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Wem gehört die Stadt? Ausgrenzungsstrategien im öffentlichen Raum

©2013 Bachelorarbeit 46 Seiten

Zusammenfassung

Die Ideologie öffentlicher Räume impliziert, dass diese allen zugänglich sind. Inwiefern ist das jedoch Realität? Das Werk „Wem gehört die Stadt – Ausgrenzungsstrategien in öffentlichen Räumen“ stellt verschiedene soziologische, stadtgeographische und kulturwissenschaftliche Ansätze zu Dominanzverhältnissen und Ausgrenzungsstrategien im öffentlichen Raum vor. Ausgehend von den vielfältigen Definitionen öffentlicher Räume, widmet sich die Arbeit den Mechanismen, Strukturen und Instrumenten, die zur Ausgrenzung von Individuen und Gruppen im öffentlichen Raum führen. Ein besonderer Fokus liegt dabei auf der Frage, wer über Ausschluss entscheiden darf und wer im Gegenzug ausgeschlossen wird. Dabei wird insbesondere auf die Rolle von Staat (institutionell), Wirtschaft (ökonomisch) sowie der Gesellschaft (sozial) eingegangen. Diese interdisziplinäre Herangehensweise ermöglicht einen Überblick über die zahlreichen Forschungsergebnisse der letzten Jahrzehnte und liefert zusammenfassende Ergebnisse zu Ausgrenzungsstrategien im öffentlichen Raum.

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


3.1.2 Öffentliche Sicherheit und Ordnung

Im öffentlichen Raum herrscht ein allgemeiner und auch durchaus legitimer Wunsch nach Sicherheit und nicht störenden Verhaltensweisen. Deshalb werden Innenstädte durch Stadtreinigungsfirmen gesäubert, von unerwünschten Personen freigehalten, verkehrsberuhigt und es werden Schilder mit Verboten und Regeln angebracht, an welche sich Nutzer_Innen zu halten haben (Siebel 2004).

Damit wird die Deutungsmöglichkeit als eine der wichtigsten Qualitäten eines öffentlichen Raums erheblich eingeschränkt. Die Verbote werden gemeinhin von kommunalen Verwaltungen festgelegt oder aber von Förderrichtlinien des Bundes und der Länder. Eine Behörde, die erheblich in die Nutzung öffentlicher Räume eingreifen darf, ist beispielsweise die Denkmalschutzbehörde sowie das Bauamt.

Durch die zunehmende soziale Polarisierung wird der öffentliche Raum Schauplatz für gewaltsame Konflikte, Kriminalität und darauf reagierende staatliche Gewalt. Dies führt zum Ausschluss bestimmter Nutzungen und Nutzer_Innen, welche aus Schutz privatisierte Räume vorziehen oder aber vorsorglich zur Wahrung der Sicherheit ausgeschlossen werden (Reiß-Schmidt 2003). Kriminalität und Devianz werden von institutioneller Seite oft durch die klassische law-and-order Taktik zu beseitigen versucht. Grundgedanke ist dabei, durch repressive Maßnahmen Unangepasstheit aus dem öffentlichen Raum zu verdrängen (Benkel 2010). Seit der zweiten Hälfte der 1990er hat sich die europaweite Debatte um „öffentliche Sicherheit und Ordnung“ verschärft. Wo es vorher keine Rechtsgrundlage für die Vertreibung unerwünschter Menschen aus dem Stadtbild gab, wurden in den 1990er Jahren Neufassungen und Erweiterungen der einschlägigen Landesgesetzgebung und damit der kommunalen Satzungen und Verordnungen veranlasst, um solche Maßnahmen rechtlich zu legitimieren. Durch Sondernutzungssatzungen und Gefahrenabwehrverordnungen wird der öffentliche Raum von den Verantwortlichen in den Kommunen reguliert und kontrolliert und somit bestimmte Gruppen oder Einzelpersonen aus dem öffentlichen Leben vertrieben. Straßensatzungen legen fest, welche Verhaltensweisen unerlaubte Sondernutzungen der Straßen- und Verkehrsflächen darstellen. Diese umfassen im Wesentlichen das Herumsitzen oder –stehen um Alkohol zu trinken, das Übernachten im öffentlichen Raum, betteln, Konsum oder Verkauf illegaler Substanzen sowie das Verrichten der Notdurft in der Öffentlichkeit. All diese Verbote betreffen vor allem sozial wie ökonomisch schwache Randgruppen. Meist wird bei Nichteinhaltung dieser Verbote ein Bußgeld verhängt. Gefahrenabwehrverordnungen sind hingegen rechtliche Absicherungen für Polizei und andere „Ordnungshüter“ um abstrakte Gefahren präventiv abzuwehren. Zu diesem Zweck kann sich die Polizei auch auf Allgemein- und Einzelverfügungen berufen, die Aufenthaltsverbote (gegen Einzelpersonen) und Platzverweise (gegen eine unbestimmte Menge bestimmter Personen wie „Bettler“) ermöglichen (KAGS und KAGW 2002). Mustersatzungen und –verordnungen werden von zuständigen Ministerien und kommunalen Dachorganisationen so an die aktuelle Rechtsprechung angepasst, dass sie sich so nah wie möglich an der Grenze des rechtlich noch Zulässigen bewegen. So sollen möglichst viele ordnungspolitische Instrumente erhalten bleiben. Straßensatzungen werden verschärft, die Gefahrenabwehrverordnung wird rigider gehandhabt und Akteure zur Umsetzung von Sicherheit zeigen mehr Präsenz. Unterdessen wird ständiger Druck auf die sozialen Randgruppen ausgeübt. Dabei sind einige dieser Straßensatzungen und Gefahrenabwehrverordnungen rechtswidrig, wie beispielsweise das generelle Bettelverbot. Auch kommt es in Einzelfällen immer wieder zu Verletzungen der Grundrechte durch Übergriffe und unrechtmäßige Platzverweise aufgrund optischer Merkmale der Betroffenen (Simon 2001).

Kriminalität im öffentlichen Raum wird als besonders wichtiges, weil allgegenwärtiges Problem verhandelt, welches es unbedingt einzudämmen gilt. Von dieser übergeordneten, zu lösenden Problematik aus wird von institutioneller Seite versucht, andere, nicht eindeutig kriminelle Verhaltensweisen, in direkten Zusammenhang mit Kriminalität zu bringen und so eine entsprechende Sanktionierung zu rechtfertigen. So werden also gewisse Verhaltensweisen kriminalisiert, um unter gesellschaftlicher Legitimation gegen sie vorgehen zu können (Dollinger und Raithel 2006). Polizei und Gesetzgeber haben eine privilegierte Stellung was die Darstellung von Problemen und Risiken betrifft. Durch Berichte sowie bewusste wie unbewusste Falsch- und Desinformationen können sie eine öffentliche Stimmung erzeugen, um rigoroses Eingreifen und, grundlegender, überhaupt erst die Notwendigkeit einzugreifen, zu rechtfertigen. Dabei ist die Polizei vom Gesetzgeber insoweit geschützt, dass jegliche Auflehnung unter Strafe steht. Dies wird durch § 113 des Strafgesetzbuches garantiert, welcher im Jahr 2010 noch verschärft wurde. So kann Folgsamkeit erzwungen und Gewaltanwendung der staatlichen Exekutive legitimiert werden. Zudem erhält die Polizei durch § 113 die alleinige Definitionsmacht darüber, welche Handlungen als Widerstandshandlungen gelten (Singelnstein und Stolle 2012).

In zunehmendem Maße wird dabei Armut kriminalisiert. Menschen, die sich äußerlich nicht in das erwünschte, solvente Konsument_Innenbild einfügen, werden präventiv als „Gefahrenquelle“ und „Störfaktor“ von öffentlichen Plätzen vertrieben. Es ist nicht mehr nötig eine Straftat zu begehen, die rein subjektive und vorurteilsbehaftete Einschätzung der Polizei oder eines Sicherheitsdienstes genügt, um den Ausschluss von einzelnen Personen oder Gruppen zu legitimieren. So ist nicht mehr Kriminalität die Begründung für exkludierende Interventionen sondern verwaschene, dehnbare Begriffe wie Unordnung, Störung oder „soziale Verwahrlosung“ des öffentlichen Raumes. Dieses Verständnis hat die Kriminalisierung von vormals nicht als kriminell verhandelten Handlungen zur Folge, wie betteln oder Alkohol trinken in der Öffentlichkeit (KAGS und KAGW 2002).

Zusätzlich wird eine Legitimation solcher Maßnahmen durch stark ideologische Debatten über Kriminalprävention und Terrorismus untermauert. Kriminalitäts- und Sicherheitsdiskurse in den Kommunen schüren Ängste und Vorurteile innerhalb der Bevölkerung und legitimieren so Vertreibungsmaßnahmen. Dieses Konzept von öffentlicher Sicherheit zielt maßgeblich auf eine zunehmende soziale Kontrolle der Teilnehmer_Innen am Stadtleben ab und verbindet Sozialarbeit, Sozialpolitik, Stadtplanung sowie ordnungspolitische, polizei- und strafrechtliche Maßnahmen miteinander. Gerade soziale Arbeitsfelder werden dabei nicht selten für ordnungspolitische Aufgaben instrumentalisiert. Diese dienen dem politischen Willen dienen, verschiedene, meist zu den Zielgruppen sozialer Arbeit gehörende, Personengruppen aus dem öffentlichen Raum auszugrenzen (Simon 2007). Die Verwehrung des uneingeschränkten Zugangs zu öffentlichen Räumen für unerwünschte Personen entspricht einer Einschränkung der Grundrechte (insbesondere der Artikel 2 Abs. 1 und des Artikels 11 GG), welche durch den vorherrschenden Sicherheitsdiskurs legitimiert wird. Die „[erhöhte] Gefahr für die öffentliche Sicherheit und für die Sicherheit des einzelnen Bürgers“ konnte bislang jedoch nicht kriminologisch belegt werden (Simon 2001: 86). Die Frage, ob es tatsächlich reale Störungen oder Gefahrenpotenzial für Teilnehmer_Innen in gewissen Räumen gibt, steht oft nicht im Vordergrund. Je krimineller eine Gegend oder ein Platz eingeschätzt wird, desto stärker wird dieser polizeilich kontrolliert. Dies ist aus einer „Erwartungserwartung“ (Benkel 2010: 43) heraus zu begründen. Die Polizei erwartet, dass die Bevölkerung von der staatlichen Exekutive ein bestimmtes Auftreten in Räumen mit dominant-deviantem Image erwartet. Offensichtlicher Devianz soll durch deutlich sichtbare Überwachungs- und Kontrollmaßnahmen begegnet werden, um den produktiven, braven „Normalbürgern“ Sicherheit zu vermitteln. Das schlechte, gefährliche Image eines Raums wird jedoch oftmals gerade durch starke Polizeipräsenz immer wieder reproduziert, ohne, dass der Raum tatsächlich eine Gefährdung darstellt (Benkel 2010).

Ein einwandfreies Image der Innenstädte ist jedoch wichtig um solvente Besucher_Innen und Bewohner_Innen anzuziehen und so ökonomischen Nutzen aus Ihnen zu ziehen. Aus diesem Grund wird Armut und Verhalten, das nicht an die ökonomischen wie sozialen Normen angepasst ist, aus dem Stadtbild der Innenstädte verbannt. Dieses Unsichtbarmachen der Auswirkungen von Armuts- und Unterversorgungsproblemen hat gesamtgesellschaftliche Konsequenzen. Sucht- und Armutsprobleme werden von der Öffentlichkeit in die private Sphäre verschoben, was Folgen für andere gesellschaftliche Gruppen, soziale Sicherungssysteme und andere Sozialräume nach sich zieht. Ordnungspolitische Instrumente dämmen Kriminalität nicht ein, sondern machen die Ursachen für Kriminalität vielmehr unsichtbar. Es ist zudem davon auszugehen, dass aus Not resultierende Beschaffungskriminalität zunimmt (bspw. aufgrund von Bettelverboten etc.). Auffällig ist, dass nur bestimmte Gruppen betroffen sind und konsequent nur in den für den konsumierenden, die Ökonomie fördernden Kunden attraktiven Einkaufszeiten umgesetzt werden (Simon 2001). Dieser Umgang mit Armut führt nicht nur zu Intoleranz im öffentlichen Raum, sondern auch zu einem Paradigma der Armutsbekämpfung, welches davon ausgeht, dass Arme eine feste Struktur benötigen, deren Durchsetzung dem Staat obliegt. Anstatt Bildungs-, Qualifikations- und Einkommensdefizite durch Hilfe und strukturelle Gleichberechtigung auszugleichen, werden Menschen unter der Androhung von sozialer Ausgrenzung und juristischen Konsequenzen Verpflichtungen angeordnet (Simon 2007). Den Betroffenen wird durch ihre Vertreibung der Kontakt zu bestehenden Hilfesystemen genommen. Zudem werden die Probleme von der Bevölkerung weniger wahrgenommen, so dass ehrenamtliche Hilfe und Solidarität innerhalb der Bevölkerung zurück geht (KAGS und KAGW 2002). Die Exklusion devianter Personen wie beispielsweise Obdachlosen kann in Form von „Ausgrenzung von Personen aus dem Kreislauf der Verteilung, Reproduktion und Weitergabe sozialer und wirtschaftlicher Güter“ (Benkel 2010: 57) stattfinden. Dabei werden betroffene Menschen ausgegrenzt und deklassiert, ein sogenannter „sozialer Aufstieg“ ist von diesem Punkt aus schwer zu erreichen.

Die staatliche ausführende Gewalt zur Vertreibung und Ausgrenzung von Menschen aus öffentlichen Räumen sind neben dem Ordnungsamt, welches nur eingeschränkte Handlungsmacht besitzt, vor allem Polizeibeamte. Sie werden eingesetzt, um staatlich festgesetzte, oft auch raumspezifische Gesetze und Verbote durchzusetzen. Dabei hat die Polizei jedoch auch Spielraum und kann bis zu einem gewissen Grad nach subjektivem Befinden freie Entfaltung im öffentlichen Raum bewusst nicht verhindern. Dies geschieht beispielsweise wenn keine Schädigung durch ein bestimmtes Fehlverhalten erkannt wird und gleichzeitig viele Bürger_Innen ein offenkundiges Interesse an einer derartigen Raumnutzung zeigen. Ein Beispiel für eine solche Situation ist das Liegen und Sitzen auf den Grünflächen des Hofgartens in München, welches, obgleich diese Handlung verboten ist, von der Polizei toleriert wird (Klamt 2007).

Inwieweit und ob überhaupt vom Staat interveniert wird, ist stark von der Wahrnehmung von Störfaktoren im öffentlichen Raum abhängig. Dabei wird die „Event-, Party- und Erlebniskultur zwischen Oktoberfest und Love-Parade (…) ungeachtet ihrer Sucht- und Belästigungsdimensionen“ (Simon 2001: 88) aufgrund ihrer ökonomischen Dimension anders beurteilt als ähnliche Verhaltensweisen ökonomisch Schwacher. Das Auftreten marginalisierter Gruppen im öffentlichen Raum wird durch „schrille Inszenierung durch Politik und Medien“ (Simon 2001: 88) als Bedrohung empfunden. Zudem zeigen kriminologische Studien klar einen Anstieg von Straftaten bei erhöhtem Verfolgungsdruck. Bodenmüller und Wilhelm schreiben zu dieser Thematik:

„Wo verstärkt nach Kriminalität gesucht wird, wird auch mehr Kriminalität entdeckt. Also wird sich durch die Überwachung bestimmter Szenen herausstellen, dass diese auch besonders viele Straftaten begehen. Die im wohlhabenden Stadtteil stattfindende Vergewaltigung in der Ehe wird nicht angezeigt, dafür aber das aggressive Betteln eines Straßenpunks.“ (Bodenmüller und Wilhelm 2001: S. 50)

3.1.3 Videoüberwachung

Einen besonders umstrittenen Punkt stellt seit einigen Jahren die Videoüberwachung in öffentlichen Räumen dar. Die Privatisierung von Sicherheitsproduktion ermöglicht weitere Innovationen zur Überwachung der Teilnehmer_Innen am öffentlichen Raum durch staatliche und private Akteure. So kann eine viel größere, früher undurchschaubare Menge an Daten verarbeitet und verwertet werden. Der technischen Fortschritt ermöglicht heute ganz neue Methoden der sozialen Kontrolle (Singelnstein und Stolle 2012).

In der Bevölkerung herrscht durch die Wahrnehmung einer konstanten Bedrohung ein erhöhtes Strafverlangen. So befürwortet sie zu großen Teilen die immer repressiver werdende Strafverfolgung in Deutschland und anderen westlichen Industriegesellschaften. Die Bedrohungs- und Risikowahrnehmung innerhalb der Gesellschaft stimmt dabei oftmals nicht mit der tatsächlichen Gefahr überein. Dennoch stützt sich der Staat bei der Einführung von Kameraüberwachung und Verboten im öffentlichen Raum auf diese subjektive Wahrnehmung und Angst vor Kriminalität. Eine umfassende Überwachung ist unter dem aktuellen Paradigma, Risiken bereits im Vorfeld zu erkennen, unabdingbar geworden. Während die Überwachung des öffentlichen Raumes durch Videokameras lange als Sinnbild des Überwachungsstaates verteufelt wurde, hat sie heute selbstverständlichen Eingang in die private wie staatliche Sozialkontrolle gefunden. Neben Abhörsystemen, welche in die Privatsphäre von Bürger_Innen eindringen, sind auch zahlreiche Videokameras im öffentlichen Raum angebracht worden. Zwar nimmt die Kontrolle via Kameras in Deutschland im Vergleich zu den USA oder Großbritannien nur geringe Ausmaße an, dennoch liegt Deutschland mit seinem Einsatz von Videotechnik im öffentlichen Raum im europäischen Vergleich im vorderen Mittelfeld (Hempel 2003). Die Gesamtanzahl von Videokameras in Deutschland ist zwar nur zögerlich gestiegen, seit der ersten staatlich installierten Kamera in Leipzig im Jahr 1996 haben sich die Bedingungen jedoch zu Gunsten einer staatlichen Videoüberwachung verändert. Die Landespolizei hat in den meisten Bundesländern unter strengen Auflagen die Möglichkeit, Videotechnik einzusetzen, der Bundespolizei steht die Nutzung von Videoüberwachung, insbesondere auf Bahnhöfen, generell frei (vgl. §26-29 BPolG). Die Überwachung öffentlich-zugänglicher Räume mit Videoüberwachungsanlagen ist durch §6b des Bundesdatenschutzgesetzes (BDSG) geregelt. Demnach ist Videoüberwachung nur zulässig, wenn sie zur Aufgabenerfüllung öffentlicher Stellen, der Wahrnehmung des Hausrechts oder sonstiger berechtigter und konkret festgelegten Interessen dient. Des Weiteren dürfen keine schutzwürdigen Interessen der Betroffenen verletzt werden und auf die Überwachung muss explizit hingewiesen werden. Im öffentlichen Raum, der nicht nur als Aufenthaltsort sondern auch als Durchgangsweg dient, ist es jedoch oft unvermeidbar, Videokontrollen zu umgehen. Videokameras werden nicht (nur) installiert um bereits geschehene Verbrechen aufzuklären sondern sollen Risiken im Vornherein durch das Erkennen bestimmten Verhaltens und äußerer Merkmale einer Person identifizieren. Dabei sollen weniger auffällige Einzelpersonen gefasst werden sondern vielmehr ganzheitliche Strukturen und Situationen erkannt werden. Dies ist besonders kritisch zu bewerten, da bestimmte Gruppen so von vornherein aufgrund ihres Äußeres oder ihrer Gestik kriminalisiert werden, ohne eine Straftat begangen zu haben (Singelnstein und Stolle 2012).

3.1.4 Stadtplanerische Instrumente

Neben explizit ausgrenzender Überwachung durch staatliche Organe, können auch planerische und architektonische Instrumente zu einer Vertreibung aus dem öffentlichen Raum führen. In der europäischen Stadt werden öffentliche und private Räume baulich klar voneinander getrennt. Zur Wahrung der Privatsphäre werden architektonisch geschlossene Räume konzipiert, die jedoch auch einen direkten Zugang zur öffentlichen Straße ermöglichen. Der öffentliche Raum wird dabei immer weniger genutzt, weil er immer weniger genutzt werden muss. Die Wohn- und Arbeitsfläche pro Einwohner ist seit den 50er Jahren von 15 qm auf heute rund 40 qm gestiegen. So ist die Notwendigkeit für bestimmte Freizeit- und/oder Arbeitsaktivitäten den privaten Raum zu verlassen viel seltener gegeben. Darüber hinaus haben Nutzungsvielfalt und Nutzungsdauer öffentlicher Räume aufgrund der hohen Bodenpreise in Innenstädten und Innenstadtrandgebieten abgenommen. Wohnquartiere werden aus der Innenstadt verdrängt, wodurch im Kern eine monofunktionale Handelsstruktur bis Ladenschluss entsteht, während am Stadtrand monofunktionale Wohnstrukturen herrschen. Öffentliche Plätze dienen nicht mehr als Aufenthaltsort, sondern als Durchgangsweg zwischen Einkauf, Arbeit und Wohnen (Reiß-Schmidt 2003). Diese Entwicklung sowie der steigende Motorisierungsgrad führen dazu, dass die Öffentlichkeit zu zweckgerichteten Tätigkeiten gezwungen wird (Bahrdt 2006). Verkehr und die reine Nutzung als Durchgangsraum führen zu einer Verödung von Öffentlichkeit. Weniger zweckgebundenes Verhalten wie shoppen, schlendern oder Selbstdarstellung kann durch städtebauliche Maßnahmen gefördert werden, um öffentliche Plätze zu beleben. Dabei ist es wichtig, verschiedene Nutzungsarten nicht strikt voneinander zu trennen, sondern sie nebeneinander anzubieten. Können die Bürger_Innen ihre Einkäufe erledigen und sich im selben Raum erholen und vergnügen, müssen sie sich nicht auf eine Tätigkeit spezialisieren, wodurch der Raum zum Leben erweckt und Öffentlichkeit erzeugt wird.

Besonders bedroht ist diese Öffentlichkeit durch den motorisierten Verkehr. Das vielerorts durch Blockbebauung entstandene, schachbrettartige Straßennetz führt dazu, dass Wohnbauten jetzt von Straßenlärm umgeben sind und selbst trotz der baulichen Abschirmung häufig keine Ungestörtheit im Privatbereich gegeben ist. Ursprünglich hatte diese Anordnung den Sinn, Wohnraum repräsentativ dem Ort politischen Geschehens zuzuwenden. Da Straßen und Plätze heute jedoch hauptsächlich dem Fortbewegungsvorgang unterliegen, bieten sie keinen Raum mehr für Begegnung und Interaktion. Ehemals öffentliche Plätze werden aus Platzmangel zu Parkplätzen degradiert und stehen nun nicht mehr für ihre vorherigen repräsentativen und politischen Aufgaben zur Verfügung. Zudem sind die Straßen für diesen Funktionswandel unzureichend angelegt. So erfordert die Nutzung des Straßensystems eine starke Konzentration aller Verkehrsteilnehmer_Innen und verhindert so eine Gelassenheit und ein Gefühl des Verweilen-Wollens auf Seiten der Nutzer_Innen (ebd.).

Betrachtet man die Verkehrsplanung in Kommunen, wird deutlich, dass es kaum Bestrebungen gibt, Lösungen für diese Problematik zu finden. Verkehrsplaner_Innen messen die Qualität einer Straße nicht an der Dichte der personenbezogenen Mobilität sondern an der Dichte der PKWs. So wird der Fahrverkehr anders und positiver bewertet als der Fußverkehr. Fußgängerwege und eine attraktive Gestaltung öffentlicher Straßen werden vernachlässigt. Dabei sind es vor allem Frauen, Mädchen und alte Menschen, die durch diese autofokussierte Stadtplanung benachteiligt werden. Frauen übernehmen statistisch nach wie vor den größeren Teil der familiären Versorgungsarbeiten und sind deshalb auf eine gute, auch mit Kindern erreichbare Versorgungsinfrastruktur angewiesen. Da Frauen immer noch durchschnittlich 25% weniger verdienen als Männer, haben sie weniger Möglichkeiten Belastungen zu kompensieren. Kinder, aber vor allem Mädchen, werden in ihrer Mobilität stärker „behütet“ und somit in ihren gesellschaftlichen Aktivitäten eingeschränkt. Der Zugang zur öffentlichen Straße bleibt vielen Kindern verwehrt, da sie keine Nutzung von Kindern vorsieht und dadurch unattraktiv oder gar gefährlich ist. Auch Frauen und alte Menschen fühlen sich auf öffentlichen Straßen zur Abendzeit oft nicht sicher, so dass sie im Stadtbild fehlen. Solche strukturellen Macht- und Dominanzverhältnisse werden in der Stadtplanung oft nicht wahrgenommen (Leisenheimer und Schwarte 2008). Stattdessen fördert die Stadt- und Raumplanung weiterhin die Vormachtstellung des Individualverkehrs, welche eine ungleiche Behandlung der Teilnehmer_Innen am öffentlichen Leben zur Folge hat. „Geschwindigkeit und Beschleunigung (…) [als Ausdruck von] Modernität und Wachstum“ (ebd.:18) werden dabei gegenüber der „Erreichbarkeit, der sozialen und physischen Bewegungsfreiheit, Versorgtheit, Sicherheit und der Zulässigkeit“ bevorzugt. Die Bereiche Stadtentwicklung und Verkehr berücksichtigen die verschiedenen Lebenssituationen verschiedener Menschen nicht. Zwar stellen sie an sich selbst den Anspruch, im öffentlichen Raum, der theoretisch für alle zugänglich ist, auch gleichwertige Lebensbedingungen für alle zu schaffen, die Entscheidungstragenden sind jedoch meist weiße, autofahrende Männer zwischen 45 und 60 Jahren. Sie übersehen oftmals Anforderungen an den öffentlichen Raum, von welchen sie selbst aus gesellschaftlichen Normen oder ihrer Sozialisierung heraus nicht betroffen sind. Dabei kann es sich beispielsweise um die Bedürfnisse junger Mütter handeln, die sich mit Kinderwägen im öffentlichen Personennahverkehr bewegen müssen oder um alte Menschen, die sich in einer Stadt, die fast ausschließlich für junge und gesunde Menschen konzipiert und geplant ist, körperlich nicht mehr zurecht finden (ebd.).

Neben den planerischen Aufgaben und historisch gewachsener Architektur werden gestalterische Instrumente aber auch gezielt eingesetzt, um unerwünschte Einzelpersonen oder Gruppen von öffentlichen Plätzen fern zu halten. Dabei werden Elemente bewusst unattraktiv gestaltet um längeres Verweilen oder ungewollte Verhaltensweisen von vornherein auszuschließen. Ein Beispiel hierfür ist die Gestaltung von Parkbänken oder Wartehallen. Die Bänke werden so konstruiert, dass bequemes Liegen praktisch unmöglich ist. So wird das Schlafen auf Bänken im öffentlichen Raum verhindert. Ein anderes Beispiel betrifft gestalterische Elemente und Beleuchtung. Durch grelles, unangenehmes Licht kann das Herumlungern an bestimmten Orten planerisch eingedämmt werden. Eine weitere Methode, um den Aufenthalt an bestimmten Plätzen unattraktiv zu gestalten, ist eine mehrmals wöchentlich stattfindende Nassreinigung. Gestalterische Maßnahmen wie der Abbau von Sitzgelegenheiten oder die Anbringung unbequemer Stadtmöbel führen nicht nur zum Ausschluss soziale Randgruppen sondern auch anderer Bevölkerungsgruppen wie alten oder behinderten Menschen, die auf Sitzgelegenheiten angewiesen sind, um öffentlichen Raum uneingeschränkt nutzen zu können (KAGS und KAGW 2002).

Der öffentliche Raum hat in den letzten Jahrzehnten baulich und symbolisch an Bedeutung eingebüßt. Während er früher durchzogen war mit Elementen, die Offenheit symbolisieren, finden sich heute elitäre Zeichen und teure Materialien wieder, die den Raum exklusiv gestalten und so Minderheiten die symbolische Präsenz im Stadtbild versagen. Diese exklusive Gestaltung wirkt sozusagen als sozialer Filter (Siebel 2004). Einzig Graffitis und Streetart erinnern an eine selbstbestimmte Gestaltung öffentlicher Räume, jedoch unterliegt das Bemalen von (öffentlichen wie privaten) Gebäuden, öffentlichen Verkehrsmittel oder Straßenmöbeln einer rigiden, strafrechtlichen Verfolgung, die oftmals durch Hinweise anderer Teilnehmer_Innen des öffentlichen Raumes gestützt wird. Ein Grund für diese Entwicklung ist der wachsende Einfluss der Wirtschaft auf die Gestaltung öffentlicher Räume. Städte werden von kapitalistischen Strukturen geformt und machen dadurch immer neue Formen der Wertschöpfung möglich. Kapitalisierung und Urbanisierung gehen Hand in Hand und lassen Machtverhältnisse entstehen, die durch politisch-institutionelle Instrumente abgesichert werden. Hinzu kommen gesamtgesellschaftliche Problematiken wie naturalisierte Exklusionen und Marginalisierungen die auf dem Biodeterminismus des aktuellen naturwissenschaftlichen Diskurses beruhen. All das führt zu einer ungerechten, rückständigen und unemanzipierten Stadtentwicklung (Brenner et al. 2012). Urbanisierung ist für die Entwicklung gesamtgesellschaftlicher Phänomene wie des Kapitalismus mitverantwortlich, da sie auf eine Beseitigung räumlicher Barrieren zwischen Arbeit, Produktion und Konsum hinarbeitet (Harvey 1992).

3.2 Ökonomische Ausgrenzung

Der Einfluss der Wirtschaft auf den öffentlichen Raum ist durch die zunehmende Kapitalisierung der Gesellschaft stetig gewachsen. Demzufolge bestimmten auch ökonomische Faktoren über den Ausschluss von Menschen oder Gruppen aus öffentlichen Räumen. Der folgende Teil gibt einen Überblick über diese ökonomischen Ausgrenzungsstrategien.

3.2.1 Privatisierung

Seit den 1990er Jahren ist eine starke Tendenz hin zu Privatisierung und Kommerzialisierung öffentlicher Räume zu beobachten (Mitchell 1995). Durch sogenannte gestaltwirksame Koalitionen, bei denen Stadt und Werbeunternehmen in einer neuen Form der Governance gemeinsam den öffentlichen Raum planen, wird diese Entwicklung zudem unterstützt. Durch Impulse der Unternehmen entwickeln sich nach und nach langfristige Kooperationen, die öffentlichen Raum sowohl baulich als auch räumlich (re)organisieren sollen. Dabei werden institutionelle Verantwortlichkeiten auf die private Ebene der Unternehmen übertragen. Eine Stadt kann dabei durch wirtschaftliche Anreize Steuerungsmechanismen für das Gebiet der gesamten Stadt oder für Teilräume in Bewegung setzen. Sie kann beispielsweise steuern, dass die Stadt nicht zu sehr mit Plakaten behangen wird, indem sie einer Werbefirma eine Monopolstellung für die Plakatierung der Stadt ermöglicht und so deren Tätigkeiten besser kontrollieren kann (Knierbein 2010).

Als Grundeigentümer muss der Staat den wirtschaftlichen Unternehmen erst Zugang zum öffentlichen Raum gewähren. Das sogenannte Pooling, der Zusammenschluss von Kommunen mit privatwirtschaftlichen Unternehmen, nimmt immer mehr zu. Wo früher den Städten das Know-How hinsichtlich technischer Möglichkeiten, ästhetischer Anforderungen sowie Messverfahren zur Ermittlung von Aufmerksamkeitspotenzialen fehlte, benötigten Unternehmen die Berechtigung den öffentlichen Raum medial zu erschließen. So schloss man sich zu Koalitionen zusammen um gegenseitig voneinander zu profitieren. Während den Unternehmen also das Recht eingeräumt wurde, im öffentlichen Raum zu werben, ließen diese als Gegenleistung Stadtmobiliar aufbauen und verpflichteten sich längerfristig zur Pflege dieser. Stadtmöbel oder Straßenmöbel ist der Überbegriff für Gegenstände, die im Außenbereich des Stadtraums zur Erfüllung einer bestimmten Funktion angebracht sind. Sie können verschiedenen Zwecken dienen, wie der Information (Informationstafeln, Internetpoints), der Werbung (Litfaßsäulen, Werbeschilder), dem Verweilen (Parkbänke) oder Spielen (Spielplätze). Bei den Elementen geht es schon lange nicht mehr allein um Funktionalität oder gestalterische Leistung, sondern vielmehr werden diskursive Symbole geschaffen, um ein maximales Aufmerksamkeitspotenzial[1] zu erreichen (ebd.). Die Werbeunternehmen errichten und warten wichtiges Stadtmobiliar wie Wartehallen und öffentliche Toiletten und bekommen im Gegenzug die Erlaubnis im Stadtgebiet zu werben. Die Gegenleistungen der Unternehmen weiten sich dabei immer mehr aus, so werden auch Brunnen und Grünstreifen teilweise nicht mehr durch öffentliche Hand bewirtschaftet. Die Werberechte für Außenwerbung im öffentlichen Raum werden dabei von den Kommunen selbst vergeben. Meist sind dies langfristige Verträge über 10-15 Jahre, in denen auch Pflichten zum Aufbau und der Instandhaltung festgehalten werden. So spart die Kommune Geld, da sie ihre Instandhaltungspflicht der öffentlichen Räume an einen Partner abgibt. Je nach Attraktivität des Aufstellungsortes sowie der Menge an Werbeflächen erhält die Kommune noch zusätzlich finanzielle Leistungen von den werbenden Unternehmen. In Europa werden die Tätigkeiten wirtschaftlicher Unternehmen im öffentlichen Raum zwar stärker vom Staat reguliert als dies in den USA der Fall ist, dennoch nimmt die Wirtschaft in diesen Arrangements oftmals eine dominante Position ein. So wird wirtschaftlichen Unternehmen Zugang zur lokalen Politik verschafft, welche sie indirekt aber auch direkt beeinflussen kann (ebd.).

Diese „Verräumlichung unternehmerischer Kommunikationsstrategien“ (ebd.: 259) hat auf die Symbolik öffentlicher Räume eine enorme Auswirkung. Der öffentliche Raum ist so zu einer Ressource geworden, die ihren Profit aus der Aufmerksam seiner Nutzer_Innen bezieht. Die Palette reicht hier von baulichen Arrangements über imageprägende Symbolik bis hin zur Messung konkreter Aufmerksamkeitspotenziale (ebd.).

Kommerz in Form von Werbung ist im Stadtbild zum omnipräsenten Attribut geworden. Durch die zunehmende Vereinnahmung von Kommunikationsträgern durch die Privatwirtschaft werden nicht nur Teilnehmer_Innen am Stadtleben überreizt, auch führt diese Entwicklung zu einer zunehmenden Privatisierung öffentlicher Stadtflächen. Das widerspricht dem Ideal des öffentlichen Raumes als freiem Raum zur kreativen und autonomen Mitgestaltung.

Auch Räume sind nicht frei von subjektiven oder diskursbestimmenden Konstrukten. Im Gegenteil, die städtische Realität wird bedeutend von der Gestaltung des städtischen Raumes beeinflusst. Es ist daher nicht verwunderlich, dass auch Unternehmen diese mitgestalten wollen und durch Werbung im öffentlichen Raum versuchen, sowohl ihr Image als auch die Markengebundenheit der Besucher_Innen und Bürger_Innen zu stärken. Die Kommerzialisierung öffentlicher Räume hat folglich Auswirkungen auf die soziale Realität der Stadt bzw. der Stadtbewohner_Innen. Ein prominentes Beispiel für die Privatisierung öffentlichen Raumes ist die Umwandlung der ehemals öffentlichen Bundesbahn in eine Aktiengesellschaft. Damit wird nicht nur der öffentliche Personennahverkehr der öffentlichen Kontrolle entzogen, sondern auch alle dazugehörigen Durchgänge und Plätze. Aber auch ganze Stadtteile, die vormals als Verkehrsflächen genutzt und umfunktioniert wurden, stehen nun unter der Bewirtschaftung eines privaten Eigentümers, der dort sein Hausrecht ausüben kann. Zwar sind diese Räume häufig noch öffentlich zugänglich, im Gegensatz zu öffentlich bewirtschafteten Räumen ist es in privaten Hausordnungen besonders leicht, sozialen Randgruppen den Aufenthalt an diesen Orten zu verweigern. Private, aber offen zugängliche Räume sind oft nur vordergründig öffentlich. Durch sichtbare Nutzungsmöglichkeiten oder gestalterischen Elemente kann ein Eigentümer von ihm gewollte Verhaltensweisen in einem Raum vorgeben. So wird den Nutzer_Innen bereits subtil angepasstes Verhalten vermittelt. Sollten diese Normen dennoch nicht eingehalten werden, werden private Sicherheitsdienste engagiert, um den pseudo-öffentlichen Raum für den erwünschten Kreis attraktiv zu halten. Es werden dabei keine Steuern für die Bewachung durch Polizisten oder das Ordnungsamt fällig, da der Eigentümer für die Kontrolle seines Raumes selbst aufkommen muss. Das bedeutet allerdings auch, dass der Eigentümer selbst über die Nutzung des Raumes entscheiden darf und somit die Raumnutzer_Innen in ihren Möglichkeiten stark einschränken kann. Zudem ist es ihm möglich, bestimmte Personengruppen von seinen Plätzen und Orten zu entfernen und somit kategorisch auszugrenzen. Auch das Sicherheitspersonal hat, wie Polizei und Ordnungsamt, einen gewissen Handlungsspielraum, in welchem es Norm- und Regelverstöße tolerieren kann. Eine permissive Handhabung ist dann möglich, wenn das Sicherheitspersonal das Gefühl hat, das beobachtete Fehlverhalten sei von den anderen Kund_Innen und Konsument_Innen akzeptiert, wenn nicht gar erwünscht. Andererseits steht es dem Sicherheitspersonal aber auch offen, auf Verstöße besonders unnachsichtig und strikt zu reagieren. Meist passiert dies „aufgrund geteilter Überzeugungen und Feindbilder“ (Klamt 2007: 237 nach Helten 2005: 161). Insgesamt achten die Sicherheitskräfte in privatrechtlichen, öffentlichen Räumen wesentlich stärker auf die Einhaltung der vorgegebenen Normierung als dies in de facto öffentlichen Räumen der Fall ist. Zudem sorgen besonders private Sicherheitsdienste oftmals durch militantes Auftreten dafür, dass ein Klima des Ausschlusses entsteht. Dabei kommt es bei der Vertreibung unliebsamer Raumteilnehmer_Innen oftmals auch zu gewaltsamen Grenzüberschreitungen (KAGS und KAGW 2002).

3.2.2 Werbung

Besonders sichtbar wird die Privatisierung öffentlicher Räume durch die starke Zunahme an Außenwerbung. Werbung ist im Alltag westlicher Gesellschaften omnipräsent geworden. Um für die eigenen Produkte zu werben, werden neben den neuen Medien auch massiv Plakatflächen im öffentlichen Raum genutzt. Dabei werden Räume ausgesucht, die besonders stark von der gewünschten Zielgruppe frequentiert sind. Hier entstehen bereits Kategorisierungen und Ausschlüsse. Speziell kategorisierte Gruppen von Menschen erhalten bestimmte Werbung in einer bestimmten Häufigkeit. Dabei ist Werbung ein Medium, um Wünsche und Verlangen zu befördern. Unternehmen, die über ausreichend finanzielle Ressourcen oder anderweitigen Einfluss verfügen, nehmen in der Verbreitung von Werbung eine Monopolstellung ein. Das Stadtbild wird folglich geprägt von einer Hand voll Unternehmen, welche die Wünsche und Vorstellungen der sich in ihm bewegenden Menschen prägen. Werbung stimuliert Wünsche und Bedürfnisse, die ohne die Werbung nicht existieren würden. Das westlich-kapitalistische Prinzip, immer mehr zu wollen, vor allem aber immer mehr wollen zu müssen, führt auf mehreren Ebenen zu Ungerechtigkeit, Ungleichheit und Ausschluss. Diese, auf Profitmaximierung ausgelegten Unternehmen, können so ihrem Interesse entsprechende Inhalte verbreiten. Dabei werden meist keine Produkte geschaffen, um die Bedürfnisse der Menschen zu befriedigen, sondern es werden Bedürfnisse geschaffen, die auf Kosten nachhaltiger und sozialverträglicher Produktions- und Wirtschaftsmethoden durchgesetzt werden. Den Konsument_Innen von Werbung ist es nicht möglich, sich der Bewerbung von Produkten und Bedürfnissen zu entziehen. Sie werden ungefragt der ständigen unterbewussten Werbemanipulation ausgesetzt (Wexel 2013).

In Werbung werden sowohl konkrete als auch abstrakte Produkte beworben. Um Konsument_Innen zu erzeugen, lädt Werbung ein Produkt emotional auf und schafft so ein begehrenswertes Objekt. Werbung ist also keinesfalls als Produktinformation anzusehen, sondern vielmehr als Konsument_Innenmanipulation. Es wird eine grundsätzliche Unzufriedenheit vermittelt, um Konsum zu befördern. Dabei wird das Unterbewusstsein derart beeinflusst, dass Konsument_Innen keine freie Wahl mehr über ihre Vorstellungen und Wünsche haben. Werbung ist eine Manipulationsmethode, die eine Ideologie erschafft, in der nicht der Mensch zählt, sondern sein Besitz. Dabei wird ein Bild eines neuen Menschen produziert, dem es nachzueifern gilt, um glücklich zu werden. Es wird mit gängigen Klischees gespielt, so dass nicht nur gegenwärtige gesellschaftliche Wertevorstellungen sondern auch rassistische, sexistische und diskriminierende Stereotype durch Werbung reproduziert werden. Durch ihre Allgegenwärtigkeit prägt Werbung somit die Sozialisierung einer ganzen Stadtbevölkerung. Dabei werden aufgrund der Platzierung bestimmter Werbeformate nach sozialstrukturellen Merkmalen, unterschiedliche Bevölkerungsschichten auch unterschiedlich sozialisiert. Um eine Marke zu produzieren ist das mediale Auftreten in Städte mit ihren vielfältigen Kommunikationsformen und – kulturen eine der wichtigsten Formen des Marketings. Siegert schreibt dazu:

„[Stadtentwicklung zählt] zu den wichtigen „Begleitumständen“ von Markenkonzeptionen, weil nur Städte mit ihren vielfältig vernetzten Kommunikationsprozessen und verfeinerten Status- und Zeichenkulturen Marken eine alltagskulturelle Basis verleihen können.“ ( Siegert 2001 )

Kommunikationsstrategische Instrumente können neben der Funktion der Werbung jedoch noch weitere wichtige Zwecke haben. Um gesellschaftliche Kritik hinsichtlich des Handelns einzelner Akteure bei der Produktion öffentlicher Räume zu vermeiden und so Imageverlusten oder Krisen vorzubeugen, können diskursbestimmende Strategien angewandt werden. Zentral gelegene öffentliche Räume sind sowohl für städtische Imagepolitik als auch für unternehmerische Kommunikationspolitik die erste Wahl. Diese Orte verfügen über einen besonders wertvollen medialen Wert, der sich zunehmend auch monetär erfassen lässt. Dabei wird nicht nur das vorhandene Image eines bestimmten öffentlichen Raums genutzt, der Raum wird durch gewisse Kommunikationsstrategien auch neu produziert. Dies geschieht unter anderem durch den Einsatz von Stadtmöbeln. Trotz ihrer Zweckgebundenheit können diese Möbel durchaus imagetragend sein, insbesondere Unternehmen nutzen sie zur Festigung ihrer Corporate Identity. Zunehmend werden Dienstleistungsfunktionen kommunaler Einrichtungen mit den Interessen privater Werbeagenturen und Investoren verknüpft. Dies ist aufgrund der finanziellen Notlage vieler Kommunen nicht unvernünftig, fördert jedoch die Kapitalisierung und Kommerzialisierung öffentlicher Räume. Damit wird den Räumen ein Stück Deutungsmöglichkeit genommen, eine der wichtigsten Eigenschaften der öffentlichen Sphäre (Knierbein 2010).

Der Unmut über Werbung im öffentlichen Raum hat bereits Eingang in politische Diskussionen gefunden. In einem Sondervotum der Enquete-Kommission für Wohlstand, Wachstum, Lebensqualität bemängelten Mitglieder des Bundestags, dass Werbung „ständige Konsumanreize“ schaffe und „keine Nachhaltigkeit“ fördere. Die Omnipräsenz und der manipulative Charakter von Werbung führen zu einer Umdeutung des öffentlichen Raumes in einen rein kommerziellen Raum und verursachen Stress. In einem bereits hektischen und schnelllebigen Alltag führt die visuelle und auditive Reizüberflutung durch Reklame zu einer zusätzlichen gesundheitlichen Belastung. Um Menschen zu manipulieren und so zu Konsum anzuregen, bedient sich die Werbung an psychologischen Erkenntnissen. Dabei schafft und reproduziert sie gesellschaftliche Leitbilder, die kulturelle Werte, Schönheitsideale und Lebenskonzepte erstrebenswert machen, die auf ansteigenden Konsum ausgerichtet sind. So wird Konsum ein wichtiger Faktor, um gesellschaftlichen Status aufrecht zu erhalten (Prof. Dr. Brand 2013). Durch die Dominanz der Werbung im öffentlichen Raum kann niemand den Werbebotschaften und Kaufaufforderungen entgehen. Dies ist nicht nur aus Sicht eines demokratischen Gemeinwesens sondern auch im Sinne ökologischer Nachhaltigkeit problematisch (Brand und Kolbe 2013). Durch den ständigen Konsumanreiz trägt Reklame zu einem gesteigerten Ressourcenverbrauch bei und schädigt so die Umwelt. Zwar liegt die Kaufentscheidung weiterhin bei den Konsument_Innen, die strukturellen Rahmenbedingungen erschweren einen nachhaltigen Lebensstil jedoch zusehends (Prof. Dr. Brand 2013).

Durch die immer größer werdenden Werbeflächen mit teils nächtlicher Beleuchtung sowie die Nutzung neuer Technologien sind Werbebotschaften durch den öffentlichen Raum bereits in alle Bereiche menschlichen Lebens vorgedrungen. Sieht man sich zukünftige Visionen der Werbebranche an wird schnell klar, dass Werbung bald noch sehr viel mehr in die Privatsphäre von Bürger_Innen eingreifen wird. Auf der Veranstaltung „Sehen wir noch Plakate oder sehen die uns?“ von der Hamburger Medienwirtschaft am 15.03.2013 wurden mit Kameras bestückte Plakate präsentiert, die mittels Gesichtserkennung den Bürger und seine Einkommensgruppe identifizieren wollen. Durch eine Ergänzung der persönlichen Daten aus dem Internet kann so eine optimierte Bewerbung stattfinden. Ein anderer Ansatz, das sogenannte „Gladvertising“, will mit Hilfe von Gesichtserkennung den Gefühlszustand potenzieller Konsument_Innen beim Betrachten eines Produkts analysieren um so anschließend bevorzugte Produkte anbieten zu können. Solche Kameras sind in einigen Ländern bereits in Schaufenstern installiert (ebd.).

Mittlerweile gibt es mehrere Initiativen, die sich für eine Stadt ohne kommerzielle Außenwerbung einsetzen. Beispiel hierfür ist das „Amt für Werbefreiheit und gutes Leben“ im Berliner Bezirk Neukölln oder die studentische Aktion „Stattwerbung“. Hintergrund ist der Gedanke, dass das immer wieder reproduzierte Verlangen nach Mehr der Entwicklung einer nachhaltigen und gerechten Welt im Wege steht. Gerade im öffentlichen Raum gibt es keine Möglichkeit, sich der unterschwelligen Beeinflussung durch Werbung zu entziehen. Dies steht entgegen dem Gedanken, dass der öffentliche Raum allen gehöre. Niemand, außer die Werbeschaltenden selbst, können über Inhalt, Form und Häufigkeit des Kommunikationsmittels entscheiden können. Eine individuelle Deutungsmacht des Raumes nach Musil ist somit ausgeschlossen. Ein Mitbestimmungsrecht über die Gestaltung des öffentlichen Raums gibt es nicht. Unter diesem Gesichtspunkt gehen Aktivist_Innen des Amtes für Werbefreiheit sogar so weit, die Mechanismen der Werbebranche mit dem Herrschaftssystem des Totalitarismus zu vergleichen. Tatsächlich liegt totalitären Systemen eine „offizielle Ideologie, bestehend aus einem offiziellen, alle Hauptaspekte des menschlichen Lebens umfassenden Lehrsystem [zugrunde], woran sich jedes Mitglied dieser Gesellschaft mindestens passiv zu halten hat; im Mittelpunkt dieser Ideologie stehen (...) Forderungen für eine vollkommene Endgesellschaft der Menschheit“ (Friedrich 1945). Die gesamte formelle Macht habe zudem eine einzige „Massenpartei“, die über ein Monopol der Massenkommunikationsmittel verfügt und „der staatlichen Bürokratie entweder übergeordnet oder völlig mit ihr verflochten“ ist. Diese Definition von Totalitarismus erinnert an das Monopol bestimmter Unternehmen, die starken Einfluss auf gesellschaftliche wie auch politische Entscheidungsprozesse haben. Dabei geht es nicht ausschließlich um eine unterbewusste Beeinflussung durch Werbung und Marketing, sondern auch um direkte finanzielle Leistungen, um unternehmerische Interessen durchzusetzen. Darüber hinaus beeinflusst Werbung Entscheidungen in allen Bereiche gesellschaftlichen Lebens. Im Lexikon wird Totalitarismus als „totale Verfügungsgewalt über die Gesellschaft und alle Lebensäußerungen ihrer Mitglieder“[2] beschrieben. Des Weiteren wird in totalitären Systemen danach gestrebt „Bürger gleichzuschalten, durch eine Ideologie zu formen und zu mobilisieren. Diejenigen, die sich seinen Ansprüchen nicht unterwerfen, werden ausgegrenzt (…)“[3]. Dies trifft vor allem auf die Ausgrenzung von Menschen zu, die sich den von der Werbung produzierten Normen nicht unterwerfen. Im Kapitalismus werden im Interesse der Profitmaximierung alle Lebensbereiche von einigen wenigen Monopolen der Industrie beeinflusst und gelenkt. Die Werbeindustrie entscheidet über die Werte und Bedürfnisse ihrer Konsument_Innen in sämtlichen Lebenssituationen.

Städte verdienen beträchtlich an der Verpachtung von Werbeflächen, was ein grundsätzliches Verbot nicht erstrebenswert für die Entscheidungsträger macht. Obwohl jedoch Werbung im öffentlichen Raum für Stadtverwaltungen eine wichtige Einnahmequelle darstellt, können solche Initiativen wie das Amt für Werbefreiheit durchaus erfolgreich sein. In Sao Paulo ist seit 2010 Werbung im Stadtbild verboten. Im Berliner Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg wurde bereits Außenwerbung für Alkohol und Zigaretten verboten.

[...]


[1] Aufmerksamkeitspotenzial bezeichnet die Erinnerungsleistung an bestimmte Marken von potenziellen Konsument_Innen (in der Annahme, dass alle Menschen potenzielle Konsument_Innen sind) aufgrund von passiv wahrgenommenen Werbemitteln.

[2] Bertelsmann Universallexikon, Band 18.- Gütersloh 1990

[3] ebd.

Details

Seiten
Erscheinungsform
Erstausgabe
Jahr
2013
ISBN (PDF)
9783956847509
ISBN (Paperback)
9783956842504
Dateigröße
769 KB
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2015 (Februar)
Note
1,8
Schlagworte
Stadtgeographie Stadtsoziologie Raumaneignung Kapitalisierung von Räumen räumliche Machtstruktur Sozialkontrolle

Autor

Lea Thin schloss ihr Bachelor-Studium der Geographie und Gender Studies an der Humboldt-Universität zu Berlin im Jahr 2013 ab. Innerhalb ihres Studiums beschäftigte sie sich eingängig mit Metropolenforschung in Berlin und New York. Zu diesem Zweck studierte sie ein Semester am Department for Sociology an der New York University. Für ihre interdisziplinäre Abschlussarbeit, welche Themen der Stadtgeographie, der Soziologie und der Gender Studies verbindet, wurde sie 2013 für den Georg-Simmel-Preis nominiert. Aktuell absolviert sie ein Master-Studium im Bereich geographische Entwicklungsforschung an der Freien Universität Berlin.
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Titel: Wem gehört die Stadt? Ausgrenzungsstrategien im öffentlichen Raum
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