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Lunar? Solar? Kritisch-rationale Untersuchung der Terlusollogie und deren Konsequenzen für die gesangspädagogische Praxis

©2011 Diplomarbeit 53 Seiten

Zusammenfassung

Die Terlusollogie geht davon aus, dass Menschen je nach Sonne-Mond-Konstellation zum Zeitpunkt ihrer Geburt entweder ‘lunar’ oder ‘solar’ gepolt werden. Diese Polung halte das gesamte Leben an und habe Einfluss auf die gesamte Lebenswirklichkeit des Menschen, wie Atmung, Schlaf-Wach-Rhythmus, Ernährung und Bewegung. Obwohl die Vertreter der Terlusollogie bislang keine wissenschaftlich fundierten Belege für die Wirksamkeit ihrer Lehre vorgelegt haben, hat die Terlusollogie in den letzten Jahren in der stimmpädagogischen Szene an Popularität gewonnen. An Hochschulen wird nach terlusollogischen Kriterien unterrichtet, es wurden zahlreiche Bücher zum Thema publiziert, die Terlusollogie findet sich in der Fachliteratur gleichberechtigt neben wissenschaftlich fundierten Methoden. In der vorliegenden Arbeit wurde die Terlusollogie erstmals kritisch-rational untersucht. In der Auswertung der empirischen Daten konnten alle untersuchten Hypothesen widerlegt und die Terlusollogie zur Pseudowissenschaft erklärt werden. Nach der Erörterung möglicher Gründe für die Popularität der Terlusollogie werden spezifische Risiken einer konsequenten Anwendung der Terlusollogie in der Gesangspädagogik aufgezeigt. Angesichts dieser Risiken fordert der Autor eine moderne, aufgeklärte Gesangspädagogik, die sich an stärker an wissenschaftlichen Erkenntnissen orientiert.

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


6.2. Qualitative Untersuchung

Die quantitative Studie (Umfrage) soll durch qualitative Elemente (Experteninterviews) ergänzt werden. Dazu sollen Fragenbögen an Atem- und Stimmexperten geschickt werden, sowohl an Kritiker als auch an Befürworter der Terlusollogie. Die Fragen beziehen sich vor allem auf die sechs zu überprüfenden Hypothesen. Die Aussagen der Experten sollen mit einfließen in die Diskussion der Ergebnisse der quantitativen Studie. Der komplette Fragebogen und die jeweiligen Interviews sind im Anhang einsehbar.

7. Durchführung und Analyse der Ergebnisse

7.1. Durchführung der quantitativen Untersuchung

Die Umfrage wurde wie im Kapitel Design der Studie beschrieben durchgeführt. Die Umfrage wurde vom 31.07. bis 29.08.2011 bei voycer.de eingestellt und in genannten Netzwerken beworben. Insgesamt 553 Menschen haben an der Umfrage teilgenommen. Die Teilnehmerzahl ist damit groß genug, um empirisch fundierte Aussagen über die genannten Hypothesen treffen zu können. Weil die Umfrage vorrangig in den persönlichen Netzwerken, Berufsverbänden und Interessenvertretungen des Autors publik gemacht wurde, ist davon auszugehen, dass Sänger, Sprecher, Gesangspädagogen und Sprecherzieher in der Stichprobe überrepräsentiert sind. Zudem haben mit 64,2 Prozent überdurchschnittlich viele Frauen an der Umfrage teilgenommen. Insofern kann die vorliegende quantitative Untersuchung nur bedingt als repräsentativ gelten.[1]

7.1.1. Aufbereitung der Datensätze

Aufgrund von unvollständigen oder falschen Angaben[2] bei den Fragen bezüglich Geburtsdatum und Geburtszeit mussten 20 Antworten aus dem Datensatz entfernt werden; insgesamt blieb ein Datensatz mit 533 Positionen und entsprechender Anzahl verwertbarer Daten. Bei der Eingabe der Daten in den Fragebogen wurden vereinzelt Zeitangaben durch die Software automatisch in Datumsangaben umgerechnet – statt „09:45“ beispielsweise „Sep 45“. Diese Formatierungsfehler sowie fehlende Punkte bei der Datumsangabe wurden nachträglich im Datensatz korrigiert. Fehlende Angaben zur Geburtszeit wurden jeweils mit 12:00 Uhr (tagsüber) ergänzt. Aus Gründen des Datenschutzes wurden lediglich persönliche Kommentare der Teilnehmer und E-Mail-Adressen aus dem Datensatz entfernt.

Während die Umfrage online war, wurde festgestellt, dass die ersten beiden Fragen den Selbsttest wie er auf der Seite terlusollogie.de angegeben ist, nicht korrekt widerspiegeln. Das Experiment in Frage 1 und 2 geht davon aus, die Greifbewegungen jeweils mit Ein- bzw. Ausatmung zu verbinden, also den Arm zu heben und dabei gleichzeitig ein- bzw. auszuatmen. Der Selbsttest verlangt jedoch eine Ein- bzw. Ausatmung, die der Armhebung vorausgeht. Deswegen wurde eine zweite Umfrage[3] erstellt, die zusätzlich zu den bisherigen Fragen folgendes Experiment (Frage 2) beinhaltet:

Frage 1: Gehen Sie zu einem Regal über Kopfhöhe und holen Sie sich ein Buch herunter. Machen Sie das zweimal. Erstens: verbinden Sie die Bewegung mit einer Einatmung. Zweitens: verbinden Sie die Bewegung mit einer Ausatmung. Welche Variante fällt Ihnen leichter?

Frage 2: Gehen Sie zu einem Regal über Kopfhöhe und holen Sie sich ein Buch herunter. Machen Sie das zweimal. Erstens: Greifen Sie nach oben mit vorausgehender Einatmung. Zweitens: Greifen Sie nach oben mit vorausgehender Ausatmung. Welche Variante fällt Ihnen leichter?

Die zweite Umfrage war vom 6. bis 18. September 2011 online, insgesamt haben 19 Personen teilgenommen. Die Datensätze wurden wie bei der ersten Umfrage beschrieben aufbereitet.

7.2. Durchführung der qualitativen Untersuchung

Die Experteninterviews wurden wie oben beschrieben durchgeführt. Es wurde der Fragebogen per Mail an folgende Personen geschickt: Prof. Lutz-Christian Anders, MLU Halle-Wittenberg; Gudrun Baer, Weimar; Dr. Christian Hagena; Olaf Nollmeyer, Oldenburg; Prof. Eugene Rabine, Frankfurt; Prof. Dr. Wolfram Seidner, Charité Berlin; Dr. Heinz Stolze, Institut für Stimme und Kommunikation Bremen; Prof. Dr. Johan Sundberg, Stockholm; Martin Ulrich, Phoniatrie Jena. Von Dr. Michael Pezenburg und Olaf Nollmeyer liegen vollständig beantwortete Fragebögen vor.[4] Prof. Wolfram Seidner und Prof. Dr. Johan Sundberg haben Statements per Mail gegeben. Bemerkenswert erscheint, dass Dr. Christian Hagena als maßgeblicher Autor terlusollogischer Literatur nicht bereit war, auch nur teilweise die Fragen zu beantworten.

7.3. Analyse der Ergebnisse

7.3.1. Analyse der Ergebnisse der quantitativen und qualitativen Untersuchung

Wenn – etwas vereinfachend – davon ausgegangen wird, dass die Anzahl der Geburten gleichmäßig über das Jahr verteilt ist, also zu jedem Zeitpunkt immer gleich viele Menschen geboren werden, dann sollte es nach dem terlusollogischen Berechnungsmodell etwa gleich viele „solare“ wie „lunare“ Menschen geben. Diese Erwartung wird durch die empirischen Ergebnisse bestätigt. In der Umfrage haben 230 Personen einen Geburtstag und eine Geburtszeit angegeben, die nach dem terlusollogischen Berechnungsmodell auf einen „lunaren Typ“ schließen lässt; 235 Personen haben einen Geburtstag und eine Geburtszeit angegeben, die auf einen „solaren Typ“ schließen lässt; 66 Personen sind laut terlusollogischem Berechnungsmodell „Fragezeichentypen“. Wenn die Fragezeichentypen ausgeklammert werden, ergibt sich eine prozentuale Verteilung von 49,5% lunare Typen zu 50,5% solare Typen. Selbst wenn alle Fragezeichentypen zu den lunaren Typen hinzugerechnet werden, ergibt sich ein Verhältnis von 55,5% lunare Typen zu 44,5% solare Typen. Wenn umgekehrt alle Fragezeichentypen zu den solaren Typen gezählt werden, ergibt sich ein Verhältnis von 56,5% solare Typen zu 43,5% lunare Typen.

In der zweiten, kleineren Umfrage liegt das Verhältnis von „lunaren Typen“ zu „solaren Typen“ bei 52,9% zu 47,1%. Wenn die Fragezeichentypen zu den lunaren Typen gezählt werden, ergibt sich ein Verhältnis von 57,9% zu 42,1%; wenn die Fragezeichentypen zu den solaren Typen gezählt werden, liegt das prozentuale Verhältnis bei 47,4% (lunar) zu 52,6% (solar). In jedem Fall also sollte mit einer balancierten Verteilung der jeweiligen Typen zu rechnen sein: 50% lunar zu 50% solar – mit einer Toleranz von maximal +/- 7,9%.

Bereits ein erster Blick auf die Datensätze zeigt Widersprüche zwischen den im Sinne der Hypothese (H) zu erwartenden Ergebnissen und den tatsächlichen empirischen Beobachtungen (B). Im Selbsttest ist aus terlusollogischer Perspektive zu erwarten, dass etwa die Hälfte der Teilnehmer die Armhebung mit vorausgehender Einatmung und die andere Hälfte der Teilnehmer die Armhebung mit vorausgehender Ausatmung als leichter empfindet. Dies ist jedoch nicht der Fall. Lediglich drei Teilnehmer empfanden die Armhebung mit vorausgehender Ausatmung als leichter; 16 Teilnehmer empfanden die Variante mit vorausgehender Einatmung als leichter. Das entspricht einem prozentualen Verhältnis von 18,8% zu 81,2%. Besonders interessant erscheint der Vergleich der Ergebnisse von Frage 1 und Frage 2. Demnach kann empirisch kein Unterschied nachgewiesen werden zwischen gleichzeitigem Armheben und Ein- bzw. Ausatmen und dem Armheben mit vorausgehendem Ein- bzw. Ausatmen. In beiden Fällen empfanden 81,2% der Befragten die Variante mit Einatmung als leichter.

7.3.1.1. Auswertung der Ergebnisse Hypothesen X1 und Y1

Auch bei der Fragestellung, welche Atemphase die Teilnehmer bei ruhiger Atmung als eher aktiv, welche als eher passiv wahrnehmen, ist aus terlusollogischer Perspektive ein prozentuales Verhältnis von etwa 50% zu 50% zu erwarten, mit einer Toleranz von +/- 7,9%. Die Datensätze der ersten Umfrage zeigen jedoch, dass 445 Teilnehmer bei ruhiger Atmung die Einatmung als aktive Phase wahrnehmen, 88 Teilnehmer die Ausatmung. Das entspricht einem Verhältnis von 83,5% (Einatmung aktiv) zu 16,5% (Ausatmung aktiv). Die zweite Umfrage bestätigt dieses Ergebnis. Hier liegt das Verhältnis bei 80% zu 20%. Weitere Differenzierungen innerhalb der Atemtypen zeigen keinerlei signifikante Zusammenhänge zwischen berechneter Typenzugehörigkeit und dem Empfinden von aktiver bzw. passiver Atmung.

Im Sinne der Hypothese X1 ist zu erwarten, dass alle Teilnehmer der Umfrage, die zu einem Zeitpunkt geboren wurden, der sie nach terlusollogischem Berechnungsmodell als einen „lunaren Typ“ ausweist, die Einatemphase als aktiv erleben. Die Ergebnisse (Frage 4) zeigen, dass 204 von 231 Teilnehmern, die laut terlusollogischem Berechnungsmodell als „lunar“ gelten, angegeben haben, die Einatmung als aktiv zu erleben, das entspricht 88,3%. In der Gruppe der „Hochprozentig Lunaren“ nehmen 100 von 113 Teilnehmer (88,5%) die Einatmung als aktiv wahr.

Im Sinne der Hypothese Y1 ist zu erwarten, dass alle Teilnehmer der Umfrage, die zu einem Zeitpunkt geboren wurden, der sie nach terlusollogischem Berechnungsmodell als einen „solaren Typ“ ausweist, die Ausatemphase als aktiv empfinden. Die Ergebnisse zeigen, dass lediglich 53 von 236 Teilnehmern, die laut terlusollogischem Berechnungsmodell als „solar“ gelten, angegeben haben, die Ausatmung als aktiv zu empfinden, das entspricht einem Prozentsatz von 22,5%. Die Mehrheit von 183 Teilnehmern (77,5%) hat angegeben, die Einatmung als aktiv zu erleben. In der Gruppe der „Hochprozentig Solaren“ nehmen 23 von 105 Teilnehmer (28,0%) die Ausatmung als aktiv wahr. Ein Vergleich der Ergebnisse der beiden Gruppen zeigt: In beiden Gruppen empfindet die Mehrheit der Befragten die Einatemphase als aktiv. Die empirischen Befunde widersprechen den Hypothesen X1 und Y1. Die Hypothesen X1 und Y1 können damit als falsifiziert gelten.

Unabhängig von den widerlegten Hypothesen erscheint interessant, dass es eine Differenz von 10,8 Prozentpunkten (PP) gibt, mit der mehr „Lunare“ als „Solare“ die Einatmung als aktiv empfinden. Wenn jedoch als Kontrollvariable das Geschlecht hinzugezogen wird, zeigt sich, dass das Kriterium männlich/weiblich in ähnlichem Maße mit dem Empfinden von Aktivität bzw. Passivität im Atemgeschehen korreliert wie die Variable „Lunar/Solar“. Die erste Tabelle zeigt, wie viele der laut Berechnungsmodell lunaren/solaren Männer/Frauen die Einatmung jeweils als aktiv wahrnehmen.

Tab 1 [5]

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Von allen männlichen Teilnehmern (ausgenommen den „Fragezeichentypen“) empfinden 133 von 172 (77,3%) die Einatmung als aktiv, bei den weiblichen Teilnehmern (ausgenommen den „Fragezeichentypen“) sind es 254 von 300 (84,7%). Das entspricht einer Differenz von 7,4 Prozentpunkten. Die zweite Tabelle zeigt, wie viele der Männer/Frauen, die die Einatmung als aktiv erleben, laut terlusollogischer Berechnung lunar bzw. solar sind.

Tab 2 [6]

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Aus der Gruppe derjenigen, die die Einatmung als aktiv wahrnehmen, gehören insgesamt 204 von 387 Personen laut terlusollogischer Berechnung dem „lunaren Typ“ an (52,7%), 183 dem „solaren Typ“ (47,3%). Von allen männlichen Teilnehmern, die die Einatmung als aktiv erleben, sind laut terlusollogischem Berechnungsmodell 70 von 133 „lunar“ (52,6%), 63 „solar“ (47,4%). Von allen weiblichen Teilnehmern, die die Einatmung als aktiv erleben, sind 133 von 253 „lunar“ (52,6%), 120 „solar“ (47,4%). Hier ergibt sich eine Differenz zwischen „Lunar“ und „Solar“ von 5,2 Prozentpunkten. Unabhängig von den falsifizierten Hypothesen X1 und Y1 muss anerkannt werden, dass – auch nach Prüfung mit der Kontrollvariable Geschlecht – in bezug auf die Wahrnehmung der Einatemphase ein spezifischer gradueller Unterschied besteht zwischen Menschen, die laut terlusollogischer Berechnung „lunare Typen“ sind und Menschen, die laut terlusollogischer Berechnung „solare Typen“ sind. Mit einer Differenz von 10,8 Prozentpunkten nehmen mehr „Lunare“ als „Solare“ die Einatemphase als aktiv wahr.

Ein Grund dafür könnte die bestätigende Evidenz derjenigen Teilnehmer sein, die die Terlusollogie zum Zeitpunkt der Umfrage bereits kannten. Es liegt auf der Hand, dass Menschen, die davon ausgehen „Ausatmer“ zu sein, die Ausatmung auch tatsächlich als aktiv erleben, obwohl sie womöglich ohne diese Annahme die Ein atmung als aktiv empfunden hätten.[7] Hinzu kommt, dass die menschliche Selbstwahrnehmung in bezug auf den Atemprozess häufig sehr ungenau ist. Das individuelle Atemgeschehen kann durchaus anders empfunden werden, als es tatsächlich physiologisch abläuft – zumal, wenn das sonst unbewusste Atemgeschehen im Fokus der Aufmerksamkeit bewusst gemacht wird.

Aus welchem Grund die Mehrheit der Teilnehmer die Einatmung als aktiv wahrnimmt, liegt auf der Hand: Der Prozess der Einatmung läuft verglichen mit der Ausatmung – unter der Voraussetzung, es handelt sich um Ruheatmung – physiologisch eher aktiv ab. Das Zwerchfell als Haupteinatemmuskel kontrahiert aktiv, die äußeren Zwischenrippenmuskeln heben und weiten den Brustkorb aktiv. In diesem Sinne ist es plausibel, wenn die Mehrzahl der Teilnehmer die Einatmung auch als aktiv empfindet. Diese Erklärung ist im wissenschaftlichen Sinne eleganter als die terlusollogische, weil sie ohne Zusatzhypothesen auskommt, die Konstellation von Sonne und Mond präge zum Zeitpunkt der Geburt einen Atemtyp, dieser Atemtyp bleibe das gesamte Leben über unverändert bestehen und beeinflusse die Empfindung von Aktivität bzw. Passivität im Atemgeschehen. Die wissenschaftlich elegantere Erklärung ist der terlusollogischen Erklärung vorzuziehen.

7.3.1.2. Auswertung der Ergebnisse Hypothesen X2 und Y2

Laut Hypothese X2 erleben alle Menschen, die nach dem terlusollogischen Berechnungsmodell dem „lunaren Typ“ zuzurechnen sind, ihr Leistungsmaximum in den Abendstunden und laut Hypothese Y2 alle Menschen, die nach terlusollogischem Berechnungsmodell dem „solaren Typ“ zuzurechnen sind, in den Morgenstunden. Auch hier stimmt die zu erwartende prozentuale Verteilung nicht mit den empirischen Befunden überein.

Tab 3

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Lediglich 175 der 533 Teilnehmer erreichen ihr Leistungsmaximum in den frühen Morgenstunden, 236 in den Abendstunden, 120 zu einer anderen Tageszeit. Das entspricht einer prozentualen Verteilung von 44,3% (Abendstunden), 32,8% (Morgenstunden), 22,5% (andere Tageszeit). Tabelle 3 zeigt die von den Teilnehmern angegebenen Leistungsmaxima in bezug zu Tageszeit und Typzugehörigkeit, wenn die „Fragezeichentypen“ ausgeklammert werden. Ähnlich wie bei der Wahrnehmung der Einatmung als aktiv bzw. passiv gibt es auch bei den empfundenen Leistungsmaxima graduelle Unterschiede zwischen den Teilnehmern, die laut terlusollogischem Berechnungsmodell als „lunar“ gelten und denjenigen, die laut terlusollogischem Berechnungsmodell als „solar“ gelten. Mit einer Differenz von 9,3 Prozentpunkten (11,1 Prozentpunkte bei den „Hochprozentigen“) empfinden mehr „Solare“ als „Lunare“ ihr Leistungmaximum eher in den Morgenstunden; mit einer Differenz von 10,6 Prozentpunkten (11,7 Prozentpunkte bei den „Hochprozentigen“) empfinden mehr „Lunare“ als „Solare“ ihr Leistungsmaximum in den Abendstunden. Die Differenzen sind durchweg markanter als die Differenzen bei der Überprüfung durch die Kontrollvariable Geschlecht. Während auch hier sowohl die männlichen als auch die weiblichen Teilnehmer ihr jeweiliges Leistungsmaximum mehrheitlich in den Abendstunden verorten, erleben mit einer Differenz von 6,5 Prozentpunkten mehr Frauen als Männer ihr Leistungsmaximum in den Morgenstunden. Umgekehrt empfinden mit einer Differenz von 6,2 Prozentpunkten mehr Männer als Frauen ihr Leistungsmaximum in den Abendstunden.

Tab 4

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Trotz des empirischen Befundes, dass verhältnismäßig mehr Lunare als Solare in den Abendstunden ihr Leistungsmaximum erreichen und umgekehrt mehr Solare als Lunare ihr Leistungsmaximum in den Morgenstunden, konnte gezeigt werden, dass die Mehrheit sowohl der Gruppe der nach der terlusollogischer Berechnung „lunaren Typen“ als auch die Mehrheit der Gruppe der „solaren Typen“ ihr Leistungsmaximum in den Abendstunden erreicht. Damit können auch die Hypothesen X2 und Y2 als widerlegt gelten.

7.3.1.3. Auswertung der Ergebnisse Hypothesen X3 und Y3

Laut Hypothese X3, sind alle Menschen, die nach terlusollogischem Berechnungsmodell dem „lunaren Typ“ zuzurechnen sind, Rechtshänder; umgekehrt sind laut Hypothese Y3 alle Menschen, die nach terlusollogischem Berechnungsmodell dem „solaren Typ“ zuzurechnen sind, Linkshänder.

Die empirischen Ergebnisse zeigen, dass vollkommen unabhängig von der Variable „Lunar/Solar“ die Mehrheit der Befragten Rechtshänder ist. Entgegen den laut Hypothese zu erwartenden Ergebnissen gibt es unter den „Solaren“ gar verhältnismäßig mehr Rechtshänder als unter den „Lunaren“.

Tab 5

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Selbst wenn alle 66 „Fragezeichentypen“ im Sinne der Hypothese Y3 zu den Linkshändern gezählt werden würden, betrüge das prozentuale Verhältnis lediglich 33,8% Linkshänder zu 66,2% Rechtshändern. Die empirischen Daten widersprechen damit deutlich den laut Hypothese zu erwartenden Ergebnissen. Auch die Hypothesen X3 und Y3 können als widerlegt gelten.

7.3.2. Zusammenfassende Auswertung der Analyseergebnisse

Die Hypothesen X1, X2, X3 und Y1, Y2, Y3 konnten in vorliegender Arbeit falsifiziert werden. Die empirischen Beobachtungen (B) entsprechen nicht den laut Hypothese (H) zu erwartenden Ergebnissen. Damit kann die Ausgangshypothese (H), das Erklärungssystem Terlusollogie sei wahr, im modus tollens als widerlegt gelten.[8] Weil die terlusollogische Lehre zwar den Anspruch erhebt, wissenschaftlichen Kriterien zu genügen, empirisch jedoch widerlegt ist, muss sie als Pseudowissenschaft[9] eingestuft werden.

8. Risiken der Terlusollogie

Risiken birgt die Terlusollogie zum einen in einigen ihrer Handlungsanweisungen (Inhalt), auch und besonders in bezug auf die Gesangspädagogik, zum anderen in ihrem Wesen als Pseudowissenschaft (Struktur).

8.1. Inhaltliche Risiken

Wie bereits erwähnt, sind einige der terlusollogischen Ratschläge abzulehnen oder im Mindesten äußerst skeptisch zu betrachten. Beispielsweise birgt die Anweisung an „Solare“ grundsätzlich wenig zu trinken, die Gefahr einer Dehydratation. Wenn Eltern ihr „solares“ Kind nötigen mit der linken Hand zu schreiben, obwohl es womöglich Rechtshänder ist, kann die natürlich Entwicklung des Kindes behindert werden. Besonders schwer jedoch wiegt die Behauptung, Nikotin sei für „Solare“ weniger gefährlich als für „Lunare“.[10] Eine solche Behauptung – ohne wissenschaftlich fundierte Untersuchung – verharmlost den Ge­brauch von Drogen und ist aus ethischer Sicht unverantwortlich.

8.2. Strukturelle Risiken

Terlusollogen untergraben das Prinzip der Wissenschaftlichkeit, indem sie Pseudowissenschaft als Wissenschaft deklarieren. Damit leisten sie wissenschaftlicher Unredlichkeit Vorschub. Die Terlusollogie fördert unkritisches Denken, das lediglich auf individuelle Erfahrung setzt, nicht jedoch auf empirisch objektivierte Ergebnisse. Sie ist mitverantwortlich für die Auflösung wissenschaftlicher Standards als Qualitätskriterium in Forschung und Lehre. In dem Maße jedoch, wie wissenschaftliche Standards als Qualitätskriterium aufgelöst werden, ist das Tor zu Beliebigkeit weit aufgestoßen. Im Falle, Behauptungen bedürfen keines empirischen bzw. logischen Beweises mehr, ist Scharlatanerie und Obskurantismus Tür und Tor geöffnet.

Terlusollogen behaupten zwar, ihnen sei an der wissenschaftlichen Überprüfung der Terlusollogie gelegen, kooperieren aber nicht, wenn es um wissenschaftliche Untersuchung geht.[11] Offensichtlich sind Terlusollogen nur scheinbar an wissenschaftlicher Untersuchung interessiert: In den rund 50 Jahren, in denen die Atemtypenlehre bekannt ist, hatten sie zwar Zeit und Geld, zahlreiche Ratgeberbücher zu schreiben – für eine kritisch-rationale Überprüfung ihrer eigenen Behauptungen hat es bis heute nicht gereicht. Dass wissenschaftliche Studien mit Kosten verbunden sind, kann nicht als Entschuldigung gelten. 2003 schreibt Christian Hagena zwar, er habe mit einer wissenschaftlichen Untersuchung begonnen und die ersten Ergebnisse einer grundlegenden „Voruntersuchung“ seien „sehr ermutigend“[12]. Bis heute hat er jedoch keine die Terlusollogie validierenden wissenschaftlichen Studien vorgelegt.

8.3. Risiken der Terlusollogie in der Gesangspädagogik

Wenn Gesang konsequent nach terlusollogischen Prinzipien unterrichtet wird, sind damit zahlreiche gravierende Nachteile verbunden. Durch einseitige Übungen in Haltung, Atmung und Bewegung werden grundlegende Selbsterfahrungen des Schülers verhindert, die stimmliche Entwicklung des Schülers dadurch potenziell beeinträchtigt. Bei „Einatmern“ besteht beispielsweise die Gefahr einer pathologischen Hochatmung, „Ausatmer“ hingegen vernachlässigen das Atempotenzial thorakaler Weitung. Die Terlusollogie schreibt – deduktiv – vor, was „richtig“ und „falsch“ ist. Individuelle stimmliche Veränderungsarbeit – induktiv – mit Fokus auf Selbstwahrnehmung jenseits der Kategorien „richtig“ und „falsch“ wird durch die rigide Einteilung in Atemtypen massiv behindert: Ein vorgefertigtes Konzept tritt an die Stelle des individuellen Stimmkonzepts. Zudem besteht die Gefahr, dass Schüler in der freien Wahl eines Gesangslehrers eingeschränkt werden, weil sie sich ihren Lehrer nach Typenzugehörigkeit aussuchen. Umgekehrt können Lehrer durch die terlusollogische Theorie suggeriert bekommen, nicht in der Lage zu sein, Schüler des Gegentyps adäquat zu unterrichten. Obwohl Dr. Christian Hagena selbst zu verstehen gibt, dass jeder Mensch „ganz individuell zu betrachten“[13] sei, leistet die Terlusollogie mit ihrer strikten Kategorisierung des gesamten Lebens in „Lunar/Solar“ einem unkritischen, unaufgeklärten Denken Vorschub, das sängerische Entwicklung nicht nur einschränken, sondern im Einzelfall gar vollständig blockieren kann. Beispielsweise wenn angehenden Sängern suggeriert wird, sie würden Zeit ihres Lebens Probleme bei der Interpretation von Werken bestimmter Komponisten haben, weil diese dem Atemgegentyp angehörten.[14] Hier ist von dem Standpunkt einer aufgeklärten Gesangspädagogik entschieden zu protestieren. Eine terlusollogisch orientierte Gesangspädagogik, die ihren Schülern dergleichen Inhalte vermittelt, ist ethisch nicht zu verantworten und kategorisch abzulehnen.

9. Konsequenzen für die gesangspädagogische Praxis

Eine moderne, aufgeklärte Gesangspädagogik kann problemlos auf die Terlusollogie verzichten. Es gibt zahlreiche bewährte Ansätze in der Stimmpädagogik, die eine erfolgreiche und ethisch verantwortliche Gesangsausbildung ermöglichen. Neben konventionellen Ansätzen wie sie z.B. in der Italienischen Schule zusammengefasst werden, sei hier beispielsweise verwiesen auf die Methode der Funktionalen Stimmentwicklung nach Cornelius Reid[15], Eugene Rabine[16] und die funktionale Methode nach Gisela Rohmert[17]. Im Vorwort von Reid (2005) heißt es dezidiert, Sänger und Gesangspädagogen sollten Methoden anwenden, die abgesichert und gefestigt sind durch wissenschaftliche Grundlagenforschung. Ziel sei „die Entwicklung, die Bewusstmachung und die Verbesserung der bei der Tonproduktion ablaufenden Prozesse“[18]. In Bezug auf das Atemgeschehen gibt es in Pädagogik und Therapie bereits zahlreiche bewährte Modelle und Übungskonzepte. An dieser Stelle sei zum Beispiel auf die von E. Rabine beschriebene Doppelventilfunktion (Überdruck- und Unterdruckfunktion) des Systems Stimme verwiesen, auf den Vorgang des Abspannens bzw. der Reflektorischen Atemergänzung oder auf die kybernetischen Funktionskreise nach M. Pezenburg.[19] Daneben haben sich in der Gesangspädagogik auch zahlreiche aus der stimmtherapeutischen und stimmpädagogischen Sphäre stammende Methoden bewährt, wie zum Beispiel die Atemrhythmisch Angepasste Phonation (AAP) nach Coblenzer/Muhar, die Methode nach Kristin Linklater[20] oder die Methodik nach Schlaffhorst/Andersen[21]. Diese methodischen Ansätze werden ergänzt durch pädagogisch-therapeutische Konzepte wie die F. M.-Alexandertechnik oder die Feldenkrais-Methode[22].

[...]


[1] Dafür spricht auch die Tatsache, dass knapp 30 Prozent der Befragten angegeben haben, die Atemtypenlehre zu kennen. Dieser Wert kann als überdurchschnittlich hoch angesehen werden.

[2] Zum Beispiel: 00.00.1951, Datum 30. Februar, lediglich Geburtsjahr 1970 ohne Angabe von Tag und Monat oder 2011 als Geburtsjahr.

[3] Vollständiger Fragebogen im Anhang.

[4] Interviews im Anhang.

[5] Alle Teilnehmer außer „Fragezeichentypen“

[6] Alle Teilnehmer außer „Fragezeichentypen“.

[7] Aus technischen Gründen stehen geplanten Datensätze zur Frage 10, ob die Teilnehmer die Lehre von den Atemtypen kennen, nicht zur Verfügung.

[8] Der wissenschaftlichen Redlichkeit halber sei hinzugefügt, dass ungeachtet der Falsifikation der Terlusollogie andere Hypothesen innerhalb des terlusollogischen Erklärungssystems durchaus zutreffen können.

[9] Zum Begriff der Pseudowissenschaft vgl. Eberlein 1991, 110-112.

[10] Hagena/Hagena 2006, 18.

[11] Der Terlusolloge Christian Hagena hat es beispielsweise abgelehnt, die Fragen im Experteninterview zu beantworten – mit der Begründung, dazu sei Musik- und Sängerfachwissen nötig, er sei jedoch Arzt und kein Musiker (in einer persönlichen Mail vom 7.6.2011).

[12] Hagena 2003, 8.

[13] Ebd. 30.

[14] Verglichen mit solchen Aussagen wirken terlusollogische Ratschläge an lunare Sänger, sie brauchten keinen Schal um den Hals zu wickeln, oder an solare Sänger, sie brauchten nur wenig zu trinken, nahezu harmlos.

[15] Vgl. Reid 2005.

[16] Vgl. E. Rabine in Parussel 2001, 8-11.

[17] Vgl. Feuerstein 2000 und Nollmeyer 2005.

[18] Reid 2005, 7.

[19] Pezenburg 2007, 21ff.

[20] Vgl. Linklater 2006.

[21] Vgl. Lang/Saatweber 2010, 23f.

[22] Vgl. Nelson/Blades-Zeller 2009.

Details

Seiten
Erscheinungsform
Erstausgabe
Jahr
2011
ISBN (PDF)
9783955499150
ISBN (Paperback)
9783955494155
Dateigröße
1.7 MB
Sprache
Deutsch
Institution / Hochschule
Hochschule für Musik FRANZ LISZT Weimar
Erscheinungsdatum
2015 (Februar)
Note
1,1
Schlagworte
Atemtyp Bipolarität Logopädie Erich Wilk Gesang Stimme

Autor

Frederik Beyer wurde 1977 in Dresden geboren, studierte in Weimar Gesang und Gesangspädagogik sowie in Halle Sprechwissenschaft/Phonetik. Schon früh war er freischaffend als Sänger, Sprecher und Stimmtrainer tätig und hatte später zahlreiche internationale Engagements am Theater. Von 2002-2011 war er Nachrichtensprecher des MDR INFO und Moderator des MDR FIGARO. Beyer ist seit 2005 Off-Sprecher für bekannte TV-Dokumentationen u.a. bei ZDF, Sky, n-tv, VOX, N24 und National Geographic. Zur Zeit ist er Lehrbeauftragter an der Universität Erfurt, der Hochschule der Medien Stuttgart sowie an der Schule des Sprechens in Wien. Seit 2008 leitet er die ‘Erfolgsfaktor Stimme’ – Einzelcoachings und Seminare für Richter, Staatsanwälte, Spitzensportler, Dozenten und Moderatoren.
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