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Teilhabe am Arbeitsleben von Menschen mit Behinderungen im Kontext der UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen am Beispiel von "Werkstätten für behinderte Menschen"

©2013 Bachelorarbeit 58 Seiten

Zusammenfassung

Erwerbstätig zu sein bedeutet in unserer heutigen Gesellschaft nicht nur soziale Sicherung, sondern auch gesellschaftliches Leben. Die Arbeit hat besonderen Einfluss auf unsere Persönlichkeit, soziale Kontakte und darauf, welchen Status man im sozialen Umfeld respektive in der Gesellschaft einnimmt. Diese Auswirkungen bekommen vor allem Menschen mit Behinderungen zu spüren. Der allgemeine Arbeitsmarkt verschließt sich dem Thema, diese Personengruppe zu beschäftigten. Somit bleibt eine freie Wahl, in welche Richtung das Leben gehen soll, vielen Menschen mit Behinderungen verschlossen. Eher eröffnen sich vordefinierte Sonderwege, die von der Schule mit sonderpädagogischem Förderschwerpunkt hin zur Werkstatt für behinderte Menschen führt.
Mit der Ratifizierung der UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen wird ein Paradigmenwechsel eingeleitet, dem sich auch die Werkstätten für behinderte Menschen unterziehen müssen. Der Abbau gesellschaftlicher Barrieren und das Recht auf Arbeit fordern die Werkstätten heraus, neue Handlungsstrategien zu entwickeln, um der UN-Konvention gerecht zu werden. Die vorliegende Arbeit beschäftigt sich genau mit diesem Thema und will Antworten bzw. Lösungsansätze zu der folgenden Frage finden: Welche Veränderungen können Werkstätten für behinderte Menschen, unter Berücksichtigung der UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen vornehmen, um die Eingliederung von Menschen mit Behinderungen in das Arbeitsleben zu verstärken?

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


3.2.2.2 Besondere Regelungen zur Teilhabe schwerbehinderter Menschen

Wie im Vorfeld bereits dargelegt, gilt ein Mensch als schwerbehindert, sobald er einen Grad der Behinderung (GdB) von 50 hat. Die Feststellung nimmt das Versorgungsamt vor. Der GdB drückt die Schwere der Einschränkung in Zehnerschritten von 10 bis 100 aus. Für die Feststellung des GdB erhalten Menschen mit einer anerkannten Schwerbehinderung einen Ausweis, in dem der GdB festgehalten wird und wodurch die Wahrnehmung von Rechten und Nachteilsausgleichen erleichtert werden (vgl. Haines 2005).

Sofern Menschen mit einem GdB unter 50 aber über 30 keinen Arbeitsplatz finden bzw. aufgrund ihrer Behinderung nicht behalten können, haben sie die Möglichkeit auf eine Gleichstellung von schwerbehinderten Menschen durch die Bundesagentur für Arbeit (ebd.).

Im Folgenden sollen einige Leistungen zur Teilhabe von schwerbehinderten Menschen im Arbeitsleben vorgestellt und zwei für die vorliegende Arbeit relevante Punkte näher erläutert werden, die eine Beschäftigung absichern und zusätzlich individuelle Voraussetzungen verbessern sollen. Diesbezüglich sind allgemein vorgesehen:

- die Pflicht der Arbeitgeber 5 % der Arbeitsplätze mit schwerbehinderten Menschen zu besetzen und für nicht besetzte Pflichtplätze eine Ausgleichsabgabe zu zahlen (§§ 71 ff. SGB IX)
- ein Benachteiligungsverbot sowie entsprechende Verpflichtungen der Arbeitgeber gegenüber schwerbehinderten Menschen (§§ 81 ff. SGB IX)
- ein Kündigungsschutz schwerbehinderter Beschäftigter (§§ 85 ff. SGB IX)
- das Vertreten von Interessen schwerbehinderter Beschäftigter in Form einer Schwerbehindertenvertretung (§§ 93 ff. SGB IX)
- das Aufbringen monetärer Mittel durch die Bundesagentur für Arbeit und der Integrationsämter für schwerbehinderte Menschen zur Gewährleistung der Teilhabe am Arbeitsleben (§§ 101 ff. SGB IX) (vgl. Haines 2005)

Pflichten der Arbeitgeber

Nach § 81 Abs. 1 SGB IX müssen Arbeitgeber bei der Besetzung freier Stellen überprüfen, ob die Möglichkeit bestünde, schwerbehinderte Menschen bzw. gleichgestellte Menschen für die Arbeitsplätze einzustellen. Zusätzlich fordert das Gesetz, dass die Arbeit an die Behinderung angepasst werden muss, indem:

- der Arbeitsplatz mit notwendigen technischen Arbeitshilfen ausgestattet wird,
- Arbeitsräume, Einrichtungen, Maschinen und Geräte behinderungsgerecht gestaltet werden,
- die Kenntnisse und Fertigkeiten von schwerbehinderten Menschen vollständig ver- wertet werden können, und
- die Teilnahme an der beruflichen Weiterbildung erleichtert wird (ebd.).

Zur Gewährleistung der Teilhabe schwerbehinderter Menschen am Arbeitsleben gilt die Beschäftigungspflicht als besondere Regelung. Mit § 71 Abs. 1 SGB IX sind Arbeitgeber, die über mindestens 20 Arbeitsplätze verfügen, dazu verpflichtet, mindestens 5 % mit schwerbehinderten Menschen zu besetzen. Sofern eine Teilhabe am Arbeitsleben bei einem Beschäftigten besonders schwierig erscheint, obliegt es der Agentur für Arbeit einen schwerbehinderten Menschen auf mehr als einen, jedoch höchsten drei, Pflichtplätzen anzurechnen. Sind bestehende Pflichtplätze nicht durch schwerbehinderte Menschen besetzt worden, ist eine Ausgleichsabgabe zu zahlen, dessen Höhe nach § 77 Abs. 2 Satz 1 SGB IX folgendermaßen definiert ist:

„1. 105 Euro bei einer jahresdurchschnittlichen Beschäftigungsquote von 3 Prozent bis weniger als dem geltenden Pflichtsatz,
2. 180 Euro bei einer jahresdurchschnittlichen Beschäftigungsquote von 2 Prozent bis weniger als 3 Prozent,
3. 260 Euro bei einer jahresdurchschnittlichen Beschäftigungsquote von weniger als 2 Prozent“ (§ 77 Abs. 2 Satz 1 SGB IX).

Die Beträge der Ausgleichsabgabe dürfen ausschließlich für den Zweck der Teilhabe schwerbehinderter Menschen am Arbeitsleben verwendet werden. Daher geht der größte Teil der Ausgleichsabgabe an die Arbeitgeber zurück, die eine Beschäftigung auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt realisieren. Neben den Betrieben werden ebenfalls die Integrationsämter der Länder durch die Ausgleichsabgabe finanziert, deren Aufgabe darin besteht, Leistungen zur Förderung der Arbeits- und Ausbildungsangebote sowie begleitende Hilfen im Arbeitsleben anzubieten. Weiterhin steht ein geringer Teil der Ausgleichsabgabe dem Ausgleichsfonds des Bundesministeriums für Gesundheit und Soziale Sicherung zur Verfügung. Dadurch werden beispielsweise Forschungsvorhaben, die sich der Thematik „[…] Teilhabe schwerbehinderter Menschen am Arbeitsleben […]“ (Haines 2005: 58) widmen, finanziert (vgl. Haines 2005).

Besonderer Kündigungsschutz und Nachteilsausgleiche

Um die Sicherung und den Erhalt eines Arbeitsplatzes für einen schwerbehinderten Menschen zu gewährleisten, zählt der besondere Kündigungsschutz zu einem wichtigen Instrument. Dieser tritt nach sechs Monaten nach Beschäftigungsbeginn ein. Arbeitgeber sind dennoch in der Lage, schwerbehinderte Menschen zu kündigen. Dabei steht dieser jedoch in der Pflicht, eine Zustimmung des Integrationsamtes einzuholen. Dadurch wird sichergestellt, dass zunächst alle Hilfen, die dem Fortbestand der Beschäftigung dienen, überprüft werden. Erscheint die Weiterbeschäftigung in dem Betrieb als unzumutbar, wird der Kündigung seitens des Integrationsamtes zugestimmt (ebd.).

Weiterhin haben schwerbehinderte Menschen einen Anspruch auf Nachteilsausgleiche. Dazu gehört der Anspruch, zusätzlich fünf Tage pro Jahr bezahlten Urlaub (§125 SGB IX) nehmen zu können sowie die Freistellung der Personengruppe auf ihr Verlangen von Mehrarbeit (§124 SGB IX) (vgl. Haines 2005).

3.3 Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben

3.3.1 Allgemeines

§33 SGB IX regelt, dass erforderliche Leistungen erbracht werden müssen, um die Erhaltung, Verbesserung, Herstellung oder Wiederherstellung der Erwerbsfähigkeit entsprechend der Leistungsfähigkeit zu sichern. Bei der Auswahl entsprechender Leistungen werden Eignung, Neigung, bisherige Tätigkeit sowie Lage und Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt berücksichtigt (ebd.).

Folgende Leistungen sind im § 33 SGB IX enthalten:

„1. Hilfen zur Erhaltung oder Erlangung eines Arbeitsplatzes einschließlich vermitt- lungsunterstützende Leistungen,
2. Berufsvorbereitung einschließlich einer wegen der Behinderung erforderlichen Grundausbildung,
2a. individuelle betriebliche Qualifizierung im Rahmen unterstützter Beschäftigung,
3. berufliche Anpassung und Weiterbildung, auch soweit die Leistungen einen zur Teilnahme erforderlichen schulischen Abschluss einschließen,
4. berufliche Ausbildung, auch soweit die Leistungen in einem zeitlich nicht über- wiegenden Abschnitt schulisch durchgeführt werden,
5. Gründungszuschuss entsprechend §57 des Dritten Buches durch die Rehabilita- tionsträger nach §6 Abs. 1 Nr. 2 bis 5,
6. sonstige Hilfen zur Förderung der Teilhabe am Arbeitsleben, um behinderten Menschen eine angemessene und geeignete Beschäftigung oder eine selbst- ständige Tätigkeit zu ermöglichen und zu erhalten“ (§ 33 Abs. 2 SGB IX).

Da die Teilhabe am Arbeitsleben bzw. der Arbeitseinstieg erleichtert werden soll, werden oftmals zusätzliche Hilfen benötigt (vgl. Haines 2005). Daher richtet § 33 SGB IX unter anderem Leistungen an behinderte Menschen selbst. Dazu gehören beispielsweise:

- Übernahme von Lehrgangskosten, Prüfungsgebühren, Lernmittel, Arbeitsklei- dung und -geräte
- Kraftfahrzeughilfe nach der Kraftfahrzeughilfe-Verordnung
- Kostenübernahme einer notwendigen Arbeitsassistenz für schwerbehinderte Menschen als Hilfe zur Erlangung eines Arbeitsplatzes
- Kosten für Hilfsmittel, die wegen Art oder Schwere der Behinderung zur Berufs- ausübung notwendig sind
- Kostenübernahme zur Beschaffung, Ausstattung und Erhaltung einer behinde- rungsgerechten Wohnung in angemessenem Umfang (vgl. § 33 Abs. 8 SGB IX)

3.3.2 Zuständigkeiten der Rehabilitationsträger

Geht es um die erstmalige Teilhabe von Menschen mit Behinderungen am Arbeitsleben bzw. um die Wiedereingliederung, ist in vielen Fällen die Bundesagentur für Arbeit zuständig. Neben der Funktion als Rehabilitationsträger übernimmt die Bundesagentur für Arbeit gemäß § 38 SGB IX zusätzlich die Aufgabe, auf Anfrage eines anderen Rehabilitationsträgers über die Notwendigkeit sowie die Art und den Umfang der Leistungen bezüglich arbeitsmarktlicher Zweckmäßigkeit gutachterlich Stellung zu beziehen (vgl. Haines 2005).

Die Rentenversicherung erbringt dann Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben, „[…] wenn die Erwerbsfähigkeit eines Versicherten nach 15 Beitragsjahren wegen einer drohenden Behinderung erheblich gefährdet ist, wenn Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit gezahlt wird oder ohne Leistungen zu zahlen wäre oder wenn solche Leistungen im Anschluss an Leistungen zur medizinischen Rehabilitation der Rentenversicherung zu erbringen sind“ (Haines 2005: 55).

Weitere Träger sind die Unfallversicherung sowie Träger des sozialen Entschädigungsrechts. Beide betreuen, bedingt durch ihre Aufgabenstellung, einen klar definierten Personenkreis (vgl. Haines 2005).

Da durch die o. g. Träger ein umfassendes Leistungsangebot zur Teilhabe am Arbeitsleben gewährleistet wird, werden Leistungen durch die Sozialhilfe nur in Einzelfällen genutzt (ebd.).

4 UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen

4.1 Entstehung der UN-Behindertenrechtskonvention

Nachdem Nichtregierungsorganisationen, insbesondere Behindertenorganisationen, unzählige Versuche unternahmen eine Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen zu verhandeln, initiierte Mexiko 2001 einen erneuten Versuch. Dieser Vorstoß wurde besonders von Neuseeland sowie unter großer Beteiligung der Zivilgesellschaft unterstützt (vgl. Schulze 2011). Ein sogenannter Ad Hoc Ausschuss wurde damit beauftragt, eine Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen zu erarbeiten (vgl. Degener 2009). Insgesamt tagte der Ad Hoc Ausschuss acht Mal, um an den inhaltlichen Formulierungen zu arbeiten (vgl. Demke 2011). Die Zivilgesellschaft wurde dabei insofern einbezogen, dass bei der Erarbeitung der Konvention sowohl VertreterInnen von Behindertenorganisationen als auch Menschen mit Behinderungen beteiligt waren (vgl. Schulze 2011).

Die UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen (UN-BRK) wurde in den Jahren 2002 bis 2006 erarbeitet und ist ein universeller Völkerrechtsvertrag. Damit werden die anerkannten Menschenrechte, wie sie im International Bill of Human Rights niedergeschrieben sind, auf die Lebenslagen von Menschen mit Behinderungen angepasst. Die UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen leitet einen historischen Wendepunkt ein, der die Reflexion des menschenrechtlichen Models von Behinderung fordert. Erst dadurch werden Menschenrechtsverletzungen von Menschen mit Behinderungen auch wirklich als eine Verletzung wahrgenommen und nicht als unvermeidliches Schicksal eines jeden abgetan (vgl. Degener 2009).

Die UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen wurde schließlich am 13.12.2006 durch die Generalversammlung der Vereinten Nationen beschlossen und ist mit dem 26.03.2009 in Deutschland in Kraft getreten (vgl. Schulze 2011).

4.2 Die UN-Behindertenrechtskonvention

Die UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen orientiert sich konsequent an der Gleichstellung, Teilhabe und Selbstbestimmung von Menschen mit Behinderungen (vgl. Flieger et al. 2011).

Die Kernaussage der UN-Konvention ist die Anerkennung von Menschen mit Behinderungen als Subjekte, die alle Menschenrechte selbstbestimmt, barrierefrei und wenn nötig mit Unterstützung realisieren können. Damit postuliert die UN-Konvention einen Paradigmenwechsel, weg von medizinischen Parametern, die sich ausschließlich der „Heilung“ von Behinderung widmen und hin zu einer sozialen Betrachtungsweise von Behinderung. Es sollen vielmehr die Verhaltensmuster der Mehrheitsbevölkerung als Barrieren erkennbar werden. Das Postulat manifestiert sich in der Präambel der UN-Konvention, da „[…] das Verständnis von Behinderung sich ständig weiterentwickelt und dass Behinderung aus der Wechselwirkung zwischen Menschen mit Beeinträchtigungen und einstellungs- und umweltbedingten Barrieren entsteht, die sie an der vollen, wirksamen und gleichberechtigten Teilhabe an der Gesellschaft hindern“ (Präambel Abs. e UN-BRK). Deutlich wird hierbei noch einmal, dass soziale Barrieren, wie Vorurteile oder andere Formen der Stigmatisierung eine wesentliche Rolle in der Exklusion von Menschen mit Behinderungen spielen (vgl. Schulze 2011).

Da Menschen mit Behinderungen demnach erst in Wechselwirkung mit ihrer Umwelt behindert werden, versteht die UN-Konvention Menschen mit Behinderungen als „[…] Menschen, die langfristige körperliche, seelische, geistige oder Sinnesbeeinträchtigungen haben, welche sie in Wechselwirkung mit verschiedenen Barrieren an der vollen, wirksamen und gleichberechtigten Teilhabe an der Gesellschaft hindern können“ (Artikel 1 UN-BRK).

Die UN-Konvention beinhaltet acht Prinzipien, die als Grundlage der Forderungen der Konvention selbst dienen. Mit Artikel 3 UN-BRK werden folgende Grundsätze festgehalten:

„a) die Achtung der dem Menschen innewohnenden Würde, seiner individuellen Autonomie, einschließlich der Freiheit, eigene Entscheidungen zu treffen, so wie seiner Unabhängigkeit;
b) die Nichtdiskriminierung;
c) die volle und wirksame Teilhabe an der Gesellschaft und Einbeziehung in die Gesellschaft;
d) die Achtung vor der Unterschiedlichkeit von Menschen mit Behinderungen und die Akzeptanz dieser Menschen als Teil der menschlichen Vielfalt und der Menschheit;
e) die Chancengleichheit;
f) die Zugänglichkeit;
g) die Gleichberechtigung zwischen Mann und Frau;
h) die Achtung vor den sich entwickelnden Fähigkeiten von Kindern mit Behinde- rungen und die Achtung ihres Rechts auf Wahrung ihrer Identität“ (Artikel 3 UN-BRK).

Diese Prinzipien stellen zugleich die Zielvorgaben dar, an denen in Zukunft die nationale sowie internationale Behindertenpolitik gemessen wird (vgl. Degener 2009).

Vor allem soziale Barrieren spielen in der UN-Konvention eine wesentliche Rolle, sodass die Inklusion, die gesellschaftliche Anpassung an die Existenz von Heterogenität, als Schlüssel der Problematik dienen soll. Menschen mit Behinderungen befinden sich in der Situation, viele Barrieren im alltäglichen Leben innerhalb der Gesellschaft zu überwinden (vgl. Schulze 2011).

So scheitern oftmals Rollstuhlfahrer an Stufen, fehlenden Aufzügen oder zu engen Toiletten. Menschen mit einer Sehbehinderung können nur bedingt visuell gestaltete Informationen wahrnehmen und sich aufgrund fehlender Leitsysteme schwer orientieren. Gehörlose Menschen hingegen sind durch fehlende Gebärdensprachdolmet-schung, beispielsweise im Kino oder Theater, ausgegrenzt. Menschen mit einer geistigen Behinderung haben unter anderem Probleme schwere Sprache und Fremdwörter zu verstehen (vgl. Degener 2009).

Mit der UN-Konvention sollen diese Barrieren beseitigt werden. Daher ist das Grundprinzip der Barrierefreiheit in der Konvention im Artikel 3 Abs. f verankert (vgl. Schulze 2011).

Zwar stellen die Barrierefreiheit nach Artikel 9 oder die persönliche Mobilität nach Artikel 20 keine eigenständigen Menschenrechte dar, dennoch sind sie Teil des Grundprinzips der Barrierefreiheit. Zudem sind sie in Verbindung mit Artikel 29 – Teilhabe am politischen und öffentlichen Leben – und Artikel 30 – Teilhabe am kulturellen Leben ­ wichtiger Bestandteil bei der Gewährleistung der Menschenrechte. Nur durch das Zugänglichmachen von öffentlichen sowie privaten Gebäuden können die Forderungen der Teilhabe an der Gesellschaft (Artikel 29 und 30 UN-BRK) und ein selbstbestimmtes Leben (Artikel 19 UN-BRK) umgesetzt werden (ebd.).

4.3 Artikel 27 – Arbeit und Beschäftigung

Mit dem Artikel 27 der Konvention wird zum Thema Arbeit und Beschäftigung Folgendes gefordert:

„Die Vertragsstaaten anerkennen das Recht von Menschen mit Behinderungen auf der Grundlage der Gleichberechtigung mit anderen auf Arbeit; dies beinhaltet das Recht auf die Möglichkeit, den Lebensunterhalt durch Arbeit zu verdienen, die in einem offenen, inklusiven und für Menschen mit Behinderungen zugänglichen Arbeitsmarkt und Arbeitsumfeld frei gewählt oder angenommen wird. Die Vertragsstaaten sichern und fördern die Verwirklichung des Rechts auf Arbeit, einschließlich für Menschen, die während der Beschäftigung eine Behinderung erwerben, durch geeignete Schritte, einschließlich des Erlasses von Rechtsvorschriften […]“ (Artikel 27 Abs. 1 UN-BRK).

Aus diesem Artikel werden drei Leitideen deutlich, die es für die Zukunft gilt zu beachten und entsprechend umzusetzen. Zum einen werden so wenige Sonderwelten wie möglich gefordert. Dabei sollen keine ausschließlichen Sonderwege in der Arbeitswelt existieren. Zusätzlich sollen die „Sonderlösungen“ reduziert werden, wobei die Teilhabe am Arbeitsleben von Menschen mit Behinderungen trotz einer nicht wirtschaftlich verwertbaren Arbeit gewährleistet werden soll (vgl. Kreutz et al. 2012).

Diese dogmatische Forderung wird mit der zweiten Leitidee abgeschwächt und besagt, dass wenn es Sonderwelten geben muss, dann sollen sie so „normal“ wie möglich gestaltet werden. Die Umsetzung könnte demnach so aussehen, dass bestehende Sonderarbeitswelten den regulären Strukturen der Arbeitswelt angenähert bzw. angepasst werden (ebd.).

Die dritte und letzte Leitidee, die sich aus dem Artikel 27 ergibt, ist die Verwirklichung eines inklusiven Arbeitsmarkts. Demnach werden staatliche Eingriffe auf marktwirtschaftliche Arbeitsstrukturen durch den Artikel 27 legitimiert. Allerdings besteht zwischen den Postulaten des Artikels 27 und der heutigen Arbeitswelt eine enorme Diskrepanz. Dabei liegt der Grund dieser Widersprüchlichkeit in der heutigen Arbeitswelt selbst. Geprägt von Konkurrenzdenken, von Gewinnstreben, der betriebswirtschaftlichen Effizienz sowie der Tendenz zur Exklusion ist eine Annäherung an die Postulate des Artikels 27 kaum möglich (ebd.).

Es wird jedoch nicht gefordert, alle Rechte und Forderungen sofort der UN-Behindertenrechtskonvention anzupassen. Mit Artikel 4 Abs. 2 BRK unterliegen wirtschaftliche, soziale sowie kulturelle Rechte dem Progressionsvorbehalt: „Hinsichtlich der wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechte verpflichtet sich jeder Vertragsstaat, unter Ausschöpfung seiner verfügbaren Mittel und erforderlichenfalls im Rahmen der internationalen Zusammenarbeit Maßnahmen zu treffen, um nach und nach die volle Verwirklichung dieser Rechte zu erreichen, unbeschadet derjenigen Verpflichtungen aus diesem Übereinkommen, die nach dem Völkerrecht sofort anwendbar sind“ (Artikel 4 Abs. 2 UN-BRK). Folglich sind die Vertragsstaaten dazu verpflichtet, die Umsetzung zu gewährleisten und entsprechende Schritte einzuleiten. Der Artikel impliziert weiter, dass eine sukzessive Realisierung der Rechte akzeptabel ist (vgl. BEB 2010).

Deutlich wird also, dass die Vertragsstaaten einen gewissen Spielraum bei der Gestaltung entsprechender Angebote besitzen. Ein sofortiger Handlungsbedarf besteht dann, sofern bestehende Regelungen eine Diskriminierung begünstigen. Der Progressionsvorbehalt wird in diesem Falle hinfällig (vgl. Demke 2011).

Um den Forderungen aus dem Artikel 27 gerecht zu werden, bedarf es einer genauen Überprüfung gesetzlicher Grundlagen sowie der Praxis, wobei die Konvention einen normativen Charakter einnimmt. Exemplarisch sollen einige Beispiele dargestellt werden, die einer Überprüfung zu unterziehen sind:

1. die Beschränkung des SGB IX Teil 2 auf schwerbehinderte Menschen und ihnen Gleichgestellte,
2. die oftmals standardisierten Übergänge von Schulen mit sonderpädagogischem Förderschwerpunkt in die Werkstatt für behinderte Menschen,
3. die Ausrichtung der WfbM und des Werkstattrechts.

Für eine Neuausrichtung der WfbM sowie des Werkstattrechts sind folgende Vorschläge relevant:

- alternative Leistungsanbieter neben WfbM
- Entwicklung der WfbM zu Integrationsbetrieben mit sozialen Dienstleistungsangeboten
- Verlagerung von einrichtungsbezogenen zu personenzentrierten Teilhabeleistungen
- Übergang von WfbM auf einen inklusiven Arbeitsmarkt
- Unterscheidung zwischen „werkstattfähigen“ und „nicht werkstattfähigen“ bzw. Menschen „die nicht das Mindestmaß an wirtschaftlich verwertbarer Leistung erbringen“ (§136 Abs. 2 SGBIX)
- die bisherige Höhe der Ausgleichsabgabe
- die Rolle von Integrationsunternehmen und -betrieben zur Stärkung dieser Instrumente

(vgl. Kreutz et al. 2012)

4.4 Nationaler Aktionsplan zur Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention

4.4.1 Bedeutung des Nationalen Aktionsplans

Ein Aktionsplan ist ein Handlungsprogramm des Staates oder eines ähnlichen Verantwortungsträgers. Dieser beinhaltet eine Problembeschreibung, die es durch einen Plan gilt zu beheben. Dabei werden Ziele und Maßnahmen formuliert, die es ermöglichen, das bestehende Problem zu lösen. Um die Durchführung der Handlungsmaßnahmen zu gewährleisten, regelt der Aktionsplan zusätzlich die entsprechende Ausführung, Evaluation und Fortentwicklung der vordefinierten Maßnahmen (vgl. Palleit 2010).

Mit der Ratifizierung der UN-Konvention in Deutschland im März 2009 hat sich der Staat dazu verpflichtet „[…] geeignete, wirksame und zielgerichtete Maßnahmen zu ergreifen […]“ (Palleit 2010: 1), sodass die, der UN-Konvention innewohnenden Rechte eingehalten und umgesetzt werden (Artikel 4 UN-BRK). Auch wenn dem Staat durch die UN-Konvention die Erstellung eines Aktionsplans nicht vorgeschrieben wird, setzen einige Artikel (u. a. Artikel 26 UN-BRK und Artikel 8 UN-BRK) das Bestehen von entsprechenden Programmen oder Konzepten zur Umsetzung dieser voraus (vgl. Palleit 2010).

4.4.2 Nationaler Aktionsplan der Bundesregierung zum Thema WfbM

Im Rahmen des Nationalen Aktionsplans wird versichert, das auch weiterhin Menschen mit Behinderungen einen Anspruch auf die Aufnahme in eine Werkstatt für behinderte Menschen haben. Eine Verbesserung der Situation der Personengruppe gestaltet sich unter anderem darin, dass sich die Bundesregierung für die „[…] Weiterentwicklung der Eingliederungshilfe für Menschen mit Behinderungen […]“ (BMAS 2011: 43) einsetzt. Ziel ist es, den personenzentrierten Ansatz zu fördern, der es bei einer Neuausrichtung des Werkstattrechts ermöglicht, individuelle Unterstützungsbedarfe des Menschen mit Behinderung zu gewährleisten und diese in einer WfbM oder einer anderen Rehabilitationseinrichtung anzubieten. Die geplante Veränderungsmaßnahme bezieht die berufliche Bildung mit ein (vgl. BMAS 2011).

Auch wenn Menschen mit Behinderungen in einer WfbM keine Arbeitnehmer sind, steht ihnen seit dem Jahr 2001 mit der Werkstätten-Mitwirkungsverordnung (WMVO) das Recht zu, Einfluss auf Entscheidungen und Vorgänge zu nehmen, die ihre Interessen berühren. Daher existiert in jeder Werkstatt ein Werkstattrat, zur Vertretung der Interessen beschäftigter MitarbeiterInnen (vgl. Bieker 2005).

Da die WMVO nunmehr seit über 10 Jahren besteht, nimmt die Bundesregierung dies zum Anlass in einen Diskurs mit den Werkstätten und deren Räten zu gehen, um einen Erfahrungsaustausch bezüglich der Umsetzung der Mitwirkung in der Praxis zu initiieren (vgl. BMAS 2011).

Mit dem § 141 SGB IX wird festgelegt, dass Aufträge durch die öffentliche Hand bevorzugt den Werkstätten für behinderte Menschen angeboten werden sollen. Da es laut dem Nationalen Aktionsplans der Bundesregierung derzeit noch unterschiedliche Verwaltungsvorschriften des Bundes und der Länder existieren, formuliert die Bundesregierung das Ziel, eine einheitliche Regelung zu finden, die für alle öffentlichen Auftraggeber gelten (ebd.).

Im Aktionsplan der Bundesregierung wird deutlich, dass das Abschaffen der Werkstätten für behinderte Menschen nicht zur Diskussion steht. Vielmehr wird der Fokus darauf gelegt, wie eine Optimierung der Einrichtung erfolgen kann. Demnach lässt sich in Verbindung mit den Forderungen des Artikels 27 UN-BRK darauf schließen, dass die WfbM eine Einrichtung darstellt, die sich den Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes anpassen sowie entsprechend konzeptionelle Handlungsmuster überdenken und neu entwickeln muss.

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Details

Seiten
Erscheinungsform
Erstausgabe
Jahr
2013
ISBN (PDF)
9783956846243
ISBN (Paperback)
9783956841248
Dateigröße
961 KB
Sprache
Deutsch
Institution / Hochschule
Fachhochschule Potsdam
Erscheinungsdatum
2015 (Februar)
Note
1,3
Schlagworte
Exklusion Segregation Integration Inklusion Behindertenrechtskonvention
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