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Sportpartizipation und Schulleistung

©2011 Bachelorarbeit 65 Seiten

Zusammenfassung

„Das Kind lernt vor allem durch Bewegung.“ Diese Theorie wird durch etliche Studien, die zum Teil auch in diesem Buch vorgestellt werden, bewiesen. In vielen Bereichen des Lebens spielt die sportliche Betätigung eine zunehmend größere Rolle. Körperliche Bewegung allgemein ist in den Gedanken der Gesellschaft positiv besetzt.
Der Bewegungsdrang ist im Kindesalter besonders ausgeprägt. Neben natürlichen und unbewussten Bewegungsabläufen wie Laufen, Hüpfen, Springen usw. werden den Kindern zum Beispiel in Vereinen verschiedene Sportarten angeboten, in der Schulzeit kommt der Sportunterricht dazu.
Die vorliegende Studie beschäftigt sich mit der Wirkung des Sports auf das Selbstkonzept und die Schulleistung. Dabei steht eine Frage im Vordergrund: Kann sportliche Aktivität einen positiven Einfluss auf die Schulleistung nehmen?
Bis heute wurden viele Forschungen durchgeführt, wobei nur in wenigen Fällen ein direkter Zusammenhang zwischen Sport und Schulleistung untersucht wird. Häufiger sind Studien zu den Beziehungen zwischen Sport und dem Selbstkonzept sowie zu dem Einfluss des Selbstkonzepts auf die Schulleistung. Aus diesem Grund spielt auch das Selbstbild in dieser Studie eine zentrale Rolle.

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


Sport existiert in Deutschland sowohl in als auch außerhalb der Schule. Auch wenn in einigen
Kapiteln der außerunterrichtliche Sport eine Rolle spielt, richtet sich das Hauptaugenmerk auf
den Schulsport. Die Einordnung des deutschen Schulsports wird deswegen im Kapitel 2.2
erläutert.
Daran anschließend wird ein Definitionsversuch des Selbstkonzepts vorgenommen. Dabei ist
es von zentraler Bedeutung, auf die Entstehung und Kategorisierung des Selbstkonzepts ein-
zugehen. Zum Ende des ersten Abschnitts wird herausgearbeitet, wie der Sport das Selbstkon-
zept beeinflusst. Dies wird mit anschließenden empirischen Erkenntnissen belegt. Es soll so
herausgestellt werden, in welchem Maße Bewegung auf das Selbstkonzept von Kindern und
Jugendlichen wirkt. Meine Vermutung ist, dass sportliche Leistung sich je nach den individu-
ellen Fertigkeiten und Fähigkeiten positiv oder negativ auf das Selbstkonzept niederschlägt,
wobei für diese Arbeit die positive Beeinflussung von größerer Wichtigkeit wäre.
Da im zweiten thematischen Hauptpunkt das Selbstkonzept neben der Schulleistung wieder
aufgegriffen wird, liegt der Schwerpunkt auf der Begriffsbestimmung eben jener. Es ist zu
klären, wann eine Leistung als gut betrachtet wird und von welchen Faktoren sie abhängen
kann. Wie im vorangehenden Punkt beendet eine Übersicht über den Einfluss des Selbstkon-
zepts auf die Schulleistung vor ausgewählten Studien das dritte Kapitel.
Im anschließenden Abschnitt sollen die vorangehenden Überlegungen zusammengebracht
werden und Antwort auf die Ausgangsfrage gefunden werden. Nach einer Darstellung der
Bedeutung von Bewegung für Hirnleistung und Identitätsentwicklung sollen verschiedene
Forschungen angeführt werden, die versuchen die These von einer positiven Wirkung des
Sports auf die Schulleistung zu belegen.
Im Anschluss daran wird in einem weiteren Kapitel auf das Konzept Bewegte Schule einge-
gangen. Wohlwissend, dass das Programm mehr als ein Zusammenspiel zwischen Bewegung
und Leistung beinhaltet, soll mittels der Darstellung dieses Projekts exemplarisch aufgezeigt
werden, wie Sport besonders fördernd in den Schulalltag integriert werden kann und warum
dies eventuell auch sinnvoll sein könnte.
Das Fazit werden die herausgearbeiteten Ergebnisse zusammentragen und es wird eine Prog-
nose gewagt, wie die Institution Schule weiter mit den Resultaten der Forschung umgehen
wird.
2

2
Sport und Selbstkonzept
,,Durch Bewegung entdeckt der Mensch sich selbst, die Mitmenschen und die Mitwelt." (Püh-
se & Illi, 1999, S. 59) Vor diesem Hintergrund geht es im ersten Kapitel dieser Arbeit um die
Wirkung des Sports ­ sei es nun in der Schule oder in der Freizeit - auf das Selbstbild von
Kindern und Jugendlichen.
Bis heute wurde bereits mehrfach nachgewiesen, dass Sport einen unmittelbaren Effekt auf
die psychosoziale Gesundheit und das subjektive Wohlbefinden hat und somit das Selbstkon-
zept des Sporttreibenden steigert. Bewegung kann in gewissem Maße als ,,Stresspuffer" be-
zeichnet werden und schützt in dieser Funktion den Menschen vor emotionalem Stress (vgl.
Gerlach, 2008, S. 84 f.).
Für einen grundlegenden Einstieg in die Thematik wird zunächst der Versuch vorgenommen,
den Begriff Sport zu definieren. Einerseits sollen wissenschaftliche Erkenntnisse zu einer ge-
naueren Eingrenzung beitragen, andererseits darf aber auch das Begriffsverständnis der Kin-
der und Jugendlichen ­ um die es in dieser Arbeit geht ­ nicht außer Acht gelassen werden.
Des Weiteren gibt es einen Einblick in die Situation des Schulsports in Deutschland. Wie hat
er sich in den Schulen etabliert? Und welchen Stellenwert hat er heute in den Schulen? Für
die Beantwortung werden Teile der DSB
1
-SPRINT-Studie vorgestellt.
Im Anschluss liegt der Fokus auf dem Selbstkonzept ­ einer Begriffsbestimmung und Be-
griffsabgrenzung ­ bevor zum Ende des ersten Teils die Wirkungen des Sports auf das Selbst-
bild von Kindern und Jugendlichen genauer betrachtet werden sollen.
2.1.
Definition Sport
Seitdem der Sport 1828 durch den Reiseschriftsteller Fürst zu Pückler-Muskau nach Deutsch-
land gelangte, fällt es den Wissenschaftlern schwer, sich auf eine allgemeingültige, allumfas-
sende Definition des Sportbegriffs festzulegen. Diese Schwierigkeiten sind in der Vielfalt des
Sports begründet und haben sich bis in das 21. Jahrhundert weiter vertieft, sodass heute jeder
eine individuelle Vorstellung von dem besitzt, was Sport bedeutet.
Etymologisch betrachtet findet Sport seine Bedeutung im Englischen, wo Sport ,,Zerstreuung,
Vergnügen, Zeitvertreib, Spiel" meint. Ursprünglich stammt das Wort ,,Sport" vom latei-
1
Deutscher Sportbund bis 2006, heute Deutscher Olympischer Sportbund (DOSB).
3

nischen Etymon deportare (fortbringen) und wurde später dem französischen (se) de(s)porter
(sich verstreuen, sich vergnügen) entlehnt (vgl. Röthig & Prohl u.a., 2003, S. 493).
Eine genaue Begriffseingrenzung ist weitaus schwieriger und bietet den Sportwissenschaften
noch heute eine große Herausforderung, da eine Wissenschaft ihren Gegenstandsbereich ein-
heitlich und vollständig festzulegen hat (vgl. Tiedemann, 2007).
2.1.1.
Wissenschaftliche Definition
Graf von Norman beschrieb den Sport als ,,aktive Lust an einer Sache, die mit der geistigen
und körperlichen Anwendung verbunden ist" (1928, S. 286-287) und kommt zu dem Schluss,
Sport sei die ,,Betätigung des Körpers und des Geistes zu gesundheitlichem Zwecke". 1960
äußerte Diem sich zum Wesen des Sports wie folgt: ,,Sport als Leibesübung ist im Lebensbe-
reich des zweckfreien Tuns ein [...] Vervollkommnungsstreben". Damit greift er den Grund-
gedanken der Bewegung auf, ohne jedoch auf den Gesundheitsaspekt einzugehen, der bei
Graf von Norman erwähnt wird. In den folgenden Jahren verfällt auch bei anderen Wissen-
schaftlern die Berücksichtigung des Effekts des Sporttreibens auf die Gesundheit und der Fo-
kus wird auf die körperliche Bewegung gesetzt (vgl. Stahl, 2007, 164). Einen umfassenden
Definitionsversuch formuliert Güldenpfennig 2000:
,,Sport ist selbstzweckhafte, schwerpunktmäßig im Medium körperlicher Bewegung
vollzogene Eigenleistung, in der es um Anerkennung, Setzung und Austestung von
Grenzen geht, wobei die freiwillig vereinbarte Auseinandersetzung zwischen gegne-
rischen Parteien der (in bestimmter Weise durchaus rücksichtslosen und nicht hilfsberei-
ten) Erreichung dieser individuell gesetzten Ziele dient und zugleich die Erzeugung des
Wettkampfes als eines ästhetischen `Werkes´ ermöglicht." (Güldenpfennig, 2000, S.
201 f.)
Immer längere Definitionen verdeutlichen die Probleme der Wissenschaftler. Die genaue Ein-
grenzung wird stetig schwieriger, da es zunehmend mehr Sportarten gibt und zwar nicht nur
in organisierten Bereichen. Die Menschen haben unterschiedlichere Erwartungen an den
Sport, was in der Folge zu Uneinheitlichkeit in der Begriffsbestimmung führt (vgl. Stahl,
2007a, 162 f.).
Wird der Wandel und die Weiterentwicklung betrachtet, die der Sport erfährt (z.B. durch neue
Sportarten oder weniger organisatorische Rahmen, Trend zum Gesundheits- und Abenteuer-
sport), ist davon auszugehen, dass `Sport´ nie vollkommen klar definiert werden kann.
4

2.1.2.
Sportverständnis von Kindern und Jugendlichen
Die Schwierigkeiten, die die Wissenschaft mit dem Sportbegriff hat, werden auch von Kin-
dern und Jugendlichen wahrgenommen. Für einen Überblick wurden Jugendlichen in einem
von Stahl durchgeführten Interview Fragen gestellt, um herauszufinden, welche Aspekte für
sie Sport beinhalten und welche Kriterien dazu führen, dass eine Tätigkeit als Sport angese-
hen wird oder nicht (,,Was ist Sport?", ,,Ist [...] Sport?", ,,Warum? Woran machst du das
fest?") (vgl. Stahl, 2007b, S. 112). Für eine Kategorisierung der Antworten wurde eine Eintei-
lung vorgenommen, die zwischen essenziellen, modalen, motivationalen und nicht
kategorisierbaren Kriterien unterscheidet. Es ist vorwegzunehmen, dass oftmals keine eindeu-
tige Einordnung möglich war, da die Antworten mehrere Kriterien einschlossen.
Für viele Heranwachsende ist Sport mit Bewegung gleichzusetzen. Dementsprechend sind für
sie Bewegungsmuster wie Bowlen, mit dem Hund spazieren gehen oder Fangen spielen Sport,
Angeln oder Schach jedoch nicht. Bereits dieses Kriterium zeigt, dass es in der Lage ist, Akti-
vitäten sowohl als Sport zu identifizieren, wie auch sie auszuschließen. Gleiches gilt für alle
anderen Kriterien auch. Ein weiterer Aspekt des Sports ist die mit einhergehende Anstreng-
ung und Belastung. Dieses erweitert den Bewegungsaspekt und grenzt einige bisher genannte
Tätigkeiten wieder aus (zum Beispiel Bowlen) (vgl. ebd., S. 114 f.). Ein weiteres Argument
für ,,richtigen Sport" (ebd., S. 116) ist die Teilnahme an Wettkämpfen oder an Trainingsein-
heiten. Diese Überlegung führt die Jugendlichen dazu, einige Sportarten situationsbedingt
dem Sport zuzuordnen oder nicht. Snowboarden ist somit kein Sport, wenn zum Beispiel eine
Familie im Winterurlaub einige Pistenkilometer zurücklegt, sondern erst, wenn ein Snow-
boardfahrer an Wettkämpfen teilnimmt, für die er trainiert hat. Während ,,Bewegung" und
,,Anstrengung" noch zu den essenziellen Kriterien zählen, also den Inhalt der Tätigkeit be-
schreiben, gehört Wettkampf und Training neben den Sportstätten und der Sportkleidung in
den Handlungsmodus der modalen Kriterien. Demnach kann ein Sportdress darüber entschei-
den, ob ein Streetballspiel Sport ist oder nicht (vgl. ebd., S. 117 ff.).
Größtenteils vertrauen die Interviewteilnehmer auf den organisatorischen Rahmen des Schul-
sports oder des Vereins. Ausgeführte Sportarten in diesen Institutionen sind in den Köpfen der
Jugendlichen in jedem Fall Sport. Des Weiteren zeichnet sich Sport durch eine gewisse Re-
gelmäßigkeit oder Professionalität aus, oder durch die Ausübung über einen längeren Zeit-
raum hinaus (vgl. ebd., S. 124-125, 135). Wenn ein Person drei Mal in der Woche regelmäßig
eine Stunde joggen geht, kann dies als Sport bewertet werden, nicht aber, wenn es nur einmal
im Monat ist.
5

Zu den motivationalen Kriterien zählen Freiwilligkeit, Selbstzweck und der Zielbezug. Ju-
gendlichen ist es wichtig, dass Sport aus einer eigenen intrinsischen Motivation heraus getrie-
ben wird. Sobald Sport einen Nebenzweck erfüllt (wie zum Beispiel das Erreichen der Schule
mit dem Fahrrad) oder den (meist körperlichen) Zielbezug verliert, kann er in ihren Augen
nicht mehr als Sport gewertet werden. Ein weiterer Bestandteil des Sporttreibens ist der
Gesundheits- und Fitnessaspekt, der in den letzten Jahren immer mehr an Wichtigkeit gewon-
nen hat (vgl. ebd., S. 125 ff.).
Einige Punkte wurden von den Jugendlichen aufgezählt, die nicht kategorisierbar waren. Die
häufigste unklare Nennung war Spaß, wobei der Faktor Spaß auch Aktivitäten vom Sport
ausgrenzen konnte (zum Beispiel Baden im See). Eine interessante Erkenntnis ist, dass die
Interviewten auch ethische Faktoren wie Fairness, Toleranz und Gewalt für den Sportbegriff
als wichtig erachteten. In dieser Hinsicht kommen sie der wissenschaftlichen Definition des
Sports sehr nahe, da insbesondere die Gleichheit der Menschen im Sport ist eine seiner bedeu-
tungsvollsten Vorzüge ist (vgl. ebd., S. 138 f.). Abschließend ist zu sagen, dass es den jugend-
lichen Interviewpersonen schwer fiel, Sport eindeutig zu definieren und zu sagen, was Sport
ausmacht. Das scheint nicht weiter verwunderlich angesichts der Tatsache, dass dies niemand
vollkommen klar auszudrücken weiß (vgl. Stahl, 2007c, 148 f.).
2.2.
Sportunterricht in Deutschland
Der Schulsport ist in Deutschland nicht nur ein wichtiger Bestandteil der sportwissenschaft-
lichen Disziplinen, er ist außerdem von großer Bedeutung für die Entwicklung von Kindern
und Jugendlichen, die er umfassend zu fördern vermag (vgl. Fessler, 2010, S. 73; Hilde-
brandt-Stramann, 2006, S. 509). Bislang haben die Kultusministerien der Länder in Deutsch-
land diese besondere Fähigkeit nicht ausreichend erkannt: Während die Weltgesundheitsorga-
nisation (WHO) europaweit empfiehlt mindestens drei Stunden Sport in der Woche zu unter-
richten, wird in Deutschland der Sportunterricht immer weiter gekürzt, um die Leistungen in
anderen Fächern zu steigern. Dabei konnte nachgewiesen werden, dass Kinder und Jugend-
liche aufgrund von zu wenig körperlicher Betätigung physisch und psychisch beeinträchtigt
sind.
Obst und Bös versuchen mit einem Schulmodellversuch im Jahre 2000 eine einfache und effi-
ziente Lösung aufzuzeigen: In einer Grundschule wird über die Zeitspanne von vier Jahren
hinweg in den Klassen jeden Tag eine Stunde Sport unterrichtet. Die Ergebnisse zeichnen ein
positives Bild: Neben einer geringeren Unfallzahl und der gesteigerten Fitness der Kinder
6

wurde auch das Schulklima entspannter und positiver wahrgenommen, da weniger Gewalt
und Aggressionen den Schulalltag belasteten. Der Versuch legt dar, dass die Wichtigkeit des
Schulsports in Deutschland unterschätzt wird. Neben der Ausbildung der sozialen Kompeten-
zen vermag er den Grundstein in der Gesundheitserziehung zu legen, die die Kinder im späte-
ren Leben weiter ausbauen können (vgl. Moser, 2010, S. 12-15).
Vertiefend soll daher die historische Entwicklung des Schulsports eine Einführung in das
Thema geben. Im Anschluss daran wird unter Einbezug der SPRINT-Studie die heutige Situa-
tion des Schulsports dargelegt.
2.2.1.
Historische Entwicklung
Sport tauchte im schulischen Kontext erstmals bei den Philanthropen auf, bevor im 18. Jahr-
hundert in den Internaten von Salzmann, Basedow und Guthsmuths Gymnastik zur Körper-
pflege und Gesunderhaltung unterrichtet wurde. Anstelle von Gymnastik wurde im weiteren
Verlauf des Schulsports bis 1945 Turnen unterrichtet. Während diese Sportart vor dem Natio-
nalsozialismus noch als natürliche Unterstützung der kindlichen Bewegung gesehen wurde,
war das Ziel der Nationalsozialisten das ,,Heranzüchten kerngesunder Körper" (Hildebrandt-
Stramann, 2006, S. 510). In der Nachkriegszeit entwickelte sich ein stark didaktisch orientier-
ter Sportunterricht mit einem anthropologisch-bildungstheoretischem Ansatz. In der 1970er
Jahren wurde das Schulsportkonzept schließlich auf die bis heute praktizierte Sportdidaktik
mit dem Fokus auf das Sportartenkonzept umgestellt (vgl. ebd., S. 510 ff.).
2.2.2.
Darstellung der Gegebenheiten
Für die Darstellung der aktuellen Situation des Sportunterrichts in Deutschland wird auf die
SPRINT-Studie des Deutschen Sportbundes mit Ergebnissen aus dem Jahr 2003 Bezug ge-
nommen.
Vorab sollen dazu die Sportstätten der Schulen betrachtet werden. Obwohl wissenschaftliche
nachgewiesen wurde, dass die Sportstätte ein wesentlicher Faktor für einen gelungenen
Sportunterricht ist, zeigen die Ergebnisse der SPRINT-Studie auf, dass ,,zu wenige geeignete
Sportstätten bundesweit den Hauptgrund für Probleme der Schulen im Hinblick auf die Erfül-
lung des Stundensolls beim Sportunterricht darstellen" (Breuer, 2005, S. 47, vgl. Abbildung
1). Werden die Gesamtergebnisse aller Schulen verglichen, so fällt auf, dass Sportstunden
selten gestrichen werden, um andere ausgefallene Fächer zu ersetzen (4,5%). Häufiger können
7

die empfohlenen Stunden nicht umgesetzt werden, weil Lehrer krank sind oder die Hallen
anderweitig genutzt werden.
Abbildung 1: Probleme im Hinblick auf die Erfüllung des Stundensolls (in %)
Zugriff am 13.09.2011 unter http://bildungsklick.de/datei-archiv/40033/gesamtbericht_dsb_sprint_studie.pdf
(S.48)
Dieser Umstand ist, wie später deutlicher erklärt wird, darauf zurückzuführen, dass nicht alle
Schulen über eine eigene Halle bzw. über ausreichend Platz verfügen. Zu wenig geeignete
Sportstätten sind mit 15,9% der Hauptgrund für eine zu geringe Zahl an unterrichteten Sport-
stunden.
Bei der Betrachtung der Versorgung mit überdachten Sportstätten (vgl. Abbildung 2) ist fest-
zustellen, dass die meisten Schulformen Einzelhallen für den Sportunterricht nutzen (70,5%).
Dreifachhallen können überwiegend von integrierten Gesamtschulen und Berufsschulen ge-
nutzt werden, die Gesamtnutzung liegt hier jedoch nur bei ca. 30%. Nur ein Zehntel der Schu-
len (vor allem Berufsschulen und Gymnasien) hat Zugriff auf einen Fitnessraum. Die Zahl der
nutzbaren Gymnastikräume liegt etwa doppelt so hoch (21,2%).
Abbildung 2: Nutzung überdachter Sportstätten (in %)
Zugriff am 13.09.2011 unter http://bildungsklick.de/datei-archiv/40033/gesamtbericht_dsb_sprint_studie.pdf
(S.48)
Die Versorgung mit nicht überdachten Sportstätten ist zufriedenstellend (vgl. Abbildung 3),
nur in Berufsschulen ist eine schlechte Versorgung auffällig. Abgesehen von den Grundschu-
8

len kann etwa die Hälfte aller Schulformen Groß- und Kleinspielfelder nutzen. Deutlich höher
fällt die Nutzbarkeit von Lauf-, Kugelstoß- und Sprunganlagen aus (die Zahlen der Grund-
schulen weichen auch hier teilweise ab): Während mehr als 80% der Schulen Lauf- und Ku-
gelstoßanlagen benutzen können, liegt die Verfügbarkeit von Sprunganlagen sogar bei zirka
90%. 60 bis 65% greifen des Weiteren auf Wurfanlagen zu.
2
Abbildung 3: Nutzung nicht überdachter Sportstätten (in %)
Zugriff am 13.09.2011 unter http://bildungsklick.de/datei-archiv/40033/gesamtbericht_dsb_sprint_studie.pdf
(S.49).
Etwa 50% der Schulen steht außerdem ein Lehrschwimmbecken für den Schwimmunterricht
zur Verfügung (vgl. Abbildung 4). Erschreckend ist jedoch folgende Zahl: Etwa
1
/
5
der Schul-
formen kann kein Schwimmbecken für den Lehrunterricht nutzen. Das bedeutet, dass es
durchaus möglich ist, dass einige Schüler in Deutschland während ihrer gesamten Schulzeit
keinen Schwimmunterricht erhalten.
Abbildung 4: Nutzung von Anlagen für den Schwimmunterricht (in %)
Zugriff am 13.09.2011 unter http://bildungsklick.de/datei-archiv/40033/gesamtbericht_dsb_sprint_studie.pdf
(S.49)
Insgesamt werden die Sportstätten jedoch als gut bis befriedigend eingeschätzt, wobei beson-
ders positiv die Erreichbarkeit heraussticht, die in allen Schulformen mit sehr gut oder gut
bewertet wird (vgl. Abbildung 5). Auch die zeitliche Verfügbarkeit der Sportstätte für den
Sportunterricht wird mit Noten von 1,7 bis 2,3 bewertet. Während die Ergebnisse für den Hal-
2
Wie angedeutet werden die Statistiken der Berufsschule nicht mit einbezogen.
9

len bzw. Sportboden, die Raumtemperatur im Sommer, die Sicherheit und die Ausstattung mit
Kleingeräten noch im guten Bereich liegen, sind die Bewertungen für die Größe, die Raum-
temperatur im Winter, die Sauberkeit, die Ausstattung mit Großgeräten und den allgemeinen
Zustand eher befriedigend (2,4-2,9). Der Zustand der Umkleidekabinen und der Sanitärberei-
che sowie die Attraktivität der Sportstätten erhalten in einigen Schulformen sogar nur die No-
te 3.
Abbildung 5: Bewertung der am häufigsten genutzten überdachten Sportstätten (Noten von 1 bis 6)
Zugriff am 13.09.2011 unter http://bildungsklick.de/datei-archiv/40033/gesamtbericht_dsb_sprint_studie.pdf
(S.51).
Insgesamt sind die vorliegenden Berichte als zufriedenstellend einzuschätzen, es ist aber fest-
zuhalten, dass die Situation der Sportstätten in Deutschland besser sein müsste um einen op-
timalen Sportunterricht gewährleisten zu können (vgl. Breuer, 2005, S. 45-51). Vor allem die
ungünstigen Bedingungen des Schwimmunterrichts sind als äußerst schwerwiegend einzu-
schätzen, bedenkt man die Zahl der Badeunfälle, bei denen vor allem Kinder und Jugendliche
regelmäßig ums Leben kommen. Ein Schwimmunterricht kann solche Unfälle zumindest mi-
nimieren, sodass auf diese Einheit in keinem Fall verzichtet werden darf. Den Schulen muss
hier eine bessere Unterstützung geboten werden, damit die Schüler
3
die in den Kerncurricula
geforderten Kompetenzen erreichen können.
3
Die Verwendung der ausschließlich maskulinen Form in dieser Arbeit dient dem besseren Lesefluss und
schließt in jedem Fall auch den weiblichen Suffix ,,­innen" ein.
10

Für die eigentliche Fragebogenerhebung wurden die Schlüsseljahrgänge 4, 7 und 9 befragt,
diese entsprachen ungefähr 8900 Schülern an 219 Schulen. Bei den Schülerstichproben kann
von einem ausgewogenen Verhältnis zwischen Mädchen und Jungen gesprochen werden.
1158 Sportlehrer und 191 Schulleiter nahmen des Weiteren an der Befragung teil (vgl. Heim,
Brettschneider, Hoffmann & Kussin, 2005, S. 76 ff.).
Der Schülerfragebogen bezog sich vor allem auf das Sozialklima, die Ziele und Inhalte des
Sportunterrichts und seine Organisationsformen sowie das Sportlehrerverhalten und die Beur-
teilung von Lehrer und Unterricht. Die Sportlehrer machten Angaben zur Person und zur be-
ruflichen Qualifikation. Außerdem schätzten sie die Unterrichtsbedingungen, die Arbeitsbe-
lastung und ­bewältigung, das Sozialklima in der Schule und im Kollegium ein. Die Schullei-
ter mussten schließlich neben einer Äußerung zur Schule und zum Sportunterricht Einschätz-
ungen zu Stellenwert und Zielen des Schulsports, sowie zu Lehrern und Bedingungen des
Sportunterrichts geben (vgl. Heim et al., 2005, S. 81 f.).
Die Ergebnisse der Schulleiterbefragung ergaben, dass beim Vergleich der curricularen Vor-
gaben mit dem tatsächlich in der Schule erteilten Sportunterricht besonders in Haupt- und
Realschulen strukturelle Differenzen bestehen. In Hauptschulen fällt außerdem der meiste
Sportunterricht aus, während in Grundschulen erschreckend häufig fachfremd unterrichtet
wird. Sportlehrer sind genauso stark wie ihre Kollegen in der Weiterbildung engagiert und
auch ihr Status im Kollegium unterscheidet sich nicht von dem der anderen Lehrer (vgl.
Hoffmann, Kehne, Brandl-Bredenbeck & Brettschneider, 2005, S. 98). Nahezu alle Schulen
bieten über den regulären Unterricht hinaus sportbezogene Maßnahmen und Veranstaltungen
an (wie zum Beispiel AGs oder Bundesjugendspiele). Dabei sind die Hauptziele der Schullei-
tung die Förderung des fairen Umgangs miteinander, die Gesundheits- und Fitnesserziehung
sowie die Hinführung zu weiterem Sporttreiben (vgl. Hoffmann et al., 2005, S. 105 f.).
Die Schüler bewerten ihren Sportlehrer in den meisten Fällen positiver als den gesamten
Sportunterricht. Dies liegt häufig daran, dass der Unterricht des Öfteren aufgrund von Diszi-
plinproblemen in der Lehrer-Schüler-Interaktion (zum Beispiel Unpünktlichkeit und Unruhe)
nicht reibungslos ablaufen kann. Aus Sicht der Schüler beeinflusst vor allem das Alter der
Sportlehrer die Qualität des Unterrichts. Junge Lehrer haben es in Sportklassen leichter, ihr
Unterricht wird eher als gut eingeschätzt. Insgesamt wird der Sportunterricht von zirka zwei
Dritteln der Schüler als wichtig eingestuft, sie wünschen sich jedoch eine etwas zeitgemäßere
Gestaltung, vor allem, was die neueren Sportarten betrifft (vgl. Gerlach, Kussin, Brandl-
Bredenbeck, Brettschneider, 2005, S. 140-144).
11

Die Lehrerfragebögen brachten folgende Ergebnisse: Grundsätzlich sind die deutschen Sport-
lehrer gut ausgebildet, auch wenn der hohe Anteil an fachfremden Lehrern im Unterricht im
Grundschulbereich bedenklich erscheint. Die zu erreichenden Kompetenzen im Sportunter-
richt sind nach Angaben der Lehrer im Bereich der sportmotorischen Ausbildung (neue Bun-
desländer) bzw. der Erziehung und Kompensationsfunktion des Sports (alte Bundesländer)
angesiedelt. In den alten Bundesländern wird das Sozialverhalten bei der Notenvergabe noch
stärker berücksichtigt, während im Osten Deutschlands die sportpraktische Leistung für die
Note ausschlaggebend ist. Aus Sicht der Lehrer beeinträchtigen vor allem die Schüler die Un-
terrichtsqualität, alles in allem sind sie mit den Gegebenheiten jedoch zufrieden (vgl. Oester-
reich & Heim, 2005, S. 169-171).
Die Ergebnisse der SPRINT-Studie zeigen, dass sich der deutsche Schulsport grundsätzlich
positiv gestaltet. Dennoch entspricht er noch nicht den Ausmaßen, die Kinder am besten und
sinnvollsten fördern würden. In erster Linie erfüllt er nicht die Empfehlungen der Welt-
gesundheitsorganisation (drei Stunden Sport die Woche) und des Weiteren profitiert die Schu-
le noch lange nicht von dem großen Potenzial, welches der Sport ­ bzw. die Bewegung - ei-
nerseits für die Entwicklung der Kinder hat und andererseits, wie später genauer erläutert
wird, für die Schulleistungen beinhaltet.
2.2.3.
Anforderungen an den Sportunterricht
,,Qualitätssicherung und Qualitätsentwicklung sind zentrale Anliegen im Bildungswesen"
(Niedersächsisches Kultusministerium, 2007, S. 5). Aus diesem Grund hat das niedersächsi-
sche Kultusministerium
4
die Kerncurricula für die verschiedenen Unterrichtsfächer und
Schulstufen entwickelt. Sie konzentrieren sich darauf, fachspezifische Kompetenzen auszu-
weisen und verschriftlichen die dafür notwendigen Kenntnisse, Fertigkeiten und Fähigkeiten.
Vor zirka fünf Jahren wurden in Niedersachsen die Rahmenrichtlinien durch die Kerncurricu-
la ersetzt. Seitdem wird nicht mehr von Zielen des Unterrichts gesprochen, sondern von den
zu erreichenden Kompetenzen. Kompetenzen ,,umfassen Kenntnisse, Fähigkeiten und Fertig-
keiten, aber auch Bereitschaften, Haltungen und Einstellungen" (ebd., S. 5), dabei zeichnet
die Lösung zunehmend komplexerer Aufgaben den Kompetenzerwerb aus.
,,Sport leistet einen nicht austauschbaren Beitrag zur Bildung und Erziehung" (ebd., S. 7).
Schülern soll die Freude an Bewegung und gemeinschaftlichem Sporttreiben vermittelt wer-
den. Sie sollen lernen, dass eine aktive Lebensweise sich positiv auf ihre körperliche, emotio-
4
Für diese Arbeit wird aufgrund der Lage Göttingens ausschließlich Bezug genommen auf das Kerncurriculum
des Landes Niedersachsen. Eine bundesweite Betrachtung ist im Rahmen dieser Ausarbeitung nicht möglich.
12

nale, soziale und geistige Entwicklung auswirkt. Schulsport soll des Weiteren Teamgeist,
Fairness, Toleranz und Leistungsbereitschaft fördern. Sport leistet als einziges Unterrichts-
fach (abgesehen von denen der Bewegten Schule) einen Beitrag zur ganzheitlichen Persön-
lichkeitsentwicklung (vgl. ebd., S. 7).
Im Mittelpunkt der sozialen Entwicklung steht das Miteinander, Gegeneinander und ihr
Wechselspiel. Schüler müssen deswegen lernen angemessen mit Sieg und Niederlage umzu-
gehen, sich an Regeln zu halten und Verantwortung zu übernehmen.
Viele Inhalte des Sportunterrichts sind darauf ausgelegt, dass Schüler ihr Handeln immer
mehr eigenständig bestimmen. Für diesen Prozess ist ein positives oder zumindest gesundes
Selbstkonzept unvermeidlich. Insgesamt kann gesagt werden, dass der Sportunterricht neben
der Vermittlung von inhaltlichen Kompetenzen auch die Persönlichkeitsentwicklung zu be-
einflussen versucht.
2.3.
Formen des Selbstkonzepts
Viele Forschungen beschäftigen sich mit der Erfassung des Phänomens Selbstkonzept. Dabei
ist es mindestens so komplex wie der Sport und ebenso schwer zu definieren. In der modernen
Psychologie gibt es keinen Begriff, der annähernd so verflochten ist und in so vielen For-
schungszusammenhängen verwendet wird wie der des Selbstkonzepts (vgl. Gerlach, 2008, S.
62).
Deswegen gibt es auch bis heute keine einheitliche Begriffsbestimmung, sodass viele Syno-
nyme existieren wie zum Beispiel Selbstbild, Selbsttheorie, Selbstschema, Selbsteinschät-
zung, Selbstwert(-gefühl), Selbstsystem, Selbstwahrnehmung oder Selbstakzeptanz (vgl. Ep-
pinger, 2009, S.28). Diese Begriffsvielfalt erklärte Marsh 1997 wie folgt: ,,Self-concept [...]
suffers in that `everybody knows what it is´, so that many researchers do not feel compelled,
either to provide a theoretical definition of what they are measuring [...]".
Die Forscher sind sich einig, dass das Selbstkonzept aus der Rückmeldung von anderen Per-
sonen entsteht, ,,[der Mensch sieht sich] mehr oder weniger unterbewußt [sic] so, wie andere
[ihn] sehen" (Mead, 1973). Demzufolge können fünf Quellen die Bildung des Selbstkonzepts
beeinflussen: Die direkte Rückmeldung sowie eine indirekte Rückmeldung nach einer Inter-
pretation des Verhaltens von anderen Personen, der soziale Vergleich mit anderen, die Inter-
pretation und Beobachtung des eigenen Verhaltens und die Erinnerung an vergangene Erleb-
nisse (vgl. Gerlach, 2008, S. 48 ff.).
13

2.3.1.
Selbstkonzept ­ Definition und Entstehung
Die Forschung zur systematischen Erforschung des Selbst begann bereits zum Ende des 19.
Jahrhunderts. Der Urvater der Sozialpsychologie ist William James mit seinem Werk ,,The
principles of psychology" (1890) und seiner Theorie über die Unterscheidung in `I´ (Ich) und
`Me´ (Mich). Das `I´ ist dabei das Subjekt, ,,das Selbstwertgefühle speichert, erinnert und
beurteilt, das sich selbst als bewusst Seiendes oder Bewusstsein handelndes Ich erfährt", wo-
hingegen `Me´ das Objekt seiner Erkenntnis darstellt und unterteilt ist in materielles, soziales
und geistiges Selbst (Schütte, 1993, S. 54).
In den 60er Jahren erlebte die Selbstkonzeptforschung ihren Höhepunkt, stagnierte dann aber
bis in die 1990er (vgl. Eppinger, 2009, S. 28).
Heute wird besonders die Selbstwahrnehmung der Jugendlichen erforscht, denn das Selbst-
konzept und somit die Bildung der eigenen Identität spielt besonders in der Jugend eine große
Rolle. Die Entwicklung ,,eines positiv getönten, stabilen sowie zusätzlich noch differenzierten
Selbstkonzeptes wird als eine der zentralen Entwicklungsaufgaben der Adoleszenz angese-
hen" (Eppinger, 2009, S. 54). Wissenschaftler sind sich einig, dass von einer gelungenen So-
zialisation gesprochen werden kann, wenn der junge Mensch ein stabiles Selbstbewusstsein
hat. Es stellt sich die Frage ,,Wieso müssen Jugendliche ständig etwas bzw. sich beweisen?"
(Nüberlin, 2002, S. 1-3). Die Antwort darauf könnte sein, dass das Selbstbild zu keinem Zeit-
punkt vollendet oder fixiert ist; seine Entwicklung ist ein lebenslanger Prozess, der fortläufig
von äußeren Faktoren beeinflusst wird. Das Selbstkonzept ist somit eine ,,naive" Theorie über
sich selbst, die aufgrund positiver und negativer Aspekte, welche das Individuum sich selbst
zuschreibt, immer wieder neu überdacht und formuliert werden muss (vgl. Eppinger, 2009, S.
29 f.). Jugendliche müssen sich demnach ständig selbst in den Bereichen Körper, Fähigkei-
ten, Kenntnisse, Interessen, Gefühle und Werte erfassen, denn das Selbst umfasst nicht nur
die Selbstwahrnehmung der eigenen Person, sondern auch gelebte Werthaltungen, Zielvor-
stellungen und Ideale.
Menschen prägen deswegen mehrere Selbstkonzepte aus, die der jeweiligen Situation ent-
sprechen (zum Beispiel Familienselbst, Schulselbst, ...), besitzen aber jenseits der verschie-
denen Rollen eine Selbstinterpretation, die als personale Identität bezeichnet wird. Demge-
genüber steht die soziale Identität (die situative Selbstinterpretation), die in engem Zusam-
menhang steht mit dem Bild, das andere sich vom Individuum machen. Die Selbstbeurteilung
ist somit ein ,,Produkt gesellschaftlicher Interpretation" (Nüberlin, 2002, S. 16) und der
Mensch muss versuchen, die Diskrepanz zwischen dem ,,idealen", konstruierten Selbst und
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der Realität zu überwinden, um eine innere Harmonie herstellen zu können (vgl. ebd., S. 14-
18). Dieser Balanceakt ist von verschiedenen Faktoren beeinflusst. Erst einmal von der vom
Subjekt entwickelten Selbstcharakterisierung (der Selbstattributierung) sowie von der Fami-
liensituation. Diese beeinflusst die Selbstkonzeptbildung von Jugendlichen maßgeblich, denn
in der Familie werden grundlegende emotionale Muster, Verhaltens- und Denknormen durch
intensiven und kontinuierlichen Kontakt vermittelt. Elterliche Zuwendung kann das Selbstbild
Jugendlicher positiv beeinflussen, eine Ablehnung von Seiten der Eltern führt im Gegensatz
dazu zu einem Gefühl der Wertlosigkeit bei Kindern. Des Weiteren bietet die Gruppenzuge-
hörigkeit Anregungspotenzial für Heranwachsende und über die Geschlechterdifferenz bilden
sich die Geschlechtsrollenidentität sowie einige Stereotypen aus. Auch der Medienkonsum
kann das Selbstbild beeinflussen und zwar sowohl positiv als auch negativ. Leider ist es heut-
zutage häufig der Fall, dass den Jugendlichen über die Medien falsche Vorbilder und Le-
bensweisen als anstrebenswert vermittelt werden (vgl. Nüberlin, 2002, S. 20).
Trotz des bereits vorhandenen Wissens bleibt für die Forscher ungeklärt, in welcher Bezieh-
ung das Selbstkonzept und die Persönlichkeitsentwicklung wirklich stehen. Drei idealtypische
Betrachtungsweisen wurden als Vermutungen formuliert:
Die erste Annahme ist, dass das Selbst(-konzept) als Indikator der Persönlichkeitsentwicklung
gelte. Das Selbst wird bei dieser Annahme als zentrales Persönlichkeitsmerkmal betrachtet.
Das Konstrukt des Selbstbilds kann dazu beitragen, eine gelungene oder misslungene Persön-
lichkeitsentwicklung einzuschätzen oder zu bewerten (Gerlach, 2008, Zitat nach Brettschnei-
der, 2003). Eine weitere Vermutung ist, dass das Selbstkonzept ein oberflächlicher Bestand-
teil der Persönlichkeit sei. Laut dieser Theorie eignet sich das Selbstkonzept besonders für die
Betrachtung der Persönlichkeitsveränderungen. In der dritten Betrachtungsweise fungiert das
Selbstkonzept als Motor und Basis der Persönlichkeitsentwicklung. ,,Entwicklungs- und Per-
sönlichkeitspsychologen halten die Entwicklung von Selbstwertgefühl und Selbstkonzept für
den entscheidenden Motor der Persönlichkeitsentwicklung und ­stabilisierung" (Krampen &
Montada, 2002). Damit ist das Selbstkonzept nicht nur Bestandteil, sondern Determinante des
Persönlichkeitskonstrukts (vgl. Gerlach, 2008, S. 63 f.).
Ein wichtiger Bestandteil des Selbstkonzepts ist das Selbstwertgefühl, auch wenn die beiden
voneinander abzugrenzen sind (vgl. Eppinger, 2009, S.30). Der Unterschied besteht darin,
dass das Selbstkonzept als deskriptiv aufzufassen ist, während das Selbstwertgefühl eine eva-
luative Komponente darstellt. Das Selbstwertgefühl konstituiert subjektiv die Bewertung des
Selbstkonzepts und ist somit ein zentraler Aspekt des Selbst. Personen mit hohem Selbstwert-
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Details

Seiten
Erscheinungsform
Erstausgabe
Erscheinungsjahr
2011
ISBN (PDF)
9783956846342
ISBN (Paperback)
9783956841347
Dateigröße
1.4 MB
Sprache
Deutsch
Institution / Hochschule
Georg-August-Universität Göttingen
Erscheinungsdatum
2015 (Februar)
Note
2,3
Schlagworte
Sport Sportunterricht Bewegung Selbstkonzept Selbstwertgefühl
Produktsicherheit
BACHELOR + MASTER Publishing
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Titel: Sportpartizipation und Schulleistung
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