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Der Übergang zur Elternschaft als Konsequenz rationaler Wahlhandlung: Wie rational ist die Entscheidung zur Elternschaft in den unterschiedlich entwickelten Gesellschaften

©2010 Bachelorarbeit 64 Seiten

Zusammenfassung

Die Elternschaft ist eines der zentralen Themen unserer heutigen Gesellschaft geworden, im Zusammenhang mit wachsenden Defiziten in den Versorgungskassen, mangelndem qualifizierten Nachwuchses für die Wirtschaft, dauerhaft geringer Fertilitätsraten und einer alternden Gesellschaft. Kinder sind nicht nur die Verkörperung von Lebensfreude, Liebe, Emotionalität, Zukunft und Zuversicht, sie sind auch die Arbeitskräfte, Denker, Konsumenten und die Eltern von morgen.
Im Rahmen dieser Arbeit soll zunächst die Bedeutung von Elternschaft und Kindern für die Gesellschaft und das Individuum dargestellt werden, um anschließend die Einflüsse auf die Entscheidung zur Elternschaft und deren Folgen für die Individualbiographie anhand empirischer Daten zu erläutern. Der Übergang zur Elternschaft ist eines der, wenn nicht sogar der, wichtigste biographische Übergang im Lebenslauf. Aber wie viel Steuerung, eigener Wille und bewusste Handlung steckt in diesem Übergang zur Elternschaft? Und ist der Übergang zur Elternschaft als Ergebnis eines rationalen Entscheidungs- und Handlungsprozesses des Menschen oder eher als eine zwangsläufige Folge von durch genetisch-biologische Triebe geleiteten Handlungen im anthropologischen Sinn anzusehen?
Auf diese und andere Fragen wird im Laufe dieser Arbeit noch weiter eingegangen, um mit Hilfe verschiedener Theorien und Erklärungsansätze belastbare Antworten und Erklärungen zu finden.

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


Abbildungsverzeichnis
4
Abbildung 14:
Entwicklung der Frauenerwerbsquote
2
6
Abbildung 15:
Mikro-Makro Modell
29
Abbildung 16:
Familienformen 2006
4
5
Abbildung 17:
Alter verheirateter Frauen bei Erstgeburt
4
5
Abbildung 18:
Kinderwunsch 1992 und 2003 4
6
Abbildung 19:
Kinderlose Frauen 2006
4
7
Tabellenverzeichnis
Tabelle 1:
Fertilitätsraten in Europa von 1996 bis 2006 im Vergleich
6
1

Einleitung
5
1 Einleitung
,,Die Entscheidung, Kinder haben zu wollen oder auf Kinder zu verzichten, ist in
unserem freiheitlich verfassten Gemeinwesen eine persönliche, dem privaten
Lebensbereich zugehörende Angelegenheit. [...] Gleichwohl führt kein Weg an der
elementaren rationalen Erkenntnis vorbei, dass die mittel- und langfristige
Zukunftsfähigkeit einer Gesellschaft nur mittels einer ausreichenden Zahl von
Kindern gesichert werden kann."
Zitat aus dem Abschlußbericht 2006 der Enquetekommission
,,Demographischer Wandel ­ Herausforderung an die Landespolitik"
des Landtags von Baden-Württemberg
1
Die Elternschaft ist eines der zentralen Themen unserer heutigen Gesellschaft
geworden, im Zusammenhang mit wachsenden Defiziten in den
Versorgungskassen, mangelndem qualifizierten Nachwuchses für die Wirtschaft,
dauerhaft geringer Fertilitätsraten und einer in der Folge alternden Gesellschaft.
Kinder sind nicht nur die Verkörperung von Lebensfreude, Liebe, Emotionalität,
Zukunft und Zuversicht, sie sind auch die Arbeitskräfte, Denker, Konsumenten
und die Eltern von morgen.
Im Rahmen dieser Arbeit soll zunächst die Bedeutung von Elternschaft und
Kindern für die Gesellschaft und das Individuum dargestellt werden, um
anschließend die Einflüsse auf die Entscheidung zur Elternschaft und deren
Folgen für die Individualbiographie anhand empirischer Daten zu erläutern. Der
Übergang zur Elternschaft ist eines der, wenn nicht sogar der, wichtigste
biographische Übergang im Lebenslauf.
2
Aber wie viel Steuerung, eigener Wille
und bewusste Handlung steckt in diesem Übergang zur Elternschaft? Und ist der
Übergang zur Elternschaft als Ergebnis eines rationalen Entscheidungs- und
Handlungsprozesses des Menschen oder eher als eine zwangsläufige Folge von
durch genetisch-biologische Triebe geleiteten Handlungen im anthropologischen
Sinn anzusehen?
1
http://www.landtag-bw.de/gremien/abschlussbericht-EDW-kurzfassung.pdf (06.07.2010); S. 16
2
Vgl.: Burkart, Günter (1994): ,,Die Entscheidung zur Elternschaft"

Einleitung
6
Um diese Fragen beantworten zu können, werden die für die Entscheidung zur
Elternschaft anwendbaren gängigsten Endscheidungstheorien mit Bezug auf die
Entstehung von rationalem Handeln in gebotener Kürze vorgestellt und erste
Verknüpfungen zur Elternschaft gezogen. Die Rationalität der Wahlhandlungen,
die schließlich zum Übergang zur Elternschaft führt, ist bereits in der
Entscheidung zur Elternschaft zu finden, da sie als Konsequenz die
Wahlhandlungen zur Elternschaft auslöst. Die Gründe und Theorien der
Entscheidung zur Elternschaft werden deshalb zum zentralen Bestandteil der
Erklärung, um anhand dieser die Rationalität in der Entscheidung zur Elternschaft
und damit den Übergang zur Elternschaft als Ergebnis rationaler Wahlhandlungen
zu skizzieren. Im darauf folgenden Kapitel werden die Rationalitäten in den
unterschiedlichen Phasen des Überganges zur Elternschaft auf die
Handlungsmustern der Akteure
3
zurückgeführt und empirisch begründet. Die
Rationalitätsproblematik steht bei allen Ausführungen, durch den permanenten
Bezug zur Entscheidungssituation in dessen Konsequenz Elternschaft entsteht, im
Vordergrund. Abschließend werden die Ergebnisse empirischer Untersuchungen
und die theoretischen Überlegungen zu einer Schlussbetrachtung zu den
Rationalitäten der Wahlhandlungen beim Übergang zur Elternschaft
zusammengeführt und das persönliche Fazit gezogen.
3
Hinweis zur maskulinen Form: hier und im nachstehenden Text sind sowohl männliche als auch
weibliche Personen gemeint

Entscheidung zur Elternschaft
7
2
Entscheidung zur Elternschaft
2.1
Elternschaft als biographisches Entscheidungsproblem
Die Biographien der Mitglieder moderner Gesellschaften unterscheiden sich
deutlich von denen traditionaler Gesellschaften oder Entwicklungsländern. Mit
dem fortschreitenden Individualismus und erhöhten Geschwindigkeiten in den
Entwicklungen hin zum globalen Weltbürger haben die individuellen Lebensläufe
und Erwerbstätigkeiten eine zunehmende Fragmentierung erfahren. Die
Auswirkungen sind hauptsächlich negativ in Bezug auf die Dauer von
Paarbeziehungen und die Anzahl von Familiengründungen. Eine dauerhafte
Paarbeziehung und der Konsens beider Partner über den Wunsch und Zeitpunkt
zur Elternschaft ist jedoch für viele eine Grundvoraussetzung zur Realisierung des
Kinderwunsches. Eine noch wichtigere Voraussetzung ist die Einkommens-
sicherheit und ökonomische Unabhängigkeit von den Eltern. Wie zum Beispiel
eine Erhebung des Bundesinstitutes für Bevölkerungsforschung unter den 20- bis
49jährigen zeigt.
Abbildung 1a: Gründe gegen (weitere) Kinder (Auszug aus Abbildung 1- im Anhang)
Quelle: www.bosch-stiftung.de/content/language1/downloads/kinderwunsch.pdf (06.07.2010)

Entscheidung zur Elternschaft
8
Die Entscheidung zur Elternschaft führt also über die Sicherheit des regelmäßigen
Einkommens aus einer festen Anstellung heraus. Die Ansprüche an die
Arbeitnehmer werden in der heutigen Dienstleistungsgesellschaft immer
komplexer und umfangreicher. Die eigene Arbeitskraft wird zunehmend
ökonomisiert und befindet sich in einem permanenten Wettstreit mit anderen
Akteuren. Flexibilisierung der Arbeitszeiten, ständige Mobilität, Leistungs-
bereitschaft und kontinuierliche Fortbildungen stehen in latentem Konflikt mit
den individuellen Vorstellungen und Wünschen der Freizeitgestaltung und
Familienplanung.
4
Ausgehend vom Drei-Phasen-Modell der Lebensgestaltung
5
verlängert sich die
erste Phase der Qualifikation und Ausbildung zunehmend durch längere
Ausbildungs- und Studiumszeiten, Mehrfachausbildungen und später
lebenslangem Lernen. Die sich anschließende zweite Phase, in der Kinder
bekommen und aufgezogen werden, wird entsprechend der individuellen
Präferenz zur ökonomischen Absicherung aufgeschoben. Wird der Kinderwunsch
früher realisiert kommt es zum Konflikt zwischen Karriere und Beruf. Zudem ist
bei der mit Unsicherheiten belasteten Lage am Arbeitsmarkt jederzeit mit einem
möglichen Arbeitsplatzverlust oder beruflichen Neuorientierung zu rechnen.
Gerade die ersten Jahre des Berufseinstieges dienen vielfach des Austestens und
Ausprobierens unterschiedlichster Erwerbsformen und Tätigkeitsbereiche.
Flexibilitäten in allen Bereichen des Lebens sind hier besonders gefragt und lässt
ein eigenes Kind mit seinen Einschränkungen und Herausforderungen für die
tägliche Lebensgestaltung kaum zu. Die Chancen für Frauen nach der Elternzeit
einen attraktiven Arbeitsplatz zu erhalten sind sehr gering.
6
Der Aufschub der zweiten Phase des Kinderbekommens und ­aufziehens hat zur
Folge, dass die Opportunitätskosten der Elternschaft beziehungsweise
Kindererziehung mit steigender Qualifikation sich weiter erhöhen und die
Realisierung des Kinderwunsches zunehmend ,,verteuern". Dazu zählen neben
den temporären Einkommenseinbußen auch die hohen Hürden beim späteren
beruflichen Widereinstieg in Phase drei. Ein längeres Nichtausüben der gelernten
Tätigkeit kann in bestimmten beruflichen Tätigkeitsfeldern dazu führen, dass
4
Vgl.: http://www.die-bonn.de/zeitschrift/12001/positionen3.htm (07.07.2010)
5
Vgl.: Vaskovics, Laszlo A. / Lipinski, Heike (Hrsg.) (1997): "Familiale Lebenswelten und
Bildungsarbeit: Interdisziplinäre Bestandsaufnahme 2"
6
Vgl.: Vaskovics, Laszlo A. / Lipinski, Heike (Hrsg.) (1997): "Familiale Lebenswelten und
Bildungsarbeit: Interdisziplinäre Bestandsaufnahme 2"

Entscheidung zur Elternschaft
9
umfassende Neuqualifikationen oder eine längere Einführungsphase der
Arbeitsaufnahme vorangestellt werden müssen, um im bereits erlernten
Arbeitsfeld wieder ,,Fuß zu fassen". Dies ist wiederum mit einem eventuellen
Positions- und Gehaltsverlust verbunden und macht den Verzicht auf Karriere
zugunsten eines Kindes zunehmend unattraktiver. Die Förderung der eigenen
ökonomischen Unabhängigkeit befindet sich in der biographischen Lebens-
planung in direkter Konkurrenz zu der Familiengründung, da sich die
Lebensphasen, wie gezeigt, überschneiden. Besonders stark betrifft es dabei die
qualifizierten, erwerbsorientierten und emanzipierten Frauen der Gesellschaft,
aufgrund der erhöhten Opportunitätskosten und die erwarteten Nachteile und
Schwierigkeiten beim Widereinstieg nach dem Erziehungsurlaub.
Abbildung 2: Welche Folgen hätte eine (weitere) Geburt in den nächsten drei Jahren
für Ihre Beschäftigungschancen?
Quelle: www.bosch-stiftung.de/content/language1/downloads/kinderwunsch.pdf (06.07.2010)
Die Kosten und erwarteten Nachteile für Männer dagegen sind wesentlich
geringer, da durch den kürzeren Erziehungszeitraum und die schnellere
Wideraufnahme der beruflichen Tätigkeit bei einer Teilung des Elterngeldes
zwischen den Erzeugern geringere Opportunitätskosten entstehen. Die Möglich-
keit des geteilten Elterngeldes in Deutschland (seit 2007) wird jedoch nur sehr
zögerlich von den Männern angenommen.
7
Der Anteil der Männer an den
7
Vgl.: Gesterkamp, Thomas (2010): ,,Die neuen Väter zwischen Kind und Karriere"

Entscheidung zur Elternschaft 1
0
bewilligten Anträgen zum Elterngeld beträgt nur circa elf Prozent (siehe
Abbildung 3 im Anhang). Die Lage der Frauen hat sich durch diese Maßnahme
der Bundesregierung demnach nur wenig verändert.
8
Problematisch ist die trotz
gestiegener Frauenerwerbsquoten weiterhin vorherrschende Vorstellung der
Ernährerrolle des Mannes für die Familie. ,,Eine Kombination aus
gesellschaftlichen Normen, politischen Regularien und betrieblichen Hindernissen
legt beide Geschlechter oft für Jahre auf die traditionelle Arbeitsteilung fest."
9
Die
Frauen werden darin als Feuerwehr bei Notfällen gesehen, springen ein bei
Krankheit und Verpflichtungen gegenüber den Kindern, halten dem Mann den
Rücken frei um seine Erwerbsarbeit nicht zu gefährden. Dieses Bild der
Arbeitsteilung der Familie löst sich nur zögerlich auf. Die Firmen entdecken die
Notwendigkeit der Verbesserung der Vereinbarkeit von Arbeit und Familie zur
langfristigen Bindung qualifizierter Mitarbeiter. Jedoch zunehmend durch den
Mangel an qualifizierten Facharbeitern. Die Konkurrenz zwischen beruflicher
Entwicklung, Freizeitgestaltung und Familiengründung bleibt allerdings vorerst
für die Paare bestehen und wird, durch den permanenten Aufschub der
Realisierung des Kinderwunsches, bis zur Menopause der Frau anhalten und kann
zu einer Dauerbelastung für Beziehung und Psyche beider Partner werden.
10
Die Entscheidung zur Elternschaft, und im Besonderen der Zeitpunkt des
Überganges und der Umsetzung, werden nach den individuell aktuellen
Präferenzen der persönlichen und beruflichen Entfaltung bestimmt, was
zunehmend zu einem Aufschub der Elternschaft auf spätere Lebensphasen führt.
Deutlich wird diese Tendenz an der Entwicklung des Durchschnittsalters von
Frauen beim Übergang zur Elternschaft für Deutschland (Abbildung 4).
8
Vgl.: http://www.elterngeld.net/elterngeldstatistik.html (8.7.2010)
9
Gesterkamp, Thomas (2010): ,,Die neuen Väter zwischen Kind und Karriere"; S.53
10
Vgl.: Burkart, Günter (1994): ,,Die Entscheidung zur Elternschaft"

Entscheidung zur Elternschaft 1
1
Abbildung 4: Durchschnittsalter der Frauen bei der Erstgeburt
Quelle: www.zdwa.de/zdwa/artikel/diagramme/20060215_68445348_diagW3DnavidW2671.php
(08.07.2010)
Die Entwicklungen der letzten fünfzig Jahre sind dabei relativ ähnlich verlaufen,
wobei sich in Ostdeutschland das Alter bis zur Widervereinigung deutlich unter
dem des westdeutschen Niveaus befand. Dies ist auf die familienpolitischen
Programme und auf die Unterschiede im Umgang mit dem Arbeitskräftemangel
seit den sechziger Jahren zurückzuführen. Während in Westdeutschland die
Politik mit dem Anwerben ausländischer Arbeitskräfte agierte, wurden die Frauen
in Ostdeutschland in den Arbeitsmarkt integriert und die Erwerbsquote von
Frauen dauerhaft über neunzig Prozent gehalten. Eine schnelle
Widereingliederung und gute Vereinbarkeit von Beruf und Familie durch eine gut
ausgebaute Betreuungsstruktur war dabei zentraler Bestandteil der Bemühungen
für eine dennoch hohe Fertilitätsrate.
,,[...] - die geburtenfördernde Bevölkerungspolitik, die sowohl materielle
Maßnahmen als auch die Information und Vermittlung von gesellschaftlichen
Wertvorstellungen umfasst"
11
, wirkte sich entsprechend auch auf das Alter der
Frauen beim Übergang zur Elternschaft aus, welches circa zweieinhalb Jahre unter
dem westdeutschen Niveau lag. Im vereinigten Deutschland nach 1990 und dem
sukzessiven Wegfall des Betreuungssystems aus Kindertagesstätten, Hortange-
boten und Jugendorganisationen stieg das Alter der Frauen bei der Erstgeburt in
11
Speigner, Wulfram (1987): ,,Kind und Gesellschaft"; S. 59

Entscheidung zur Elternschaft 1
2
Ostdeutschland rasant an und befindet sich 2010 nur noch gering unter dem
gesamtdeutschen Durchschnitt von ca. dreißig Jahren.
12
Entscheidet sich die Frau für ein Kind, während der Phase der beruflichen
Qualifikation, so hat diese Entscheidung einen prägenden Einfluss auf ihre
Gesamtbiographie und auf zukünftige Entwicklungen und Chancen der Teilhabe
in allen Bereichen des Lebens. Die Realisierung anderer individueller Lebensziele
wird dann zurückgestellt und die Erziehung des Kindes wird prägend für den
mittelfristigen weiteren Lebenslauf. Die Entscheidung junger Paare für oder gegen
ein Kind, ist für ihre weitere individuelle und partnerschaftliche Entwicklung von
erheblicher Bedeutung.
13
Auch die Bestrebungen nach einer besseren Vereinbarkeit von Beruf und Familie
können dies nur bedingt verändern und beeinflussen. Die Geburt eines Kindes ist
unmittelbar verbunden mit langfristiger Verantwortung und Einschränkungen der
individuell biographischen Lebensgestaltung. In besonderen Fällen führt die
Elternschaft auch zu einer ungewollten Neuorientierung bei den Müttern und
Vätern. Eine Geburt eines besonders pflegebedürftigen Kindes, wie durch eine
körperliche oder geistige Behinderung, würde die bisherige Lebensplanung
verändern und zu einer kompletten Neustrukturierung führen. Für die Biographie
ist Elternschaft ein Entscheidungsproblem mit einer Vielzahl von Unbekannten
und Risiken, bei gleichzeitigem potenziellem starkem Einfluss auf die
nachfolgende Lebensführung. Die Entscheidung zur Familiengründung ist einer
der markantesten und biographisch bedeutsamsten Übergänge im Lebenslauf.
14
2.2
Bedeutung von Kindern für die Gesamtgesellschaft
Die Entscheidung zum Kind ist eine Entscheidung auf der Individualebene mit
einer enormen Tragweite auf der Makro- und Mesoebene. Die Auswirkungen
dieser Entscheidung spiegeln sich in der Zusammensetzung und Struktur der
Bevölkerung und in der Wirtschaftskraft eines Wirtschaftsraumes wieder. Der
Saldo bei den Geburten muss durch Zuwanderung, dem wissenschaftlich-
technischen Fortschritt oder durch politische Maßnahmen, wie Verlängerung der
12
Vgl.: http://www.bpb.de (07.07.2010)
13
Vgl.: Burkart, Günter (1994): ,,Die Entscheidung zur Elternschaft"
14
Vgl.: Burkart, Günter (1994): ,,Die Entscheidung zur Elternschaft"

Entscheidung zur Elternschaft 1
3
Arbeitszeit oder Verschiebung des Renteneintrittsalters, ausgeglichen werden.
Exemplarisch sei auf die Anwerbung türkischer Gastarbeiter für die
Bundesrepublik Deutschland in den sechziger Jahren verwiesen. Diese sollte den
Mangel an gering qualifizierten Arbeitern, resultierend aus den Geburtenausfällen
und Verlusten in der männlichen Bevölkerung im zweiten Weltkrieg, beheben.
Eine Maßnahme die bis heute in der Sozialstruktur Deutschlands nachwirkt.
Gleichzeitig wurden politische Programme zur Erhöhung der Kinderzahlen
initiiert, deren Erfolg lediglich im kurzzeitigen Aussetzen des Negativtrends der
Fertilitätsrate zur Folge hatte.
Abbildung 5: Fertilitätsrate Deutschland von 1950 - 2008
Quelle: www.zdwa.de/cgi-bin/demodata/index.plx (08.07.2010)
Die gesetzten ökonomischen Anreize des Staates hatten daran jedoch wohl nur
wenig Anteil. Das ,,Wirtschaftswunder" in der BRD sorgte bei den Bürgern für
eine Zukunftssicherheit, positive Zukunftserwartungen und eine gestiegene
Erwartbarkeit in stabile Rahmenbedingungen. Diese psychologischen Effekte
führten dann zu früheren Erstlingsgeburten, einem Nachholen aufgeschobener
Kinderwünsche und zu Mehrfachgeburten in der Folgezeit. Es ist zu Vermuten,
dass die Fertilität auch ohne die staatlichen Anreize gestiegen beziehungsweise
stabil geblieben wäre, aufgrund der leicht verbesserten Rahmenbedingungen
dieser Zeit des wirtschaftlichen Aufschwungs. Dass Maßnahmen der Politik nur

Entscheidung zur Elternschaft 1
4
bedingten Einfluss auf die Entscheidung zur Elternschaft nehmen, zeigt zum einen
der schnelle Rückgang der Fertilitätsrate in den Zeiten von konjunkturellen Krisen
in den siebziger und achtziger Jahren und der Geburteneinbruch, besonders in
Ostdeutschland während der politischen Instabilität zur Zeit der
Wiedervereinigung.
Abbildung 6: Fertilitätsrate Deutschland von 1980 - 1999
Quelle: www.demoblography.blogspot.com/2007/06/tfrs-in-east-and-west-germany-1980-
1999.html (09.07.2010)
Die Fortschreibung des Trends bis heute und die Reaktionen der Fertilitätsrate auf
Wirtschaftskrisen und politische Instabilität spricht andererseits für die Tatsache,
dass die Entscheidung für Kinder auf der Individualebene getroffen wird. Die
Rahmenbedingungen für die Elternschaft sind deshalb weniger ökonomischer
Natur, sondern vielmehr ein Ergebnis individueller Einstellungen,
psychologischer Befindlichkeiten wie Sicherheits- und Zukunftsempfinden,
persönliche Zufriedenheit oder einer bestehenden Partnerschaft, soziale Normen
oder die aktuelle Lebenslaufphase.
15
Die staatlichen Rahmenbedingungen nehmen
über diese Individualbefindlichkeiten einen indirekten Einfluss auf die
Entscheidung zur Elternschaft, bilden aber nicht den Auslöser oder die
Initialisierung zur Elternschaft. Die ökonomischen Anreize, wie Kindergeld oder
Steuervergünstigungen, decken einerseits nicht die Gesamtkosten eines Kindes ab
und andererseits haben die gesellschaftlichen Normen und Wertvorstellungen
einen wesentlich dauerhafteren und direkteren Einfluss auf die Individuen.
15
Vgl.: Burkart, Günter (1992): ,,Liebe, Ehe, Elternschaft: Die Zukunft der Familie"

Entscheidung zur Elternschaft 1
5
Anhand der Reaktionen der unmittelbaren Umgebung werden sie mit diesen
Einstellungen als Eltern täglich konfrontiert. Die individuellen Erwartungen an
eine Elternschaft sowie die Einschätzungen bezüglich der Reaktionen gegenüber
Kindern und Familien spiegeln eine zunehmende neutrale Haltung und
Einstellung der Gesellschaft wieder. Wie zum Beispiel eine Erhebung des
Bundesinstitutes für Bevölkerungsforschung unter den 20- bis 49jährigen ergab.
Abbildung 1b: Gründe gegen (weitere) Kinder (Auszug aus Abbildung 1- im Anhang)
Quelle: www.bosch-stiftung.de/content/language1/downloads/kinderwunsch.pdf (06.07.2010)
Abbildung 7: Braucht eine Frau Kinder für ein erfülltes Leben?
Quelle: www.bosch-stiftung.de/content/language1/downloads/kinderwunsch.pdf (06.07.2010)

Entscheidung zur Elternschaft 1
6
Abbildung 8: Wie würde eine (weitere) Geburt Ihre Möglichkeiten, das zu tun, was sie
wollen, verändern?
Quelle: www.bosch-stiftung.de/content/language1/downloads/kinderwunsch.pdf (06.07.2010)
Abbildung 9: Wie würde ein (weiteres) Kind die Meinung anderer
Leute über Sie verändern?
Quelle: www.bosch-stiftung.de/content/language1/downloads/kinderwunsch.pdf (06.07.2010)

Entscheidung zur Elternschaft 1
7
Abbildung
10: Wie würde sich ein (weiteres) Kind auf ihre Lebensfreude und
Zufriedenheit verändern?
Quelle: www.bosch-stiftung.de/content/language1/downloads/kinderwunsch.pdf (06.07.2010)
Die Elternschaft ist nicht mehr fester Bestandteil der Lebensentwürfe junger
Erwachsener und umgekehrt hat die Akzeptanz von kinderlosen Paaren und
Frauen deutlich zugenommen. Dies hat dazu beigetragen, dass die normierende
Wirkung der traditionellen weiblichen Normalbiographie abnimmt und zu einer
Pluralisierung der Lebensentwürfe führt.
16
Den Entscheidungskonflikt zwischen
Familiengründung und beruflicher Karriere lösen Frauen immer öfter mit dem
Aufschub der Elternschaft und zugunsten attraktiverer Handlungsalternativen.
In Deutschland ist im Zusammenhang mit der Zukunft des Sozialstaates der
,,Generationenvertrag" eine konstante Erscheinung in der öffentlichen
Diskussion.
17
Der Wohlfahrtsstaat, mit den sozialpolitischen Errungenschaften
aus den Zeiten des wirtschaftlichen Booms, ist gefährdet. Das bestehende
Sozialstaatsmodell basiert in seiner Finanzierung der Rentenversicherungssysteme
und staatlichen Kranken- und Versorgungskassen auf einem Ausgleich zwischen
den Generationen. Das heißt, die jungen Arbeitskräfte und aktuellen
16
Vgl.: Schröder, Torsten (2007): ,,Geplante Kinderlosigkeit? Ein lebenslaufstheoretisches Ent-
scheidungsmodell"
17
Vgl.: Stehr, Nico et al (2005): ,,Demographie: Bewegungen einer Gesellschaft im Ruhestand"

Details

Seiten
Erscheinungsform
Erstausgabe
Jahr
2010
ISBN (PDF)
9783955499631
ISBN (Paperback)
9783955494636
Dateigröße
2.5 MB
Sprache
Deutsch
Institution / Hochschule
Universität Rostock
Erscheinungsdatum
2015 (Februar)
Note
1,5
Schlagworte
individualistische Gesellschaft Tradition Moderne RREEMM SEU Rational-Choice-Theorie
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