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Adipositas: Auswirkungen und Folgen für Kinder im Grundschulalter

©2012 Bachelorarbeit 55 Seiten

Zusammenfassung

"25 Prozent aller Schüler zu dick“ schrieb die Süddeutsche Zeitung bereits im Oktober 1994. Im September 2000 warnten dann Experten auf Spiegel-Online: „Kinder in Deutschland werden immer dicker“. „Wenn wir nichts tun, werden viele unserer Kinder früh sterben“ betitelte die Bild am Sonntag im April 2006 ihr Interview mit Professor Erik Harms, Vorsitzender der Plattform für Ernährung und Bewegung. Und der Stern macht 2012 gleich eine ganze „Generation Pommes“ aus Kindern und Jugendlichen.
Eine Relevanz des Themas dieser Arbeit ergibt sich allemal aus der Vielzahl an Artikeln und Berichten in den Medien, deren andauernder Präsenz und stetiger Zunahme. Dahinter stehen Ergebnisse diverser Studien und Untersuchungen, die ergeben, dass nicht nur mehr Kinder übergewichtig werden, sondern auch das Gewicht der Kinder immer weiter ansteigt. So hat beispielsweise die KiGGS-Studie ergeben, dass es im Vergleich zu den Jahren 1985 bis 1999 heute 50% mehr Kinder und Jugendliche mit Übergewicht und doppelt so viele mit Adipositas gibt. Die Schlagzeilen haben demnach durchaus ihre Berechtigung.
Extremes Übergewicht birgt ein erhöhtes Morbiditäts- und Mortalitätsrisiko, was wiederum mit höheren Kosten für das Gesundheitssystem einhergeht. So sollen in der Europäischen Union etwa 7% der Kosten für die Gesundheitsversorgung auf das Konto der Adipositas gehen. Es geht also nicht nur um das Wohlergehen des einzelnen Menschen, sondern gleichfalls um ein gesellschaftliches sowie gesundheitspolitisches Problem.
Mit dem Eintritt in die Schule bewegen sich Kinder in der Regel weniger, sie verbringen stattdessen mehr Zeit sitzend, im Unterricht wie auch zu Hause. Bewegung oder Sport reduziert sich dann häufig auf zwei bis drei Unterrichtsstunden in der Woche. Diese Phase in der Kindheit stellt demzufolge ein Risiko dar, Übergewicht zu entwickeln. Da bereits in dieser Altersklasse Übergewicht prävalent ist und dessen erste Folgen sich auch schon auf die Lebensqualität, die Gesundheit und den Alltag der Betroffenen auswirken, bezieht sich die Arbeit vor allem auf Kinder im Grundschulalter. Für die Soziale Arbeit ergibt sich stets die Notwendigkeit, möglichst früh zu helfen oder zu unterstützen.

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


3.2. Bewegungsmangel

Begünstigt wird die Entstehung unter anderem durch mangelnde körperliche Aktivität. Das Leben in der heutigen Gesellschaft ist geprägt von einer rasant fortschreitenden Technik, die in vielen Bereichen Erleichterungen mit sich bringt und gleichsam Bequemlichkeit fördert oder Aktivität verringert:

„Die modernen Möglichkeiten der Fortbewegung und die Tätigkeit vor Bildschirmen sowie Fernsehen haben in den letzten Jahren zu einem deutlichen Rückgang der täglichen körperlichen Aktivität auch bei Kindern geführt.“[1]

Statt mit dem Fahrrad zur Schule zu fahren, werden Kinder mit dem Auto gebracht, anstelle der Treppe, wird der Aufzug benutzt und anstatt auf dem Spielplatz, verbringen Kinder heutzutage mehr Zeit vor Computer und Fernseher. Dabei gibt es nachweislich einen Zusammenhang zwischen der Höhe des Fernsehkonsums oder der Nutzung anderer audiovisueller Medien und der Entwicklung von Übergewicht:

„30% der Kinder, die im Alter von sechs Jahren mehr als fünf Stunden fernsahen, waren als 12-jährige adipös. Die Rate der Adipösen war in dieser Gruppe damit doppelt so hoch als in der Gruppe der Kinder, die nur eine Stunde pro Tag fernsahen.“[2]

Ernst et al. zitieren Rapp et al. und Robinson, die ebenfalls einen engen Zusammenhang zwischen der Höhe des täglichen Fernsehkonsums und der Entwicklung von Adipositas sehen:

„Bereits bei Kindergartenkindern korreliert ein erhöhter Fernsehkonsum mit Übergewicht (Rapp et al. 2005). Fernsehzeit ist keine Bewegungszeit und ist oft mit einer erhöhten Aufnahme von Kalorien verbunden (Robinson 2001).“[3]

Graf et al. dagegen führen eine Metaanalyse von Marshall et al. auf, nach der die Zusammenhänge zwischen dem Körperfettgehalt und Fernsehen und Computer sowie körperlicher Aktivität zwar signifikant, jedoch nur von geringem Einfluss sind. Als Folgerung sollen weitere Faktoren wie mangelnde Alltagsaktivität eine wesentliche Rolle spielen.[4]

Es geht demzufolge nicht ausschließlich um die Dauer des Medienkonsums allein, sondern vielmehr um die alltägliche Bewegung, die Kindern fehlt. Hierzu muss auch das Verhalten der Eltern hinterfragt werden, die zum einen als Modell für Kinder dienen und zudem den natürlichen Bewegungsdrang von Kindern fördern sollten.

3.3. Ernährung und Essverhalten

Weitere Faktoren für die Entstehung von Adipositas sind die Ernährung und das Essverhalten. Dass Kinder beispielsweise Süßes mögen, ist kein Geheimnis und - in Maßen - nicht der (alleinige) Grund für Übergewicht. Lebensmittel mit hoher Nährstoffdichte und geringem Sättigungsgrad, wie Fastfood und Cola, werden von Kindern gern konsumiert, enthalten allerdings viel Fett und Zucker.

„Ihr Energiegehalt entspricht einer Hauptmahlzeit, sie werden aber oft genug nur als Zwischenmahlzeit gegessen. Das kann zu Übergewicht führen.“[5]

Laut KiGGS-Studie sollen jedoch 81% der Jungen und 90% der Mädchen seltener als einmal pro Woche Fastfood essen. Das erscheint deutlich weniger, als häufig angenommen wird, da diese Lebensmittel in der Beliebtheit bei Kindern und Jugendlichen sehr hoch sind. Dagegen ist der Konsum von Süßigkeiten, Snacks und gesüßten Getränken tatsächlich zu hoch.[6] Einhergehend mit höherem Fernsehkonsum ist bei Kindern auch ein vermehrter Verzehr von Snacks zu erkennen.

Da Grundschulkinder in Bezug auf das Nahrungsmittelangebot noch sehr stark von den Eltern abhängig sind, nimmt auch hier das elterliche Verhalten eine wesentliche Rolle ein. Ob regelmäßige gemeinsame Mahlzeiten eingenommen werden, Ernährungswissen vermittelt wird oder gesunde Lebensmittel angeboten werden, hängt auch vom Sozialstatus ab:

„Verschiedene Studien zeigen, dass Bevölkerungsgruppen mit geringerem Einkommen eher kostengünstigere energiedichte Nahrung in Form von Weißbrot, fetthaltige Wurst- und Fleischwaren, Zucker und Süßspeisen zu sich nehmen als besserverdienende Bevölkerungsgruppen, die zu mehr Obst und Gemüse greifen.“[7]

Das ist einerseits eine Folge von mangelndem Ernährungswissen, andererseits ist es eine Frage der monetären Situation in der Familie, so sollen energiedichtere Lebensmittel für wenig Geld möglichst lange satt machen. Das Essverhalten kann weiterhin von emotionalen Umständen beeinflusst werden. Stress, Frustration, Unzufriedenheit, mangelnde Zuneigung, Freude, Trauer, Langeweile sind Beispiele für Emotionen, die in Form von Nahrungsaufnahme befriedigt werden könnten. Ob das Kind in einer gefühlsbetonten Situation zum Lebensmittel greift, basiert vornehmlich auf frühkindliche Erfahrungen:

„Entscheidend für das Kind ist, um Hunger von anderen Spannungen oder Bedürfnissen abgrenzen zu lernen, die angemessene Reaktion der Mutter auf seine Hinweisreize.“[8]

Schreit ein Baby weil es Hunger hat, die Mutter aber fortwährend inadäquat reagiert, beispielsweise mit Desinteresse oder Überbesorgnis, wird es dem Kind im Laufe der Jahre immer schwerer fallen, sein Bedürfnis nach Nahrung von anderen zu unterscheiden.

Als weitere Risikofaktoren für die Entwicklung einer Adipositas gelten Migrationshintergrund, Rauchen während der Schwangerschaft und Nicht-Stillen. Das Stillen soll einen geringen aber protektiven Effekt gegenüber Adipositas im Kindesalter haben.[9] Je länger gestillt wird, umso geringer ist die Wahrscheinlichkeit, dass Übergewicht oder Adipositas im Kindesalter entsteht. Rauchen während der Schwangerschaft dagegen erhöht das Adipositasrisiko um ein 2,2faches.[10] In diversen Studien wurde der Migrationshintergrund als Risikofaktor für die Entstehung von Adipositas herausgestellt.[11] Das kann in der jeweiligen Kultur, die andere Ernährungsgewohnheiten aufweist, begründet sein. Überdies sind Migrantenfamilien häufig in unteren sozialen Schichten zu finden, die für sich einen Risikofaktor darstellen, wie weiter oben bereits erwähnt wurde.

Zusammenfassend soll hier noch einmal betont werden, dass nicht ein einzelner der aufgeführten Entstehungsfaktoren ausschlaggebend für die Entwicklung einer Adipositas ist. Vielmehr beeinflussen sie sich wechselseitig und bestehen nebeneinander. Ein Kind von schlanken Eltern, das viel Sport treibt aber auch viel nascht, wird nicht zwangsläufig dick. Ein Kind dagegen, dessen Eltern beide übergewichtig oder adipös sind, das unregelmäßig und zu fetthaltig isst und sich wenig bewegt, erfüllt gleich mehrere Bedingungskriterien für die Entstehung einer Adipositas, was die Wahrscheinlichkeit dick zu werden exorbitant erhöht.

Ungeachtet der Entstehungsfaktoren entwickelt sich die Adipositas nicht von heute auf morgen, es ist ein langsamer Prozess, oft über mehrere Jahre hinweg.

4. Auswirkungen und Folgen der Adipositas

Die Adipositas wird mit einer Reihe von Krankheiten, Beeinträchtigungen und Risikofaktoren assoziiert. Das Übergewicht und der erhöhte Körperfettanteil belasten nicht nur den Körper und seine Organe, sie wirken sich auch in psychischer und psychosozialer Hinsicht auf den Alltag und das Leben der Kinder mit Adipositas aus.

Die zahlreichen Folgeerkrankungen stellen für die betroffene Person ein Problem in Form von verminderter Lebensqualität und erhöhter Mortalität dar. Zudem belasten sie das Gesundheitssystem mit hohen Kosten.

Für die Soziale Arbeit ist vor allem der Blick auf die seelischen Auswirkungen von großer Bedeutung. Hier eröffnen sich Handlungsfelder, durch die betroffene Kinder Unterstützung und Hilfe erhalten können. Die Adipositas und das entsprechende Ernährungs- und Bewegungsverhalten betrifft oftmals nicht allein die Kinder innerhalb der Familie, sondern ebenso die Eltern. Vieles ist in den Alltagsstrukturen der Familie fest verankert. So ergibt es Sinn, wenn der Weg aus dem Teufelskreis von einer externen Person aufgezeigt wird.

Die folgenden Abschnitte geben einen Überblick über die medizinischen Folgen der Adipositas. Des Weiteren wird auf die psychischen Auswirkungen sowie auf die psychosozialen Belastungen eingegangen, denen Kinder mit Adipositas ausgesetzt sind.

Die medizinischen Folgen sollen hier jedoch lediglich einen Überblick darstellen, um das Ausmaß von Adipositas zu skizzieren, sie erheben somit keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Die Vielzahl der möglichen Folgeerkrankungen ist daher in zusammengefasster Form aufgeführt. Mehr Beachtung soll den psychologischen und psychosozialen Auswirkungen geschenkt werden, da sich hier für die Soziale Arbeit die Möglichkeit und Notwendigkeit zur Intervention ergibt.

4.1. Medizinische Folgen

Die erhöhte Körperfettmasse bei Kindern mit Adipositas setzt den Körper starken Belastungen aus. Das kann zu vielen gesundheitlichen Beeinträchtigungen führen, die sich bereits im Kindesalter ausprägen oder ein Risikofaktor für die Erkrankung im Erwachsenenalter darstellen:

„So fanden z.B. Must et al. (1992) bei übergewichtigen Kindern und Jugendlichen noch nach 55 Jahren ein erhöhtes Morbiditäts- und Mortalitätsrisiko, unabhängig vom Gewichtsstatus als Erwachsene.“[12]

Folgen von Fettleibigkeit im Kindesalter ergeben sich demnach nicht nur in akuter Form, sondern gleichfalls langfristig.

4.1.1. Herz-Kreislauf und Stoffwechsel

Adipöse Kinder weisen oftmals bereits Fettstoffwechselstörungen, Bluthochdruck, Zuckerstoffwechselstörungen und Chronische Entzündungen auf.

„All diese Erkrankungen führen schon im Kindes- und Jugendalter zu Gefäßwandveränderungen […].Diese Gefäßveränderungen führen dann im Erwachsenenalter zu Herzinfarkt und Schlaganfall, sowie bei Zuckerstoffwechselstörungen durch Beteiligung der kleinen Gefäße auch zu Nerven-, Nieren- und Augenschäden. Insbesondere bei der Kombination mehrerer Folgeerkrankungen (metabolisches Syndrom) steigt das Mortalitätsrisiko deutlich an.“[13]

Minimale Veränderungen, die sich möglicherweise im Kindesalter noch nicht so stark ausprägen, zeigen im Erwachsenenalter problematische Auswirkungen.

Bei etwa einem Drittel aller übergewichtigen Kinder und Jugendlichen kann Bluthochdruck festgestellt werden, rund ein Viertel leidet an Stoffwechselstörungen.[14] Auch wenn bei hohem Blutdruck, erhöhten Cholesterinwerten oder einem Vorstadium von Diabetes mellitus Typ II die Symptome und Beschwerden nicht derart ausgebildet sind, dass sie Schmerzen verursachen oder den Alltag stören, stellen sie einen hohen Risikofaktor für die Erkrankung des Herz-Kreislaufsystems dar. Das Ausmaß zeigt sich meist erst in späteren Jahren an einem erheblich erhöhten Morbiditäts- und Mortalitätsrisiko.

4.1.2. Lunge und Atemwege

Weiterhin kann sich die Adipositas auf Lungen und Atemwege auswirken:

„Weil Übergewicht auch die Lungenfunktion beeinträchtigt, wird die Atmung vermindert und die Sauerstoffsättigung des Blutes reduziert. Dies kann zu Schlafstörungen führen und die Lern- und Gedächtnisfunktion stören.“[15]

Vor allem für Schulkinder sind ein gesunder Schlafrhythmus sowie die Leistungsfähigkeit in Bezug auf das Lernen von großer Bedeutung. Schlafstörungen können sich auf die Konzentration im Unterricht negativ auswirken, was wiederum einen Leistungsabfall zur Folge haben kann. Das erhöht den Leidensdruck der Kinder mit Adipositas zusätzlich.

Die mit Übergewichtigen oft in Verbindung gebrachte Kurzatmigkeit bei bereits geringer körperlicher Anstrengung basiert jedoch nicht auf der Belastung der Lunge und Atemwege durch das Übergewicht, vielmehr „ […] handelt es sich hierbei eher um eine muskuläre Insuffizienz infolge mangelnder kardiopulmonaler Ausdauerleistung […].“[16]

Es ist demnach eher ein Indikator für den Trainingszustand der Person, unabhängig vom Gewicht. Ein verminderter Trainingszustand bei Kindern mit Adipositas resultiert häufig aus einer eingeschränkten Bewegungs- und Leistungsmöglichkeit.

Auch Asthma wird oft mit Adipositas assoziiert. Einer Studie zufolge kann es sich hierbei jedoch ebenso lediglich um asthmaähnliche Symptome handeln, die durch das Übergewicht ausgelöst wurden.[17]

4.1.3. Orthopädische Schäden

Auch in orthopädischer Hinsicht macht sich das Übergewicht bereits im Kindesalter bemerkbar. Viele Kinder entwickeln Fehlhaltungen oder Fehlstellungen des Haltungs- und Bewegungsapparates. Durch das höhere Körpergewicht steigt die Belastung auf Körperteile mit einer tragenden Funktion. Betroffen sind demnach vor allem Füße, Beine, Gelenke und Rumpf.

„Hervorzuheben ist hier insbesondere die Gewölbekonstruktion der Füße, die Elastizität gewährleisten und quasi als Stoßdämpfer eine Schutzfunktion für die darüber liegenden Gelenke übernimmt. Abflachung der Fußgewölbe infolge von Überlastung reduziert oder eliminiert diesen Schutz für die Beingelenke und die Wirbelsäule.“[18]

Übergewicht birgt demzufolge vor allem das Risiko einen sogenannten Knick-Senkfuß oder Plattfuß zu entwickeln, woraus sich dann weitere Gelenkleiden und Fehlstellungen ergeben können, wie zum Beispiel X-Beine. Alle folgenden Gelenke oberhalb des Fußes werden wie in einer Kettenreaktion belastet, die Knie, die Hüfte, die Wirbelsäule. Das hat Einschränkungen in der Bewegung zur Folge und kann Schmerzen verursachen.

4.1.4. Hormonelle Beeinträchtigungen

Durch Adipositas kann eine frühzeitige Pubertätsentwicklung bei Mädchen (Pubertas praecox) bzw. eine verspätete Pubertätsentwicklung bei Jungen (Pubertas tarda) eintreten. Bis zu 1/5 aller adipösen Mädchen ab dem 14. Lebensjahr leiden unter dem Polyzystisches Ovarsyndrom. Diese Stoffwechselstörung führt zu Regelbeschwerden, Sterilität und einem erhöhtem Brust- und Gebärmutterkrebsrisiko. Die Mädchen leiden dabei besonders unter dem sogenannten Hirsuitismus, ein männlicher Behaarungstyp, der durch eine Erhöhung der männlichen Hormone (Androgene) hervorgerufen wird.19

4.1.5. Persistenz

Als Folge von Adipositas im Kindesalter kann auch deren Persistenz angesehen werden, denn die Fettleibigkeit setzt sich meist bis ins Erwachsenenalter fort. So werden übergewichtige Kinder häufig auch als Erwachsene übergewichtig sein. Die Persistenz ist jedoch abhängig vom Alter des Kindes, vom Ausmaß des Übergewichts und vom Gewicht der Eltern:

„Whitaker et al. (1997) fanden für adipöse Kinder vor dem 3. Lebensjahr nur ein geringes Risiko, auch im Erwachsenenalter adipös zu werden. Ist jedoch ein Elternteil adipös, steigt dieses Risiko an und liegt bei 10-14 Jährigen mit einem adipösen Elternteil immerhin bei ca. 80%.“ [20]

Gut prognostizieren lässt sich die Persistenz mit Hilfe des sogenannten adiposity rebound. Aus dem Englischen übersetzt, bedeutet rebound so viel wie wieder ansteigen[21]. Gemeint ist hiermit die Veränderung des BMI oder des Körperfettanteils. Bei Säuglingen steigt der BMI im ersten Lebensjahr an, sie nehmen kontinuierlich zu. Danach sinkt der BMI bis zu einem Alter von etwa 4 bis 6 Jahren stetig ab, um anschließend erneut anzusteigen.

„Diejenigen Kinder, bei denen dieser ‚rebound‘ eher früh erfolgt, weisen ein höheres Risiko auf, in der Adoleszenz übergewichtig zu sein als Kinder mit einem späten ‚rebound‘ nach dem siebten Lebensjahr (Lehrke u. Laessle 2003).“[22]

Je früher das Gewicht wieder ansteigt, umso höher ist das Risiko, dass das Kind übergewichtig wird und sich dieses Übergewicht bis ins Erwachsenenalter hartnäckig hält.

Diese Beständigkeit bewirkt, dass die Kinder fortwährend, von früher Kindheit an über die Jugendphase bis hin zum Erwachsenen, übergewichtig durch das Leben gehen. Das bringt nicht nur physische und medizinische Folgen mit sich, auch psychisch und in psychosozialer Hinsicht kann sich das persistente (Über-)Gewicht als Ballast auswirken.

4.2. Psychologische Folgen

In einschlägiger Literatur taucht immer wieder die Frage auf, ob psychische Störungen Auslöser oder Folge einer Adipositas sind. Da psychische Aspekte auf das Essverhalten einwirken können, kommen sie als Ursache durchaus in Betracht. So haben laut Graf et al. Jugendliche, die unter einer affektiven Störungen leiden, ein erhöhtes Risiko im Erwachsenenalter adipös zu werden.[23]

Es ist aber ebenso nachvollziehbar, dass die Vielzahl an Beeinträchtigungen, sowohl in medizinischer als auch in sozialer Hinsicht, einen Menschen gleichfalls psychisch belasten kann, was somit eine Folge von Adipositas darstellen würde. Wabitsch et al. zitieren Britz et al., wonach die Mehrzahl der adipösen Adoleszenten angaben, dass sich die psychiatrische Symptomatik (Angst oder Depression) erst nach der Manifestation des Übergewichts entwickelt hatte.[24]

Eine individuelle Beantwortung der Frage nach Ursache oder Folge scheint hier angebracht zu sein. Möglich sind sowohl das Eine, als auch das Andere sowie gegebenenfalls eine Kombination aus beiden Fällen.

4.2.1. Angst und Depression

In der Literatur wird das Auftreten von Ängstlichkeit und Depressivität unterschieden in Gruppen von Adipösen, die sich in klinischer Behandlung befinden und jenen, die sich nicht in Behandlung befinden. Nehmen Kinder eine Behandlung in Anspruch, leiden sie in der Regel unter einer extremen Form der Adipositas. Dementsprechend sind die Folgebelastungen erheblich höher. Die Arbeitsgemeinschaft Adipositas im Kindes- und Jugendalter schreibt auf ihrer Internetseite, dass laut einer Studie von Britz et al. 43% der extrem adipösen Kinder und Jugendlichen an Depressionen leiden und 40% an Angststörungen.[25]

Laut Lehrke et al. liegen bei 5-30% der betroffenen Kinder und Jugendlichen Ängstlichkeit und Depressivität vor.[26] Die Spanne der prozentualen Angaben ist sehr weit, was unterstreicht,

„[…] dass die Gruppe der adipösen Kinder und Jugendlichen sehr heterogen ist und sich sehr unterschiedliche Belastungsprofile feststellen lassen.“[27]

Hier lassen sich keine allgemeingültigen Aussagen treffen und ebenso muss differenziert werden, ob Adipositas Ursache oder Folge der psychischen Störung ist.

[...]


[1] Graf et al., 2007, S. 13

[2] Warschburger et al., 2008, zit. Dietz & Gortmaker 1985, S. 20

[3] Wiegand et al., 2010, zit. Rapp et al. 2005 & Robinson 2001, S. 273

[4] Graf et al., 2007, S. 72

[5] KiGGS-Studie, 2006, S. 59

[6] Ebd. S. 58-60

[7] Kochanowski, 2007, S. 29

[8] Ebd. S. 24

[9] Wabitsch et al., 2005, S. 103

[10] Warschburger et al., 2008, zit. Oken et al. 2005, S. 21

[11] Wiegand et al., 2010, S. 43

[12] Lehrke et al., 2009, S. 9

[13] www.aga.adipositas-gesellschaft.de

[14] Wirth, 2008, S. 380

[15] www.adipositas-online.info

[16] Wabitsch et al., 2005, S. 201

[17] Beuther, Sutherland, 2007 S. 661 - 666

[18] Graf, Dordel, Reinehr, (Hrsg.), 2007, S. 46

[19] www.aga.adipositas-gesellschaft.de

[20] Wabitsch et al., 2005, S. 11

[21] Pons 2008, S. 796

[22] Lehrke et al., 2009, S. 7

[23] Graf et al., 2007, zit. Hasler et al. 2005, S. 92

[24] Wabitsch et al., 2005, S. 226

[25] www.aga.adipositas-gesellschaft.de zit. Britz et al. 2000

[26] Lehrke et al., 2009, zit. Epstein et al. 1996, S. 11

[27] Warschburger et al., 2008, S. 7

Details

Seiten
Erscheinungsform
Erstausgabe
Jahr
2012
ISBN (PDF)
9783955498443
ISBN (Paperback)
9783955493448
Dateigröße
748 KB
Sprache
Deutsch
Institution / Hochschule
Fachhochschule Braunschweig / Wolfenbüttel; Standort Wolfenbüttel
Erscheinungsdatum
2013 (Juli)
Note
2
Schlagworte
Bewegungsmangel Persistenz Binge-Eating-Störung Psychosoziale Folgen Therapie

Autor

Simone Petz, B.A., wurde 1979 in Magdeburg geboren. Ihr Studium der Sozialen Arbeit an der Ostfalia Wolfenbüttel schloss die Autorin im Jahre 2013 mit dem akademischen Grad des Bachelor of Arts erfolgreich ab. Das Interesse an Sport und Ernährung entwickelte sich bereits in ihrer Jugend. Während des Studiums nutzte die Autorin vielfältige Möglichkeiten, um ihr Wissen auf diesem Gebiet zu vertiefen. Umfassende praktische Erfahrungen in der Kinder- und Jugendhilfe motivierten sie schließlich dazu, sich der Thematik des vorliegenden Buches zu widmen.
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