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Krieg und Frieden im Angesicht des Klimawandels: Eine Analyse der vom anthropogenen Klimawandel ausgehenden Konfliktrisiken

©2012 Bachelorarbeit 69 Seiten

Zusammenfassung

Bei den derzeitigen Klimaschutzmaßnahmen wird der Klimawandel in Zukunft weitreichende Umweltveränderungen nach sich ziehen und grundlegende Elemente des menschlichen Lebens beeinflussen. Regional variiert die klimatische Verwundbarkeit dabei deutlich und besonders viele bereits entwicklungsschwache Staaten haben mit teilweise drastischen Auswirkungen zu rechnen.
Die vorliegende Arbeit analysiert die Interaktion dieser klimainduzierten Umweltveränderungen mit vorhandenen Konfliktvariablen und schließt daraus auf die potenziell resultierende Gefahr gesellschaftlicher Destabilisierung sowie verstärkter Gewaltkonflikte. Dabei wird insbesonders der Frage nachgegangen, inwieweit sich die Risiken gewaltsamer Auseinandersetzungen in Folge des Klimawandels vergrößern und ob gar vielzitierte „Klimakriege“ zu befürchten sind. Hierbei wird sowohl ein möglicher Zusammenhang auf Grundlage aktueller wissenschaftlicher Erkenntnisse eingeordnet als auch auf die Gefahren risikoverschärfender Faktoren aufmerksam gemacht.

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


2.3 Zukunftsszenarien

2.3.1 Emissionen und Klimaänderungen

Aussagen über zukünftige Emissionen und Klimaänderungen lassen sich mit Hilfe ver­schiedener Szenarien anstellen, denen unterschiedliche Annahmen zu soziökonomischen, demographischen und technologischen Wandlungsprozessen zu Grunde liegen. Gestärktes Vertrauen in derartige Szenarien ergibt sich daraus, dass die Projektionen des ersten IPCC Berichts für den Zeitraum von 1990 bis 2005 zutrafen (vgl. ebd., S. 49). Solche Szenarien sind dennoch mit gewissen Unsicherheiten verbunden, vor allem durch na­türliche Klimaschwankungen, die das Klima etwas kühler oder wärmer machen können, die Rolle plötzlicher Skalensprünge durch das Erreichen sogenannter Kipppunkte und das teilweise unsichere Verständnis über Wolkenbildung, Aerosole und Rückkopplungseffekte (vgl. Rahmstorf, 2009, S. 33; Voss, 2010, S. 20f.). Als Rückkopplungseffekte können z.B. die abnehmende Reflexion schmelzender Schnee- und Eisschichten, die zu größerer Er­wärmung führt, frei werdendes Methan durch auftauende Permafrostböden, aber auch eine abnehmende CO2-Aufnahmefähigkeit der Ozeane und der Biosphäre angesehen werden (vgl. CNA, 2007, S. 58; Rahmstorf, 2009, S. 34; The Government Office for Science, 2011, S. 23; Voss, 2010, S. 19).

Unabhängig von verschiedenen Szenarien und somit der Stärke des Klimawandels lassen sich jedoch einige allgemeine Aussagen treffen, wonach Änderungen der Wind-, Nieder­schlags- und Temperaturmuster wahrscheinlich sind. Diesbezüglich findet die größte Erwärmung in den meisten hohen nördlichen Breiten, aber auch im Amazonasgebiet und in Teilen Chinas statt. Niederschläge nehmen sehr wahrscheinlich in höheren Breiten zu, wohingegen eine Abnahme über der Amazonasregion, dem südlichen Afrika, Südostasien, dem Mittelmeer­raum und dem östlichen Australien wahrscheinlich ist. Somit zeigen sich regional deutli­che Unterschiede, wobei das verdunstete Wasser nicht zwangsläufig über den Gebieten abregnet, in denen es verdunstet. Global ist bei einer Erwärmung mit einer Zunahme der Niederschläge zu rechnen. (vgl. IPCC, 2008, S. 51; The Government Office for Science, 2011, S. 30ff.; WBGU, 2007, S. 62)

Da das Klimasystem sehr träge auf Veränderungen reagiert, zeigen sich Unterschiede der verschiedenen Klimaszenarien vor allem ab der Mitte des 21. Jahrhunderts (vgl. IPCC, 2008, S. 74; Schaeffer, Hare, Rahmstorf & Vermeer, 2012, S. 2). Dadurch ist bis zum Jahr 2040 – relativ unabhängig von verschiedenen Emissionsszenarien – ein Temperaturanstieg von 1,3°C bis 1,7°C im Vergleich zum Zeitraum von 1981 bis 1999 zu erwarten (vgl. The Government Office for Science, 2011, S. 26).

Bei den derzeitigen Maßnahmen werden die globalen Emissionen, je nach Szenario, um weitere 25 bis 90% zunehmen (vgl. IPCC, 2008, S. 48). Eine dementsprechende Steige­rung der Emissionen würde zu einer weiteren Erwärmung führen, mit weitaus größeren Folgen als den im 20. Jahrhundert erlebten (vgl. ebd., S. 49). Eine zur Minderung der Folgen notwendige Konzentrationsstabilisation der Treibhausgase setzt hingegen die Abnahme der Emissionen nach deren Erreichen des Maximalwerts voraus (vgl. ebd., S. 74). Beispiels­weise erfordert eine Maximalemission im Jahr 2015 zur Stabilisierung der Treibhausgas­konzentration einen weiteren Rückgang um 50 bis 80% bis zum Jahr 2050 (vgl. ebd., S. 75f.). Um ein möglichst niedriges Stabilisierungsniveau zu erreichen, und damit das Risiko schwerwiegender Klimafolgen zu verringern, hängt demzufolge vieles von der Reaktion der Menschheit in den nächsten zwei Jahrzehnten ab (vgl. IPCC, 2008, S. 83f.; Stern, 2006, S. 15; The Government Office for Science, 2011, S. 24).

Hinsichtlich der globalen Erwärmung dient die sogenannte Klimasensitivität als zentraler Vorhersagewert für die Wirkung einer erhöhten CO2-Konzentration auf den Temperatur­anstieg. Bei einer Verdopplung der CO2-Konzentration von 280ppm auf 560ppm ist eine durchschnittliche Erwärmung von 2°C bis 4,5°C zu erwarten (vg. Rahmstorf, 2009, S. 28ff.). Die Szenarien des IPCC sagen auf dieser Grundlage im optimistischsten Szenario eine Erwärmung von 1,1°C bis 2,9°C für den Zeitraum von 2090 bis 2099 im Vergleich zu den Jahren 1980 bis 1999 voraus. Im pessimistischsten Szenario reicht die Bandbreite des Temperaturanstiegs hingegen von 2,4°C bis 6,4°C. (vgl. IPCC, 2008, S. 50). Dass solchen pessimistischen Szenarien keine unrealistischen Annahmen zu Grunde liegen zeigt sich daran, dass die Treibhausgasemissionen im ersten Jahrzehnt des 21. Jahrhunderts noch höher als im pessimistischsten Szenario des dritten Sachstandsberichts des IPCC im Jahr 2001 lagen (vgl. Reusswig, 2011, S. 698). Die Größenordnung einer Erwärmung von mehr als 4°C lässt sich damit veranschaulichen, dass bei der letzten Eiszeit die globale Durch­schnittstemperatur zwischen 4°C und 6°C unter der heutigen lag (vgl. ebd.). Schaeffer et al. rechnen derzeit zudem selbst bei Einhaltung der bei den UN-Klimakonferenzen in Kopenhagen und Cancún beschlossenen Klimaschutzmaßnahmen mit einer Erwärmung von mehr als 3°C bis zum Jahr 2100 (vgl. Schaeffer et al., 2012, S. 4).

Um einen, wie in Artikel 2 der UN Klimarahmenkonvention beschriebenen „gefährlichen Klimawandel“ (UN, 1992, S. 5) zu verhindern, herrscht inzwischen weitgehender Konsens, dass die globale Erderwärmung auf höchstens 2°C begrenzt werden muss (vgl. Reusswig, 2010, S. 83). Doch selbst um diese Erwärmung, die im Übrigen Rahmenbedingungen entspricht, mit denen es die Menschheit seit mindestens 100.000 Jahren nicht zu tun hatte (vgl. Rahmstorf, 2009, S. 35), zu erreichen, wären mittlerweile weitreichende CO2-Entfer­nungs­technologien und eine Reduktion der Emissionen um 80% bis zum Jahr 2050 not­wendig (vgl. Reusswig, 2010, S. 90; Schaeffer et al., 2012, S. 4).

2.3.2 Auswirkungen

Das Verständnis über einige wichtige Effekte des Meeresspiegelanstiegs ist derzeit noch begrenzt, wächst aber mit zunehmender Forschung. Zukunftsmodelle betrachten daher vor allem die thermische Ausdehnung der Ozeane und weniger die schmelzenden Kontinental­eismassen, die bei einiger Unsicherheit jedoch großes Gefährdungspotenzial beinhalten, weshalb davon auszugehen ist, dass zukünftige Entwicklungen tendenziell eher unter­schätzt werden (vgl. IPCC, 2008, S. 58; Schaeffer et al., 2012, S. 4). Die Ozeane reagieren dabei sehr träge auf klimatische Veränderungen, wodurch der Anstieg der kommenden 50 Jahre bereits durch vergangene Emissionen bestimmt ist und der Pegel auch nach Errei­chen eines Stabilisierungsniveaus der Treibhausgase weitaus länger steigen wird (vgl. The Government Office for Science, 2011, S. 24). Anhand eines semi-empirischen Modells haben Schaeffer et al. den Meeresspiegelanstieg für verschiedene Emissions- und Tempe­raturszenarien berechnet. Bei Einhaltung der Klimaschutzmaßnahmen nach Kopenhagen und Cancún wäre dabei bis zum Jahr 2100 mit einem Anstieg von etwa 96cm gegenüber dem Jahr 2000 zu rechnen (vgl. Schaeffer et al., 2012, S. 2). Bei einem Anstieg der Durch­schnittstemperatur von maximal 3°C, was noch stärkere Emissionsreduktionen vorausset­zen würde, ist bis zum Jahr 2300 von einem mittleren Anstieg von etwa 355cm auszuge­hen, wobei die Bandbreite der Werte bis auf über 5m reicht (vgl. ebd., S. 3). Ein fiktives Szenario, welches von einer vollständigen Reduktion aller menschlicher Treibhausgase bis zum Jahr 2016 ausgeht, führt zu einem mittleren Anstieg von 59cm im Jahr 2100 und 131cm im Jahr 2300 (vgl. ebd., S. 2f.). Aus derartigen Anstiegen des Meeresspiegels ergeben sich große Herausforderungen für Ökosysteme und sozioökonomische Systeme, die mit Gefahren von Überschwemmungen von Küstengebieten und Inseln einhergehen (vgl. Schaeffer et al., 2012, S. 4; Stern, 2006, S. 6). Ein Anstieg von lediglich einem Meter würde beispielsweise dazu führen, dass etwa 20% der Fläche Bangladeschs unter Wasser stünde (vgl. Stern, 2006, S. 7). Zudem besteht die unsichere Gefahr nicht-linearer Er­eignisse wie dem Abschmelzen des grönländischen Eisschilds, das einige Studien bereits ab einer Erwärmung von 3°C für möglich erachten. Dies würde über Jahrhunderte hinweg zu einem zusätzlichen Anstieg von geschätzten 7m führen. (vgl. IPCC, 2008, S. 75; The Government Office for Science, 2011, S. 28; WBGU, 2007, S. 61 & 67).

Darüber hinaus ist eine Abnahme der Schneebedeckung, ein Rückgang des Meereises in der Arktis und Antarktis, eine Zunahme der Auftautiefe der meisten Permafrostböden und eine verstärkte Gletscherschmelze zu erwarten (vgl. IPCC, 2008, S. 51). Der Meeresspie­gel steigt dabei jedoch durch schmelzendes Meereis nicht zusätzlich (vgl. CNA, 2007, S. 58). Allerdings erhöht eine verstärkte Gletscherschmelze den Abfluss vieler von Glet­schern gespeister Flüsse. Kurzfristig vergrößert dies die Überflutungsgefahr, wohingegen langfristig durch einen geringeren Abfluss mit negativen Auswirkungen für die Süßwas­serverfügbarkeit in einigen Regionen zu rechnen ist (vgl. IPCC, 2008, S. 54; Stern, 2006, S. 6; The Government Office for Science, 2011, S. 34).

Auswirkungen auf die Süßwasserverfügbarkeiten ergeben sich auch aus veränderten Tem­peratur- und Niederschlagsmustern. Die verfügbare Wassermenge kann sich dement­sprechend regional stark unterscheiden und wird in Küstennähe zusätzlich durch den steigenden Meeresspiegel und der damit einhergehenden Gefahr der Versalzung des Grundwassers bedroht (vgl. IPCC, 2008, S. 54; WBGU, 2007, S. 68). Durch die höhere Verdunstung ist jedoch davon auszugehen, dass die klimatische Wasserbilanz – und somit das für den Menschen nutzbare Wasser – häufig selbst in den Gebieten abnehmen wird, in denen mehr Niederschlag fällt (vgl. WBGU, 2007, S. 64). Nach wie vor zeigen viele Prognosen auf regionaler Ebene dennoch Unschärfen und verschlechtern somit die Pla­nungsgrundlage für das zukünftige Wassermanagement (vgl. ebd., S. 70). Durch höhere Wassertemperaturen und häufigere Starkregenereignisse ist zusätzlich eine Verschlechte­rung der Wasserqualität in einigen Regionen zu befürchten (vgl. ebd.). Intensivere Regen­fälle haben durch eine erhöhte Variabilität selbst Regionen zu erwarten, in denen ein Niederschlagsrückgang prognostiziert wird, woraus sich einerseits eine erhöhte Über­schwemmungsgefahr ergibt und andererseits die Wahrscheinlichkeit längerer Dürrephasen steigt (vgl. IPCC, 2008, S. 54; The Government Office for Science, 2011, S. 34f.; WBGU, 2007, S. 62). Neben solchen intensiven aber seltenen Ereignisse wie extremen Dürren oder Überschwemmungen können aber auch lang anhaltende Trockenheit und überdurch­schnittliche Regenfälle ähnliche Wirkungen entfalten und eine Gefahr für die Landwirt­schaft, Energieversorgung und die menschliche Gesundheit darstellen (vgl. The Government Office for Science, 2011, S. 29).

Betrachtet man die Auswirkungen des zu erwartenden Klimawandels auf die Landwirt­schaft, so ist ebenfalls stark nach Regionen zu differenzieren. In den meisten niedrigen Breiten ist bereits ab einer Erwärmung von 1°C bis 2°C mit einer Ertragsreduktion und demzufolge mit einem erhöhten Hungerrisiko zu rechnen. Dagegen profitiert die Landwirt­schaft in vielen Regionen höherer Breitengrade von einer Erwärmung von 1°C bis 3°C. Steigt die Durchschnittstemperatur jedoch darüber hinaus, ist mit einem globalen Produk­tionsverlust und teilweise erheblichen Beeinträchtigungen zu rechnen. Preiserhöhungen und ein weiterer Mangel können davon die Folgen sein. (vgl. IPCC, 2008, S. 53; Reusswig, 2011, S. 699ff.; WBGU, 2007, S. 75f.)

Neben klimainduzierten Gefahren für Gesellschaften, Siedlungen und Industrien wird die menschliche Gesundheit durch die Folgen des Klimawandels von Hunger, Überschwem­mungen, zunehmenden Krankheiten und häufigeren extremen Wetterereignissen bedroht. Darunter fallen die prognostizierte steigende Anzahl von Hitzewellen, Dürren, starken Niederschlägen, Unwettern und stärkeren tropischen Wirbelstürmen (vgl. IPCC, 2008, S. 59 & 73). Ist bei Letzteren noch unklar, ob auch deren Häufigkeit zunehmen wird, er­scheint eine stärkere Intensität der Wirbelstürme durch den Anstieg der tropischen Mee­restempe­ratur wahrscheinlich (vgl. IPCC, 2008, S. 51; The Government Office for Science, 2011, S. 35; WBGU, 2007, S. 64). Die Gefahr zunehmender Krankheitsfälle ergibt sich durch Durchfallerkrankungen, die auf Dürren und eine schlechte Wasser­versorgung zurückzuführen sind und die Ausbreitung vektorträchtiger Krankheiten wie Malaria durch die zu erwartende steigende Insektenanzahl (vgl. CNA, 2007, S. 59f.; Stern, 2006, S. 6).

Laut Stern stellt der Klimawandel darüber hinaus eine einzigartige Herausforderung für die Wirtschaft dar, die mit ökonomischen Verlusten in Kriegszeiten oder der großen Depres­sion vergleichbar sei (vgl. Stern, 2006, S. 1f.). Extreme Wetterereignisse können demnach jährliche Kosten von 0,5 bis 1% des globalen Bruttoinlandprodukts verursachen und die Anfälligkeit der Finanzmärkte durch hohe und unsichere Versicherungskosten erhöhen (vgl. ebd., S. 8). Den weltweiten Wohlstandsverlust in den nächsten zwei Jahrhunderten schätzt Stern auf mindestens 5%, bei Einbeziehung marktunabhängiger Auswirkungen könnten sich die Kosten auf bis zu 20% summieren (vgl. Reusswig, 2011, S. 701; Stern, 2006, S. 9f.; WBGU, 2007, S. 76). Das IPCC geht bei seiner Schätzung für dieses Jahrhun­dert von einem Verlust von bis zu 5% des globalen Bruttoinlandsprodukts aus, wobei anzunehmen sei, dass die Kosten momentan eher unterschätzt werden und stark von früh­zeitigen Reaktionsmaßnahmen abhängen (vgl. IPCC, 2008, S. 78). Die Wirtschaft erweist sich dabei verstärkt anfällig, sofern sie an klimasensitive Ressourcen gebunden ist (vgl. ebd., S. 53). Trotz einiger Unsicherheiten zeigen derartige Schätzungen die Richtung und die Größenordnung der wirtschaftlichen Folgen des Klimawandels auf und legen nahe, dass dieser eine große Gefahr für die sozioökonomische Entwicklung vieler Gesellschaften darstellt (vgl. Stern, 2006, S. 10; WBGU, 2007, S. 65).

Veränderte Umweltbedingungen können außerdem zu einer Verschiebung der Vegetation sowie der Gefährdung vieler Arten und Ökosysteme führen, da deren Widerstandfähigkeit überschritten zu werden droht (vgl. IPCC, 2008, S. 52; Stern, 2006, S. 6; WBGU, 2007, S. 71). Bereits ab einer Erwärmung von 1,5°C bis 2,5°C rechnet das IPCC mit einem Artenver­lust von 20 bis 30% (vgl. IPCC, 2008, S. 58). Durch die zunehmende Aufnahme des anthropogenen Kohlenstoffs besteht für die Ozeane außerdem die Gefahr der Versau­erung. Dies würde mit negativen Auswirkungen auf marine Ökosysteme einhergehen, z.B. für viele schalenbildende Organismen (vgl. IPCC, 2008, S. 58; Rahmstorf, 2009, S. 21).

Darüber hinaus soll an dieser Stelle die Rolle sogenannter Kipppunkte angerissen werden. Diese können als große, nicht-lineare und wenig beherrschbare Veränderungen mit weit­reichenden und sprunghaften Folgen angesehen werden, über deren Verständnis nach derzeitigem Forschungsstand jedoch noch große Unsicherheit herrscht (vgl. Stern, 2006, S. 7; The Government Office for Science, 2011, S. 27; WBGU, 2007, S. 77ff.). Darunter fällt das bereits angesprochene Abschmelzen bzw. der Kollaps großer Kontinentaleismassen bei überschreiten einer kritischen Erwärmung, aber auch die Abschwächung oder gar das Versiegen des Nordatlantikstroms mit tiefgreifenden Konsequenzen für Ökosysteme, das Klima und den Meeresspiegelanstieg. Des Weiteren sind Änderungen in der Monsunzir­kulation mit einschneidenden Folgen für die Landwirtschaft des indischen Subkontinents sowie ein möglicher Kollaps des Amazonasregenwalds mit schwerwiegenden Rückkopp­lungseffekten zu nennen. Letzteres Ereignis hätte vor allem Auswirkungen auf Nieder­schlagsmuster, die CO2-Speicherkapazität sowie die Artenvielfalt. (vgl. IPCC, 2008, S. 58; Stern, 2006, S. 7; The Government Office for Science, 2011, S. 28; WBGU, 2007, S. 62 & 77ff.)

Abschließend ist zu erwähnen, dass die Risiken und Verwundbarkeiten für viele der bisher dargestellten Auswirkungen ungleich verteilt sind. Häufig sind Entwicklungsländer in niedrigeren Breiten größeren Gefahren des Klimawandels ausgesetzt, was durch fehlende Anpassungskapazitäten zusätzlich verstärkt wird (vgl. IPCC, 2008, S. 73; Stern, 2006, S. 7). Da jedoch trotz eines Aufholprozesses vieler Schwellenländer vor allem Industrieländer für die bisherigen Treibhausgasemissionen verantwortlich sind, leiden „die globalen „Armen“ [...] mithin unter den Folgen eines Klimawandels, den vor allem der Lebensstil der globalen „Reichen“ verursacht hat“ (Reusswig, 2011, S. 704).

3. Gewaltsame Konflikte und ihre Ursachen

Um im anschließenden Kapitel auf den Zusammenhang des Klimawandels und gewaltsa­mer Konflikte eingehen zu können, soll an dieser Stelle zunächst ein Überblick über Ergebnisse der Konfliktforschung gegeben werden. Dabei werden in angemessener Kürze zunächst der Begriff des gewaltsamen Konflikts genauer definiert und anschließend die wichtigsten Ursachen und Rahmenbedingungen derartiger Konflikte – mit Verweis auf das nachfolgende Kapitel unter der bewussten Auslassung der Rolle von Umweltveränderun­gen – vorgestellt.

Konflikte werden im Allgemeinen häufig erst bei offenem Ausbruch und somit auf der manifesten Verhaltensebene beobachtbar (vgl. Schaeffer et al., 2012, S. 4). Dabei sind Konflikte nach Ropers unvermeidbare und für den sozialen Wandel notwendige Rander­scheinungen, deren Problem vor allem die Art und Weise ihrer Austragung ist (vgl. Ropers, 2002, S. 11).

3.1 Definition gewaltsamer Konflikte

Gerade bei der Untersuchung innerstaatlicher oder internationaler Konflikte trägt deren Definition maßgeblich dazu bei, ob ein gewaltsamer Konflikt in Statistiken aufgenommen und somit einer weitergehenden Analyse unterzogen wird. Betrachtet man beispielsweise die völkerrechtlich vorherrschende Definition des Kriegsbegriffs, nach der es sich um einen gewaltsam ausgetragenen Massenkonflikt mit einem Mindestmaß an zentralisierter Organisation und einer gewissen Kontinuität der Kampfhandlungen handelt, bei der min­destens ein Akteur die reguläre Streitkraft einer Regierung darstellen muss (vgl. Bonacker & Imbusch, 2010, S. 95f.), so zeigt sich schnell, dass damit viele gewaltsame Konflikte nicht repräsentiert werden. Für die vorliegende Untersuchung ist ein derartiger Kriegsbe­griff schon deshalb ungeeignet, da gewaltsame Auseinandersetzungen ohne die Beteili­gung des Staates von vornherein ausgeschlossen werden (vgl. Meyers, 1994, S. 25; P. Waldmann, 1998, S. 17).

Doch auch bei den zahlreich zu findenden Definition des Konfliktbegriffs zeigen sich Unterschiede hinsichtlich der Ursachen, Akteure und des Ausmaßes, aus denen sich Varia­tionen bei Fallzahlen und Merkmalen ergeben (vgl. Tänzler & Westerkamp, 2010, S. 4). Im Allgemeinen stellen Konflikte, losgelöst von ihren Austragungsformen, Bewertun­gen, Ursachen und ihren Kontexten „soziale Tatbestände [dar], an denen mindestens zwei Parteien (Einzelpersonen, Gruppen, Staaten etc.) beteiligt sind, die auf Unterschieden in der sozialen Lage und/oder auf Unterschieden in der Interessenkonstellation der Konflikt­parteien beruhen“ (Bonacker & Imbusch, 2010, S. 69). Da im weiteren Verlauf jedoch auch Austragungsformen, Kontexte und Ursachen untersucht werden, soll der Arbeit die detailliertere Definition eines politischen Konflikts des Heidelberger Instituts für Interna­tionale Konfliktforschung (HIIK) zugrunde liegen. Danach handelt es sich um eine

„Positionsdifferenz hinsichtlich gesamtgesellschaftlich relevanter Güter - den Konfliktgegenständen - zwischen mindestens zwei maßgeblichen direkt beteiligten Akteuren, die mittels beobachtbarer und aufeinander bezogener Konfliktmaßnah­men ausgetragen wird, welche außerhalb etablierter Regelungsverfahren liegen und eine staatliche Kernfunktion oder die völkerrechtliche Ordnung bedrohen oder eine solche Bedrohung in Aussicht stellen.“ (HIIK, 2012a)

Der Definition zufolge werden auch nicht-staatliche Akteure berücksichtigt, wobei Ge­waltanwendung nie Bestandteil eines etablierten Regelungsverfahrens ist. Der im Deut­schen – im Vergleich zum Englischen mit violence und power – wenig trennscharfe Be­griff der Gewalt ist dabei nicht als Staatsgewalt, sondern physische Gewalt und somit als „physische Verletzung oder anderweitige Zwangseinwirkung auf Personen“ (Bonacker & Imbusch, 2010, S. 83) zu verstehen. Die staatlichen Kernfunktionen umfassen die Gewäh­rung der Sicherheit, der Unversehrtheit des Territoriums und einer spezifischen politi­schen, sozioökonomischen und kulturellen Ordnung. (vgl. HIIK, 2012b, S. 108)

Hinsichtlich der Intensität kann nach Merkmalen wie dem Einsatz von Waffen und Perso­nal, dem Ausmaß der Zerstörung, den Opfer- und Flüchtlingszahlen sowie der Dauer des Konflikts unterschieden werden. Eine solche Einteilung soll exemplarisch anhand der fünf Intensitätsstufen des HIIK aufgezeigt werden. Danach stellt der Disput einen Konflikt ohne Anwendung von Gewalt dar. Bei der gewaltlosen Krise wird Gewalt von mindestens einem der Akteure angedroht. Die gewaltsame Krise stellt mit dem Einsatz von Gewalt die erste der drei gewaltsamen Konfliktformen dar. Aufgewertet wird sie zum begrenzten Krieg, sofern mehr als 360 Opfer oder mehr als 18.000 Flüchtlinge pro Jahr zu beklagen sind. Eine weitere Aufwertung zum Krieg findet bei mindestens 1.080 Opfern oder mehr als 360.000 Flüchtlingen in einem Jahr statt. (vgl. ebd., S. 109)

Eine zusätzliche Differenzierung stellt die Reichweite der Konflikte dar. Hierbei können zwischenstaatliche, extrastaatliche, innerstaatliche und internationalisierte innerstaatliche Kon­flikte unterschieden werden. Zwischenstaatliche Konflikte werden zwischen mindes­tens zwei Staaten ausgetragen. Unter extrastaatlichen Konflikten sind Konflikte zwischen staatlichen und nicht-staatlichen Akteuren über Staatsgrenzen hinweg zu verstehen. Inner­staatliche Konflikte finden innerhalb eines Staatsgebiets mit oder ohne Beteiligung von Regierungstruppen statt, wobei ein innerstaatlicher Konflikt ohne Beteiligung des Staates auch als substaatlicher Konflikt bezeichnet wird. Bei einem internationalisierten inner­staatlichen Konflikt erfährt hingegen mindestens eine der Konfliktparteien die Unterstüt­zung eines anderen Staates. (vgl. Bussmann, Hasenclever & Schneider, 2009, S. 12f.; Geis, 2006, S. 17; Gleditsch, 2011, S. 3f.)

Da die Grundlage dieser Arbeit der Begriff des gewaltsamen Konflikts sein soll, umfasst dieser die drei gewaltsamen Konfliktformen des HIIK. Zudem liegt der Fokus auf inner­staatlichen Konflikten, da vor allem auf dieser Ebene mit einem erhöhten Konfliktpoten­zial zu rechnen ist. Dies lässt sich unter anderem damit begründen, dass seit dem Ende des zweiten Weltkriegs, vor allem aber nach dem Fall des Eisernen Vorhang die überwiegende Anzahl an Gewaltkonflikten innerstaatlicher Natur waren und auch infolge des Klimawan­dels in erster Linie von derartigen Konflikten auszugehen ist. (vgl. Bussmann et al., 2009, S. 12f.; Gleditsch, 2011, S. 4; Smith, 2004, S. 3)

3.2 Konfliktursachen

„War is possible as soon as weapons are available with which to fight it and as long as there is a dispute between two or more parties“ (Smith, 2004, S. 5). Neben derart verein­facht ausgedrückten Voraussetzungen sind die Ursachen für den Ausbruch eines gewalt­samen Konflikts weitaus komplexer und mit monokausalen Theorien kaum zu erklären. Vielmehr müssen dabei viele Faktoren und die Interaktion der relevanten Variablen be­trachtet werden. (vgl. Brzoska, 2011, S. 102; Smith, 2004, S. 7; P. Waldmann, 2002, S. 377; WBGU, 2007, S. 40)

Im Folgenden sollen daher die wichtigsten Ursachen und relevanten Rahmenbedingungen, die die Wahrscheinlichkeit eines gewaltsamen Konflikts erhöhen, dargestellt werden. Dabei ist, wie eben beschrieben, stets zu beachten, dass die einzelnen Faktoren kaum zur alleinigen Erklärung eines Konflikts dienen, sondern sich meist gegenseitig beeinflussen oder zu einem größeren Gefahrenpotenzial aufsummieren können. Neben solchen langfris­tigen Ursachen tragen allerdings häufig konkrete, kurzfristige Ereignisse wie Regime­wechsel, drastische Reformen, Attentate, konjunkturelle Wirtschaftskrisen oder Katastro­phen zur endgültigen Eskalation von Konflikten bei (vgl. Ropers, 2002, S. 30).

3.2.1 Ökonomische Konfliktursachen

Betrachtet man den wirtschaftlichen Entwicklungsstand eines Staates, so scheint ein nied­riges Niveau ökonomischer Entwicklung das Konfliktrisiko zu erhöhen. Dies kann bei­spielsweise anhand des Bruttoinlandsprodukts pro Kopf, des Wirtschaftswachstums, des Anteils des Primärsektors am Export oder der Anfälligkeit für Preisschwankungen auf dem Weltmarkt gemessen werden. Typisch ist dabei das Opportunitätskostenargument, nach dem bei einem Mangel an produktiven Entfaltungsmöglichkeiten und somit einer unsi­cheren Zukunft die Wahrscheinlichkeit zum Griff zu den Waffen durch die Aussicht auf höhere Einnahmen und der geringen Summe entgangener Gewinne steigt. Ein Mangel an Entfaltungsmöglichkeiten ergibt sich beispielsweise aus unzureichenden Bildungsangebo­ten, chronischer Armut und einer hohen Arbeitslosenrate. Reiche Staaten haben hingegen selbst bei einem Mangel an Entfaltungsmöglichkeiten größere Kapazitäten zur Abwehr von Konflikten. Auf internationaler Ebene senken darüber hinaus wirtschaftliche Abhän­gigkeiten und die Integration in den Weltmarkt das Konfliktrisiko. (vgl. Barnett & Adger, 2007, S. 644f.; Bussmann et al., 2009, S. 10; 22f.; Collier, Hoeffler & Sambanis, 2005, S. 16f.; Sambanis, 2005, S. 305ff.; Smith, 2004, S. 6; WBGU, 2007, S. 36ff.)

Einen weiteren Faktor stellt die Teilhabe an öffentlichen Gütern bzw. die Verteilung des Wohlstandes dar. Eine ungleiche Verteilung der Folgen der wirtschaftlichen Entwicklung und somit eine größere Öffnung der Schere zwischen Arm und Reich erhöht die Polari­sation, den Unmut und die Konfliktanfälligkeit. Dabei erscheint vor allem die Gruppenun­gleichheit relevant, die mit Ungerechtigkeitswahrnehmungen, z.B. durch geminderten Zugang zu Land oder Ressourcen, einhergeht. (vgl. Barnett & Adger, 2007, S. 644f.; Ropers, 2002, S. 28; Sambanis, 2005, S. 327f.; WBGU, 2007, S. 36ff.)

Über die Frage, inwieweit das Vorkommen und die Nutzung von Rohstoffen zur Konflikt­anfälligkeit beitragen herrscht eine kontroverse Debatte. Bedeutend scheinen allerdings vorwiegend die Zugriffs-, Verteilungs- und die Kontrollmöglichkeiten sozialer Gruppen zu sein, da Ungleichverteilungen, wie eben dargestellt, das Eskalationsrisiko erhöhen (vgl. Engels, 2011, S. 141). Collier und Hoeffler haben ihrerseits festgestellt, dass die Gier (greed) eine größere Rolle als die Not (grievance) spielt (vgl. Collier et al., 2005, S. 3; Ruloff, 2004, S. 20). Vor allem leicht ausbeutbare Ressourcen können demzufolge das Konfliktrisiko erhöhen, indem Begierden geweckt werden und sowohl staatliche als auch nicht-staatliche Akteure profitieren wollen. Einnahmen durch den Zugang zu derartigen Rohstoffen können daraufhin zur Finanzierung gewaltsamer Konflikte oder der ökonomi­schen Bereicherung genutzt werden. Ressourcenreichtum eines Staates kann jedoch auch dazu führen, dass andere Wirtschaftssektoren vernachlässigt werden und sich der Staat abhängig von internationalen Preisschwankungen macht. Vertreter malthusianischer und neo-malthusianischer Sichtweisen betonen hingegen die Konflikthaftigkeit knapper Res­sourcen. Während sich die erwähnte Gier in erster Linie auf nicht erneuerbare Rohstoffe bezieht, kann ein knappes Angebot erneuerbarer und lebensnotwendiger Rohstoffe eben­falls zur Erhöhung des Konfliktrisikos beitragen (vgl. Scheffran, 2011, S. 33ff.). Konkur­renz um elementare Güter kann außerdem mit anderen Interessen verknüpft werden und somit als Konfliktmultiplikator dienen. Ein Mangel an Ressourcen trägt darüber hinaus zur Verelendung bei und kann staatliche Institutionen sowie die Wirtschaft eines Landes schwächen. Jedoch bieten Ressourcenkonflikte bei einer konstruktiven Herangehensweise auch Anreize zur Kooperation und bei Ressourcenreichtum darüber hinaus für Wachstum. (vgl. Brzoska, 2011, S. 101f.; Bussmann et al., 2009, S. 10; Collier et al., 2005, S. 6ff.; Meyers, 2011, S. 34; Richter, 2012; Sambanis, 2005, S. 308f.; WBGU, 2007, S. 36ff.)

3.2.2 Politische Konfliktursachen

Hinsichtlich politischer Konfliktursachen scheint zum einen die Staatsform eines Staates zu seiner Konfliktanfälligkeit beizutragen. Hierbei sind Demokratien und Autokratien weniger anfällig für interne Gewaltkonflikte als Anokratien, also partiell demokratische Staaten in einem Umbruchprozess. Diese sind meist instabiler, lassen dabei noch keine freie Meinungsäußerung zu, können Oppositionen aber im Gegensatz zu starken Autokra­tien auch nicht effektiv unterdrücken und erweisen sich somit als konfliktanfälliger. Damit gehen häufig Phasen ökonomischer und politischer Transformation einher, in denen Le­benschancen und Partizipationsmöglichkeiten neu verteilt werden, die ebenfalls Eskala­tionspotenzial beinhalten. (vgl. Bussmann et al., 2009, S. 18ff.; Ropers, 2002, S. 11; Sambanis, 2005, S. 319; Smith, 2004, S. 6; WBGU, 2007, S. 36)

Zum anderen sind fragile Staaten mit schwachen Governance-Strukturen konfliktanfäl­liger. Der Staat bestimmt die Lebensbedingungen seiner Bürger maßgeblich mit, gewährt Sicherheit, politische Freiheiten, wirtschaftliche Möglichkeiten, Rechte, Sozialleistungen, Dienstleistungen und Gesundheit. Kann er zentrale Aufgaben nicht mehr wahrnehmen droht die schrittweise Erosion des Staatlichen, die Bindung zwischen Bevölkerung und Regierung lässt nach und das Konfliktpotenzial steigt. Vor allem dort, wo Regierungen außerstande sind das Gewaltmonopol aufrecht zu erhalten, können sie nicht mehr für die Sicherheit ihrer Bürger sorgen und andere Autoritäten drohen auf den Plan zu treten. Dies geht häufig mit Konflikten über den Zugang und die Verteilung von knappen Werten und Gütern wie Einkommen, Ressourcen, Status, Macht und Herrschaft einher. (vgl. Barnett & Adger, 2007, S. 646f.; Lambach, 2010; Meyers, 1994, S. 30f.; Ruloff, 2004, S. 20; P. Waldmann, 2002, S. 377f.; WBGU, 2007, S. 36)

Des Weiteren trägt die Unterdrückung und Ausbeutung der Bürger zu deren Unzufrieden­heit bei, wobei vor allem die wahrgenommene Ungerechtigkeit von Bedeutung ist. Der dadurch erzeugte Widerstand kann in Protesten münden, bei denen in erster Linie die Reaktion der Regierung und das Verhalten der gesellschaftlichen und politischen Elite als Schlüsselvariablen für die Eskalation von Konflikten zu nennen sind. (vgl. Barnett & Adger, 2007, S. 647; Collier et al., 2005, S. 12f.; Sambanis, 2005, S. 318; Smith, 2004, S. 7; P. Waldmann, 2002, S. 379)

3.2.3 Demographische und ethnische Konfliktursachen

Die höhere Bevölkerungsdichte eines Staates, insbesondere aber dessen wachsende abso­lute Größe der Bevölkerung scheinen seine Konfliktanfälligkeit ebenfalls zu erhöhen. Zudem ist das Bevölkerungswachstum besonders bei einem Mangel an nutzbarer Fläche und durch die Änderung der relativen Größen verschiedener gesellschaftlicher Gruppen relevant. Da Konflikte meist in der Peripherie ausgetragen werden, erhöht eine stark verteilte Bevölkerung das Konfliktrisiko zusätzlich. (vgl. Collier et al., 2005, S. 9f; 16f.; Sambanis, 2005, S. 310f.; WBGU, 2007, S. 38f.)

Hinsichtlich der demographischen Entwicklung nennt Heinsohn außerdem die sogenannten „youth bulges“, also Ausstülpungen in der Bevölkerungspyramide der Gruppe der 15- bis 29-Jährigen, als bedeutenden Faktor für gewaltsame Konflikte. Da Karriereangebote oder angesehene Stellen nicht mit einer derart raschen Bevölkerungsexplosion mithalten kön­nen, mangele es den meisten jungen Männern an Zukunftsperspektiven. Aus dieser hori­zontalen Konkurrenz um wenige Spitzenpositionen ergibt sich enormes Frustrationspoten­zial. Für Rebellen stellt diese Gruppe zudem weiteres Rekrutierungspotenzial dar, sodass die Demographie zu „sich immer wieder auffüllenden und neu bildenden Milizen“ (Heinsohn, 2011, S. 92) beiträgt. Selbst eine bessere Bildung oder wachsen­der Reichtum könnten, so Heinsohn, in solchen Situationen zu keiner Besserung führen. Durch den Hunger auf Positionen und Ansehen vergrößere sich die Kluft zwi­schen Ambitionen und verfügbaren Positionen gar noch. (vgl. Barnett & Adger, 2007, S. 644; Heinsohn, 2011)

Ob die ethnische oder religiöse Heterogenität einer Gesellschaft als Konfliktursache anzu­sehen ist, erscheint hingegen fraglich. Als trennendes Element werden derartige Faktoren häufig erst in Verbindung mit der Dominanz einer ethnischen Gruppe, der Dis­kriminierung einer anderen Gruppe oder der Instrumentalisierung durch politische oder geistliche Führer wahrgenommen. Die Ethnizität als Hauptursache für einen Konflikt zu sehen greift dabei zu kurz. Die tiefe Verwurzelung der Ethnie trägt dennoch dazu bei, dass viele gewaltsame Konflikte einen ethnischen Hintergrund besitzen und ethnische Zugehö­rigkeiten als Span­nungselement wahrgenommen werden. Durch die starke Identifikations­kraft und emotio­nale Bindung besitzen ethnische Merkmale, unterstützt durch Mythen und Erzählungen, großes Mobilisierungspotenzial. Eingesetzt im Rahmen politischer Instru­mentalisierung kann somit anderen Gruppen die Rolle des Sündenbocks zugeschoben und von hausge­machten sozialen oder wirtschaftlichen Problemen abgelenkt werden. Derartige Instru­mentalisierungen fallen vor allem bei hohem Frustrationspotenzial auf fruchtbaren Boden. Die Dominanz einer ethnischen Gruppe kann dabei Bedrohungs- und Ausgren­zungsängste anderer Gruppen nach sich ziehen. Eine Polarisation findet hingegen meist erst in einem Eskalationsprozess statt, der wiederum leicht eine Eigendynamik entfalten kann, sodass die Konfliktparteien schnell die ethnischen Unterschiede selbst als Konflikt­gegenstand anse­hen. Folglich kann die Ethnizität damit eine wichtige Erklä­rungsvariable, aber kaum eine Hauptursache gewaltsamer Konflikte darstellen. (vgl. Bussmann et al., 2009, S. 15ff.; Collier et al., 2005, S. 16f.; Nuscheler, 2010, S. 282; Sambanis, 2005, S. 312f.; 325f.; Schrader, 2012; Smith, 2004, S. 10ff.; WBGU, 2007, S. 38f.)

3.2.4 Migration als Konfliktursache

Die Bedeutung der Migration für den Ausbruch gewaltsamer Konflikte ist ähnlich der eben vorgestellten Rolle ethnischer Gruppen zu bewerten und in erster Linie im Zusammenhang mit den bereits vorgestellten Konfliktursachen zu sehen. Migration stellt vor allem eine Folgeerscheinung von Kriegen, Verfolgung, Ressourcenkonflikten und unsicheren Lebensbedingungen dar und findet zum größten Teil innerhalb der Binnengrenzen eines Staates statt. Ähnlich der Bedeutung der Ethnizität handelt es sich bei Konflikten infolge von Migration häufig um politisch oder medial induzierte Konflikte, in denen Bedro­hungsgefühle und Überfremdungsängste zum innenpolitischen Gebrauch konstruiert werden. Emigranten können dabei das demographische und sozioökonomische Gleichge­wicht im Zielgebiet verändern und den Druck auf knappe Ressourcen erhöhen (vgl. Engels, 2011, S. 139). Des Weiteren kann Furcht und Unsicherheit unter der ansässigen Bevölkerung ausgelöst sowie zur Destabilisierung und Slumbildung beigetragen werden. Bei Grenzübertritten können unter Umständen aber auch Rebellen mitgezogen und Kon­flikte somit exportiert werden. (vgl. Barnett & Adger, 2007, S. 648; Nuscheler, 2010, S. 273ff.; Sambanis, 2005, S. 322; P. Waldmann, 2002, S. 378f.)

3.2.5 Konfliktgeschichte als konfliktrelevante Rahmenbedingung

Die Konfliktgeschichte ist insofern bedeutend, als dass alte Konflikte in zahlreichen Fällen nicht gelöst, sondern lediglich aufgeschoben werden und leicht wieder aufbrechen können. Dabei wird eine häufig lang anhaltende Rivalität aufgebaut, die sich ins kollektive Ge­dächtnis der Konfliktparteien einbrennt. Zudem erleichtern vergangene Konflikte in der Regel den Zugang zu Waffen, da diese, sofern sie nicht vernichtet wurden, nach wie vor in überdurchschnittlich großer Anzahl und zu relativ geringen Kosten verfügbar sind. Außer­dem kann das Vertrauen in staatliche Institutionen nachhaltig geschädigt und Gewalt eher als legitime Reaktion auf Konflikte angesehen werden. Demzufolge erhöhen vergangene Konflikte die Wahrscheinlichkeit eines erneuten gewaltsamen Konflikts. (Bussmann et al., 2009, S. 12; Collier et al., 2005, S. 9f.; 16f.; Smith, 2004, S. 4; P. Wald­mann, 2002, S. 378; Warnecke, Tänzler & Vollmer, 2010, S. 5; WBGU, 2007, S. 38f.)

3.2.6 Geographie als konfliktrelevante Rahmenbedingung

Für innerstaatliche Konflikte sind geographische Rahmenbedingungen in der Hinsicht relevant, als dass unwegsames Terrain ein ideales Rückzugsgebiet für Rebellen darstellt. Dabei spielt das Gelände jedoch in erster Linie für die Dauer eines Konflikts und weniger für dessen Ausbruch eine entscheidende Rolle. (vgl. Collier et al., 2005, S. 9f.; Sambanis, 2005, S. 310f.; WBGU, 2007, S. 39)

4. Der Zusammenhang von Klimawandel und Gewaltkonflikten

4.1 Erkenntnisse aus der Umweltkonfliktforschung

Da die Debatte um den Zusammenhang von Klimawandel und Konflikten als Fortsetzung der Debatte um Umweltveränderungen und Konflikte gesehen werden kann, wird zunächst ein Überblick über Ergebnisse aus der Umweltkonfliktforschung gegeben.

Die wohl wichtigste Erkenntnis aus der Umweltkonfliktforschung besteht darin, dass Umweltdegradation in der Regel nur eine Ursache in einem Bündel an konfliktverschär­fenden Faktoren darstellt und somit kaum direkt zu gewaltsamen Konflikten führt. Maß­geblich erscheinen vor allem die bereits vorgestellten sozialen, politischen und ökonomi­schen Faktoren, die jedoch durch Umweltveränderungen beeinflusst oder ver­schärft wer­den können. (vgl. Breitmeier, 2009, S. 17f.; Mildner, Richter & Lauster, 2011, S. 15; Scheffran, 2011, S. 33; WBGU, 2007, S. 27ff.)

Neomalthusianische Theorien betonen dabei hinsichtlich konfliktrelevanter Umweltverän­derungen vor allem die Verknappung erneuerbarer Ressourcen. Die Konkurrenz um All­gemeingüter wie Nahrung, Wasser und Land kann zusammen mit bereits bestehenden Konfliktrisiken die Konfliktwahrscheinlichkeit erhöhen oder existierende, latente Kon­flikte eskalieren lassen. (vgl. Brzoska, 2008, S. 199; Teichert & Velarde-Velarde de Noack, 2008, S. 190; WBGU, 2007, S. 27). Ein Mangel an Ressourcen kann beispiels­weise zu sozialen und wirtschaftlichen Verwerfungen führen, zur Verelendung beitragen sowie Institutionen schwächen und dadurch konfliktrelevante Rahmenbedingungen produ­zieren (vgl. Scheffran, 2011, S. 33f.). Soziale Missstände als Ursache gewaltsamer Kon­flikte können durch ungleichen Zugang oder eine Neuverteilung knapper Ressourcen entstehen (vgl. Bernauer, Böhmelt & Koubi, 2012, S. 2; Breitmeier, 2009, S. 10; Homer-Dixon, 1994, S. 10f.). Ungleiche Verteilung oder eine Verminderung der Quantität oder Qualität erneuerbarer Ressourcen kann zudem – wenngleich politische, soziale und kultu­relle Faktoren ebenfalls berücksichtigt werden müssen – Migration hervorrufen. Hierbei besteht im Zielgebiet die Gefahr der Verschärfung bereits vorhandener Konflikte durch konträre Identitäten, zusätzliche Umweltschäden oder Armut, wodurch sich wiederum die Konkurrenz um knappe Güter erhöhen kann. (vgl. Bernauer et al., 2012, S. 2; Breitmeier, 2009, S. 11; Homer-Dixon, 1994, S. 10f.; Scheffran, 2011, S. 33f.).

Als zentraler Faktor für die Entstehung gewaltsamer Konflikte infolge zunehmender Umweltdegradation zeigt sich darüber hinaus die Problemlösungsfähigkeit eines Staates. Die Stärke oder Schwäche staatlicher Institutionen bestimmt maßgeblich über die Art und Weise der Konfliktbearbeitung, weshalb sich vor allem Entwicklungs- und Übergangsge­sellschaften mit schwach ausgeprägten staatlichen Institutionen konfliktanfällig gegenüber zunehmendem Umweltstress zeigen (vgl. Brzoska, 2008, S. 199; J. Waldmann, 2011, S. 452; WBGU, 2007, S. 31). Des Weiteren können staatliche Institutionen für friedliche Allokationsmechanismen zur Regulierung der Konkurrenz um erneuerbare Ressourcen sorgen. Wirken diese Mechanismen nicht mehr und fühlen sich soziale Gruppen benach­teiligt, besteht die Gefahr der Eskalation von Konflikten. (vgl. Breitmeier, 2009, S. 13; Engels, 2011, S. 141; Mildner et al., 2011, S. 13). Umweltzerstörungen können zudem, beispielsweise durch ökonomische Schäden, die Legitimität und Regierungsfähigkeit eines Staates zusätzlich schwächen und so die gesellschaftliche Widerstandsfähigkeit langsam untergraben (vgl. Breitmeier, 2009, S. 12; Homer-Dixon, 1994, S. 35f.; Scheffran, 2011, S. 33).

Ein weiteres Ergebnis der Umweltkonfliktforschung besteht darin, dass zwischenstaatliche gewaltsame Konflikte und Kriege infolge von Umweltveränderungen nicht zu erwarten sind. Vielmehr ist mit lokalen und verstreuten Konflikten geringerer Intensität zwischen sozialen Gruppen zu rechnen. (vgl. Homer-Dixon, 1994, S. 6; Mildner et al., 2011, S. 16; Scheffran, 2011, S. 35; J. Waldmann, 2011, S. 452; WBGU, 2007, S. 173f.)

Die Erkenntnisse aus der Umweltkonfliktforschung legen somit nahe, dass es zwar keinen direkten kausalen Zusammenhang zwischen Umweltveränderungen, Ressourcenknappheit und gewaltsamen Konflikten gibt, es durch komplexe Wechselbeziehungen und Verstär­kungseffekte mit politischen, sozialen und ökonomischen Faktoren aber durchaus zu einer konfliktträchtigen Destabilisierung von Staaten und Gesellschaften kommen kann (vgl. Breitmeier, 2009, S. 12f.; Brzoska, Kalinowski, Matthies & Meyer, 2011, S. 11; WBGU, 2007, S. 31).

Doch trotz bereits in der Vergangenheit, vor allem anhand qualitativer Studien beobachtet­er gewalttätiger Konflikte über Landnutzungsrechte, Bodendegradation, Wasser und den Export von Konflikten durch die dadurch ausgelöste Migration (vgl. Bernauer et al., 2012, S. 4; WBGU, 2007, S. 31ff.) zeigt sich weiterhin „ein großer Bedarf an interdisziplinärer Forschung, um die Zusammenhänge besser zu verstehen“ (Scheffran, 2011, S. 37).

Durch widersprüchliche quantitative Untersuchungsergebnisse kann hingegen aufgrund vielfacher analytischer Probleme nicht darauf geschlossen werden, dass es keine Zusam­menhänge gibt. Deshalb sollte in zukünftigen Untersuchungen, beispielsweise bei der Variablencodierung beachtet werden, dass Umweltprobleme in der Regel indirekt wirken und somit direkte Konfliktgründe hervorrufen oder verstärken können. Zudem sollten Umweltbedingungen nicht nur national, sondern lokal betrachtet und ebenso Gewaltkon­flikte geringerer Intensität und ohne Regierungsbeteiligung in Untersuchungen einbezogen werden. (vgl. Bernauer et al., 2012, S. 3ff.)

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Details

Seiten
Erscheinungsform
Erstausgabe
Jahr
2012
ISBN (PDF)
9783956846663
ISBN (Paperback)
9783956841668
Dateigröße
1003 KB
Sprache
Deutsch
Institution / Hochschule
Universität Koblenz-Landau
Erscheinungsdatum
2015 (Februar)
Note
1,3
Schlagworte
Klimakrieg Versicherheitlichung Sicherheitspolitik Klimaschutz Internationale Politik
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Titel: Krieg und Frieden im Angesicht des Klimawandels: Eine Analyse der vom anthropogenen Klimawandel ausgehenden Konfliktrisiken
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