Krankenhausprivatisierung in Deutschland: Hamburg und Bremen im Vergleich
Zusammenfassung
Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
2 Determinanten der Krankenhausprivatisierung in Deutschland
Um die Wirkungsweise der politischen Rahmenbedingungen auf die Krankenhausprivatisierung verstehen zu können, ist es zunächst notwendig, die wichtigsten Wegpunkte der deutschen Krankenhauspolitik nachzuzeichnen. Die allgemein gültigen Wirkmechanismen sind Thema des darauf folgenden Kapitels. Der letzte Abschnitt des ersten Teils dieser Arbeit erfasst schließlich die Privatisierungsaktivität im nationalen Überblick und im regionalen Vergleich.
2.1 Wendepunkte der deutschen Krankenhauspolitik nach 1945
Im Jahr 1945 stand der Krankenhaussektor vor einer doppelten Herausforderung: Es mussten sowohl Kriegsschäden beseitigt - in Deutschland war ein Großteil der Krankenhäuser entweder zerstört oder beschädigt, als auch der seit Mitte der 1930er Jahre aufgelaufene Investitionsstau im Krankenhaussektor abgebaut werden (Simon 2004, S. 152). Die dafür notwendigen Pflegesatzerhöhungen lehnten die Krankenkassen als nicht finanzierbar ab. Stattdessen forderten sie auf dem ersten Krankenkassentag im Jahr 1950, dass die öffentliche Hand fortan die Kosten für den Bau und die Instandhaltung der Krankenhäuser übernehmen und die Kassen nur noch die laufenden Betriebskosten tragen sollten. Auch die unionsgeführte Bundesregierung vertrat die Auffassung, dass die Krankenhausversorgung dual zu finanzieren sei, lehnte eine Kostenbeteiligung allerdings mit dem Hinweis auf ihre verfassungsrechtliche Nichtzuständigkeit für den Krankenhausbereich ab. Sowohl Länder, Landkreise und Kommunen, die bereits zu diesem Zeitpunkt schon erhebliche Betriebszuschüsse für öffentliche und freigemeinnützige Krankenhäuser leisteten, als auch die Deutsche Krankenhausgesellschaft (DKG) verlangten dagegen den allgemein anerkannten Finanzierungsbedarf der Krankenhäuser ausschließlich über die Pflegesätze zu decken. Bis Ende der 1960er Jahre gelang es keiner der beiden Seiten ihre Position durchzusetzen (Böhm/Henkel 2009, S. 83).
Eine Zuspitzung der Finanznot der Krankenhäuser trat im Jahr 1954 durch die Einführung der ersten Pflegesatzverordnung durch die Regierung Adenauer (CDU) ein. Um eine Erhöhung der Pflegesätze zu verhindern und damit die Krankenkassen vor einer zu hohen Belastung zu schützen, wurde den Krankenhäusern die Übernahme eines überwiegenden Teils ihrer Kosten verweigert - eine zunehmend desolate stationäre Versorgung war die Folge. Notwendige Renovierungsmaßnahmen wurden unterlassen, die Anschaffung moderner Gerätschaften hinausgeschoben und ein akuter Personalmangel durch schlechte Arbeitsbedingungen und Bezahlung geschaffen (Simon 2004, S. 153).
Eine Entspannung der Finanzierungssituation der Krankenhäuser trat erst ab Mitte der 1960er Jahre ein. Getragen durch einen breiten gesellschaftlichen und politischen Konsens, genehmigten die Länder höhere Zuschüsse für den Krankenhausbau. Auch die Krankenkassen beteiligten sich durch die Bewilligung höherer Pflegesätze an der Sanierung. Diese immensen Ausgabesteigerungen ermöglichte das Anschwellen der Steuer- und Beitragseinnahmen durch einen rund zehnjährigen Wirtschaftsboom von 1966 bis 1975. Mit der im Jahr 1966 gebildeten großen Koalition aus CDU/CSU und SPD kam außerdem Bewegung in die bis dahin festgefahrene Reformdiskussion. Zunächst verabschiedete die große Koalition im Jahr 1969 eine Grundgesetzänderung, die den Bund zukünftig in die Lage versetzte, im Rahmen der konkurrierenden Gesetzgebung die Krankenhausfinanzierung zu regeln. Ihr gelang es allerdings nicht, sich auf einen Gesetzesentwurf für die Krankenhausfinanzierung zu einigen. Erst die Koalition aus SPD und FDP mit Willy Brandt (SPD) als Bundeskanzler führte zu einer grundlegenden Reform der Krankenhausfinanzierung (ebd., S. 153-154). Das im Jahr 1972 in Kraft getretene Krankenhausfinanzierungsgesetz (KHG) weist den Ländern die Aufgabe der Krankenhausplanung zu und verpflichtet sie zur Sicherstellung der Krankenhausversorgung. Neben den Ländern beteiligt sich zusätzlich der Bund an den Investitionskosten. Die Krankenkassen decken alle entstehenden Betriebskosten, die durch krankenhausindividuelle und tagesgleiche Pflegesätze abgerechnet werden. Dieses Prinzip der dualen Finanzierung gilt formal bis heute (Böhm/Henkel 2009, S. 84).
Bereits Mitte der 1970er Jahre endete die kurze Phase der „Modernisierung des Krankenhauswesens“, in der die Ausgaben für Krankenhäuser von 1,7 Prozent des Bruttoinlandsproduktes im Jahr 1970 auf 2,6 Prozent im Jahr 1975 gestiegen waren und die stationäre Versorgung im internationalen Vergleich ein hohes Niveau erreicht hatte (Simon 2004, S. 155; Bandelow 1998, S. 47). Im Jahr 1975 stellte die Bundesregierung fest, dass der Investitionsstau im Krankenhaussektor abgebaut werden konnte, die Ausgaben aber insgesamt auf eine volkswirtschaftlich nicht mehr zu vertretende Höhe angewachsen waren (Sachverständigenrat zur Begutachtung der Entwicklung im Gesundheitswesen 2007, S. 346). Der Gesetzgeber reagierte auf die seitdem allgemein wahrgenommene „Kostenexplosion“ im Gesundheitswesen mit einer Reihe von Kostendämpfungsgesetzen. Es darf jedoch nicht übersehen werden, dass ein Großteil der Finanzierungsproblematik auch auf der Einnahmenseite zu suchen ist. Die Übertragung aufgabenfremder Leistungen an die gesetzliche Krankenversicherung (GKV) und die Einnahmeausfälle durch die Weltwirtschaftskrise Mitte der 1970er führte zu einer Unterfinanzierung der Krankenkassen (vgl. Simon 2004, S. 156-157; Böhm/Henkel 2009, S. 85). Die Kernelemente der Reform von 1972 sind in den darauf folgenden Jahrzehnten sukzessive aufgegeben worden. Nachdem der Bund schon in den Jahren zuvor seiner im KHG eingegangenen Zuschussverpflichtung nicht vollständig nachkam, zog er sich offiziell im Jahr 1985 mit dem Krankenhausneuordnungsgesetz (KHNG) aus der Krankenhausinvestitionsförderung wieder zurück und überlies den Ländern die alleinige Finanzierung.
Mit der Einführung von Fallpauschalen durch das Gesundheitsstrukturgesetz (GSG) im Jahr 1993 begann die Abkehr vom Selbstkostendeckungsprinzip bei den von den Krankenkassen finanzierten Pflegesätzen (Bandelow 1998, S. 47-48; Böhm/Henkel 2009, S. 91). Zunächst wurden 20 bis 25 Prozent der Krankenhausleistungen seit Januar 1996 nach festgelegten diagnosebezogenen Fallpauschalen und durch Sonderentgelte vergütet, während die übrigen Leistungen noch über krankenhauseinheitliche Basispflegesätze und Abteilungspflegesätze abgerechnet wurden. Durch die Übernahme des bereits international erprobten DRG-Systems (Diagnosis Related Groups), vollzog die Gesundheitsreform im Jahr 2000 schließlich den Übergang zu einem vollständig leistungsbezogenen Fallpauschalensystem (Böhm/Henkel 2009, S. 86-87).
Um die Leistungsfähigkeit der Krankenhausversorgung zu gewährleisten, verabschiedete im Jahr 2009 die Bundesregierung das Krankenhausfinanzierungsreformgesetz (KHRG). Im Wesentlichen beinhaltet dieses Gesetz ein Förderprogramm für eine bessere Pflege und mehr Pflegepersonal, eine anteilige Finanzierung der über die Veränderungsrate hinausgehenden Tariflohnerhöhungen im Jahr 2008 und 2009 sowie weitere Maßnahmen, die zu einer Gesamtentlastung der Krankenhäuser von 3,5 Milliarden Euro führten. Die angestrebte stärkere Beteiligung der Bundesländer an der Investitionskosten, sowie die Festlegung auf eine Förderung nach leistungsorientierten Investitionspauschalen als Regelförderung, konnte die Bundesregierung gegen den Widerstand der Länder dagegen nicht durchsetzen (Bundesministerium für Gesundheit 2009; Mahlzahn/Wehner 2010, 118-119). Zwar schreibt das Gesetz vor, dass ab Anfang 2012 die Investitionsförderung durch leistungsorientierte Investitionspauschalen erfolgen soll, gleichzeitig bleibt das Wahlrecht der Länder zwischen Pauschal- und Einzelförderung bestehen (Deutscher Bundestag 2009).
Nach diesem Überblick über die wichtigsten Entwicklungen im Krankenhausbereich in den letzten Jahrzehnten, folgt im nächsten Abschnitt eine detaillierte Betrachtung der Krankenhausplanung und Krankenhausfinanzierung im Zusammenhang mit der Privatisierung.
2.2 Krankenhäuser zwischen Plan und Wettbewerb
Laut Grundgesetz (Art. 20 und 28 GG) ist der Staat für die Daseinsfürsorge seiner Bevölkerung verantwortlich und infolge dessen für die Sicherstellung einer ausreichenden und bedarfsgerechten stationäre Gesundheitsversorgung zuständig. Das KHG weist den Ländern hierfür die Kompetenz zu. Um ihrem Sicherstellungsauftrag gerecht zu werden, sind die Bundesländer gesetzlich verpflichtet eine Krankenhausplanung durchzuführen und diese regelmäßig fortzuschreiben (Simon 2008, S. 274). Die Krankenhausplanung setzt sich aus dem eigentlichen Krankenhausplan und dem dazugehörigen Investitionsplan zusammen:
„In den Krankenhausplan sind alle für eine bedarfsgerechte Versorgung notwendigen und geeigneten Krankenhäuser aufzunehmen. In das für einen mehrjährigen Planungszeitraum aufzustellende Investitionsprogramm werden die vom Land zu fördernden größeren Investitionsmaßnahmen aufgenommen wie Neubauten, Umbauten, Renovierungen etc. (Antragsförderung). Kleinere Investitionen werden über jährliche Pauschalbeträge gefördert (Pauschalförderung)“ (ebd., S. 275).
Für die Erstellung des Krankenhausplans ist gemeinhin das Sozial- oder Gesundheitsministerium auf Landesebene, beziehungsweise in den Stadtstaaten die jeweilige Senatsbehörde zuständig. Diese sind allerdings laut KHG verpflichtet, an der Krankenhausversorgung unmittelbar beteiligte Institutionen in die Planung miteinzubeziehen; wie z.B. kommunale Spitzenverbände, die Landesverbände der gesetzlichen Krankenkassen, Vertreter der privaten Krankenkassen oder die Landeskrankenhausgesellschaft. Näheres regelt das jeweilige Landeskrankenhausgesetz (ebd.).
Inhaltlich soll der Krankenhausplan zunächst aus einer Bedarfsanalyse bestehen, die den gegenwärtigen und den in Zukunft prognostizierten Bedarf an Krankenhauskapazitäten wiedergibt. Die daran anschließende Krankenhausanalyse prüft, ob die Versorgungsbedingungen der vorhandenen Krankenhäuser den festgestellten Bedarf decken. Auf dieser Grundlage wird über die Aufnahme einzelner Krankenhäuser in den Landeskrankenhausplan entschieden und dem Krankenhausträger mittels Feststellungsbescheid mitgeteilt. Das Krankenhaus übernimmt mit der Aufnahme in den Krankenhausplan einen Versorgungsauftrag und erhält im Gegenzug eine öffentliche Investitionsförderung aus Landesmitteln. Außerdem gilt ein Versorgungsvertrag mit den gesetzlichen Krankenkassen als abgeschlossen. Auch hier geht das jeweilige Krankenhaus eine Versorgungspflicht ein, in diesem Fall gegenüber den Versicherten, und erhält dafür den Anspruch auf die Vergütung erbrachter Leistungen (Kontrahierungszwang). Zugelassen zur Behandlung von gesetzlich Versicherten sind neben den Plankrankenhäusern und Hochschulkliniken, die ebenfalls über die eben genannten Rechte und Pflichten verfügen, zusätzlich jene Krankenhäuser, die mit den Landesverbänden der GKV einen Versorgungsvertrag abgeschlossen haben (ebd., S. 278ff). Im Jahr 2011 befinden sich 96,6 Prozent aller aufgestellten Betten in Plankrankenhäusern oder Hochschulkliniken, 1,5 Prozent in Vertragskrankenhäusern und 1,9 Prozent in Krankenhäusern ohne Versorgungsvertrag (Statistisches Bundesamt 2012 [a], S.15; eigene Berechnung). Es wird deutlich, welchen Stellenwert die Krankenhausplanung in Verbindung mit dem Kontrahierungszwang einnimmt. Die duale Finanzierung der Krankenhäuser durch die Bundesländer in Form der Investitionsförderung auf der einen, sowie der Krankenkassen durch die Pflegesätze auf der anderen Seite, soll die wirtschaftliche Sicherung der Krankenhäuser garantieren und die Umsetzung des Krankenhausplans ermöglichen (Böhm/Henkel 2009, S. 94).
Die seit Jahren rückläufige Investitionsförderung der Bundesländer zählt zu den wichtigsten Gründen für die zunehmende Privatisierung vor allem von kommunalen Krankenhäusern (vgl. Simon 2008, S. 282-283; Schulten/Böhlke 2009, S. 100-101). Ein wichtiger Grund für die Reduzierung der Zuschüsse für die Krankenhäuser ist die zunehmend angespannte Haushaltslage der Kommunen: Das jährliche Defizit aller deutschen Kommunen (exkl. Stadtstaaten) betrug in den letzten zehn Jahren durchschnittlich 1,5 Milliarden Euro pro Jahr; die Gesamtverschuldung beläuft sich inzwischen auf 126,7 Milliarden Euro (Bundesministerium der Finanzen 2012; eigene Berechnung). Als Folge der Finanznot können die Kommunen die im Krankenhausbereich entstandene Investitionslücke oftmals nicht mehr schließen, womit die Privatisierung als eine willkommene Möglichkeit erscheint, den Investitionsstau durch privates Kapital zu beseitigen.
Aus Abbildung 1 ist zu entnehmen, dass die Investitionsförderung im Rahmen des KHG von rund 3,6 Milliarden Euro im Jahr 1991 auf ca. 2,7 Milliarden Euro im Jahr 2011 gesunken ist. Eine Ausnahme bildet der Zeitraum 1991 bis 1993 und das Jahr 2009. Infolge des Krankenhausinvestitionsprogramms nach Art. 14 des Gesundheitsstrukturgesetzes aus dem Jahre 1992 stieg in den neuen Bundesländern das Investitionsvolumen deutlich an (Rürup 2008, S. 8). Der Anstieg im Jahr 2009 ist auf die Finanzhilfen des Bundes im Rahmen des „Gesetzes zur Sicherung von Beschäftigung und Stabilität in Deutschland“ (Konjunkturpaket II) zurückzuführen. Der Bund steuerte in den Jahren 2009 bis 2011 insgesamt rund 1,3 Milliarden Euro an zusätzlichen Investitionsmittelen für den Krankenhaussektor bei (Malzahn/Wehner 2010, S. 119-120).
Abbildung 1: Entwicklung der KHG-Fördermittel 1991-2011 (in Mio. Euro)
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Quelle: Deutsche Krankenhausgesellschaft 2012, S. 95; eigene Darstellung
Die Gesamtausgaben für alle Krankenhäuser in Deutschland (bereinigte Kosten) verdoppelten sich dagegen von rund 37,4 Milliarden Euro im Jahr 1991 auf ca. 72,6 Milliarden Euro im Jahr 2011 (siehe Abbildung 2). Der Anteil der Fördermittel an den Gesamtausgaben im Krankenhausmarkt fiel demzufolge von 9,7 Prozent im Jahr 1991 auf 3,7 Prozent im Jahr 2011.[1]
Abbildung 2: Entwicklung der Krankenhausausgaben 1991-2011 (in Mio. Euro)
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Quelle: Statistisches Bundesamt 2012 [b], S. 9; eigene Darstellung
Das somit entstandene Investitionsdefizit im Krankenhaussektor ist nach Simon, Neubauer, Steiner und Mörsch mittels Vergleich mit der volkswirtschaftlichen Investitionsquote zu bestimmen (Simon 2008, S. 281-282; Neubauer 2003, S. 77-78; Steiner/Mörsch 2005, S. 476-477). Der Anteil der Bruttoanlageinvestitionen am Bruttoinlandsprodukt (volkswirtschaftlichen Investitionsquote) liegt im Jahr 2011 bei 18,1 Prozent (Statistisches Bundesamt 2012 [c], S. 11). Unter Verwendung dieses Werts als Sollvorgabe hätte die Krankenhausinvestitionsförderung im Jahr 2011 rund 13,1 Milliarden Euro betragen müssen. Tatsächlich sind es aber nur knapp 2,7 Milliarden Euro gewesen, woraus sich eine angenommene Förderlücke von ca. 10,4 Milliarden Euro allein für das Jahr 2011 ergibt. Hochgerechnet auf den Zeitraum von 1991 bis 2011 beträgt das Defizit nach o.g. Methode knapp 155 Milliarden Euro.
Rürup betrachtet dagegen die volkswirtschaftliche Investitionsquote, aufgrund der Heterogenität der Gesamtwirtschaft, als einen unbefriedigenden Vergleichswert. Durch die Übertragung der Verhältnisse aus anderen Dienstleistungsbereichen auf den Krankenhaussektor, sieht er eine jährliche Investitionsquote von 8,6 Prozent an den bereinigten Krankenhauskosten als ausreichend an (Rürup 2008, S.16ff). Mit knapp 30 Milliarden Euro im Zeitraum von 1991 bis 2011 fällt der vermutete Fehlbestand mit dieser Ermittlungsmethode deutlich geringer aus. Malzahn, Wehner und Augurzky verwenden, mit einer notwendigen Mindestinvestitionsquote von zehn Prozent am Umsatz, wiederum eine abweichende Vergleichsgröße (Malzahn/Wehner 2010, S. 113ff; Augurzky 2011, S. 162ff).[2]
Bei allen Berechnungen muss allerdings berücksichtigt werden, dass ein Teil des ermittelten Defizits durch Eigenmittel der Krankenhäuser bzw. durch Zweckentfremdung der Pflegesätze ausgeglichen wird, womit der tatsächliche Investitionsstau niedriger ausfällt (Neubauer 2003, S. 78). An diesen Beispielen lässt sich erkennen, dass sich je nach Berechnungsmethode die angenommene Unterfinanzierung in ihrer Höhe deutlich unterscheidet (vgl. auch Bruckenberger 2005, S. 20; Felder/Fetzer/ Wasem 2007 S. 147). Der Sachverständigenrat weist deshalb zu Recht daraufhin, dass sich der tatsächliche Nachholbedarf nur schwer objektiv ermitteln lässt (Sachverständigenrat zur Begutachtung der Entwicklung im Gesundheitswesen 2007, S. 349). Dennoch wird deutlich, dass eine drastische Finanzierungslücke existiert, die auch der teilweise mangelhafte Bauzustand zahlreicher Krankenhäuser widerspiegelt.
Weiterhin unterscheiden sich die Bundeländer in ihrer Förderbereitschaft teils erheblich (Abbildung 3): Mit 12.044 Euro je Krankenhausbett fiel in Hamburg im Jahr 2011 die Förderung am Höchsten aus, während das Schlusslicht Sachsen nur 4.155 Euro pro KHG-Bett bewilligte. Der Bundesdurchschnitt lag im Jahr 2011 bei 6.045 Euro pro Bett. Ein etwas anders Bild ergibt sich bei der Betrachtung der KHG-Fördermittel über einen längeren Zeitraum. Bei der Förderung von 1991 bis 2011 waren alle neuen Bundesländer (inkl. Berlin) führend. Der Grund dafür liegt in der bereits erwähnten besonderen Förderung der ostdeutschen Länder nach der Wiedervereinigung. Spitzenreiter Mecklenburg-Vorpommern erreichte mit 282.247 Euro je Bett den höchsten Wert, während Nordrhein-Westfalen mit 97.760 Euro pro Bett am wenigsten ausgab. Im Zeitraum von 1991 bis 2011 bewilligten die Bundesländer durchschnittlich 153.459 Euro pro Bett.
Abbildung 3: Aufteilung der KHG-Fördermittel im Bundesländervergleich
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Quelle: Deutsche Krankenhausgesellschaft 2012, S. 95; Statistisches Bundesamt 2012 [a], S. 17; eigene Berechnung
Als Folge werden heute „ weder die Investitionsförderung noch das Vergütungssystem ihrer Aufgabe, der wirtschaftlichen Sicherung der Krankenhäuser, gerecht. Im Gegenteil, in ihrer heutigen Form wirken sie als Katalysator der Privatisierung“ (Böhm/Henkel 2009 S. 94). Die Inkompatibilität der DRGs als Wettbewerbselement mit der Krankenhausplanung und der dazugehörigen Investitionskostenförderung verstärkt den Privatisierungstrend. Im DRG-System erhalten die Krankenhäuser für einen definierten Behandlungsfall eine festgelegte Vergütung, unabhängig von den tatsächlichen Kosten und/oder der Verweildauer des Patienten. Diese setzt sich aus der Multiplikation der durchschnittlichen Kosten (Bewertungsrelation) der jeweiligen Fallgruppe mit dem Basisfallwert zusammen. Die Bewertungsrelation war dabei von Anfang an von der Selbstverwaltung auf Bundesebene vorgegeben. Die krankenhausindividuellen Basisfallwerte wurden dagegen in einer sechsjährigen Übergangsphase seit dem Jahr 2005 durch Verhandlungen der Krankenhausträger mit den Krankenkassen schrittweise an den durchschnittlichen Landesbasisfallwert angepasst. Seit dem Ende der Konvergenzphase legen die Selbstverwaltungspartner den landeseinheitlichen Basisfallwert fest. Das Ziel eines einheitlichen Preises für eine Krankenhausleistung soll zukünftig durch die Übernahme eines bundesweit einheitlichen Basisfallwertes länderübergreifend erreicht werden (ebd., S. 87-88).
Dem wettbewerblichen Grundgedanken der DRGs steht das bei der Investitionskostenförderung nach wie vor geltende Prinzip der Selbstkostendeckung diametral gegenüber (Malzahn/Wehner 2010, S. 117). Es wird deshalb in zahlreichen Publikationen eine monistische Finanzierung gefordert. Zukünftig sollen sowohl die Betriebs-, als auch die Investitionskosten aus einer Hand finanziert werden (z.B. Rürup 2008; Neubauer 2003; Hermann 2007). Das momentan geltende System bevorteilt vor allem private Krankenhausunternehmen, die die Förderung der Länder nutzen, sich dadurch aber in ihrer Investitionsautonomie nicht einschränken lassen und auf zusätzliche Finanzierungsquellen zurückgreifen können. Zu den Verlierern zählen in erster Linie die kommunalen Krankenhäuser, die sich im intensivierten Wettbewerbsumfeld (DRGs) ausschließlich auf die Krankenhausplanung und die Investitionsförderung der Länder verlassen müssen (Neubauer 2003, S. 81-84). Neben anderen Gründen wie z.B. die demographische Entwicklung, der medizinisch-
technische Fortschritt oder der Wandel des Krankenhausspektrums, zählen vor allem die Umstellung des Vergütungssystems und der Investitionsstau zu den wichtigsten Faktoren, die zu einem hohen Veränderungsdruck im Krankenhaussektor führen (vgl. Prütz 2010, S. 25). Die im Folgenden beschriebene Privatisierungswelle ist eine der daraus resultierenden Konsequenzen.
2.3 Krankenhausmarkt im Wandel
Bevor mit der Krankenhausprivatisierung die abhängige Variable erfasst werden kann, ist es zunächst notwendig den Privatisierungsbegriff zu bestimmen. Die Grundlage hierfür bildet die Aufgliederung der Krankenhäuser nach Träger und Rechtsform. Die Eigentumsträgerschaft „ […] gibt an, wer eine qualifizierte Kapital- oder Stimmenmehrheit an einem Unternehmen hält, setzt damit die Rahmenbedingungen für die Organisation des Krankenhauses und bestimmt die anderen institutionellen Faktoren“ (Prütz 2010, S. 18). Nachdem der Begriff der Krankenhausträgerschaft gesetzlich nicht festgelegt ist, wird auf die Definition des Statistischen Bundesamtes zurückgegriffen (Statistisches Bundesamt 2012 [a], S. 3). Demnach lassen sich Krankenhäuser zunächst nach Art der Trägerschaft in Öffentliche, Freigemeinnützige und Private unterscheiden. Die in öffentlicher Trägerschaft befindlichen Krankenhäuser werden zusätzlich nach Art der Rechtsform in öffentlich-rechtliche und privatrechtliche differenziert. Krankenhäuser in öffentlicher Trägerschaft sowie in öffentlich-rechtlicher Form können entweder rechtlich selbstständig (z.B. Zweckverband, Anstalt, Stiftung) oder rechtlich unselbständig (z.B. Regie- oder Eigenbetrieb) geführt werden. In privatrechtlicher Form (z.B. GmbH) betriebene Krankenhäuser zählen dann zu den Krankenhäusern in öffentlicher Trägerschaft, wenn Gebietskörperschaften (Bund, Länder, Bezirke, Kreise, Gemeinden), Zusammenschlüsse solcher Körperschaften (z.B. Arbeitsgemeinschaften oder Zweckverbände) oder Sozialversicherungsträger (z.B. Landesversicherungsanstalten oder Berufsgenossenschaften) unmittelbar oder mittelbar mehr als 50 Prozent des Nennkapitals oder des Stimmrechts halten. Die Wahl der Rechtsform bei öffentlichen Krankenhäusern determiniert das Verhältnis zwischen öffentlichem Träger und Geschäftsführung bzw. Management, die Rechtsstellung des Krankenhauses und die Frage der Haftung (Prütz 2010, S. 20). Träger der kirchlichen und freien Wohlfahrtspflege, Kirchengemeinden, Stiftungen oder Vereine unterhalten die gemeinnützigen Krankenhäuser. Private Träger, die Krankenhäuser als gewerbliches Unternehmen führen, benötigen dazu eine Konzession nach §30 Gewerbeordnung. Bei Krankenhäusern mit mehr als einem Träger definiert derjenige die Trägerform, der überwiegend beteiligt ist bzw. überwiegend die Geldlasten trägt.
Grundsätzlich lässt sich der Begriff der Privatisierung in die drei Dimensionen formell, materiell und funktional gliedern:
- Bei der formellen Privatisierung gehen ehemals rechtlich unselbständige Häuser, die bisher direkt von den öffentlichen Behörden geleitet wurden, von der öffentlich-rechtlichen Rechtsform in eine privatrechtliche über. Als privatrechtliches Unternehmen verfügen sie demnach über ein eigenständiges Management, das weitgehend unabhängig von politischen Einflüssen agieren kann. Die Trägerschaft ändert sich jedoch nicht und die formell privatisierten Krankenhäuser verbleiben in öffentlicher Hand (Schulten/Böhlke 2009, S. 101).
- Bei einer materiellen Privatisierung geht dagegen die Eigentümerschaft durch den Verkauf der Mehrheit oder der gesamten Anteile an einen privaten Träger über. Der für diese Arbeit verwendete Begriff der materiellen Krankenhausprivatisierung bezieht sich im engeren Sinn auf die mehrheitliche oder vollständige Übernahme eines bisher in öffentlicher Trägerschaft befindlichen Krankenhauses durch einen privaten Investor. Die Übernahme eins öffentlichen Krankenhauses durch einen freigemeinnützigen Träger, oder der Verkauf eines freigemeinnützigen Krankenhauses an einen privaten Träger, zählt hingegen nicht dazu (Bundesverband Deutscher Privatkliniken o.J.).
- Bei der funktionalen Privatisierung gliedert das Management bestimmte Krankenhausleistungen (z.B. Reinigung, Küche, Wäscherei) an Drittunternehmen aus (Outsourcing). Es wird dabei zwischen internem und externem Outsourcing unterschieden. Im ersten Fall übernehmen rechtlich eigenständige Tochterunternehmen der Krankenhäuser die Tätigkeiten, im zweiten Fall beauftragt die Krankenhausleitung dafür Fremdfirmen (Schulten/Böhlke 2009, S.102ff).
Neben diesen drei Grundformen existiert noch eine Reihe von Mischformen. Eine davon ist das „ Puplic Private Partnership “ (PPP). Bei diesem Modell arbeiten die öffentliche Hand und die Privatwirtschaft langfristig (ca. 20 bis 30 Jahre) und vertraglich geregelt zusammen. Beim im Krankenhausmarkt bevorzugten PPP-Inhabermodell übernimmt der private Investor die Planung, den Bau, die Finanzierung, den Betrieb und die Instandhaltung eines neu zu errichtenden oder zu sanierenden Krankenhauses. Das rechtliche und wirtschaftliche Eigentum am Grund und Boden sowie an den Gebäuden verbleibt beim Krankenhaus. Der private Auftragnehmer erhält vom Krankenhaus regelmäßige Zahlungen, die sowohl die Investitionen, als auch Wagnis und Gewinn abdecken (Prütz 2010, S. 28).
Mithilfe der Aggregatdaten des Statistischen Bundesamtes lassen sich neben der Gesamtentwicklung des Krankenhausmarktes die Tendenzen bei der materiellen und formellen Privatisierung darstellen. Einen ersten Überblick über die Entwicklung der Krankenhauslandschaft in Deutschland bietet Abbildung 4.
Abbildung 4: Entwicklung der Anzahl der Krankenhäuser, der Krankenhausbetten und der Behandlungsfälle in Prozent (1991=100 Prozent)
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Quelle: Statistisches Bundesamt 2012 [a], S. 11; eigene Darstellung
Die Anzahl der Krankenhäuser ging von 2.411 im Jahr 1991 um ca. 15 Prozent auf 2.045 im Jahr 2011 zurück. Gleichzeitig sank die Anzahl der aufgestellten Betten von 666.565 Betten im Jahr 1991 auf 502.029 Betten im Jahr 2011; das entspricht einem Rückgang von rund 25 Prozent. Die Anzahl der Behandlungsfälle stieg dagegen im selben Zeitraum um rund ein Viertel von knapp 14,6 Millionen auf ca. 18,3 Millionen Fälle an. Trotz einer deutlichen Reduktion der Kapazität und einer Zunahme der Fälle ging die Bettenauslastung von 84,1 Prozent im Jahr 1991 auf 77,3 Prozent im Jahr 2011 zurück (Statistisches Bundesamt 2012 [a], S. 11). Zurückzuführen ist dieses Phänomen auf die rückläufige durchschnittliche Verweildauer eines Patienten im Krankenhaus, unter anderem aufgrund der Umstellung der Krankenhausfinanzierung und der Einführung des Fallpauschalensystems. Verbrachte ein Patient 1991 noch durchschnittlich 14 Tage im Krankenhaus, sind es 20 Jahre später im Jahr 2011 nur noch 7,7 Tage (Schulten/Böhlke 2009, S. 100; Statistisches Bundesamt 2012 [a], S.11).
Während sich die Anzahl der Krankenhäuser in öffentlicher Trägerschaft von 1.110 im Jahr 1991 auf 621 im Jahr 2011 um fast die Hälfte und in freigemeinnütziger Trägerschaft von 943 auf 746 um ca. ein Fünftel reduzierte, verdoppelte sich im selben Zeitraum die Anzahl der Krankenhäuser in privater Trägerschaft von 358 auf 678. Diese Zahlen legen nahe, dass neben der Schließung von Krankenhäusern auch eine Privatisierung stattgefunden hat (Statistisches Bundesamt 2012 [a], S. 14).
Abbildung 5 verdeutlicht, dass vor allem öffentliche Krankenhäuser in private Trägerschaft übergingen. Der öffentliche Anteil der Krankenhäuser sank kontinuierlich von 46 Prozent im Jahr 1991 auf ca. 30 Prozent im Jahr 2011. Moderater fiel dagegen der Rückgang im Sektor der freigemeinnützigen Einrichtungen aus. Im selben Zeitraum reduzierte sich deren Anteil von ca. 39 Prozent auf rund 37 Prozent. Der Anteil Krankenhäuser in privater Trägerschaft verdoppelte sich dagegen von knapp 15 Prozent im Jahr 1991 auf über 33 Prozent im Jahr 2011; inzwischen befinden sich mehr Häuser in privater als in öffentlicher Hand.
Auch bei der formellen Privatisierung öffentlicher Krankenhäuser ist ein ähnlicher Trend feststellbar: Wurden im Jahr 2002 noch fast 72 Prozent aller öffentlichen Krankenhäuser in öffentlich-rechtlicher Form geführt, sind es im Jahr 2011 nur noch gut 41 Prozent (Statistisches Bundesamt 2012 [a], S. 14).[3] Somit erreicht der Anteil von in privatrechtlicher Form geführten öffentlichen Krankenhäusern mit knapp 59 Prozent im Jahr 2011 einen vorläufigen Höhepunkt.
Abbildung 5: Entwicklung des Anteils der Krankenhäuser nach Trägerschaft in Prozent
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Quelle: Statistisches Bundesamt 2012 [a], S. 14, eigene Berechnung
Bei einem Vergleich der Trägerschaft nach aufgestellten Betten ergibt sich ein etwas differenzierteres Bild (vgl. Abbildung 6).[4] Im Jahr 2011 befanden sich von den 502.029 aufgestellten Betten 242.769 in öffentlicher Hand, 172.219 in gemeinnütziger und 87.041 in privater Führung. Zwar haben die öffentlichen Krankenhäuser, gefolgt von den Freigemeinnützigen, in Bezug auf die Bettenzahl nach wie vor einen deutlich größeren Stellenwert als die privaten Häuser, der Privatisierungstrend lässt sich aber ebenso erkennen. Im Jahr 2002 lag der Anteil privater Betten bei knapp neun Prozent und verdoppelte sich auf über 17 Prozent im Jahr 2011. Der öffentliche Anteil ging dagegen im selben Zeitraum von etwas über 54 Prozent auf knapp 49 Prozent und der freigemeinnützige Anteil von ca. 37 auf rund 34 Prozent zurück.
Die deutlichen Unterschiede zwischen dem Anteil nach Trägerschaft und dem Anteil nach Krankenhausbetten sind auf die unterschiedlichen Entwicklungsphasen des privaten Sektors zurückzuführen. In den 1970er und 1980er Jahren eröffneten in Deutschland die ersten privaten Kliniken, die aufgrund der Spezialisierung auf lukrative Operationen und Behandlungen, zumeist klein dimensioniert waren. Zu diesem Zeitpunkt entstanden die privaten Kliniken nicht durch die Übernahme öffentlicher Krankenhäuser, sondern durch Neugründungen. In einer ersten Privatisierungswelle in den 1990er Jahren wurden dann zunächst ebenfalls kleinere Häuser privatisiert, die sich überwiegend in Ostdeutschland befanden. Erst mit der zweiten Welle, die ab dem Jahr 2000 das gesamte Bundesgebiet erfasste, werden zunehmend auch größere öffentliche Krankenhäuser privatisiert (Schulten/Böhlke 2009, S. 105; Stumpfögger 2009, S. 200).
Abbildung 6: Entwicklung des Anteils der aufgestellten Betten nach Trägern in Prozent
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthaltenAbbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Quelle: Statistisches Bundesamt 2012 [a], S.14; eigene Berechnung
Die Daten des Statistischen Bundesamtes bzw. die Gesundheitsberichterstattung des Bundes ermöglichen zudem einen Blick auf die regional unterschiedlich ausgeprägte Privatisierungsaktivität (Statistisches Bundesamt 2012 [a]; Gesundheitsberichterstattung des Bundes o.J.).[5] Allerdings ist dieser Blick stark eingeschränkt, da die Aggregatdaten eine genaue Erhebung der materiellen Privatisierung nicht zulassen. Außerdem bieten die Daten nur die Bundesländer als Vergleichsebene an, unterschiedliche Entwicklungen innerhalb eines Bundeslandes lassen sich somit nicht nachvollziehen. Um das genaue Ausmaß der Privatisierungstätigkeit bestimmen zu können, ist eine Gesamterhebung notwendig, wie sie exemplarisch für die Kommunen Hamburg und Bremen im Kapitel 4 vorgenommen wird. Um eine bessere Vergleichbarkeit zu gewährleisten, beschränkt sich der Bundesländervergleich auf die zehn alten Bundesländer. Die eben beschriebenen unterschiedlichen Entwicklungen zwischen Ost und West können somit ebenso ausgeblendet werden, wie auch der Einfluss der speziellen Förderung in den neuen Bundesländern (vgl. Kapitel 2.2).
Auffällig ist zunächst, dass das Saarland als einziges Bundesland im Jahr 2011 keine Krankenhäuser in privater Trägerschaft besaß. Alle Krankenhausbetten befanden sich entweder in freigemeinnütziger oder öffentlicher Trägerschaft, wobei sechs der insgesamt neun öffentlichen Krankenhäuser inzwischen formell privatisiert wurden. Im Bundesland Bremen nahm die Anzahl der Krankenhäuser in privater Trägerschaft von drei im Jahr 2002 auf nur noch zwei im Jahr 2011 ab. Der Marktanteil (Anteil an Krankenhausbetten) der privaten Träger lag im Jahr 2011 bei ca. 5,7 Prozent. Alle öffentlichen Krankenhäuser in Bremen wurden im Jahr 2011 in privatrechtlicher Form geführt. In Rheinland-Pfalz stagnierte die Anzahl der Krankenhäuser in privater Trägerschaft bei 18 Häusern seit dem Jahr 2002, und ca. die Hälfte der 17 öffentlichen Krankenhäuser wurde bis zum Jahr 2011 formell privatisiert. Mit rund 6,7 Prozent fiel der Marktanteil der privaten Träger im Jahr 2011 ähnlich niedrig aus, und veränderte sich zudem seit dem Jahr 2002 (6,2 Prozent) kaum. In Nordrhein-Westfalen waren mit ca. 6,4 Prozent privatem Marktanteil und einer knapp über 50 Prozent liegenden formellen Privatisierungsquote im Jahr 2011 vergleichbare Werte festzustellen. Allerdings lag der private Marktanteil im Jahr 2002 erst bei 1,7 Prozent. Die Zahl der Krankenhäuser in privater Trägerschaft legte von 40 im Jahr 2002 auf 47 im Jahr 2011 moderat zu, während die Anzahl der Krankenhäuser in öffentlicher Trägerschaft im selben Zeitraum von 90 auf 85 leicht zurückging. Auffällig ist der mit knapp 67 Prozent im Jahr 2002 besonders hohe freigemeinnützige Anteil.[6] Auch wenn sich das genaue Ausmaß der Privatisierungsaktivität nicht nachvollziehen lässt, ist bei diesen vier Bundesländern eine nicht vorhandene bis geringe materielle Privatisierungsneigung festzustellen.
Die Gruppe der „Privatisierungsvorreiter“ bildet Hamburg und Hessen. In Hamburg stieg die Anzahl der Krankenhäuser in privater Trägerschaft von fünf im Jahr 2002 auf 31 im Jahr 2011 deutlich an. Der private Marktanteil stieg von knapp 2,7 Prozent im Jahr 2002 auf rund 56 Prozent im Jahr 2011 rapide an. Von den im Jahr 2002 noch vorhandenen neun öffentlichen Krankenhäusern sind im Jahr 2011 nur noch zwei übrig. Einen immer noch beachtlichen Anstieg des privaten Marktanteils von ca. 11 Prozent im Jahr 2002 auf rund 25 Prozent im Jahr 2011 weist das Bundesland Hessen auf. Die Zahl der privaten Krankenhäuser stieg von 52 im Jahr 2002 auf 77 im Jahr 2011 um rund ein Drittel an, während sich die Anzahl der öffentlichen Krankenhäuser von 64 auf 50 um rund ein Viertel reduzierte. Die bisher größten und bekanntesten Krankenhausprivatisierungen fanden folgerichtig in diesen beiden Bundesländern statt (vgl. Ries-Heidtke/Böhlke 2009; Hanschur/Böhlke 2009).
Die restlichen alten Bundesländer Baden-Württemberg, Bayern, Niedersachsen und Schleswig-Holstein bilden aufgrund der vorliegenden Daten eine indifferente Gruppe, die zwischen den beiden Extremgruppen angesiedelt ist. In Baden-Württemberg veränderte sich die Anzahl der privaten Krankenhäuser nur geringfügig von 104 im Jahr 2002 auf 109 im Jahr 2011, während die Anzahl der öffentlichen Krankenhäuser deutlich von 142 auf 109 zurückging. Der Marktanteil der Privaten verdoppelte sich im Zeitraum von 2002 bis 2011 von 8,3 Prozent auf 16,6 Prozent. In Bayern ist sowohl ein deutlicher Rückgang der öffentlicher Krankenhäuser von 230 auf 179, als auch eine prägnante Zunahme der Krankenhäuser in privater Trägerschaft von 113 auf 143 zu verzeichnen. Die Veränderung des Marktanteils der privaten Krankenhäuser fiel dagegen mit einer Zunahme von 10,2 Prozent auf 16,6 Prozent moderat aus.[7] Niedersachsen weist mit einer Verdoppelung des privaten Marktanteils von 9,1 Prozent auf 20,1 Prozent, bei gleichzeitiger Zunahme der privaten Krankenhäuser von 58 auf 66, sowie einem Rückgang der öffentlichen Krankenhäuser von 213 auf 197 ein ähnliches Profil auf. In Schleswig-Holstein verdoppelte sich seit dem Jahr 2002 zwar die Anzahl der Krankenhäuser in privater Trägerschaft von acht auf 15, deren Marktanteil veränderte sich jedoch im Laufe der Jahre nicht und stagniert bei 21 Prozent. Die Zahl der öffentlichen Krankenhäuser nahm von 54 auf 49 ab. Allen vier Bundesländern ist somit weder eine besonders ausgeprägte noch ein besonders geringe Privatisierungsneigung zuzuschreiben.
Nach der eben erfolgten Darstellung der Unterschiede der Privatisierungsneigung im Bundesländervergleich, begibt sich das nächste Kapitel theoriegeleitet auf die Suche nach den Ursachen für die Varianz.
[...]
[1] Für die Berechnung sind die nicht gerundeten Werte ausschlaggebend.
[2] Sie berufen sich dabei auf eine Expertenkommission des Landes Baden-Württemberg.
[3] Die Aufgliederung der öffentlichen Krankenhäuser in öffentlich-rechtlicher sowie privat-rechtlicher Form wird durch das Statistische Bundesamt erst seit 2002 geführt.
[4] Ein Vergleich ist erst ab 2002 möglich, da frühere Daten durch das Statistische Bundesamt nicht bereitgestellt werden.
[5] Die detaillierte Auswertung auf Länderebene ist beim Statistischen Bundesamt auf Anfrage erhältlich.
[6] Das Kapitel 3 dieser Arbeit entwickelt mithilfe der Theorien der vergleichenden Staatstätigkeit ein Raster, um im späteren Vergleich die Ursachen der regional differierenden Privatisierungsintensität zu ergründen. Die Variable des
„Politikerbes“ spielt dabei keine Rolle, da sie in der Vergleichsanalyse konstant gehalten wird. Die Variable besagt, dass die Größe des öffentlichen Krankenhaussektors zu Beginn des Untersuchungszeitraums eine notwendige Bedingung ist. Es leuchtet ein, dass nur der Teil privatisiert werden kann, der sich auch im Staatsbesitz befindet (Zohlnhofer/Obinger 2005, S. 607). Eine mögliche Erklärung für die geringe Privatisierungsaktivität in Nordrhein-Westfalen ist somit der vergleichsweise niedrige öffentliche Anteil (2002: 31 Prozent), aufgrund des hohen freigemeinnützigen Anteils.
[7] Bayern hat im Jahr 2002 von allen Bundesländern den geringsten freigemeinnützigen Anteil und mit knapp 77 Prozent gleichzeitig den höchsten öffentlichen Anteil. Das Privatisierungspotential ist somit besonders hoch.
Details
- Seiten
- Erscheinungsform
- Erstausgabe
- Erscheinungsjahr
- 2013
- ISBN (PDF)
- 9783955499419
- ISBN (Paperback)
- 9783955494414
- Dateigröße
- 1 MB
- Sprache
- Deutsch
- Institution / Hochschule
- FernUniversität Hagen
- Erscheinungsdatum
- 2013 (Juli)
- Note
- 2
- Schlagworte
- Privatisierungswelle Investitionsstau Krankenhauspolitik Problemdruck Parteidifferenz