Intergruppale Einstellungen: Welchen Einfluss hat stellvertretender Kontakt?
Zusammenfassung
Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
2.3. Soziale Identitätstheorie
Angestoßen von dem Minimalgruppen-Paradigma wandten sich Tajfel und Turner (1979, 1986) der Frage zu, wie es dazu kommt, dass Menschen solche oben genannten Entscheidungen treffen, welche eine klare Bevorzugung der Ingroup verdeutlichen. Dabei entwickelten sie den Ansatz, dass Personen sich nicht nur als einzelne Individuen mit ihren Charakteristika definieren, sondern auch als Mitglied einer Gruppe. Diese soziale Identität wird beispielsweise auch in Kontakten zwischen Gruppen wirksam und vor allem bei jeglicher Art von intergruppalen Konflikten oder Vergleichen. An dieser Stelle werden die für diese Arbeit essenziellen und bedeutsamen Ergebnisse der sozialen Identitätstheorie zusammengefasst. In Bezug auf die soziale Identität sind dabei für Individuen drei Punkte von Bedeutung (Tajfel & Turner, 1979, 1986):
1. Menschen streben nach einem positiven Selbstkonzept. Entsprechend ist in Bezug auf die Gruppe eine positive soziale Identität bedeutsam.
2. Eine positive soziale Identität wird durch Vergleiche zwischen der Eigengruppe und der relevanten Fremdgruppe hergestellt. Positiv wird die soziale Identität hierbei, wenn der Vergleich positiv für die Eigengruppe ausfällt.
3. Ist der oben genannte Vergleich nicht erfolgreich, tendiert das Gruppenmitglied entweder dazu, die Eigengruppe für eine positivere Gruppe zu ‚verlassen‘, oder aber, eine Möglichkeit zu finden, die Eigengruppe positiver bewerten zu können.
Der Begriff des ‚Gefühls‘ ist dabei von großer Bedeutung. Durch die soziale Kategorisierung ordnet sich das Individuum einer Gruppe zu und fühlt sich dieser zugehörig. Die soziale Identität ist folglich auch mit einer affektiven Komponente verbunden. Wie weiter oben schon angedeutet, steht dabei das Streben nach einer positiven Distinktheit, also die positive Unterscheidung der Eigengruppe von der Fremdgruppe, im Vordergrund. Anzumerken ist, dass in solchen Vergleichs- oder Urteilssituationen die soziale Kategorie salient ist und sich das Individuum mit der sozialen Kategorie identifizieren muss (Wagner, 2006).
2.4. Schaffung eines positiven Intergruppenkontaktes
Es wird deutlich, dass die Normen der Gruppe und die Favorisierung der Ingroup Einfluss auf den Kontakt zwischen Gruppen haben. Wie ist es nun möglich, Einstellungen dahingehend zu ändern, dass ein positiver Intergruppenkontakt erreichbar ist? Dabei ist es wesentlich, eine Unterscheidung der intergruppalen Kontaktarten in direkte und indirekte Kontakte zu treffen. Vertreter der Theorie der Einstellungsänderung durch direkten Kontakt, wie Allport und Pettigrew, sahen in dieser Form des Kontakts eine gute Möglichkeit zum Abbau von intergruppalen Vorurteilen (Pettigrew, 1997, 1998). Eine Unterscheidung zwischen direktem und indirektem Kontakt erscheint trivial, bedarf in diesem Kontext dennoch Beachtung und wird anhand der folgenden Theorien ausgeführt.
2.4.1. Direkter Intergruppenkontakt
Der Einfluss von Kontakt auf die Einstellung von Gruppenmitgliedern zur jeweils anderen Gruppe fand 1957 mit der Kontakthypothese des Sozialpsychologen Gordon William Allport einen Höhepunkt in der Vorurteilsforschung. Wie schon erwähnt, ist die Erforschung des Abbaus von Vorurteilen historisch eng mit der Rassentrennung in den USA und den damit verbundenen Auswirkungen verbunden. Mitte der 1950er-Jahre entwickelte sich um Gordon W. Allport eine Theorie zur Reduktion von Vorurteilen durch direkten Intergruppenkontakt (Allport, 1958). Bei dieser im Allgemeinen als Kontakthypothese bekannten Theorie wird betont, dass mit dem positiven Intergruppenkontakt Bedingungen verknüpft sind, welche das Gelingen bestimmen. Vorurteile können demnach durch gleichen Status der Majoritäts- und Minoritätsgruppen, hier die Eigen- und Fremdgruppe, respektive allgemein der beiden Gruppen in der Kontaktsituation selbst (1) unter Einbezug von einem übergeordneten, gemeinsamen Ziel (2) abgebaut werden. Um diese gemeinsamen Ziele zu erreichen, ist eine kooperative Haltung zwischen den Gruppen notwendig (3). Unterstützt werden kann diese durch Normen, Rechte und Autoritäten, die diesen Kontakt fördern (4). Diese Bedingungen wurden zu einem späteren Zeitpunkt, 1998, durch Allports Schüler Thomas F. Pettigrew erweitert. Er postulierte in seinen Untersuchungen, dass intergruppale Freundschaft (5) eine starke Vorhersagekraft für die Reduktion von Vorurteilen hat (Pettigrew, 1998).
Ferner kritisierte Pettigrew an Allports Kontakthypothese, dass vermittelnde Prozesse nicht in Betracht gezogen werden und zudem keine Gedanken zur Generalisierung Platz in seiner Theorie finden. In seiner oben genannten Forschungsarbeit zum Intergruppenkontakt ermittelte er vier Prozesse, die sich positiv auf die Reduktion von Vorurteilen auswirken sollen (Pettigrew, 1998): (1) Zum einen stellen die Informationen respektive das Wissen über die Fremdgruppe einen Faktor dar, welcher hilfreich sein kann. Das Wissen, welches über die Fremdgruppe erlangt wird, soll zum Abbau von negativen Einstellungen gegenüber der Fremdgruppe führen und somit auch zum Abbau von Vorurteilen. Studien zeigen, dass Wissen allein nicht zum Abbau von Vorurteilen beiträgt. Zusätzlich kann (2) Verhaltensänderung dazu führen, dass sich die Einstellung ändert. Mit einer positiv gefärbten Einstellung, wie Akzeptanz der Fremdgruppenmitglieder, in einen Intergruppenkontakt zu gehen, kann also dazu führen, dass diese positiven Erwartungen sich bestätigen. Somit kann bei wiederholtem Kontakt durch die veränderte Erwartung und dementsprechend verändertem Verhalten die Einstellung geändert und verbessert werden. Affektive Bindungen zur Fremdgruppe (3) liefern die Möglichkeit, Befürchtungen abzubauen, die wiederum dazu führen, den intergruppalen Kontakt zu meiden. Sofern die Ängstlichkeit gegenüber der Fremdgruppe einem Kontakt nicht im Weg steht oder durch die genannten Mechanismen überwunden wird, kann vermehrter Kontakt zu einer emotionalen Bindung führen und dies resultiert in einem positiveren Bild der Fremdgruppe. Schließlich ist eine Neubewertung der Eigengruppe von Belang (4). Durch den Kontakt zur Fremdgruppe und auch durch die Öffnung der Eigengruppe werden Informationen über die jeweils andere Gruppe erlangt. Eine Erweiterung der eigenen Ansichten folgt und führt im Optimalfall dazu, dass die Eigengruppe nicht mehr als die einzig zu akzeptierende Gruppe gewertet wird. Dies lässt Raum, andere Ideen zuzulassen und somit auch Vorurteile zu reduzieren bzw. die Einstellung zu ändern.
Pettigrew postuliert in seiner revidierten Version zum Intergruppenkontakt, 1998, einen Weg, mit dem Vorurteile in idealer Form abgebaut werden können. Dazu vereint er drei wichtige Theorien, die im Folgenden Beachtung finden. Zuerst (1) ist an dieser Stelle das Dekategorisierungsmodell von Brewer und Miller (1984) zu nennen. Um die Tendenz der wahrgenommenen Homogenität der Fremdgruppe zu durchbrechen, soll durch die Dekategorisierung eine Differenzierung der Fremdgruppe erreicht und die Personalisierung bestärkt werden. Es soll eine Verschiebung von der intergruppalen zur interpersonalen Ebene bewirkt werden, welche die Heterogenität der Outgroup betont. Diese veränderte Wahrnehmung des Fremdgruppenmitgliedes und damit die Übertragung auf die Fremdgruppe kann dann scheitern, wenn das Fremdgruppenmitglied als untypisches Beispiel für die Outgroup wahrgenommen wird.
Einen anderen Ansatz (2) verfolgten Gaertner und Dovidio (2000) mit dem Modell der gemeinsamen Eigengruppe respektive common ingroup identity model. Die Einstellung zur Fremdgruppe soll durch eine neue Deutung der Gruppengrenze, also eine Bildung einer gemeinsamen Eigengruppe geschehen. Im Gegensatz zur Dekategorisierung wird eine Rekategorisierung und Favorisierung der Fremdgruppe angestrebt, da sie nun Teil der eigenen Gruppe ist.
Im intergroup contact model bzw. Modell der wechselseitigen Differenzierung (3) nach Hewstone und Brown (1986) wird die Problematik der Theorie der gemeinsamen Eigengruppen aufgegriffen, die sich darin begründet, dass die Neustrukturierung von Gruppen nicht immer bewerkstelligt werden kann. Dies ist beispielsweise bei nicht sozial formierten Gruppen oft der Fall, welche starr in ihrer Form und nicht anders strukturiert werden können. So ist es hilfreich, die Situation beim Intergruppenkontakt in einer Form zu gestalten, dass die Mitglieder der Fremdgruppe als Repräsentanten angesehen werden können und somit die Einstellung zum Fremdgruppenmitglied auf die Gruppe generalisiert werden kann.
Auch Allports Bedingungen werden in Pettigrews Modell integriert. Die situativen Faktoren, wie sie durch die in Allports Theorie genannten Bedingungen in der Kontakthypothese zu finden sind, sind in der neueren Fassung der Theorie zum Intergruppenkontakt (Pettigrew, 1998, S.77) als „essentielle und erleichternde situative Faktoren“ beinhaltet. Sie bilden die „Eingangssituation“ und gehen in den anfänglichen oder ersten Kontakt über. Auch Erfahrungen und Charakteristika haben Einfluss auf den ersten Kontakt. In diesem anfänglichen Kontakt findet das Dekategorisierungsmodell nach Brewer und Miller Anwendung. Im besten Fall sollen beim Intergruppenkontakt die Mitglieder aus ihrer Gruppenzugehörigkeit gelöst werden, womit die Möglichkeit zur neuen, unbefangenen Bewertung besteht. Der Ablauf des Gruppenkontakts in diesem Modell ist nicht statisch und nur als Anhaltspunkt für Intergruppenkontakt zu sehen. Unter optimalen Bedingungen wird die erste Ängstlichkeit abgebaut und es kommt zu einem freundschaftlichen Kontakt, allerdings ohne Generalisierung auf die Bewertung oder Einstellung gegenüber der Outgroup.
2.4.2. Indirekter Intergruppenkontakt
Nach Mazziotta et al. (2011) ist der indirekte intergruppale Kontakt jede Art von Kontakt, die keine tatsächliche Interaktion der Gruppen untereinander beinhaltet. So lässt sich der indirekte Kontakt in drei, nicht scharf voneinander abzugrenzenden Arten unterteilen: imagined oder gedachter intergruppaler, vicarious oder nachempfundener und stellvertretender Kontakt. Crisp und Turner (2009) beschreiben imagined contact als mentale Simulation eines sozialen Kontaktes. Als Beispiel können an dieser Stelle Berichte durch Medien genannt werden, welche als Vorbild für ein gewünschtes oder bestimmtes Verhalten gegenüber der Fremdgruppe fungieren. Der vicarious oder nachempfundene intergruppale Kontakt ist nach Mazziotta et al. (2011) eine Form des indirekten Kontaktes, bei der eine Beobachtung eines erfolgreichen Kontaktes zwischen einem Eigen- und einem Fremdgruppenmitglied erfolgt und somit zum Abbau von Vorurteilen oder Aufbau des positiven Intergruppenkontaktes führt. Dabei ist ersichtlich, dass eine starke Verbindung zu Banduras sozialkognitiver Lerntheorie (1986) besteht, bei welcher das Lernen am Modell im Vordergrund steht. Der extended contact oder stellvertretende Kontakt nach Wright, Aron, McLaughlin-Volpe und Ropp (1997) besagt, dass zum Aufbau positiver Intergruppeneinstellungen respektive zum Abbau von Vorurteilen die Kenntnis genügt, dass ein Eigengruppenmitglied eine Beziehung zu einem Fremdgruppenmitglied pflegt.
Bereits 1994 zeigte Pettigrew auf einem Meeting der „ Society of Experimental Social Psychology (SESP)“, dass Freundschaften einen positiven Wandel in Einstellungen bewirken können. Dies bewegte Aron und Wright dazu, den Einfluss der Freundschaft weiter zu untersuchen (Wright, Aron & Brody, 2008). Wright et al. sahen in den vorangegangenen Theorien zum Intergruppenkontakt Problematiken, die sie durch ihr Modell des stellvertretenden Kontaktes zu lösen versuchten. Beim Vorurteilsabbau kann es zum sogenannten Subtyping kommen. Dabei können Fremdgruppenmitglieder, die die geltende Einstellung oder Erwartung zur Fremdgruppe nicht bestätigen, als ‚Ausnahme von der Regel‘ betrachtet werden, und folglich scheitert eine positive Veränderung bezüglich der Einstellung zur gesamten Fremdgruppe (Richards & Hewstone, 2001). Demnach sollte nach Wright et al. Kontakt dermaßen gestaltet sein, dass interpersonale Nähe erzeugt wird, im Sinne der unten ausgeführten Inkludierung des anderen in das Selbst (Including Other in the Self, IOS), und die Mitglieder der Fremdgruppe als repräsentativ gesehen werden. Jedoch zeigt sich an dieser Stelle die größte Hürde des Intergruppenkontaktes, dass die Salienz der Gruppenmitgliedschaft Ängstlichkeit und Bedrohung beim Beobachter auslösen kann (Blascovich, Mendes, Hunter, Lickel & Kowai-Bell, 2001). Wright et al. belegten ihre Theorie 1997 anhand von vier Untersuchungen und drei unterschiedlichen Designs, die im Anschluss an die Darstellung der postulierten Mechanismen beschrieben werden.
1. Das positive Eigengruppenbeispiel wird in drei Aspekte unterteilt und dadurch auch besser beschrieben und verständlich. Den ersten Aspekt bilden die Normen der Eigengruppe. Gemeint sind die Normen, die die Eigengruppe bezüglich des Verhaltens gegenüber Fremdgruppen pflegt. Diese Einflussnahme der Gruppen und ihren Normen unterliegt einem Prozess, dem des referent informational influence. Dieser Prozess wird mithilfe der sozialen Identitätstheorie beschrieben (Tajfel & Turner, 1979, 1986) und liefert eine Erklärung für den sozialen Einfluss und der Konformität von Gruppen. Demnach übernimmt das Individuum die Normen der Eigengruppe, da die Eigengruppe ein Gefühl der Zugehörigkeit hervorruft und die Normen relevant für das eigene Selbst sind. Als Repräsentant dieser genannten Normen kann das beobachtete Eigengruppenmitglied fungieren. Dabei wird das Eigengruppenmitglied als austauschbar mit dem Selbst erlebt (Wright et al., 1997) und das ausgeübte Verhalten kann in die eigenen Normen respektive Verhaltensregeln gegenüber Fremdgruppenmitgliedern übernommen werden. Zudem verweisen Wright et al. auf Schopler et al. (1993). Nach dem dort postulierten Diskontinuitätseffekt können die meist konkurrierend verlaufenden intergruppalen Interaktionen überwunden werden, wenn der motivationale und normative Druck in der Gruppe unterschiedlich ausgeprägt ist. Die dadurch erzeugte Ambivalenz, aber auch die Empfänglichkeit für sozialen Einfluss legt die Grundlage dafür, dass das kooperative Verhalten eines einzigen Gruppenmitgliedes, bezüglich der Fremdgruppe, die Möglichkeit auf vermehrtes kooperatives Verhalten der Gruppe mit sich bringen kann. Der zweite Aspekt bezieht sich auf die Ängstlichkeitsreduktion respektive intergruppale Ängstlichkeit (Stephan & Stephan, 1985). Dabei kann die Ängstlichkeit gegenüber dem Intergruppenkontakt durch die Beobachtung eines positiven Kontaktes zu einem Fremdgruppenmitglied reduziert werden. Die letzte Komponente des positiven Eigengruppenbeispiels besteht in der Reduktion der Ignoranz. Die Kommunikation mit dem Mitglied der Gruppe, das eine Beziehung zum Fremdgruppenmitglied pflegt, kann zum Abbau von Missverständnissen und anders wahrgenommenen Eigenschaften der Fremdgruppe führen.
2. Ein positiv wahrgenommenes Fremdgruppenmitglied und damit ein ‚Positivbeispiel‘ gehört auch zu den postulierten Mechanismen, durch die eine positivere Einstellung zur Fremdgruppe geschaffen werden kann. Die Beziehung zwischen Eigen- und Fremdgruppenmitglied kann Informationen darüber bereitstellen, wie intergruppale Kontakte respektive Beziehungen verlaufen können. Bei einer wahrgenommenen engeren Beziehung kann zudem geschlussfolgert werden, wie die Einstellung der Fremdgruppe gegenüber der Eigengruppe respektive die Fremdgruppennormen gestellt sind. Daraus lässt sich im positiven Fall schlussfolgern, dass die Fremdgruppe eine positive Einstellung zur Eigengruppe hat und an einem harmonischen Verhältnis interessiert ist. Dies kann den zukünftigen Kontakt erleichtern.
3. Den anderen in das eigene Selbst inkludieren (IOS), verdeutlicht in Abbildung 1, beschreibt den Umstand, dass die Nähe zum Eigengruppenmitglied darin münden kann, dass dieses als Teil des Selbst gesehen wird. Dies behält auch in der Beziehung zwischen Eigen- und Fremdgruppenmitglieder Gültigkeit. Dabei stützen sich Wright et al. (1997) auf die Erkenntnisse von Aaron und Aron (1996). Da die Freundschaft zwischen Eigen- und Fremdgruppenmitglied auch eine Überlappung respektive Inklusion in das Selbst beinhaltet, kann das Fremdgruppenmitglied auch in das Selbst des Beobachtenden, nicht direkt befreundeten Mitglieds inkludiert werden. Jedoch schränken Wright et al. ihre Theorie soweit ein, dass sie betonen, dass die Generalisierung auf die Fremdgruppe erschwert werden kann, wenn das Fremdgruppenmitglied als Ausnahme gesehen wird.
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Abbildung 1: Transitiver Inklusionsprozess. Anmerkung: Pfeile repräsentieren das Inkludieren des anderen in das Selbst. Pfeil 5 stellt die Inklusion der Fremdgruppe in das Selbst dar. Der gebogene Pfeil verdeutlicht die positiven Einstellungen, die durch das IOS bewirkt werden sollen. Eigene Darstellung in Anlehnung an Wright, Aron und Brody (2008, S.151).
Das Ziel ihrer Untersuchungen (Wright et al., 1997) war die Bestätigung der Mechanismen des stellvertretenden Kontaktes und wie sich diese und die Typikalität, ‚ typicality‘, auf den Abbau von Vorurteilen auswirken. In ihrer ersten Untersuchung waren die Versuchspersonen Mitglieder der vorherrschenden Majorität, deren Einstellungen zur Minorität mittels Fragebogen ermittelt werden sollten. Es stellte sich heraus, dass die Versuchspersonen, die eine Freundschaft zwischen einem Fremd- und Eigengruppenmitglied wahrnahmen, weniger Vorurteile gegenüber der Fremdgruppe zeigten. Zudem beeinflusste die Anzahl derer, die eine Freundschaft zu einem Fremdgruppenmitglied pflegten, positiv die Vorurteile gegenüber der Fremdgruppe. Auch die wahrgenommene Überlappung zwischen dem Selbst- und Fremdgruppenmitglied zeigte einen Einfluss auf die Vorurteile. Je größer die Überlappung, desto geringer ausgeprägt waren die Vorurteile.
In der zweiten Untersuchung wurden mittels Kreuzvalidierung die Annahmen der ersten Untersuchung bestätigt. Ein anderer Ansatz fand in der dritten Untersuchung Anwendung. In dieser Laborstudie wurde ein Intergruppenkonflikt konstruiert. Zu einem späteren Zeitpunkt sollten die Teilnehmer der konkurrierenden Gruppen zusammen an einer anderen Studie teilnehmen. Diese fiktive Studie wurde ihnen suggeriert, um eine Beziehung zwischen den beiden Gruppen zu schaffen. Anhand des Minimalgruppen-Paradigmas (Tajfel et al., 1971) sollte untersucht werden, ob nach dieser Freundschaftsintervention mehr positive Bewertungen der intergruppalen Beziehungen, weniger negative Intergruppendifferenzierungen und ein gesenkter intergruppaler Bias gemessen werden konnte als vor der Intervention. Die Hypothesen konnten weitgehend bestätigt werden: Die Postinterventionsmessungen unterstützten die Vermutung, dass die intergruppalen Beziehungen besser oder positiver bewertet werden. Zudem wurde in drei von vier Fällen die Eigengruppe nicht mehr favorisiert. In vielen Fällen wurde eine bessere Einstellung zur Fremdgruppe festgestellt und die intergruppale Beziehung wurde positiver bewertet. Einschränkungen sind auch hier zu machen, da es sich um ein Quasi-Experiment handelt und somit keine Randomisierung stattfand.
In der letzten Untersuchung zur Überprüfung ihrer stellvertretenden Kontakt-Theorie wendeten Wright et al. eine abgewandelte Form des Minimalgruppen-Paradigmas an. Den Teilnehmern wurde in einer Laborstudie mitgeteilt, dass sie in zwei verschiedene Gruppen unterteilt werden und diese Einteilung aufgrund einer vorher absolvierten Aufgabe stattfindet. Daraufhin sollten die Teilnehmer die Interaktion zwischen einem Fremd- und einem Eigengruppenmitglieds während einer Puzzle-Aufgabe beobachten. Diese Interaktion konnte unter drei verschiedenen Bedingungen stattfinden:
Die Freundschaftsbedingung beinhaltete eine freundliche Begrüßung („Oh, ich wusste gar nicht, dass du auch hier bist!“) beim Betreten des Raumes und nonverbale Zeichen, die auch Berührung inkludierte. Zudem verließen beide nach Erledigung der Aufgabe gemeinsam den Raum. Unter der neutralen Bedingung begrüßten sich die zu Observierenden mit einem neutralen „Hallo!“. Dabei waren sie während der Interaktion höflich, jedoch gab es keine Hinweise auf eine intime oder vertraute Beziehung. Nach Beendigung der Aufgabe gingen sie hintereinander aus dem Raum. Die Interaktion unter der Feindbedingung begann mit demselben Satz wie unter der Freundschaftsbedingung, allerdings überaus negativ getönt. Die Interaktion war gezeichnet von entsprechender nonverbaler Gestik, wie Arme verschränken. Zum Schluss verließen sie getrennt voneinander den Raum. Die Erwartung war, dass die Freundschaftsbedingung einen niedrigeren Eigengruppen-Fremdgruppen-Bias zeigen würde als die beiden anderen Bedingungen.
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Abbildung 2: Durchschnittsevaluation der Eigen- und Fremdgruppe unter den drei Bedingungen in Untersuchung vier (Wright et al., 1997, S. 86).
Die Beobachtung der Freundschaftsbedingung führte tatsächlich zu positiveren Bewertungen der Fremdgruppe als die anderen beiden Bedingungen. Zudem fand die Hypothese Unterstützung, dass nach Beobachtung der Freundschaftsbedingung der Eigengruppen-Fremdgruppen-Bias reduziert werden konnte. Wright et al. zogen daraus den Schluss, dass der Effekt des stellvertretenden Kontaktes durch vier Mechanismen mediiert wird:
1. positive Normen der Eigengruppe bezüglich der Fremdgruppe
2. Reduktion der intergruppalen Ängstlichkeit
3. positive Normen der Fremdgruppe bezüglich der Eigengruppe
4. IOS
2.5. Fragestellung
Aufgrund der Forschungen zu intergruppalen Einstellungen ist für diese Arbeit von besonderem Interesse, wie Einstellungen zwischen Gruppen in eine positive Richtung verändert werden können. Die von Wright et al. (1997) formulierte Theorie des stellvertretenden Kontaktes postuliert vier Mechanismen, die sich auf diese Einstellungen auswirken können und sollen. Sind diese Mechanismen nach dem Stand der heutigen Forschung noch haltbar oder hat sich inzwischen gezeigt, dass es vielmehr andere Faktoren sind, die positiven Intergruppenkontakt bewirken können? Dabei ist es zudem ein Anliegen dieser Arbeit herauszufinden, ob Faktoren existieren, die diesen Effekt begünstigen oder auch schwächen können. Davon leiten sich die folgenden fünf Hypothesen ab:
1. Emotionen und intrapersonale Faktoren haben einen Einfluss auf die Effektivität des stellvertretenden Kontaktes auf intergruppale Einstellungen.
2. Die empfundene Nähe, wie auch IOS, beeinflusst dabei die Veränderung der Einstellung zwischen Gruppen.
3. Die Möglichkeit zum direkten Kontakt hat einen Einfluss auf die Wirksamkeit des stellvertretenden Kontaktes.
4. Die Typikalität des Fremdgruppenmitglieds macht eine Generalisierung der Erfahrung des stellvertretenden Kontaktes auf die Fremdgruppe möglich.
5. Sowohl Fremd- als auch Eigengruppennormen zeigen sich als wirkungsvolle Mediatoren.
3. Methode
3.1. Ein- und Ausschlusskriterien
Für diese Arbeit wurden unterschiedliche Arten von Literatur herangezogen. Für den Grundlagenteil wurden vor allem Lexika, Handbücher und die daraus folgende Grundlagenliteratur verwendet. Dabei wurde insbesondere Primärliteratur gebraucht, um die Theorien korrekt beschreiben zu können. Bei der Auswahl der Studien, die in dieses Review mit einbezogen werden sollten, ging es um die Fokussierung auf das Thema des stellvertretenden Kontaktes, wobei andere indirekte Kontaktarten, wie imagined contact und vicarious contact keine Beachtung finden sollten. Diese Abgrenzung gestaltete sich jedoch als schwierig, da beispielsweise gerade in Studien mit Kindern und Jugendlichen Bücher als Medium des stellvertretenden Kontaktes genutzt werden und deren Effekt auf Einstellungen untersucht wird. Dies wäre per Definition imagined contact zuzuordnen. Daher wurden auch diese Studien mit in die Arbeit eingeschlossen, wenn stellvertretender Kontakt als solcher operationalisiert wurde. Dabei wurde das Augenmerk darauf gelegt, dass der Untersuchungsschwerpunkt auf dem stellvertretenden Kontakt und dessen Auswirkungen, inklusive der Mediatoren, liegt.
Da die zugrunde liegende Theorie aus dem Jahre 1997 stammt, wurden Studien ab diesem Zeitpunkt bis 2013 zugelassen. In die Untersuchung gingen sowohl Studien mit Erwachsenen als auch mit Kindern ein, wobei die Anzahl derer mit Kindern und Jugendlichen überwiegt. Diese Arbeit konzentriert sich dabei auf die Effekte des stellvertretenden Kontaktes auf intergruppale Einstellungen und auf Faktoren, die intergruppale Einstellungen beeinflussen können. Auswirkungen auf Phänomene wie beispielsweise Erwartungen finden dabei lediglich Beachtung, wenn sie in Studien mit inbegriffen sind, welche intergruppale Einstellungen untersuchen. Die Studien stammen aus Großbritannien, Irland, Deutschland, USA, Norwegen, Finnland, Italien, Spanien und Rumänien.
3.2. Vorgehen
Zu Beginn dieser Arbeit wurde die Datenbank Ebsco vorerst nach dem Begriff ‚ extended contact ‘ in einem Zeitraum von 2005 bis 2013 durchsucht, um den Stand der neuesten Forschung aufgreifen zu können, wobei sich über 800 Treffer ergaben. Nach Überprüfung der Relevanz stellte sich heraus, dass es vor diesem Zeitraum noch Studien gab, die für das Thema von Bedeutung sind. So wurde der Zeitraum auf 1997, dem Jahr der Entwicklung der Theorie des stellvertretenden Kontaktes, bis heute erweitert und dies erweiterte die Treffer für den genannten Begriff auf über 1200. Für den deutschen Begriff, stellvertretender Kontakt, wurden keine Studien gefunden. Daher beschränkt sich diese Arbeit auf die englischsprachige Forschung. Es stellte sich heraus, dass es zum Thema ‚indirekter Kontakt‘ und zum allgemeinen Begriff ‚intergruppaler Kontakt‘ oder auch ‚cross group‘ viele Studien gibt, diese jedoch zu allgemein sind und daher nur dann Beachtung fanden, wenn sie den stellvertretenden Kontakt zum Untersuchungsgegenstand hatten. Auch die Suche nach ‚ intergroup dynamics ‘ brachte für den hier gefragten Themenbereich keine brauchbaren Ergebnisse.
In Ebsco wurde die Funktion ‚ peer reviewed ‘ hinzugezogen, um nur wissenschaftlich geprüfte Studien in dieses Review einzuschließen. Zusätzlich zu der Suche bei Ebsco wurde die Universitätsbibliothek zu Köln hinzugezogen. Die dort gefundene Literatur ist zum großen Teil online verfügbar. Durch diesen Zugang war es möglich, einige Studien zu erhalten, zu welchen durch den Zugang der FernUniversität Hagen kein Zugriff besteht. Die Suche nach den Studien ergab sich durch die bereits gesichteten Studien, welche auf diese Studien verwiesen. Zum stellvertretenden Kontakt ist die Forschung noch nicht so weit fortgeschritten, dass es möglich war, viele Quellen auszuschließen. Ein essenzielles Einschluss- bzw. Ausschlusskriterium war die inhaltliche Begrenzung auf intergruppale Einstellungen. Ein weiterer Ausschluss geschah aufgrund von zu weit greifenden Thematiken, wie ‚intergruppaler Kontakt‘. Ein Bewertungskriterium gab es zusätzlich: Es stellte sich heraus, dass der Schwerpunkt der Forschung auf Faktoren liegt, welche den Einfluss des stellvertretenden Kontaktes auf intergruppale Einstellungen vermitteln. Daher wurde das Augenmerk auf die Studien gelegt, die untersuchen, welche Prozesse und Faktoren den Einfluss des stellvertretenden Kontaktes auf intergruppale Einstellungen mediieren. Es ergaben sich 21 relevante Studien, die im Weiteren kurz erläutert werden.
3.3. Einbezogene Quellen
In dieser Arbeit sind 21 Studien mit 26 Untersuchungen geprüft worden. Zur besseren Übersicht sind die wichtigsten Daten zu den Studien in der folgenden Tabelle aufgeführt. Eine ausführliche Tabelle befindet sich im Anhang (Anhang A, Ausführliche Tabelle zu Studien). Die Versuchspersonen in den Studien und den darin enthaltenen Untersuchungen waren überwiegend Schüler (zwölf Untersuchungen, eine davon eine Studie mit Highschool-Studenten), gefolgt von sieben Untersuchungen mit Studenten und sieben Untersuchungen mit Erwachsenen bzw. allgemein Personen über 16 Jahren.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Tabelle 1: Einbezogene Quellen. Eigene Darstellung. Anmerkung: „N“ stellt die Anzahl der Probanden dar.
4. Ergebnis
In den untersuchten Studien zeigten sich einige Faktoren, die den Einfluss des stellvertretenden Kontaktes auf intergruppale Einstellungen mediieren. Dabei konnte überwiegend ein positiver Effekt dieser Faktoren festgestellt werden. Insbesondere wurde hier der Effekt der von Wright et al. (1997) postulierten Faktoren untersucht und zum Teil erweitert durch andere Faktoren. Es zeigte sich, dass nicht von ‚den Einstellungen‘ gesprochen werden kann. Sie müssen differenzierter formuliert werden. Beispielsweise sind hier Vorurteile und wahrgenommene Fremdgruppenvariabilität zu nennen.
Auffällig ist, dass ein Großteil der Studien Schüler und Jugendliche im Alter von fünf bis 15 Jahren befragt. An zweiter Stelle stehen Studenten und Erwachsene. Bei Kindern und Jugendlichen wird in den Studien meist mit Geschichten oder Büchern gearbeitet, während bei Erwachsenen anhand von Fragebögen die Einstellungen erfragt werden. So wurde Ängstlichkeit in zwei Fällen als wahrgenommene oder antizipierte Bedrohung operationalisiert, stellt jedoch einen ähnlichen negativen affektiven Zustand wie die der Ängstlichkeit dar (Dhont & Van Hiel 2011; Cernat, 2011). Die Erhebungsmethoden zeigten deutliche Übereinstimmungen, wie in der folgenden Tabelle aufgeführt ist (Tabelle 2). Die Anzahl der indirekten und direkten Freundschaften der Studienteilnehmer zur Fremdgruppe wurde in den meisten Fällen mit ein bis zwei Items pro Kontaktart erfragt.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Tabelle 2: Übereinstimmungen der Erhebungsmethoden. Eigene Darstellung.
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Details
- Seiten
- Erscheinungsform
- Erstausgabe
- Erscheinungsjahr
- 2013
- ISBN (PDF)
- 9783956847301
- ISBN (Paperback)
- 9783956842306
- Dateigröße
- 914 KB
- Sprache
- Deutsch
- Institution / Hochschule
- FernUniversität Hagen
- Erscheinungsdatum
- 2015 (Februar)
- Note
- 1
- Schlagworte
- Indirekter Kontakt Vorurteil Intergruppenkontakt Sozialpsychologie extended contact Gruppe
- Produktsicherheit
- BACHELOR + MASTER Publishing