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Personalführung in sozialen Organisationen: Eine Kindertagesstätte trotz Rollenkonflikten und Dilemmata erfolgreich leiten

©2013 Bachelorarbeit 48 Seiten

Zusammenfassung

In der vorliegenden Arbeit geht es um die Spannungsfelder, in welchen sich Kita-Leiterinnen permanent befinden. Nachdem kurz auf Begriffe wie ‚Organisation‘, ‚Institution‘ und ‚Technologiedefizit‘ (Luhmann) eingegangen wird, werden die Dilemmata sozialer Organisationen - und damit auch die von Kindertagesstätten - aufgezeigt, mit welchen diese zu „kämpfen“ haben. Anschließend wird dann auf die spezielle Situation von denjenigen Kita-Leiterinnen eingegangen, die - zusätzlich zu den sowieso schon vorhandenen Schwierigkeiten und Herausforderungen - nicht vom Gruppendienst freigestellt sind und sich somit zusätzlich in einem „Multi-Rollenkonflikt“ befinden. Dann wird versucht aufzuzeigen, wie Kita-Leiterinnen trotz dieser Herausforderungen sinnvoll Kindertagesstätten leiten können und wie wichtig, gleichzeitig aber auch schwierig, dabei stets die Motivation ist. Dazu wird nochmals auf die Systemtheorie und deren spezielle Sicht auf Führung eingegangen sowie auch auf die exemplarischen Lösungswege von potentiellen Rollenkonflikten.

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


2. Grundlegende Gedanken zum Begriff der Organisation

2.1 Die Relativierung der zweckrationalen Ausrichtung und der Wandel des Organisationsverständnisses

2.1.1 Der Wandel in den Theorien

Für Max Weber sind „Organisationen stark geprägt […] durch eine rationale Anordnung von Zwecken und Mitteln“ (Grunwald 2009, S. 92). Diese Zweckrationalität zeigt sich dadurch, dass derjenige, der handelt „in seinen Handlungen eine Abwägung von verschiedenen Zwecken vornimmt, möglichst günstige Mittel zur Umsetzung der festgelegten Zwecke wählt und bei dieser Auswahl von Zwecken und Mitteln potentielle unerwünschte Konsequenzen berücksichtigt“ (ebd.). In diesem Sinne ist eine Organisation also „in Form von Zweck-Mittel-Ketten“ (ebd.) zu verstehen.

Organisationsziele sind also „definiert als die Zwecke, um derentwillen eine Organisation gegründet wird und deren Erfüllung sie erreichen soll“ (Abraham/Büschges 2009, S. 110: vgl. dazu auch: Korte/Schäfers 2008, S. 156). Dies macht den hohen Stellenwert von Organisationszielen deutlich, denn diese sollen die Leistungen, die die Organisation erfüllen soll, bestimmen, aus ihnen wird abgeleitet, wie die Organisation strukturiert wird, usw. (vgl. Abraham/Büschges 2009, S. 110 – 115).

Mittlerweile wird vielfach Kritik an dieser Vorstellung geübt (vgl. Grunwald 2009, S.92). Unter anderen kritisiert auch Kühl die Betonung der zweckbestimmten Funktionsweise von Organisationen und konstatiert, dass „gerade die Oberzwecke so abstrakt, schwammig und interpretationsfähig formuliert (seien), dass sich aus der Zwecksetzung keine eindeutig richtigen Mittel ableiten lassen“ (Kühl 2002, S. 266 in: Grunwald 2006, S. 188; vgl. auch Abraham/Büschges 2009, S. 110 – 115)[1]. Deutlich wird dies am „Oberzweck“ der Organisation Kita, nämlich Bildung, Erziehung und Betreuung der Kinder, welcher ja auch sehr interpretationsfähig und –bedürftig ist.

Hinzu kommt, dass sich in Organisationen noch andere Ziele mit der Zeit entwickeln können, wie bspw. der Erhalt der Arbeitsplätze, die dann möglicherweise einen de facto gleich hohen Stellenwert wie die Organisationsziele (also die „Oberzwecke“) bekommen (vgl. Korte/Schäfers 2008, S. 165).

Zudem kann es vorkommen, dass es in verschiedenen Abteilungen unterschiedliche Ziele gibt, die bspw. in Kitas entstehen können, wenn in einer Einrichtung sowohl Schulkinder als auch Kindergarten- und Krippenkinder sind. Hier können bspw. die Bedürfnisse der Schulkinder nach dem Mittagessen stark differieren gegenüber jenen Bedürfnissen der Krippenkinder, was zur Folge haben kann, dass infolgedessen auch die in den verschiedenen Gruppen tätigen Erzieherinnen jeweils andere Ziele entwickeln. Grunwald bezeichnet dies als Ablösung der Rationalität durch „lokale Rationalitäten“ (Grunwald 2006, S. 190).

Führungskräfte haben es also mit Zielbündeln zu tun, die durchaus in Konflikt miteinander stehen können (vgl. Korte/Schäfers 2008, S. 156; vgl. Grunwald 2012, S.63). Mit diesen sich zum Teil widersprechenden Zielen sind insbesondere die Führungskräfte konfrontiert. Wenn nun eine Kita-Leiterin nicht vom Gruppendienst freigestellt ist, kommt sie in ein zusätzliches Spannungsfeld, da im direkten Kontakt mit den Kindern möglicherweise das Organisationsziel (also der Oberzweck) Kinder zu bilden und zu erziehen eher Priorität bekommt.

Jedenfalls sind hier die Führungskräfte mit unterschiedlichen Erwartungen konfrontiert, welche ich unter rollentheoretischen Gesichtspunkten im Kapitel 4.3 analysieren werde.

Neuere sozialwissenschaftliche Theorien leugnen jedoch nicht die „Zweckrationalität in Institutionen“ (Grunwald 2006, S. 188). Sie sei neben vielen anderen Aspekten vorhanden, sie stehe jedoch nicht zwangsläufig im Mittelpunkt (vgl. ebd.). „Vielmehr sind Zweck-Mittel-Relationen ein Merkmal von Organisationen neben anderen […]“ (Grunwald/Steinbacher 2007, S. 93).

Vermehrt in Zweifel gezogen werden die unterstellte Fähigkeit der genauen Vorhersagen von Organisationen und die damit verbundene „exakte Planung, die behauptet hatte, die Zuweisung von Ressourcen (Personal, Räume, Finanzen) sei im Vorhinein nahezu fehlerfrei möglich“ (ebd.).

Zu ergänzen wäre hier noch die Unterscheidung von formaler und informaler Organisationsstruktur (vgl. Preisendörfer 2005, S. 114; vgl. dazu auch Hobmair et al. 2006, S. 381f.; s. dazu auch S. 20f.). Demnach gibt es also eine „Diskrepanz zwischen Sollen und Sein, zwischen normativen Vorgaben und dem, was in Organisationen faktisch […]“ geschieht (Preisendörfer 2005, S. 114).

2.1.2 Kritik am zweckrationalen Verständnis in der anwendungsorientierten Literatur

Lange Zeit wurde in der Sozialen Arbeit auf ökonomische Managementtheorien zurückgegriffen (vgl. Grunwald 2012, S. 56), was heute noch Auswirkungen insbes. auf die anwendungsorientierte Literatur hat, welcher ein „sehr schlichtes Bild von Organisation und ihrem Management“ (Grunwald 2006, S. 186) zugrunde liegt und die von einer „Plan- und Steuerbarkeit von Organisationen“ (ebd.) ausgeht, was jedoch wie oben dargestellt, mit der „Resoziologisierung der Organisations- und Managementtheorie Ende der 70`er Jahre grundlegend in Frage gestellt wurde“ (Grunwald 2009, S. 95).[2]

Es wäre sicher lohnenswert die anwendungsorientierte Literatur für Führungskräfte in Kitas dahingehend zu analysieren, welches Organisationsverständnis dieser zugrunde liegt.

2.2 Der normative Rahmen von sozialen Organisationen

Alltagssprachlich sind sowohl der Begriff Organisation als auch der Begriff Institution bekannt und häufig werden „öffentliche Einrichtungen wie Schulen, Krankenhäuser als Institutionen“ (Korte/Schäfers 2008, S. 146) bezeichnet, während man für „Fabriken oder Kaufhäuser eher den Begriff Organisation benutzt“ (ebd.), oder aber man verwendet die Begriffe synonym, was sogar in den Erziehungswissenschaften vorkommt (vgl. Kuper 2011, S. 443; vgl. auch Focali 2011, S. 39).

Es stellt sich also die Frage, was diesen Begriffen gemein ist und was sie trennt.

Mit beiden Begriffen kann etwas Ähnliches analysiert werden (vgl. Korte/Schäfers 2008, S. 146) und als „gemeinsamen Kern“ bezeichnen Korte und Schäfers „die geregelte Kooperation von Menschen, ein Zusammenwirken und Miteinanderumgehen, das weder zufällig noch beliebig so geschieht“ (ebd.).

Institutionen können als „Sinneinheit von habitualisierten Formen des Handelns und der sozialen Interaktion, deren Sinn und Rechtfertigung der jeweiligen Kultur entstammen und deren dauerhafte Beachtung die umgebende Gesellschaft sichert“ definiert werden (ebd.) und Focali definiert in Anlehnung an Terhart Institution in aller Kürze als „ein gesellschaftlich anerkanntes bzw. bekanntes Regelwerk“ (Terhart 2001, S. 49 in: Focali 2011, S. 39). Als Beispiel dafür führt er die Familie als Institution an: „Die Institution Familie meint nicht die Einzelfamilie als solche, sondern den anerkannten normativen Gehalt, der mit der Institution Familie verbunden ist“ (ebd.). Eine Schule ist also eine Institution, wenn sie „als gesellschaftliche Einrichtung zur Wissensvermittlung ebenso wie zur Verteilung von Lebenschancen“ angesehen wird (ebd.).

Organisationen sind „Instrumente zur Erreichung spezifischer Ziele oder Zwecke, d.h. von bestimmten Zuständen oder Ergebnissen, die durch das bewusst geregelte Zusammenwirken von Menschen und die Nutzung von Mitteln erreicht werden sollen“ (Korte/Schäfers 2008, S. 156). Sie haben sich „eher in der Moderne und vor allem auf dem Boden der Rationalität“ entwickelt (ebd., S. 154). Sie kennzeichnet insbesondere „das Organisieren als Form des Denkens und Handelns“ (ebd.).

Als Beispiel für Organisationen nennt Focali wiederum die Schule. Die Schule, betrachtet als ein Gebilde, das das Ziel des Lernens und des Vorbereitens auf das weitere Leben verfolgt, das formale Strukturen aufweist (Klassenverbände, Klausuren, Zeugnisse, etc.) und mit dem die Schüler Bildung erfahren und – mal mehr und mal weniger – auf das weitere Leben vorbereitet werden. Aus diesem Blickwinkel betrachtet ist die Schule Organisation.

Völlig getrennt kann man allerdings Institutionen und Organisationen nicht voneinander betrachten, da Institutionen den „normativen Rahmen“ (Hobmair et al. 2006, S. 21) des Handelns in Organisationen bilden (vgl. ebd.).

Konkret am Beispiel der Kindertagesstätte heißt das, dass eine solche als Institution gesehen wird, wenn man sie unter dem Gesichtspunkt einer Einrichtung der Bildung, Erziehung und Betreuung (vgl. Laewen 2006, S. 96) betrachtet, die so gesellschaftliche Aufgaben erfüllt, wohingegen sie als Organisation angesehen wird, wenn sie als Gebilde aufgefasst wird, in welchem in einem formalen Rahmen mit Hilfe der Mitarbeiter Ziele verfolgt werden, jedoch unter dem „normativen Rahmen“ der Bildung, Erziehung und Betreuung von Kindern.

2.3 Die soziale Organisation und das Technologiedefizit

Unter den Begriff der ‚sozialen Organisation‘ fallen „vor allem jene Organisationen bzw. Einrichtungen […], die das Sozialwesen und überschneidend das Bildungs- und Erziehungswesen als ihr Aufgabengebiet betrachten und die auch als Moralunternehmen, soziale Dienstleistungsbetriebe oder personenbezogene Dienstleistungen bezeichnet werden“ (Stoll 2008, S. 22f.).

In sozialen Organisationen, die pädagogisch arbeiten, „soll in das Werden einer Person interveniert werden“ (Focali 2011, S. 46). „Diese hohe Erwartung, die an die Pädagogik gerichtet ist“ (ebd.) kollidiert, so Focali in Bezug auf Luhmann, mit dem „sogenannten Technologiedefizit“ (ebd.), nämlich dem Defizit zwischen der Erziehungswissenschaft und der praktischen Pädagogik (vgl. Horster 2005, S. 183). Wenn in der Naturwissenschaft ein Produkt nicht so funktioniert, wie theoretisch erhofft, gibt man es ins Labor zurück mit der Erwartung, dass es nach Bearbeitung auch praktisch so funktioniert wie theoretisch intendiert. In der Pädagogik ist dieses Verfahren zwischen der praktischen Pädagogik und der Erziehungswissenschaft nicht möglich (vgl. ebd.). So sind Menschen eben keine ‚Trivialmaschinen‘,(vgl. Focali 2011, S. 46) „die auf einen bestimmten Input ein berechenbares Output liefern, sondern ein für die pädagogische Intervention unzugängliches Selbst besitzen (und so) kann pädagogischer Handlung auch keine Kausallogik unterlegt werden“ (ebd.).

Pädagogisches Handeln kann also nicht ins „Labor“ zurückgegeben werden, um nochmals überprüft zu werden. Es gibt im pädagogischen Bereich also nicht die Planung und das darauffolgende erwartete Ergebnis. Sondern es gibt eine Planung, aber das intendierte Ergebnis bleibt offen.

Dies unterscheidet soziale Organisationen ganz deutlich von anderen: „Das Ergebnis von Lernprozessen, die Bildung des Individuums, muss individuell und besonders erbracht werden. Damit sind im operativen Kern den Bemühungen um Standardisierung, wenn der Erfolg gesichert werden soll, Grenzen gesetzt“ (Merkens 2006, S. 236).

Hier deutet sich schon ein grundsätzlicher Widerspruch zwischen dem Ziel der Institution Kita, nämlich Kinder zu bilden, zu erziehen und dem, was in Organisationen geschehen soll, nämlich zu planen, zu standardisieren etc., an. Wenn man von der beschränkten Organisierbarkeit von Bildung und Erziehung ausgeht, so wäre es aber doch gerade wichtig, dafür die notwendigen Freiräume zu „organisieren“ (vgl. Kuper 2011, S. 454).

3. Die Organisation als System

3.1 Vorbemerkungen

Kuper bezeichnet die Organisationstheorie Luhmanns, die dieser insbesondere in seinem Buch „Organisation und Entscheidung“ dargestellt hat, als „die theoretisch differenzierteste Ausarbeitung einer auf dem Entscheidungsbegriff basierenden Organisationstheorie“ (ebd., S. 453), welche systemtheoretisch ausgerichtet ist. Auch neuere Veröffentlichungen basieren auf einem systemtheoretisch ausgerichteten Organisationsverständnis (vgl. dazu Grunwald 2012, S. 56f.).

Um herauszufinden, welches „Führungsverständnis“ und welches „Organisationsverständnis“ der Systemtheorie zugrunde liegt, möchte ich zunächst die für mein Thema wichtigsten Grundlagen der Systemtheorie herausfiltern und in aller Kürze darstellen, wohlwissend, dass dies Luhmanns Systemtheorie eigentlich nicht gerecht wird. Zudem werde ich das komplexe Thema „Organisation“ so einschränken, dass an dieser Stelle zunächst die wichtigsten Grundgedanken dargestellt werden. Auf das Geflecht Führungsperson und Mitarbeiterinnen werde ich im Kapitel Personalführung, insbesondere unter Berücksichtigung der Motivation der Mitarbeiterinnen eingehen.

3.2 Einblick in die Systemtheorie: Eine andere Sicht auf Führung

Systeme sind für Luhmann „dadurch gekennzeichnet, dass sie sich in einer äußerst komplexen, veränderlichen und im Ganzen nicht beherrschbaren Umwelt zu sich selbst identisch halten“ (Merkens 2005). Wichtige Aspekte sind hierbei die Unterscheidung zwischen System und Umwelt (vgl. ebd.) sowie die Unterscheidung zwischen sozialen (z.B. Organisation) und psychischen Systemen (Bewusstsein von Menschen), was dann die Konsequenz hat, dass psychische Systeme „zur Umwelt sozialer Systeme und umgekehrt“ gehören (Luhmann 1991, S. 21 in: Merkens 2006, S. 160).

Sowohl soziale als auch psychische Systeme sind nach Luhmann „temporalisierte, sinnverarbeitende Systeme, die in ihren Elementen aus flüchtigen Ereignissen der Informationsverarbeitung bestehen, welche sich sinnhaft aufeinander beziehen und sich damit zu einem Prozess der Informationsverarbeitung zusammenschließen“ (Fischer 2009, S. 27f.). Da Systeme sich „ausschließlich mit eigenen rekursiv[3] vernetzten Operationen, genauer mit eigenen Kommunikationen, selbst reproduzieren können, spricht Luhmann auch von `operativ geschlossenen` bzw. von autopoietischen, d.h. von sich selbst erzeugenden Systemen […] und betont damit die Autonomie der sozialen Systeme gegenüber ihrer jeweiligen Umwelt“ (ebd. , S. 29).

Systeme sind ihrer jeweiligen Umwelt gegenüber jedoch nicht völlig verschlossen, sondern sie lassen sich von ihr „irritieren und dadurch zur Kommunikation anregen […]“ (ebd., S. 30), jedoch nur, wenn das System das von der Umwelt Kommende auf eine irgendwie geartete Weise (z.B. zur Selbsterhaltung von Organisationen) als wichtig definiert (vgl. ebd., S. 29). Dies verdeutlicht, dass das jeweilige System selbst festlegt, „welchen der unzähligen Reize in seiner Umwelt es Informationswert zuschreibt und welche Strukturveränderungen (welche Lernprozesse) aufgrund der verarbeiteten Informationen einsetzen“ (Hafen 2004, S. 216f.). (So betrachtet kann man Systeme auch als offene Systeme bezeichnen.) Dieses Verständnis der von Luhmann so bezeichneten „operativen Geschlossenheit von Systemen“ (Luhmann 1997, S. 44f in: ebd.) hat Konsequenzen dafür, was man unter Intervention in ein System verstehen kann: Luhmann weist z.B. für den Bereich der Erziehung darauf hin, „dass sie nicht tun kann, was sie will“ (Luhmann 1991, S. 23 in: Merkens 2006, S. 161), denn sie stößt immer an die Grenzen des psychischen Systems des Anderen, der letztlich nur das lernt, was er will. Man kann entsprechend Wissen anbieten, annehmen muss es jedoch der Andere und dieser entscheidet darüber.

Die Analogie zur Personalführung liegt auf der Hand. So sind Mitarbeiterinnen eigenständige psychische Systeme mit einer „unaufhebbaren Autonomie“ (Fischer 2009, S. 24), die folglich nicht direkt lenk- und beeinflussbar sind, sondern höchstens indirekt. Dies stellt sicherlich ein wichtiges Kriterium dar, wenn es darum gehen soll, die Motivation von Mitarbeiterinnen zu untersuchen (s. Kapitel „Bedeutung der Motivation“).

Nach systemtheoretischem Verständnis kann es also nicht darum gehen zu versuchen, den Mitarbeiter direkt zu beeinflussen und zu lenken, sondern ihn wie oben beschrieben zunächst zu „irritieren“ und dann zu begleiten und darin zu unterstützen, selbst Lösungen zu entwickeln (vgl. Hafen 2004, S. 220). Wie eine solche Steuerung aussehen kann, werde ich auf S. 29ff. beschreiben. In diesem Zusammenhang bekommen Begriffe wie Selbstorganisation (vgl. Grunwald 2009, S. 118f.), der Grunwald eine zunehmende Bedeutung in der Personalführung zuweist (vgl. ebd.) und Hilfe zur Selbsthilfe eine ganz neue Bedeutung.

Die Betriebswirtschaftslehre fokussiert beim Thema Steuerung von Organisation auf die Führung von Unternehmen, lenkt also den Blick auf „die Frage der gezielten Beeinflussung des Handelns von Untergebenen“ (Fischer 2009, S. 24). „Der Begriff der Steuerung legt den Verwender jedoch nicht auf diese Top-Down-Perspektive fest. Er umfasst auch den Fall einer gezielten Beeinflussung von unten nach oben oder seitwärts in der Hierarchie“ (ebd., S. 24f.).

Eine solche Sichtweise auf Systeme, also auch auf Organisationen, muss meiner Meinung nach Auswirkungen auf die Führungskraft haben. Erstens entlastet es, nicht mehr zu meinen für alles verantwortlich zu sein, zweitens wird „der Andere“ ins Blickfeld gerückt, den man „führen“ möchte. Die Grenzen der Beeinflussbarkeit des Anderen werden einem deutlich vor Augen geführt und man stellt fest, dass man den Anderen und dessen Mitarbeit braucht, will man ihn beeinflussen.

3.3 Einblick in die systemische Organisationstheorie: Merkmal von Organisation und Zweckprogrammierung

Wie schon oben dargestellt, sind auch Organisationen soziale Systeme[4].

„In allen sozialen Systemen vollzieht sich die Autopoiesis auf dem Wege sich rekursiv aufeinander beziehender Kommunikation. Allerdings sind die basalen Ereignisse, mit denen organisierte Systeme Unsicherheit absorbieren und sich operativ schließen, Kommunikationen spezifischen Typs, nämlich Entscheidungen“ (Fischer 2009, S. 39). (Die Probleme und Komplexität, die mit Entscheidungen einhergehen und auch die Personalführung betreffen, stelle ich unter dem Abschnitt 3.4 dar.)

Es geht in Luhmanns Organisationstheorie darum „wie es Organisationen gelingt, die Entscheidungen der Organisationsmitglieder zu koordinieren und miteinander zu verknüpfen, ohne diese zu determinieren“ (Munz 2005, S.11).

Organisationssysteme haben nach Luhmann also das Merkmal, dass sie „aus Entscheidungen bestehen und die Entscheidungen, aus denen sie bestehen, selbst anfertigen“ (Luhmann 1988, S. 166 in: Fischer 2009, S. 39).

Dies erscheint zunächst chaotisch, jedoch können durch Entscheidungen über die Prämissen einer noch unbestimmten Vielzahl von Entscheidungen Komplexität und der Aufwand für die enorme Informationsverarbeitung in Organisationen reduziert werden (vgl. Munz 2005, S. 11). „Durch Entscheidungsprämissen werden zukünftige Entscheidungen koordiniert und gleichsinnig ausgerichtet […]“ (ebd., S. 12), ohne zukünftige Entscheidungen vorweg zu nehmen, was ja gar nicht ginge.

Luhmann unterscheidet verschiedene Arten von Entscheidungsprämissen:

- Entscheidungsprogramme, „die zwischen richtigen und falschen Entscheidungen unterscheiden“ (ebd.),
- Kommunikative Wege, welche Entscheidungskompetenzen regeln und
- Entscheidungen über den Personaleinsatz (vgl. ebd., vgl. dazu auch Fischer 2009, S. 49).

Die Entscheidungsprogramme spielen eine besondere Rolle, wenn es um die „betriebliche Steuerung der Arbeitshandlungen“ geht (Munz 2005, S. 11).

Luhmann unterscheidet bezüglich der Entscheidungsprogramme zwischen Zweck- und Konditionalprogrammierung.

„Beschäftigte, deren Arbeitshandlungen durch Zweckprogrammierung gesteuert werden, sind auf eine Weise in die betriebliche Logik einbezogen, die ihnen Verantwortung für die Erzielung der betrieblich gesetzten Zwecke zuschreibt. Durch die im Rahmen einer Zweckprogrammierung übertragenen Handlungs- und Gestaltungsspielräume ist das Management in besonderer Weise von der Bereitschaft der Beschäftigten abhängig, diese Verantwortung zu übernehmen und die übertragenen Dispositionsspielräume im betrieblichen Sinne zu nutzen“ (ebd., S. 19).

In Kitas liegt m.E. das Prinzip der Zweckprogrammierung vor. Die Erzieherinnen tragen eine hohe (Teil-) Verantwortung dafür, dass das Organisationsziel Kinder zu bilden, zu erziehen und zu betreuen erreicht wird.

Mit dem jeweiligen Entscheidungsprogramm hängt neben dem Ausmaß, in dem den Mitarbeiterinnen Verantwortung übertragen wird, auch der Stellenwert der Motivation zusammen. Organisationen mit Zweckprogrammierung wie Kitas sind auf weitgehende Verantwortungsübernahme und somit auch auf eine hohe Motivation der Mitarbeiterinnen angewiesen. Wie eine solche Motivation aussehen kann, wird weiter unten im Abschnitt „Die Bedeutung der Motivation“ dargestellt.

3.4 Einblick in die Dilemmata von sozialen Organisationen

Was Führung in (sozialen) Organisationen besonders schwierig macht, sind die widersprüchlichen Erwartungen, denen die Führungskraft ausgesetzt ist. Organisationen stecken unter einem Deckmantel von Dilemmata, mit welchen sie - und entsprechend die Führungspersonen - fertig werden müssen.

Nachfolgend werde ich einige Dilemmata in sozialen Organisationen aufzeigen, von denen auch Personalführung im weitesten Sinne betroffen ist.

3.4.1 Absorption von Ungewissheit versus Komplexität

Die Frage, die sich in diesem Zusammenhang stellt ist, wie man mit der Ungewissheit umgeht, die allen Entscheidungen immanent ist.

Grunwald spricht hier von der „Absorption von Ungewissheit“ (Grunwald 2006, S. 191). D.h. man nimmt am besten die Ungewissheit mit auf, indem man „die Entstehungs- und Begründungsgeschichte einer Entscheidung – mit all ihrem Für und Wider und allen auch der Entscheidung übrig gebliebenen Fragezeichen – nicht mit der unmittelbaren Entscheidung mit kommuniziert“ (ebd.). Die Absorption der Ungewissheit, so Grunwald, findet also statt, indem „die Herleitung, Begründung und verbliebene Fragwürdigkeit der Entscheidung […] gewissermaßen verschluckt“ wird (ebd.).

Absorbiert man hingegen die Ungewissheit nicht, ist eine Organisation vollkommen überstrapaziert und würde sie „letztlich lahm legen und handlungsunfähig machen“ (ebd.).

Das Prinzip der Absorption von Ungewissheit wird allerdings, so Grunwald, seit ein paar Jahren in Frage gestellt, nämlich insofern, „dass durch das Schlucken von Ungewissheiten im Zuge organisationaler Entscheidungsprozesse nicht nur der unnütze Ballast vergangener Entscheidungsbegründungen, sondern auch viele Unstimmigkeiten, Schwierigkeiten, Probleme usw. vernichtet werden, die wertvolle Hinweise auf Lernmöglichkeiten der Organisation geben können“ (ebd., S. 192).

Alles in allem, so schlussfolgert Grunwald, steckt also eine Organisation „in einem Dilemma […], dem sie nicht ausweichen kann und das sie aber auch nicht dauerhaft erledigen kann“ (ebd.). Denn einerseits braucht sie die ‚Absorption der Ungewissheit‘, um handlungsfähig zu bleiben, wenn sie aber andererseits komplett die Unsicherheit außen vor lässt, verzichtet sie auf Lernmöglichkeiten und das bedroht ebenfalls „langfristig die eigene Existenz“ (ebd.).

„Hierarchische Gliederungen und Organigramme, […] (und andere Hilfsmittel der Organisation) sind unter dem Gesichtspunkt der ‚Absorption von Ungewissheit‘ im Kern dafür da, die Widersprüchlichkeiten von Umweltanforderungen für die Organisationsmitglieder zu reduzieren und handhabbar zu machen“ (ebd.). Denn dadurch werden die „Alternativen und Wahlmöglichkeiten“ (ebd.) übersichtlicher und die Mitarbeiter und die Führungskraft können sich auf das Wesentliche konzentrieren (vgl. ebd.).

Was ist das Wesentliche, wann ist also Komplexität notwendig? Was ja bedeutet, nicht schon von vornherein durch obige Hilfsmittel schon entschieden zu haben und Abläufe zur Routine zu machen, sondern die Wahlmöglichkeiten „auf den Tisch“ zu legen, mit allem ‚Für und Wider‘ zu diskutieren und abzuwägen. Es muss also entschieden werden, welche Themen in aller Komplexität diskutiert werden und von wem sie dann letztendlich auch entschieden werden. Dies braucht Zeit, welche im normalen Arbeitsablauf in einer Kita fehlt. Deshalb ist es notwendig, dafür z.B. pädagogische Tage einzurichten und diesen auch einen entsprechend hohen Stellenwert beizumessen. Nur so kann die nötige Komplexität in Kitas zum Tragen kommen, ansonsten haben die Mitarbeiterinnen immer das Gefühl „keine Zeit für die wirklich wichtigen Themen“ zu haben. Was wiederum Entscheidungen nach sich zieht, denn dies kann dann bedeuten, dass die Einführung pädagogischer Tage wiederum mit den Erwartungen der Eltern kollidiert, wenn es deren Wunsch ist, dass die Kita so selten wie irgend möglich geschlossen hat.

3.4.2 Effizienz versus slack

Einerseits geht es um „Effizienz“, im Sinne von maximaler Auslastung von „Personalressourcen und Sachmittel“ (Grunwald 2012, S. 62), andererseits geht es gleichzeitig um „slack“, also um „überschüssige Ressourcen und Pufferkapazitäten, […]“ (ebd.). Die Organisation steckt also im Dilemma keine Aushilfskräfte einstellen zu können, da sie, ausgehend von den Interessen des Trägers, auf die Kosten zu achten hat. Sie weiß allerdings genau, dass eine sog. ‚Springerkraft‘ dringend nötig wäre, um das Team zu entlasten, was letztlich auch dem Organisationsziel Bildung, Betreuung und Erziehung der Kinder zugute käme. „Die Reduzierung von slack in einer Organisation führt in aller Regel zu kurzfristigen Einsparungen, bringt aber längerfristig oft auch eine Schwächung der Organisation mit sich, die sich z.B. in zunehmendem Stress der Mitarbeiterinnen […] niederschlägt“ (ebd.) und in abnehmender Motivation, die jedoch zur Erreichung der Organisationsziele (bei Zweckprogrammierung) nötig ist.

3.4.3 Kontinuität versus Veränderung

„Für das Überleben einer Organisation [sind] oftmals sowohl tiefgreifende Veränderungen als auch verlässliche Kontinuitäten notwendig“ (Grunwald 2012, S. 63). So ist es wichtig, dass Kinder in einer Kita vertraute Strukturen, also Rituale, vorfinden, die sie bereits kennen gelernt und internalisiert haben, andererseits muss eine Kita sich neuen pädagogischen Erkenntnissen anpassen und sich z.B. auf neue Konzeptionen einlassen. Wandel bewirkt also einerseits gewisse Unruhen in einer Organisation, andererseits ist er auch notwendig für eine Organisation um „weiter zu kommen“.

In der Personalführung äußert sich dieses Dilemma bspw. bei der Einstellung neuer Mitarbeiterinnen: Entweder man stellt Mitarbeiterinnen ein, die neue Konzepte umsetzen können und wollen (z.B. Erlebnispädagogik,…), was für das Team Veränderung und evtl. Unruhe mit sich bringt oder man bemüht sich darum eine gewisse Kontinuität beizubehalten, damit sich die Arbeit im Team stabilisiert und so Teamkonflikte vermieden werden.

3.4.4 Autonomie versus Kontrolle

Wie schon auf S. 9f. dargestellt, kann pädagogische Arbeit aufgrund des Technologiedefizits kaum standardisiert werden (vgl. Merkens 2006, S. 236). Man benötigt also für die pädagogische Arbeit einen eigenen Gestaltungs- und Handlungsspielraum, d.h. eine Erzieherin muss in vielen Situationen die Freiheit bekommen, autonom zu handeln.

Autonomie bedeutet hier allerdings nicht „im Sinne eines Loslassens […], da so eine Grauzone für die Führung im zentralen Arbeitsbereich der Mitarbeiter entstehen würde“ (Tenberg/Pfister 2012, S. 51). Sondern es geht darum „Wege zu finden, über die der Autonomie-Anspruch nicht generell aufgehoben […], jedoch ‚funktional relativiert‘“ wird (ebd.).

Inwiefern soll also die Autonomie der Erzieherinnen in den Gruppen erhalten bleiben und inwiefern soll sie eingeschränkt werden?

Bezogen auf die Schule machen Tenberg und Pfister darauf aufmerksam, dass erst dann, wenn alle Lehrer eines Kollegiums erkennen, dass die Kontrolle von Unterricht äußerst wichtig ist, diese auch Sinn macht. Sowohl Schulleitung als auch Kollegium müssen sich „zu Pädagogen entwickeln, die Unterricht als eine überindividuelle Aufgabe sehen, deren Qualität gewährleistet und evaluiert werden muss“ (ebd., S. 52). Die Übertragung auf den Kita-Bereich ist offensichtlich. So müssen alle davon überzeugt sein, dass eine Kontrolle im „zentralen Arbeitsbereich“ (ebd., S. 51) notwendig ist. Ohne diese innere Überzeugung wird Kontrolle in erster Linie als sachlich unbegründete Machtausübung und Last empfunden, verfehlt so ihre Wirkung und führt bei den Mitarbeitern zu Demotivation und zu Stress. Nur auf diesem Weg kann ein Zugang zu den psychischen Systemen der Mitarbeiterinnen gefunden werden, was Luhmann mit Interpenetration bezeichnet (vgl. Miebach 2006, S. 219f.).

3.4.5 Weitere Dilemmata

Neuberger ergänzt obige Dilemmata durch weitere, die insbesondere für die Personalführung von Bedeutung sind:

„- Gleichbehandlung Aller oder Eingehen auf den Einzelfall
- Distanz zu den Mitarbeitern wahren oder auf die Mitarbeiter zugehen (Nähe)
- Aktivieren: Motivieren oder sich nicht einmischen, Raum für Selbstentwicklung geben
- Konkurrenz, Wettbewerb fördern oder Kooperation fördern“ (Neuberger 2002, S. 341f. in: Lieber 2007, S. 52).

Betrachtet man diese Spannungsfelder, erkennt man um wie viel komplexer Personalführung wird, als wenn man nur davon ausgeht, man müsse lediglich Organigramme, Stellenbeschreibungen, Stellenbesetzungspläne etc. haben und entsprechend diesen dann die Arbeit organisieren. Das Spektrum an Widersprüchlichkeiten, mit denen Führungskräfte zu kämpfen haben, ist also immens und es stellt sich die Frage, wie ein Umgang mit diesen Dilemmata aussehen kann.

[...]


[1] Die wichtigsten „Zwecke“ von sozialen Organisationen sind in Gesetzen, Lehrplänen (vgl. Hobmair et al. 2006, S. 379) und für den Kita-Bereich in Bildungsplänen festgelegt.

[2] Insbesondere in der sozialen Arbeit ist die Übertragbarkeit ökonomischer Modelle wegen des sog. „Technologiedefizits“, wie noch aufgezeigt wird, ganz besonders in Zweifel zu ziehen (vgl. Grunwald 2006, S. 186).

[3] „Als rekursiv bezeichnet man einen Prozess, der seine eigenen Ergebnisse als Grundlage weiterer Operationen verwendet, also das, was weiterhin unternommen wird, mitbestimmt durch das, was bei vorherigen Operationen herausgekommen ist“ (Luhmann 2005 b, S.42 in: Fischer 2009, S. 28).

[4] „Luhmann unterscheidet drei Typen sozialer Systeme: Interaktionssysteme, Organisationen und das alle sozialen Systeme umfassende Gesellschaftssystem“ (Fischer 2009, S. 37), die wie alle anderen Systeme dieselben Kennzeichen aufweisen: sie sind autopoietisch, operativ geschlossen und rekursiv.

Details

Seiten
Erscheinungsform
Erstausgabe
Jahr
2013
ISBN (PDF)
9783956845987
ISBN (Paperback)
9783956840982
Dateigröße
782 KB
Sprache
Deutsch
Institution / Hochschule
Universität Trier
Erscheinungsdatum
2015 (Februar)
Note
1,7
Schlagworte
Systemtheorie Kita Kita-Leiterin Rollenkonflikt Dilemma Personal

Autor

Gisa Vogel wurde 1988 in Göppingen geboren. Ihr Studium der Erziehungswissenschaften an der Universität Trier schloss die Autorin im Jahre 2013 mit dem akademischen Grad des Bachelor of Arts (B.A.) erfolgreich ab.
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