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Bildung für Jedermann? Der lange Weg der Kosovo-Albaner zur Bildung

©2013 Bachelorarbeit 52 Seiten

Zusammenfassung

Unter dem Titel ‘Bildung für Jedermann? Der lange Weg der Kosovo-Albaner zur Bildung’ wird in diesem Buch die interkulturelle Pädagogik behandelt. Es erfolgt eine Auseinandersetzung mit den geschichtlichen Hintergründen des Kosovo-Konflikts und dem darunter leidenden Bildungssystem. Behandelt werden zudem die Fragen, welche Rolle Miloševic in diesem Krieg spielte, was die albanische Diaspora dazu beitrug und wie die Großmächte agierten.
Die Relevanz dieses Themas besteht demnach darin, dass aufgrund der kriegerischen Auseinandersetzungen Tausende Kosovaren ihr Land verlassen, in anderen Ländern Zuflucht finden, versorgt und für die Zeit ihres Aufenthaltes in Bildungseinrichtungen untergebracht werden mussten. Dies erforderte seitens der Aufnahmeländer interkulturelle Kompetenz, welche die Umstände, die zur Flucht beigetragen haben, zu verstehen voraussetzt, ebenso wie über die Grundzüge der interkulturellen Pädagogik Bescheid zu wissen.

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


1 Interkulturelle Pädagogik

1.1 Begriffserklärung

Bei der Interkulturellen Pädagogik geht es in erster Linie um die Anerkennung von kulturellen und ethnischen Unterschieden. Der Begriff der Interkulturellen Pädagogik setzt sich aus „interkulturell“ und „Pädagogik“ zusammen, zentral geht es aber um den Kulturbegriff. Erstmals wurde dieser Begriff in einer Publikation aus dem Jahr 1979 verwendet.

„Interkulturell“ meint, die “Aktion zwischen Angehörigen verschiedener Kulturen“ (Nieke 2008, S. 31).

„Interkulturelle Pädagogik versucht der Tatsache Rechnung zu tragen, dass unser Bildungswesen von Angehörigen verschiedener Kulturen und Ethnien besucht wird“ (Prengel 1993, S.63 zit. n. Mecheril 2004, S. 16).

Dass der Kulturbegriff eine so große Rolle spielt, wird als Schwäche der Interkulturellen Pädagogik angesehen.

Einer der bedeutendsten Vertreter der Interkulturelle Pädagogik ist Georg Auernheimer. Ende der 70er begann sein „interkultureller Weg“ als Student, der migrantischen Kindern Nachhilfe gab. Seit dieser Zeit beschäftigte er sich intensiv mit Migration und stellte alsbald Defizite in der Fachliteratur fest, deren Erschließung sein Interesse steigerte.

Die Begründung dieser Fachrichtung, einer Subdisziplin der Pädagogik, liegt in der Kritik an der Ausländerpädagogik, die sich mit den Folgen der Arbeitsmigration, bedingt durch die Anwerbeverträge nach 1949, auseinandersetzt.

1.2 Am Anfang war die Ausländerpädagogik

Nach dem Zweiten Weltkrieg waren viele Männer im Krieg gefallen, in Arbeitslager der Alliierten deportiert, verschollen oder valide. Eine Vielzahl der Facharbeiter emigrierten in die USA (vgl. Han 2005, S. 34 f). Somit herrschte ein akuter Mangel an qualifizierten Fachkräften. Wie viele andere europäische Länder schloss Deutschland Anfang der 60er Gastarbeiterabkommen mit Türkei, Jugoslawien, Italien, Griechenland, Marokko, Tunesien und Portugal ab. Wenige Jahre später tat es Österreich Deutschland gleich und unterzeichnete ebenfalls Abkommen mit der Türkei und dem ehemaligen Jugoslawien. Die Voraussetzung dafür, dass man beispielsweise in Österreich arbeiten durfte, war, dass es im erforderlichen Wirtschaftszweig keine akkuraten Arbeitskräfte gibt. Nur so könne verhindert werden, dass die österreichischen Arbeiter benachteiligt wären. Lief ein Vertrag ab, so konnte er bei Bedarf verlängert werden (vgl. Kreuzhuber/Hudsky 2011, S. 3).

Es kam also zur Arbeitsmigration, die den Aufnahmeländern eine Vergrößerung der Anzahl produktiver Arbeiter und erweiterte wirtschaftliche Wertschätzung bescherte, also im Endeffekt den Wohlstand des Aufnahmelandes vermehrte. Diejenigen, die ihre Herkunftsländer verließen, um in Deutschland, Österreich und anderen europäischen Ländern zu arbeiten, stellten für ihre eigenen Länder einen wirtschaftlichen Verlust dar. Betrachtet man ihre Stellung in der Sozialstruktur der Gesellschaft des Einwanderungslandes, aber auch jene in der Berufswelt, so kann man sie als die unterste Unterschicht bezeichnen (vgl. Han 2005, S. 31).

1.3 Anwerbestopp

In den ersten Jahren lief die „Gastarbeit“ wie geplant. Die Arbeiter kamen, blieben für ein paar Jahre, gingen dann aber auch wieder in ihre Herkunftsländer zurück. Die 70er Jahre brachten mit der ersten Ölkrise 1973 eine hohe Arbeitslosigkeit mit sich, weshalb sich Deutschland, wie Jahre zuvor schon die Schweiz, zu einem Anwerbestopp entschloss. In Österreich sah die Situation ähnlich aus. Die Ölkrise löste eine Stagnation am Arbeitsmarkt aus, woraufhin man auch hier beschloss, ein Anwerbestopp zu verhängen. Es kam zu Verunsicherung unter den Gastarbeitern, was sie dazu bewog, ihre Familien nach Deutschland bzw. Österreich zu holen (vgl. Nohl 2010, S. 22). Die Verunsicherungen bezogen sich auf die Zukunft der Migranten und ihren Familien. Sie sahen kein Vorankommen in ihren Herkunftsländern und setzten daher ihren Lebensweg in ihrer neuen Heimat fort.

Ausgenommen von den Anwerbestopps waren jene Arbeiter, die aus einem der EG-Staaten kamen und auch solche, deren Familienangehörige in Deutschland bereits sesshaft waren. Deutschland war nun, zum Missfallen der Einheimischen, zu einem Einwanderungsland geworden, was es bis heute noch nicht in vollem Maß anerkannt hat (vgl. Yildiz 2009, S. 1063).

Deutlich machen dies Zahlen aus dem Jahr 1970, bei denen 241.816 schulpflichtige Kinder von Gastarbeitern verzeichnet wurden. 1979 wurde erneut die Anzahl der schulpflichtigen Ausländer erhoben, wobei man schon einen Anstieg auf 674.593 vermerken konnte (vgl. Nohl 2010, S. 22).

Nach wie vor unterlag die deutsche Politik dem Irrglauben, dass es sich bei den Gastarbeitern, die nun eigentlich keine mehr waren, nur um eine temporäre Angelegenheit handeln würde, daher wurden die Kinder im Zuge der Ausländerpädagogik nicht nur in Deutsch unterrichtet, sondern, um ihre Rückkehrfähigkeit zu erleichtern, auch in ihrer Muttersprache weitergebildet. Dieser Beschluss, der bereits 1964 bei der Kultuskonferenz gefasst wurde, hatte Auswirkungen, die bis in die 80er hineinreichten und spiegelte den vorher erwähnten Irrglauben wider (vgl. Mecheril 2004, S. 84).

Nachdem die Kinder der Migranten auch der Schulpflicht unterlagen, die Deutschen aber die Homogenität der Schülerschaft beibehalten wollte, kam es vorerst zur Bildung von Vorbereitungsklassen für Kinder, die den Standards der deutschen Sprache nicht folgen konnten. Wenig später wurde vom Kultusministerium erlassen, dass der Anteil ausländischer Kinder nicht mehr als 20 Prozent betragen dürfe. Das Resultat waren Ausländerklassen und Nationalklassen, welche wenngleich angesichts des Assimilationsdruck nicht pädagogisch tragbar, aber wenigstens die Eltern der einheimischen Kinder beruhigten (vgl. Nohl 2010, S. 24f).

„In Nationalklassen wurden Kinder eines Herkunftslandes beschult, wobei hier neben der deutschen Sprache auch auf der Nationalsprache unterrichtet wurde. In Ausländerklassen wurden Kinde aus unterschiedlichen Herkunftsländern beschult. Als Sprache war hier nur das Deutsche vorgesehen, das aber eben nicht nur Unterrichtssprache, sondern auch unterrichtete Sprache war.“(Nohl 2010, S. 24)

Mit diesen Maßnahmen versuchte man im Zuge der Ausländerpädagogik die sogenannten „Mängelwesen“ an die vor allem sprachlichen Normen des Aufnahmelandes anzupassen. Deswegen findet man die Ausländerpädagogik auch unter den Schlagwörtern der kompensatorischen Erziehung oder Assimilationspädagogik. Drei wesentliche Bereiche, zusammengefasst von Harant (1987) wiesen dringenden Nachholbedarf auf:

1. Die Sprachdefizite: Die Deutschkenntnisse waren unzureichend. Ist kein ausreichender Grundwortschatz vorhanden, kann auch der Sprachcode nicht entziffert werden.

2. Der Sprachcode: Die Kinder der Arbeiterklasse, der die Gastarbeiter angehören, haben einen Sprachcode, der sich meist aus kurzen Sätzen oder Aufforderungen und aus zum Teil unkonjugierten Verben zusammensetzt. Die Kinder der Mittelschicht können hingegen grammatikalisch komplexe Sätze bilden und somit dem in der Schule verlangten Sprachcode entsprechen.

3. Defizite in der Primärsozialisation: Die Primärsozialisation erfolgt im Gegensatz zur Sekundärsozialisation, die in der Bildungseinrichtung erfolgt, in der Familie. Problematisch ist hierbei, dass die Herkunftsfamilien weniger Wert auf Bildung legten, als die deutschen Familien, was insofern problematisch ist, dass z.B. Hausaufgaben zugunsten der Geschwisterbetreuung vernachlässigt werden und es von den Eltern wenig Ansporn zum Lernen gibt. Diese Defizite sind schlussendlich mitverantwortlich für den defizitären Sprachcode (vgl. Harant 1987 zit. n. Nohl 2010, S. 27).

In erster Linie wurden die defizitär behafteten Inhalte der Ausländerpädagogik, das Nicht-Entsprechen der Migranten der „Deutschen Norm“, auf institutioneller Ebene diskutiert. Ende der 70er wurden dafür sogar neue Studiengänge und Institute zum Thema Migration und Bildung eingerichtet. Doch je mehr sich das Forschungsinteresse diesem Thema und vor allem den möglichen und absehbaren Folgen dieses Assimilationsdrucks widmete, desto deutlicher wurde die Kritik an der Defizithaltung und brachte neue Sichtweisen, wie etwa Differenz statt Defizit, mit sich. Ab dieser Zeit spricht Krüger-Potratz von der „kurzen Geschichte“ der interkulturellen Pädagogik (vgl. Gogolin/Krüger-Potratz 2010, S. 104).

Die anderen Kulturen, Sprachen und die Migranten selbst sah man nun als Bereicherung an: „Das als kulturell-negativ beurteilte Defizit wird in eine kulturell-positiv bewertete Differenz transformiert.“ (Geisen 2007, S. 33) Selbst die Politik sah Mitte der 70er ein, dass die Heterogenität der Schulklassen kein temporäres Phänomen, sondern Tatsache war und die bisher erfolgten pädagogischen Interventionen die Benachteiligung und Ausgrenzung nicht beseitigt, sondern gefördert hatten. Es folgten Diskussionen und die Entwicklung neuer Konzepte, etwa, dass eine interkulturelle Bildung keine Sonderbehandlung, sondern eine selbstverständliche Aufgabe der Schule sein solle. Was aber auf dem Papier schon verfasst wurde, hinkte in der Praxis nach (vgl. Mecheril 2004, S. 84f).

1.4 Interkulturelle Pädagogik

Die 80er Jahre standen ganz im Zeichen der Differenz. Als positiv kann man in dieser Zeit die Relativierung der Homogenität der Sprache abgewinnen und dass sich die Interkulturelle Pädagogik nicht mehr allein an die Einwanderer richtete, sondern an die Gesellschaft als Ganze Doch in der Politik und der Gesellschaft wurde eine zunehmende Ausländerfeindlichkeit spürbar.

1981 trat Griechenland der EG bei, was nicht unumstritten war, da es sich, wie heute, um ein wirtschaftlich schwaches Land handelte und man daher eine Welle ausländischer Arbeitnehmer erwartete. Der Beitritt Griechenlands ermöglichtes es den Griechen nämlich ab sofort, wie den Italienern, aufgrund des Freizügigkeitsabkommens ohne zeitliche Beschränkungen ein- und auszuwandern (vgl. Gogolin/Krüger-Potratz 2010, S. 64).

In Büchern über die „gegenwärtige Situation“, in diesem Fall ist 1982 gemeint, schreibt z.B. Griese, dass eine zunehmende Anzahl rassistischer Aktivitäten und Rechtsextremismus zu beobachten ist. Damit ist von der einheimischen Bevölkerung, aber auch von Parteien die Rede (vgl. Griese 1984, S. 193f). Zurückzuführen ist dieser Fremdenhass auf die damals sehr hohe Arbeitslosigkeit und die Frustration darüber, die vorwiegend bei den Jugendlichen und jüngeren Bevölkerungsschicht vorherrschte. Viele Politiker machten sich diese „Sündenbockpolitik“ für ihre Wahlkampfreden zu Nutzen.

In den Jahren 1983/1984 konnte eine große Wanderbewegung verzeichnet werden Zum einen waren es Türken, die in ihr Herkunftsland zurückgingen, angespornt durch eine Art Rückkehrprämie, zum Anderen wanderten auch viele Arbeitsmigranten wieder ein, die aus EG-Staaten stammten. Die Ostblockflüchtlinge sorgten Mitte der 80er für eine Verstärkung der Prekärisierung des Wohn- und Arbeitsmarktes (vgl. Hamburger 1994, S. 49).

In den Bildungseinrichtungen herrscht Uneinigkeit, wie man nun mit den Kindern der Gastarbeiter, deren Eltern ja keine „Gastarbeiter“ mehr waren, verfahren sollte. Also legte das das Kultusministerium Rheinland Pfalz 1986 fest, dass die Kinder der Einwanderer nun in deutsche Regelklassen eingegliedert werden, die Nationalklassen abgeschafft und „schulartbezogene Maßnahmen“ konkretisiert werden sollte. Hinter diesen Punkten steckte ein Appell an die eingewanderten Eltern, dass sie sich nun entscheiden sollten, ob sie hier bleiben und ihre Kinder regulär das deutsche Bildungssystem durchlaufen oder ob sie Deutschland verlassen. Doch anscheinend wurde hier zu viel Druck auf einmal ausgeübt. In Kombination mit der vorherrschenden Ausländerfeindlichkeit kam es zu längeren Perioden, in denen die Einwandererkinder dem Unterricht fernblieben, was auf „Pendelwanderungen“ der Eltern zurückzuführen war (vgl. Hamburger 1994, S. 60).

Dass man sich nun in einer „multikulturellen“ Gesellschaft befand, musste nun langsam aber sicher ins Bewusstsein der einheimischen Bevölkerung und der Politik fließen. Obwohl ,„Interkulturalität“ und/oder „Multikulturalität“, als Bezeichnungen für diese politisch-theoretischen Konzepte, immer noch den Aspekt der Kultur beinhalteten, was nach wie vor eine Art kulturelle Grenzziehungen darstellte, wurden diese Begrifflichkeiten immerhin nicht zwangsläufig infrage gestellt. Demnach wurde die Kultur der Migranten zwar anerkannt, aber trotzdem galten sie als „anerkannte Andere“, welche vor allem über Zuschreibungen definiert wurden (vgl. Geisen 2007, S. 33f).

Griese kritisiert dies, indem er darauf hinweist, dass es keine Kultur gäbe, sondern nur Kulturprozesse an sich. „Die Vorstellung einer einheitlichen deutschen Volkskultur, sei sie derb, schlicht, rebellisch oder wie auch immer, entpuppt sich als Phantasieschöpfung sozialhistorischer Romantiker“ (Schulze zit. n. Griese 2002, S. 190). Damit meinte er, dass man zwar umgangssprachlich in Form von Zuschreibungen z. B. von einer albanischen Kultur spricht, die mit Aggression, Faulheit etc. assoziiert wird, es sich aber immer nur um eine Momentaufnahme handelt, da sich die Gesellschaft und somit die Kultur in einer ständigen Transformation befindet.

1996 veröffentlichte die Kultusministeriumskonferenz ihren Beschluss zur „Interkulturellen Erziehung und Bildung“. Darin sollten sämtliche Perspektiven, Theorien und Ansätze zu einem Konzept zusammengefasst werden. Zugleich wurde die interkulturelle Bildung und Erziehung als Aufgabe für die Bildungsinstitutionen und als Qualifikation für alle Schüler ernannt (vgl. Mecheril 2004, S. 86)

Als Ziel dieses Beschlusses wurden folgende Punkte formuliert:

„Auf dieser Grundlage sollen die Schülerinnen und Schüler

- sich ihrer jeweiligen kulturellen Sozialisation und Lebenszusammenhänge bewusst werden:
- über andere Kulturen Kenntnisse erwerben;
- Neugier, Offenheit und Verständnis für andere kulturelle Prägungen entwickeln;
- anderen kulturellen Lebensformen und –Orientierungen begegnen und sich mit ihnen auseinandersetzen und dabei Ängste eingestehen und Spannungen aushalten;
- Vorurteile gegenüber Fremden und Fremdem wahr- und ernstnehmen;
- das Anderssein der anderen respektieren, kritisch prüfen und Verständnis für andere Standpunkte entwickeln;
- Konsens für gemeinsame Grundlagen für das Zusammenleben in einer Gesellschaft bzw. einem Staat finden:
- Konflikte, die aufgrund unterschiedlicher ethnischer, kultureller und religiöser Zugehörigkeit entstehen, friedlich austragen und durch gemeinsam vereinbarte Regeln beilegen können“ (Krüger-Potratz/Puskeppeleit 1999, S. 61 zit. n. Nohl 2010, S. 63).

1.5 Interkulturelle Kompetenz

Die von den Lehrern geforderte interkulturelle Kompetenz war den Punkten zufolge speziell auf Empathie, kulturspezifisches Wissen und vor allem sprachliche Kompetenzen ausgerichtet.

Wie bei jeder Sprache, selbst bei der eigenen, kann es zu Missverständnisse kommen. Umso schneller kann es zu Ungereimtheiten oder (ungewollten) Mehrdeutigkeiten kommen, wenn man nicht dieselbe Sprache spricht und man sich z. B. nur in Englisch unterhalten kann. Hier tritt aber schon die erste Schwierigkeit auf, nämlich, dass nicht jeder den gleichen Sprachschatz besitzt und sich nicht ganz seinen Vorstellungen entsprechend verständigen kann. Daher existieren schon vor dem Gespräch Chancenungleichheiten, welche den Verlauf der Gespräche maßgeblich be­einflussen können. Nicht adäquat ausdrücken zu können, ob man einer Thematik mit Wertschätzung oder Ablehnung gegenübersteht, führt bei den betroffenen Sprechern der lingua franca im schlimmsten Fall zu negativen Gefühlen und Hilflosigkeit (vgl. Knapp 2010, S. 85f).

Nicht nur das Sprechen einer oder mehreren Fremdsprachen gehört zur interkulturellen Kompetenz, sondern auch das regelmäßige Aneignen kulturspezifischen Wissens. Gemeint sind hier die Sitten und Gepflogenheiten des Gegenübers. Hier sind Kleinigkeiten von Bedeutung, etwa die Länge des Small Talks, bevor man zum eigentlichen Thema übergeht, Sprechpausen, Gesten, steigende oder fallende Intonation im Englischen sowie natürlich die Lautstärke (vgl. Knapp 2010, S. 87).

Hier findet die Anwendung des TOPOI-Modell großen Anklang. Es wurde in Anlehnung an Watzlawick (1974) von dem Niederländer Hoffman erstellt. Das TOPOI-Modell ist ein praktisches Hilfsmittel bei der Erlernung und Einhaltung der interkulturellen Kommunikation. TOPOI setzt sich aus den Anfangsbuchstaben der niederländischen Worte: Thaal (Sprache), Ordening (Ordnung), Personen, Organisatie (Organisation) und Inzet (Einsatz) zusammen (vgl. Hoffmann 2010, S. 136). Konkret verbirgt sich hinter jedem dieser Schlagwörter ein Grundsatz.

- Thaal: Die menschliche Kommunikation erfolgt verbal und non-verbal.
- Ordening: Die Sicht einer einzelnen Person auf die Wirklichkeit ist subjektiv.
- Personen: Neben dem Inhaltsaspekt beinhaltet jede Kommunikation auch einen Beziehungsaspekt.
- Inzet: Der Mensch kommuniziert immer, bewusst und unbewusst (vgl. Hoffmann 2010, S. 136)

1.6 Mangel an kompetentem Lehrpersonal

In einer neuen OECD-Studie, der „Teaching and Learning International Survey“ (TALIS) wurden 24 Bildungssysteme der EU dahingehend befragt, an was es den Lehrkräften fehlte. Die einhellige Antwort war „zusätzliche Lernkräfte, die helfe, schwierige, fremdsprachige und lernschwache Schülerinnen und Schüler zu unterrichten.“ (OECD 2009, zit. n. Steiner-Khamsi 2010, S. 31) Es fehlte also interkulturell kompetentes Lehrpersonal.

Warum es so wichtig ist, an einer Schule als Lehrer interkulturell kompetent zu sein, hat mehrere Ursachen. Als erstes wäre zu nennen, dass es in der Schule immer mehr Kinder mit einer anderen Erstsprache gibt. Wenn man diesen Kindern den gleichen Bildungserfolg wie ihren deutschen Schulkollegen verschaffen will, muss man mit ihnen auf einer Ebene kommunizieren, die sie verstehen. Hier müssen auch die Eltern, deren Deutsch oftmals nicht so gut ist, miteinbezogen werden, am besten in ihrer Landessprache. Zweitens ist nicht jedes Kind wie das andere. Bei der kulturellen Vielfalt im Klassenzimmer kann man sagen, dass fast jedes Kind in einer anderen Lebenswelt aufgewachsen ist, was vom Lehrer berücksichtigt werden muss. Und drittens, der Punkt, der die meiste Kompetenz erfordert, nämlich die Anknüpfung an das gesammelte Wissen rund um die verschiedenen Lebenswelten der Schüler um dann gemeinsam Regeln zu erarbeiten, damit die Klasse zu einem gemeinsamen sozialen Raum wird (vgl. Lanfranchi 2010, S. 233f).

Die in vielen Schulen permanent vorherrschende Unterbesetzung an unterstützenden Fachkräften und das sich zugleich ausbreitende Zusatzangebot der Schulen zur Integration fremdsprachiger, benachteiligter Schüler hat seitens der Lehrkräfte eine sinkende Toleranzschwelle für eine heterogene Klasse zur Folge (vgl. Steiner-Khamsi 2010, S. 31).

Sprachdidaktisch wird die interkulturelle Kompetenz zum neuen Orientierungshorizont bei der Benennung und Erreichung von interkulturellen Zielen und Inhalten sein (vgl. Roche 2011 zit. n. Auernheimer 2004 S. 26), doch sich damit weiter zu befassen, würde den Rahmen sprengen.

Um den Anforderungen der interkulturellen Kompetenz gerecht zu werden, ist es wichtig, sich mit dem geschichtlichen Hintergrund des jeweiligen Landes, woher Schüler mit Migrationshintergrund kommen, auseinandersetzen. Daher gehe ich im nächsten Kapitel auf die Frage ein, wie sich der Kosovo und parallel dazu die Bildung, seit 1913 entwickelt hat.

2 Geschichte des Kosovos mit dem Schwerpunkt auf Bildung

2.1 Allgemeines

Die Hauptstadt Kosovos ist Priština, die angrenzenden Länder sind Serbien, Albanien und Montenegro. Mit einer Fläche von 10 877 km² ist Kosovo um ein Vielfaches kleiner als Österreich, das rund 84 000 km² groß ist, und weist eine hohe Bevölkerungsdichte von 200 Menschen pro km² auf. Verglichen dazu erscheint Österreich mit 100 Menschen pro km² unterbevölkert. Kosovo mit seinen rund 1,9 Millionen Einwohnern (2004) wird von mehreren Ethnien bewohnt:

- 88% Kosovo-Albaner
- 7% Kosovo-Serben
- 5% sind Angehörige einer anderen Minderheit (vgl. Kramer/Džihić 2006, S. 11).

Das Durchschnittsalter der Kosovaren liegt bei 22 Jahren. Europaweit ist dies eine der jüngsten Gesellschaften, was nicht verwunderlich ist, wenn ein Blick auf die Zahlen verrät, dass mehr als die Hälfte der Kosovo-Albaner unter 25 Jahren und nur 5,5%älter als 65 Jahre ist. Ähnlich hoch wie der Anteil der älteren Gesellschaft ist auch jener der Analphabeten in Kosovo. Hier beträgt die Analphabetenquote 6,5% (vgl. ebd. S. 13). Verglichen zu Österreich doppelt so hoch. Woran das liegt, werde ich später noch genauer eingehen.

Nun möchte ich auf die Grundzüge der politischen Entwicklungen Kosovos von 1913 bis heute eingehen, um ein Bild darüber zu vermitteln, welch langen Weg dieses Land bis zum Erhalt seiner Unabhängigkeit gehen musste.

2.2 1913: London teilt Kosovo den Serbien zu

Unruhen und Kriege gab es schon immer am Balkan. Ausschlaggeber für neue Streitigkeiten sorgte 1913 eine Botschafterkonferenz, bei der beschlossen wurde, aus Albanien ein Fürstentum zu machen und ein deutscher Prinz zum Fürsten von Albanien ernannt wurde. Aber zum eigentlichen Aufschrei in der Bevölkerung kam es mit der Entscheidung Großbritanniens, das ehemalige Gebiet der Albaner zu zerteilen und Kosovo den Serben zuzusprechen (vgl. Wenzel 2003, S. 20).

Für die, nun als Kosovo-Albaner benannten, Albaner bedeutete diese Entscheidung, dass Schulen ihren Unterricht nur mehr auf Serbokroatisch abhielten, welches auch zur Amtssprache ernannt wurde. Damit sich das auch in der Bevölkerung etablierte, begann Serbien die Struktur der vorwiegend albanischen Bevölkerung zu verändern, indem Familien aus Montenegro oder Serbien dorthin beordert wurden. Da nun die Kosovo-Albaner keine Chance mehr hatten, ihre albanische Kultur öffentlich zu leben oder zelebrieren, sie wurden mit Gewalt an die neuen Regelungen erinnert oder eingesperrt, bildeten sich militante Gruppen (vgl. ebd. S. 20).

Im zweiten Weltkrieg wurde, nach der Kapitulation Jugoslawiens, zu dem Kosovo bis 1973 gehörte, wurde der Kosovo von bulgarischen, italienischen und deutschen Besatzern geteilt und von selbstgegründeten Widerstandsorganisationen seitens Jugoslawien („Nationale Befreiungsarmee) und Albanien („Nationale Front“) hartnäckig bekämpft. Diese Verbrüderung sorgte dafür, dass die kommunistischen Jugoslawen den ebenfalls kommunistischen Kosovo-Albanern zusicherten, nach dem Krieg die Frage der Grenzziehung einvernehmlich zu klären (vgl. ebd. S. 21). Doch das sollte sich als leere Versprechung herausstellen.

2.3 Nach 1945

Am Ende des Krieges kam es zu gewaltsamen Auseinandersetzungen zwischen der Nationalen Befreiungsarmee und der albanischen Nationalen Front, die damit endeten, dass Kosovo, im Zuge des „Volksdemokratischen Jugoslawischen Bundesstaates“ wieder der Republik Serbien zugesprochen. Da das sogenannte „Zweite Jugoslawien“ ausdrücklich für eine multinationale Republik stand, erlangten die Kosovo-Albaner eine Existenzberechtigung. Auch die Grenzen zu Albanien wurden wieder geöffnet. Dieser Frieden dauerte aber nur knappe drei Jahre an, da es 1948 zu einer Auseinandersetzung Titos mit Stalin kam und somit alles wieder wie vor dem Krieg war und ein diktatorisches Regime samt Geheimpolizei herrschte. Dies führte dazu, dass zwischen 1953 und 1966 rund 100 000 Kosovo-Albaner in die Türkei abwanderten (vgl. Pichler 2006, S. 63).

Durch die Absetzung des Chefs der Geheimpolizei, Aleksandar Rankovič, der zugleich Vizepräsident war, folgten Jahre, in denen Kosovo einen Autonomiestatus erhielt und sogar die zweisprachige Universität Priština gegründet wurde. Trotzdem die Albaner in Kosovo nun einen Aufschwung in der Kulturszene verzeichnen konnte und einige albanische Publikationen, meist geisteswissenschaftliche Texte, herausgegeben wurden, war die Zeit bis 1974 aufgrund von eingeleiteten Verfassungsänderungen geprägt von Unruhen, Demonstrationen und Abwanderungen seitens der Kosovo-Serben, die sich nun ihrerseits diskriminiert fühlten (vgl. ebd. S. 64f).

1974 war es dann soweit, dass der Kosovo aufgrund letzter Änderungen der jugoslawischen Verfassung zu einer autonomen Provinz ernannt wurde und nun denselben Status und dieselben Rechte wie die anderen Republiken genießen durfte. Kosovo bekam auch eine eigene Verfassung. Trotzdem wollte man nichts von einer Republik Kosovo wissen, da sich Kosovo sonst von Serbien hätte lösen können. Mit diesem Status einer Republik erlangte Kosovo auch Zugang zu den reichlichen Bundessubventionen Titos und konnte nun den Serben in Kosovo ihrerseits Druck machen. Dies und Titos lockerer Umgang mit den Bundessubventionen zugunsten der Albaner missfiel den Serben, was sie sich aber zu Titos Lebzeiten kaum anmerken ließen (vgl. Schmitt 2008, S. 233).

Bis 1980 erfuhr der Kosovo eine soziale und politische Emanzipation und schaffte „den kosovarischen Sprung in die Moderne“ (Schmitt 2008, S. 297). Als Tito am 4. Mai 1980 verstirbt, hält die momentane Zufriedenheit der Kosovaren noch an. Es kommt im selben Jahr sogar zu einem ersten Kooperationsabkommen Jugoslawiens mit der EG, was unter Tito nicht zur Debatte stand, da er zwar wirtschaftlich an Zentraleuropa interessiert war, aber nicht politisch. Die friedliche Stimmung hielt nur bis zum nächste Frühjahr an. Im März 1981 kommt es zu Unruhen vor der Universität in Priština, bei der rund 2000 Studenten wegen der Überfüllung der Universität und der Studentenheime, sowie der mangelhaften Verpflegung in der Mensa protestierten. Die Unruhen breiteten sich trotz Einschreiten der Polizei in den nächsten Tagen enorm aus und gipfelten in gewaltsamen Protesten und der erneuten Forderung, Kosovo zur Republik zu ernennen. Näher betrachtet lagen die Ursachen für die gewaltsamen Unruhen rund um die Universität darin, dass die Modernisierung zu schnell kam. Lange Zeit passierte nichts, die Analphabetenrate war sehr ausgeprägt. Dann kam die zunehmende Autonomie Kosovos, mit ihr etwas Geld in das ärmste Land Jugoslawiens, die Professoren Albaniens und mit ihnen ihr Gedankengut, durften den kosovaren Professoren „Entwicklungshilfe“ leisten etc. Das alles stärkte das Selbstbewusstsein der Kosovo-Albaner dermaßen, dass sie hochmotiviert waren. Die Ernüchterung kam aber schnell, denn die Berufsaussichten waren sehr schlecht. Die negativen Zukunftsaussichten gekoppelt mit den nationalen und meist radikalen Theorien der Gastprofessoren Albaniens sorgten dann für eine Entladung aufgestauter Emotionen (vgl. Schmitt 2008, S. 298).

Weitere Fädenzieher waren die Diaspora und die Anhänger des albanischen Diktators Enver Hoxhas.

2.4 Die Diaspora

Diaspora kommt aus dem Griechischen und „bedeutete ursprünglich die Zerstreuung von Samen von der Elternpflanze weg, wodurch sich der Organismus reproduzierte.“ (Moosmüller 202, S. 13 zit. n. Kühn 2012, S. 69). Eine Zeit lang wurde dieser Begriff im Altertum ähnlich wie jener der Migration verwendet, aber galt speziell für den Mittelmeerraum. Um etwa 70 n. Chr. sah man hingegen in der Diaspora eine gewaltsame Vertreibung von einem Lebensort. Diese Sicht hat sich lange, bis hin zur Neuzeit, in dieser Auslegungsart aufrechterhalten, aber dann wurden auch Gemeinden jeglicher Länder, wie China, Griechenland etc., die sich auch außerhalb ihres Landes eine Gemeinschaft aufbauen konnten, als Diaspora bezeichnet. Nach und nach erweiterte man die Liste derer, die einer Diaspora angehören, so z.B. Sklaven oder deren Nachkommen usw. (vgl. Kühn 2012, S. 69).

Enver Hoxhas, auf welchen die kommunistischen Sympathisanten ihre Hoffnungen setzten, war zu dieser Zeit schon lange nicht mehr am Gipfel seiner Macht, vermittelte dies aber geschickt durch Leute seines Geheimdienstes, die in den Reihen der Kosovaren für Zwiespalt sorgten. Die Folge für die ausufernden Querelen war, dass auch dieses Mal aus dem Kosovo keine Republik wurde. Diese sogenannte Kosovo-Krise sollte noch die nächsten 25 Jahre andauern (vgl. Schmitt 2008, S. 299).

Die Beerdigung Rankovićs, der sich immer für die Serben Kosovos einsetzte, in 1983 nahm Ausmaße einer Massenkundgebung an, bei der die Serben lautstark Änderungen zugunsten ihrer Position forderten (vgl. Pichler 2005, S. 85).

Jetzt, wo sie sich auch wieder zu Wort melden durften, verschafften sich serbische nationalistische Professoren, Schriftsteller und Wissenschaftler Gehör, indem sie die Vorurteile gegen die Albaner verstärkten, z.B. dass die Albaner nur deshalb mehr Kinder bekämen, damit sie der serbischen Bevölkerung zahlenmäßig überlegen seien etc. und sich stark für die Belange der Kosovo-Serben einsetzten (vgl. Schmitt 2008, S. 303).

2.5 Das Memorandum

Indes verfassten nationalistische Intellektuelle, gemeinsam mit dem Klerus, Denkschriften, von denen besonders jene aus 1986 mit dem Titel „Memorandum einer Gruppe von Akademiemitgliedern der Serbischen Akademie der Wissenschaften und Künste über aktuelle gesellschaftliche Fragen in unserem Land“ für großes Aufsehen und die Wiederaufnahme der Verstärkung des Drucks auf die Kosovo-Albaner sorgte, als sie auszugsweise veröffentlicht wurde (vgl. Schmitt 2008, S. 304). Der Inhalt beschränkte sich auf Halbwahrheiten:

„Es werden dort Wahrheiten, Halbwahrheiten, Unwahres, Fakten und Behauptungen gezielt selektiert und interpretiert; was empirisch gesehen als wahrscheinlich, unwahrscheinlich oder als zu vermuten betrachtet werden konnte, wollten die Akademiker [Akademiemitglieder] schlicht nicht unterscheiden.“ (Hoxhaj zit. n. Schmitt 2008, S. 304).

In der Literatur wird die Art, wie das Memorandum verfasst wurde und das verwendete Vokabular jenem der Propagandaschriften aus Zeiten des zweiten Weltkrieges gleichgesetzt. Mit der Blutrache argumentierend, hielten sie diese Maschinerie aufrecht (vgl. Pichler 2008, S. 106).

2.6 Die Blutrache

Die Blutrache, genannt „krvna osveta“, ist geprägt von Hass und meint im Wesentlichen die Vergeltung einer Bluttat mit einer weiteren. Die Bevölkerung des Balkans verbindet mit diesem Begriff mehrere Verlaufsformen der Rache („osveta“):

- „U krvi“ bedeutet, dass es schon Hassgefühle gibt und eine Blutrache bevorsteht.
- „Dužan krvi“ gibt ein Ungleichgewicht wieder: Eine Familie bzw. Sippe hat häufiger getötet und „schuldet Blut“.
- „Krvni umir“ heißt es, wenn die Blutrache ausgeführt wurde und das Blutgeld, „platiti krvi“, gezahlt wurde (vgl. Karauschek 2011, S. 116).

Es gibt noch wesentlich mehr Ausformungen dieser Form der Selbstjustiz, bei der z.B. Frauen nicht für einen Mann getötet werden, was anderswo wieder gleichgültig ist, oder Formen, bei denen die „osveta“ noch schlimmer ausfällt, als das, was einem Mitglied der Sippe angetan wurde uvm. (vgl. ebd. S. 116f).

Da es sich bei der Blutrache um Sitten abseits des Gesetzes handelt, stellten die Serben diese Selbstjustiz in den Medien als einen Beweis dafür hin, dass die Albaner unzivilisiert und ungebildet seien. Infolgedessen sei dieses Volk kulturell noch nicht reif, gegen Modernisierungen und nicht gewillt, sich in die serbische Gesellschaft zu integrieren (vgl. Pichler 2008, S. 106).

Die Serben sahen sich als diejenigen, die ständig versuchten, dass es den anderen Republiken gut gehe und deren Vorstellungen verwirklicht werden, andererseits aber keine Anerkennung dafür bekämen und stattdessen diskriminiert und ausgenützt würden (vgl. Schmitt 2008, S. 304).

Am schlimmsten widerfahre den Serben diese Diskriminierung durch den Kosovo, welcher „am serbischen Volk „ein physischer, politischer, rechtlicher und kultureller Genozid“ durch „Brand, Mord, Vergewaltigung und Vandalismus“, durch eine „physische, moralische und psychologische Terrorherrschaft“ verübt“ (Hoxhaj zit. n. Schmitt 2008, S. 304).

2.7 Ivan Stambolić und Slobadan Milošević

Der Präsident Serbiens förderte diese Bewegungen und beobachtete diese mit Genugtuung, da er auf die Aufhebung der kosovaren Autonomie hinarbeitete. Unterstützung für die Anti-Albanische Berichterstattung kam also von ihm, Ivan Stambolić. Dessen „politischer Ziehsohn“, Slobadan Milošević, der ab 1987 serbischer Präsident sein sollte, war ihm hierbei von Nutzen In Stambolićs Auftrag nahm er sich der Situation im Kosovo an und sorgte mit seinen raffinierten Reden für eine große Anhängerschaft unter den Kosovo-Serben, die ihm später zum Aufstieg verhelfen sollten. Kaum ein Jahr später, als Milošević die Möglichkeiten für sich sah, sich anhand des serbischen Nationalismus eine Machtposition zu verschaffen, stürzte er Stambolić. Da Milošević auch die Medien auf seiner Seite hatte, war von der Opposition nur mehr wenig zu hören, auch aufgrund dessen, da nun der neue Führer rigoros gegen seine politischen Gegner vorging. Es gelang ihm sogar, allein mit der Kosovo-Frage, zwischen Herbst 1988 und dem Frühjahr 1989 rund 5 Millionen Serben in Zuge von etwa 100 Veranstaltungen, den sogenannten „Meetings der Wahrheit“ zu mobilisieren. Im Lauf seines politischen Vormarschs konnte er neben der Regierung von Vojvodina, welche wie der Kosovo auch eine autonome Provinz Serbiens und Teil der anderen sechs Republiken Serbiens war, auch jene Montenegros verdrängen und hatte nun, gemeinsam mit Serbien, drei von acht Stimmen in den Bundesbehörden (vgl. ebd. S. 306ff).

Die nächste Station Miloševićs sollte, das war abzusehen, Kosovo sein. Bereits ein halbes Jahr zuvor, im Herbst 1988, ließ Milošević aufgrund von Streiks der hiesigen Minenarbeiter die Sonderpolizei in den Kosovo einmarschieren, um die kosovo-albanische Regierung unter Druck zu setzen und sie zu einem schnellen Rücktritt zugunsten Milošević zu bewegen. Bis November gelang es dem Kosovo, sich den Drohungen und Einschüchterungen zu widersetzen, aber am 17. November 1988 gab Vlassis seinen und somit den Rücktritt der kosovo-albanischen Regierung bekannt. Nun hatte Milošević die dritte Gleichschaltung und somit die vierte Stimme in den Bundesbehörden erwirkt (vgl. Schmitt 2008, S. 308).

2.8 Kosovos Autonomie wird herabgestuft

Nach und nach sorgte Milošević dafür, die wichtigsten Stellen mit seinen Gefolgsleuten zu besetzen. Diese sollten dann für ihn im Kosovo eine Verfassungsänderung bewirken, bei der die Autonomie Kosovos herabgestuft werden könne. Dieser Schritt gelang kaum ein halbes Jahr später, im März 1989 und war von blutigen Aufständen, bei denen etwa 140 Menschen starben, hunderte verletzt und tausende eingesperrt wurden, begleitet. Als nächstes traf es Intellektuelle und hohe, einflussreiche Persönlichkeiten. Auch sie wurden verhaftet und isoliert (vgl. Pichler 2005, S. 99). Zuletzt kamen die Kosovo-Albaner selbst dran. Sie durften ihren Berufen nicht mehr nachgehen. Lehrer durften nicht mehr unterrichten, albanische Schüler durften die Mittelschulen nur nach Prüfungen auf den Gebieten der serbischen Literatur und vor allem nur unter Verwendung der serbischen Sprache besuchen uvm. Die albanischen Medien im Kosovo wurden sofort verboten (vgl. ebd. S. 100).

Genau 600 Jahre nach einer berühmten Schlacht Serbiens mit dem Kosovo hatte Serbien wieder gewonnen. Auf Parteitagen wurden inbrünstig Lieder, die wie bereits erwähnt, an Lieder der Propagandamaschinerie des Dritten Reiches erinnerten, geschmettert. Die Serben waren der Ausstrahlung Miloševićs erlegen, aber Slowenien und auch Kroatien deutete diese Anzeichen richtig und weigerten sich, diese Großparteiveranstaltungen in ihren Ländern stattfinden zu lassen, blieben vielen Kongressen fern. Spannungen machten sich bemerkbar und deuteten schon auf den baldigen Zerfall Jugoslawiens hin (vgl. Schmitt 2008, S. 311).

2.9 Die Serbisierung

Der Kosovo stand nun unter serbischer Besatzung, was die albanischen Abgeordneten auf den Plan brachte, einen Schattenstaat zu gründen (vgl. Troebst 2006, S. 67). Dazu riefen sie am 7. September 1990 die „Republik Kosova“ aus. Dies gelang nur unter Hilfe der albanischen Diaspora, die auch ein Jahr später, 1991, als Slowenien und Kroatien bereits ihre Unabhängigkeit erhalten hatten, die einzigen waren, welche die selbst ausgerufene Unabhängigkeit Kosovos von Jugoslawien anerkannten. Für Serbien galt dieser Beschluss schlichtweg als illegal und erließ eine neue Verfassung, welche die „Serbisierung“ einleitete bzw. vertiefte. Dazu gehörte z.B. ein komplett serbischer Lehrplan für alle Schulstufen, Umbenennung albanischer in serbische Straßennamen, dasselbe galt den Denkmälern. Des Weiteren erfolgte eine Komplettübernahme der Medien und schließlich noch mehr Massenentlassungen, aufgrund von ethnischen Quoten, was vor allem den Gesundheitsbereich, Industrie und Handel schwer traf. Die Albaner waren nun zu 90% beschäftigungslos und wurden noch dazu mit nahezu unerschwinglichen Immobilienpreisen, von welchen die Serben ausgenommen waren, zur Abwanderung gezwungen (vgl. Schmitt 2008, S. 314f).

Trotzdem Serbien die Macht des Kosovos an sich gerissen hatte, gründeten anti-nationale Albaner im Dezember 1989 die LDK, die „Demokratische Liga des Kosova, bei der Ibrahim Rugova als Vorsitzender fungierte. Binnen weniger Monate hatte die LDK schon rund 200 000 Anhänger unter den Albanern. Obwohl die Infrastruktur dieser Partei sehr gut war, lag es nicht im Interesse der LDK sich zu einer allgemeinen demokratischen Partei zu formieren. 1990 wurden noch viele andere Parteien gegründet, wie z. B. eine christdemokratische Partei, ein Forum für Intellektuelle oder auch eine unabhängige Genossenschaft. Aber am bedeutendsten war die PPK, die „Parlamentarische Partei des Kosovo“, da bereits aus dem „Jugendparlament“ bekannt war (vgl. Pichler 2005, S. 105).

Da das albanische Volk aufgrund der Abgeschiedenheit ihrer Agrarflächen von der Zivilisation als Verfechter der Selbstjustiz , wie z.B. der Blutrache, galten, wurde An­fang der 90er befürchtet, dass sie auf die Aufhebung der Autonomie und den damit verbundenen Schikanen und blutigen Auseinandersetzungen mit den Serben, mit erneuten Gewaltaufmärschen reagieren würden. Doch den Kosovo-Albanern blieb keine andere Chance, als ihre gewaltsamen Widerstände, bei denen sie immer herbe Niederlagen erfuhren, aufzugeben. Sie wussten genau, dass sie den Serben militärisch unterlegen waren und jeder noch so kleiner Widerstand ein Blutbad angerichtet hätte. Auch die Angst, welche die ständig präsente Spezialeinheit der serbischen Regierung auslöste, sorgte für eine Unterordnung der Kosovo-Albaner (vgl. ebd. S. 106).

2.10 Der friedliche Widerstand der Kosovo-Albaner

Um sich bewusst von der serbischen Propaganda zu distanzieren, inszenierten die Albaner einen friedlichen Widerstand, der sich z.B. durch Aufstellen von Kerzen in den Fenstern bemerkbar machte, um sich und auch Europa zu beweisen, dass sie reif für die Europäische Staatengemeinschaft wären. Eine wichtige Kampagne wurde von Studenten der Universität Priština initiiert. Unter dem Titel „Versöhnung der Blutrache“ gingen tausende Studenten von Dorf zu Dorf um für Versöhnungen ohne Blutvergießen, zur Stärkung der Solidarität untereinander gegen die Serben, und um die Dorfbewohner, die oft so abseits lebten, dass sie kaum Ahnung von den aktuellen politischen Geschehnissen hatten, davon zu überzeugen, dass neue politische Wege eingeleitet werden müssen. Die Versöhnungen wurden auf Massenveranstaltungen mit zum Teil bis zu 100 000 Teilnehmern öffentlich zelebriert. Die serbische Spezialeinheit und die Polizei sorgten aber gleich für rasche Auflösungen dieser Feiern, sodass sie künftig im Privaten abgehalten wurden (vgl. Pichler 2008, S. 107f).

Bis 1992 hatte sich, abseits des staatlichen Regimes Serbiens, eine Untergrund-Infrastruktur gebildet, bestehend aus Parteien und vielen Einrichtungen, die das Überleben derjenigen Kosovo-Albaner absicherte, die nicht mehr über eine Agrarwirtschaft in der Sippe verfügen konnten. Sicherheitshalber wurde der Sitz der kosovo-albanischen Regierung nach Bonn verlegt, von dort aus der das Untergrundsystem geleitet und finanziert wurde. Das Netzwerk verhalf vielen Kosovo-Albanern, zwischen 1989 und 1999 waren es rund 40 000, zur Arbeitsmigration nach West- oder Mitteleuropa (vgl. ebd. S. 113).

1992 begann auch die Vereinten Nationen und die Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (KSZE) sich für die Lage im Kosovo zu interessieren. Die KSZE erwirkte, dass Beobachter in den Kosovo geschickt wurden und menschenrechtsverletzende Aktionen erfasst wurden. Durch die Kooperation des damaligen jugoslawischen Ministerpräsidenten Milan Panić, einem Milošević Gegner, mit der KSZE-Langzeitmission bzw. deren Arbeitsgruppe konnte 1992 erwirkt werden, dass die albanischen Schulen und andere Bildungseinrichtungen wieder unter den ursprünglichen Bedingungen, in albanischer Sprache etc., arbeiten durften. 1993 hieß es aber seitens Miloševićs, dass die KSZE-Arbeitsgruppe der Aufenthalt nicht mehr genehmigt sei und sie das Land verlassen mussten (vgl. Troebst 2006, S. 69).

2.11 Der Bosnienkrieg und das Dayton-Abkommen

Länger konnten sich die Großmächte aber nicht mit dem Verweis der Arbeitsgruppe verfassen, da der Bosnien-Krieg begonnen hatte und akuter Handlungsbedarf bestand. Der Hauptgrund des Krieges war jener, dass Kroatien und Bosnien-Herzego­wina sich von Jugoslawien lösen wollten, weitere Auslöser waren die schon länger spürbaren Spannungen dieser Länder untereinander. So ging der friedliche Protest der Kosovo-Albaner in den Kriegswirren unter. Dies sorgte für erheblichen Druck unter Rugova und seinen Gefolgsleuten. Erschwerend kam hinzu, dass er in der Gunst der Großmächte sank, da er die Kosovo-Albaner bei den Wahlen 1992, Panić gegen Milošević, nicht zur Wahl ermutigte und somit Panić, der auf die Stimmen der Kosovo-Albaner angewiesen gewesen wäre, gegen Milošević verlor (vgl. Schmitt 2008, S. 320f).

Nach Ende des Bosnien-Krieges wurde am 14. Dezember 1995 das Dayton-Abkom­men unterzeichnet. Darin waren Waffenstillstandsvereinbarungen verankert und dass Bosnien-Herzegowina eine neue Staatsordnung bekäme. Weitere zentrale Inhalte waren u. A. die Achtung der Menschenrechte und dass die drei Kriegsparteien sich zu einer friedlichen Zusammenarbeit bereit erklären mussten. Die Vertragsinhalte werden bis heute noch von den Vereinten Nationen auf ihre Einhaltung überprüft (vgl. Biermann 2006, S. 134).

Als Fehler wird betrachtet, dass, als Milošević sich schon im Zuge des Dayton-Abkommens in Verhandlungen befand, von den Großmächten nicht darauf bestanden wurde, auch auf die Kosovo Krise eingegangen wurde. Neben den unzähligen Morden der Serben unter den Augen der Hilfsorganisationen sahen die Kosovo-Albaner das Dayton-Abkommen als Zeichen dafür, dass sie nicht auf die Hilfe Europas hoffen konnten und selbst ihre friedlichen, ohnehin nur pragmatischen, Widerstände keine Wirkung erzielt hatten. Diesen Umbruch bekam Rugova auch zu spüren. Die Kosovo-Albaner, aber auch die Diaspora, wurden immer unzufriedener, kritisierten immer häufiger seinen pazifistischen Kurs und den zu autoritären Führungsstil. Aus dieser Unzufriedenheit heraus entstand die „Befreiungsarmee von Kosovo“, auf Albanisch „Ushtria Çlirimtare e Kosovës“. Die UÇK ist das Resultat mehrerer politisch-radikaler Kleingruppen der 80er, deren Inhalte der Ideologie Enver Hoxhas entsprangen. Mitte der 90er wurden die kommunistischen Gedanken in den Hintergrund gestellt, da sich die UÇK auf die Mobilisierung der Kosovo-Albaner konzentrierte, die sie mit Waffen versorgten und zum Sturz Rugovas anstachelten (vgl. Schmitt 2008, S. 322f).

Im Kosovo begann sich nun wieder eine enorme Spannung aufzubauen. Die Bewohner des Kosovo hielten sich für eine Flucht bereit.

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Details

Seiten
Erscheinungsform
Erstausgabe
Jahr
2013
ISBN (PDF)
9783955499075
ISBN (Paperback)
9783955494070
Dateigröße
1.7 MB
Sprache
Deutsch
Institution / Hochschule
Alpen-Adria-Universität Klagenfurt
Erscheinungsdatum
2015 (Februar)
Note
2
Schlagworte
Interkulturelle Pädagogik Ausländerpädagogik Serbisierung Milošević Flüchtling

Autor

Michaela Hübner, B. A., wurde 1988 in St. Veit/Glan geboren. Ihr Studium der Erziehungs- und Bildungswissenschaften schloss sie im Jahr 2013 mit dem akademischen Grad der Bakkalaurea ab. Die kurze, herzliche Freundschaft mit einer Mitschülerin, die aufgrund des Kosovo-Krieges nach Österreich geflüchtet war und nur für ein Schuljahr bleiben durfte, erweckte Interesse an den Hintergründen dieses Krieges und veranlasste die Autorin dieses Buches zu schreiben.
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Titel: Bildung für Jedermann? Der lange Weg der Kosovo-Albaner zur Bildung
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