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Voraussetzungen für eine erfolgreiche Demokratisierung von Außen

©2008 Bachelorarbeit 44 Seiten

Zusammenfassung

Seit langer Zeit ist es Ziel US-amerikanischer Außenpolitik, Freiheit und Demokratie in der Welt zu verbreiten. Beispiele für erfolgreiche Demokratisierungen sind Deutschland und Japan. International agierende Terroristen stellen jedoch eine neue Art der Bedrohung für die internationale Sicherheit dar. Staaten, deren Machthaber nicht willens oder fähig sind, diesen Terroristen Einhalt zu gebieten, werden zu Zielen militärischer Interventionen.
Die Politikwissenschaft beschäftigt sich seit langem mit der Frage, unter welchen Umständen sich die Liberalisierung und Demokratisierung von Gesellschaften unter autoritärer oder totalitärer Herrschaft vollzieht.
Zur Bewertung von Einflussfaktoren, wird zunächst ein theoretischer Bezugsrahmen erarbeitet, der von einem multikausalen Ursachengefüge für Gelingen oder Scheitern militärisch erzwungener Demokratisierung ausgeht. Darauf folgt die empirische Überprüfung dieser Kriterien an den Beispielen Deutschland und Japan für erfolgreiche, sowie Afghanistan und Irak für im Scheitern begriffene Demokratisierungen. Die gewonnen Erkenntnisse werden abschließend hinsichtlich ihrer Relevanz für die Konsolidierung von extern oktroyierten Demokratien bewertet.

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


2.3. Sozioökonomische Bedingungen und politische Kultur

Hinter dem so aussagekräftigen ökonomischen Indikator BIP per capita verbergen sich soziale Umstände, die der Entwicklung einer demokratischen politischen Kultur förderlich sind und als Folge der Modernisierung gelten. Dazu gehört unter anderem ein ausreichender Bildungsstand, der zur Entwicklung eines relativ egalitären Systems von Werten führt. Die Zunahme toleranter, gemäßigter und rationaler Werte und Verhaltensweisen führt zu einer positiven Einstellung gegenüber der Demokratie als Regierungsform.[1] Diese bedarf für ihr Überleben der Unterstützung einer Mehrheit ihrer Bürger, besonders, wenn in der Konsolidierungsphase Effizienzprobleme auftreten und ihr soziale und ökonomische Probleme Legitimitätseinbußen bescheren.[2]

Modernisierung wird häufig als Überbegriff für die ineinandergreifenden sozialen Prozesse Industrialisierung, Urbanisierung und Alphabetisierung verwendet, deren Fortschreiten Hinweise auf den Stand der Modernisierung geben.

Bei gesellschaftlichen Demokratisierungsprozessen gilt, dass die politische Mäßigung durch das ebenfalls von der ökonomischen Modernisierung verursachte Aufkommen einer großen oder schnell wachsenden Mittelschicht verstärkt wird, die befreit von existenzieller Unsicherheit im Bewusstsein ihrer gestiegenen wirtschaftlichen Bedeutung nach politischer Partizipation verlangt. Dies zieht eine wachsende Bereitschaft der Bürger nach sich, sich in unabhängigen, intermediären Verbänden und Assoziationen zu vereinigen und ihre Interessen gegenüber dem Staat zu vertreten.[3] Die klassische Funktion der Zivilgesellschaft ist es, die Staatsmacht zu begrenzen und dem tyrannischen Missbrauch der Macht entgegenzuwirken. Zur Civil Society zählen alle Organisationen, die im Unterschied zu politischen Parteien nicht versuchen, die Kontrolle über die Staatsgewalt zu erlangen um ihre Ziele und Forderungen zu verwirklichen. Nach der Institutionalisierung der Demokratie spielt die Zivilgesellschaft eine entscheidende Rolle bei deren Konsolidierung[4], da eine aktive bürgerliche Gesellschaft nicht nur zusätzliche Möglichkeiten politischer Partizipation ermöglicht, sondern auch demokratische Werte vermittelt und neue politische Eliten hervorbringt.[5] Diese politische Streitkultur kann durch eine ethnische oder gesellschaftliche Heterogenität durchaus gefördert werden, da der Pluralismus integraler Bestandteil der Demokratie ist. Stehen sich aber Teilkulturen gegenüber, die aufgrund ihrer Unterschiede nicht mehr zu integrieren sind und sich mit dem Staat nicht identifizieren, können diese Antagonismen die Demokratie gefährden.[6]

Der Civil-Society-First -Ansatz stellt diese Aspekte in den Vordergrund. Dieser Ansatz – der als einziger in erster Linie auf Bottom-Up -Prozessen aufbaut – unterstreicht, dass Demokratien von der Gesellschaft getragen werden müssen. Jedoch stellt sich die Frage, ob bei extern erzwungenen Demokratisierungen die Civil Society Vorbedingung ist, oder auch als Folge des Prozesses entstehen kann.

Einen nicht zu unterschätzenden Einfluss auf die politische Kultur hat auch die Religion. Generell gibt es unter den acht von Huntington identifizierten religiösen Kulturen einige, in denen Hierarchie, Autorität und Intoleranz eine starke Rolle spielen und somit der Demokratie weniger förderlich sind. So stehen Huntington zufolge lediglich die konfuzianische Kultur, die die Gruppe über das Individuum und Autorität über Freiheit setzt, sowie der Islam in klarem Gegensatz zur Demokratie.[7] Besonders der gegenwärtige fundamentalistische Islamismus steht in diametralem Widerspruch zur westlichen Regierungsform, da es „in dem Maße, wie politische Legitimität aus religiösen Prinzipien begründet, die konkrete Politik nicht demokratisch wandelbaren Präferenzen, sondern überzeitlich geltenden Dogmen verpflichtet ist und von islamischen Geistlichen kontrolliert wird, keine Versöhnungsmöglichkeit mit der Demokratie [gibt]“[8]. Zwar ist auch der Islam dem Wandel unterworfen, aber solange „religiös-kulturelle Faktoren […] den Vorrang vermeintlichen göttlichen Rechts über demokratisch konstituierte rechts-staatliche Ordnungen reklamieren“[9], werden sie der Demokratisierung entgegenwirken. Säkularisierung und Trennung von Kirche und Staat hingegen stellen günstige Voraussetzungen dar.[10]

2.4. Die internationale Einbettung

Als letzter Punkt soll an dieser Stelle die internationale Lage als demokratiefördernder oder -hemmender Faktor untersucht werden. Abhängigkeit von demokratiefeindlichen Mächten, wie die Satellitenstaaten der Sowjetunion im Kalten Krieg, eine periphere Weltmarktposition und nicht-demokratische Nachbarn zählen zu den demokratie-abträglichen internationalen Bestimmungsfaktoren. Ist ein Land jedoch von einem mächtigen demokratischen Staat abhängig, hat die internationale Gemeinschaft ein Interesse über diplomatische und ökonomische Sanktionen auf die demokratische Öffnung des Staates hinzuarbeiten, oder kommt es zu einer regionalen Demokratisierungswelle, kann die internationale Einbettung durchaus der Demokratie zuträglich sein.[11] Die in Aussicht gestellte Aufnahme in ein militärisches oder ökonomisches Bündnis kann ebenfalls demokratieförderlich sein.[12] Externe, militärische Interventionen können zwar die Möglichkeit für eine liberale Öffnung herstellen, haben aber nur begrenztes Potential zu demokratisieren. Dabei spielt es eine Rolle, welcher ausländische Akteur die Intervention durchführt. UN-geführte Operationen zur Unterstützung demokratischer Regierungen haben häufig zum Erfolg geführt, während die USA bei oppositionellen Interventionen erfolgreich waren. Interventionen dürfen also als Faktor nicht vernachlässigt werden, wenngleich ihr Effekt häufig überschätzt wird. Sie eröffnen eine Chance, deren Gelingen im Wesentlichen von den Akteuren und Voraussetzungen im Zielland abhängt.[13]

3. Empirische Analyse der Demokratisierungsvoraussetzungen

Im folgenden Kapitel sollen die im vorangegangenen Abschnitt erarbeiteten Bedingungen erfolgreicher Demokratisierung hinsichtlich ihres tatsächlichen Einflusses überprüft werden. Deutschland und Japan dienen dabei als Beispiele für gelungene Demokra-tisierung, während Afghanistan und der Irak als “Problemfälle“ für im Scheitern begriffene Transformationen hin zu einer demokratischen Regierungsform herangezogen werden.

3.1. Westdeutschland

Deutschland hatte bereits nach dem Ersten Weltkrieg als moderne Industrienation eine Demokratie hervorgebracht. Diese war jedoch zu keinem Zeitpunkt als konsolidiert zu bezeichnen und endete in der Katastrophe des Nationalsozialismus. Gerade diese Tatsache verspricht interessante Erkenntnisse über die Relevanz der einzelnen Faktoren, die die Theorie als Vorbedingungen der Demokratie betrachtet. Gegenstand des folgenden Kapitels sind die Umstände, welche die erfolgreiche Demokratisierung Deutschlands nach mehr als zwölf Jahren unter totalitärer Herrschaft ermöglichten.

3.1.1. Gewaltmonopol

Deutschland hatte im Zweiten Weltkrieg eine totale militärische Niederlage erlitten und bedingungslos kapituliert. Da nach zwei von Deutschland geführten Weltkriegen innerhalb weniger Jahrzehnte das Misstrauen seitens der Alliierten groß war, gestand man dem deutschen Volk nicht das 1941 in der Atlantic Charter verkündete nationale Recht auf Self Governance zu, sondern richtete ein Besatzungsregime ein, das die Gefahr, die von Deutschland ausging, eliminieren und die Voraussetzungen für die Aufnahme eines friedlichen, freiheitlich-demokratischen Deutschlands in die Weltgemeinschaft schaffen sollte.[14] Die Regierungsgewalt lag nach dem Zusammenbruch des Staatsapparates und seiner Gewaltmittel in den Händen des Alliierten Kontrollrates. Die Autorität der Alliierten, die fortdauernde militärische Präsenz der Besatzungsmächte, aber auch die Friedenssehnsucht der Masse der Bevölkerung beugten einem Aufstand oder Bürgerkrieg vor.[15] Das Gewaltmonopol, zunächst auf Seiten der Alliierten, war nicht gefährdet und geriet auch nicht in Gefahr, als die staatliche Souveränität sukzessive auf die Bundesrepublik übertragen wurde.

3.1.2. Wirtschaftliche Lage

Seit die Industrialisierung während des Kaiserreiches aus England ernsthaft übergegriffen hatte, zählte auch Deutschland zu den großen Industrienationen. Anfangs hatte die Bevölkerung jedoch stark unter den Folgen des Krieges zu leiden. Hunger, Wohnungsnot und der außergewöhnlich harte Winter 1946/47 forderten Opfer in der Zivilbevölkerung: „Westdeutschland war arm, aber nicht unterentwickelt.“[16] Die Bedeutung der wirtschaftlichen Entwicklung für die politische Stabilität Deutschlands war schon in der Weimarer Republik offen zu Tage getreten. Hatte also die Bundesrepublik ein stabiles wirtschaftliches Fundament? Die Industrieproduktion war zwar 1945 auf etwa ein Fünftel des Jahres 1936 gefallen[17], entgegen ersten Schätzungen war der Zerstörungsgrad der Industrie jedoch relativ gering. Das industrielle Anlagevermögen lag trotz der Kriegsschäden um etwa 21% über dem Stand von 1936. Als weitaus größeres Problem für den wirtschaftlichen Aufschwung erwies sich die umfangreiche Zerstörung des Transport-wesens.[18] Tatsächlich begann der Aufschwung schon Ende 1947 – vor dem Beginn des Marshall-Plans zum Wiederaufbau Europas. Ein Bevölkerungszuwachs um etwa 10% in den Westzonen, der Reparationsstopp seitens der USA sowie die weitgehende Aufhebung der Wirtschaftsbeschränkungen und nicht zuletzt auch die ERP-Mittel sorgten neben weiteren Gründen für das “Wirtschaftswunder“.[19] Selbst im ersten Jahr nach Kriegsende betrug das BIP per capita noch mehr als 2.500 Dollar[20] und stieg in der Folge stark an.[21]

3.1.3. Sozioökonomie und politische Kultur

Der hohe ökonomische Entwicklungsstand Deutschlands lässt sich auch in den sozioökonomischen Rahmenbedingungen zur Zeit der Gründung der Bundesrepublik ablesen. Die amerikanischen Besatzer bescheinigten Deutschland ein „seit Generationen [bestehendes] Bildungssystem ersten Ranges.“[22] Schon im Jahr 1900 war die Quote der Analphabeten bis auf unter 2% gesunken.[23] Die Wiedereröffnung der Schulen mit entnazifizierten Lehrkräften und neu gedruckten Schulbüchern wurde nach Kriegsende schnell vorangetrieben.[24] Die weiteren Kennzahlen der Modernisierung sprechen ebenfalls ein deutliche Sprache: Schon 1910 lebten 60% der Bevölkerung in Städten[25] und 1950 arbeiteten 42,3% der Erwerbstätigen im sekundären Sektor.[26]

Die Gleichschaltung der Gesellschaft während des Nationalsozialismus und die damit einhergehende Auflösung der Zivilgesellschaft konnte nicht alle demokratischen Traditionen aus der Weimarer Republik zerstören. Die entstehende Demokratie konnte an die Zeit vor Hitlers Machtergreifung anknüpfen und war keineswegs nur von außen aufgezwungen. Seit der Revolution 1848 hatte sich die Civil Society und gesellschaftliche Organisationsfähigkeit bis zum Ersten Weltkrieg stetig entwickelt. Nach dieser Zäsur begünstigte insbesondere die Weimarer Republik eine erhebliche Expansion der Gewerkschaften, Unternehmer- und vielseitiger anderer Verbände, die jedoch von den Nationalsozialisten wieder aufgelöst oder gleichgeschaltet wurden.[27] Dennoch war die Weimarer Civil Society die lebhafteste der Zwischenkriegszeit in Europa, wenngleich mit häufig undemokratischen Zielen und den bekannten Folgen.[28] Schon vor dem Kriegsende fand eine Reorganisation und Neugründung der politischen Parteien statt, wobei Persönlichkeiten dominierten, die schon vor 1933 politisch und gesellschaftlich aktiv gewesen waren.[29] Um Verhältnisse wie in der Weimarer Republik mit einem stark fragmentierten Vielparteiensystem zu vermeiden, duldeten die Alliierten zwar stillschweigend die Parteigründungen, nahmen aber über Lizensierungen Einfluss auf die Entstehung der Parteienlandschaft.[30] Auch bei den Gewerkschaften, die 1933 aufgelöst und in die totalitäre Zwangsorganisation “Deutsche Arbeitsfront“ überführt worden waren, setzten unmittelbar nach Kriegsende Bemühungen zur Neuorganisation ein, wobei – anders als in der Weimarer Republik – auf parteipolitische Unabhängigkeit gesetzt wurde. Die Organisationsbereitschaft der westdeutschen Arbeiterschaft war umfangreich. 1949 repräsentierte der “Deutsche Gewerkschaftsbund“ als Dachverband bereits knapp fünf Millionen Mitglieder. Dieser recht hohe Organisationsgrad zeigt, dass die Zivilgesellschaft in Deutschland nach dem Krieg rasch wiederbelebt werden konnte[31], wenngleich ihre Rolle bei der Konsolidierung der guten Konjunktur untergeordnet scheint.

Die Prognosen für die politisch-kulturelle Entwicklung Deutschlands nach dem Zweiten Weltkrieg waren düster: Immerhin ein gutes Drittel der Bevölkerung hatte nur die Werte des Dritten Reiches kennengelernt.[32] Durch die bedingungslose Kapitulation, die etwaigen Dolchstoßlegenden die Plausibilität entzog, und den gesellschaftlichen und politischen Bedeutungsverlust der alten demokratiefeindlichen Eliten in Militär und Adel waren sie jedoch besser als 1918/19.[33] „Eine tragende und in ihrem Selbstverständnis anti-demokratische Formation gab es […] nicht mehr.“[34] Die politische Kultur der Deutschen war zu Beginn der Bundesrepublik von Restbeständen obrigkeitsstaatlicher Traditionen, Desinteresse an Politik sowie passiver Akzeptanz der neuen demokratischen Institutionen geprägt. Diese Akzeptanz und die daraus resultierende politische Stabilität waren maßgeblich der wirtschaftlichen Prosperität zuzuschreiben. Eine positive Einstellung zum Regierungssystem der Bundesrepublik war in den ersten Jahren ihres Bestehens noch nicht festzustellen. Noch Ende der 1950er Jahre überwog die Anzahl der Bundesbürger, die das Kaiserreich oder das Dritte Reich als bessere Zeit für Deutschland betrachteten, erst bis Ende der 1960er vollzog sich die allmähliche Verinnerlichung demokratischer Werte.[35]

Die Religion hat in Deutschland im Zuge der Modernisierung seit dem Anfang des 20. Jahrhunderts massiv an Bedeutung verloren, was in besonderem Maße für die Politik gilt. Nicht nur ist das in Deutschland prägende Christentum Huntington zufolge sowohl in der protestantischen als auch in der katholischen Ausprägung durchaus demokratietauglich, sondern auch durch einen dramatischen Säkularisierungsprozess seit Ende des 19. Jahrhunderts wird die Religion in Deutschland als demokratieabträglicher Faktor praktisch bedeutungslos. Seit 1918 sind Kirche und Staat rechtlich getrennt und die Kirche nimmt im öffentlichen Leben eine zunehmend beschränkte Rolle ein.[36] Zudem zeichnete sich auch eine Abnahme der Bedeutung der konfessionellen Zugehörigkeit (Protestantismus/ Katholizismus) ab, wodurch auch in dieser Hinsicht größere gesellschaftliche Homogenität entstand und Regionalismus, der häufig konfessionell motiviert war, zurück ging.[37]

3.1.4. Internationale Einbettung

Die externen Einflüsse auf die Demokratisierungschancen Deutschlands waren nach dem Zweiten Weltkrieg, wie bereits angedeutet, ungleich besser als drei Jahrzehnte zuvor. Deutschland bekleidete in der beginnenden ideologischen und militärischen Blockbildung zwischen dem demokratischen Westen und dem kommunistischen Osten eine Schlüsselposition, die die alliierten Westmächte veranlasste, aus ihren Besatzungszonen einen ökonomisch starken und politisch zuverlässigen Partner zu machen.[38] Für die Gründung eines eigenen Staates warb Washington seit 1947 aufgrund „der Überzeugung, nur durch die Nutzbarmachung des westdeutschen Potentials könne Westeuropa […] zu einem Bollwerk gegen das sowjetische Expansionsstreben werden.“[39] Die offensichtliche Abhängigkeit der jungen Bundesrepublik von den demokratischen Siegermächten, die beginnende europäische Integration und später die Aufnahme in WEU und NATO gehören den Kriterien zufolge, die Huntington nennt, zu den weiteren positiven Einflüssen auf die Demokratisierung Deutschlands.

3.1.5. Fazit: Voraussetzungen für Demokratie in Westdeutschland nach 1945

Die bange Frage in der zweiten Hälfte der vierziger Jahre war, ob Deutschland es im zweiten Anlauf schaffen würde, eine stabile demokratische Ordnung zu entwickeln. Obgleich die Bevölkerung an den Kriegsfolgen litt, waren die objektiven Voraussetzungen besser als sie es nach dem Ersten Weltkrieg gewesen waren. Es drohte keine Gefahr eines Bürgerkriegs und die hochentwickelte Industrie erholte sich schnell. Die gute Konjunktur sorgte für die politische Stabilität, die die Demokratie benötigte um sich zu konsolidieren, obwohl die Einstellung der Bevölkerung zum politischen System zunächst eher reserviert war. Zudem begünstigte die beginnende Blockkonfrontation durch die daraus resultierende Westintegration die Konsolidierung der Bundesrepublik.

3.2. Japan

In Japan wurde im Jahr 1889 eine Verfassung ausgerufen, die in ihrem historischen Kontext durchaus als modern zu bezeichnen war und die Grundlage der rule of law und politischer Partizipation bildete.[40] Die weitere Entwicklung Japans bis hin zur Katastrophe im Zweiten Weltkrieg ist gekennzeichnet von einer stetigen Modernisierung, die begleitet wurde durch die Liberalisierung und Demokratisierung der Gesellschaft. In den 1930er Jahren bedingte unter anderem die schlechte Weltwirtschaftslage die rasche Zurücknahme der gesellschaftlichen Freiheiten. Eine Militärdiktatur führte Japan in einen Krieg gegen die Vereinigten Staaten, die Japan durch Einsatz von Atombomben gegen die Städte Hiroshima und Nagasaki vernichtend besiegten. Die anschließende Besatzung durch die US-Armee brachte Japan eine neue demokratische Verfassung. Ähnlich wie die Bundesrepublik Deutschland erlebte das Land in der Folge ein „Wirtschaftswunder“, das Japan in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts zur zweitreichsten Nation der Welt werden ließ. Für die Fragestellung dieser Arbeit sind die Bedingungen relevant, die zur Zeit der Niederlage Japans gegen die USA im Zweiten Weltkrieg herrschten.

3.2.1. Gewaltmonopol

Vor dem Zweiten Weltkrieg hatte in Japan eine ultranationalistische Gruppierung von Militärs nach mehreren Putschversuchen die politische Führung übernommen. Diese sahen in der “Achse Rom-Berlin-Tokyo“ die Chance mit einer aggressiven Expansionspolitik in China und Südostasien die Krise des japanischen Imperialismus zu überwinden und eine “Großasiatische Wohlstandssphäre“ zu schaffen.[41] Unter ihrer Führung entwickelte sich ein Faschismus japanischer Prägung:

„Die Tenno-Ideologie, die aus dem Kaisertum eine göttliche Institution machen sollte, wurde verschärft, die Erziehung in Schulen, Militär und Universitäten, wurde auf die Kaiserverehrung und bedingungslose Hingabe konzentriert, systemkritische Intellektuelle und Politiker linker Parteien wurden gnadenlos durch die Geheimpolizei verfolgt.“[42]

Damit einher ging die totale Mobilisierung der Gesellschaft für den Krieg. Der in den vergangenen Jahrzehnten gewachsene gesellschaftliche und politische Pluralismus wurde vernichtet. Sämtliche Massenbewegungen und politischen Parteien wurden 1940 in der neugegründeten “Gesellschaft zur Unterstützung der Kaiserherrschaft“ (taisei yokusan-kai) verschmolzen und gleichgeschaltet. Diese Faschisierung der Gesellschaft erfolgte durch die freiwillige Auflösung aller Organisationen der Zivilgesellschaft.[43]

Japan zeichnete sich zum Zeitpunkt der Niederlage im Zweiten Weltkrieg und der Besetzung durch die Amerikaner nicht durch fragile Staatlichkeit aus, sondern im Gegenteil durch eine faschistische Militärdiktatur, die liberale Ideen im Land im Vollbesitz des staatlichen Gewaltmonopols brutal unterdrückte. Zudem waren durch die äußerst hohe ethnische und konfessionelle Homogenität der japanischen Gesellschaft ein Bürgerkrieg oder starke gesellschaftliche Konflikte unwahrscheinlich, was sich positiv auf die politische Stabilität auswirkte.

3.2.2. Wirtschaftliche Entwicklung

In Japan hatte sich während des Ersten Weltkrieges endgültig der Industriekapitalismus durchgesetzt. Ähnlich wie Amerika erlebte Japan einen schnellen Aufstieg zur Wirtschaftsmacht.[44] Japan belieferte die europäischen Mächte mit Rohstoffen und nutzte die Abwesenheit der Konkurrenz in Ostasien um die eigenen Absatzmärkte zu erweitern. Zwar hatte die Weltwirtschaftskrise seit 1929 auch für Japan verheerende Folgen, der Strukturwandel der Wirtschaft hin zu Industrie war jedoch unumkehrbar.[45] Im Jahr des Angriffes auf Pearl Harbor betrug das BIP per capita in Japan 2.764 Dollar[46]. Damit lag das Land zwar noch weit hinter den USA (8.215 Dollar), Deutschland (5.862 Dollar) und den meisten anderen westeuropäischen Staaten, verfügte aber bereits über eine wirtschaftliche Stärke, die – die Inflation eingerechnet – auch in der “dritten Demokratisierungswelle“ an der oberen Grenze der von Huntington ermittelten Transitionszone gelegen hätte und damit günstige Bedingungen für eine erfolgreiche Demokratisierung indizierte. Auch auf dem Tiefpunkt im Jahr der Niederlage 1945 fiel das BIP per capita nicht unter die Grenze von 1000 Dollar und erfuhr in den folgenden Jahren eine ähnliche Entwicklung wie in Deutschland.[47]

[...]


[1] Vgl. Merkel/Puhle 1999, S. 28.

[2] Vgl. Vorländer 2003, S. 101.

[3] Vgl. Merkel/Puhle 1999, S. 29.

[4] Vgl. Posner, Daniel L., „Civil Society and the Reconstruction of Failed States”, in: Rotberg, Robert I. (Hrsg.), When States Fail. Causes and Consequences, New Jersey 2004, S. 240.

[5] Vgl. Diamond, Larry/Linz, Juan J./Lipset, Seymour Martin, “Introduction: What Makes for Democracy?”, in: Dies. (Hrsg.), Politics in Developing Countries. Comparing Experiences with Democracy, Boulder/London 1995, S. 27-29.

[6] Vgl. Vorländer 2003, S. 105-107.

[7] Vgl. Huntington, Samuel P., Kampf der Kulturen. Die Neugestaltung der Weltpolitik im 21. Jahrhundert, München 1996, S. 307-315 und Sørensen 2008, S. 31.

[8] Merkel/Puhle 1999, S. 41.

[9] Ebd., S. 42.

[10] Vgl. Vorländer 2003, S. 103-105.

[11] Vgl. Schmidt 2000, S. 448-449 und Diamond/Linz/Lipset 1995, S. 48-52.

[12] Vgl. Huntington 1993, S. 87-91.

[13] Vgl. Peceny, Mark/Pickering, Jeffrey, „Can liberal intervention build liberal democracy?“, in: Meernik, James D./Mason, T. David (Hrsg.), Conflict Prevention and Peacebuilding in Post-War Societies. Sustaining the peace, New York 2006, S. 131-145.

[14] Vgl. Vgl. Stammen, Theo, „Das alliierte Besatzungsregime in Deutschland“, in: Becker, Josef/Stammen, Theo/ Waldmann, Peter (Hrsg.), Vorgeschichte der Bundesrepublik Deutschland. Zwischen Kapitulation und Grundgesetz, München 1987, S. 64.

[15] Vgl. Niethammer, Lutz, „War die bürgerliche Gesellschaft in Deutschland 1945 am Ende oder am Anfang?“, in: Ders. u.a. (Hrsg.), Bürgerliche Gesellschaft in Deutschland, Frankfurt/Main 1990, S. 519.

[16] Uffelmann, Uwe, Der Weg zur Bundesrepublik. Wirtschaftliche, gesellschaftliche und staatliche Weichenstellungen 1945-1949, Düsseldorf 1988, S. 19.

[17] Vgl. Görtemaker, Manfred, Geschichte der Bundesrepublik Deutschland. Von der Gründung bis zur Gegenwart, München 1999, S. 119.

[18] Vgl. Grebing, Helga/Pozorski, Peter/Schulze, Rainer, Die Nachkriegsentwicklung in Westdeutschland. 1945-1949, Bd. 7a, Stuttgart 1980, S. 5-12.

[19] Vgl. ebd., S. 101-102 und Görtemaker 1999, S. 127-129 und S. 156-159.

[20] In 1990 Geary-Khamis Dollars.

[21] Vgl. Maddison, Angus, Monitoring The World Economy. 1820 – 1992, Paris 1995, S. 195.

[22] Gerhardt, Uta, Soziologie der Stunde Null. Zur Gesellschaftskonzeption des amerikanischen Besatzungsregimes in Deutschland 1944-1945/1946, Frankfurt am Main 2005, S. 101.

[23] Vgl. Schneider, Jost, Sozialgeschichte des Lesens. Zur historischen Entwicklung und sozialen Differenzierung der literarischen Kommunikation in Deutschland, Berlin u.a. 2004, S. 167.

[24] Vgl. Gerhardt 2005, S. 260-264.

[25] Vgl. Reulecke, Jürgen, Geschichte der Urbanisierung in Deutschland, Frankfurt am Main 1985, S. 202.

[26] Vgl. Schäfers, Bernhard, Sozialstruktur und sozialer Wandel in Deutschland, Stuttgart 2004, S. 186.

[27] Vgl. Sebaldt, Martin/Straßner, Alexander, Verbände in der Bundesrepublik Deutschland. Eine Einführung, Wiesbaden 2004, S. 76-83.

[28] Vgl. Bunce, Valerie, „The Tasks of Democratic Transition and Transferability”, in: Orbis, Vol. 52, No. 1, Winter 2008, S. 29.

[29] Vgl. Ribhegge, Wilhelm, Stadt und Nation in Deutschland vom Mittelalter bis zur Gegenwart. Die Entstehung der Zivilgesellschaft aus der Tradition der Städte, Münster u.a. 2002, S. 86.

[30] Vgl. Grebing, Helga/Pozorski, Peter/Schulze, Rainer, Die Nachkriegsentwicklung in Westdeutschland. 1945-1949, Bd. 7b, Stuttgart 1980, S. 43-44.

[31] Vgl. ebd., S. 97-105.

[32] Vgl. Reichel, Peter, Politische Kultur der Bundesrepublik, Opladen 1981, S. 127.

[33] Vgl. Jung, Michael, „Politische Kultur in der Bundesrepublik Deutschland“, in: Rüther, Günther (Hrsg.), Politik und Gesellschaft in Deutschland. Grundlagen, Zusammenhänge, Herausforderungen, Köln 1994, S. 334-335.

[34] Ebd., S. 335.

[35] Vgl. ebd., S. 334-336.

[36] Vgl. Pollack, Detlef, Säkularisierung – Ein moderner Mythos?, Tübingen 2003, S. 241-244.

[37] Vgl. Görtemaker 1999, S. 165.

[38] Vgl. Jung 1994, S. 335.

[39] Bierling, Stephan, Die Außenpolitik der Bundesrepublik Deutschland. Normen, Akteure, Entscheidungen, München 2005, S. 74.

[40] Vgl. Peters, Stephan, Das politische System Japans und seine Veränderungen nach dem Juni 1993, Frankfurt am Main 1996, S. 80f.

[41] Vgl. Inoue, Kiyoshi, Geschichte Japans, Frankfurt/Main 1993, S. 570f.

[42] Pohl, Manfred, Geschichte Japans, München 2005, S. 73.

[43] Vgl. ebd., S. 73.

[44] Vgl. Kiyoshi 1993, S. 521.

[45] Vgl. Kemper, Ulrich, “Die Geschichte”, in: Hammitzsch, Horst (Hrsg.), Japan, Nürnberg 1975, S. 72 und Pohl 2005, S. 69f.

[46] In 1990 Geary-Khamis Dollars.

[47] Vgl. Maddison, Angus, Monitoring The World Economy. 1820 – 1992, Paris 1995, S. 195-197.

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Erscheinungsform
Erstausgabe
Erscheinungsjahr
2008
ISBN (PDF)
9783956846335
ISBN (Paperback)
9783956841330
Dateigröße
732 KB
Sprache
Deutsch
Institution / Hochschule
Universität Regensburg
Erscheinungsdatum
2015 (Februar)
Note
1
Schlagworte
Deutschland Demokratie Gewaltmonopol Japan Afghanistan Irak
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