Der kindliche Spracherwerb: Die Wörter- und Regeltheorie am Beispiel der Pluralbildung im Deutschen
©2010
Bachelorarbeit
31 Seiten
Zusammenfassung
Wörter und Regeln sind ein fester Bestandteil des Spracherwerbs und eng miteinander verbunden. Das mentale Lexikon bietet die Basis für die Anwendung dieser wichtigen Regeln.
Das vorliegende Buch beschäftigt sich mit wissenschaftlichen Studien zum Erwerb der Pluralbildung, welche im Bezug auf die Wörter- und Regeltheorie ausgewertet werden. Dabei wird geprüft, inwieweit das Erlernen des Plurals besagter Theorie oder dem einfachen Auswendiglernen von Wortformen folgt.
Auf diese Weise sollen verschiedene Ansätze, die entweder für oder gegen die Anwendung der Wörter- und Regeltheorie sprechen, aufgezeigt werden. Welche Untersuchungsergebnisse bestärken die Theorie des Dualen Modells von Chomsky und Pinker, welches für einen Spracherwerb spricht, der sich zusammensetzt aus den beiden wichtigen Komponenten mentales Lexikon und Regeln zur Bildung regulärer Wortformen? Und in welchen wissenschaftlichen Studien finden sich Argumente, die das widerlegen und z. B. das Auswendiglernen neuer Wörter für die Hauptkomponente des Spracherwerbs halten? Das vorliegende Buch versucht, diese Fragen zu klären sowie eine zusammenfassende Beurteilung zu dieser Fragestellung zu geben.
Das vorliegende Buch beschäftigt sich mit wissenschaftlichen Studien zum Erwerb der Pluralbildung, welche im Bezug auf die Wörter- und Regeltheorie ausgewertet werden. Dabei wird geprüft, inwieweit das Erlernen des Plurals besagter Theorie oder dem einfachen Auswendiglernen von Wortformen folgt.
Auf diese Weise sollen verschiedene Ansätze, die entweder für oder gegen die Anwendung der Wörter- und Regeltheorie sprechen, aufgezeigt werden. Welche Untersuchungsergebnisse bestärken die Theorie des Dualen Modells von Chomsky und Pinker, welches für einen Spracherwerb spricht, der sich zusammensetzt aus den beiden wichtigen Komponenten mentales Lexikon und Regeln zur Bildung regulärer Wortformen? Und in welchen wissenschaftlichen Studien finden sich Argumente, die das widerlegen und z. B. das Auswendiglernen neuer Wörter für die Hauptkomponente des Spracherwerbs halten? Das vorliegende Buch versucht, diese Fragen zu klären sowie eine zusammenfassende Beurteilung zu dieser Fragestellung zu geben.
Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
2
2. Hauptteil
Was Kinder während des Spracherwerbs lernen müssen:
Wörter und Regeln
Wie bereits erwähnt, sind Wörter und Regeln ein fester Bestandteil des
Spracherwerbs und darüber hinaus eng miteinander verbunden. Das mentale
Lexikon bietet die Basis für die Anwendung der ebenso wichtigen Regeln.
Im nun folgenden Unterkapitel werden die Bedeutungen eben dieser Wörter und
Regeln im Zusammenhang mit den Ansichten der Sprachwissenschaftler Noam
Chomsky und Steven Pinker im Hinblick auf ihre Rolle im Spracherwerb näher
betrachtet.
2.1 Wörter und Regeln
Grundlagen des Spracherwerbs nach Chomsky und Pinker
Noam Chomsky und Steven Pinker.
Zwei Sprachwissenschaftler, die ihr Leben der Spracherwerbsforschung widmeten
und bezüglich dessen für die Gegenwart und Zukunft revolutionäre Theorien
aufgestellt haben.
Chomsky war der Vorreiter der beiden, der mit seinen Ansichten zur
Universalgrammatik behauptete, der Mensch könne mit einem begrenzten
Instrumentarium von grammatikalischen Regeln und einer endlichen Anzahl von
Wörtern eine unbegrenzte Menge von Sätzen bilden, darunter solche, die noch nie
zuvor gesagt wurden
1
.
Darauf aufbauend erweiterte Steven Pinker diese Art von Theorien zum
Spracherwerb und stellte die Behauptung auf, dass die Sprachfähigkeit ein dem
Menschen angeborener Instinkt sei
2
und hat in diesem Zusammenhang die
sogenannte Wörter- und Regeltheorie aufgestellt, auf die im weiteren Verlauf
dieser Studie noch näher eingegangen wird.
________________________________
1
vgl.:
http://www.grin.com./e-book/47810/chomskys-universalgrammatik-und-ihre-bedeutung-
fuer-die-generative-grammatik
(Zugriff am 02.07.2010)
2
vgl.:
http://www.Spiegel.de/wissenschaft/mensch/0,1518/577618,00.html
(Zugriff am 02.07.2010)
3
2.1.1 Chomskys Universalgrammatik
Der am 7. Dezember 1928 in Philadelphia geborene Avram Noam Chomsky
lernte durch seinen Vater bereits als Kind die Sprachwissenschaft kennen. Als
Hebraist hat sich William Chomsky mit ,,der hebräischen Sprache und [deren]
Kultur"
3
beschäftigt und somit vielleicht die Zukunft seines Sohnes hinsichtlich
der Wissenschaft bedeutend geprägt.
Noam Chomsky entschied sich nach dem Schulabschluss für ein Studium der
Linguistik und Philosophie, welches er an der Universität von Pennsylvania
begann, dann einige Jahre in Harvard fortsetzte und schließlich wieder in
Pennsylvania erfolgreich abschloss.
Sein wohl berühmtestes Buch Syntactic Structures wurde im Jahre 1957
veröffentlicht. Es entwickelte sich schnell zu ,,einem der bekanntesten Werke der
Linguistik"
4
. In diesem Buch, das eigentlich nur ein Auszug aus seiner
Doktorarbeit Logical Structure of Linguistic Theory darstellt, erklärt Chomsky
erstmals ausführlich seine Hypothesen von der Transformationsgrammatik.
,,Die Theorie nimmt Äußerungen (Worte, Phrasen, Sätze) und setzt sie mit
Oberflächenstrukturen in Zusammenhang, die selbst wieder mit abstrakten
Tiefenstrukturen korrespondieren (Ebd., Unterkapitel: Beiträge zur Linguistik).
In diesem Zusammenhang dürfen natürlich die bereits erwähnten Regeln nicht
fehlen, da sie laut Chomsky die Grundlage für den Spracherwerb darstellen.
Diese Regeln sind angeboren, d. h. sie werden nicht im Laufe des Lebens erlernt,
versetzen den Sprecher aber theoretisch in die Lage, jede Sprache zu erlernen und
das nur aufgrund dieses bereits vorhandenen Regelwissens.
Darüber hinaus ist es möglich, mit eben diesen Regeln und grammatischen
Fertigkeiten theoretisch eine unendliche Anzahl von Sätzen bilden zu können.
Aus diesem Grund nennt sich die Grammatik, die ,,ein Teil des genetischen
Programms des Menschen" (Ebd., Unterkapitel: Beiträge zur Linguistik) ist,
Universalgrammatik.
Kurz gesagt: Universalgrammatik ist ,,die Menge von grammatischen Prinzipien
und Parametern, die allen Sprachen gemeinsam sind, weil sie auf ein angeborenes
Inventar von Eigenschaften und Restriktionen zurückzuführen sind"
5
.
________________________________
3
zitiert nach: Bibliografisches Institut & F. A. Brockhaus AG, 2007 (Stichwort: Hebraistik)
4
Hier und im Folgenden zitiert nach:
http://www.chomskyarchiv.de
(Zugriff am 02.07.2010)
5
zitiert nach: Bußmann, Hadumod (2002): Lexikon der Sprachwissenschaft (S. 722)
4
2.1.2 Zum angeborenen Sprachinstinkt nach Pinker
Der am 18. September 1954 in Montreal geborene Steven Pinker hat nach einem
erfolgreichen Schul- und Studienabschluss den Beruf des Psychologieprofessors
an der Harvard Universität ergriffen und sich seitdem vor allem mit den
Problemen des Spracherwerbs beschäftigt. Sein wohl berühmtestes Werk ist das
Buch Wie das Denken im Kopf entsteht.
6
Steven Pinker ist als Schüler aber auch als Nachfolger von Noam Chomsky zu
bezeichnen, da er dessen Ansichten aufgegriffen und erweitert hat. Er hat sich vor
allem mit den unregelmäßigen Verben beschäftigt, da bei deren Gebrauch sehr
viele Fehler während des Spracherwerbs gemacht werden.
Unregelmäßige Verben sind nicht im mentalen Lexikon gespeichert, müssen also
erst gelernt werden. Die Problematik besteht jedoch darin, dass man in diesem
Fall keinen spezifischen Regeln folgen kann und daher ausschließlich auf das
Auswendiglernen zurückgreifen muss. Das ist jedenfalls die Auffassung der
Behavioristen, die den Glauben vertreten, ,,dass der menschliche Geist
unstrukturiert und leer sei"
7
.
Pinker und bereits vor ihm natürlich Chomsky sind jedoch Anhänger des
sogenannten Rationalismus, der behauptet, ,,dass der menschliche Geist von
Geburt an im wesentlichen strukturiert und ausgebildet sei" (Ebd.).
Aus diesen verschiedenen Ansichten resultiert ein grundlegender Konflikt
zwischen den führenden Sprachwissenschaftlern.
An Pinker, der einer jüngeren Generation als Chomsky angehört, sind die
Theorien der Behavioristen jedoch nicht spurlos vorbei gegangen. Er konnte sich
gegen den Aufschwung, den der Behaviorismus in den 80iger Jahren durch die
Unterstützung der Computertechnik erhielt, nicht weiter wehren. ,,Seither wird der
Streit von Rationalisten und Behavioristen auf dem Felde der irregulären
Verbformen ausgetragen" (Ebd.). Steven Pinker hat sich aufgrund der damaligen
Eindrücke das Ziel gesetzt, ,,die wesentlichen Grundideen von Behaviorismus und
Rationalismus miteinander auszusöhnen und einen Jahrhunderte langen Streit zu
beenden. Im Zentrum dieses Vorhabens steht seine Wörter- und Regel-Theorie,
die Aspekte beider Schulen in sich vereinigt" (Ebd.).
________________________________
6
vgl.:
http://www.Spiegel.de/wissenschaft/mensch/0,1518/577618,00.html
7
hier und im Folgenden zitiert nach:
http://www.literaturkritik.de/public/rezension.php
(Zugriff am 02.07.2010)
5
Laut dieser Theorie existieren beim Menschen bezüglich des Spracherwerbs
hauptsächlich Wörter und Regeln. Die Regeln werden intuitiv benutzt, um neue
Wörter zu gebrauchen, die einem regelmäßigen System folgen. Regelmäßige
Formen können demnach leichter gebildet werden.
Wie bereits erwähnt, können diese Regeln nicht angewendet werden, wenn das
neu erlernte Wort keinem regelmäßigen System folgt. Solche Wörter werden im
mentalen Lexikon des Sprechers gespeichert und bei Bedarf aus diesem
abgerufen, nachdem man einmal mit ihnen konfrontiert wurde. ,,Folglich sollte
der Geist seine Sprache durch unterschiedliche Arbeitsweisen des Gehirns
erzeugen"
8
. Pinker betont immer wieder, dass das mentale Lexikon keine
,,eintönige Wortliste ist, die stumpfsinnig Stück für Stück auswendig gelernt
werden muß"
9
. Mit anderen Worten:
,,Kinder erlernen Sprache nicht wie das Lesen einer Uhr oder die Namen der
größten deutschen Flüsse, sie erlernen sie so, wie Spinnen lernen, Netze zu weben
oder Vögel das Fliegen lernen" (Ebd., S. 562).
Somit nimmt das mentale Lexikon im Kindesalter sehr schnell an Größe zu. Mit
zunehmendem Alter wird dieser Anstieg natürlich immer schwächer, da auf den
Sprecher nie wieder so viele neue Informationen zukommen, wie in den ersten
Lebensjahren.
Zusammenfassend lässt sich an dieser Stelle sagen, dass Pinker, von dem
Vorhandensein eines Sprachinstinktes bei allen Menschen ausgehend, der
Meinung ist, dass die Fähigkeiten für das Erlernen einer Sprache angeboren und
bei jedem Menschen für jede einzelne Sprache universell abrufbar sind. Wörter
und Regeln spielen diesbezüglich die größte Rolle, da nur ein gleichzeitiger
Gebrauch dieser beiden Kriterien einen optimalen Spracherwerb ermöglichen
kann.
________________________________
8
zitiert nach:
http://www.amazon.de/W%C3%B6rter-Regeln-Die-Natur-Sprache/dp/3938478594
(Zugriff am 10.05.2010)
9
Hier und im Folgenden zitiert nach: Pinker, Steven (1998): Der Sprachinstinkt.
6
2.2 Zur Pluralbildung im Deutschen
Nachdem die Grundzüge der Theorien von Noam Chomsky und Steven Pinker
vorgestellt und kurz erläutert wurden, soll nun die Pluralbildung des Deutschen im
Mittelpunkt der Betrachtung stehen.
Daher werden im folgenden Abschnitt zunächst die Pluralformen anhand der
Systematik von Peter Eisenberg beleuchtet sowie die häufigsten Fehler der
Pluralbildung allgemein aufgezeigt.
Trotz der Theorie des angeborenen Sprachinstinktes ist es für Erwachsene immer
wieder verblüffend, wie früh und schnell ihre Kinder den Sprach- und besonders
den Grammatikerwerb in ihrem Leben vollziehen. Im Durchschnitt ,,Steigt das
Kind mit ungefähr 18 Monaten in den Grammatikerwerb ein, d. h. zu dem
Zeitpunkt, wenn sein aktiver Wortschatz eine Größe von ungefähr 50 Wörtern
erreicht hat. [...] [und] bei aller gebotenen Vorsicht gegenüber Altersangaben
bleibt festzuhalten, dass Kinder im Laufe des vierten Lebensjahres die
grundlegenden Regeln des grammatischen Systems ihrer Muttersprache erworben
haben und sie fast immer korrekt anwenden können"
10
.
2.2.1 Überblick über die Systematik der Pluralformen nach Eisenberg
Der Sprachwissenschaftler Peter Eisenberg tastet sich in seinem ,,Grundriss der
deutschen Grammatik" (Band 1: Das Wort) sehr langsam, aber gleichzeitig mit
der Thematisierung einiger Problemstellungen an die Pluralbildung bzw. formen
des Deutschen heran.
So zeigt er z. B. zu Beginn die Schwierigkeit auf, Substantive und deren passende
Numerussuffixe in einer schlüssigen Systematik unterzubringen. Laut Eisenberg
,,ergeben sich sechs Pluralklassen"
11
, die er, wie im Folgenden dargestellt,
zusammenfasst.
________________________________
10
zitiert nach: Iven, Claudia (2006): Sprache in der Sozialpädagogik (S.44f.)
11 hier und im Folgenden zitiert nach:
Eisenberg, Peter (2006): Grundriss der deutschen Grammatik. Das Wort. (S. 162ff.)
7
Substantive
unm
m
unm
m
1
2
3
4
5
6
M/N
F
M
N
F M/F/N
e
en
en
er"
e"
s
Fische
Türen
Helden Kinder Hände Omas
Boote
Farben
Hasen
Bücher Autos
(Ebd.,
S.
164)
Die Substantive werden dabei nach markiert und unmarkiert unterteilt. Darüber
hinaus spielt die Genus-Endung eine große Rolle. Insgesamt betrachtet findet man
demnach den e-Plural bei unmarkierten Substantiven (für Maskulin- und
Neutrum-Formen), den en-Plural für feminine und maskuline Formen, den er-
Plural bei Neutrum Formen von markierten Substantiven und den e-Plural bei
femininen Formen von markierten Substantiven sowie den s-Plural für alle drei
Geschlechter bei markierten Substantiven.
Eisenberg wendet sich in seiner Betrachtung besonders dem s-Plural zu:
,,Der s-Plural (Typ 6) tritt in bestimmten lexikalischen Klassen, wie Eigennamen
auf (Schulzes, Emmas, Deutschlands), dazu in einigen Substantiven
niederdeutscher Herkunft (Religion, Wracks) und in zahlreichen fremden Wörtern
(Balkons, Briketts, Flops, Gags). Systematisch finden wir ihn in Mehrsilbern,
deren letzte Silbe einen unbetonten Vollvokal als Kern hat (Uhus, Opas). [...] Der
s-Plural steht schließlich in Abkürzungen und Kurzwörtern (ICs, LKWs, Profs,
Loks), die in vielen Fällen ebenfalls einen unbetonten Vollvokal als Kern der
letzten Silbe haben"(Ebd., S. 164).
8
Zusammenfassend gibt Peter Eisenberg an, dass alle Pluralformen auf die gleiche
Weise, also agglutinierend gebildet werden: ,,Der Fuß wird einheitlich realisiert"
(Ebd., S. 166).
Außerdem ist für ihn ,,die Wahl von (e)n vs. e in sogenannten Nonsens- oder
Pseudowörtern" (Ebd., S. 166) besonders auffallend. Im Gegensatz zu Steven
Pinker, der der Ansicht ist, dass der s-Plural die einzige regelmäßige und
produktive Form ist, sieht Peter Eisenberg den s-Plural als eine von mehreren
regelmäßigen Formen an
12
.
Auf die aus Sicht der Forscher spezielle Rolle des s-Plurals im Spracherwerb wird
jedoch im Verlaufe der Studie noch genauer eingegangen.
2.3 Die Pluralbildung im Deutschen im Zusammenhang mit der Wörter-
und Regeltheorie
Nachdem in einem kurzen Überblick gezeigt wurde, welche Pluralformen in der
deutschen Sprache existieren, werden im Folgenden wissenschaftliche Studien zur
Pluralbildung vorgestellt und mit Bezug auf die Wörter- und Regeltheorie
ausgewertet.
Auf diese Weise sollen verschiedene Ansätze, die entweder für oder gegen die
Wörter- und Regeltheorie sprechen, aufgezeigt werden. Welche
Untersuchungsergebnisse bestärken die Theorie des Dualen Modells von
Chomsky und Pinker, welches besagt, dass der Spracherwerb aus den beiden
wichtigen Komponenten mentales Lexikon und Regeln zur Bildung regulärer
Wortformen
bestehe? Denn nur ,,mit Hilfe eines solchen
Strukturierungsmechanismus ist das Kind in der Lage, Stämme von Affixen zu
unterscheiden und allgemeine Prinzipien bezüglich der Morphologie, Phonologie
und Syntax seiner Sprache zu erstellen"
13
.
In welcher wissenschaftlichen Studie finden sich Argumente, die das alles
widerlegen und z. B. das Auswendiglernen neuer Wörter für die
Hauptkomponente des Spracherwerbs halten?
Dazu nun mehr im folgenden Abschnitt.
________________________________
12
Vgl.:
http://www.ruediger-weingarten.de/Wissen/Pinker5-6.htm
(Zugriff am 10.5.2010)
13
Hier und im Folgenden zitiert nach: Bartke, Susanne (1998): Experimentelle Studien zur
Flexion und Wortbildung.
9
2.3.1 Studien ,,pro"
Park (1978)
In seiner Studie aus dem Jahre 1978 hat Park ,,die Spontansprache von zwei
Kindern [...] im Alter von 2 bis 4 Jahren untersucht, die monolingual deutsch
(Standarddeutsch) aufwuchsen. Im zweiwöchigen Rhythmus von 45 bis 90
Minuten Dauer wurde jedes Kind beim freien Spiel beobachtet" (Ebd., S. 53).
Park konnte zunächst verzeichnen, dass die beiden Studienteilnehmer erst mit
dem Beginn der Satzbildung auch der Pluralmarkierung Beachtung schenkten.
Wenn man sich ab diesem Zeitpunkt nun die falsch flektierten Pluralformen
einiger Wörter ansieht, fällt auf, dass es in dieser Phase der Entwicklung vor
allem gar nicht markierte Plurale, die sogenannten ,,Nullformen (z. B. Küh)"
(Ebd., S. 53) gibt, bei denen die Kinder zwar keine Plural-spezifische Endung
gesetzt, dafür aber trotzdem schon den Umlaut gebildet haben.
Eine andere wichtige Beobachtung von Park war die Nichtanwendung des e-
Plurals bzw. die damit verbundene ,,Übergeneralisierung des -(e)n Affixes" (Ebd.,
S. 53), welche sich dahingehend äußerte, dass z. B. von dem Wort Schwein nicht
der normale Plural Schweine, sondern Schweinen gebildet wurde.
Darüber hinaus wurde mit dem Wort Onkels das -s Affix in dieser Studie lediglich
einmal falsch verwendet, was etwas ungewöhnlich erscheint, wenn man bedenkt,
dass in der Pluralbildung des Deutschen das -s Affix als sogenannter Defaultwert
angenommen wird und es darum eigentlich viel öfter zur Bildung einer falschen
Pluralform mit dem -s Affix hätte kommen müssen. Aber warum ist das so?
Woran liegt es, dass die Kinder Schweinen und nicht etwa Schweins für die
korrekte Pluralform halten?
Die Annahme, dass die beiden Kinder selbst die Defaultregel mit dem -(e)n
Flexiv, statt mit dem -s Flexiv belegt hatten, wäre sehr weit hergegriffen und in
diesem Rahmen keinesfalls belegbar.
Daher könnte es auch sein, dass die Kinder häufiger das -en Affix anwenden, da
es eventuell eine phonologische Ähnlichkeit mit einer bereits im mentalen
Lexikon vorhandenen irregulären Form aufweist. Dann wäre es möglich, dass das
Kind mit Hilfe des geistigen Zugriffs auf diese Form für sich selbst eine Regel
10
herleitet und diese mit dem Wissen, dass die Form im mentalen Lexikon einer
grammatischen Richtigkeit entspricht, auch bei den genannten Wörtern ohne
Bedenken anwendet.
Auch wenn diese Frage nicht gänzlich geklärt werden kann, lässt sich
zusammenfassend zur Studie Parks auf jeden Fall sagen, dass bei allen
Beobachtungen, die er bei den beiden Studienteilnehmern gemacht und
ausgewertet hat, für die Pluralbildung vor allem Wörter und Regeln wichtig
waren, was die Übergeneralisierung des -(e)n Flexivs gezeigt hat. Das -(e)n Flexiv
zählt zu den irregulären Pluralformen und die Kinder in dieser Untersuchung
haben vor allem irreguläre Plurale gebildet, weil die hier untersuchten Wörter wie
bereits erwähnt eine phonologische Ähnlichkeit zu Wörtern aufzeigen, die
ebenfalls einen irregulären Plural bilden und sich bereits im mentalen Lexikon
befinden.
Aufgrund dieser Beziehung zwischen mentalem Lexikon und für die
Pluralbildung relevanter erzeugter Regeln werden die Grundgedanken der Wörter-
und Regeltheorie nochmals bestärkt.
Clahsen et al. (1992)
In ihrer Studie aus dem Jahre 1992 arbeiteten Clahsen, Rothweiler, Woest und
Marcus mit der Probandin Simone zusammen. Sie war zu diesem Zeitpunkt 19
Monate alt und nahm zwei Jahre an der Untersuchung teil.
Es wurden für diese Studie ausschließlich existierende Wörter verwendet.
Genauer gesagt, wurde Simone in dem angegebenen Zeitraum einfach nur
beobachtet. Hauptziel war es, den Fakt zu bestätigen, dass das -s Affix das am
häufigsten übergeneralisierte Pluralaffix ist und demnach auch den Defaultwert
des deutschen Pluralsystems darstellt. Was diesen Punkt angeht ist diese Studie
also gegensätzlich zu der im vorherigen Abschnitt vorgestellten Studie Parks, die
das -en Flexiv als am häufigsten verwendetes Pluralaffix ansieht.
Eine Besonderheit, die sicher zur Auswahl Simones für diese Studie geführt hat,
ist die Tatsache, dass sie ,,bereits im Alter von 1;11 Jahren einen sehr hohen
Prozentsatz korrekt markierter Pluralformen bildete: 70% bis 90%" (Ebd., S. 54).
Und dies war nicht nur in ein oder zwei Pluralformen zu beobachten, sondern es
verteilte sich auf alle.
Details
- Seiten
- Erscheinungsform
- Erstausgabe
- Erscheinungsjahr
- 2010
- ISBN (PDF)
- 9783955498559
- ISBN (Paperback)
- 9783955493554
- Dateigröße
- 169 KB
- Sprache
- Deutsch
- Institution / Hochschule
- Universität Potsdam
- Erscheinungsdatum
- 2015 (Februar)
- Note
- 2,3
- Schlagworte
- Pinker Chomsky Szagun Defaultregel Wörtertheorie