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Sex im Alltag: Die Entwicklung des Umgangs mit Sexualität seit den 1960er Jahren in Deutschland und den USA

©2013 Examensarbeit 71 Seiten

Zusammenfassung

Sexualität ist in der heutigen Gesellschaft allgegenwärtig. Ob in der Fußgängerzone oder in U-Bahnhöfen, überall werden wir mit eindeutiger oder auch zweideutiger Werbung konfrontiert. Die Industrie versucht den Konsumenten überall und mit allen Mittel zu verführen. So wird auf großen Werbeplakaten mit Unterwäschemodels in sexy Posen oder Leitsprüchen wie »Just do it!« die Aufmerksamkeit der Passanten erregt. In den meisten Werbespots geht es gar nicht um den Akt zwischen zwei Personen an sich, es geht darum, leicht bekleidete Körper - überwiegend von Frauen - zur Schau zu stellen, um eine gewisse Sexyness und Verfügbarkeit anzudeuten. Versucht man den Blick abzuwenden, werden wir spätestens zu Hause durch TV(-Werbung) und das Internet wieder an das Thema Sexualität erinnert. Sexualität hat jeden Aspekt des öffentlichen Lebens ‘infiziert’ (McLaren 1999).
In der Literatur wird aktuell immer wieder von einer Gesellschaft gesprochen, die ‘oversexed’ und ‘underfucked’ ist. Die Medien zelebrieren Sex immer tabuloser, während Lust auf Sex verschwindet. (Heyne 2012) Eine Flut anzüglicher Bilder und Ansagen dazu, wie Sex zu sein hat, überschwemmt unsere Gesellschaft. Das Besondere der Sexualität scheint durch die extreme Kommerzialisierung ihren Zauber verloren zu haben (Fischer 1970). Ist Sexualität somit zu etwas Normalen, Alltäglichen verkommen, das bei uns mitunter keine Reize mehr auszulösen vermag? Gerade die USA mit ihrer gewaltigen Pornoindustrie in ‘Silicone Valley’, Hochglanz-Erotik-Magazinen wie dem Playboy oder Hustler und Deutschland mit Beate Uhse sind Ausdruck einer Entwicklung, in der Sex verstärkt Einzug in die gesellschaftliche Realität erhalten hat. Doch wie und warum ist es dazu gekommen?

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


5. Entwicklung des Umgangs mit der Sexualität seit den 1960er Jahren in den USA

In diesem Abschnitt der Arbeit wird zunächst ein Einblick in die historische Entwicklung mit dem Umgang der Sexualität in den USA gegeben. Im weiteren Verlauf dieses Kapitels wird dies detaillierter anhand der Dimensionen Medien und Schule untersucht.

5.1 Einleitung und historischer Abriss

„Keine Nation der Welt hat sich seit dem zweiten Weltkrieg so verändert wie wir Amerikaner […] Nirgendwo tritt dies klarer zutage als in unserer neuen Sexualmoral.“ (Buck, zit. nach Paloczi-Horvath 1968: 35)

Noch in den 1940er und 1950er Jahren herrschte in den USA eine sexuelle Repression. In diesen Zeiten nahm sich der Staat das Recht heraus sexuell abweichendes Verhalten zu bestrafen. So wurden z.B. Autoren bei der Veröffentlichung des „falschen“ Buches verklagt und Apotheker bei der Herausgabe von Kontrazeptiva an die „falschen“ Personen belangt. (Allyn 2001: 6) Ebenso hatte man mit Konsequenzen zu rechnen, wenn man vorehelichen Geschlechtsverkehr hatte, sich für eine Person einer anderen ethnischen Gruppe interessierte und mit dieser sexuelle Handlungen ausübte, oder sich öffentlich zu seiner Homosexualität bekannte. Homosexualität wurde zu dieser Zeit als psychische Krankheit abgetan. (Donnelly et al. 2007: 88) Erst Ende des Zweiten Weltkriegs 1945 entwickelte sich in den USA langsam die „Sexuelle Revolution“ und mit ihr die Liberalisierung im Umgang mit der Sexualität (Paloczi-Horvath 1968: 38 f.).

Auslöser der „Sexuellen Revolution“ waren die Kinsey Reports. Die Veröffentlichung der Kinsey-Reports durch den Sexualforscher Alfred Charles Kinsey Das Sexuelle Verhalten des Mannes (1948) und Das Sexuelle Verhalten der Frau (1953) schlug geradezu ein wie eine Bombe. Laut Sigusch ist Alfred Charles Kinsey „ohne Zweifel der berühmteste Sexualforscher aller Amerikas“ (Sigusch 2011: 184). Kinsey untersuchte das Sexualverhalten der US-Amerikaner und zeigte die weit verbreiteten Unterschiede des Sexualverhaltens in den Staaten auf. Es gelang ihm durch seine Untersuchung, die Kluft zwischen „den moralischen Ansprüchen der Gesellschaft und der vermeintlich tatsächlich gelebten und facettenreich praktizierten Sexualität aufzudecken“ (Osswald-Rinner 2011: 52). Die Reporte dokumentieren eine vielseitige Sexualität als wahr. Die einengende, vorherrschende Doppelmoral wurde durch die Reporte begraben, meint Oswald-Rinner (Osswald-Rinner 2011: 53). Paloczi-Horvath berichtet, dass es in der Öffentlichkeit zu unterschiedlichen Reaktionen auf die Kinsey-Reports kam. Sie wurden nicht nur begrüßt, sondern auch kritisiert und z.B. als „statistischer Schmutz“ bezeichnet. Auch wurde gegen die Veröffentlichung von Obszönitäten protestiert (Paloczi-Horvath 1968: 39). Andere wiederum begrüßten die Kinsey-Reports über das Sexualverhalten der US-Amerikaner. Die Veröffentlichung der Bücher führte zu einer enormen Kontroverse – in einigen Bundesstaaten wurden die Bücher sogar verbannt (Donnelly et al. 2007: 87). In sämtlichen Zeitschriften wurde das „unmoralische Verhalten“ der amerikanischen Gesellschaft geleugnet (Horvath 1968: 40.) Die amerikanische Bevölkerung war geschockt von den perversen Sexualpraktiken, die in gutbürgerlichen weißen Bevölkerungsschichten laut Kinsey weit verbreitet waren. Jahrelang wurde darüber diskutiert, ob die Kinsey-Reports eher repressive oder liberalisierende Tendenzen stärkten. Klar ist: Sie machten das Thema Sex öffentlich. Es ist laut Sigusch davon auszugehen, dass die Kinsey-Reports die Liberalisierung der Sexualität deutlich vorangetrieben haben. (Sigusch 2011: 186) Ebenso wird von einer Entmystifizierung der Sexualität durch Kinsey gesprochen (McLaren 1999: 164). Die folgenden 1960er Jahre waren eine aufregende und zugleich kontroverse Zeit in Amerika (Koerselman 1987: 1). Die US-Amerikaner erlebten in dieser Dekade enorme kulturelle und soziale Veränderungen. Sexualität wurde nun auch außerhalb der heterosexuellen Ehe mehr und mehr akzeptiert. Sie war allgegenwärtig und nicht mehr aus der Öffentlichkeit wegzudenken. Für viele US-Amerikaner war dieser neue Umgang mit Sexualität in der Öffentlichkeit jedoch skandalös (Allyn 2001: 4). Befürworter der „Sexuellen Revolution“ gründeten Organisationen und verspotteten Konventionen: “They refused to bow to convention, to dress “appropriately,” to act “normally,” to “go with the crowd“.” ( Allyn 2001: 7)

In der Werbung wurde mit Hilfe von schönen Frauenkörpern vom Auto bis zum Kühlschrank alles angepriesen was es auf dem Markt gab (Paloczi-Horvath 1968: 39). Durch den Kinsey-Boom traten Illustrierte hervor und berichteten über nichts anders als Sexualität (Steinbacher 2011: 166 f.). Zahlreiche Magazine wie der Playboy, Penthouse oder Hustler erreichten durch ihre sexuell anzüglichen Themen und erotischen Bilder vor allem die Aufmerksamkeit der männlichen Leser (Allyn 2001: 8). Ende der 1960er Jahre erkannte auch die Filmindustrie das lohnende Geschäft mit der Sexualität. Die Produktion von Pornofilmen, die in Sex-Kinos für die breite Masse zugänglich gemacht wurden, war nun nicht mehr aufzuhalten. 1972 wurde die Pornoindustrie mit dem Film Deep Throat, der als einer der einflussreichsten Filme der letzten Jahrzehnte gilt, aus der Schmuddelecke gezogen. Schon Ende 1972 wurde dieser Film in fast allen Bundesstaaten im Kino ausgestrahlt und erreichte somit eine ziemlich breite Masse. (Allyn 2001: 232 ff.) 1973 erreichte die „Sexuelle Revolution“ mit der ersten Reality-Show An American Family auch die TV-Formate. Allyn erwähnt, dass neben der Filmbranche auch erotische Musicals Ende der 1960er Jahre auf dem Broadway wie Oh! Calcutta! oder Hair ihren Erfolg zu verzeichnen hatten (Allyn 2001: 133).

Ebenso wie die Veröffentlichung der Kinsey-Reports trug auch die Einführung der Antibabypille im Jahr 1960 zur Veränderung des Umgangs mit Sexualität bei. Frauen waren nun in der Lage ihre Fertilität zu kontrollieren und nicht länger in ihren Freiheiten eingeschränkt (McLaren 1999: 170). Die Einführung der Antibabypille als Verhütungsmittel löste ethische und religiöse Kontroversen aus (Adams 2012: 115). Einige feierten die Innovation als eine Befreiung und Schritt hin zur Selbstbestimmung der Frauen, andere sahen dies als eine „Enthemmung und mörderische [sic] Eingriff in die gottgewollte Schöpfungsordnung“ (Adams 2012: 115). Die Gegner des neuen Verhütungsmittels sahen durch die Einführung der Antibabypille einen moralischen Sittenverfall vorher, welcher sich durch Untreue in der Ehe und Promiskuität zeigen werde (Becker 2010: 9). Bis zum Jahr 1968 hatten die Frauen kein Mitspracherecht beim Thema Schwangerschaftsabbruch. Radikale Feministinnen versuchten ihr Recht auf sexuelle Liberalisierung durch Proteste durchzusetzen: “Free abortion on demand!“ (Allyn 2001: 264). Abtreibung war in den USA bis zum Jahr 1973 illegal. 1973 beschloss der Oberste Gerichtshof der Vereinigten Staaten durch die Klage einer 22-jährigen alleinerziehenden Mutter, die unter dem Pseudonym Jane Roe gegen den Staatsanwalt Henry Wade klagte, den Schwangerschaftsabbruch im ersten Trimester zu legalisieren. Der Fall Roe vs. Wade war einer der gesellschaftskritischsten Fälle in den USA. (Allyn 2001: 260) Die Legalisierung des Schwangerschaftsabbruchs führte zu heftigen Reaktionen seitens der christlichen „Right of Life“-Bewegung und der katholischen Kirche. Im Jahr 1989 wurde die Legalität des Schwangerschaftsabbruchs aufgrund diverser Proteste in den kirchlichen Reihen ein weiteres Mal vom Obersten Gericht bestätigt. (Adams 2012: 115)

Auch der Umgang mit Schwulen und Lesben änderte sich: Vor der „Sexuellen Revolution“ wurde Homosexualität als psychische Krankheit abgetan. Anfang der 1960er Jahre kam es in den USA immer wieder zu Razzien von Schwulenbars, die bis dato illegal waren. Im Juni 1969 kam es erneut zu einer Razzia im Stonewall Inn, einer der größten Schwulenbars in Amerika zu dieser Zeit. In dieser Nacht widersetzte sich eine große Gruppe Homosexueller den Verhaftungen. Folge waren tagelange Straßenschlachten zwischen der Polizei und Homosexuellen. Seit dem Vorfall Ende der 1960er Jahre wird an diesem Tag gegen die Diskriminierung von Homosexuellen, auf dem „Pride March“ demonstriert. (Lee 2011: 85)

Die Veröffentlichung der Kinsey-Reports sowie die Einführung der Pille trugen zu einem liberaleren Umgang mit der Sexualität bei.

Mitte der 1970er Jahre hatte die „Sexuelle Revolution“ ihren Höhepunkt erreicht. Allyn spricht von einer amerikanischen Gesellschaft, in der in jeder Ecke über Sexualität diskutiert, porträtiert und gelebt wird. Geburtenregelung und Abtreibung sowie das Ausleben der Homosexualität ist seitdem viel einfacher als zuvor. Durch den zunehmend liberaleren Umgang mit Sexualität in der Öffentlichkeit wurden Schwulenbars und Badehäuser Ende der 1960er Jahre Anfang der 1970er Jahre auch für die heterosexuelle Welt „sichtbar“. Ebenso entstanden zu Zeiten der „Sexuellen Revolution“ Gegenbewegungen wie z.B. die „Christliche Rechte“, die für eine Liberalisierung der Sexualität wenig Verständnis aufbringen konnten. Frauen fühlten sich durch die Sexualisierung nackter Frauenkörper in Werbung und Pornoindustrie diskriminiert und forderten bei Demonstrationen gesellschaftliche Gleichberechtigung. (Allyn 2001: 271 ff.) 1966 wurde die National Organization for Women (NOW) von öffentlich aktiven Frauen gegründet. Das oberste Ziel dieser Organisation war, eine Verbesserung der Chancengleichheit von Frauen als sozialer Gruppe zu erreichen sowie die Entscheidungsfreiheit der einzelnen Frau zu vergrößern. (Adams 2012: 114)

Mit der Zeit der „Sexuellen Revolution“ verbinden die US-Amerikaner nicht nur Gutes: Die Dämpfung der Konjunktur im Jahr 1973 war ein großer Schock für die Nation und hatte enorme Konsequenzen für die „Sexuelle Revolution“. Die Inflation, mit der die Produktionsraten fielen und Arbeitslosenzahlen in die Höhe schossen, startete bereits im Jahr 1971. Die Produzenten zahlreicher Illustrierten wie beispielsweise Hugh Hefner vom Playboy bekamen die Krise extrem zu spüren. Weder die Linken noch die Rechten wussten wie sie das Problem beheben sollten und so war es sehr einfach der „Sexuellen Revolution“ dafür die Schuld in die Schuhe zu schieben. Durch die Krise, auftauchende Geschlechtskrankheiten und Vergewaltigungen veränderten sich die Einstellungen der Gesellschaft zur Sexualität rapide. Viele US-Amerikaner fühlten sich von der Politik im Stich gelassen und suchten Halt bei der evangelischen Kirche. Die Kirche erfuhr einen enormen Zuwachs und so wurde im Jahr 1976 der erste evangelische Protestant, Jimmy Carter, zum Präsidenten gewählt. (Allyn 2001.: 272 f.) Die US-Amerikaner erlebten in den vergangenen fünfzehn Jahren eine Revolution in Sachen Sex und Sexualität unter dem Einfluss der Pornografie, Pharmakologie, Kommerzialisierung von Sexualität in den Medien und dem Umgang mit Sexualität im zwischenmenschlichen Sektor (Herzog 2008b: 13). Zur gleichen Zeit gab es aber auch einen Krieg gegen die Sexualität, geführt von der „Christlichen Rechten“: “a war the Religious Right in large part won.“ (Herzog 2008b: 13) Politisches Engagement war bis weit in die 1960er Jahre bei vielen Gläubigen verpönt. Als 1973 die Abtreibung durch das Oberste Gericht legalisiert wurde, politisierten sie sich dennoch. (Braml 2005: 42) Die Gegenbewegung die „Christliche Rechte“ entstand Anfang der 1970er Jahre in den USA durch Kooperation von Neokonservativen, evangelikal-fundamentalistischen Geistlichen sowie Jerry Falwell und Tim LaHayne, welche zu dieser Zeit als Fernsehprediger tätig waren (Brocker 2007: 24).

„Die Christliche Rechte kann als eine politische und soziale Bewegung verstanden werden, die entscheidend zur Politisierung und Mobilisierung des amerikanischen protestantischen Fundamentalismus ab Mitte der siebziger Jahre beigetragen hat.“ (Minkenberg 2003: 24)

Organisationen der „Christlich Rechten“ sind z.B. „Christian Coalition“, „Family Research Council“ und andere. Die Mitglieder dieser Organisationen lehnten die neue Sexualmoral strikt ab. Statt sexueller Liberalisierung fordern sie auch heute noch die Abschaffung der Homo-Ehe, ein Verbot der Abtreibung, die Berücksichtigung der biblischen Schöpfungsgeschichte im Biologieunterricht und die Abstinenzlehre in den Schulen statt Sexualaufklärungsunterricht, um nur einige ihrer Forderungen zu nennen. (Brocker 2007: 24 f.) Der politische Einfluss der Kirchen führte zu Änderungen in Sachen Sexualität. In den 1980er Jahren versuchten sie ihre Forderungen durch aggressive Mittel durchzusetzen. Brocker nennt hier als Beispiel Blockaden von Abtreibungskliniken sowie Massendemonstrationen. Die Erfolglosigkeit dieser Methode führte zu neuen Strategien. Hier sind das Lobbying im Kongress, vor dem Weißen Haus sowie vor den Gerichten zu nennen. Ihre politische Macht erlangte die „Christliche Rechte“ jedoch durch die gezielte Unterwanderung der Führungsgremien der Republikanischen Partei G.O.P. Durch diese Strategie war es ihnen möglich, Einfluss auf das Parteiprogramm sowie die Kandidatenauswahl zu nehmen. (Brocker 2007: 27 f.) 1980 zielte die erste Aktion in Sachen Wahlkampf auf die Abwahl des liberalen Präsidenten Jimmy Carter ab (Brocker 2004: 89). Dieser stärkte während seiner Amtszeit die Rechte der Frauen und tolerierte „feministische Exzesse“ (Braml 2005: 45). Um die Meinung der Öffentlichkeit zu beeinflussen, tauchten zu Zeiten der Bush-Ära (2001-2009) falsche Informationen auf der offiziellen Website der Bundesregierung auf.: So wurde dort etwa behauptet, dass Abtreibung das Brustkrebsrisiko erhöhen würde oder das Kondome nur einen geringen Schutz vor Geschlechtskrankheiten bieten würden. (Herzog 2008a: 1) Im Jahr 2000 verfügte die „Christliche Rechte“ in achtzehn Bundesstaaten über einen starken Einfluss auf die Partei. Dies machte es ihnen möglich die Auswahl der Kandidaten mitzubestimmen und ihren Forderungskatalog durchzusetzen. Durch finanzielle Unterstützung der Schulen gelang es der „Christlichen Rechten“ die Abstinenzlehre an den meisten öffentlichen Schulen einzuführen. Sie scheiterten allerdings an der Wiedereinführung des Abtreibungsverbots sowie der Illegalisierung von Pornografie (Brocker 2007: 28 ff.). Die Einstellung der Gesellschaft zu Themen wie „die Stellung der Frau in der Gesellschaft, zur Homosexualität, zur Pornographie und zu anderen soziomoralischen Fragen (mit Ausnahme der Abtreibung)“ (Brocker 2007: 31) hat sich laut Brocker seit der Jahrtausendwende liberalisiert. Auch heute übt die „Christliche Rechte“ noch einen starken Einfluss auf politische Entscheidungen aus.

Die „Sexuelle Revolution“ führte zu einer Liberalisierung der Sexualität bis Mitte der 1970er Jahre. Durch die gelockerte Gesetzgebung im Bereich Sexualität wurden die individuelle sexuelle Betätigung, Homosexualität und Pornografie legal. Die Krise und die Inflation Anfang der 1970er Jahre sowie auftretende Geschlechtskrankheiten und eine Zunahme der Vergewaltigungen ließen die Vorteile der „Sexuellen Revolution“ in der Gesellschaft anzweifeln. Anfang der 1980er Jahre hatte die „Sexuelle Revolution“ ihren Zauber verloren.

“People did not suddenly stop having sex outside of marriage, or having same-sex relationships, or consuming pornography. But Americans became ignorance, shame, self-loathing, and the fear of sexual expression had run its course.” (Allyn 2001: 293 f.)

Die US-Amerikaner hatten sich damit abgefunden, dass ihre Moral widersprüchlich ist und rein rational betrachtet einige Ungereimtheiten aufweist. Viele hatten den Einfluss des Staates sowie den der Kirche auf die Sexualmoral akzeptiert. (Allyn 2001: 293 f.) Die These Michael Foucaults “sexual liberation was all but impossible“ (Allyn 2001: 294) fand zu dieser Zeit sehr großen Anklang in der amerikanischen Bevölkerung.

Seit der „Sexuellen Revolution“ hat sich das Verhalten im Umgang mit Sexualität der Amerikaner bis zum 21. Jahrhundert liberalisiert, dennoch ist in vielen Bereichen immer noch ein „Hauch“ von Prüderie zu spüren. Auffällig ist vor allem die aufgezeigte Doppelmoral sowie die krassen Gegensätze zwischen liberalem und erzkonservativem Umgang.

5.2 Dimension Medien

Während der „Sexuellen Revolution“ nach dem Zweiten Weltkrieg kam es immer mehr zu einem öffentlichen Diskurs über Sexualität. Die repressive Sexualmoral sollte endgültig verschwinden, forderten Befürworter. Sexualität war aus der Öffentlichkeit nicht mehr wegzudenken und wurde in den Medien extrem kommerzialisiert. Erotische Magazine wie der Playboy, Penthouse oder Hustler, die sich seit Ende der 1940er Jahre langsam entwickelt hatten, waren nun Ende der 1960er/Anfang der 1970er Jahre heiß begehrt. (Allyn 2001: 8) Die Menschen waren neugierig und wollten aus sexueller Hinsicht nichts verpassen. Verlage erkannten schnell, dass aus den Heftchen mit anzüglichen Bildern jede Menge Profit zu schlagen war, und so kam es zu zahlreichen Veröffentlichungen dieser Magazine. Das Magazin Penthouse, publiziert von Bob Guccione, wurde im April 1970 zum ersten Mal in den USA veröffentlicht. Penthouse versprach seinen Lesern neben erotischen Bildern auch Informationen zur Entwicklung der „Sexuellen Revolution“ zu liefern. (Allyn 2001: 231) Die meisten Magazine dieser Zeit publizierten ausschließlich nackte Frauenkörper, was Anfang der 1970er Jahre Frauenbewegungen auf den Plan rief. Die Frauen fühlten sich durch die extreme Kommerzialisierung des weiblichen Körpers diskriminiert und wollten durch Demonstrationen Gleichberechtigung erlangen. (Allyn 2001: 280). Die Veröffentlichung eines nackten Mannes in der Cosmopolitan im Jahr 1972 sollte für eine sexuelle Liberalisierung sorgen. Und so wurde Burt Reynolds nackt auf einem Bärenfell abgelichtet. Die Ausgabe mit dem Aktbild von Burt Reynolds war nach zwei Tagen ausverkauft. (Allyn 2001: 232)

Abbildung: Burt Reynolds in der Cosmopolitan 1972

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Quelle: BBC News 2012

Dies führte dazu, dass Magazine für Frauen wie z.B. das Playgirl gegründet wurden. Neben zahlreichen Magazinen wie dem Playboy, Penthouse und Hustler erschienen auch diverse Bücher mit sexuell behafteten Themen. 1972 publizierte Alex Comfort das Buch The Joy of Sex, von dem er in den ersten zwei Jahren insgesamt 3.8 Millionen Exemplare verkaufte. Das Buch gab Informationen und Auskunft über die heterosexuelle Beziehung und über die Steigerung ihres erotischen Genusses. Nach Veröffentlichung dieses Buches war es in jedem zweiten Haushalt Amerikas als sogenannte „Sex Bibel“ zu finden. (Allyn 2001: 229) Es folgten zwei weitere Bücher More Joy of Sex (1974) und New Joy of Sex (1991).

Auch die Filmindustrie machte sich die neu gewonnene Freiheit zu Nutzen. Der Startschuss für Pornoindustrie fiel Anfang der 1970er Jahre in San Francisco, wo eine ziemlich „laxe“ Einstellung zur Produktion dieser Filme herrschte. Hinzu kam, dass die Hippies gewillt waren sich für ein paar Dollar die Stunde vor der Kamera auszuziehen. Signifikant für diese Zeit war der Ausspruch der Fernsehproduzentin Susan Baerwald: “everyone who owned a camera tried to making [sic] a porn film.“ (Allyn 2001: 232) Der erste Film mit pornografischem Inhalt, Mona (Mona the Virgin Nymph), wurde 1970 ausgestrahlt (Allyn 2001: 232). In unabhängigen Theatern und Sex-Kinos wurden diese Filme der breiten Masse zugänglich gemacht. Entkriminalisiert wurden die Sexfilme in San Francisco im Jahr 1970. Viele enthielten eine implizite Kritik an den US-amerikanischen Sitten. Einige Darsteller in den Filmen, wie Mary Rexroth, eine Studentin der Stanford University und die Tochter des Poeten Kenneth Rexroth, spielten in pornografischen Filmen mit, um gegen die sexuelle Repression in der Gesellschaft zu rebellieren. In einem Theater in San Francisco zeigte der Afro-Amerikaner Bob McKnight einen Film, der interrassische Sexszenen beinhaltete. Mit der Veröffentlichung dieser Filme wollte er eine Liberalisierung des interrassischen Sex erreichen, der zu dieser Zeit stark verpönt war. (Allyn 2001: 233) Der Höhepunkt der Pornofilme wurde mit dem Film Deep Throat von Gerard Damiano im Jahr 1972 erreicht. Mit diesem Film wurde das Interesse der Bürger und Bürgerinnen geweckt. Allerdings durfte dieser Film in mehr als der Hälfte aller Bundesstaaten aufgrund Verbotsverfahren US-amerikanischer Staatsanwaltschaften nicht gezeigt werden. Einige Kritiker äußerten heftige Bedenken an dem Film. So bezeichnete etwa der Psychiater Max Levin den Film als schädlich: ”[I]t denied the importance of the vaginal orgasm described by Freud.” (Levin, zit. nach Allyn 2001: 235) Ebenso war der Film laut dem Psychoanalyst Ernest van den Haag als gefährlich zu bezeichnen: ”[I]t`s hedonistic ethic would pave the way toward fascism.“ (van den Haag, zit. nach Allyn 2001: 235) Mit nur 25 Millionen US-Dollar produziert lagen die Einspielerlöse bei ca. 600 Millionen US-Dollar (Allyn 2001: 334). Trotz einiger Kritiker wurde dieser Film schon bald in allen Großstädten und auch Vororten der USA ausgestrahlt. Ende 1972 war Deep Throat einer der populärsten Filme der Nation- Sex war also eindeutig im Bewusstsein der Massen angekommen.

1973 erreichte die „Sexuelle Revolution“ auch die TV Formate. Die erste Reality-Show An American Family zeigt eine US-amerikanische Familie, bei der sich die Eltern im Laufe der Serie scheiden lassen und eines der fünf Kinder homosexuell ist. Die neue TV-Show führte zu Kontroversen in der Gesellschaft: Scheidungen wurden im Jahr 1970 von vielen als kriminell angesehen und Homosexualität war in der Gesellschaft verpönt. (Allyn 2001: 256 f.) Mit dem Einzug von Sexszenen im öffentlichen TV reagierte die Unterhaltungsindustrie auf die Erwartungshaltung der Öffentlichkeit und so etablierte die „Motion Picture Association of America“ (MPAA) im Jahr 1968 das Rating-System, das zur Klassifizierung der Filme nach Alterseignung dienen sollte. Ebenso nahm das Filmbüro der katholischen Kirche Bewertungen nach moralischen Gesichtspunkten vor. (Oertel 2000: 62)

Auf dem Höhepunkt der „Sexuellen Revolution“ wurde Sexualität überall in den US-Medien diskutiert. Wie in der Einleitung bereits erwähnt, boomte die Pornoindustrie bis sie im Jahr 1973 durch die ökonomische Krise zum Erliegen kam. Verantwortlich gemacht wurde dafür die „Sexuellen Revolution“. (Allyn 2001: 276 f.) Pornografie und Sexualität sollten nun aus der Öffentlichkeit verschwinden und so drosselten Anfang der 1970er Jahre einige Zeitschriften die Nutzung anregender Bilder, um mit diesen Werbung zu machen. Ende 1973 wurden alle Filme mit Themen für Erwachsene, auch ohne pornografischen Inhalt, von den Zeitungen mit einem X (niemand unter 16 erlaubt) versehen. Auch Theater und Sex-Kinos, die weiterhin mit Illustrationen warben, wurden von der Politik reglementiert. (Allyn 2001: 278) Es war nun nur noch erlaubt den Namen des Films, die Adresse des Theaters und die Spielzeit bekannt zu geben. Alle Illustrationen wurden von der Politik verbannt. Im Jahr 1974 kam es zur Verhaftung des Pornodarstellers Harry Reems aus Deep Throat, um eine „Verbannung“ der Pornografie aus der Gesellschaft noch zu verdeutlichen. Sowohl die Linke als auch die Rechte machten die Pornografie für alles verantwortlich, was in den USA schief lief: ”Pornography had become a symbol for everything that was wrong with America.” (Allyn 2001: 277) Die Liberalen schlossen sich dem kurze Zeit später an. Eine komplette Verbannung der Pornografie aus der Gesellschaft gelang allerdings nicht, sie wurde lediglich durch die Ratings der MPAA reglementiert. Ende der 1990er Jahre wurden diese auch auf alle großen TV-Shows, inklusive Talk-Shows, ausgeweitet. (Oertel 2000: 63)

In den 1990er Jahren gingen zahlreiche US-Serien auf Sendung, in denen Themen wie Sexualität und Beziehung eine große Rolle einnahmen. Die US-Kultserie Sex and the City fand Ende der 1990er Jahre ihren Einzug in das öffentliche Fernsehen. Die Freizügigkeit in Sex and the City war für eine US-Serie sehr ungewohnt, verzeichnet aber durch eine Mischung aus Sexualität und Beziehungen sowie Humor und Leid der vier New Yorkerinnen große Erfolge. (Herzog 2008b: 1) Ebenso erfolgreich wie Sex and the City waren die Serien Baywatch und Beverly Hills 90210, um nur einige zu nennen. Bei all diesen Serien stehen zwischenmenschliche Beziehungen und Sexualität im Vordergrund.

Trotz der starken Reglementierungen in der Unterhaltungsindustrie seitens der Politik, die es auf Grund der Krise Anfang der 1970er Jahre gegeben hat, und durch Proteste in der Gesellschaft hat eine „Sexuelle Revolution“ in den 1960er und 1970er Jahren ohne Zweifel stattgefunden. Dies führte zu einem liberaleren Umgang mit Sexualität in den Medien. Kabel-TV und Internet liefern Nacktheit und Pornografie im 21. Jahrhundert in eine große Anzahl an Haushalten in den USA. (Herzog 2008b: 13) US-Serien wie Sex and the City oder Private Practice sind aus dem öffentlichen Fernsehen nicht mehr wegzudenken. In Talk-Shows wird Sexualität öffentlich diskutiert, unterliegt aber auch hier den Reglementierungen der MPAA (Oertel 2000: 64). Ebenso schmücken große Plakate mit Victoria-Secret-Models die Schaufenster und U-Bahnhöfe der Städte. Auch in den Illustrierten wie Cosmopolitan oder Glamour wird heute mehr denn je über das Thema Sexualität gesprochen (Herzog 2008b: 13). Die Message in den Zeitschriften vermitteln jungen Frauen: ”Be sexy. It doesn`t mean you have to have sex.” (Herzog 2008b: 2) Dies scheint laut Herzog die neue Nationalhymne der neuen sexuellen Revolution zu sein: ”Look but don`t touch!” (Herzog 2008b: 2) In den USA werden jedes Jahr zwischen zehn und vierzehn Billionen US-Dollar von der US-amerikanischen Bevölkerung für das Pornobusiness ausgegeben. Es wird mehr Geld für Pornografie in einem Jahr ausgegeben als für Kultur. Die USA haben sich durch die „Sexuelle Revolution“ zur größten Pornoindustrie weltweit entwickelt. (Rich 2007: 600 f.) ”[T]here may be no other product in the entire cultural marketplace that is more explicitly American.” (Rich 2007: 601) Zu Zeiten der „Sexuellen Revolution“ waren die US-Amerikaner zunächst verlegen, wenn es um pornografische Filme ging, und die Produzenten wollten unerkannt bleiben. Heutzutage hingegen können die Namen der Produzenten gar nicht bekannt genug sein. (Rich 2007: 603) Die US-Amerikaner ertrinken geradezu in einer täglichen Dosis aus sexuellen Bildern und Informationen (Herzog 2008b: 1). Trotz der Liberalisierung in vielen Bereichen ist auch heute noch ein verschämtes Verhalten im Umgang mit Sexualität der US- Bürger in einigen Bereichen zu spüren. „Einerseits ist die ganze Gesellschaft mit diesem Sex-Geschnatter durchtränkt, aber gleichzeitig sind da diese starken Strafaffekte.“ (Herzog, zit. nach Feddersen/Reichert 2012)

5.3 Dimension Schule

„Jedes Kind werde in einem „natürlichen“ Zustand „heiliger Unschuld“ geboren, der möglichst lange zu erhalten sei.“ (Rousseau, zit. nach Haeberle 1985: 519)

In 35 Bundesstaaten haben die Eltern die Möglichkeit ihre Kinder vom Aufklärungsunterricht freistellen zu lassen (Kröger et al. 2004: 42). Sexualerziehung ist in den USA nicht durch Gesetze geregelt, sondern wird Bundesstaaten abhängig auf Lokalebene entschieden. Ob und in welchem Umfang Sexualerziehung an einer Schule stattfindet, hängt von der jeweiligen Ortsgemeinde und deren Einstellung ab. In keinem Bundesstaat ist Sexualerziehung – mit Ausnahme von Louisiana (erst ab Klasse sieben) – verboten. (Hirschfeld-Balk 1984: 355)

Laut Kirby et al. sind es religiöse und andere Gründe, die die Menschen in den USA glauben lassen, dass Sex vor der Ehe falsch ist und Abstinenz die einzig sinnvolle Sexualaufklärung in der Schule ist. Sie glauben, dass die Aufklärung der Jugendlichen über das Verwenden von Kondomen und anderen Verhütungsmitteln, um sich vor sexuell übertragbaren Krankheiten sowie ungewollten Schwangerschaften zu schützen, die Jugendlichen zu einem unmoralischen sexuellen Verhalten und Promiskuität verführe. Andere Befürworter der Abstinenzlehre wiederum glauben, dass es durch die Aufklärung über den Gebrauch von Verhütungsmitteln zu einer Steigerung des sexuellen Verhaltens und damit automatisch zu einer Erhöhung der sexuell übertragbaren Krankheiten sowie zu einem Anstieg ungewollter Schwangerschaften kommt. Andere Vertreter sprechen sich für die „comprehensive“ Programme aus. „Comprehensive sex education programs“ beinhalten sowohl die Aufklärung über Verhütungsmethoden, als auch die Lehre der Abstinenz. (Kirby et al. 2007: 214 f.)

Durch die „Sexuelle Revolution“ kam vermehrt das Verlangen nach Wissen über sexuelle Themen und die Notwendigkeit der sexuellen Aufklärung in den öffentlichen Schulen auf. Jedoch wurde diese Idee nicht von allen Teilen der US-amerikanischen Bevölkerung unterstützt. Diejenigen, die keine Entwicklung vom puritanischen zum offenen, freien Denken über Sexualität wünschten, waren strikt gegen die Einführung der Sexualaufklärung in den Schulen. (Hirschfeld-Blank 1984: 356) In einem Bericht mit Anregung der „Bundeskommission gegen Obszönität und Pornografie“ gegenüber dem Präsidenten und dem Kongress der Vereinigten Staaten im Jahr 1970 heißt es:

„sich mit Nachdruck der Sexualerziehung zu widmen […] Sie muss vermitteln, dass Sexualität ein normaler und natürlicher Bestandteil des Lebens und jeder Mensch ein sexuelles Wesen ist. Sie sollte sich nicht an orthodoxen Vorbildern orientieren, stattdessen sollte sie eine größere Vielfalt von Wertvorstellungen zulassen. Sie sollte sich auf die Vermittlung von Tatsachen beziehen und nicht nur biologische und physiologische Kenntnisse vermitteln, sondern auch soziale, psychologische und religiöse Tatsachen beinhalten […] sie sollte sich in der jeweils angemessenen Form an alle Gruppen der Bevölkerung wenden, an Erwachsene ebenso wie an Kinder und Jugendliche.“ (Haeberle 1999: 526)

In diesen Zeilen der „Bundeskommission gegen Obszönität und Pornografie“ werden sehr deutlich die Ziele und Methoden einer modernen, positiv ausgerichteten Sexualerziehung beschrieben (Haeberle 1999: 526). Obwohl eine große Mehrheit der US-Amerikaner sich für eine Sexualaufklärung in den Schulen aussprach, um ungewollte Schwangerschaften und sexuell übertragbare Krankheiten zu verhindern, gelang es der Kirche, sich durch ihre politische Macht im Jahr 1973 gegen die Einführung von Sexualaufklärung an Schulen durchzusetzen (Allyn 2001: 274). Nach Allyn bedeutet Sexualaufklärung für die Kirche eine Bedrohung ihrer Lebensweise: “[S]ex education as a threat of their way of life.“ (Allyn 2001: 274) Viele Schulen in den USA wurden und werden auch heute noch durch Organisationen der Kirche finanziell unterstützt und müssen sich an deren Vorgaben halten. Tun sie dies nicht, werden ihnen die finanziellen Mittel gestrichen. Ein Beispiel verdeutlicht die Problematik: In einer Schule in Philadelphia sollte ein Sexualaufklärungs-Workshop zu den Themen Verhütung und Abtreibung stattfinden. Als dies der katholischen Kirche bekannt wurde, zog diese ihre finanzielle Unterstützung umgehend zurück. (Allyn 2001: 274)

Nicht nur die Kirche wehrte sich gegen den Sexualkundeunterricht an den Schulen. Hirschfeld-Balk erwähnt, dass vermehrt Eltern-Gruppen Ende der 1960er Jahre /Anfang der 1970er Jahre vor Gericht zogen, um gegen die Gesetzmäßigkeit des Sexualkundeunterrichts vorzugehen. Die Eltern sahen den Sexualkundeunterricht im Widerspruch zu ihrer Religionsfreiheit. Es wurde jedoch 1969 in Maryland und 1982 in New Jersey gerichtlich entschieden, „daß [sic] Sexualerziehung eine Maßnahme für öffentliche Gesundheit sei und keine ausgefallenen religiösen Dogmen aufstelle oder religiöse Freiheit verleugne“ (Hirschfeld-Balk 1984: 356). Außerdem hatten die Eltern die Möglichkeit ihre Kinder vom Sexualkundeunterricht, wenn dies nicht mit ihrer Religion vereinbar war, zu befreien. Eine andere Möglichkeit dem Sexualkundeunterricht aus dem Weg zu gehen, war die Kinder an Privatschulen unterrichten zu lassen.

Neben vielen Eltern gab es auch andere extreme Gegner der Sexualerziehung. Diese waren der Meinung, dass es durch eben diese Erziehung zu einer Zerstörung von Moral und Sittlichkeit der Jugendlichen kommt, sie unerwünschtes Sexualverhalten anregt und es dadurch vermehrt zu unerwünschten Schwangerschaften kommt. Ebenso spricht Hirschfeld-Balk von einer Unterminierung des religiösen Glaubens. Durch organisierte „Antisex-Kampagnen“, die in den gesamten USA durchgeführt wurden, wollten sie dieser, in ihren Augen „unsittlichen“ Erziehung der Jugendlichen, den Kampf ansagen. Störaktionen dieser Gegner waren unter anderem Antisex-Reden an Schulen und Veröffentlichungen in den Medien, die sich gegen die Sexualerziehung richteten. Überwiegend waren die Gegner der Sexualerziehung in den Organisationen der „Christlichen Rechten“ zu finden. Gegenüber den Gegnern der Sexualerziehung stehen die Befürworter, die die Sexualerziehung an Schulen für ungemein wichtig halten. (Hirschfeld-Balk 1984: 356 f.) Im Jahr 1977 sprachen sich 77% der Amerikaner für eine Sexualaufklärung an Schulen aus (Allyn 2001: 289). Die Sexualerziehung wird von Befürwortern als ein großer Wert in der Entwicklung der Jugendlichen angesehen. Durch die Erziehung erlangen die Jugendlichen demnach ein umfangreiches Wissen über den Umgang mit Sexualität sowie ein erhöhtes Selbstwertgefühl und eine größere Selbstsicherheit, die ihnen in Beziehungsfragen hilfreich sein kann. Ebenso wird ein besseres Verständnis von Bedürfnissen und Werten erlangt sowie das Kommunikationsverhalten gestärkt, glauben die Befürworter. (Hirschfeld-Balk 1984: 357)

In den 1980er Jahren nahm die politische Macht der „Christlichen Rechten“ enorm zu. So gelang es ihnen im Jahr 1980 etwa zwei Millionen Neuwähler zu gewinnen (Brocker 2004: 90). Der Einfluss der „Christlichen Rechten“ war immer mehr in Sachen Sexualaufklärung an den öffentlichen Schulen zu spüren. Es entstanden sog. „Abstinence-Only“ Programme, die das Ziel hatten die Jugendlichen vor ungewollten Schwangerschaften, Geschlechtskrankheiten und der Sexualität im Allgemeinen zu schützen. Programme wie diese wurden staatlich gefördert und hielten die Lehrkräfte dazu an, Enthaltsamkeit in ihrem Unterricht zu predigen (Kröger et al. 2004: 41). Seit dem Jahr 1981 werden sog. „Abstinence-only-until-marriage-programms“ durch insgesamt drei Förderlinien finanziell vom Staat unterstützt (SIECUS 2011). Im selben Jahr wollten die Republikaner trotz rapide ansteigender Geschlechtskrankheiten, ungewollter Schwangerschaften sowie dem Ausbruch der Immunschwächekrankheit AIDS ein Keuschheitsgesetz einführen, womit sie sich jedoch nicht durchsetzen konnten. Sie waren der Meinung, durch dieses Gesetz die auftretenden Probleme eindämmen zu können (Allyn 2001: 292). Das erste „Abstinence-Only“ Programm, „The Adolescent Family Life Act“ (AFLA), wurde im Jahr 1981 unter der Reagan Regierung gegründet. Finanzierungen für diese ungeprüften Programme stiegen besonders stark in den Jahren 1996-2006, vor allem unter der Regierung von Georg W. Bush (2001-2009). (SIECUS 2011) Die Abstinenzlehre, die während der Bush-Ära extrem gefördert wurde, gewann viele Anhänger. Diese waren froh durch die Abstinenzlehre einer „Sexualisierung der Jugendlichen“ unterbinden zu können (Feddersen/ Reichert 2012). Im Jahr 1996 entstand das zweite Programm dieser Art: „Title V abstinence-only-until-marriage-program“. Zeitgleich entstand auch eine gesetzliche Regelung, welche Inhalte durch ein Enthaltsamkeitsprogramm vermittelt werden müssen. Laut Kröger sollen die Programme unter anderem den Kindern den sozialen, psychologischen und gesundheitlichen Gewinn der sexuellen Abstinenz klar machen soll. Es wird von allen Schülern eine sexuelle Abstinenz vor der Ehe erwartet. Dies sei der einzig sichere Weg, sich vor ungewollten Schwangerschaften und Geschlechtskrankheiten zu schützen. (Kröger et al. 2004: 42) Im Jahr 2000 folgte die „Community-Based Abstinence Education“ (CBAE), das restriktivste Programm der drei (SIECUS 2011). Entwickelt wurden „Abstinence-Only“ Programme durch christlich-rechte Organisationen, die sich gegen die Einführung des Sexualkundeunterrichts aussprachen und anfingen eigene Lehrpläne zu entwickeln. Finanziell unterstützt wurden diese von den o.g. Förderlinien. Private Organisationen wie das „McLennan County Collaborative Abstinence Project“ (McCAP) erstellen unter staatlicher Förderung die Materialien für den Sexualkundeunterricht. Das McCAP verbreitet die „Abstinence-Only“- Botschaft über die Medien. Oft bedient es sich dabei nicht immer seriöser Mittel, so Kröger. So heißt es z.B., dass Eltern ihre Kinder belügen würden, wenn sie ihnen sagten, dass man sich mit Kondomen vor sexuell übertragbaren Krankheiten schützen könne. Offizielles Ziel der „Abstinence-Only“ Programme ist es, Schwangerschaften im Jugendalter zu senken sowie die Ansteckungsgefahr mit Geschlechtskrankheiten zu minimieren bzw. zu verhindern (Kröger et al. 2004: 42).

Es besteht dabei jedoch weder für die Schuldistrikte noch für die Bundesstaaten eine Verpflichtung, Enthaltsamkeit zu unterrichten. Hat sich eine Schule für ein „Abstinence-Only“ Programm entschieden, muss sie sich an den Inhalt des Programmes halten. (Kröger et al. 2004: 42) Bis zum Jahr 2007 wurde Sexualerziehung im eigentlichen Sinne nur von sehr wenigen Bundesstaaten berücksichtigt, stattdessen wird auf Enthaltsamkeit bis zur Ehe appelliert (Hirschfeld-Balk 1984: 358). Durch die anhand von Studien nachgewiesene Ineffizienz dieser Programme lehnten im Jahr 2009 etwa die Hälfte aller Bundesstaaten die finanzielle Unterstützung durch die Organisationen ab (SIECUS 2011).

Trotz der eindeutigen Ergebnisse der Studien über die Ineffizienz der „Abstinence-Only“ Programme (siehe Stanger-Hall/Hall 2011) hat die „Christliche Rechte“ auch im 21. Jahrhundert noch enormen Einfluss auf die Sexualerziehung an öffentlichen Schulen. Bei mindestens 55% der Distrikte in den USA steht nach wie vor Enthaltsamkeit auf dem Lehrplan (Kröger et al. 2004: 41). „Eine puritanische Einstellung herrscht heutzutage immer noch vor, selbst zwei Jahrzehnte nach der Sexualrevolution.“ (Hirschfeld-Balk 1984: 355)

Die staatliche Förderung für die „Abstinence-Only“ Programme lief im Juni 2009 aus. Eine weitere Förderung für das Jahr 2010 war nicht vorgesehen. Stattdessen wurden durch die „Labor-Health and Human Services, Education and Other Agencies“ insgesamt zwei weitere Programme unter staatlicher Förderung zur Prävention von Teenagerschwangerschaften ins Leben gerufen: Das „Personal Responsibility Education Program“ (PREP) und die „Teen Pregnancy Prevention“ (TPP). Die Bundestaaten können entscheiden, welches Programm sie zur Prävention von Teenagerschwangerschaften sowie der Prävention von Geschlechtskrankheiten einsetzen möchten. (Stanger-Hall/Hall 2011: 1) Die weitere Finanzierung der zwei größten Programme des Bundes der Abstinenz Bildung „The Community Based Abstinence Education“ und „The Adolescent Family Life Act“ wurden im Jahr 2010 unter Präsident Obama eingestellt. Darüber hinaus verlangte Obama von der dritten Förderlinie „Title V Abstinence-only-until-marriage-program“ ihr Programm bis zum Juni 2009 zu beenden (SIECUS 2011). Es gab mehrere Versuche von konservativen Abgeordneten, die Finanzierung fortzusetzen. Die Konservativen im US-Kongress waren erfolgreich und so wurde das Programm „Abstinence-only-until-marriage-programm“ als Teil der 2010 verabschiedeten Gesundheitsreform beibehalten und erhielt trotz der nicht vorgesehenen finanziellen Mittel eine erneute staatliche Förderung für die Jahre 2010-2015 in Höhe von 250 Millionen US-Dollar. Dies wurde durch die Gesetzgebung im März 2010 autorisiert. (Stanger-Hall/Hall 2011: 1 f.)

In der Wissenschaft werden die beschriebenen Programme kritisch gesehen: Stanger/Hall erklären, dass sie Teenagern falsche Informationen zum Thema Sexualität und Aufklärung vermitteln. Durch die schlechte Sexualaufklärung haben die Teenager nicht die Möglichkeit im besten Sinne für ihre Gesundheit zu handeln. Dies führt nicht nur zu einer hohen Anzahl an ungewollten Schwangerschaften, sondern auch zu einem Anstieg der Geschlechtskrankheiten. (Stanger-Hall/Hall 2011: 8 ff.)

Durch den Regierungswechsel von Republikanern zu Demokraten unter der neuen Führung von Barack Obama hat sich in Sachen Aufklärung einiges getan. Im Jahr 2012 gibt es weitaus weniger Programme, die die Abstinenzlehre unterstützen, als noch Mitte der 1990er Jahre. Trotz der nachgewiesenen Ineffizienz der „Abstinence-Only“ Programme sprechen sich auch im 21. Jahrhundert immer noch zahlreiche US-Bürger für diese Programme aus. Organisationen wie die International „Planned Parenthood Federation“ (IPPF) oder „Sexuality Information and Education Council of the United States“ (SIECUS) versuchen durch umfangreiche Sexualerziehung das Leben und Wohlbefinden der Jugendlichen zu verbessern und ihr sexuelles Risikoverhalten zu minimieren. Eine umfassende Sexualerziehung hat positive Auswirkungen auf das Verhalten Jugendlicher, die Datenlage ist eindeutig (Braeken 2011: 34). Eine Studie von Kirby et al. ergab, dass aus 83 Programmen zur Sexualerziehung zwei Drittel der Programme zu einer positiven, also gesunden Entscheidung über Sexualität und Verhütung führen. Programme wie diese stärken das Wissen über Sexualität und die damit verbundenen Risiken. Diese Programme haben keine negativen Auswirkungen, insbesondere haben sie nicht zur Steigerung des sexuellen Verhaltens geführt. (Kirby et al. 2007: 213 ff.).

Die Nachwirkungen dieser langandauernden repressiven Sexualaufklärung sind noch heute in den Einstellungen und dem Handeln der Menschen spürbar. So gibt es auch in der heutigen Gesellschaft immer noch Erziehungsverhältnisse, die aufklärungsfeindlich sind. (Koch 2000: 181 f.)

„An sogenannten “Reinheitsbällen” (purity balls) geloben junge Mädchen von Florida bis Colorado in schicken Kleidern vor Gott und ihren Papis (schneidig in Frack und Fliege), dass sie ihre Virginität bis zur Hochzeitsnacht erhalten werden.“ (Herzog 2008a: 105)

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Details

Seiten
Erscheinungsform
Erstausgabe
Erscheinungsjahr
2013
ISBN (PDF)
9783955499358
ISBN (Paperback)
9783955494353
Dateigröße
1.4 MB
Sprache
Deutsch
Institution / Hochschule
Universität Hamburg
Erscheinungsdatum
2015 (Februar)
Note
1,5
Schlagworte
sexuelle Revolution Sexualkundeunterricht Abstinenzlehre Christliche Rechte Sexualkunde
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Titel: Sex im Alltag: Die Entwicklung des Umgangs mit Sexualität seit den 1960er Jahren in Deutschland und den USA
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