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Internet statt UKW: Bringt die Digitalisierung die Radio-Revolution?

©2010 Magisterarbeit 115 Seiten

Zusammenfassung

Dem Medium Radio wurden in der Vergangenheit mehrfach die Zukunftsperspektiven abgesprochen. Doch der Hörfunk widerstand der Konkurrenz durch Fernsehen und jegliche Form von Tonträgern bis dato weitestgehend. Nun kommt mit der Digitalisierung und dem Ausbau der Datenautobahnen eine ganze Reihe neuer Konkurrenzangebote auf den Markt: MP3-Player, Internetradios, personalisierte Online-Musikabspielstationen oder mobile WLAN-Radios für Auto, Arbeitsplatz und Haushalt, die Tausende von Internetsendern überall verfügbar machen.
Wird das Radio in Deutschland in seiner momentanen Grundstruktur Bestand haben? Oder steht dem kommerziell geprägten Massenradio-Markt eine Revolution bevor, in der Millionen von Hörern die konventionellen Sender vernachlässigen und sich neuen, digitalen Radioangeboten zuwenden? Wie werden die Hörer auf die neue Ubiquität des Internetradios und dessen enorme Programmvielfalt reagieren?
Die vorliegende Studie versucht, diese Kernfragen zu beantworten und mögliche Ursachen zu ergründen.

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis



1. Einleitung
Am 1. August 1981 startete der Musikfernsehsender MTV (Music Television) sein
amerikanisches Programm. Im ersten ausgestrahlten Musikvideo mit dem Titel
,,Video killed the radio star" besingt die britische Popgruppe ,,The Buggles" die
goldenen Zeiten des Radios, die von der gegenwärtigen Jugend nicht mehr
geschätzt würden. Keine zufällige Entscheidung: Als MTV die Erfolgsgeschichte
des Musikfernsehens begann, galt das Medium Radio einmal mehr als abgelöst.
Die gespielten Clips hatten wenige Jahre nach Sendestart für die Musikindustrie
das Radio als marketingstrategisches Instrument abgelöst, so groß war das
Interesse der Rezipienten. Len Epand, Chef der Plattenfirma Polygram Records
konstatierte Ende der 1980er-Jahre: ,,If you're not on MTV, to a large share of
consumers you just don't exist."
1
Der Einfluss des Radios auf den kommerziellen Erfolg eines Musiktitels fiel hinter
den Effekten eines Videoclips im Musikfernsehen zurück. Das Schicksal eines
Mediums soll hier freilich nicht lediglich an seiner marketingstrategischen Macht
gemessen werden.
1.1. ,,Video killed the radio star." ­ Tatsächlich?
Bereits rund 20 Jahre zuvor sahen die Zukunftsperspektiven des Mediums Radio
zunächst ungewiss aus: In den 60er-Jahren hatte das Fernsehen in den deut-
schen Wohnstuben Einzug gehalten. Das damals neue Medium bediente in der
Anfangsphase vor allem das Bedürfnis nach Unterhaltung und bebilderter Infor-
mation, das Radio bekam die Auswirkungen der neuen Konkurrenzsituation zu
spüren: Die Hauptaufmerksamkeit des Rezipienten verlagerte sich vom Ra-
dioempfänger zusehends zum Fernsehapparat. Bemerkbar machte sich dies vor
allem ­ und dies bis heute ­ in den Abendstunden. Der ,Fernsehschatten` stellte
sich ein. Das Phänomen beschreibt die Tatsache, dass die Radionutzung in den
Abendstunden hinter der Fernsehnutzung zurückbleibt.
2
In den folgenden Jahrzehnten kamen mit der Schallplatte, der Kassette, der CD
und der MiniDisc verschiedene Tonträger auf den Markt, die zumindest den
1
Denisoff, R.S. (1988): Inside MTV. New Brunswick. Zit. in Schmidt (1999): 105
2
vgl. Lenherr (2003): 19
1

Genuss von Musik vom Medium Radio entkoppelten. Sie veränderten nicht nur die
soziale Rezeptionssituation von Musikwerken, indem sie unabhängig von Ort und
Zeit erfahrbar wurden.
3
Sie machten auch ein Einschalten des Radiogerätes
obsolet, wenn man nur seine Lieblingsstücke hören wollte.
All diese unterschiedlichen, strukturellen Veränderungen der Rahmenbedingungen
haben dennoch Gemeinsamkeiten in Bezug auf ihre Auswirkungen auf das Radio:
Weder das Musikfernsehen im Speziellen noch das Fernsehen im Allgemeinen
noch die unterschiedlichen Tonträger haben das Medium Radio bis dato seiner
Existenz berauben können. Heute senden bundesweit rund 250 verschiedene
Stationen terrestrisch verbreitete Programme
4
, sie erreichen mehr als 93,5
Prozent aller Bundesbürger und EU-Ausländer in Deutschland.
5
Einige Funkhäu-
ser haben trotz des parallel existierenden Musikfernsehens durchaus Radio-
Persönlichkeiten, echte ,Radio Stars` also, hervorgebracht.
Nun soll es in dieser Arbeit jedoch nicht um die ,Radio Stars` im Sinne leibhaftiger
Persönlichkeiten gehen. Sie sind vielmehr als Metapher zu verstehen, die die
Epoche des erfolgreichen Massenradios symbolisiert, in der die Programmprodu-
zenten darauf abzielen, mit ihren Angeboten möglichst große Zielgruppen zu
erreichen, während individuelle Präferenzen der Hörer diesem Ziel bei der Pro-
grammierung untergeordnet werden.
In beiden Deutungsvarianten war die zu Beginn des MTV-Zeitalters geäußerte
These ,,Video killed the radio star" nicht zutreffend: Das Radio widerstand der
Konkurrenz durch Fernsehen und jegliche Form von Tonträgern bis dato weitest-
gehend, nicht zuletzt weil seine Programmstruktur an die veränderten Gegeben-
heiten und das veränderte Nutzungsverhalten angepasst wurde. Koch und Glaser
äußern die Einschätzung: ,,Gerade in seiner Wandlungsfähigkeit liegt wohl das
Geheimnis seines Überlebens und die prägende Kraft, die das Radio bis heute
und für viele Menschen immer noch und immer wieder besitzt."
6
Die Parameter
und zentralen Aspekte hinter dieser Wandlung und Anpassung werden in Kapitel 3
dieser Arbeit detaillierter erläutert.
Trotz seiner bewegten Geschichte erfreut sich der Hörfunk derzeit nach wie vor
einer großen Beliebtheit: Die durchschnittliche Verweildauer liegt in Deutschland
3
vgl. Friederici/Schulz/Stromeyer (2006): 122
4
vgl. Stadik (2007): 189
5
Montags-freitags, Deutsche und EU-Ausländer ab zehn Jahren. Angaben zum WHK (Weitester Hörerkreis)
laut AS&S (2009)
6
Koch/Glaser (2005): 2
2

im Sommer 2009 bei 239 Minuten pro Tag
7
, der durchschnittliche deutsche
Radiohörer (ab 14 Jahren, auch EU-Ausländer in Deutschland) lässt sein Radio
damit rund vier Stunden täglich eingeschaltet.
Aufgrund technischer Alleinstellungsmerkmale erwies sich das Radio in bestimm-
ten Alltagssituationen als resistent gegen seine Wettbewerber um die Gunst des
Rezipienten: Angesichts seiner Produktionsweise gilt es noch heute als das
aktuellste Medium in Bezug auf seine Inhalte. UKW-Sender liefern eine hohe
Klangqualität. Die Empfangsgeräte sind einfach zu bedienen. Und vor allem: Ihre
Nutzung erlaubt problemlose Mobilität ­ im Auto, zu Hause, am Arbeitsplatz. Im
Vergleich zu anderen Medien besitzt der Hörfunk damit Eigenschaften, die ihn
nicht einfach substituierbar machen.
Im globalen Kontext sollte noch eine Eigenschaft nicht unerwähnt bleiben, die der
Autor Jürg Häusermann in Kamerun bemerkte: ,,Hier ging es nicht darum, ein
Unterhaltungsprodukt auf den Markt zu werfen, sondern Kommunikationsformen
zu finden, die es ermöglichten, einen Bildungsauftrag optimal zu erfüllen. Radio
war da in Ansätzen ein Medium des Dialogs."
8
Zuvor beschreibt Häusermann, wie
das Radio dort via Mittel- oder Langwelle große Distanzen überwindet und
aufgrund des hohen Mobilitätsgrades bei Produktion und Rezeption beispielsweise
Bauern bei der Lösung technischer Probleme zur Seite steht. Bei Betrachtung des
Programmspektrums im deutschen Radiomarkt muss zwar konstatiert werden,
dass derartige Bildungsinhalte hierzulande nicht im Vordergrund stehen. Nichts
desto trotz bietet das Medium auch hier ein erhebliches Potenzial.
1.2. Neuartige Konkurrenz: Internetradio und seine Potenziale
Die Digitalisierung, also die fortschreitende Umstellung von analogen, physikali-
schen Speichermedien auf eine Speicherung von Signalen im Binärcode, und der
Ausbau der Breitbandnetze ebnete einer ganzen Reihe neuer Produktentwicklun-
gen den Weg, die mit dem Radio in medialer Konkurrenz stehen. Ihnen gemein ist
die technische Basis stark komprimierter Daten: Auf dem Dateiformat MP3
basierende Audiodateien sind klein und liefern doch eine hohe Klangqualität.
9
Die MP3-Technologie ermöglichte zunächst das Herunterladen und die Bereit-
7
AS&S (2009): 14
8
Häusermann (1998): 8
9
vgl. Fraunhofer-Institut für Integrierte Schaltungen (2009)
3

stellung von Musikdateien im Internet. In der Folge kamen zunächst Softwarepro-
gramme für den PC, später auch mobile Abspielgeräte auf den Markt. MP3-
Funktionalität boten hierbei anfangs einige DVD-Spieler, es folgten Stereoanlagen,
Autoradios und Mobiltelefone. Bereits im Jahr 2005 hatte rund jeder vierte Deut-
sche mindestens einen portablen MP3-Spieler in seinem Haushalt zur Verfügung,
besagt die Langzeitstudie Massenkommunikation.
10
Nun kam bzw. kommt auf Basis der MP3-Technologie im Rahmen der Digitalisie-
rung und des weiteren Ausbaus der Datenautobahnen eine ganze Reihe neuer
Hörfunkangebote neben dem terrestrischen (d.h. via Antenne empfangbaren)
Radio auf den Markt: Hardware-Internetradios, personalisierte Online-
Musikabspielstationen oder mobile WLAN-Radios für Auto, Arbeitsplatz und
Haushalt, die tausende von Internetsendern
11
überall verfügbar machen.
Bereits seit einigen Jahren existiert des Weiteren ein digitaler Verbreitungsweg,
der nicht auf das Internet zurückgreift: Bei Digital Audio Broadcasting (DAB) erfolgt
lediglich die Signalübertragung digital. Erwähnt sei an dieser Stelle auch in diesem
Zusammenhang das Digital Satellite Radio (DSR), dessen Betrieb die Deutsche
Telekom 1999 einstellte um die dafür verwandten Satellitenkapazitäten für die
analoge Fernsehübertragung nutzen zu können. Wie bei DAB erfolgte auch bei
DSR nur die Übertragung der Signale digital, eine größere Programmauswahl war
mit dem System nicht beabsichtigt, wenngleich einige Anbieter einzelne Stationen
ins Leben riefen, die zunächst nur über diesen Weg empfangbar waren (z.B.
MDR-Klassik, Rock-Antenne etc.).
12
In einer Studie des Medienberaters Jürgen
Bischoff zu den Perspektiven digitaler Hörfunkübertragung via DSR und DAB heißt
es: ,,Mit der Digitalisierung des Hörfunks werden vor allem folgende Ziele verfolgt:
Technische Qualitätsverbesserung, geringere Störanfälligkeit des Empfangs,
bessere Ausnutzung der Übertragungskapazitäten (Frequenzökonomie), kosten-
günstiger Sendernetzbetrieb, mobiler Empfang, Übertragung von Multimedia- und
Datendiensten."
13
Beide Systeme bieten im Vergleich zum klassischen UKW-Empfang, abgesehen
von der Klangqualität, nur geringen Mehrwert (geringe Senderauswahl, geringe
10
vgl. van Eimeren (2005): 492
11
vgl. Radio.de (2009)
12
vgl. Vowe / Will (2004): 17
13
vgl. Bischoff (2001): 4
4

Auswahl an verhältnismäßig teuren Endgeräten). Experten betrachten die DAB-
Technologie mittlerweile als gescheitert, darunter auch der Chef des hessischen
Privatsenders ,Hitradio FFH`:
14
,,Angesichts der Dynamik im Netz sieht FFH-
Geschäftsführer Hans-Dieter Hillmoth die Diskussion um digitales Radio via
DAB/DMB [Digital Mobile Broadcasting, ein Übertragungsstandard für Radio und
Fernsehen via Mobilfunk, Anm. d. Verf.] zunehmend als Nebenschauplatz.
Inzwischen ist das Internet für den Radiomanager längst tonangebend - auch weil
es bereits über einen weltweiten Standard verfügt und auf Millionen von Endgerä-
ten nutzbar ist."
15
Der Privatfunkverband VPRT, dessen Vorsitzender Hillmoth
auch ist, hat sich aus der Initiative zur Förderung von DAB in Deutschland zurück-
gezogen.
16
Die digitalen Verbreitungswege DAB und DSR stehen somit nicht im
Zentrum der Betrachtung bei dieser Arbeit.
Gleiches gilt für die Hörfunknutzung via DVB (Digital Video Broadcasting), was
auch die Übertragung von Radioprogrammen beinhalten kann. Die Differenzierung
im Rahmen dieser Arbeit soll anhand der Endgeräte erfolgen, wobei DVB-
Empfänger zumeist in Fernsehgeräte oder Computer integriert sind und deren
Nutzung als Endgeräte für Internetradio noch zur Sprache kommen wird. Die
Integration von DVB in Mobiltelefone wurde aufgrund des hohen Energiever-
brauchs der Empfangseinheit nur in sehr wenigen Handys realisiert, sodass diese
Option vernachlässigt werden kann.
Während das Abspielen von beim Endnutzer lokal gespeicherten, digitalen Daten
hier ebenfalls nicht im Fokus stehen soll, wird das Hauptaugenmerk auf der
Ausstrahlung von Radioprogrammen über den Verbreitungsweg Internet, primär
per Live Streaming liegen.
Zwar dürfte es dem Hörer weitestgehend gleichgültig sein, auf welchem Wege das
Programm zu ihm kommt. Doch bringen die digitalen Verbreitungswege einige
Neuerungen mit sich, die das digitale Radio via Internet zu einer neuartigen
Konkurrenz des heute erfolgreichen, konventionellen Massenradios werden
lassen: Sie blenden zunächst die in den Medien oft kritisierten Nachteile des
Massenradios (Werbung, geringe programmliche Vielfalt, Linearität bzw. Flüchtig-
14
vgl. Vowe / Will (2004): 21
15
Langheinrich (2009): 202
16
vgl. Bischoff (2001): 8
5

keit der vermittelten Informationen, inhaltliche Gleichförmigkeit, am Mehrheitsge-
schmack ausgerichtete Musikauswahl etc.)
17
für den einzelnen Hörer aus, bieten
dabei jedoch nach wie vor die oben erwähnten, klassischen Vorzüge des Mediums
­ und erweitern diese um ein breites Spektrum an neuen Angeboten. Sie ermögli-
chen ein verändertes Radionutzungsverhalten, indem sie dem Hörer den Zugang
zu einer immens großen Zahl von Diensten bzw. Stationen eröffnen, die, wie vom
konventionellen Hörfunk gewohnt, nahezu überall und ebenso intuitiv und pro-
blemlos genutzt werden können. Zudem erlauben sie die Mitgestaltung eines
virtuellen, multimedialen Raumes (z.B. einer Internet-Community) rund um das
eigentliche Radioangebot.
Anders als die übrige Konkurrenz, die bisher vor allem vom Fernsehen ausging,
stellt das Internetradio damit im technisch ausgereiften Stadium eine neuartige
Größe dar. Es bietet mehr individuelle Auswahlmöglichkeiten, da kein Frequenz-
band (das von UKW bekannte Spektrum zwischen 87,50 und 108,00 MHz) die
Zahl der empfangbaren Programme limitiert. Es bietet mehr programmliche
Vielfalt, da sich die Rentabilität (so sie denn intendiert wird) auch bei sehr ziel-
gruppenspezifischer Programmausrichtung überregional realisieren lässt, was die
Entstehung und den Betrieb von Spartensendern auf nationaler oder internationa-
ler (z.B. sprachraumgebundener) Ebene begünstigen könnte. Vom PC entkoppelte
Empfangsgeräte bieten einen mit dem UKW-Radio mindestens vergleichbaren
Bedienkomfort, da sie mit nur einem Tastendruck bedient werden können.
18
Auch
der räumlichen Verfügbarkeit sind ­ lässt man die Kosten für die Datenübertra-
gung zunächst einmal unberücksichtigt - aufgrund der Nutzung über drahtlose
UMTS-Breitbandnetze nur die Grenzen der Mobilfunknetzabdeckung (so genannte
Funklöcher, unerschlossene Gebiete) gesetzt. Diese Geräte bedienen mittlerweile
keine Nischenkundschaft mehr, sondern sie sind bereits im Sortiment großer
Lebensmittel- oder Elektronikdiscounter zu finden und damit ,,kurz davor, in
größeren Stückzahlen in die Haushalte einzuziehen."
19
17
vgl. Stock (2005)
18
vgl. z.B. BLAUPUNKT (2009)
19
Windgasse (2009): 129
6

1.3. Szenarien und Konsequenzen einer künftigen Hörfunknutzung
Der heute kommerziell geprägte Massenhörfunk hat sich mit dem Aufkommen des
Fernsehens vom klassischen Einschaltmedium zum Begleitmedium gewandelt.
,,Die meisten Radioprogramme sind mit ihren formatierten Musikprogrammen auf
Nebenbeinutzung und Massenkompatibilität hin angelegt."
20
Die Programmstruktu-
ren sind mehrheitlich Mittel zum Zweck um eine möglichst große Zielgruppe zu
erreichen, die sich ­ vor allem bei privaten Veranstaltern - in einer konsumfreudi-
gen Lebensphase befinden soll. Dabei kommt es also weniger darauf an, bei
einigen wenigen Hörern absolute Begeisterung hervorzurufen als vielmehr darauf,
möglichst vielen Hörern keine Abschaltimpulse zu liefern um so eine möglichst
hohe Verweildauer zu erreichen: ,,Die meisten Sender nehmen folglich mit ihrer
Entscheidung, Musikprogramme auf kleinstem gemeinsamen Komplexitätsniveau
zu entwerfen, eher in Kauf, Hörer zu langweilen, als sie zu überfordern. [...]
Letztlich nehmen die meisten Radiosender [...] an, dass ein geringes Maß an
Langeweile (durch zu viele bekannte Titel) weniger zum Umschalten auf einen
anderen Sender verleitet als ein geringes Maß an Überforderung (durch zu viele
unbekannte Titel)."
21
Diese Rechnung ging in Zeiten eines begrenzten deutschen
Radiomarktes auch auf, wie die Eckdaten zur aktuellen Radionutzung (Tages-
reichweite und Verweildauer)
22
belegen.
Mit der Digitalisierung und hier insbesondere der im Mittelpunkt dieser Arbeit
stehenden Verbreitung von Internetradio via Live Streaming über mobile Endge-
räte könnte sich die Hörfunknutzung jedoch grundlegend ändern: Wenn der Hörer
sein Internetradio einschaltet, hat er nicht mehr nur die über Antenne verfügbaren
Stationen zur Auswahl, die mit ihrer Programmstruktur auf den möglichst größten
gemeinsamen Nenner abzielen. Ihm steht nun auch eine immens große Zahl an
Spartenkanälen, so genannten Special Interest-Programmen und Regionalsen-
dern aus der ganzen Welt zur Verfügung ­ ohne dass vom Hörer eine grundsätzli-
che Veränderung der Rezeptionssituation verlangt würde, ohne dass ihm hohe
Kosten wie bei DAB entstünden und ohne dass er, wie beim gegenwärtigen
Massenradio, größere musikalische oder inhaltliche Kompromisse eingehen
müsste.
20
Schramm (2008a): 39
21
Schramm (2008b): 150
22
vgl. AS&S (2009)
7

Denkbar wäre angesichts einer enorm erweiterten Programmpalette demzufolge
eine Individualisierung der Hörfunknutzung, wobei der Nutzer eine spezifischere
Bedürfnisbefriedigung anstrebt als sie ihm beim konventionellen Massenradio
bekannter Prägung bislang möglich war. In der Konsequenz würden die Ein-
schaltquoten der bislang auf dem deutschen Markt dominanten Anstalten und
Senderketten Anteile zugunsten vieler zuvor nicht empfangbarer Internetradioka-
näle einbüßen.
23
In Anbetracht einer ohnehin angespannten wirtschaftlichen Lage
der Medienbranche
24
würden bereits geringe Quotenrückgänge bei einigen
Sendern zu existenziellen Problemen führen.
Insofern könnte die massenhafte Etablierung von Internetradio im Nutzungsver-
halten der Deutschen nicht nur wirtschaftliche Konsequenzen für die kommerziell
ausgerichteten Programme haben, sondern in weiterer, indirekter Folge auch eine
programmliche Umgestaltung des Radioangebotes - privat wie öffentlich-rechtlich -
nach sich ziehen.
Vorstellbar scheint jedoch ebenso eine weitere Zunahme der gesamten Radio-
Verweildauer, resultierend aus einer Addition von individualisierter Nutzung und
weiterhin konventioneller Massenradionutzung.
Grundsätzlich möglich wäre auch die Entstehung neuer Rezeptionssituationen
aufgrund veränderter Programmstrukturen. So wäre es theoretisch denkbar, dass
sich die Hörer wieder gezielt vor ihrem ­ wie auch immer gearteten - Radioemp-
fänger einfinden, um ein auf sie persönlich optimal abgestimmtes, zielgerichtetes
Programm zu genießen. Da die Hörfunknutzer jedoch bereits an die Ubiquität von
Radio generell gewohnt sind, bedürfte es dafür wohl einer zumindest partiellen
Rückverwandlung vom Begleitmedium zum Einschaltmedium, das die ungeteilte
Aufmerksamkeit des Hörers verlangt.
Wenngleich die Eintrittswahrscheinlichkeit der geschilderten Szenarien bis dato
wissenschaftlich nicht zielsicher prognostizierbar ist, sollen sie doch deutlich
machen, welch weitreichende Konsequenzen eine veränderte künftige Hörfun-
knutzung nach sich ziehen könnte.
Nach dem Aufkommen des Fernsehens könnte auch das Aufkommen der Internet-
Technologie in Verbindung mit der Hörfunknutzung wirtschaftliche Folgen für den
Radiomarkt und soziale Auswirkungen auf den Alltag vieler Menschen haben.
23
vgl. Goldhammer & Zerdick (1999): 275
24
vgl. Langheinrich (2009): 187
8

Vorstellbar wäre beispielsweise eine veränderte Aufgabenteilung unter den
aktuellen Medien und eine andere Form der Freizeitgestaltung oder des Musikge-
nusses.
1.4. Begründung der thematischen Relevanz
Dem Hörfunk darf als Medium mit Generationen überschreitender Tradition ein
signifikanter Beitrag zur öffentlichen Meinungsbildung in Deutschland zugeschrie-
ben werden. In ihrer ,Kulturgeschichte des Radios` beschreiben Hans Jürgen Koch
und Hermann Glaser, ,,wie [der Rundfunk] in der Zeit der Republik von Weimar zu
glanzvollem, auch umstrittenem Ansehen gelangte, im Dritten Reich zum ideologi-
schen Sprachrohr wurde und nach 1945 sich als Garant demokratischen Geistes,
im Osten jedoch als Teil des totalitären Regimes erwies."
25
Es sei zu erkennen,
dass ,,die kulturellen Strömungen und Tendenzen das Radio prägten und sich in
den Programmen spiegelten" und dass ,,das Radio ein maßgebender Faktor für
die kulturgeschichtliche Entwicklung wurde."
26
Diese Einflüsse und Wirkungen des Hörfunks beruhen auf der Tatsache, dass
dem Radio eine bestimmte Öffentlichkeit zu Teil wurde und noch heute wird. Die
Herstellung von öffentlicher Kommunikation durch ein Massenmedium bedarf
jedoch einer gewissen Reichweite, anderenfalls würde der Diskurs in der Bedeu-
tungslosigkeit untergehen. Bischoff prognostiziert aus Sicht des Jahres 2001, also
zu einem Zeitpunkt, als die Mobilfunktechnologie UMTS noch nicht etabliert war:
,,Das extrem aufgefächerte Angebot von zahlreichen Spezialkanälen weltweit führt
zu einer Individualisierung der Nutzung mit der Folge, dass die Relevanz von
Webradio für die öffentliche Meinungsbildung gegen Null tendiert."
27
Spannend ist
nun, wie sich die Sachlage verhält, wenn die aus damaliger Perspektive existenten
Hürden auf dem Weg zur massenhaften Nutzung (keine mobile Nutzung mangels
Endgeräten und Daten-Flatrates) verschwunden sind und ob diese Individualisie-
rung überhaupt in großem Stil eintreten wird.
Sollten die im Vorhergehenden angesprochenen neuen Technologien bei den
Rezipienten Anklang finden und sich der Markt im Rahmen einer Individualisierung
25
Koch/Glaser (2005): 2
26
Koch/Glaser (2005): 2
27
Bischoff (2001): 46
9

der Hörfunknutzung zunehmend fragmentieren, so ginge diese breite Öffentlichkeit
des Mediums Radio sukzessive verloren oder würde wenigstens in kleinerer
Dimension auf verschiedenen Stationen oder Plattformen stattfinden.
Relevanz darf der Thematik auch deshalb beigemessen werden, weil eine Indivi-
dualisierung der Hörfunknutzung große Teile der gegenwärtigen Radioindustrie
(wie die konventionellen Rundfunkanbieter und die Radiowerbung) nicht nur in
Deutschland vor neue Herausforderungen stellen würde: Eine Abkehr von den
derzeit dominanten Massenprogrammen dürfte sie mangels Werbefinanzierung in
Existenznöte bringen, sofern sie keine kommerziellen Eigenkonzepte entwickeln.
Nicht zuletzt ist das Radio für die Hörer ein relevantes Medium: Bereits angespro-
chen wurde die hohe tägliche Verweildauer. Ein weiterer Gradmesser ist die
Langzeitstudie Massenkommunikation, die den Hörfunk als zweitwichtigstes
Medium aus Rezipientenperspektive ausweist. ,,Mit der so genannten ,Inselfrage`,
für welches Medium man sich entscheiden würde, wenn man nur noch eines
behalten könnte, werden die Befragten gezwungen, die Medien nach ihrer persön-
lichen Wichtigkeit gegeneinander abzuwägen und in eine Rangreihe zu stellen.
Bei den Antworten auf diese Frage, die als Indikator für den alltäglichen Ge-
brauchswert des jeweiligen Mediums für den Einzelnen einschließlich des eigenen
Umgangs damit angesehen wird, steht in allen Wellen das Fernsehen an der
Spitze. Es ist bis heute das Medium, das die meisten Menschen auf die sprich-
wörtliche einsame Insel mitnehmen würden."
28
Auf Platz zwei erscheint bereits der
Hörfunk (s. Abb. 1).
Bemerkenswert hierbei ist, dass die Beliebtheit des Fernsehens als Antwort auf
diese Frage seit 1970 rückläufig ist, wohingegen Radio und Internet zulegen. Mit
der Konvergenz ebendieser beiden Medienbereiche befasst sich die vorliegende
Arbeit, die ergründen will, welche Perspektiven sich aus den neuen Nutzungsop-
tionen für den konventionellen Hörfunk ergeben.
28
van Eimeren (2005): 493
10

Abb. 1: Bindung an die Medien: Vermissen und Entscheidung in einer simulierten Grenzsituation
1970 bis 2005 (BRD gesamt, bis 1990 nur alte Bundesländer, Personen ab 14 Jahren in Prozent).
Quelle: van Eimeren (2005): 493
1.5. Fragestellung: Hat der konventionelle Hörfunk noch eine
Perspektive?
Wie eingangs geschildert, wurden dem Medium Radio in der Vergangenheit
mehrfach die Zukunftsperspektiven abgesprochen. Doch bislang widerstand der
Hörfunk der Konkurrenz durch Fernsehen und jegliche Form von Tonträgern
weitestgehend, wenn auch teilweise unter Adaption.
29
Die Digitalisierung und der Ausbau der Datennetze befördert nun eine ganze
Palette an technischen Wettbewerbern: Webradios, personalisierte Online-
Plattformen zum Abspielen von Musik oder portable WLAN-Radioempfänger für
den PKW, das Büro und die Wohnung, die tausende von Internetprogrammen
überall nutzbar machen. Mit fortschreitender Digitalisierung und der Etablierung
von Internetradio stehen den Rezipienten neue Optionen der Hörfunknutzung
offen.
Kernfrage dieser Arbeit ist, inwieweit sich die Hörgewohnheiten deutscher Radio-
hörer vor dem Hintergrund dieser technischen Innovationen hauptsächlich im
Zusammenspiel von Digitalisierung und Internetangeboten ändern. Konkret liegt
29
vgl. Lenherr (2003): 19 f.
11

das Augenmerk dabei auf der Konvergenz von Audiomedien mit stationären oder
mobilen digitalen Endgeräten via Internet.
Ziel ist es, den aktuellen wissenschaftlichen Stand der Forschung zum Mediennut-
zungsverhalten, hierbei insbesondere der Hörfunknutzung, kritisch zu präsentieren
und durch eine Betrachtung der Potenziale der neuen digitalen Verbreitungswege
und Endgeräte eine Analyse darüber zu liefern, welche Perspektiven sich künftig
für den deutschen Radiomarkt ergeben. Es wird überprüft, inwieweit Individualisie-
rungstendenzen bei der Radionutzung (Aufspaltung des Hörfunkkonsums auf eine
größere Anzahl von Stationen) zu erwarten sind und ob die Komplexität der neuen
digitalen Radiowelt für den Nutzer handhabbar sein wird. Somit soll eine Einschät-
zung darüber angeboten werden, welche Effekte die digitale Hörfunknutzung auf
das Hörverhalten der Radio-Rezipienten in Deutschland haben wird.
Wird das Radio in Deutschland in seiner momentanen Grundstruktur Bestand
haben? Oder steht dem kommerziell geprägten Massenradio-Markt eine Revoluti-
on bevor, in der Millionen von Hörern die konventionellen Sender vernachlässigen
und sich neuen, digitalen Radioangeboten zuwenden? Wie werden die Hörer auf
die neue Ubiquität des Internetradios und dessen enorme Programmvielfalt
reagieren? Diese Magisterarbeit wird diese Fragen beantworten und die Ursachen
ergründen.
Dabei gilt, dass die hier untersuchten neuen, digitalen Verbreitungswege nur einen
Faktor in einem ganzen Bouquet an Einflüssen darstellen, die auf die Hörfunknut-
zung einwirken. So liegt beispielsweise die Betrachtung von veränderten Famili-
enstrukturen, Lebensstilen sowie Modellen der Freizeitgestaltung und deren
Auswirkungen auf die Hörfunknutzung nicht im Fokus dieser Arbeit. Unter Berück-
sichtigung dessen, dass diese Arbeit im Fazit Handlungsempfehlungen für
Radiomacher geben will, kommt hinzu, dass diese Faktoren von den Radioma-
chern weniger beeinflussbar sind. Außerdem erscheint mir die Einschränkung auf
den Faktor ,digitale Verbreitungswege` unumgänglich, da anderenfalls auch der
theoretische Erklärungsrahmen deutlich ausgeweitet werden müsste.
12

1.6. Vorgehensweise / Aufbau dieser Arbeit
Das Erkenntnisinteresse leitend ist die Frage, ob und wieweit zu erwarten ist, dass
sich die bisherigen Rezipienten mit ihrem über viele Jahre gefestigten Hörverhal-
ten der relativen Neuheit Internetradio in naher Zukunft massenhaft öffnen und auf
ihre neuen technischen Nutzungsoptionen zurückgreifen werden.
Um hier zu einem Ergebnis zu kommen und eine Einschätzung über die künftige
Entwicklung abgeben zu können, werde ich den wissenschaftlichen Stand der
existierenden Literatur zu relevanten Aspekten dieses Themas auswerten und
diesen mit Daten der Markt- und Medienforschung zum Hörfunk korrelieren.
So stelle ich im Rahmen einer Sekundäranalyse die wissenschaftlichen Erkennt-
nisse aus der Hörerforschung zur gegenwärtigen Nutzung des Mediums Radio auf
der einen Seite den Potenzialen und Eigenschaften der betrachteten neuen
Medien und deren Diensten auf der anderen Seite gegenüber. Die daraus abge-
leiteten Schlussfolgerungen untersuche ich anschließend daraufhin, ob die
erwartete Entwicklung als ein Individualisierungsphänomen betrachtet werden
kann oder nicht. Des Weiteren eruiere ich unter Berücksichtigung der Komplexi-
tätsreduktion, ob die Hörer die vorausgesetzte Entscheidungskompetenz bei der
künftigen Radionutzung mitbringen oder ob sie ihr Radio - um Komplexität zu
reduzieren - auch künftig auf ihre altbekannten Sender justieren werden. Eine
exakte Klärung des Begriffes der Komplexität im Sinne dieser Arbeit lehnt sich an
die Definition Niklas Luhmanns an und wird in Kapitel 5.2. geliefert.
Die Struktur der vorliegenden Arbeit, die sich damit dem Bereich der Technikfol-
genabschätzung zuordnen lässt, gliedert sich wie folgt:
Kapitel zwei widmet sich zunächst der Begriffsklärung und der Definition zentraler
Aspekte des Hörfunks. Geschildert wird die programmliche Entwicklung in der
Bundesrepublik angesichts des Aufkommens der Fernsehkonkurrenz bis hin zum
gegenwärtigen Erscheinungsbild des Mediums. Es folgen Ausführungen über die
Hintergründe und Parameter dieses Prozesses und seine Konsequenzen, die sich
in einem bundesweit recht homogenen Programmangebot niederschlagen.
Anschließend werden wichtige Erkenntnisse der Hörerforschung zusammenge-
fasst, da sie als Grundlage für das Verständnis der Relevanz dieser Arbeit zu
betrachten sind. Außerdem ist gerade bei der Beschäftigung mit neuartiger
Konkurrenz des Hörfunks von Belang, aus welchen Motivationen heraus in
13

Deutschland Radio gehört wird. So werden unter Berufung auf eine empirische
Studie auch die Vorstellungen der Hörer von ,ihrem` Idealradio geschildert.
Kapitel drei beschreibt die Reaktionen von Hörfunk und Hörern auf unterschiedli-
che mediale Konkurrenz in Vergangenheit und Gegenwart. Hier werden ferner die
aktuellen Erscheinungsformen von Internetradio und Onlinediensten beschrieben,
gegeneinander abgegrenzt und ihr Potential abgeschätzt. Aufgezeigt werden die
technische Infrastruktur und die wesentlichen strukturellen Unterschiede zum
konventionellen Radio unter Betrachtung des Marktes und der jeweiligen Nut-
zungsweise.
In Kapitel vier befasst sich diese Arbeit mit den Ergebnissen der wichtigsten
empirischen Studien in Bezug auf die betrachteten neuen Technologien und den
aktuell beobachtbaren Auswirkungen auf die Hörfunknutzung.
Kapitel fünf konfrontiert Hypothese 1 und Hypothese 2. Zunächst wird die Hypo-
these 1, das konventionelle Massenradio sei existenziell bedroht, mit Argumenten
und Erkenntnissen der Individualisierungstheorie hinterlegt. Es folgt eine Klärung
der Hintergründe und Eigenschaften von Individualisierungstendenzen. Anschlie-
ßend folgt die Argumentation der Komplexitätsreduktion, mit der die Hypothese 2
verteidigt wird, wonach das konventionelle Massenradio trotz des Aufkommens
von Internetradio und Onlinediensten fortbestehen wird.
Das letzte Textkapitel zieht schließlich ein Fazit, beschreibt die sich vollziehenden
Reaktionen auf den technischen Wandel im Hörfunk und beantwortet die For-
schungsfrage. Schließlich wird die Arbeit einen Ausblick geben auf die Zukunft des
Mediums. Wie eingangs erwähnt, brachten in der Vergangenheit weder das
Fernsehen noch verschiedene Tonträger das Radio um die Existenz, obgleich
diese Innovationen mithin erheblichen Einfluss auf die Radionutzung ausübten.
Um die Einflüsse der Digitalisierung auf die Hörfunknutzung wissend, wird die
Arbeit zum Abschluss Auswege aus dem entstandenen Dilemma für die konven-
tionellen Programmmacher aufzeigen.
1.7. Zu Grunde liegendes empirisches Material
Nicht zuletzt aufgrund des kommerziellen Interesses der Werbung treibenden
Industrie ist die Hörfunknutzung ein wissenschaftlich gut erforschtes Gebiet. Da
die Einschaltquoten die erzielbaren Erlöse aus der Werbezeitenvermarktung
determinieren, gelten die im Rahmen der so genannten Media-Analyse erhobenen
14

Nutzungsdaten als entscheidende ,Währung` im Radiogeschäft. ,,Die Media-
Analyse ist die wichtigste und größte Studie zur Bestimmung und Bewertung des
Werbeträgerangebots in Deutschland. Sie stellt derzeit die Leitwährung für die
Pressemedien und den Hörfunk dar und macht die Werbeträgerleistung auch
zwischen den Mediengattungen vergleichbar."
30
Die Daten geben in jährlich zwei
Wellen detailliert Auskunft über die Uhrzeit und den oder die jeweils zu diesem
Zeitpunkt gehörten Sender. Darüber hinaus erfassen die Interviewer eine Reihe
von demographischen Daten.
31
In Anbetracht der öffentlichen Debatte um die
Höhe der Rundfunkgebühren orientieren sich dabei längst nicht mehr nur kom-
merzielle Programmanbieter an den Hörerzahlen der Media-Analyse.
32
,,Die
Arbeitsgemeinschaft Media-Analyse e.V. (ag.ma) ist ein Zusammenschluss von
rund 260 der bedeutendsten Unternehmen der Werbe- und Medienwirtschaft mit
dem Ziel der Erforschung der Massenkommunikation. Sie ermittelt regelmäßig das
Radionutzungsverhalten in Deutschland. Durch die ermittelten Reichweitendaten
erfahren die privaten und öffentlich-rechtlichen Radiosender, wie viele Hörer
welche ihrer Programme verfolgen. Für die Werbewirtschaft sind die ma-Daten die
Grundlage für ihre Mediaplanungsstrategien und damit letztlich für die Verteilung
der Werbegelder. Mit den Daten der Media-Analyse wird im Konsens aller Betei-
ligten die Werbewährung in Deutschland bereitgestellt."
33
Die Langzeitstudie Massenkommunikation ergänzt die Angaben zur konkreten
Programmnutzung beim Radio um Daten zur generellen Nutzung unterschiedli-
cher Medien, seit dessen Aufkommen auch die des Internets.
34
Somit lässt sich
die Hörfunknutzung in Beziehung zur generellen Internetnutzung setzen.
Spezifische Informationen zu den unterschiedlichen Tätigkeiten im Internet liefert
die ARD/ZDF-Onlinestudie. Sie gibt beispielsweise auch Aufschluss darüber, wer
in Deutschland wie viel Radio via Live Streaming hört.
35
Besonders konkret hat die WDR-Webradiostudie 2007/2008 die Erfahrungen und
Nutzungsformen erfragt, die die Interviewten der Stichprobe mit WLAN-
Internetradios in ihrem eigenen Haushalt gemacht haben. Eine ebenso große
Kontrollgruppe gab hierbei Auskunft über ihre Webradio-Nutzung über den
30
Mai (2008): 87
31
vgl. Arbeitsgemeinschaft Media-Analyse e.V. (ag.ma) (2007a): 6f.
32
vgl. Brünjes/Wenger (1998): 35f.
33
vgl. Arbeitsgemeinschaft Media-Analyse eV. (ag.ma) (2009a)
34
vgl. Reitze (2006)
35
vgl. van Eimeren (2009): 353
15

herkömmlichen PC, sodass sich die Effekte einer Verbreitung von WLAN-Radios
an den Ergebnissen dieser Erhebung ablesen lassen.
36
Durch Interpretation und Auswertung der genannten Studien kann sich diese
Literaturarbeit mit Hilfe einer Sekundäranalyse die Ergebnisse zu Nutze machen,
ohne selbst ins Feld zu gehen. Zöge man dies in Betracht, so wäre vor allem eine
Wiederholung oder Erweiterung der letztgenannten WDR-Webradiostudie auf
repräsentativem Niveau erstrebenswert, da diese die Fragestellung dieser Arbeit
im Kern berührt. Dies erscheint jedoch angesichts eines limitierten Bearbeitungs-
zeitraumes und ebenso begrenzter finanzieller Möglichkeiten im Rahmen einer
Magisterarbeit nicht realisierbar. Auch ist zu berücksichtigen, dass die massen-
hafte Verbreitung der präsentierten Endgeräte zum mobilen Radioempfang via
Internet derzeit noch im Gange ist und sich die Konsequenzen dieser Technologie
auf die Hörfunknutzung wohl erst in fünf bis zehn Jahren empirisch nachweisen
lassen werden.
36
vgl. Windgasse (2009): 136
16

2. Radio in Deutschland
Um die Relevanz der potenziellen Veränderungen in der Hörfunknutzung einord-
nen zu können, sei an dieser Stelle noch vor dem Blick auf theoretische Gerüste
zur Erklärung der auftretenden Phänomene die grundsätzliche Struktur des
Radiomarktes, seiner Produktionsweise und seiner Nutzungsparameter dargelegt.
2.1. Der konventionelle Radio-Begriff
Das Radio gilt als erstes elektronisches Massenmedium und es verbreitet in seiner
originären Form per Definition rein akustische Botschaften.
37
Der Oberbegriff des
Rundfunks wiederum bezieht auch visuelle Informationen mit ein. So legt der
Rundfunkstaatsvertrag von 1991 fest: ,,Rundfunk ist die für die Allgemeinheit
bestimmte Veranstaltung und Verbreitung von Darbietungen aller Art in Wort, in
Ton und in Bild unter Benutzung elektrischer Schwingungen ohne Verbindungs-
leitung oder längs oder mittels eines Leiters."
38
Ferner schließt diese Definition
auch die Einschränkung der Allgemeinheit ein, beispielsweise für Pay-TV oder
Pay-Radio-Dienste. Der Rundfunkstaatsvertrag wurde zwar mittlerweile überar-
beitet, dieser Part jedoch nicht verändert.
Im Wesentlichen beteiligen sich drei Parteien an diesem Kommunikationsprozess
des Rundfunks: ein Akteur (hier: Gegenstand der Berichterstattung), ein Rezipient
(hier: Hörer) und ein Kommunikator (hier: Sender).
39
Um erfolgreich Öffentlichkeit
herzustellen, müssen die Akteure das Interesse des Publikums gewinnen, was die
Kommunikatoren durch verschiedene journalistische und programmgestalterische
Maßnahmen zu realisieren versuchen, so sie der Thematik oder Botschaft denn
Relevanz beimessen oder verleihen müssen (z.B. Werbung).
40
Seiner ursprünglichen Bedeutung nach sendet der Rundfunk ein Programm an
viele Hörer oder Zuschauer gleichzeitig aus, was einen unidirektional gerichteten
Prozess beschreibt. Dies wurde vielfach kritisiert. Erinnert sei an dieser Stelle nur
exemplarisch an Bertolt Brechts Einwände, wonach der Rundfunk vom Distributi-
ons- zum Kommunikationsapparat werden müsse: ,,Der Rundfunk wäre der
37
vgl. Häusermann (1998): 1
38
Zit. in Häusermann (1998): 2
39
vgl. Häusermann (1998): 3
40
vgl. Gerhards (2002): 133
17

denkbar großartigste Kommunikationsapparat des öffentlichen Lebens, ein
ungeheures Kanalsystem, das heißt, er wäre es, wenn er es verstünde, nicht nur
auszusenden, sondern auch zu empfangen, also den Zuhörer nicht nur hören,
sondern auch sprechen zu machen und ihn nicht zu isolieren, sondern ihn in
Beziehung zu setzen. Der Rundfunk müsste demnach aus dem Lieferantentum
herausgehen und den Hörer als Lieferanten organisieren. [...] Der Rundfunk muss
den Austausch ermöglichen."
41
Dennoch leistete bis dato auch die Etablierung
privatwirtschaftlich veranstalteter Programme der Unidirektionalität des Hörfunks
weiter Vorschub, da sie Werbebotschaften mit möglichst geringem Aufwand an ein
möglichst großes Publikum zu verbreiten versuchen.
Während die Herstellung von Öffentlichkeit und Diskursivität der Inhalte bei den
öffentlich-rechtlichen Sendeanstalten in der Bundesrepublik zum Programmauftrag
gehört
42
, folgen privatwirtschaftlich organisierte Programmveranstalter in erster
Linie der Profitorientierung und finanzieren sich nahezu vollständig aus Wer-
bung.
43
Mit der Konkurrenz durch das Fernsehen, spätestens jedoch mit der
Konkurrenz durch private Anbieter im Rahmen der Etablierung des dualen
Rundfunksystems wird erkennbar, dass sich die Programmierung von Hörfunkan-
geboten mehr und mehr am Medienalltag der Menschen orientiert, wobei letzterer
natürlich auch reziprok auf die Programmierung zurückwirkt. Die Einschaltquote
spielt seither hauptsächlich, wenn auch nicht ausschließlich bei den Privatsendern
eine maßgebliche Rolle für die inhaltliche Ausrichtung und Programmgestaltung.
Nicht zuletzt aufgrund dessen betrachte ich in Anlehnung an die institutionelle
Nutzungsforschung das Hörfunkpublikum im Rahmen dieser Arbeit nicht als
Masse sondern als Markt. Der Begriff findet in der Nutzungsforschung durchge-
hend Verwendung und trägt der Tatsache Rechnung, dass die innere Struktur der
Hörerschaft hauptsächlich aufgrund von sozioökonomischen Daten wie Einkom-
men oder Konsummuster kategorisiert wird. ,,Die gesamte Hörerschaft stellt einen
,Kuchen` dar, von dem sich das einzelne Programm ein möglichst großes Stück
abschneidet. Ein Kommunikator, der auf die Zusammensetzung eines Kuchen-
stücks Einfluss nehmen will, spricht von der ,Zielgruppe`."
44
Schließlich bietet auch
41
Brecht (1932): 129
42
vgl. Brünjes (1998): 25
43
vgl. Albert (2007): 320
44
Häusermann (1998): 46
18

der Hörfunk ein Produkt an: Die Aufmerksamkeit seiner Hörer wird zur kommer-
ziellen Nutzung an die werbetreibende Industrie weitervermittelt. Gleichzeitig
stehen auch die Sender selbst gegenseitig in einem Konkurrenzverhältnis um die
Gunst des Hörers. Dieser Sachverhalt beschreibt die Marktsituation im Sinne
dieser Arbeit.
Zur Konventionalität des Hörfunks gehört somit das Streben der Programmanbie-
ter nach Resonanz bei einer möglichst großen und homogenen (Massenpro-
gramme), wenigstens aber bei einer spezialisierten Zielgruppe mit bestimmten
Interessen (Spartenprogramme). Funktionell zeichnet sich das konventionelle
Radio der Gegenwart aus durch eine unkomplizierte Bedienung seiner Endgeräte,
einen hohen Professionalisierungsgrad bei der Produktion und häufig eine
programmliche Ausrichtung auf die Nebenbeinutzung. Weitere Charakteristika des
konventionellen Hörfunks finden in den folgenden Absätzen Erwähnung.
Im Gegensatz zum konventionellen Radio sehe ich im Rahmen dieser Arbeit
Radioprogramme, deren Programmkonzept auf einen neuen Distributionsweg
oder eine Nutzung über andere Endgeräte als den klassischen UKW-Empfänger
abzielt und die somit auch andere Nutzungsparameter aufweisen. Dies können
beispielsweise sehr spezielle Spartenprogramme oder auf konventionellem Wege
nicht lizenzfähige Angebote sein.
2.2. Programmentwicklung vom Vollprogramm zum Formatradio
Vor rund 40 Jahren waren Hörfunkprogramme in der Bundesrepublik gekenn-
zeichnet von einer hohen inhaltlichen Binnenpluralität, Brünjes und Wenger (1998)
sprechen auch von ,,Kästchenradios"
45
, da diese beispielsweise alle Mitglieder
einer Familie ansprachen ­ dann jedoch immer nur für den begrenzten Zeitraum
einer jeweiligen Spezialsendung: ,,Durchgängige Musikformate existierten nicht,
Jugend musiziert, die amerikanische Hitparade, Musik aus der guten alten Zeit
und eine Stunde russische Folklore hatten nacheinander Platz in ein und demsel-
ben Programm."
46
Brünjes und Wenger liefern damit eine brauchbare Definition
des Begriffes Einschaltmedium, der im Kontrast zum Nebenbeimedium steht,
45
Brünjes (1998): 11
46
Brünjes (1998): 11
19

essen Nutzung eben nicht exklusiv, sondern zeitgleich mit anderen Tätigkeiten
(Essen, Bügeln, Autofahren etc.) erfolgt.
Zurückzuführen ist diese Tatsache auf die damalige Auslegung des Programm-
auftrages, wonach die Sicherung und Bereitstellung größtmöglicher publizistischer
Vielfalt mit den Mitteln Bildung, Information, Beratung und Unterhaltung in jedem
einzelnen Programm erfüllt sein sollte (Binnenpluralismus). ,,Das heißt, das
gesamte Programmangebot eines öffentlich-rechtlichen Rundfunksenders muss
nach den genannten Kriterien umfassend und ausgewogen sein. [...] Für jeden
Hörer ein Sendungshäppchen, aber für keinen sein komplettes Lieblingsmenü."
47
Es war der Versuch, unterschiedliche Zielgruppen zu unterschiedlichen Zeitpunk-
ten zum Einschalten ein und desselben Senders zu bewegen.
Grundlage für die Formulierung eines Programmauftrages für den öffentlich-
rechtlichen Rundfunk, festgeschrieben im Grundgesetz, waren die Erfahrungen
aus dem Zweiten Weltkrieg, wo die Nationalsozialisten den Hörfunk vor allem mit
Hilfe des so genannten Volksempfängers als wirkungsvolles Propagandainstru-
ment einsetzten. Ziel der Siegermächte war es, eine Wiederholung dessen mit
allen Mitteln zu verhindern. Da ein kommerzielles System aufgrund der wirtschaft-
lichen Lage im Nachkriegsdeutschland nicht realisierbar schien, entschieden sich
die Alliierten für die Einführung eines öffentlichen Rundfunks nach dem Vorbild der
britischen BBC, wenngleich die junge Bundesrepublik die Rundfunkhoheit dezen-
tral den einzelnen Bundesländern zugestand ­ anders als im zentralistischen
britischen System.
Für das Festhalten am Prinzip des so genannten ,Kästchenradios` sind im We-
sentlichen zwei Gründe verantwortlich: Das Fehlen kommerzieller Konkurrenz und
die Tatsache, dass das Radio zu dieser Zeit ein Einschaltmedium war.
48
Als zu
Beginn der 1970er-Jahre in den meisten deutschen Haushalten ein Fernsehgerät
Einzug gehalten hatte, übernahm das Fernsehen die journalistische Vorherrschaft,
da es mit Bild und Ton zwei Sinne gleichzeitig anzusprechen vermochte - und der
Hörfunk verlor vor allem in den Abendstunden massenhaft Hörer an das Fernse-
hen. Der bereits eingangs erwähnte so genannte ,,Fernsehschatten" manifestierte
sich: ,,Spätestens der Gong der Tagesschau markierte den ,Knockout` fürs Radio.
Seine Stunden hingegen schlugen und schlagen immer noch morgens."
49
47
Brünjes (1998): 13
48
vgl. Brünjes (1998): 14f.
49
Brünjes (1998): 14
20

In Folge dessen reagierten öffentlich-rechtliche Programmacher und brachen die
starren Strukturen ihrer ,Kästchenradios` auf: Magazinsendungen sollten für jeden
etwas bieten, gleichzeitig eine leichtere Durchhörbarkeit ermöglichen und so
Angebote liefern, die das Fernsehen nicht liefern konnte. Indem sie die populären
Programme derart umgestalteten, zogen die Verantwortlichen Konsequenzen aus
der Tatsache, dass sich das Radio vom Einschalt- zum Nebenbeimedium entwik-
kelt hatte. Vor allem die Anfang der 1970er-Jahre eingeführten Pop- und Service-
wellen (allen voran Bayern 3, hr3, SWF3, es folgten NDR 2, WDR 2 und SDR 3)
ließen die Hördauer von 104 Minuten täglich (1971) auf 137 Minuten täglich (1974)
wieder deutlich ansteigen. Sie charakterisierte bereits eine bestimmte Musikfarbe
(Pop), häufig wiederkehrende Serviceelemente wie Wetter- oder Verkehrsinforma-
tionen und stündliche Nachrichten.
50
1981 schuf das Bundesverfassungsgericht das rechtliche Fundament für die
Einführung privaten Rundfunks in Deutschland und damit das duale Rundfunksy-
stem. Fortan war es privaten Veranstaltern gestattet, innerhalb bestimmter
Regularien kommerzielle Programme anzubieten, wie es Verlage und Investoren
sich gewünscht hatten. Die Richter setzten bei ihrem Urteil jedoch eine öffentlich-
rechtliche Grundversorgung voraus, die es den Privaten gestattet, diese Anforde-
rungen zu vernachlässigen und lediglich Außenpluralität zu schaffen, also Vielfalt
auch durch mehrere, unterschiedlich spezialisierte Spartenprogramme entstehen
zu lassen. Dabei könne jeder einzelne Sender durchaus einseitige Angebote
machen. Eine erweiterte Bandbreite im UKW-Spektrum sowie die aufkommende
Satellitentechnik und die Verbreitung von Kabelanschlüssen boten die technischen
Voraussetzungen für die Einführung privaten Rundfunks.
Der kommerzielle Erfolg eines Radiosenders hängt fast ausschließlich (von
Zuschüssen der Landesmedienanstalten abgesehen) vom generierten Werbeum-
satz ab. Die werbetreibende Industrie wiederum berücksichtigt bei der Vergabe
ihrer Werbeetats besonders die angesprochenen Zielgruppen der jeweiligen
Sender. Nationale Werbekunden zielen demnach mit ihren Botschaften fast
ausschließlich auf Personen zwischen 20 und 49 Jahren ab. Diese werberelevante
Zielgruppe der Radiohörer zeichnet sich, so hofft die Werbung, einerseits durch
50
vgl. Brünjes (1998): 14f.
21

einen gewissen materiellen Wohlstand aus, andererseits jedoch auch dadurch,
dass sie bei der Kaufentscheidung noch offen ist für neue Produkte, also noch
nicht so konservativ eingestellt ist wie ältere Menschen.
51
Folglich versucht man
durch die Programmierung eines Senders eine bestimmte Zielgruppe möglichst
lange an einen bestimmten Sender zu binden, indem man dem Sender ein
bestimmtes Format verleiht. Um zu der Metapher des Kuchenstücks zurückzukeh-
ren: ,,Erst wenn zu viele Sender ein Stück vom ,Kuchen` der am meisten umwor-
benen Zielgruppe wollen, wenn die ,Kuchenstücke` also klein und unrentabel sind,
dann werden einzelne Sender auf bisher nicht oder zu wenig bediente Hörminder-
heiten ausweichen."
52
Da auch öffentlich-rechtliche Anbieter ihren Teil des ,Kuchens` beanspruchen, um
einerseits Werbeeinnahmen zu erzielen und andererseits nicht dem Vorwurf
ausgesetzt zu sein, Programme nur für eine Minderheit der Gebührenzahler zu
machen, haben die ARD-Anstalten (angefangen mit der Einführung der Pop- und
Servicewellen) ihre Programme inhaltlich homogener gestaltet und schärfer
gegeneinander abgegrenzt. Fortan war die so genannte Durchhörbarkeit das
entscheidende Kriterium bei der Gestaltung von streng auf Zielgruppen und
Hörertypen zugeschnittenen Programmen. Diese inhaltliche, in erster Linie jedoch
musikalische Standardisierung eines Hörfunkprogramms wird als Formatierung
bezeichnet.
2.3. Programmgestaltung und Zielgruppenausrichtung im Formatradio
Da die Privatsender primär die Wünsche der Werbung treibenden Industrie und
erst sekundär die ihrer Hörer zu befriedigen suchen, richtet sich auch die Pro-
grammgestaltung danach aus, mit welchen Inhalten, vor allem aber mit welcher
Musik sich die anvisierte Zielgruppe am besten ansprechen lässt.
Dabei legen die großen Radiovermarkter RMS (Radio Marketing Services) und
AS&S (ARD Sales & Services) Wert auf ein einheitliches Programmumfeld für die
zu platzierenden Werbespots. Auf dieser Zielsetzung beruht das Konzept der
Formatierung.
Schramm und Hofer (2008c) untergliedern das Programmangebot in Deutschland
in drei Formen von Programmformaten: Informationsformate (z.B. Nachrichten-
51
vgl. Brünjes (1998): 23
52
Brünjes (1998): 23
22

programme), Full Service-Formate (z.B. das weiter unten erläuterte MOR-Format
mit Musik und relativ hohem Wortanteil) sowie musikbasierte Formate. Da die
Musik das charakteristischste Distinktionselement ist und auch als wichtigstes
Einschaltkriterium seitens der Hörer gilt
53
, ist die letzte Gruppe besonders stark
ausdifferenziert.
Sieben wesentliche musikbasierte Formate finden sich demnach auf dem deut-
schen Markt.
AC (Adult Contemporary) liefert melodiöse Pop- und Rockmusik der letzten
Jahrzehnte (typische Interpreten: Phil Collins, Madonna, Kelly Clarkson) und zielt
als massenattraktives Programm voll auf die werberelevante Zielgruppe der 14-
49-Jährigen und ist damit das in Deutschland erfolgreichste Radioformat
54
. Da die
Definition ,,erwachsen und zeitgemäß" breiten Spielraum lässt, finden sich zahlrei-
che weitere Unterformate wie Soft AC, Hot AC, Oldie AC, German AC u.a.
Insgesamt setzen laut den Landesmedienanstalten 56,9 Prozent der deutschen
Privatradios auf AC
55
. Als Hauptgrund für den Erfolg des Formates nennt Stack
(2008) die Größe der Zielgruppe, da AC den Geschmack besonders vieler
Radiohörer treffe
56
.
CHR (Contemporary Hit Radio) wendet sich mit einer engen Rotation sehr
aktueller Titel (typische Interpreten: jeweils nach Platzierung in den Verkaufshitpa-
raden) an die jugendliche Zielgruppe im Alter von 14 bis 24 Jahren. 19,4 Prozent
der deutschen Privatsender waren 2006 CHR-formatiert
57
. Auch CHR lässt sich in
weitere Subformate weiter untergliedern. Zu nennen wären exemplarisch Dance
Oriented CHR, Rock Oriented CHR oder Euro Based CHR
58
.
UC (Urban Contemporary) zielt mit, wörtlich übersetzt ,städtisch zeitgemäßer
Musik`, also einer großen Bandbreite von Soul über RnB bis House und Techno
(typische Interpreten: James Brown, Puff Daddy, David Guetta) auf ein jüngeres
Publikum zwischen 18 und 34 Jahren. Aufgrund der geringen Trennschärfe zum
CHR-Format rechnen die Landesmedienanstalten UC dem CHR-Format zu
59
.
53
vgl. Schramm (2008a): 43
54
vgl. Schramm / Hofer (2008): 114 ff.
55
Albert (2007): 311
56
vgl. Stack (2008): 177
57
Albert (2007): 311
58
vgl. Kropp/Morgan (2008): 181 f.
59
Albert (2007): 311
23

Details

Seiten
Erscheinungsform
Erstausgabe
Jahr
2010
ISBN (PDF)
9783956845710
ISBN (Paperback)
9783956840715
Dateigröße
2 MB
Sprache
Deutsch
Institution / Hochschule
Universität Hamburg
Erscheinungsdatum
2015 (Februar)
Note
1,2
Schlagworte
Radio Internetradio Rundfunk Hörgewohnheit Digitalisierung

Autor

Fabian Pickel, Jahrgang 1980, ist Soziologe (M.A.) und Freier Journalist für Radio, Fernsehen, Print- und Onlinemedien. Sein beruflicher Werdegang begann 2001 mit einem Volontariat bei einem privaten deutschen Fernsehsender, dessen Redaktion er einige Zeit als Chef vom Dienst treu blieb. Einblicke in die Radiolandschaft gewann er bei der Arbeit für verschiedene private und öffentlich-rechtliche Hörfunkstationen in Deutschland. Im Jahr 2010 schloss er sein Studium der Soziologie, Geographie sowie der Journalistik und Kommunikationswissenschaft an der Universität Hamburg erfolgreich ab. Der Autor arbeitet heute weltweit als Freier Journalist.
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Titel: Internet statt UKW: Bringt die Digitalisierung die Radio-Revolution?
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