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Mythos Enigma: Kulturgeschichtliche Aspekte einer Verschlüsselungsmaschine

©2013 Bachelorarbeit 60 Seiten

Zusammenfassung

Diese Arbeit beschäftigt sich mit dem Mythos rund um die Verschlüsselungsmaschine Enigma und dessen kulturgeschichtliche Aspekte. Der Fokus liegt hierbei auf der Frage, was die Enigma zu einem solchen Mythos werden ließ und wie dieser in den modernen Medien verarbeitet wird. Dabei wird zuallererst das Objekt an sich genauer betrachtet: die Enigma. Ihr Aufbau und ihre Funktion werden erläutert, sowie der Erfinder vor- und die Verwendung der Maschine dargestellt. Anschließend werden die Phasen ihrer Entschlüsselung aufgezeigt, die zuerst im polnischen byro szyfrov_ mit Marian Rejewski begann und in Bletchley Park unter der Federführung von Alan Turing berühmt wurde. Darauf folgt das eigentliche Thema dieser Arbeit: die Mythenbildung rund um die Enigma, die ,unknackbare? Maschine, sowie die Darstellung dieser im Museum Bletchley Park, vor allem aber in den modernen Medien, am Beispiel von Robert Harris Roman „Enigma“ und dem gleichnamigen, auf dem Roman beruhenden Spielfilm. Abschließend werden die Ergebnisse dieser Untersuchung im Fazit zusammen getragen.

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


3.1. Das byro szyfrov und Marian Rejewski

Nach dem Ende des Ersten Weltkrieges lebten die Polen „nicht ganz unbegründet in der Furcht, ein wiedererstarkendes Deutsches Reich könnte Danzig, Oberschlesien oder den ganzen ,Korridor‘ zurückfordern“.[1] Deshalb bemühte man sich den deutschen Funkverkehr zu entschlüsseln. Dies gelang Anfangs ohne große Probleme, doch seit 1926 stießen die Polen auf immer mehr Nachrichten, die sie nicht entschlüsseln konnten. Der Grund dafür war die Enigma.[2] Die deutsche Marine führte die Enigma 1926 ein, das Heer erst 1928.[3] Obwohl Hauptmann Maximilian Ciezki, der Verantwortliche für die Entzifferung des deutschen Funkverkehrs, im Besitz einer kommerziellen Enigma war, unterschied sich diese so stark von der militärischen Version, dass er neue Wege gehen musste.[4] Bis dahin hatten vor allem Linguisten als Code-Brecher gearbeitet, die maschinelle Verschlüsselung der Enigma erforderte allerdings ein mathematisches Vorgehen.[5]

Das Chiffrierbüro (poln. byro szyfrov) bot im Sommersemester 1929 für zwanzig ausgesuchte Studenten einen Kurs in Kryptologie an der Universität von Posen an. Posen war ausgewählt worden, weil diese Stadt „von 1793 bis 1918 zu Deutschland gehört hatte und daher die meisten Studenten die deutsche Sprache beherrschten“.[6] Über die Existenz dieses Kurses und der Teilnahme an diesem wurden die Studenten „zum Stillschweigen verpflichtet“.[7] Nur acht Teilnehmer beendeten den Kurs erfolgreich, darunter Hendrik Zygalski, Jerzy Rozycki und vor allem Marian Rejewski. Aber auch eine Frau begann im Herbst 1930 in der neu eingerichteten Außenstelle des byro ihre Arbeit an den chiffrierten deutschen Funksprüchen.[8] Diese wurde allerdings bereits 1932 wieder geschlossen und Zygalski, Rozychi und Rejewski arbeiteten von da an „als reguläre Mitarbeiter im Generalstabsgebäude am Sachsenplatz [...] in Warschau“.[9] Rejewski wurde darauf angesetzt die Enigma zu brechen, was ihm auch gelang als er erkannte, dass die ersten sechs Buchstaben eines Funkspruches den Spruchschlüssel enthielten.[10] Dies erlaubte Rejewski die Enigma zu brechen,[11] indem er unter anderem sogenannte Beziehungstabellen entwickelte.[12]

„Schon bei den Manövern im Frieden standen den polnischen Kryptologen jeden Tag um die hundert Sprüche zur Verfügung, die mit derselben Anfangseinstellung der Enigma chiffriert worden waren. Das reichte, um die Spruch- und Tagesschlüssel und im Laufe der Zeit die Verdrahtung der Walzen, sowie die Verstöpselung des Steckerbrettes herauszufinden.“[13]

Die deutschen Chiffreure machten es den polnischen Mathematikern gelegentlich be-sonders leicht, indem sie vermutlich „aus Bequemlichkeit oft als Spruchschlüssel etwa drei gleiche Buchstaben oder drei Buchstaben, die auf der Enigma-Tastatur nebeneinander oder diagonal zueinander lagen“, wählten.[14]

Eine weitere große Hilfe für das byro war Material, das ihnen durch die Franzosen zugespielt wurde. Ein Mitarbeiter des deutschen Reichswehrministeriums, Hans Thilo Schmidt, war zum Verräter geworden. Er agierte unter dem Decknamen HE, französisch ausgesprochen klingt dies wie das Wort ,Asche‛. „Bei mehreren Treffen in verschiedenen europäischen Städten übergab Asche unter anderem eine Kopie der deutschen Heeresdienstvorschriften über den Gebrauch der Enigma und [...] die Tagesschlüssel für September und Oktober des Jahres 1932.“[15] Da Asche aber kein Französisch sprach, war bei den Treffen mit dem Leiter des französischen Chiffrierbüros, Hauptmann Gustave Bertrand, auch immer wieder „ein französischer Agent dabei, der den Decknamen Rex führte“.[16] Er war es, der später, nach der Besetzung Frankreichs, Asche verriet, welcher im Juli 1943 hingerichtet wurde.[17] Die Franzosen schickten das Material nach Warschau, wo es die Arbeit der Mathematiker erleichtern sollte.[18]

Diese hatten inzwischen eine Maschine entwickelt, mit deren Hilfe sie die Walzenstellung der Enigma simulieren und so einen Katalog anfertigen konnten, „der es ermöglichte, schon nach wenigen aufgefangenen Meldungen den Tagesschlüssel innerhalb weniger Minuten zu finden. Das war im Herbst 1938.“[19] Das Gerät nannten sie „Zyklometer“.[20] Doch die Deutschen entwickelten ihr Verschlüsselungsverfahren stets weiter und schon bald reichte das Zyklometer nicht mehr aus. Seit September 1938 entfiel der Tagesschlüssel. Stattdessen wurde „für jede Sendung eine eigene Enigma-Grund­stellung vereinbart, und mit dieser dann der folgende Spruchschlüssel chiffriert und wiederholt“.[21] Das bisherige Verfahren war nutzlos geworden. „Die Polen bauten eine kompliziertere Maschine, der sie den Namen bomba (Bombe) gaben“.[22] Der Zweck einer solchen Bombe war es, Enigma-Maschinen zu simulieren.[23] Es waren sechs Walzenlagen möglich, deshalb mussten sechs Bomben gleichzeitig laufen, jede mit einer möglichen Walzenlage.[24]

Diese Mühe war weitgehend unnötig, denn ihr Chef, Major Gwido Langer, besaß Schlüsselbücher für insgesamt 38 Monate, geliefert von Hans Thilo Schmidt. Langer sagte Rejewski allerdings nichts davon, er „wollte Rejewski auf die [...] Zeit vorbereiten, in der die Schlüssel nicht mehr verfügbar sein würden“.[25] Als die Deutschen im Dezember 1938 zwei neue Walzen einführten, war das der Anfang vom Ende für das erfolgreiche byro, denn im Monat darauf erhöhte sich auch noch die Anzahl der Steckerkabel von sechs auf zehn. Die Möglichkeiten der Polen waren ausgeschöpft. Das byro hatte weder die finanziellen noch die technischen Möglichkeiten, diese Neuerungen zu kompensieren und musste schließlich aufgeben. Es gab auch keine neuen Schlüsselbücher mehr, Asche hatte den Kontakt zu dem französischen Agenten Rex kurz vor der Einführung der neuen Walzen abgebrochen.[26] Aus diesem Grund entschieden sich die Polen zu einem drastischen Schritt:

„Am 24. Juli betraten ranghohe französische und britische Kryptoanalytiker [...] das Hauptquartier des Biuro [sic!]. Langer führte sie in einen Raum, [...] und enthüllte eine von Rejewskis Bomben.“[27] Sie teilten ihr Wissen mit den Alliierten, damit diese ihr Werk fortführten. Außerdem überreichten ihnen die Polen „zwei entbehrliche Nachbauten der Enigma und die Baupläne der Bomben [...], die daraufhin im Diplomatengepäck nach Paris gebracht wurden“ und anschließend schickte man eine Enigma weiter nach London.[28] Nur zwei Wochen später begann der Zweite Weltkrieg.

3.2. Bletchley Park und Alan Turing

An diesem Punkt setzt die zweite Phase der Entschlüsselung in England ein. Genauer: in Bletchley Park, einem viktorianischen Herrenhaus im Stil der Tudor-Gotik.[29] Auf dem Gelände wurden zahlreiche Baracken errichtet, in denen die verschiedenen Dechiffrier-Abteilungen untergebracht waren.[30]

„Baracke 6 [war] für den Angriff auf den Enigma Funkverkehr des deutschen Heeres zuständig. Baracke 6 übergab ihr entschlüsseltes Material an Baracke 3, wo Aufklärungsspezialisten die Meldungen übersetzten und die Informationen auswerteten. Baracke 8 war für die Marine-Enigma zuständig und gab die entschlüsselten Meldungen an Baracke 4 zur Übersetzung und Auswertung weiter.“[31]

In Bletchley Park, wo nunmehr die neugegründete „Government Code and Cypher School (GC&CS)“[32] untergebracht war, arbeitete eine bunte Mischung von Experten. Dazu gehörten nicht nur Mathematiker und Linguisten, sondern auch ein Porzellanspezialist, ein Kurator vom Prager Museum, der britische Schachmeister, zahlreiche Bridge-Experten und Kreuzworträtsel-Virtuosen.[33]

Um die Art der Entschlüsselung in Bletchley darzustellen, müssen zuerst ein paar Begriffe geklärt werden. In der Kryptographie werden mehrere sogenannte Kompromittierungen des Schlüssels unterschieden:

„Klartext-Geheimtext-Kompromittierung: die Wiederholung der Übertragung im Klartext, Geheimtext-Geheimtext-Kompromittierung: die Übertragung zweier isologs, d.h. des selben Klartextes, mit zwei verschiedenen Schlüsseln chiffriert, Klartext-Klartext-Kompromittierung: die Übertragung zweier verschiedener Klartexte, mit dem selben Schlüssel chiffriert.“[34]

Diese Kompromittierungen sind eigentlich nichts anderes als Chiffrierfehler. Für jeden dieser oben genannten Fehler und auch manch anderen hatten die Entschlüssler von Bletchley Park eigene Begriffe. Es gab z.B. die cillies, das war die Bezeichnung für voraussagbare Spruchschlüssel, etwa drei nebeneinander liegende Buchstaben auf der Enigma-Tastatur, oder die „wiederholte Verwendung desselben Spruchschlüssels, vielleicht der Initialen der Freundin des Chiffreuers“.[35] Ein anderer Begriff war cribs. Damit waren Klartextfragmente gemeint, durch die man den jeweiligen Enigma-Schlüssel rekonstruieren konnte.[36] Ein Beispiel für so einen crib war der Wetterbericht:

„[M]anche deutsche Dienststellen [sendeten] täglich nach 6 Uhr einen verschlüsselten Wetterbericht. Demzufolge mußten die kurz nach 6 Uhr abgehörten Nachrichten fast sicher das Wort wetter enthalten, und, da ja strenge deutsche militärische Vorschriften galten, mußte dieses auch an einer bestimmten Position zu finden sein. Somit konnte man das Klartextfragment wetter mit dem zugehörigen Geheimtext verknüpfen.“[37]

Die Entdeckung dieser Klartextfragmente ist vor allem dem Mathematiker Alan Turing zu verdanken. Er begann seinen Dienst am 4. September 1939 und wurde mit der Aufgabe betraut „eine andere Angriffslinie gegen die Enigma aufzubauen, bei der man sich nicht auf die Wiederholung des Spruchschlüssels verlassen mußte“.[38] Diese neue Angriffslinie waren die oben beschriebenen cribs. Turing verband „innerhalb eines Cribs Klartext- und Geheimtextbuchstaben zu Schleifen“[39], um dadurch an die Walzenstellung zu kommen. Er stellte fest, dass drei Buchstaben miteinander in Beziehung standen und schaffte es diese

„Buchstaben-Schleifen elektrisch zu realisieren und drei Enigma-Maschinen ebenso elektrisch miteinander [zu] verbinden, [...] daß sich die Wirkung der Steckerbretter aufhebt und überdies eine aufleuchtende Glühbirne im Stromkreis anzeigt, wenn die passenden Walzenstellungen eingerastet sind“.[40]

Turing hatte die Enigma gebrochen. „Bletchley Park trieb 100.000 Pfund auf, um Turings Konzept in die Praxis umzusetzen. Die Geräte taufte man bombes“[41], also Bombe, da sie eine ähnliche Funktion erfüllten, wie Rejewskis bombas.[42] Die Erfolge der ersten Bombe waren allerdings gering, erst das Nachfolge-Modell brachte die gewünschten Ergebnisse. Die notwendigen Verbesserungen waren einer Idee des Mathematikers Welshman zu verdanken. Aus diesem Grund ist die Bombe auch als „Turing-Welshman-Bombe“ bekannt.[43]

Mit der Bombe allein war die Entschlüsselung jedoch noch nicht vollbracht. Bevor die Bombe nach der Walzenstellung suchen konnte, musste die ungefähre Lage des crib bekannt sein. Um diese heraus zu finden, machten sich die Kryptoanalytiker den Reflektor der Enigma zunutze, denn durch diesen war es nicht möglich einen Buchstaben mit sich selbst zu verschlüsseln. Die richtige Lage des möglichen crib fanden sie heraus, indem sie den vermuteten Klartext solange gegen den Geheimtext verschoben, bis kein Buchstabe mehr mit sich selbst verschlüsselt wurde. Hatten sie das erreicht, konnte die Bombe suchen.[44] „Bis Kriegsende installierte man 211 Turing-Welshman-Bomben in verschiedenen Versionen in BP [Bletchley Park] und dessen Außenstellen“.[45]

Nicht immer hatten die Entschlüssler cribs zur Hand, manchmal mussten sie selbst dafür sorgen, dass diese entstanden: durch depths; hiermit wurde der „Angriff mit gewähltem Klartext“ bezeichnet.[46] Dies schafften sie mittels des sogenannten gardening, „indem sie deutsche Dienststellen veranlaßten, bekannte Begriffe unfreiwillig zu verschlüsseln“.[47] Hierzu kam es, indem sie z.B. „eine Markierungstonne einer Hafeneinfahrt zerstören“ ließen.[48] Dadurch konnten sie sicher sein, dass in kurz darauf gefunkten Warnmeldungen bekannte Worte, wie „Markierungstonne“ und Ort vorkommen würden. Gleichzeitig machten sie sich aber auch eine Unsitte der deutschen Chiffreure zunutze, die solche Warnmeldungen

„fast immer mit verschiedenen Verfahren verschlüsselt[en] (etwa Werftschlüssel und Enigma M3 und/oder M4), dazu wortgleich, womit BP dann per Klartext-Geheimtext-Kompromittierung etwaige Probleme mit einem dieser Verfahren lösen konnte.“[49]

Ein Verfahren, das Bletchley Park Probleme machte, war die Verschlüsselung der Marine-Enigma M3. Hier wurden drei Walzen aus acht ausgewählt, nicht aus fünf wie bei der Enigma I. „Darüber hinaus wurde die Spruchschlüsselvereinbarung seit 1937 jeweils mit Bigramm-Tabellen (,Tauschtafeln‘) überschlüsselt. Hinzu kam eine Über-schlüsselung der Positionskoordinaten mit einer geheimen Seekarte (,Quadratkarte‘)“.[50] All dies erschwerte die Entschlüsselung, doch die hohen Verluste Großbritanniens durch den U-Boot-Krieg machten eine schnelle Brechung der M3 notwendig.[51] Das benötigte Material „konnte in kurzer Zeit nur durch Aufbringung beschafft werden und so erhielt die Royal Navy den Auftrag, das durch gezielte Angriffe zu versuchen.“[52] Dies kam einem Kriegsverbrechen schon recht nahe, ein Grund warum diese Angriffe sehr lange bestritten wurden.[53]

„Die Royal Navy meldete bald Erfolge: Die Walzen 6 und 7 [...] erbeutete man im Februar 1940 durch Aufbringung von U-33, die letzte 8. Walze im August 1940. Erste Entzifferungen gelangen damit ab Mai 1940 gelegentlich, doch erst am 9. Mai 1941 brachte eine U-Boot-Kaperung eine komplette Enigma M3, sowie alle Geheimunterlagen in britische Hand.“[54]

Daraufhin wurden die Bomben angepasst und „ab August 1941 beherrschte man die Enigma M3“.[55] Doch dieser Sieg währte nur kurz. Bereits im Februar 1942 wurde die Enigma M4 eingeführt, nun mit der neuen Griechenwalze. Das stellte Bletchley Park vor neue Probleme, denn die Wettermeldungen lieferten keine cribs mehr, da ein neues Wetterkurzschlüsselheft eingeführt worden war. Die Verdrahtung der Griechenwalze konnten sie allerdings relativ schnell rekonstruieren, sie nutzten einen typischen Bedienungsfehler:

„Noch vor der Einführung der 4. Walze [...] sendeten einige Funkstellen irrtümlich Nachrichten unter Verwendung der neuen Walze, denn das neue Verfahren mußte ja über den Äther geübt werden, nach Meinung deutscher Nachrichtenoffiziere. Doch einmal konnte die Gegenstelle nicht entschlüsseln, sie hatten die 4. Walze noch nicht, und daher wurde der Text erneut gesendet, diesmal korrekt mit der 3-Walzen-Einstellung“.[56]

Diese Klartext-Geheimtext-Kompromittierung - in Bletchley Park als reenciphering bekannt - verriet die Verdrahtung der Griechenwalze. Dennoch konnte man die M4 noch nicht maschinell entziffern, die Bomben waren zu langsam. Außerdem fehlten „die zu deren Betrieb erforderlichen cribs“.[57] Dieses Problem löste wiederum die Royal Navy, als sie „bei der Aufbringung von U-559 am 30.10.1942 [...] auch das neue Wetterkurzschlüsselheft“ erbeuteten.[58] Bei dessen Analyse fand man heraus:

„daß die Maschine M4 für Wettersendungen im bisherigen M3-Modus betrieben wurde, damit diese Nachrichten auch von den Küstenstationen und sonstigen Schiffen - die nur über [...] M3-Maschinen verfügten - gelesen werden konnten. Dieser grobe Fehler kompromittierte die M4-Chiffrierung, denn nun verfügte BP wieder über depths“.[59]

Der große Fehler dabei war, dass nun nur noch die jeweilige Position der vierten Walze durchgetestet werden musste, die anderen kannte man bereits durch die Wettermeldung und die völlige Beherrschung von M3. Um die M4 zu entschlüsseln brauchte man nun lediglich noch schnellere Bomben.[60]

An der Entwicklung dieser Bomben war Turing nicht beteiligt, er reiste im November 1942 in die USA, um die dortigen Experten auf den neuesten Stand zu bringen. Mit ihnen baute er eine leistungsstarke Bombe, mit der die Amerikaner „die M4-Entzifferungsarbeit ab Spätherbst 1943 vollständig übernehmen konnte[n]. Damit war die Enigma M4 endgültig gebrochen.“[61]

Die Bedeutung dieser Entschlüsselungsarbeit für den Alliierten Sieg ist umstritten. Manche behaupten die Ultra-Aufklärung[62] sei für den Sieg entscheidend gewesen, andere sind lediglich der Meinung, durch sie hätte der Krieg früher geendet.[63] „Nach dem Krieg blieben die Erfolge von Bletchley ein streng gehütetes Geheimnis“.[64] Der Grund dafür war die Tatsache, dass die Briten nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges tausende Enigma-Maschinen an „ihre einstigen Kolonien“ verteilten,

„die glaubten, daß die Verschlüsselung so sicher war, wie die Deutschen selbst geglaubt hatten. Die Briten taten nichts, um sie von dieser Überzeugung abzubringen, und entschlüsselten in den folgenden Jahren routinemäßig deren geheimen Nachrichtenverkehr.“[65]

Die Bomben aus Bletchley Park wurden verschrottet, die Mitarbeiter entlassen und zur Verschwiegenheit verpflichtet.[66] Alan Turing starb, bevor das große Geheimnis gelüftet wurde. Er beging 1954 mit einem vergifteten Apfel Selbstmord, nachdem seine Homosexualität öffentlich und er von der britischen Regierung fallen gelassen worden war. „Er wurde gezwungen, einen Psychiater aufzusuchen, und mußte eine Hormonbehandlung über sich ergehen lassen, die ihn impotent und fettleibig werden ließ. In den zwei Jahren darauf bekam er schwere Depressionen“.[67]

Erst im Sommer 1974, zwanzig Jahre nach Turings Selbstmord wurde das Geheimnis um Bletchley Park durch das Buch von Captain F. W. Winterbotham „The Ultra Secret“ gelüftet.[68]

4. Der Mythos Enigma

Zuerst muss hier der Begriff ,Mythos‛ definiert werden. Roland Barthes beschreibt den Mythos wie folgt: „Ob weit zurückliegend oder nicht, die Mythologie kann nur eine geschichtliche Grundlage haben, denn der Mythos ist eine von der Geschichte gewählte Aussage [...]. Diese Aussage ist eine Botschaft.“[69] Des Weiteren sei der Mythos deformierend, eine Aussage, die sowohl gestohlen, als auch zurückgegeben, dazwischen allerdings verändert wird.[70] Dominik Landwehr versteht die Arbeit am Mythos Enigma folgendermaßen: „Die Arbeit am Enigma-Mythos versteht sich als De-Konstruktion dieses Mythos. [...] Emphatisch gesprochen ist dieser Akt ein Stück Aufklärung, Entschleierung.“[71]

Wenn man so will geht es also weniger um das Objekt selbst, sondern mehr um die Assoziationen mit denen es verbunden wird. Der Mythos rund um die Enigma bezeichnet demnach nicht die Maschine selbst, sondern ihre Unbrechbarkeit. Die Deutschen fühlten sich mit ihrer Verschlüsselungsmaschine sicher, weil sie glaubten, dass niemand in der Lage wäre sie zu entschlüsseln. Diese Ansicht hielt sich bis in die 1970er Jahre. Als dieser Glaube durch Winterbothams Buch zerstört wurde, ersetzte das Geheimnis die Unbrechbarkeit. Nun ging es darum, heraus zu finden, wie die Maschine gebrochen wurde und die Bedeutung dieser Erkenntnisse für das Selbstverständnis der Deutschen und der Briten zu untersuchen. Die Bedeutung dieses Geheimnisses für den Mythos kann folgendermaßen zusammengefasst werden:

„Lange Zeit verborgen gelangen die Heldentaten der britischen Codebreaker endlich ans Licht. Sie fügen der Tatsache des militärischen Sieges eine wichtige, vielleicht entscheidende Komponente hinzu: Jene der geistigen Überlegenheit. Und sie machen damit den Sieg noch grösser [sic!], runder, perfekter. In dieser Verknappung kommen die mythologischen Elemente noch stärker zum Vorschein: Zu nennen ist die Latenzzeit - die Tatsache, dass diese Geschichte so lange unbekannt, verborgen war. Und zweitens die Stilisierung der Entschlüsselung als kollektive, heroische Tat.“[72]

Landwehr spricht hier einen weiteren wichtigen Baustein des Mythos an: die „geistige Überlegenheit“. Diese erlaubte es, den Sieg über die Deutschen im Zweiten Weltkrieg noch weiter zu stilisieren, als es bis dahin bereits der Fall war. Der Feind war dem zufolge auf allen Ebenen besiegt worden, nicht nur militärisch, sondern auch geistig. Es war ein umfassender Sieg. Dies lieferte den Stoff für Heldengeschichten. Der Mythos hatte einen neuen Aspekt hinzugewonnen.

Wie bereits erwähnt, verschwand die Enigma nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges nicht einfach. Sie wurde an diverse Staaten ,verschenkt‛. Diese Staaten glaubten ebenso an die Sicherheit der Maschine, wie es die Deutschen getan hatten. „Die letzte Enigma soll erst 1975 aus dem Verkehr gezogen worden sein.“[73] Bis zu diesem Tag hielt die geistige Überlegenheit der Briten an.

Die „Informationsblockade zur Operation Ultra“[74] endete 1974 mit dem erwähnten Buch von Winterbotham.[75] Die Tatsache, dass in dem 1967 erschienenen Buch „The Codebreakers“ von David Kahn keinerlei Hinweis auf die Enigma zu finden ist, zeigt, wie absolut die Geheimhaltung wirklich war, da das Buch als Standardwerk zum Thema Kryptographie gilt.[76]

All diese Dinge zusammen genommen konstruieren den Mythos rund um die Verschlüsselungsmaschine Enigma, der sich nicht nur mit der Zeit veränderte, sondern dadurch zusätzlich noch mehr Assoziationen aufnahm und an diesen gewachsen ist.

Es ist also kein Wunder, dass die Enigma und vor allem ihre Entschlüsselung den Weg in die modernen Medien, wie Buch und Film gefunden hat. Landwehr stellt fest: „Die mediale Umsetzung der Enigma-Geschichte spielt mit dem Mythos, manchmal verhüllt

sie ihn, manchmal gibt sie ihn ganz offen frei.“[77] Eben diese ,mediale Umsetzung‛ wird an späterer Stelle, am Beispiel von Robert Harris‘ Roman „Enigma“ und dem gleichnamigen Spielfilm, untersucht.

„Der Enigma-Mythos ist [so Landwehr] ein Entstehungsmythos der nachmodernen Welt, die aus den Trümmern des Zweiten Weltkrieges entstanden ist.“[78] Im Folgenden gilt es diesen Mythos genauer zu betrachten.

4.1. Die unknackbare Maschine

Lange Zeit galt die Enigma Maschine als unknackbar und wurde als solche beworben.[79]

„Die Offiziere glaubten, eine Maschine mit dieser (theoretisch) sehr großen Schlüsselperiode könne schon deshalb nicht gebrochen werden, weil ein potentieller Entzifferer viel zu viel Zeit benötigen würde. Man stellte als „Beweis“ dafür Berechnungen an, wieviel [sic!] Zeit Entzifferer brauchen würden, um alle Einstellungen der Maschine durchzutesten“.[80]

Viele zum Teil hochrangige deutsche Militärs dachten bis in die 1970er Jahre hinein, die Enigma sei nie gebrochen worden.[81] Michael Pröse fasst es wie folgt zusammen:

„Weder der Erfinder, dann die Hersteller, noch die militärischen Anwender der Maschine hielten kryptologische Prüfungen für erforderlich. Vermutlich wußten manche nicht einmal, daß es eine wissenschaftliche Kryptologie gab, erst recht nicht, welche Möglichkeiten die Kryptanalyse zur Brechung von maschinellen Chiffrierungen bietet.“[82]

Diese Unwissenheit sorgte dafür, dass sich die Militärs mit ihrer Enigma sicher fühlten, ohne die Gefahr zu erahnen. Die Briten taten außerdem alles, um ihre Erfolge zu verwischen.[83] So entstand unter anderem die Legende von Coventry. Winterbotham behauptet in seinem Buch, Ultra hätte im November 1940 „vom bevorstehenden Luftangriff auf die Stadt Coventry“ gewusst.[84]

„Churchill habe, schreibt er, von diesem Moment an vor einer schweren Entscheidung gestanden. Wäre die Stadt evakuiert worden, hätten die Deutschen erfahren, daß ihre Enigma-Sprüche von den Engländern mitgelesen wurden, und damit hätten die Alliierten einen großen Vorteil in der Kriegsführung verspielt. [...] Um den Schaden in Coventry möglichst klein zu halten, habe er alle Feuerwehren und Ambulanzen in der Stadt verstärken und in Bereitschaft versetzen lassen.“[85]

Aber bereits Kippenhahn erwähnt, dass die Geschichte nicht ,unbestritten‛ sei.[86] Bauer wird hier allerdings deutlicher: man habe nicht wissen können, dass ein Angriff auf Coventry bevor stand, da „die Angriffsziele mit Zahlen bezeichnet wurden“.[87] Gewusst habe man also lediglich, dass ein Angriff bevor steht, aber nicht das Ziel.

Die Amerikaner waren weniger zurückhaltend. „Mitte 1943 begannen [sie], alle Tanker-U-Boote zu vernichten, deren Position sie durch den inzwischen geglückten Bruch der 4-Rotoren-Enigma im Netz des Oberbefehlshabers der U-Boote erfuhren.“[88] Darüber waren die Briten besorgt, sie fürchteten die Deutschen könnten Verdacht schöpfen und ihr System wieder ändern. Diese „führten die Verluste fälschlicherweise auf Verrat zurück“.[89]

Laut Pröse „mißtraute besonders Dönitz der Sicherheit der Enigma-Chiffrierung“[90], deshalb habe er für die Einführung der M4 gesorgt.[91] Trotzdem war gerade er es, der „den vermutlich gröbsten [Chiffrierfehler] des Krieges“[92] beging:

„Karl Dönitz ließ am 30.1.1943 seine Beförderung zum Großadmiral und Oberbefehlshaber allen Marinedienststellen mitteilen, den Schiffen per Funk. Die zuständigen Nachrichtenoffiziere ließen den Text wortgleich mit allen relevanten Verfahren verschlüsseln und dann senden, und lieferten so den Kryptologen in BP für alle Marine-Chiffrierverfahren eine Klartext-Geheimtext-Kompromittierung, ein Super-depth. Überdies war die Verschlüsselung unsinnig, denn es war keine Geheimnachricht - sie stand am nächsten Tag in den Zeitungen.“[93]

Diese Fehler waren es, die den Kryptologen in Bletchley Park immer wieder die nötigen cribs oder depths lieferten, mit deren Hilfe sie einen Einstieg in die Enigma fanden. „Die Geschichte der Kryptologie lehrt, daß der unbefugte Entzifferer von den Fehlern des Gegners lebt [...]. Dumme Chiffrierfehler werden von Kryptosekretären [...] begangen.“[94] Und, wie man am Beispiel Dönitz sieht offensichtlich auch von Oberbefehlshabern.

Jahrelang war die Sicherheit der Enigma unbestritten. Dies änderte sich erst Ende 1942, als „Frontoffiziere immer wieder an der Sicherheit der Chiffrierungen zweifelten, [und] auf sonst nicht erklärbare Informationen des Feindes verwiesen“.[95] Erst jetzt „errichtete man erstmals ein Referat ,Prüfung der Sicherheit der eigenen Geheimschriften‛ bei OKW/Chi. Denn dort hatte man, nach inzwischen drei Kriegsjahren, den ,unhaltbaren Zustand‘ erkannt“[96], dass „die Überprüfung der Sicherheit [...] entweder überhaupt nicht oder von den entwickelnden Stellen [...] erfolgte“.[97] Ein Grund dafür war, dass nicht Kryptologen die Enigma auf ihre Tauglichkeit hin untersucht hatten, sondern Militärs.

Verdächtige Momente gab es genug. Doch Überprüfungen erfolgten stets „durch Experten, die [...] von der Überlegenheit des eigenen Systems so überzeugt waren, daß sie die Fähigkeit zur nüchternen Analyse [...] weitgehend eingebüßt hatten.“[98] So auch im Februar 1943, als „sich die Brechung der Enigma M4 im Dezember 1942 auszuwirken begann“.[99] Dönitz‘ Experten „unter der Leitung des Chefs Marinenachrichten, Vizeadmiral Maertens, kamen zu dem Ergebnis, der Gegner müsse seine Informationen aus Peilungen oder Verrat gewinnen“.[100] Ein „Mitlesen“ des Gegners wurde rigoros ausgeschlossen. Aber wieder war die Überprüfung „intern“ geschehen, unter Maertens Kontrolle nämlich. „Doch Dönitz‘ Mißtrauen blieb: Er versetzte Maertens auf einen einflußlosen Posten und befahl zum 1. Juli 1943 den Austausch der ersten [...] ,Griechenwalze‛ gegen eine neue Walze [...] zusammen mit einer neuen Umkehrwalze C“.[101] Bekanntlich brach Bletchley Park auch diese Enigma. Doch erst als die Marine eine „so große Anzahl U-Boote [verlor], daß die Frage ,Ist die Enigma M4 noch sicher?‘ nicht mehr überhört werden konnte“[102], erhielt der Kryptologe Frowein den Auftrag die Enigma zu

überprüfen. „Er konnte bis Dezember 1944 nachweisen, wie die Enigma-M4 kryptanalytisch brechbar ist, und zwar - günstige Bedingungen unterstellt - mit Hilfe eines cribs von nur 25 Buchstaben.“[103] Die M4 wurde danach allerdings nicht aus dem Verkehr gezogen, es wurden lediglich neue Richtlinien herausgegeben, die verhindern sollten, dass ein 25-Buchstaben-crib entstand. „Und in dem späteren Bericht wurde die Enigma M4 weiterhin als ,ausreichend sicher‘ bezeichnet.“[104]

Erst als die SS „die Kontrolle über das Chiffrierwesen erlangte“[105], gab es eine ernsthafte Überprüfung die Sicherheit der Enigma betreffend. Doch wieder gelangte man zu dem Ergebnis, die Maschinen seien „ausreichend sicher“.[106] Pröse kommt in diesem Zusammenhang zu der Schlussfolgerung:

„Es liegt nahe, die Ergebnisse der Kommission als Kaschierung der wahren Verhältnisse zu interpretieren, denn die Militärs mußten um ihr Leben fürchten, wenn ihre Versäumnisse erkannt würden. So vermied man bspw. jegliche Diskussion über die nie geänderten Schlüsselwalzen der Enigma [...] - die SS hätte womöglich gefragt, wer dafür die Verantwortung trägt.“[107]

Bauer sieht die Probleme der Sicherheit der Enigma-Maschinen vor allem auch in der „Aufsplitterung der Dienste in Deutschland vor und während des 2. Weltkrieges“, welche „eine Folge der Rivalitäten zwischen Ribbentrop, Göring und Himmler“ war.[108]

Abschließend kann man festhalten, dass die Enigma als nicht entschlüsselbar beworben wurde und an dieser Aussage auch später nicht gezweifelt werden durfte. Entdeckte Schwächen der Maschine wurden vertuscht. Der Grund für hohe Verluste an Männern und Maschinen wurde stets dem Verrat zugeschrieben, nicht der Unsicherheit der Enigma. Man hielt es für unmöglich, dass die Maschine gebrochen war. Einige wenige hielten an diesem Glauben bis zum Erscheinen von Winterbothams Buch fest. Dies förderte die Mythen-Bildung rund um die Enigma. Schließlich war die Sicherheit der Enigma fast 30 Jahre lang gepredigt worden. Aus diesem Grund hat sich der Mythos der ,unknackbaren Maschine‘ bis heute gehalten, obwohl man weiß, dass sie gebrochen wurde. Das mag vielleicht auch daran liegen, dass die Maschine an sich deutlich sicherer war, als es den Anschein hat. Denn in den meisten Fällen gelang ihre Entschlüsselung nur durch Chiffrierfehler ihrer Bediener.

Um Bletchley Park ranken sich ebenso einige Mythen, wie um die Enigma-Maschine. Ein Beispiel ist die Legende von Coventry. Obwohl das Gegenteil praktisch bewiesen ist, hält sich das Gerücht bis heute, auch in vielen Büchern über das Thema. Vielleicht deshalb, weil bis heute über die Abläufe in Bletchley Park relativ wenig bekannt ist. Es gibt Biographien über ehemalige Mitarbeiter, besonders die Biographie über Alan Turing aus der Feder von Andrew Hodges ist hierbei zu erwähnen, aber einen objektiven Bericht über die dortigen Abläufe gibt es bis heute nicht.

„Der Enigma-Mythos ist anschlussfähig und wandelbar.“[109] Die Basis dieses Mythos bildet „ein Geheimnis, das bis auf den heutigen Tag nicht vollständig gelüftet ist. Der Sieg der Alliierten über Nazideutschland wird zur Apotheose des Sieges des Guten gegen das Böse, eines Sieges des Geistes“.[110] „Die Entschlüsselung der Enigma war nicht nur ein militärischer, sondern auch ein moralischer und intellektueller Akt.“[111] Diesem Akt wurde im „Bletchley Park National Codes Center“[112] ein Denkmal gesetzt.

4.2. Der Mythos im Museum: Bletchley Park

„Zwei Elemente sind allen Museen eigen: Das Element des Sammelns und dasjenige des öffentlichen Zugangs“.[113] Und genau dies ist hier der entscheidende Punkt. Die schiere Existenz von Bletchley Park wurde bis zur Veröffentlichung von Winterbothams Buch geleugnet, mehr noch, sie war ein Staatsgeheimnis.[114] Es ist also wenig überraschend, dass das Museum, das sich heute auf dem Gelände von Bletchley Park befindet, erst danach eröffnet wurde. Wie viel später, das ist jedoch überraschend: erst im Jahr 1994 öffneten sich die Tore des Museums.[115] Die Enigma war erstmals 1988 in einer Ausstellung im Deutschen Museum in München zu sehen.[116] Also vierzehn Jahre nach ihrer Wiederentdeckung 1974. Und so stellt auch Landwehr fest: „Die Enigma ist erst in allerjüngster Zeit zu einem musealen Objekt geworden“.[117] Woran dies liegt, ist allerdings nicht bekannt.

Ein ,eigenes‛ Museum bekamen die Enigma und ihre ,Brecher‛ sehr spät. „Erst 1991 wurde das Gelände, das nach dem Krieg verschiedenen Zwecken diente, gesichert, 1994 eröffnete [sic!] die historische Stätte die Türen für die Öffentlichkeit.“[118] Offiziell trägt das Museum den Namen „Bletchley Park National Codes Center“; oft wird es aber schlicht als Bletchley Park Museum bezeichnet.[119]

Die Sammlung, die hier gezeigt wird, ist allerdings nur entstanden, weil ein „ehemaliger Techniker beim britischen Inlandsgeheimdienst MI5 [...] es nicht übers Herz brachte, die alten Geräte auftragsgemäss zu zerstören“.[120] Auch ist das Museum „genau genommen [...] nicht der Enigma, sondern ihrer Entschlüsselung gewidmet“.[121] Schmuckstück der Ausstellung ist eine Abwehr-Enigma. „Ihr Diebstahl im Jahr 2000 erregte weltweites Aufsehen und wurde auch in einem eigenen Buch thematisiert; die Maschine konnte wieder aufgefunden werden.“[122] Sie ist wegen ihrer Seltenheit besonders wertvoll.[123]

Zu sehen gibt es außerdem eine rekonstruierte[124] Bombe, kein Original, sondern „eine Kulisse aus der Romanverfilmung von Robert Harris ,Enigma‛. Die Originale wurden nach dem Krieg zerstört.“[125] Weiterhin wird eine erst seit 2004 wieder funktionsfähige Colossus-Maschine[126] ausgestellt. Dies ist deshalb besonders zu erwähnen, da die Maschine als erster Computer gilt, wobei dies umstritten ist.[127]

Davon abgesehen kann man auf dem Gelände viele historische Gebäude sehen,[128] darunter die Baracken (engl. Hut)[129], in denen während des Krieges die verschiedenen

Verschlüsselungen gebrochen wurden. Diese reichten jedoch irgendwann nicht mehr aus, um die vielen Menschen zu beherbergen. Immerhin arbeiteten gegen Ende des Krieges „bis zu 10000 Personen auf dem Gelände“.[130] Deshalb wurden steinerne Gebäude gebaut, die sogenannten Blocks.[131] Die meisten dieser Bauten sind ebenfalls erhalten geblieben und können teilweise besichtigt werden. Eines, Block F, wurde allerdings zerstört und musste 1988 abgerissen werden.[132]

In Block B wird der größte Teil der Exponate des Museums ausgestellt, darunter die „largest collection of Enigma machines on public display anywhere in the world.“[133] Dazu zählt die oben erwähnte Abwehr-Enigma. Aber auch eine Statue von Alan Turing steht in diesem Gebäude.[134] Auf dem Gelände des Museums befindet sich außerdem noch eine Gedenkstätte, die die Entschlüsselungsarbeit der Polen würdigt.[135]

Das Museum an sich ist immer noch nicht vollständig renoviert. 1992 wurde der „Bletchley Park Trust“ gegründet, der es sich zur Aufgabe machte, die historischen Gebäude für ihr Land zu erhalten.[136] Noch immer sind nicht alle wieder hergestellt, es wird geschätzt, dass die Renovierung der verbliebenen Bauwerke 20 Millionen Pfund kosten und 10 Jahre dauern wird.[137]

[...]


[1] Bauer, Friedrich L.: Mathematik besiegte in Polen die unvernünftig gebrauchte Enigma. Im Gedenken an Marian Rejewski (1905-1980), in: Bauer, Friedrich L: Historische Notizen zur Informatik, Berlin 2009, S. 289-303, hier: S. 290.

[2] Vgl. Singh, Botschaften, S. 180.

[3] Vgl. Pröse, Chiffriermaschinen, S. 125.

[4] Vgl. Singh, Botschaften, S. 180.

[5] Vgl. ebenda, S. 186.

[6] Kippenhahn, Verschlüsselte Botschaften, S. 219.

[7] Bauer, Mathematik, S. 291.

[8] Vgl. ebenda S. 292.

[9] Ebenda, S. 294.

[10] Vgl. ebenda.

[11] Wie genau Rejewski durch sechs Buchstaben diese Rückschlüsse ziehen konnte, wird hier nicht im Detail wiedergegeben, dies würde zu weit in die Mathematik führen. Genau beschrieben ist seine Herangehensweise bei Bauer, Friedrich L.: Mathematik besiegte in Polen die unvernünftig gebrauchte Enigma. Im Gedenken an Marian Rejewski (1905-1980), in: Bauer, Friedrich L: Historische Notizen zur Informatik, Berlin 2009, S. 289-303, hier: S. 294ff.

[12] Vgl. Singh, Botschaften, S. 189.

[13] Kippenhahn, Verschlüsselte Botschaften, S. 222.

[14] Kippenhahn, Verschlüsselte Botschaften, S. 222. Abbildung der Enigma Tastatur siehe Anhang, S. 50. Abbildung von 40 verschiedenen Spruchschlüsseln siehe ebenfalls Anhang, S. 50.

[15] Kippenhahn, Verschlüsselte Botschaften, S. 223.

[16] Ebenda.

[17] Vgl. ebenda, S. 224.

[18] Vgl. ebenda.

[19] Ebenda, S. 225.

[20] Vgl. ebenda, S. 224. Abbildung siehe Anhang, S. 50.

[21] Pröse, Chiffriermaschinen, S. 129.

[22] Kippenhahn, Verschlüsselte Botschaften, S. 226. Abbildung siehe Anhang, S. 51.

[23] Vgl. Kippenhahn, Verschlüsselte Botschaften, S. 226.

[24] Vgl. Singh, Botschaften, S. 194.

[25] Ebenda, S. 195.

[26] Vgl. ebenda, S. 195f.

[27] Ebenda, S. 197f.

[28] Ebenda, S. 199.

[29] Singh, Botschaften, S. 200. Abbildung siehe Anhang, S. 51.

[30] Abbildung des Grundrisses und der Konstruktionsphasen siehe Anhang, S. 52f.

[31] Singh, Botschaften, S. 200.

[32] Ebenda.

[33] Vgl. ebenda, S. 220 und S. 223.

[34] Bauer, Geheimnisse, S. 225.

[35] Singh, Botschaften, S. 203. Abbildung der Enigma Tastatur siehe Anhang, S. 50, Abbildung 40 verschiedener Spruchschlüssel siehe ebenfalls im Anhang, S. 50.

[36] Vgl. Pröse, Chiffriermaschinen, S. 134.

[37] Ebenda.

[38] Singh, Botschaften, S. 210f.

[39] Ebenda, S. 212.

[40] Pröse, Chiffriermaschinen, S. 141. Abbildung des Prinzips der Turing-Bombe siehe Anhang, S. 54.

[41] Singh, Botschaften, S. 217.

[42] Ebenda.

[43] Pröse, Chiffriermaschinen, S. 141.

[44] Vgl. Singh, Botschaften, S. 218f.

[45] Pröse, Chiffriermaschinen, S. 140.

[46] Ebenda, S. 141.

[47] Ebenda.

[48] Ebenda.

[49] Ebenda.

[50] Ebenda, S. 142.

[51] Vgl. Pröse, Chiffriermaschinen, S. 142.

[52] Ebenda, S. 142f.

[53] Vgl. ebenda, S. 143.

[54] Ebenda.

[55] Ebenda.

[56] Ebenda, S. 144.

[57] Ebenda.

[58] Ebenda, S. 144f.

[59] Pröse, Chiffriermaschinen, S. 145.

[60] Vgl. ebenda.

[61] Ebenda, S. 145f.

[62] Ultra war der britische Deckname für die „intelligence resulting from the solution of high-grade codes and ciphers“, kurz: „Special Intelligence“. (Bauer, Geheimnisse, S. 4) Das amerikanische Pendant trug den Decknamen „Magic“. (vgl. Bauer, Friedrich L.: Marian Rejewski und die Alliierten im Angriff gegen die Enigma, in: Bauer, Friedrich L: Historische Notizen zur Informatik, Berlin 2009, S. 171-183, hier: S. 182.)

[63] Vgl. Singh, Botschaften, S. 230.

[64] Ebenda, S. 231.

[65] Ebenda.

[66] Vgl. ebenda.

[67] Singh, Botschaften, S. 233.

[68] Vgl. ebenda, S. 232.

[69] Barthes, Roland: Mythen des Alltags, Frankfurt 1964, S. 86, zitiert nach: Landwehr, Mythos, S. 24.

[70] Vgl. Landwehr, Mythos, S. 25.

[71] Ebenda, S. 25.

[72] Landwehr, Mythos, S. 82.

[73] Ebenda, S. 36.

[74] Ebenda.

[75] Vgl. ebenda.

[76] Vgl. ebenda, S. 37.

[77] Landwehr, Mythos, S. 220

[78] Ebenda, S. 228.

[79] Vgl. Pröse, Chiffriermaschinen, S. 51 und S. 170.

[80] Ebenda, S. 170.

[81] Vgl. ebenda, S. 181.

[82] Ebenda, S. 76.

[83] Vgl. Landwehr, Mythos, S. 58.

[84] Kippenhahn, Verschlüsselte Botschaften, S. 244.

[85] Kippenhahn, Verschlüsselte Botschaften, S. 244f.

[86] Vgl. ebenda, S. 245.

[87] Bauer, Geheimnisse, S. 4.

[88] Ebenda.

[89] Ebenda.

[90] Pröse, Chiffriermaschinen, S. 144.

[91] Vgl. ebenda.

[92] Ebenda, S. 169.

[93] Ebenda.

[94] Bauer, Geheimnisse, S. 447.

[95] Pröse, Chiffriermaschinen, S. 171.

[96] Ebenda, S. 171f.

[97] Bericht über das Chiffrierwesen in OKW/Chi, zitiert nach: Pröse, Chiffriermaschinen, S. 172.

[98] Rahn, Werner: Der Seekrieg im Atlantik und Nordmeer, in: Das Deutsche Reich und der Zweite Weltkrieg Band 6, S. 320-322, zitiert nach: Pröse, Chiffriermaschinen, S. 178.

[99] Pröse, Chiffriermaschinen, S. 178.

[100] Ebenda.

[101] Ebenda, S. 179.

[102] Ebenda, S. 180.

[103] Pröse, Chiffriermaschinen, S. 180.

[104] Ebenda, S. 181.

[105] Ebenda.

[106] Vgl. ebenda.

[107] Ebenda.

[108] Bauer, Geheimnisse, S. 447.

[109] Landwehr, Mythos, S. 228.

[110] Ebenda.

[111] Ebenda, S. 227.

[112] Ebenda, S. 201.

[113] Ebenda, S. 195.

[114] Vgl. Singh, Botschaften, S. 231.

[115] Vgl. Landwehr, Mythos, S. 197.

[116] Vgl. ebenda, S. 196.

[117] Landwehr, Mythos, S. 197.

[118] Ebenda, S. 201.

[119] Ebenda.

[120] Ebenda.

[121] Ebenda, S. 202.

[122] Ebenda, S. 203.

[123] Vgl. ebenda.

[124] Der Begriff wird folgendermaßen verstanden: „Rekonstruktionen sind eng an das Original angelehnte Nachbauten, Replikate dagegen sind materialidentische, exakte und funktionsfähige Nachbauten eines Originals.“ (Landwehr, Dominik (2007): 10 000 Menschen und 1500 Elektronenröhren knacken die Nazi-Codes. Das Museum im englischen Bletchley Park zeigt eine Rekonstruktion des ersten elektronischen Rechners, in: Neue Zürcher Zeitung, 02.03.2007. http://www.nzz.ch/aktuell/startseite/articleeyv3k-1.120963 (Zuletzt aufgerufen: 14.07.2013))

[125] Landwehr, Mythos, S. 202.

[126] Die Colossus-Maschine wurde entwickelt, um den sogenannten Schlüsselzusatz Lorenz SZ 42 (britischer Deckname Tunny) zu entschlüsseln, eine Chiffrierschreibmaschine, mit der die Funksendungen der obersten deutschen Führungsebene verschlüsselt wurden. (vgl. Pröse, Chiffriermaschinen, S. 150 und Bauer, Geheimnisse, S. 166 und S. 476) Da weder die SZ 42, noch die Colossus streng genommen etwas mit der Enigma zu tun haben, wird hier nicht weiter auf sie eingegangen.

[127] Vgl. Landwehr, 10 000 Menschen.

[128] Lageplan des Museums siehe Anhang, S. 55.

[129] Vgl. o.A.: Bletchley Park. Home of the Codebreakers. Guidebook, S. 24. (ISBN: 978-1-84165-420-1 , http://www.bletchleypark.org/shop/p.rhtm/130822/692566-Bletchley_Park_Official_Souvenir_Guidebook.html)

[130] Landwehr, Mythos, S. 51.

[131] Vgl. o.A.: Bletchley Park, S. 36ff.

[132] Vgl. ebenda, S. 39.

[133] Ebenda, S. 38.

[134] Vgl. ebenda.

[135] Vgl. ebenda, S. 23.

[136] Vgl. ebenda, S. 46.

[137] Vgl. ebenda.

Details

Seiten
Erscheinungsform
Erstausgabe
Jahr
2013
ISBN (PDF)
9783956846632
ISBN (Paperback)
9783956841637
Dateigröße
5.6 MB
Sprache
Deutsch
Institution / Hochschule
Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf
Erscheinungsdatum
2015 (Februar)
Note
1,3
Schlagworte
Drittes Reich Zweiter Weltkrieg Kryptographie Kryptologie Robert Harris
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Titel: Mythos Enigma: Kulturgeschichtliche Aspekte einer Verschlüsselungsmaschine
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