesliga, DFB-Pokal, UEFA-Club-Wettbewerbe sowie sonstiger
Wettbewerbe und Länderspiele) von Seiten der Polizei 5.818 Strafverfahren eingeleitet und
6.061 freiheitsentziehende Maßnahmen durchgeführt. Darüber hinaus wurde ein neuer
Höchststand (846 Personen, davon 243 Polizeibeamte) im Bereich der bei Fußballspielen
verletzten Personen verzeichnet. Insgesamt verfielen in der Saison 2010/11 1.562.242
Arbeitsstunden der Polizeien von Bund und Ländern auf den Einsatz bei Fußballspielen (vgl.
ebd. 3ff.).
Die geschätzten Angaben der Polizeibehörden über das gewaltbereite Potenzial der deutschen
Fanszenen der Vereine von Bundes-bis Regionalliga liegt bei etwa 14.900 Personen im
Bundesgebiet und damit ebenfalls seit Jahren auf einem konstanten Niveau. Allerdings ist
diesbezüglich ein Anstieg der Gesamtzahl der Fankategorien B und C um ca. 3.500 Personen
im Vergleich zur Saison 2007/08 auf nunmehr 9.685 (davon 7.240 Kategorie B und 2.445
Kategorie C) Personen in den beiden Bundesligen zu verzeichnen. (Vgl. ebd., S.7)
Die Fans der Kategorien B und C stellen somit eindeutig nur einen Bruchteil der
Stadionbesucher dar, schließlich wurden die Spiele der beiden Profiligen in der Saison
2010/11 von insgesamt ca. 17,4 Millionen Zuschauern besucht. Auf der Grundlage von
insgesamt 36 Teams in den beiden Bundesligen liegt der rechnerische Durchschnitt von Fans
der Kategorien B und C pro Verein der 1. oder 2. Bundesliga somit bei lediglich 269
Personen. Ein, gemessen an den Anhängerzahlen der Vereine, (durchschnittliche
Zuschauerzahl 1. Bundesliga: ca. 42.100) verschwindend geringer Wert.

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Eine wesentliche - wenn nicht sogar aktuell die- Zielgruppe sozialpädagogischer Fanarbeit
im deutschen Fußball sind die Ultras (vgl. ebd., 5ff.). Die überwiegende Mehrheit von
Mitgliedern derartiger Gruppierungen wird seitens der Polizei zwar als friedfertige Fans der
Kategorie A eingestuft, allerdings fallen einige Ultragruppierungen, dem vorliegenden
Jahresbericht der ZIS zufolge, seit Jahren wiederholt durch das in Deutschland illegale
Abbrennen pyrotechnischer Gegenstände (,Bengalos`) in den Stadien auf, um ,,[...] ihre
besondere Verbundenheit zum Verein zu dokumentieren und eine "südländische" Atmosphäre
in den Stadien zu erzeugen." (ebd., S.5) Auch berichtet die Polizei von einer zu
beobachtenden Zunahme der Gewaltbereitschaft unter den Ultras (vgl. ebd., S.6).
Auf das Wesentliche zusammengefasst lässt sich anhand dieses Berichtes konstatieren, dass
die friedlichen Fans in den deutschen Bundesligastadien eine mehr als deutliche Überzahl
stellen. Dessen ungeachtet bedarf es weiterhin einer intensiven Beobachtung und Betreuung
von Teilen der Fanszene, um die Sicherheit der friedlichen Fans zu gewährleisten und der
immer noch vorhandenen Gewaltproblematik im deutschen Fußball entgegen zu wirken.
An genau dieser Stelle hat die sozialpädagogische Intervention durch die Fanprojekte
anzusetzen. In Einklang mit dem 1993 verabschiedeten ,,Nationalen Konzept Sport und
Sicherheit" (NKSS) unterteilen sich die Maßnahmen dieses Konzeptes in repressive
ordnungspolitische Maßnahmen sowie Strategien zur Gewaltprävention, für welche die
Fanprojekte der Vereine verantwortlich zeichnen (vgl. Pilz 2006b, S.235ff.).
Wie in nachfolgenden Abschnitten ersichtlich wird, ist die Gewaltproblematik im deutschen
Fußball kein neues Phänomen, vielmehr hat sich insbesondere die Struktur der Gewalt und die
Fanszene als solche im historischen Verlauf teils erheblich verändert. Da zum Verständnis der
im NKSS vereinbarten Strategien und Maßnahmen zur Gewaltprävention durchaus profunde
Sachkenntnisse über die Vielschichtigkeit der innerdeutschen Fanszene nötig erscheinen, wird
sich die
vorliegenden Arbeit zunächst mit der möglichst ausführlichen Darstellung der
einzelnen Fankulturen und- typen als Zielgruppen sozialpädagogischer Intervention durch die
Fanprojekte widmen.
2. Zielgruppen sozialpädagogischer Fanarbeit- Begriffsdefinitionen
Nachfolgender Abschnitt soll die relevanten Zielgruppen der Fanprojektarbeit in der BRD
vorstellen. Dies erscheint
sinnvoll, da sich die verschiedenartigen Adressaten
sozialpädagogischer Intervention durch ihr Auftreten, ihre Handlungen sowie ihr generelles
Selbstverständnis teils erheblich voneinander unterscheiden und sich darüber hinaus oft auch

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bewusst und vehement von Vertretern anderer Fankategorien abgrenzen. Aufgrund der
Komplexität und Sensibilität des Arbeitsfeldes der Fanprojektarbeit kommt einer möglichst
präzisen Beschreibung der Zielgruppen eine hohe Bedeutung zu. Ziel soll es sein, die
Lebenswelten dieser meist jungen Menschen darzustellen und erfahrbar zu machen, die
spezifischen Merkmale und Verhaltensweisen der verschiedenen Fankulturen aufzuzeigen
und auf Basis dieser Darstellungen die Bedeutung sozialpädagogischen Handelns im Kontext
des Fußballs in Deutschland darzulegen. Nicht behandelt werden soll in vorliegender Arbeit
die Entstehungsgeschichte des deutschen Fußballs vor Gründung der Bundesliga im Jahr
1963, da diese hinsichtlich der Fragestellung und Thematik der vorliegenden Arbeit nicht
zielführend erscheint.
Die Fanprojektarbeit unterliegt einem historischen Wandel, da sich seit der Gründung der
deutschen Fanprojekte in den 1980er Jahren Art und Ausprägung der Fankulturen und
besonders die Mehrheitsverhältnisse innerhalb selbiger zum Teil stark veränderten. (siehe
Punkt 4.2.) Als primäre Zielgruppen der Fanprojektarbeit sind grundsätzlich die Kuttenfans,
die Hooligans sowie die Ultras zu nennen. Strukturell wird dabei der Schwerpunkt auf der
Vorstellung der Ultras liegen, da sich diese Fankultur seit etwa 20 Jahren gleichermaßen
durch ihr enormes Wachstum wie auch durch eine dynamische Entwicklung auszeichnet und
die Hooligankultur dagegen im Grunde aus den gleichen Gründen seit Jahren eher rückläufig
ist: ,,Die Ultrakultur, die die Hooligankultur als ein Auslaufmodell zunehmend verdrängt hat
[...]" (ebd., S.66). Ultras sind mittlerweile ein Massenphänomen, aktuell stark in den Medien
präsent und gelten in Expertenkreisen als die ,,absolut attraktivste jugendliche Subkultur in
Deutschland." (Gabriel 2012).
In der Darstellung der unterschiedlichen Fangruppen wird chronologisch vorgegangen, da die
deutschen Fanszenen stets einem dynamischen Wandel unterlagen und sich neuartige
Fankulturen im Grunde immer selbst aus vormals etablierten Fanszenen heraus entwickelten.
Pilz umschreibt diesen Werdegang als den Wandel vom ,,[...] begeisterten Anhänger über den
Kuttenfan zum Hooligan und Ultra." (Pilz 2006, S.52). An dieses Schema angelehnt, wird der
nachfolgende Abschnitt daher mit einer chronologischen Beschreibung der Entwicklung der
Fankultur in Deutschland begonnen. Den Anfang macht dabei der Versuch einer Definition
und Vorstellung des ,normalen` Fußballfans. Anschließend werden in chronologischer
Reihenfolge die Kuttenfans, danach die Hooligans und abschließend die Ultras vorgestellt.

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2.1. Der normale Fan/ Normalo
Zuvorderst ist in diesem Kontext anzumerken, dass eine genaue Definition des Begriffs
,normaler Fan` wohl außerordentlich schwer zu erstellen ist. Zu unterschiedlich gestaltet sich
das individuelle ,Fan-Dasein` in seiner Intensität, Ausprägung und Individualität. Heitmeyer
und Peter unternehmen den Versuch, die Fanszenen auszudifferenzieren und unterteilen die
Fans in drei Kategorien: den ,,konsumorientierten Fan", den ,,fußballzentrierten Fan" sowie
den ,,erlebnisorientierten Fan" (Heitmeyer/Peter, 1992, S.32). Heitmeyer/Peter schreiben
diesbezüglich: ,,Da nicht von einer homogenen Fußballfan-Szene auszugehen ist, stellt sich
die Frage nach den unterschiedlichen Motiven. Wir unterscheiden eher konsumorientierte,
fußballzentrierte oder erlebnisorientierte Motive, um Identitätsbestrebungen, Fußball und
sozialen Alltag über das Erleben von Spannungssituationen miteinander zu verbinden." (ebd.,
S.31). Zwar verwenden andere Forscher (siehe auch Pilz 2005, S.1) in neueren Studien die
gleichen oder ähnliche Begrifflichkeiten, allerdings verweist etwa Pilz stärker auf die
Dynamik innerhalb dieser Fankategorien, bspw. die Schnittpunkte zwischen
fußballzentrierten und trotzdem erlebnisorientierten Fans in der heutigen Zeit (siehe dazu
auch Punkt 2.4.). Grundsätzlich erscheint es im Einzelfall oftmals schwierig, Fans einer
dieser Kategorien eindeutig zuzuordnen.
Der Normalo oder konsumorientierte Fan betrachtet den Fußball laut Heitmeyer/Peter (vgl.
1992, S.32) pragmatisch. Zwar kommt für ihn dem Fußballspiel eine hohe emotionale
Bedeutung zu, oberstes Kriterium ist allerdings die Leistung der Spieler. Konsumorientierte
Fans sehen in dem Fußballspiel also primär ein relativ austauschbares Event, das ihnen zur
Unterhaltung dient. Für sie ist der Besuch eines Fußballspiels also eine optionale
Freizeitgestaltung und nicht der Mittelpunkt ihres Lebens. Dazu Heitmeyer/Peter: ,,Für die
konsumorientierten Fans steht das Erleben von Spannungssituationen, die von anderen
dargeboten werden, im engen Zusammenhang mit Leistungsgesichtspunkten, während die
soziale Relevanz weitgehend unbedeutend ist." (ebd., S.33). Aus diesem Grund besuchen Fans
dieser Kategorie eher Spiele gegen besonders interessante Gegner und verfolgen das Spiel
zumeist auf eher teureren Tribünenplätzen. Normalos sind in aller Regel nicht in Fan-Clubs
organisiert und kommen oftmals alleine oder in wechselnder Begleitung ins Stadion. (Vgl.
Weigelt 2004, S.30) Auch stehen sie meist ,,[...] nicht fanatisch hinter dem Verein, sie
wollen, dass der Bessere gewinnt."(ebd. S.30). Von Kuttenfans oder Ultras werden sie aus
diesem Grund häufig nicht als wirkliche Fans akzeptiert und teilweise sogar offen
angefeindet. Gleichermaßen lehnen die Normalos Kutten - oder Ultrafans aufgrund deren

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fanatischer Einstellung zum Fußball ab, oft sind diese sogar der Grund für die seltenen
Stadionbesuche der Normalos. (Vgl. ebd., S. 30) Laut Heitmeyer/Peter spielt für Normalos
die soziale Anerkennungsrelevanz im Stadion eine eher untergeordnete Rolle, Bestätigung
und Akzeptanz holen sich diese Fans primär in anderen sozialen Bereichen (vgl.
Heitmeyer/Peter 1992, S. 32). Pilz führt die Entstehung der Normalos auf die fortschreitende
,,[...] Professionalisierung des Fußballsports [...]" (Pilz 2006, S.52) zurück. Diese begann mit
Gründung der westdeutschen Bundesliga im Jahr 1963 und schloss ab im Jahr 1974, in
welchem die Gehaltsobergrenzen der Spieler aufgehoben wurden (vgl. Gabler 2010, S.21).
Bedingt durch diese Entwicklung bildeten sich also laut Pilz erst diese stark
konsumorientierten Fans aus der Anhängerschaft heraus.: Die Beziehungen zwischen den
Spielern und Zuschauern und damit auch das Verhalten und die Begeisterung der Zuschauer
veränderten sich in dem Maß, wie sich die Vereine und der Spielbetrieb fortentwickelten.
Waren ursprünglich die Spieler für die Zuschauer noch ,,greifbare Repräsentanten", die mit
der Stadt oder dem Ortsteil, dessen Verein sie angehörten, verbunden und verwurzelt waren,
und wurden entsprechend diese Spielertypen oft als lokale Helden der Arbeiterklasse gefeiert,
so hat mit der Professionalisierung des Fußballsports ein neuer Spielertypus Einzug
gehalten: Der von den Medien mit geformte ,,Star", für den die Treue zum Verein nur noch so
lange gilt, wie der Verein erfolgreich ist." (Pilz 2006, S. 52).
Eine immer strikter werdende Trennung zwischen Zuschauer und Spieler war die Folge, die
Spieler selbst wurden infolge dieser Entwicklung von den Medien und Vereinen als Stars
hochstilisiert und zunehmend idealisiert (vgl. Gabler 2010, S.22). Der in früheren Zeiten
(auch) aufgrund der lokalen Verbundenheit der Spieler quasi selbstverständliche Kontakt
zwischen Zuschauern und Spielern wich im Verlauf der Zeit immer mehr einer bewusst
gewählten Distanz der Spieler zu den Zuschauern (vgl. Pilz 2006, S. 52). Diesbezüglich führt
auch Gabler in seinem Buch ,,Die Ultras" ein Zitat von Lindner auf: ,,[...] der lokalorientierte
Spitzenspieler früherer Zeiten war der Held seiner Gemeinde, der mobile Spitzenspieler
unserer Tage ist der von den Medien geformte Star." (Lindner 1983, S. 64 zitiert nach Gabler
2010, S.21f.). Waren die Lebenswelten beider Gruppen vormals aufgrund der simultan zum
Fußballerdasein ausgeübten Berufstätigkeit der Spieler noch relativ ähnlich, entwickelte sich
infolge der Einführung des Berufsfußballs und den kontinuierlich steigenden Gehältern der
Spieler eine stetig wachsende Distanz zwischen beiden Fraktionen (vgl. Gabler 2010, S.21).
Aus dieser zunehmenden Distanz und dem allgemeinen ,,[...] Showcharakter des
professionellen Fußballsport [...]" (Pilz, 2006 S.52) resultierend entwickelten viele Fans laut

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Pilz eine grundsätzlich andere Einstellung zu selbigem und reagierten darüber hinaus zudem
mit einer gestiegenen Erwartungshaltung an die Spieler. Für Pilz gründet die weitere
Ausdifferenzierung der Fans in Normalos und Kuttenfans gleichermaßen in besagter
Kommerzialisierung des Fußballs: ,,Der Showcharakter des Profifußballs bringt einerseits
einen Zuschauertyp hervor, der mehr und mehr zum wählerischen Konsumenten wird [...]
Andererseits bringt er aber auch die fußballzentrierten (Kutten-)Fans hervor, für die der
Verein ihr Leben, der Erfolg des Vereins alles ist". (ebd., S.52f.). Weiterhin verweist er in
diesem Zusammenhang auch auf Hortleder: ,,Heute [...] herrscht zwischen Publikum und
Spieler ein Verhältnis voller emotionaler Spannung, einer Emotion, bei der die Pole
Verehrung und Verachtung dicht beieinander liegen [...]. Man ist bereit, ihn begeistert zu
feiern, wenn er gut ist, um ihn ebenso schnell zu verfluchen, wenn er versagt." (Hortleder
1974, S.68 zitiert nach Pilz 2006, S.52)
Gabler verweist hinsichtlich besagter Ausdifferenzierung in der Fanszene zudem auf die
Umstrukturierung der Stadien als Reaktion auf den zu diesem Zeitpunkt allgemeinen
gesellschaftlichen Wandel. Der gestiegene Wohlstand der Bevölkerung wie auch der
Zugewinn an Freizeit führte bei Teilen der Besucherschaft zu dem Wunsch nach mehr
Komfort im Stadion. Daraus resultierend wurden die Stadien in Sitzplatzbereiche (Tribünen)
und Stehplatzbereiche (Kurven) eingeteilt, wobei sich erstgenannte Kartenkategorie freilich
deutlich kostspieliger gestaltete. (Vgl. Gabler 2010 S.22f.) Diese Preispolitik hatte zur Folge,
,,[...] dass sich die hinsichtlich des Komforts anspruchsvolleren und finanziell besser
gestellten Zuschauer auf die Tribüne begaben, während sich die weniger zahlungskräftigen,
oftmals jugendlichen Besucher in den Kurven wiederfanden." (ebd. S.23).
Das aufgrund seiner Jugendlichkeit hinsichtlich des Supports deutlich aktivere Publikum
konzentrierte sich also ab diesem Zeitpunkt in den Blöcken hinter den Toren. In diesen
Kurven ,,[...] entstanden in der Folge eigene Ausdrucks-, Kommunikations-und
Interaktionsformen: Eine neuartige Fankultur war entstanden." (ebd., S.23). Bis zur heutigen
Zeit hat sich besagtes Verteilungsschema bewahrt, auch heutzutage befinden sich die
Stimmungszentren der Stadien in der Regel in den Stehplatzblöcken hinter den Toren. Gabler
macht zudem darauf aufmerksam, dass durch die Unterteilung der Stadien von Seiten der
Vereine ab diesem Zeitpunkt begrifflich in Fans und Zuschauer differenziert wurde. Während
die Fans für die Stimmung im Stadion verantwortlich zeichnen und sich dieser Aufgabe
zumeist auch verpflichtet fühlen, werden die Zuschauer als willkommene, zahlungskräftige
,Fußballkonsumenten` seither in besonderem Maße von den Vereinen umworben. (Vgl. ebd.,
S.23)

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Ein konsumorientierter Fan erfüllt somit aus rein wirtschaftlicher Betrachtungsweise für den
Verein gewissermaßen das Idealprofil eines Fans, da er für das ,Event` Fußball schlicht
deutlich mehr zu zahlen bereit ist als die Fans in den Kurven. Allerdings tragen Fans dieser
Kategorie nur äußerst spärlich zur Stimmung innerhalb der Stadien bei, der aktive Part des
Supports ist somit in erster Linie den weniger zahlungskräftigen, dafür ungleich fanatischeren
und emotional stärker involvierten Fans wie den Kuttenfans oder den Ultras (im Folgenden
auch zusammengefasst als ,,Kurvenfans") in den Kurven vorbehalten. Aus dieser Ambivalenz
ergibt sich auf Vereinsseite zwangsläufig ein gewisses Spannungsfeld. Schließlich gilt es
einerseits, über den Kartenverkauf kontinuierlich Gelder zu generieren, parallel dazu jedoch
die treuen Fans in den Kurven nicht zu vergraulen. Die positiven, die Mannschaft
unterstützenden Effekte des Supports gar nicht weiter betont, ist der lautstarke und vielfach
durch Gesänge und Choreographien begleitete Support der Kurvenfans und dessen direktes
Erleben wahrscheinlich schlichtweg auch ein nicht zu unterschätzender Beweggrund für die
eher konsumorientierten Fans, das Stadion zu besuchen. Folglich tragen die Kurvenfans in
gewisser Weise unmittelbar und wahrscheinlich größtenteils auch ungewollt mit zur
Kommerzialisierung und ,,Eventisierung" (Pilz/Wölki 2006)
des Fußballs bei, da ihr Wirken
im Stadion einen nicht zu unterschätzenden Teilaspekt des ,Gesamtevents` Stadionbesuch
ausmachen dürfte.
2.2. Die Kuttenfans
,,Die 70er und die 80er Jahre waren durch die Fanclubs und ihre damaligen
Hauptprotagonisten, die sogenannten ,,Kuttenfans" geprägt. Durch die Einführung des
Vollprofitums in Deutschland mit dem Start der Bundesliga 1963 verstärkte sich die Trennung
von Spieler und Zuschauer in einem immer augenfälligeren Maße. Die neuen ,,Stars" auf dem
Feld wurden von nun an von den ,,Fans in den Kurven" angefeuert und bejubelt. " (Gabriel
2004, S. 45ff.)
Als
Kuttenfans oder auch ,,Kutten" werden die Mitglieder einer in den 1970er und 1980er
Jahren stark verbreiteten Fanszene bezeichnet, deren Erkennungsmerkmal in erster Linie ihr
charakteristisches, zur Schau getragenes Kleidungsstück, ihre ,,Kutte": eine Jeansjacke,
bestückt mit diversen Aufnähern und Wimpeln, welche die eigene Vereinszugehörigkeit und
gleichermaßen auch die unter den Fangruppen kultivierten Freund -und Feindschaften
ausdrücken sollen. Weitere Erkennungszeichen der Kuttenfans sind in der Regel allerlei

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Vereinsmerchandise, von meist mehreren um die Handgelenke gebundenen Schals über
Mützen und Trikots bis hin zu Fahnen. (Vgl. Gabler 2010, S.23) Kuttenfans können
gewissermaßen als ,Gegenentwurf` zum konsumorientierten Fan oder auch als ,,[...]
traditionelle Fußballfans [...]" (Weigelt 2004, S.31) angesehen werden. Wie im
vorangegangenen Abschnitt erläutert, entwickelte sich diese Fankultur ebenso wie die der
Normalos aus der Periode der Professionalisierung des deutschen Fußballs in den 1970er
Jahren heraus (vgl. Pilz 2006, S.52f.). Heitmeyer/Peter klassifizieren die Kutten als
fußballzentrierte Fans, die sich zuvorderst durch ihre absolute Treue zu ,ihrem` Verein
auszeichnen. Für sie steht nicht primär der Leistungsgedanke im Vordergrund, sondern
vielmehr der Zusammenhalt und das ,Wir-Gefühl`. Sie schreiben diesbezüglich: ,,Für
fußballzentrierte Fans steht das Erleben von Spannungssituationen auch in engem
Zusammenhang mit den sportlichen Darbietungen, ist aber nicht ausschließlich
leistungsfixiert, sondern die fast absolute Treue, selbst bei sportlichen Misserfolg, zählt."(
Heitmeyer/Peter 1992, S. 33).
Im Gegensatz zum konsumorientierten Fan ist der Fußball als solcher für den
fußballzentrierten Fan keine austauschbare Freizeitbeschäftigung, sondern vielmehr ein
zentraler Bestandteil des sozialen Lebens. Dazu Pilz (2006 S. 53): ,,Durch die Teilhabe am
Erfolg der eigenen Mannschaft lässt sich die eigene missliche Lebenslage erträglicher
gestalten. Am Sieg der Mannschaft kann man sich aufrichten, werden Notlagen erträglicher,
lassen sich eigene Misserfolgserlebnisse kompensieren, was eben aber auch umgekehrt gilt.".
Die soziale Anerkennungsrelevanz des Fußballs ist hoch, die eigene Kurve/das Stadion ist das
wichtigste Präsentationsfeld. Darüber hinaus orientieren sich Kuttenfans im Gegensatz zu
Normalos/konsumorientierten Fans stark zu Gruppengefügen, häufig ist eine Mitgliedschaft in
Fanclubs und/oder -cliquen. Im Stadion sind die Kuttenfans grundsätzlich in ihrem
Stehplatzblock, ihrer Kurve anzutreffen, die das eigene Territorium symbolisiert. (Vgl.
Heitmeyer/Peter 1992, S. 32) Charakteristisch für Kuttenfans ist die gelebte Identifikation
mit dem Verein ihrer Wahl. Augenscheinlich wird diese -neben der intensiven
Zuschaustellung der Vereinsfarben- insbesondere auch durch die stetigen Gesänge und
Sprechchöre im Stadion: ,,Fußballzentrierte Fans sorgen mit ihren Gesängen und
Sprechchören für die typische Atmosphäre in den Stadien, sie sind es auch, die selbst bei
einem hoffnungslosen Rückstand ihre Mannschaft bis zum Schlusspfiff lauthals unterstützen.
Der Verein, die Mannschaft wird zum zentralen Lebensinhalt." (Pilz 2006, S.53).
Die Identifikation mit dem Verein geht dabei so weit, dass die Ehre des Vereins und der
Mannschaft unter Umständen auch mit Gewalt verteidigt wird. Aufgrund der starken

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Identifikation der Kutten mit ihrem Verein stehen sie gegnerischen Mannschaften und Fans in
der Regel feindselig gegenüber. ,,Kuttenfans gehen ins Stadion, um ihre Mannschaft gewinnen
zu sehen, sie stehen leidenschaftlich und bedingungslos hinter ihrer Mannschaft und kämpfen
für die Ehre ihrer Mannschaft. Die gegnerische Mannschaft wie auch deren Anhänger werden
automatisch zu Gegnern, ja oft auch Feinden, die es unter allen Umständen zu besiegen gilt.
Um die Ehre der eigenen Mannschaft zu verteidigen, werden auch Auseinandersetzungen mit
Vertretern des gegnerischen Vereins, mit dem Schiedsrichter und vor allem gegnerischen
Fans gesucht." (ebd., S.53).
Die Anwendung körperlicher Gewalt spielt(e) demzufolge unter den Kuttenfans eine durchaus
relevante Rolle, allerdings dient diese laut Gabler nicht wie etwa bei den Hooligans als
Selbstzweck, sondern ist in der Regel vordergründig als Reaktion auf Niederlagen und Spott
des Gegners anzusehen und steht demzufolge in direktem und engem Zusammenhang mit
dem Sport (vgl. Gabler 2010, S.24). Wie einleitend erwähnt, prägten die Kuttenfans besonders
in den 1970er und 1980er Jahren das Bild der deutschen Fankurven. Zwar finden sich bis
heute in vielen Stadien noch ,Veteranen` dieser Fangruppen wieder, allerdings wurden die
Kutten in einigen Fanszenen mehr und mehr durch andere Fankulturen verdrängt und stellen
in der aktuellen, insbesondere von Ultras geprägten, deutschen Fanszene eher eine Minderheit
dar. (Vgl. Brenner, 2009, S.64) Dazu ebenfalls Bremer (2003, S.90): ,,Die ,Kutte` ist ein
Relikt vergangener Tage und heute nur noch selten zu finden.". Hinsichtlich der emotionalen
Verbundenheit mit dem Verein sowie dem aktiven Support im Stadion lassen sich durchaus
Parallelen zwischen den Kuttenfans und den heutzutage die deutsche Fanszene dominierenden
Ultras feststellen. Allerdings unterscheiden sich beide Fankategorien besonders in Grad und
Art der Organisation. Während die Kuttenfans in der Regel als Clique oder fester Fanclub die
Spiele besuchten und sich die Aktivitäten dieser Gruppen zumeist auch einzig auf den Besuch
der Spiele beschränkten, zeichnen sich die Ultragruppen heutiger Tage insbesondere auch
durch ihr vergleichsweise hohes Maß an Organisation und gruppeninterner Aktivitäten
außerhalb des Spieltages aus. (Vgl. Gabler 2010, S.21)
Das ,Vermächtnis` der Kuttenfans und kuttendominierten Fanclubs ist gewissermaßen die
Einführung von Fahnen, Schals, Gesängen und anderen spezifischen Fanritualen in den
Kurven, durch welche sie den bis heute gültigen Grundstock an fankulturellen
Verhaltensweisen in deutschen Stadien herausbildeten (vgl. Gabriel 2004, S. 179). Würdigt
man jenes ,Vermächtnis` der Kuttenfans, muss diesen, Gabler zufolge, jedoch auch zeitgleich
die Verschärfung des Gewaltproblems im deutschen Fußballsport sowie darüber hinaus auch -
zumindest in Teilen- die Teilhabe oder Duldung von offen zur Schau getragenem Rassismus

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und Rechtsextremismus in den Stadien angelastet werden. Durch dieses in den 1980er Jahren
vorherrschende Klima in den Stadien kam es zu einer Manifestierung des Fußballs als Sport
der Arbeiterklasse, da Angehörige der Mittel-und Oberschicht den Stadien wohl auch aus obig
erwähnten Gründen fernblieben (vgl. Gabler, 2010, S. 24f.). Zwar klassifiziert Gabler die
Kuttenfans als prinzipiell unpolitisch, betont allerdings ihren Anteil an dieser Entwicklung:
,,Die ,,Kuttenfans" galten zwar als unpolitisch, jedoch etablierten sich vielerorts, unter
anderem auch durch gezielte Mitgliederwerbung neonazistischer Gruppierungen, Fanszenen
mit rechtsextremen Tendenzen." (ebd., S.25).
Das Klima aus Gewaltbereitschaft und rechtsextremen Gedankengut, gepaart mit dem immer
stärker werdenden öffentlichen und medialen Interesse am Fanverhalten, bereitete
gewissermaßen den Nährboden für die weitere Ausdifferenzierung der deutschen Fanszene
und die Abkopplung vieler Kutten hin zu einer neuartigen Fankultur, den Hooligans. Dazu
Weigelt (2004, S.32): ,,Die Folge war, dass sich die Fan-Szene spaltete. Ein Teil löste sich
von gewalttätigen Ausbrüchen und blieb als treuer Anhänger in den Fan-Clubs organisiert
[...]. Der andere Teil der unangepassten Jugendlichen brach aus dem organisierten Fanleben
aus und schloss sich anderen Straßenbewegungen an (z.B. den Skinheads oder Punks). Die
Gewalttätigkeit wurde beibehalten, aber man löste sich von den Kutten und ging lieber
unauffällig ins Stadion. Die Hooligans waren geboren.". Zwar wurde das Problem des
Rechtsextremismus infolge gezielter sozialpädagogischer Intervention in den Folgejahren zu
großen Teilen aus den deutschen Bundesligastadien ,vertrieben`, allerdings gehen das
Bundesamt für Verfassungsschutz und die ZIS auf Basis des ZIS Jahresberichtes 2006/07
übereinstimmend davon aus, dass in der Fanszene des Fußballsports nach wie vor zwischen 5
und 10 Prozent der Fans der rechtsextremen Szene/Subkultur zuzuordnen sind.(Vgl. Pilz u.a.
2009, S.169)
2.3. Hooligans
,,Hooliganismus ist eine männliche Form zivilen Ungehorsams, eine nichtpolitische Rebellion
gegen die sinnlose Autorität des Alltags, ein Versuch, die von montags bis freitags
aufgezwungene Rolle abzustoßen, aus dem langweiligen, abstumpfenden Spießerdasein
auszubrechen-wenigstens für ein paar Stunden." (Farin 2002, S. 191)
In diesem Abschnitt soll nun die nächste zahlenmäßig relevante Fankategorie vorgestellt
werden, die Hooligans. Zunächst wird der Versuch einer Begriffsdefinition und

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Herkunftserklärung des Namens unternommen, anschließend sollen die historische
Entstehung sowie Art und Ausprägung dieser Fankategorie im deutschen Raum aufgezeigt
werden. Zudem soll auch der Versuch unternommen werden, die dem Hooliganismus
zugrunde liegende Ideologie darzulegen sowie eine mögliche politische Konnotation dieser
Subkultur aufzuzeigen.
2.3.1. Hooligans-Ursprünge und Begriffsdefinition
Über den genauen Ursprung des Wortes Hooligan gibt es keine vollends gesicherten
Angaben. Dem Schriftsteller Ralf Ek zufolge wurde besagter Begriff zum ersten Mal im Jahr
1898 in einer englischen Tageszeitung im Zusammenhang mit Alkohol und exzessiver
Gewaltanwendung auf öffentlichen Plätzen benutzt. Generell wird davon ausgegangen, dass
sich der Begriff des Hooligans aus dem Englischen ableitet und so viel bedeutet wie
,,Raufbold", ,,Schlägertyp" oder ,,Rabauke". Andere Quellen berichten, der Begriff würde sich
etymologisch aus dem slawischen Sprachraum herleiten. Aus England, dem Mutterland des
Fußballs, wurde auch zum ersten Mal über gewalttätige Auseinandersetzungen während der
Spiele berichtet. So wurde bereits im Jahr 1963 seitens der englischen Medien im Rahmen des
Spiels zwischen dem FC Everton und seinen katholischen Anhängern und den
protestantischen Fans des Clubs Glasgow Rangers das erste Mal von einer ,,Schlacht" unter
Fans gesprochen (Vgl. Weigelt 2004, S. 13, 25ff.) Aufgrund dessen erscheint es
wahrscheinlich, den Ursprung des Hooliganbegriffes dem englischen Sprachraum
zuzuordnen. Charakteristisch für die Fankultur der Hooligans ist die Anwendung körperlicher
Gewalt im Rahmen von Fußballveranstaltungen. Aufgrund ebendieser starken Gewaltaffinität
werden Hooligans seitens der Polizei ausnahmslos als gewaltsuchende Fans der Kategorie C
eingestuft (siehe dazu auch Punkt 1).
In dem Zeitraum zwischen 1980 und 1992 erlebte die Hooligankultur ihren größten
Aufschwung. Zwar gab es seit Beginn der Fußballgeschichte immer schon Krawalle und
körperliche Auseinandersetzungen während der Spiele, diese wurden allerdings erst seit etwa
1966 unter dem Begriff des Hooliganismus subsumiert. (Vgl. Weigelt 2004, S.25) Wenn in
der Folge vom deutschen und europäischen ,,Hooliganismus" (Farin 2002, S.191) gesprochen
wird, bezieht sich diese Beschreibung primär auf die Epoche zwischen 1980 und den frühen
1990er Jahren. Die Fankategorie der Hooligans entwickelte sich in Deutschland aus der im

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letzten Abschnitt beschriebenen Spaltung der Fanszene in den 1980er Jahren heraus, infolge
derer sich einige Fans von den zu diesem Zeitpunkt die deutschen Fankurven beherrschenden
Kuttenfans lossagten und sich fortan stark an den Hooligangruppen im englischen Fußball
orientierten. Aufgrund dieser Orientierung wurde auch die Bezeichnung Hooligan von den
deutschen Fans schlichtweg adaptiert. (Vgl. Gabler 2010, S.25)
2.3.2. Hooligans in Deutschland-Zahlen und Fakten
Grundsätzlich ist an dieser Stelle anzumerken, dass die Hooligankultur in Deutschland nach
übereinstimmender Meinung von Fachleuten eindeutig als rückläufig einzuordnen ist. S o
beschreibt bspw. Farin (vgl. 2002, S. 193) eine Halbierung der Hooligananzahl in
Deutschland von etwa 14.000 im Jahr 1992 auf ca. 7000 in der Saison 1998/99. Pilz schätzt
deren Anzahl für das Jahr 2004 auf unter 3000 (Pilz zitiert nach Blaschke Köster 2004, S.30),
weswegen er die Hooligankultur anschließend auch allgemein als ein durch die Ultrakultur
zunehmend verdrängtes Auslaufmodell bezeichnete. Als Grundlage für diesen
kontinuierlichen Rückgang der Fallzahlen ist sicherlich die Verabschiedung des NKSS im
Jahr 1993 anzusehen, in welchem ,,[...] eine Reihe präventiver und repressiver Maßnahmen
[...]" (Gabler 2010, S.27) beschlossen wurden, um die Sicherheitslage in den deutschen
Stadien nachhaltig zu verbessern.
Zu besagten Maßnahmen, welche in nachfolgenden Punkten noch einmal präzise erläutert
werden sollen, zählten insbesondere die Präventionsarbeit der neugegründeten Fanprojekte,
die Umstrukturierung der Stadien sowie die Einführung diverser repressiver Maßnahmen wie
bspw. stärkere Polizei-und Ordnerpräsenz oder auch Videoüberwachung in den Stadien (vgl.
ebd., S.27). Laut Brenner steht der der Rückgang der Hooligan-Zahlen zudem in
unmittelbarem Zusammenhang mit der Etablierung neuer, kritischer Fankulturen wie der der
Ultras (vgl. Brenner 2009, S.66). Allerdings verweist Brenner diesbezüglich ebenso auf die
immer noch vergleichsweise problematische Situation in den neuen Bundesländern (,,Diese
Entwicklung ist [...] kein gesamtdeutsches Phänomen [...]") (ebd. S.66), in denen
Ausschreitungen bei vielen Vereinen an der Tagesordnung sind und vor allem in
unterklassigen Ligen alte Feindschaften zwischen den ostdeutschen Traditionsvereinen nach
wie vor kultiviert werden (vgl. Pilz 2005, S.6). Die Gewalt in ostdeutschen Fußballstadien sei
allerdings nicht zwingend mit dem klassischen Hooliganismus gleichzusetzen, vielmehr
verweist Pilz in diesem Zusammenhang auf soziale Probleme der Delinquenten sowie eine

Details

Seiten
Erscheinungsform
Erstausgabe
Jahr
2012
ISBN (PDF)
9783955498344
ISBN (Paperback)
9783955493349
Dateigröße
446 KB
Sprache
Deutsch
Institution / Hochschule
Universität Kassel
Erscheinungsdatum
2015 (Februar)
Note
1
Schlagworte
Hooligan Ultra Ultrakultur Kutte Fußballfan Fanprojekt
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Titel: Sozialpädagogische Fanarbeit im deutschen Fußball: Rahmenbedingungen und Konzepte der deutschen Fanprojekte
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