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Elite und Diktatur: Die Rolle der Eliteschulen im Nationalsozialismus

©2013 Examensarbeit 66 Seiten

Zusammenfassung

Nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten 1933 erfolgten auch im Schulsystem tiefgreifende Neuerungen. Rassismus und Antisemitismus sollten obligatorisch in den Unterricht und Schulalltag, neben weiteren Umformungen im Sinne des Nationalsozialismus, eingebunden werden. Auch auf interschulischer Basis galt es, das System auf einen größtmöglichen Nutzen für das Regime auszurichten. Somit wurden die Schultypen stark minimiert und zudem gleichgeschaltet, während eine zusätzliche Schiene im Schulsystem explizit für die Elitebildung eingerichtet wurde. Die Selektion einer Elite war das größte Ansinnen der Nationalsozialisten und führte zur Gründung spezifischer Erziehungsanstalten mit der Aufgabe der Eliteförderung, unter denen die Nationalpolitischen Erziehungsanstalten und Adolf-Hitler-Schulen zu den bekanntesten zählen. Eine Laufbahn an einer dieser Schulen sollte den Schülern eine strahlende Zukunft sichern, doch zeitgleich stellte sie eine harte, prägende Zeit dar, waren doch an diesen Einrichtungen die Einflüsse des Nationalsozialismus am deutlichsten zu erkennen.

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


3 Veränderungen am Schulsystem unter

nationalsozialistischer Herrschaft

Wie bereits erwähnt wurde, legten die Nationalsozialisten großen Wert auf die Jugend als Sicherung einer nationalsozialistischen Zukunft. Damit die nationalsozialistische Weltanschauung an die jüngere Generation weitergetragen werden konnte, musste also das Bildungssystem entsprechend verändert werden. Dass eine nationalpolitische Erziehung an den Schulen von Interesse war, zeigt die Einrichtung eines Reichsministeriums für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung am 1. Mai 1934, dessen Leitung der ehemalige Studienrat Bernhard Rust übernahm, der zeitgleich preußischer Kultusminister war und blieb.[1] Die Veränderungen an den Schulen vollzogen sich jedoch erst schleichend. Einer der ersten Schritte war ein Richtlinienerlass, ausgestellt von Rust, zu diesem Zeitpunkt noch in Ausführung des Kultusministeramtes, am 17. März 1933, in welchem er den Volksschulen und höheren Schulen auferlegte, sich mit erhöhter Aufmerksamkeit der deutschen Vorgeschichte zuzuwenden. Am selben Tag wurde die erste sozialistische Heimvolkshochschule bei Gera geschlossen. Diese Aktion wurde als Beseitigung einer Brutstätte des Marxismus beschrieben.[2] In dieser Anfangsphase der Umgestaltung des Bildungssystems zeigt sich erneut die Intoleranz der Nationalsozialisten gegenüber vom Nationalsozialismus abweichenden Gesinnungen. Das von Beginn an konsequente Vorgehen gegenüber dem Marxismus und insbesondere, später deutlicher erkennbar, den Juden, kann als Versuch verstanden werden, sich von Anfang an möglicher Störfaktoren zu entledigen. So wurden der KPD bereits am 2. Februar 1933, nur wenige Tage nach Hitlers Amtsantritt als Reichskanzler, Einschränkungen auferlegt, zunächst in Form eines Verbots von Versammlungen unter freiem Himmel, sodass Demonstrationen von Vornherein mit Strafen belegt wurden. Am 7. März musste die Weltbühne, eine linke Zeitung aus der Weimarer Republik, ihr Erscheinen einstellen, gefolgt von den letzten übrigen Parteizeitungen der SPD am 10. März.[3] Schritt für Schritt wurde demnach den anderen Parteien die Möglichkeit genommen, auf das Volk zu wirken und sie von der Gefahr, die von der neuen Regierung ausging, zu überzeugen.

Schon vor diesem ersten Schritt der Umgestaltung vom 17. März erfolgte ein geringfügiger Vorstoß am 22. April, ausgehend von einem NS-Schülerbund einer Schule in Oranienburg, welche die Anbringung eines schwarzen Bretts forderte, um an diesem Nachrichten des Schülerbundes zu verkünden, sowie nationalsozialistische Werbeplakate und ein Hitler-Bild aufzuhängen.[4] Bereits zwei Wochen später wurde in Anbetracht der Reichstagswahlen vom 5. März die Anbringung nationalsozialistischer Flaggen an öffentlichen Gebäuden, und somit ebenfalls an den Schulen, verlangt. Jedoch wurde weder auf diese Forderung noch auf die Bitte des Schülerbundes vom 22. April eingegangen, woraus Overesch den Schluss zieht, dass in dieser frühen Phase des Umbruchs die nationalsozialistische Neuorientierung in den Schulen zu abrupt erfolgte, um unmittelbar und ohne Hinterfragen durchgeführt werden zu können.[5] Ein knappes Jahr später, am 11. Februar 1934, nachdem letztlich eine Einigung im Disput um die Regelung der Reichsfarben und den Symbolgehalt der nationalsozialistischen Fahnen erzielt werden konnte, setzte der Reichsinnenminister Frick den Fahnengruß als Pflicht für alle Beamten fest, sodass am 19. Februar ebenfalls alle Lehrer zu dieser als Ehrenpflicht bezeichneten Aktion verpflichtet wurden. Erst am 5. Februar des Jahres 1935 mussten auch die Schüler den Flaggengruß leisten, denn erst kurz zuvor wurde entschieden, dass die Hakenkreuz-Flagge das alleinige Symbol des Deutschen Reiches darstellen sollte.[6] Zwar sollte die alltägliche Präsenz und Ehrung der nationalsozialistischen Symbole in der Öffentlichkeit unmittelbar in Angriff genommen werden, doch erstreckte sich die Umsetzung durch die Uneinigkeit in der Bestimmung einer allgemeingültigen Flagge über knapp zwei Jahre.

Unterdessen vollzogen sich weitere Umgestaltungen. Als zentrales Ereignis ist der 21. März 1933 zu nennen, der als offizieller Einstieg in die Zeit des Dritten Reiches verstanden werden kann. An diesem Tag trafen sich alle Abgesandten der Regierung am Grab von Friedrich dem Großen in Potsdam, um zu „geloben, sich für ein neues Preußen und Deutschland einzusetzen.“[7] Hitler und Hindenburg hielten zu diesem Anlass Reden zum Anbruch der neuen Zeit. Den Schulen wurde befohlen, per Rundfunkübertragung indirekt aber zeitgleich unmittelbar an diesen teilzunehmen, damit sich die Schülerschaft darüber bewusst werden konnte, dass sie den Beginn einer neuen Epoche der deutschen Geschichte miterlebte.[8]

Weiterhin wurden zahlreiche Feier- und Gedenktage im Sinne der Nationalsozialisten eingeführt, an denen insbesondere das Singen von Liedern mit nationalsozialistisch geprägtem Inhalt Tradition haben sollte. Darüber hinaus musste im Januar 1934 die Stunde der Nation Einbezug in den Schulalltag finden. Sie war zu jeder ersten und letzten Stunde der Woche abzuhalten und diente der besonderen Zuwendung zur Erziehung der Schüler zu Bürgern des nationalsozialistischen Staates. Sie bot eine relative inhaltliche Freiheit, wobei der Kerngedanke, welcher in der Stärkung des Führergedankens bestand, erfüllt werden musste.[9]

Die hier genannten Aspekte der Umgestaltung stellen hauptsächlich äußere und nur grob intraschulische Einflüsse auf das Bildungssystem dar. In den folgenden Kapiteln soll das Schulsystem unter der nationalsozialistischen Herrschaft eingehender betrachtet werden. Dazu sind sechs schulpolitische Entscheidungsfelder zur gänzlichen Machtübernahme an den Schulen als Rahmenwissen anzuführen:

„1. Vereinheitlichung des Schulsystems und Reduktion der Typen- und Formenvielfalt sowie Gründung spezifischer politischer Schulen
2. Veränderung der Lehrerbildung
3. Erlass von neuen Richtlinien und Lehrplänen
4. Revidieren der Stundenpläne und Einführung des Staatsjugendtags
5. Einschränkung der Pluralität der Bildungsmächte
6. Herantragen von Rassismus und Antisemitismus an die Schulen“[10]

3.1 Intraschulische Maßnahmen zur Veränderung

Nach dem ersten Weltkrieg erlebte die Reformpädagogik, zurückgehend auf das frühe 17. Jahrhundert und Comenius Schrift Didactica magna als Ausgangspunkt für revolutionäre Ansichten von Kindheit, Erziehung und Bildung, einen Aufschwung im Bildungssystem der Weimarer Republik. Das Kind als selbstverantwortliches Individuum bildete in der reformpädagogischen Bewegung den Kern der Aufmerksamkeit, sodass Erziehung und Unterricht an die Bedürfnisse des Kindes anzupassen waren. Mit der Machtübernahme Hitlers erfuhr der Fortschritt der Reformpädagogik aber einen enormen Einschnitt, denn die Nationalsozialisten lehnten den Großteil der reformpädagogischen Vorstellungen vehement ab. Dennoch wurden einzelne Aspekte der Reformpädagogik von den Nationalsozialisten aufgenommen und entsprechend ihrer Wünsche abgewandelt.[11] Beispielhaft ist hier unter anderem die Jugendbewegung, die etwa zeitgleich mit den weiteren reformpädagogischen Strömungen aufkam, zu nennen, welche in den Jugendorganisationen wie Hitler Jugend und Bund Deutscher Mädel in angepasster Form wiederzufinden war. Innerhalb dieser Jugendbewegung der Reformpädagogik wurde ebenfalls die Wichtigkeit der Gemeinschaft hervorgehoben und den Kindern nahe gebracht, sodass sich unter nationalsozialistischer Variation die Volksgemeinschaft als oberstes Gebot hervortat.[12] Ebenso wurde dem Musikunterricht, der zur Zeit der Weimarer Republik als elementarer Bestandteil einer intellektuellen Erziehung galt, auch im Dritten Reich Bedeutung zugeschrieben, wobei nunmehr ausschließlich volksverbundene Musik in den Unterricht aufgenommen werden durfte.[13]

Hingegen wurden insbesondere die in der Weimarer Republik eben erst eingeführten Arbeits- und Sozialformen sofort abgeschafft. Während der reformpädagogische Unterricht auf Selbsttätigkeit zur Entwicklung der Selbstständigkeit bestand und ein annähernd partnerschaftliches Verhältnis zwischen Lehrern und Schülern für sinnvoll erachtete, galt der Frontalunterricht unter der nationalsozialistischen Führung als angemessen.[14] Es zeigt sich folglich, dass auch im alltäglichen Unterricht das Führerprinzip zu erkennen war, denn durch den Frontalunterricht nahm der Lehrer automatisch eine überlegene Position ein, indem er die Schüler belehrte und die Verantwortung für ihr Lernen trug.

Bezüglich des Lerninhalts ist vorweg die Neueinführung des Fachs Rassenkunde zu nennen. Wie bereits in Kapitel 2 erwähnt, wurde am 13. September 1933 der Erlass zum rassenkundlichen Unterricht veröffentlicht. Dieser Unterricht sollte den Schülern das deutsche Wesen, das durch Bluterbe von Beginn an vorhanden und nicht nachträglich anerzogen werden konnte, nahebringen.[15] Der Jugend sollte im Rahmen einer Vererbungs- und Rassenlehre bewusst gemacht werden, dass die deutsche, arische Rasse die einzig akzeptable sei, sodass das Wertvolle, also das Arische, gestärkt und das Mindere abgeschwächt werden solle. Da das sogenannte volksgebundene Wesen im Unterbewusstsein schlummere, müsse die Bildung durch entsprechenden Unterricht dafür Sorge tragen, dass die Schüler zur Erkenntnis gelangen.[16] Da die Verbreitung des Rassismus ein grundlegendes Bedürfnis der Nationalsozialisten war, sollte die Rassenkunde nicht nur ein eigenständiges Fach darstellen, sondern zeitgleich die gesamten deutschkundlichen Fächer durchdringen. Beispielsweise sollte im Geschichtsunterricht thematisiert werden, dass eine Durchsetzung der stärksten Rassen historisch nachweisbar sei.[17] An dieser Stelle deutet sich bereits die starke Neigung zur Auslese an, die im Nationalsozialismus vorherrschte. Es wurde regelmäßig betont, dass nur das Starke überleben könne und deshalb auch nur zum Leben berechtigt sei, während zeitgleich das Starke mit der arischen Rasse gleichgesetzt wurde. Den Schülern sollte folglich gelehrt werden, was in der Literatur häufig als Sozial-Darwinismus bezeichnet wird.

Damit den Schülern entsprechende Vorstellungen vermittelt werden konnten, waren Lehrpersonen erforderlich, welche die nationalsozialistische Ideologie weiterzutragen gedachten. Somit fanden für bereits aktive Lehrpersonen Lehrgänge in Schulungslagern statt, in denen sie eine Umerziehung erfahren sollten. Zusätzlich standen die Lehrer ständig unter staatlicher Kontrolle und wurden entlassen, sobald sie sich nicht gemäß der nationalsozialistischen Weltanschauung präsentierten. Eine Neugestaltung der Lehrerausbildung war demnach ein weiterer Punkt, um frühzeitig zukünftige Lehrer für sich zu gewinnen. Es wurden folglich neue Studienfächer eingerichtet, wie unter anderem Rassen- und Volkskunde, und Prüfungsvorschriften erneuert.[18]

Doch eine reine Stützung auf die Loyalität der Lehrpersonen war für die Nationalsozialisten unzureichend, da sie sich nur durch Kontrolle sicher sein konnten, dass ausgestellte Aufgaben in ihrem Sinne erfüllt wurden. Folglich gedachten sie ihren Einfluss auf die Schule größtmöglich zu gestalten und nahmen sich also die Neugestaltung des Lehrplans vor. Die Neuerungen erfolgten in zwei Phasen, von denen die erste zwischen 1933 und 1937 verlief und sich durch sporadische und vorläufige Erlasse und Anweisungen auszeichnete, sodass die ersten Versuche der Umformung relativ unsystematisch erschienen.[19] Innerhalb der zweiten Veränderungswelle zwischen 1938 und 1942 erfolgte der Eingriff in den Unterrichtsalltag systematisch und in größerem Ausmaß. In diesem genannten Zeitraum wurden offizielle Richtlinien und Lehrpläne vom Reichserziehungsministerium veröffentlicht, sodass nun eine strenge Kontrolle der Bildung erzielt werden konnte. Besonders betroffen waren die drei Lehrbereiche der historischen und naturwissenschaftlichen Fächer und der Muttersprachenunterricht. So fielen von nun an die politische, die nationalsozialistische und Kunst- und Musikgeschichte in die Bereiche der historischen Fächer. Ebenfalls wurde die Erdkunde als neues Fach Geopolitik zu diesem Fächerbereich gezählt, mit der Aufgabe, die Schüler vom deutschen Volk als wahren Repräsentanten der nordischen Rasse zu überzeugen.[20] Das eigentliche Fach Rassenkunde fiel jedoch unter den Bereich der Naturwissenschaften, zusammen mit den bereits vorhandenen Fächern Mathematik, Physik, Chemie und Biologie. Zwar sollte die Rassenlehre als Unterrichtsprinzip auch hier jeden Bereich durchdringen, jedoch fanden im naturwissenschaftlichen Fächerkanon die geringsten Veränderungen statt. Der Deutschunterricht hingegen erfuhr eine deutliche Umschreibung seiner Bedeutung und seines Auftrags. Als zusätzliche Bildungsaufgabe sollte im Deutschunterricht die Rassenlehre ebenfalls Einbezug finden, unterstützt durch die Änderung des Inhalts, welcher fortan ausschließlich deutsche Dichtung und Literatur berücksichtigen sollte. Zusätzlich war die Literatur für den Deutschunterricht von den Nationalsozialisten ausgewählt, sodass psychologisierende oder ästhetisierende Literatur konsequent aus dem Unterricht zu verbannen war.[21] Anfang 1934 erschien ein Verzeichnis derjenigen Bücher und Schriften, die von der Regierung als für die Aufnahme in die Schulbücherei angemessen erachtet wurden. Auch eigens für den nationalsozialistisch geprägten Unterricht hergestellte Schulbücher mussten im Laufe der Zeit in den Unterricht integriert werden. Als einzige Pflichtlektüre wurde Adolf Hitlers Buch Mein Kampf aufgeführt, in welchem Hitler seine Ansichten und Ideologien formulierte. Rust setzte im September 1936 gesetzlich fest, dass kein Schüler die Schule verlassen durfte, wenn er nicht das Werk Hitlers gelesen hatte.[22]

Im produktiven Bereich sollten weitestgehend Aufsätze formuliert werden, die ausschließlich dazu dienen sollten, die Schüler zu einer nationalsozialistischen Haltung zu erziehen. So wurden als Aufsatzthemen hauptsächlich politische, historische und ideologische Themen herangezogen, um beim Schüler eine „wertende, schaffensbereite und kämpferische Haltung“[23] hervorzubringen.

Ein Hauptanliegen der Nationalsozialisten war die Militarisierung, damit die Schüler für einen eventuellen Krieg körperlich vorbereitet waren und der Regierung nutzen konnten. Demzufolge wurde im gesamten Bildungssystem dem Sport eine tragende Bedeutung zugeschrieben, wobei der Umfang an den Oberschulen und insbesondere in den Eliteschulen deutlich größer war als an den übrigen Schulen.

Die hier aufgeführten Veränderungen innerhalb des Unterrichts weisen darauf hin, dass die Nationalsozialisten im Laufe der Zeit ihren Einfluss erheblich vermehren und letztlich durch die Festsetzung von Richtlinien und Lehrplänen die Bildung der heranwachsenden Generation maßgeblich beeinflussen konnten. Neben dem Schulalltag waren die Kinder zudem in Jugendorganisationen unterzubringen, in denen sie weiteren nationalsozialistischen Einflüssen unterstanden, sodass diese beiden Instanzen gegenseitig unterstützend wirkten. Zwar schien der Beginn der intraschulischen Veränderungen zunächst ungeordnet, dennoch konnte zuletzt ein System aufgebaut werden, das sicherstellte, dass die Schüler ausschließlich Bildung im Sinne der nationalsozialistischen Ideologie erfuhren.

3.2 Schulorganisatorische Maßnahmen und Realisierung von Auslese und Elitebildung

Neben Neuerungen innerhalb des Schulalltags wurden weiterhin äußere Veränderungen hinsichtlich des Schulsystems getätigt. Grundprinzip der vorgesehenen Maßnahmen war die Gleichschaltung, wie sie in vielen weiteren Bereichen im Nationalsozialismus erwünscht war. Dem Zugrunde lag das Streben der Nationalsozialisten nach Verhinderung jeglicher Individualität, da diese die umfassende Kontrolle über die Bevölkerung gefährdet hätte. Auf diesem Gedanken aufbauend, schien es den Nationalsozialisten ebenso notwendig, die bis dato vorhandene Typenvielfalt der Schulen aufzuheben.[24] Bereits 1933 langsam beginnend, mit einem Höhepunkt im Jahre 1937, vereinfachte der Staat mithilfe zahlreicher Erlasse das gesamte Schulsystem, um den Einfluss auf Schüler und Eltern zu erhöhen. Die Erlasse erfolgten zumeist zu Ungunsten der Oberschulen, welche in der größten Zahl abgeschafft wurden sowie ebenfalls Konfessions- und Privatschulen, die darüber hinaus grundsätzlich verboten wurden.[25] Die Grundschule blieb in ihrer vierjährigen Form erhalten, jedoch fanden zahlreiche Veränderungen im System der Aufbauschulen statt. Die Oberschulen, welche am ehesten mit den heutigen Gymnasien verglichen werden können, zeigten zur Zeit der Weimarer Republik eine große Varianz mit jeweils anderen Schwerpunkten. Anstelle dieser zahlreichen Oberschulformen traten 1937 drei festgesetzte, wobei diese ausschließlich vom männlichen Geschlecht besucht werden konnten. Rust setzte die Formen der naturwissenschaftlichen und neusprachlichen Oberschulen fest, sowie an dritter Stelle das humanistische Gymnasium, das jedoch nur dort erhalten blieb, wo eine besondere Tradition erkennbar war. Für die höhere Bildung der Mädchen wurden die Zweige der neusprachlichen und hauswirtschaftlichen Oberschulen errichtet.[26] Ebenfalls 1937 weitete Rust die bis dahin nur in Preußen vorhandenen sechsjährigen Mittelschulen auf das gesamte Reich aus, neben welchen 1941 die Hauptschule als Pflichtschule für begabtere Volksschüler eingerichtet wurde.[27] Auf die Grundschule folgten demnach die möglichen Zweige der Mittelschule, Hauptschule oder spezialisierten Oberschulen, wobei die Leistung des Kindes in der Grundschule ausschlaggebend für die Richtung war. Da die Hauptschule auf die Ausbildung in mittleren und höheren praktischen Berufen in Bereichen wie Industrie, Landwirtschaft und Handwerk vorbereiten sollte, mussten Fachlehrer die Bildungsaufgabe an dieser Schulform übernehmen. Zu diesem Zeitpunkt hatte der Krieg bereits einige Konsequenzen nach sich gezogen, sodass Fachlehrer zu teuer und schwierig zu beschaffen waren, weshalb ein umfangreicher Ausbau des Schultyps Hauptschule rasch ein Ende nahm.[28] Giesecke merkt an, dass die Haupt- und Mittelschulen im Grunde lediglich einer Aufteilung der ehemaligen Volksschule gleichkamen, unterschieden nach der Begabung der Schüler.[29]

Während die Bedeutung der Haupt- und Mittelschulen größtenteils darin bestand, Nachwuchs für die mittleren bis niedrigeren Berufe heranzubilden, wurde den gymnasialen Schulen die Rekrutierungsfunktion für das Offizierskorp auferlegt.[30] Die Schüler wurden folglich von Beginn an für ihren Nutzen in einer möglichen Kriegssituation, wie sie ab 1939 real wurde, ausgebildet und bestmöglich auf eine Laufbahn in der Wehrmacht vorbereitet. Der Weg zur Militarisierung an den gymnasialen Schulen vollzog sich jedoch schleichend, sodass die eigentliche Absicht vermutlich für einen Großteil der Betroffenen verschleiert blieb. Es begann mit dem Angebot zu Segelfluglehrgängen für den Sommer 1933, zu dem Rust die Schüler am 30. Mai 1933 aufrief, gefolgt von dem Appell, in den Reichsluftschutzbund einzutreten.[31] Ab dem Frühjahr 1934 unterstanden die Abiturienten einer paramilitärischen Arbeitsdienstpflicht, welche die Schüler zur Ableistung von 4 Monaten Arbeitsdienst (RAD) und 6 Wochen Geländesport verpflichtete. Dieser RAD stellte von dort an die Voraussetzung für die Aufnahme eines Studiums dar, denn erst nach der Aushändigung eines Arbeitspasses am Ende des Arbeitsdienstes waren die Abiturienten zum Studienbeginn berechtigt.[32]

Von besonderer Bedeutung bei der Umgestaltung des Schulsystems war der Elitegedanke, welcher in enger Verbindung mit dem Rassengedanken und der daraus folgenden Auslese stand. Als Ideologie für die Elite beschreibt Ueberhorst: „die Auslese rassisch hochwertiger und zugleich intelligenter Menschen, die einerseits bereit waren, das ‚gute Blut’, das heißt die Ausbreitung der ‚nordisch-deutschen Rasse’ mit allen Mitteln zu fördern, andererseits das ‚schlechte Blut’, als dessen Träger das internationale Judentum angesehen wurde, zu vernichten“.[33]

Hieraus ist zu entnehmen, dass die Elite in besonderer Weise dazu gedacht war, die Ansichten der Nationalsozialisten weiterzuführen und die obersten und wichtigsten Positionen zu besetzen, da sie die besten und rassisch reinsten Personen hervorbrachte. Demzufolge bot sich die Elite am ehesten an, die künftige Führung des Landes zu übernehmen. Damit diese zukünftigen Führer des Staates sorgsam ausgewählt und ausgebildet werden konnten, wurden eigens Schulen zur Heranbildung der Elite erschaffen. Als erste dieser Ausleseschulen wurde am 20. April 1933 die erste Nationalpolitische Erziehungsanstalt gegründet und der Leitung Rusts unterstellt. Da Rust ebenfalls die Leitung des gesamten Schulsystems verantwortete, richteten sich die NPEAs mit Abweichungen und Ergänzungen nach den Richtlinien und Lehrplänen der Oberschulen.[34] Da die NPEAs den Auftrag der Elitebildung im nationalsozialistischen Geist innehatten, wurden ebenfalls die Lehrer mit besonderer Sorgfalt ausgewählt und letztendlich von Erziehern aus politischen Organisationen verkörpert. 1936 wurden die NPEAs dem SS Gruppenführer August Heißmeyer unterstellt, sodass die SS nun einen starken Einfluss auf die Schulen und vorweg auf die Ausleseprinzipien und Aufnahmeprüfungen hatte. Das selbsterklärte Ziel der NPEAs war das Hervorbringen des Nachwuchses für die führenden Positionen in Wirtschaft, Staat und Partei.[35] Nach der Übernahme von Seiten der SS zeigte sich jedoch deutlicher eine Hinwendung zur Ausbildung des militärischen Führernachwuchses.[36]

Da die NPEAs weder der NSDAP noch der Hitler-Jugend direkt unterstanden, gründete der Führer der deutschen Arbeitsfront und Reichsorganisationsleiter Robert Ley in Zusammenarbeit mit dem Jugendführer des Deutschen Reiches Baldur von Schirach zum Beginn des Jahres 1937 die Adolf-Hitler-Schulen als Gegenstück zu den NPEAs. Auch an diesen Schulen fand eine starke Auslese statt, um die Elite auszubilden. Die AHS unterstanden direkt der NSDAP und Hitler-Jugend, sodass zum höchsten Ziel dieser Schulform die Ausbildung des Führernachwuchses für die Partei und von der Partei für wichtig erachteten Positionen erklärt wurde.[37] Demzufolge durchliefen AH-Schüler eine andere Karriere als NPEA-Schüler. Die AHS wurden als Vorschulen der Ordensburgen konzipiert mit dem möglichen weiteren Verlauf eines Besuchs der Hohen Schule der NSDAP, wohingegen auf den Besuch einer NPEA die SS-Junkerschule besucht werden konnte.[38] Flessau kritisiert, dass die unterschiedlichen Instanzen, wie SS, NSDAP und die Wehrmacht, diese beiden Schulformen zur Verwirklichung eigener Interessen und zur Erfüllung ihrer eigenen Ziele nutzen wollten, sodass „Schulpolitik […] hier um der Politik und einzelner Gruppeninteressen, nicht um der Schule und der Schüler willen“[39] geschah. In ihren Grundzügen ähnelten sich AHS und NPEAs, wobei sich sowohl inhaltlich als auch äußerlich deutliche Unterschiede finden lassen. Die genauere Betrachtung der Schulformen sowie eine vergleichende Ansicht finden an späterer Stelle statt.

Die bereits erwähnten Ordensburgen bestanden aus drei Ausbildungsstätten, die eigens für die weiterführende Bildung des kommenden Führernachwuchses, ebenfalls unter der Leitung Robert Leys, errichtet wurden. Jede der Einrichtungen hatte einen eigenen Ausbildungsschwerpunkt, sodass die einzelnen Standorte besucht werden mussten, um die Ausbildung nach dem Gesamtkonzept zu durchlaufen, wobei der Schulungsaufenthalt pro Einrichtung jeweils ein Jahr dauerte. Es wurden errichtet: Die Ordensburg Vogelsang in der Eifel mit dem Schwerpunkt der nationalsozialistischen Rassenideologie, die Ordensburg Kröninsee in Pommern mit dem Ziel der charakterlichen Bildung sowie die Ordensburg Sonthofen im Allgäu, welche in Verwaltungs-, Militäraufgaben und Diplomatie lehren sollte.[40]

Als Voraussetzung für die Aufnahme in die Ordensburgen zählten die Mitgliedschaft bei der NSDAP und der Nachweis der arischen Rasse als Hauptkriterien sowie mitunter die freiwillige Meldung oder die Auswahl durch den Gauleiter, ein Gesundheitsnachweis und der abgeschlossene Wehr- oder Arbeitsdienst. Darüber hinaus war das Alter auf zwischen 25 und 30 Jahren festgesetzt, wobei die Aufnahme keineswegs über Prüfungen verlief, sondern lediglich über die genannten Kriterien.[41] Die Ausbildung an den Ordensburgen umfasste drei wesentliche Gebiete, bestehend aus der rassenpolitischen, geopolitischen und geschichtspolitischen Schulung und endete nach 3 Jahren ohne einen qualifizierenden, auf eine weiterführende praktische Tätigkeit ausgerichteten Abschluss.[42] Es ist ersichtlich, dass die Schulung des Führernachwuchses für die Partei weniger auf eine wissenschaftliche, kognitive Ausbildung, als auf eine weitere Indoktrination der nationalsozialistischen Ideologie abzielte. Hatte ein Schüler die Laufbahn der AHS und Ordensburgen durchlaufen, unterstand er bis ins Erwachsenenalter hinein direkten ideologischen nationalpolitischen Einflüssen und hatte mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit die nationalsozialistische Weltanschauung verinnerlicht und sich zu eigen gemacht. Schröders wirft vor, dass die Laufbahn der Ausleseschulen offenbar fanatische Soldaten hervorbrachte und diese mentalitätsprägende Ausbildung in Kriegsverbrechen und Raub endete.[43]

Zusammengefasst ergibt sich demnach für die Elite-Ausbildung eine parallel zur herkömmlichen Schullaufbahn verlaufende Karriere. Die Ausleseschulen konnten ebenfalls nach der Grundschule besucht werden, wobei die Adolf-Hitler-Schulen das Aufnahmealter auf 12 Jahren festlegten, während die Laufbahn einer NPEA bereits ab einem Alter von 10 Jahren eingeschlagen werden konnte. Dementsprechend dauerte die Ausbildung an einer AHS 6 Jahre, während die reguläre Schulzeit an einer NPEA 8 Jahre betrug. Jedoch schlossen beide Laufbahnen mit dem Abitur ab.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb. 1: Das Schulsystem der Elite[44]

3.3 Wichtige Akteure und ihre Konzeptionen

Nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten begann eine Zeit der Umstrukturierung und des Umdenkens. Die Ansichten und vorweg die Ziele der neuen Regierung wichen deutlich von denen der Weimarer Republik, die sich bemühte die Demokratie zu etablieren, ab. Somit galt es auf vielen verschiedenen Feldern Neuerungen hervorzubringen, um das Volk zu einem Umdenken zu nationalsozialistischem Gedankengut zu veranlassen. Eine solche Indoktrination forderte ebenso ein Verständnis von Erziehung in nationalsozialistischem Sinne, damit die heranwachsenden Generationen zu Generationen von Nationalsozialisten werden konnten. Folglich sollte eine neue Erziehungstheorie entwickelt werden, die sich an der nationalsozialistischen Weltanschauung orientierte, sich dabei deutlich und grundsätzlich von bisherigen vorwiegend liberalen Konzepten distanzierte und in der Praxis die Heranwachsenden zu Nationalsozialisten erzog.[45] Da die Herausbildung zukünftiger nationalsozialistischer Generationen ein bedeutendes Anliegen der Nationalsozialisten darstellte, veranlasste das Feld der Erziehung zahlreiche Funktionäre der Partei dazu, sich über sie zu äußern und eigene Vorstellungen einzubringen.[46] Jedoch fand sich unter den verschiedenen Theorien kein als allgemeingültig anzuerkennendes Konzept, auf welches sich die Erziehung stützen konnte. Vielmehr bot die ungeregelt erscheinende Suche nach einer akzeptablen Theorie Raum für die Bekanntmachung eigener Vorstellungen und Ideen. Letztlich bildeten sich die Wissenschaftler Ernst Krieck und Alfred Baeumler als sogenannte pädagogische Chefideologen heraus, mit der Absicht, dem Regime eine geeignete Erziehungswissenschaft zu erschaffen sowie die nationalsozialistische Weltanschauung an sich philosophisch zu etablieren.[47] Neben Adolf Hitler, der ebenfalls in seinem Werk Mein Kampf pädagogische Fragen nach seinen Ansichten beantwortete und auf diese Weise eine Grundlage schuf, zeigte Baldur von Schirach insbesondere in der pädagogischen Praxis großes Einflusspotenzial. Schirachs Einflussnahme bezog sich primär auf sein praktisches Wirken, welches vorweg in der Führung der Jugendorganisationen und der Mitbegründung der Adolf-Hitler-Schulen Ausdruck fand, hingegen weniger in der Veröffentlichung von Schriften, sodass er häufig zwar als einer von Hitlers Pädagogen aufgeführt, jedoch nicht als Chefideologe bezeichnet wird und in dieser Arbeit nicht explizit Betrachtung finden wird.[48]

Somit sind der nationalsozialistischen Pädagogik die drei hier genannten Hauptakteure zuzuordnen, deren Konzeptionen im Folgenden beleuchtet werden sollen.

3.3.1 Adolf Hitler

Hitlers Ansichten von Erziehung sind auf sein zweibändiges Werk Mein Kampf zurückzuführen, von dem die einzelnen Bände 1925 und 1927 erschienen. Insbesondere im zweiten Band widmete er sich Erziehungsfragen und zeigte dabei deutliche Tendenzen, welche Aspekte er für die Erziehung der gesamten Nation, darunter nicht nur der Kinder und Jugendlichen, für elementar erachtete. Seine ‚Pädagogik’ ist hauptsächlich anhand seiner Weltanschauung abzuleiten. Speziell hervor trat dabei der Rassismus, welcher die gesamte nationalsozialistische Einstellung prägte. Dass sich der Rassenhass besonders auf das jüdische Volk richtete ist gemeinhin bekannt, jedoch zeigt das Buch Mein Kampf, dass sich diese tiefgehende Abneigung nicht ausschließlich gegen die Juden richtete, sondern auf alles Nicht-Arische. So verglich Hitler unter anderem die Ausführung von bürgerlichen Berufen von Menschen dunkler Hautfarbe mit der Dressur eines Pudels und stellte diese Menschen selbst als Tiere darstellte.[49] In seinem Rassenhass forderte Hitler, die Wiederherstellung und Erhaltung des reinen Blutes. Aus diesem Grund schrieb Hitler, es sei Aufgabe des Staates dafür Sorge zu tragen, dass nur gesunde Menschen Kinder zeugen dürften, sodass es im Umkehrschluss eine Schande sei dem Volk gesunde Kinder vorzuenthalten.[50] Dieser als Rassenhygiene bezeichnete Aspekt verdeutlicht den Fanatismus, den Hitlers Weltanschauung aufwies und der an das Volk weitergegeben werden sollte. Giesecke folgert, dass aus der Annahme einer rassischen Bedrohung das Konzept des totalitären Erziehungsstaates entstand.[51] Hitler weitete seinen Erziehungsbegriff auf alle Generationen aus, da ebenfalls Erwachsene zum Nationalsozialismus erzogen beziehungsweise umerzogen werden mussten.[52] In Bezug auf die zu leistende Erziehungsarbeit setzte Hitler die körperliche und charakterliche Erziehung an die erste Stelle. Er erschuf eine Hierarchie, bei welcher das Hauptziel das „Heranzüchten kerngesunder Körper“[53] darstellte, gefolgt von der Ausbildung geistiger Fähigkeiten mit der primären Beachtung der Charakterbildung und erst abschließend die Förderung von kognitiven Fähigkeiten.[54] Unter dem Begriff der Charakterbildung fasste Hitler die Elemente Willens- und Entschlusskraft sowie Verantwortungsfreudigkeit zusammen. Laut Giesecke meinten diese Charaktereigenschaften jedoch nicht, eine umfassend reflektierte Entscheidung treffen zu können, sondern Willens- und Entschlusskraft in einem fanatischen Sinne, welcher die Menschen in blindem Glauben und Gehorsam nicht denkend handeln lässt.[55] An dieser Stelle zeigt sich ein weiterer Aspekt der Vorstellung von Pädagogik von Seiten Hitlers, denn Erziehung, Indoktrination, Bildung und Propaganda sollten seiner Vorstellung nach zusammenwirken und auf diese Weise die Menschen an eigenständigem und insbesondere kritischem Denken hindern.[56] Somit sollten aus einer Erziehung nach Hitlers Vorstellungen Menschen resultieren, die blind und taub für Kritik am Regime und der Regierung in treuer Gefolgschaft ergeben waren. Selbstständigkeit stellte in dieser Denkweise lediglich die selbstständige Ausführung der nationalsozialistischen Lebensweise und der Befehle von der Führung dar.

Um die hier dargestellten Ziele zu erreichen, gedachte Hitler einen Erziehungsstaat zu errichten, der nahezu lückenlos stetigen Einfluss auf Heranwachsende und letztendlich Erwachsene einschloss. Dieses System griff bereits im Kindesalter in die Erziehung ein, indem alle Kinder ab einem Alter von 10 Jahren in die Jugendorganisationen einzutreten hatten. Nach dem Geschlecht getrennt, stellte die erste Stufe bei den Jungen das Deutsche Jungvolk dar sowie parallel bei den Mädchen der Jungmädelbund. Mit 14 Jahren gingen die Jugendlichen nahtlos in die Hitler-Jugend (HJ) beziehungsweise Bund Deutscher Mädel (BDM) über. Mit 18 Jahren galt die Mitgliedschaft als beendet, wobei dieser Punkt nicht das Ende der Mitgliedschaft in nationalsozialistischen Organisationen bedeutete, da die jungen Männer anschließend und unmittelbar in die Partei, die SS oder SA, Arbeiterfront oder weiteren nationalsozialistischen Bünden übergehen sollten.[57] Die Zielsetzung dieser Laufbahn sollte die Ausbildung überzeugter Nationalsozialisten sein, welche die Ideologie verinnerlicht hatten und sie daher nicht zu hinterfragen wagen würden, sodass weitere Einflussnahmen durch einen mehrmonatigen oder auch mehrjährigen Dienst bei der SA, SS oder Arbeiterfront vorgesehen waren, für den Fall, dass eine Person noch nicht als vollwertiger Nationalsozialist zu bezeichnen war. Auf diesem Weg sollte verhindert werden, dass diese Menschen rückfällig, sondern stattdessen ihr ganzes Leben nicht mehr frei wurden, wie Hitler es mit seinen Worten formulierte.[58]

Folglich können die pädagogischen Vorstellungen Hitlers durch die Bezeichnungen totalitärer Erziehungsstaat und lückenlose nationalsozialistische Sozialisation treffend charakterisiert werden. Das Menschenbild, auf welches sich diese Pädagogik stützte, zeichnete sich in überwiegendem Maße durch Rassenhass und den Begehr von Rassenhygiene aus, die in engem Zusammenhang mit sozialdarwinistischen Ansichten standen.

3.3.2 Ernst Krieck

Ernst Krieck war bis 1928 aktiver Volksschullehrer und somit der Pädagogik und der erziehungswissenschaftlichen Praxis weitaus näher als die meisten übrigen Aktionäre einer nationalsozialistischen Pädagogik. Bereits vor seinem Eintritt in die NSDAP befasste sich Krieck mit Fragen der Erziehungswissenschaft und veröffentlichte 1922 seine erste Schrift Philosophie der Erziehung. [59] Mit seinem Eintritt in den nationalsozialistischen Lehrerbund am 1. Januar 1932 vollzog sich gleichzeitig der Schritt in die Parteimitgliedschaft, da diese beiden unmittelbar verbunden waren. Giesecke vermutet, dass Krieck in der kulturell noch bruchstückartigen nationalsozialistischen Bewegung die Gelegenheit sah, seine in der Weimarer Republik noch kritisch beäugten Theorien zur Erziehung zu verbreiten.[60]

In besonderem Maße prägte Krieck den Gemeinschaftsbegriff, denn das Leben in einer Gemeinschaft bezeichnet er als „Vorbedingung seines Werdens“[61] eines jeden Menschen. In seiner Theorie nahm die Gemeinschaft, der die Menschen als einzelne Glieder untergeordnet waren, den höchsten Stellenwert ein. Soziale Gemeinschaften prägten seiner Auffassung nach die Erziehung und nicht, wie der zu diesem Zeitpunkt noch vorhandene demokratische Zeitgeist hervorhob, das intentionale Einwirken von einzelnen Erziehern. Gemeinschaften hingegen erziehen Heranwachsende funktional, allein durch ihre Existenz, nach kollektiven Leitbildern zu Typen anstelle von Individuen.[62] „Erziehung ist typische Angleichung der Glieder an die Normen und Ordnungen der Gemeinschaft“,[63] formulierte Krieck das Grundgesetz der Erziehung. In diesem Zusammenhang prägte er die Begriffe Zucht, unter welchem die kollektive Anpassung der einzelnen Glieder verstanden wurde, sowie Menschenformung, Typenprägung und Typus. Der Zuchtbegriff implizierte gleichermaßen die Unterordnung des Einzelnen unter die Gesamtheit der Gemeinschaft, sodass Individualität als unerwünscht galt und sich individuelle Entschlusskraft stattdessen auf die Vollstreckung des Willens von Führer und Gemeinschaft zu beziehen hatte.[64] Demnach diente dieser Theorie zufolge die Erziehung lediglich zur Formung möglichst gleicher Glieder, die dem Wohl der Gemeinschaft dienen sollten und einzeln keinerlei Bedeutung hatten. Auf diese Weise erklärt sich die Bedeutung der Funktionalität.

Innerhalb dieser funktionalen Erziehung, welche als oberster Begriff zur Charakterisierung seiner Konzeption verwendet wurde, benannte Krieck vier Erziehungsformen:

„1. Die Gemeinschaft erzieht die Glieder
2. Die Glieder erziehen einander
3. Die Glieder erziehen die Gemeinschaft
4. Die Gemeinschaft erzieht die Gemeinschaft“[65]

Die funktionale Erziehung besaß folglich mehrere Ebenen und vollzog sich nahezu von selbst, anstatt ausschließlich durch intentionales Handeln.

Nach dem Eintritt in die NSDAP erschienen Kriecks Ansichten radikaler, denn der bis dato noch erkennbare Faktor einer, wenn auch geringen, Autonomie einzelner Glieder verschwand nun vollkommen hinter dem höchsten Wert der völkischen Gemeinschaft. Assel bezeichnet die Rolle des einzelnen Menschen als „’Präzisionsroboter’, der auf eigene Willensbildung verzichtet“[66], sodass ein funktionalisiertes Glied der Gemeinschaft sich leicht zum „Instrument der Führung“[67] machen ließ. Darüber hinaus vollzog sich nach seinem Parteibeitritt eine Politisierung seiner Ansichten und auch der Rassismus zeigte sich weitaus deutlicher in seinen Schriften als zuvor. Aus der Gemeinschaft sollte nun seiner Auffassung nach ein Volk werden und aus diesem Volk schließlich eine rassenbewusste Nation, die von einer Macht geführt wurde und über einheitliche politische Haltung und einheitlichen Willen verfügte.[68]

Insgesamt betrachtet, prägte Krieck insbesondere den Begriff der funktionalen Erziehung, welcher die kollektive Anpassung der einzelnen Menschen an die Vorstellungen der Gemeinschaft beinhaltete und darüber hinaus die Rolle des Einzelmenschen definierte. Diese bestand darin, als Glied der Gemeinschaft dieser zu dienen und die eigene Individualität sowie eigene Bedürfnisse zurückzustellen. Daraus ist zu schließen, dass Kriecks Erziehungsvorstellung implizierte, was im Nationalsozialismus insbesondere in der Kriegszeit deutlich wurde: Dass der Einzelmensch nichts wert war, sondern dem Wohle der Gemeinschaft beziehungsweise des Staates dienen sollte.

3.3.3 Alfred Baeumler

Alfred Baeumler war ein Philosoph und Pädagoge, der sich relativ früh von der nationalsozialistischen Bewegung begeistert zeigte. Im Jahre 1933 übernahm er die Professur für Politische Pädagogik an der Universität Berlin, sodass er die Gelegenheit erhielt, seine Auffassungen zu verbreiten.[69] Der Begriff der Politischen Pädagogik ist mit Baeumler in Verbindung zu bringen, da dieser die grundlegende Aufgabe der Pädagogik in einer politischen Erziehung gemäß der nationalsozialistischen Idee sah. Obgleich Baeumler bereits 1933 der NSDAP beitrat, galt er dennoch als Außenseiter und Einzelgänger innerhalb dieser.[70] Nicht in allen Belangen stimmte Baeumler mit den nationalsozialistischen Ansichten überein, sondern wich in geringem Maße von ihnen ab, was hier noch zu erläutern ist. Zunächst aber ist zu erwähnen, dass Baeumler in einem Brief an Manfred Schröter im Jahr 1950 die Gründe für seine Gefolgschaft im Nationalsozialismus darlegte und sich von seinen damaligen Einstellungen distanzierte. Als maßgeblich relevanten Hintergrund gab Baeumler darin seine aufrichtige Verachtung der Weimarer Republik und ihrer demokratischen Staatsform an, aus welcher sich sein Glaube an die nationalsozialistische Bewegung als mögliche Lösung für die von ihm empfundenen gesellschaftlichen, kulturellen und politischen Probleme ableitete.[71]

Es wurde bereits angedeutet, dass Baeumler eine politische Erziehung hervorbringen wollte, sodass er dementsprechend eine politische Ausrichtung der Schule forderte. Der Bildung an sich maß er, im Gegensatz zur vorherrschenden Meinung, eine große Bedeutung bei, da sie eine wichtige Funktion für die übergeordnete Gemeinschaft habe. Er formulierte in seiner Schrift Bildung und Gemeinschaft, die Gemeinschaft sei darauf angewiesen, dass seine einzelnen Glieder ihre Anlagen und Fähigkeiten zur höchsten Entfaltung bringen, sich folglich bilden.[72] Obgleich Baeumler von Gemeinschaft sprach, verstand er unter dem Bildungsbegriff eine individuelle geistige Entwicklung, was eine Abweichung von der nationalsozialistischen Gesinnung, die Individualität rigoros zu verhindern suchte, zeigte.[73] Dennoch verfolgte er die gleichen Ziele wie die Nationalsozialisten, wie vorweg seine Einschätzung der Gewichtung von Bildung zeigt, die ebenfalls lautete: Körperbildung, Charakterbildung, geistige Bildung. Baeumler kritisierte besonders die formale Bildung, welche den Inhalt in den Mittelpunkt stellte, weshalb er auf die Entwicklung einer neuen Erziehungstheorie und –praxis abzielte.[74] Demzufolge sollte der Schule die Aufgabe übertragen werden, Staat, Weltanschauung und Volk untrennbar zu einer Einheit zusammenzufügen, sodass eine Schule in seinem Sinne eine völkische Weltanschauungsschule zu sein hatte.[75] Dem Lehrer wurde somit die Funktion zugeschrieben, „Liebe und Begeisterung für den Führer zu wecken.“[76] Dennoch hielt er eine universitäre Lehrerausbildung nicht für notwendig, da er die Meinung vertrat, dass vielmehr eine tiefgehende Überzeugung und das Bewusstsein der vom Staat auferlegten Verantwortung einen guten Lehrer kennzeichneten.[77]

Darüber hinaus prägte Baeumler insbesondere den Begriff des Germanismus. Hinter diesem kann vorwiegend die Distanzierung von allem Nicht-Deutschen erkannt werden, wobei sich dieses zumeist auf die Weimarer Republik bezog, in welcher die Ursache für die Niederlage im ersten Weltkrieg lag. Dazu zählte er die Demokratie, den Liberalismus, den Feminismus und die bürgerliche Bewegung.[78] Hingegen gedachte er ein Weltbild zu etablieren, bestehend aus einer Gesellschaft von Mannschaften, in welcher Führer und Geführte in treuer Gefolgschaft verbunden waren.[79] Unter der Bezeichnung Mannschaft verstand er dabei ein Bündnis von Männern, die durch eine Aufgabe und ein Ziel miteinander verbunden waren, diese Verbundenheit jedoch so tiefgreifend war, dass sie nicht, wie beispielsweise in einer Sportmannschaft, durch das Wegfallen des Ziels auseinanderzufallen drohte, sondern enger zusammenrückte.[80] Im Zusammenhang mit diesem Mannschafsgedanken stand ebenfalls Baeumlers aktivistische Anthropologie, welche einen aktiven Einsatz des Volkes für Hitler forderte, wozu das Ersetzen des Gebildeten durch den Typus des Soldaten vonnöten war.[81] „Im Heere wurde der Soldat erzogen, an der Universität wurde der Mensch gebildet“[82], sodass an dieser Stelle deutlich zu erkennen ist, welche rückständige Bedeutung auch in der Konzeption Baeumlers die geistige Ausbildung im Vergleich zur körperlichen einnahm.

Baeumler sah sich zu der Aufgabe berufen, aus der nationalsozialistischen Bewegung eine eigenständige Kultur zu entwickeln, wozu die Symbolik, beispielsweise der Fahnen und des Hitler-Grußes, philosophisch zu betrachten gewesen seien.[83] An die Stelle einer liberalen und kapitalistisch gearteten Gesellschaft sollte, zusammenfassend betrachtet, eine Gemeinschaft treten, die durch ihre politische Gesinnung und Gefolgschaft tiefgreifend verbunden war und aktiv zur Tat schritt, wenn die völkische Gemeinschaft oder ihre Führung es verlangte. Aus diesem Grunde musste die Erziehung auf einer politischen Pädagogik begründet sein.

[...]


[1] Giesecke, Hermann (1999): Hitlers Pädagogen. Theorie und Praxis nationalsozialistischer Erziehung. 2. überarbeitete Auflage. Weinheim: Juventa, S. 126

[2] Lietz et al. 1998, S. 19–20

[3] Ebd., S. 17

[4] Ebd., S. 18

[5] Ebd.

[6] Ebd., S. 18–19

[7] Ebd., S. 20

[8] Ebd.

[9] Ebd., S. 22–23

[10] Flessau 1977, S. 21

[11] Ebd., S. 19

[12] Ebd.

[13] Ebd., S. 20

[14] Ebd., S. 19

[15] Ebd., S. 98

[16] Ebd.

[17] Ueberhorst 1980, S. 32

[18] Flessau 1977, S. 25

[19] Ebd., S. 26

[20] Ebd., S. 27

[21] Ebd., S. 28

[22] Lietz et al. 1998, S. 35–36

[23] Flessau 1977, S. 28

[24] Ebd., S. 21

[25] Ebd.

[26] Giesecke 1999, S. 126

[27] Ebd., S. 127

[28] Ebd.

[29] Ebd.

[30] Lietz et al. 1998, S. 37

[31] Ebd.

[32] Ebd.

[33] Ueberhorst 1980, S. 26

[34] Flessau 1977, S. 22

[35] Ebd.

[36] Ueberhorst 1980, S. 29

[37] Flessau 1977, S. 23

[38] Moser, Arnulf (1997): Die Napola Reichenau. Von der Heil- und Pflegeanstalt zu nationalsozialistischen Eliteerziehung (1941-1945). Konstanz: Stadler (Schriftenreihe des Arbeitskreises für Regionalgeschichte Bodensee e.V, 12) , S. 7

[39] Flessau 1977, S. 23

[40] Schröders, Michael (2013): “Elitebildung“ in NS-Ausleseschulen und Ordensburgen. Online verfügbar unter www.historisches-centrum.de/forum/schröders04-1.html, zuletzt aktualisiert am 20.01.2013, zuletzt geprüft am 24.05.2013

[41] Ebd.

[42] Ebd.

[43] Ebd.

[44] Moser 1997, S. 7

[45] Giesecke 1999, S. 10

[46] Ebd., S. 12

[47] Ebd., S. 10

[48] Ebd.

[49] Hitler, Adolf (1943): Mein Kampf. Zwei Bände in einem Band. Ungekürzte Ausgabe. München, S. 477–478

[50] Ebd., S. 446

[51] Giesecke 1999, S.29

[52] Ebd.

[53] Hitler 1943, S. 452

[54] Ebd.

[55] Giesecke 1999, S. 26

[56] Ebd., S. 29

[57] Ebd., S. 19

[58] Ebd.

[59] Ebd., S. 35–36

[60] Ebd., S. 46

[61] Krieck, Ernst (1933): Grundriss der Erziehungswissenschaft. Fünf Vorträge. Leipzig: Quelle & Meyer, S. 17

[62] Giesecke 1999, S. 37

[63] Krieck 1933, S. 20

[64] Assel, Hans-Günther (1983): Politische Pädagogik im Wandel der Zeit. Über Probleme politischer Erziehung in Deutschland im 20. Jahrhundert. Frankfurt a.M.: Haag + Herchen (Studien zur Politikdidaktik, 24), S. 67–68

[65] Giesecke 1999, S. 39

[66] Assel 1983, S. 72

[67] Ebd.

[68] Giesecke 1999, S. 52

[69] Ebd., S. 75

[70] Ebd., S. 101

[71] Ebd.

[72] Baeumler 1942, zit. n. Giesecke 1999, S. 96

[73] Giesecke 1999, S.96

[74] Assel 1983, S. 79

[75] Assel 1983, S. 82

[76] Ebd.

[77] Giesecke 1999, S. 98

[78] Ebd., S. 83–85

[79] Ebd., S. 86

[80] Ebd., S. 85

[81] Ebd., S. 90

[82] Ebd., S. 89

[83] Ebd., S. 91

Details

Seiten
Erscheinungsform
Erstausgabe
Erscheinungsjahr
2013
ISBN (PDF)
9783956845253
ISBN (Paperback)
9783956840258
Dateigröße
2.4 MB
Sprache
Deutsch
Institution / Hochschule
Universität Duisburg-Essen
Erscheinungsdatum
2015 (Februar)
Note
1,3
Schlagworte
Erziehung Bildung Schulsystem Ordensburg Napola Adolf Hitler Regime

Autor

Vanessa Stürz wurde 1990 im Duisburger Stadtteil Homberg geboren. Im Jahr 2009 machte die Autorin ihr Abitur und begann, nach einem Jahr praktischer Erfahrung in der Jugendarbeit, ihr Studium für das Grundschullehramt an der Universität Duisburg-Essen. Im Dezember 2013 wird sie aller Voraussicht nach das Studium mit dem ersten Staatsexamen abschließen. Auf Grundlage ihrer Examensprüfung im Fach Gesellschaftswissenschaften befasste sich die Autorin mit der Zeit des Nationalsozialismus und entschied daraufhin, sich im Rahmen der Staatsexamensarbeit der Thematik der nationalpolitischen Eliteerziehung zu widmen. Das vorliegende Buch ist die Veröffentlichung dieser Abschlussarbeit.
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Titel: Elite und Diktatur: Die Rolle der Eliteschulen im Nationalsozialismus
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