Ansatz und Bewertung von Rückstellungen in der Handels- und Steuerbilanz
Zusammenfassung
Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
Wahrscheinlichkeit der Inanspruchnahme
Es muss eine Unterscheidung zwischen der Wahrscheinlichkeit des Be- und Entstehens einer Verpflichtung und der Wahrscheinlichkeit der Inanspruchnahme stattfinden,[1] denn es bestehen in der Regel zweierlei Risiken. Zum einen kann unsicher sein, ob eine Verpflichtung dem Grunde nach rechtlich besteht und zum anderen kann bei rechtlich bestehender Verpflichtung unsicher sein, ob tatsächlich eine Inanspruchnahme durch den Gläubiger stattfinden wird.[2]
Der Bilanzierende muss somit für den Ansatz einer Rückstellung ebenso ernsthaft mit deren Inanspruchnahme rechnen[3], wobei eine Ungewissheit über den Zeitpunkt der Inanspruchnahme unerheblich ist.[4]
Keine aktivierungspflichtigen Aufwendungen
Bei den in der Rückstellung erfassten Aufwendungen darf es sich nicht um aktivierungspflichtige Anschaffungs- oder Herstellungskosten handeln. Für diese besteht ein Rückstellungsverbot. Somit kommt der Abgrenzung zwischen nachträglichen Anschaffungskosten, aktivierungspflichtigen Erhaltungsaufwendungen und sofort abzugsfähigem Aufwand eine besondere Bedeutung zu.[5]
Passivierungsverbot
Für andere Zwecke als die in § 249 Abs. 1 HGB genannten, dürfen gem. § 249 Abs. 2 HGB keine Rückstellungen gebildet werden. Somit wird die abschließende Auflistung zulässiger Rückstellungen des Abs. 1 klargestellt. Das Verbot dient der Abgrenzung von solchen Posten, denen der Bezug zum abgelaufenen Geschäftsjahr oder der Verbindlichkeitscharakter fehlt und die in Wirklichkeit der allgemeinen Zukunftsvorsorge dienen und folglich einen Rücklagencharakter besitzen.[6]
3.1.2.2 Drohverlustrückstellungen
Rückstellungen für drohende Verluste aus schwebenden Geschäften sind den ungewissen Verbindlichkeiten zuzurechnen. Somit gelten die entsprechenden Voraussetzungen aus 3.1.2.1. ebenso für Drohverlustrückstellungen. Die Passivierungspflicht erfolgt auf Grund des Imparitätsprinzip (§ 252 Abs. 1 Nr. 4 HGB).[7] Hiernach sind im Gegensatz zu nicht realisierten Gewinnen, unrealisierte Verluste bereits zu berücksichtigen, wenn ihr Eintritt droht.[8] Ziel ist die Verlustantizipation und der Gläubigerschutz.[9]
Die Unterschiede zwischen Drohverlustrückstellungen und ungewissen Verbindlichkeiten liegen zum einen darin, dass nur eine Saldierung künftiger Einnahmen und Aufwendungen stattfindet, wobei nur die Differenz, der Verpflichtungsüberschuss, passiviert wird. Zudem gilt, dass sie zukunftsorientiert sind und sich der erfasste Verlust ausschließlich auf die Zukunft bezieht.[10]
Neben den für ungewisse Rückstellungen entwickelten Grundsätzen müssen für die Bildung einer Rückstellung für drohende Verluste weitere Voraussetzungen erfüllt sein:
- Es muss sich um ein schwebendes Geschäft handeln,
- bei dem ein Verpflichtungsüberschuss
- zu entstehen droht.
Schwebendes Geschäft
Schwebende Geschäfte sind Vertragsverhältnisse, die auf einen Leistungsaustausch gerichtet sind, dessen Erfüllung noch nicht oder noch nicht voll erfolgt ist.[11]
Das schwebende Geschäft kann in Form einer Leistungsverpflichtung, einer Sach- oder Dienstverpflichtung bestehen, wobei es unerheblich ist, ob das schwebende Geschäft auf einem einmaligen Leistungsaustausch oder einem Dauerschuldverhältnis basiert.[12]
Der Schwebezustand beginnt grundsätzlich mit dem Vertragsschluss, ist jedoch bereits durch vorvertragliche Gestaltungen oder Absichtserklärungen bei individuellen Ausgestaltungen möglich und endet mit der Erbringung der vertraglichen Lieferung/Leistung.[13]
Verpflichtungsüberschuss
„Verlust ist der Mehrwert der eingegangen Verbindlichkeit gegenüber der erworbenen Forderung (Verpflichtungsüberschuss).“[14]
In den Kompensationsbereich der Leistungen sind nicht nur die vertraglich festgelegten Vereinbarungen, sondern auch die wirtschaftlichen Vorteile, welche durch das schwebende Geschäft an sich begründet wurden, einzubeziehen, sofern diese keine reinen Hoffnungswerte darstellen.[15]
Bei Beschaffungsgeschäften ergibt sich die Leistung i. d. R. aus dem Kaufpreis. Der drohende Verlust wird durch Gegenüberstellung von Kaufpreis und erwartetem Veräußerungserlös ermittelt. Eine Orientierung an gesunkenen Wiederbeschaffungskosten stellt Opportunitätskosten dar und ist bei Waren nicht zulässig. Dies wird jedoch bei Anlagevermögen geduldet.[16]
Bei Absatzgeschäften ergibt sich der Verlust aus der Saldierung von Anschaffungs- oder Herstellungskosten und dem vertraglich festgelegten Absatzpreis. Im Gegensatz zu den Anschaffungskosten ist die Ermittlung der Herstellungskosten problematisch: Nach Teilkosten oder Vollkosten, gelten Kosten am Bilanzstichtag oder sind erwartete Kostensteigerungen miteinzubeziehen? Hier verlangt die Literatur zumindest eine Saldierung von variablen Kosten, erlaubt jedoch auch die Vollkostenrechnung. Ein eingeschränktes Wahlrecht wird für sinnvoll gehalten. Bei Bewertung der fertigen und unfertigen Erzeugnisse zu Teilkosten (Vollkosten) ist eine Bewertung der Drohverlustrückstellung zu Vollkosten (Teilkosten) inkonsistent und abzulehnen. Weiter sind nach herrschender Meinung in der Literatur hinreichend sichere Kostensteigerungen und -senkungen zu antizipieren, wobei der BFH[17] dem allerdings nicht zustimmt. Gewinnzuschläge und kalkulatorische Kosten dürfen in die Bewertung nicht einfließen.[18]
Für Dauerschuldverhältnisse gilt die Ausgeglichenheitsvermutung, wonach Leistung und Gegenleistung sich wertmäßig entsprechen. Strittig ist, ob sich die Verlustermittlung allein auf die Zukunft eines Dauerschuldverhältnisses (Restwertbetrachtung) oder auf das gesamte Vertragsverhältnis ab dem Zeitpunkt seiner Begründung (Ganzheitsbetrachtung) bezieht. Hier entschied die Rechtsprechung unterschiedlich.[19] Die Literatur präferiert jedoch den Ansatz der Restwertbetrachtung.[20] Somit besteht kein schwebendes Geschäft mehr, soweit sich Leistung und Gegenleistung in der Vergangenheit ausgeglichen haben. Für Drohverlustrückstellungen sind nur künftige Aufwendungen und Erträge und deren Unausgeglichenheit maßgeblich.[21]
Verlustdrohung
Der Verlust muss drohen. Dies bedeutet, dass ein Verlust nicht nur möglich, sondern objektiv zu erwarten ist.[22] Allgemeine Risiken (z.B. Unternehmerrisiko, Exportrisiko) sind nicht ausreichend.[23] Als objektive Anzeichen können Preisveränderungen, Terminversäumnisse oder Nichterfüllung eines Vertrages angesehen werden.[24]
3.1.3 Aufwandsrückstellungen
Aufwandsrückstellungen finden ihre Rechtfertigung in der dynamischen Bilanztheorie. Ziel ist die Zuordnung von Aufwand zu den Perioden der Verursachung. Im Gegensatz zu den Verbindlichkeitsrückstellungen ist eine Außenverpflichtung hier nicht erforderlich.[25]
3.1.3.1 Unterlassene Instandhaltung
Rückstellungen für unterlassene Instandhaltung (§ 249 Abs. 1 Satz 2 Nr.1 HGB) dienen dem Erhalt der Funktionstüchtigkeit der eigenen Anlagen und Maschinen.[26] Ist das Unternehmen gegenüber Dritten zur Vornahme von Instandhaltungsmaßnahmen verpflichtet (als Mieter an fremden Vermögensgegenständen oder an eigenen als Vermieter) kommen Rückstellungen für ungewisse Verbindlichkeiten in Betracht.[27]
Die Bildung einer Rückstellung ist gem. § 249 Abs. 1 Satz 2 Nr.1 HGB an drei Voraussetzungen gebunden:
- Der Aufwand für Instandhaltung muss unterlassen worden sein. Dies ist der Fall, wenn betriebswirtschaftlich notwendige oder geplante Instandhaltungsarbeiten nicht durchgeführt wurden, die Instandhaltung jedoch vor dem Bilanzstichtag geboten war. Zur Konkretisierung dienen z.B. Wartungspläne oder Wartungsempfehlungen des Herstellers.[28]
- Der Aufwand muss im letzten Geschäftsjahr unterlassen worden sein.
- Die Aufwendungen müssen innerhalb der Drei-Monatsfrist nachgeholt und abgeschlossen werden.[29] Dabei ist es unerheblich, ob die Arbeiten selbst oder durch Dritte ausgeführt werden.[30]
Aktivierungspflichtiger Herstellungsaufwand ist, wie in Kapitel 3.1.2.1. erläutert, nicht rückstellungsfähig.[31] Sofern eine wesentliche Veränderung/Verbesserung statt findet, ist keine Rückstellung möglich. Anstelle einer Rückstellung für unterlassene Instandhaltung kann auch eine außerplanmäßige Abschreibung auf den niedrigeren beizulegenden Wert gem. § 253 Abs. 3 S. 3 bzw. eine Teilwertabschreibung nach § 6 Abs. 1 Nr. 1 EStG in Frage kommen. Grundsätzlich entfällt der Rückstellungsgrund, wenn der unterlassene Instandhaltungsaufwand durch außerplanmäßige oder überhöhte planmäßige Abschreibungen kompensiert wurde.[32]
3.1.3.2 Unterlassene Abraumbeseitigung
Für im Geschäftsjahr unterlassene Abraumbeseitigung, die im folgenden Geschäftsjahr nachgeholt wird, ist gem. § 249 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 HGB eine Aufwandsrückstellung zu bilden. Besteht eine rechtliche Verpflichtung zur Abraumbeseitigung ist statt der Aufwandsrückstellung eine Rückstellung für ungewisse Verbindlichkeiten zu bilden.[33] Dies gilt ebenso, wenn die Abraumbeseitigung in einem früheren Geschäftsjahr unterlassen wurde und/oder in einem späteren Geschäftsjahr nachgeholt wird.[34]
3.2 Steuerrecht
3.2.1 Maßgeblichkeitsprinzip
Für die Bilanzierung von Rückstellungen in der Steuerbilanz gilt grundsätzlich das Maßgeblichkeitsprinzip des § 5 Abs. 1 S. 1 EStG.[35] Somit sind nach § 5 Abs. 1 S. 1 EStG alle buchführungspflichtigen und freiwillig bücherführenden Kaufleute, die regelmäßig Jahresabschlüsse erstellen, verpflichtet, in der Steuerbilanz das nach den handelsrechtlichen Grundsätzen ordnungsmäßiger Buchführung festgestellte Betriebsvermögen anzusetzen.
Ist die handelsrechtliche Rechnungslegung nach den Grundsätzen ordnungsmäßiger Buchführung erfolgt, ist sie als Grundlage der steuerlichen Gewinnermittlung heranzuziehen. Dies gilt sowohl in Bezug auf den Ansatz als auch auf die Bewertung von Vermögensgegenständen,[36] sofern das Steuergesetz keine Sonderregelung vorsieht.
Die umgekehrte Maßgeblichkeit nach § 5 Abs. 1 S. 2 EStG a.F. wurde durch das BilMoG außer Kraft gesetzt. Somit können steuerrechtliche Wahlrechte unabhängig von handelsrechtlichen Wahlrechten genutzt werden.[37] Zudem dürfen nun auch sämtliche GoB-konformen Wahlrechte abweichend von der Handelsbilanz ausgeübt werden.[38]
3.2.2 Steuerliche Sonderreglungen
Durch das Maßgeblichkeitsprinzip sollten die handelsrechtlichen Rückstellungsnotwendigkeiten grundsätzlich auch steuerlich Geltung finden. Auf Grund vermeintlicher Fiskalnotwendigkeiten ist dies jedoch nur äußerst eingeschränkt der Fall. Zumeist gilt steuerliches Sonderrecht.[39]
3.2.2.1 Rückstellungen für drohende Verluste aus schwebenden Geschäften
Den Ansatz von Drohverlustrückstellungen in der Steuerbilanz verbietet § 5 Abs. 4a S. 1 EStG ausdrücklich.
Einzige Ausnahme stellen hier Bewertungseinheiten dar. Ein von Hedges verbleibendes negatives Ergebnis werde in der Handelsbilanz oftmals „technisch“ als Verlustrückstellung dargestellt. Tatsächlich diene dies jedoch der Zusammenfassung einer Vielzahl verschiedener Aufwendungen und Erträge für die § 5 Abs. 4a S. 1 EStG keine Anwendung finde.[40]
Prinzipiell könnte das steuerrechtliche Ansatzverbot für Drohverlustrückstellungen durch eine steuerlich zulässige Teilwertabschreibung umgangen werden.[41] Das OLG Düsseldorf hat jedoch zumindest im Bezug auf Restwertrisiken bei Leasing-Geschäften entschieden, dass Drohverlustrückstellungen gegenüber außerplanmäßigen Abschreibungen auf den Leasing-Gegenstand zu bevorzugen sind.[42]
3.2.2.2 Verletzung fremder Schutzrechte
Grundsätzlich gelten für den steuerlichen Ansatz die handelsrechtlichen Voraussetzungen. § 5 Abs. 3 EStG stellt jedoch weitere Anforderungen, die zusätzlich für einen Ansatz in der Steuerbilanz erfüllt sein müssen. Nach § 5 Abs. 3 S. 1 Nr. 1 EStG ist Voraussetzung für die Passivierung, dass der Rechtsinhaber Ansprüche geltend gemacht hat. Unerheblich ist die Art der Ansprüche (z.B. Schadensersatz, Bereicherungsansprüche).
Geltend gemacht sind Ansprüche, wenn diese mündlich oder schriftlich gegenüber dem Steuerpflichtigen erhoben wurden. Eine gerichtliche Verfolgung ist dabei nicht notwendig. Äußerungen gegenüber Dritten, welche nicht Bote oder Vertretungsberechtigter des Steuerpflichtigen sind, sind ebenfalls unbeachtlich. Die Rückstellungsmöglichkeit hängt nicht davon ab, ob dem Anspruchssteller das geltend gemachte Schutzrecht tatsächlich zusteht und damit eine Rechtsverletzung objektiv vorliegt.[43]
Nach § 5 Abs. 3 Nr. 2 EStG dürfen derartige Rückstellungen nur gebildet werden, wenn mit einer Inanspruchnahme ernsthaft zu rechnen ist. Dies entspricht dem bereits zuvor erörterten Wahrscheinlichkeitserfordernis. Steht aber eine Patentverletzung dem Grunde nach fest, so ist nach der BFH-Rechtsprechung[44] regelmäßig davon auszugehen, dass ein daraus erwachsener Anspruch auch geltend gemacht wird. Angesichts der Überwachung des Marktes setzt dies nicht voraus, dass dem Berechtigten die Patentverletzung bekannt ist oder die Kenntniserlangung unmittelbar bevorsteht. Nur in Ausnahmefällen ist von diesem Ansatz abzuweichen. Bestehen konkrete Anhaltspunkte, dass der Verletzte z.B. wegen Rücksicht auf bestehende Geschäftsbeziehungen oder wegen finanzieller Abhängigkeit vom Verletzer stillhalten wird oder er für den Rechtsverkehr ersichtlich keine Kenntnis von der Rechtsverletzung erlangen kann, so scheidet ein Ansatz aus.[45]
Einschränkungen gegenüber dem Handelsrecht ergeben sich somit erst aus § 5 Abs. 3 S. 2 EStG. Dieser formuliert ein Auflösungsgebot der gebildeten Rückstellungen im dritten auf das Geschäftsjahr der Bildung folgenden Geschäftsjahr. Bei fortlaufender Verletzung der betroffenen Rechtsgüter bemisst sich die Frist zur Auflösung nach der erstmaligen Verletzung.[46] Wurde nach Auflösung der Rückstellung ein zivilrechtlich nicht verjährter Anspruch geltend gemacht, so ist die Rückstellung erneut zu bilden.[47]
3.2.2.3 Nicht abziehbare Ausgaben und Abhängigkeit von künftigen Gewinnen
Es dürfen keine Rückstellungen in der Steuerbilanz passiviert werden, deren Aufwand zu den nicht abzugsfähigen Ausgaben gemäß § 4 Abs. 5 bis 8 EStG gehören.[48] Dies betrifft z.B. festgesetzte Geldbußen und Zinsen auf hinterzogene Steuern. Es dürfen keine Rückstellungen gebildet werden für ungewisse Verbindlichkeiten, die nur zu tilgen sind, soweit künftige Gewinne oder Einnahmen anfallen (§ 5 Abs. 2a EStG). Klassische Beispiele hierfür sind Druckbeihilfen, Explorationskredite und Filmkredite.[49]
3.2.2.4 Künftige Anschaffungs- oder Herstellungskosten
Nach § 5 Abs. 4b S. 1 EStG dürfen Rückstellungen nicht für Aufwendungen gebildet werden, die in zukünftigen Wirtschaftsjahren als Anschaffungs- oder Herstellungskosten aktiviert werden müssen. Nicht erfasst sind auf Grund des Wortlautes „in künftigen Wirtschaftsjahren“ Aufwendungen, welche bereits aktivierten Wirtschaftsgütern als nachträgliche Anschaffungs- oder Herstellungskosten zu zuordnen sind (z.B. noch nicht abgerechnete Lieferkosten für ein Wirtschaftsgut) und Anschaffungs- oder Herstellungskosten, die ausschließlich der Erfüllung einer zukünftigen Sachleistungspflicht dienen (z.B. Aktenschränke zur pflichtgemäßen Aufbewahrung von Geschäftsunterlagen).[50]
3.2.2.5 Jubiläumszusagen
§ 5 Abs. 4 stellt ebenfalls eine steuerliche Spezialvorschrift dar und geht damit den handelsrechtlichen Grundsätzen der Rückstellungsbildung vor.[51]
Demnach dürfen Rückstellungen für die Verpflichtung zu einer Zuwendung anlässlich eines Dienstjubiläums nur gebildet werden, wenn das Dienstverhältnis (Arbeitsvertrag/ Anstellungsvertrag) insgesamt mindestens 15 Jahre und davon mindestens zehn Jahre ununterbrochen bestanden hat. Die Zusage muss zudem schriftlich erteilt sein. Sofern ernsthaft damit gerechnet werden muss, dass keine Inanspruchnahme stattfinden wird, scheidet der Ansatz aus.[52] Diese Einschränkungen sind nur auf Dienstjubiläen anzuwenden, für Firmenjubiläen gelten die handelsrechtlichen allgemeinen Ansatzkriterien ohne Einschränkung.[53]
3.2.2.6 Rückstellungen im Zusammenhang mit Kernbrennstoffen
§ 5 Abs. 4b EStG enthält ein Passivierungsverbot für die schadlose Verwertung radioaktiver Reststoffe und ausgebauter/abgebauter radioaktiver Anlagenteile, welche im Zusammenhang mit der Bearbeitung /Verarbeitung von Kernbrennstoffen gewonnen werden und keine radioaktiven Abfälle darstellen. § 5 Abs. 4b EStG schränkt nur den Ansatz von Rückstellungen für sofort abzugsfähige Aufwendungen ein, die nicht in Zusammenhang mit der Entsorgung von radioaktiven Abfällen stehen und der Wiederaufbereitung von Anlagenteilen dienen.
3.2.2.7 Pensionsrückstellungen
§ 6a Abs. 1 und Abs. 2 EStG regelt den Ansatz von Pensionsrückstellungen in der Steuerbilanz.
Nach § 6a Abs. 1 Nr. 1 EStG muss einen einklagbarer Rechtsanspruch auf Pensionsleistungen bestehen. Ob eine rechtsverbindliche Pensionszusage besteht, ist nach arbeitsrechtlichen Grundsätzen zu beurteilen. Eine Passivierung erfordert das Vorliegen des Rechtsanspruchs zum Bilanzstichtag.[54] Die rechtsverbindliche Vereinbarung muss sowohl die Pensionszusage an sich als auch deren Höhe und Berechnung beinhalten. Zudem dürfen keine Leistungen enthalten sein, welche von künftigen gewinnabhängigen Bezügen abhängen. Sie dürfen keinen Widerrufsvorbehalt enthalten oder dieser nur nach billigem Ermessen ausgeübt werden kann. Eine Pensionszusage ist auch in mündlicher Form rechtsverbindlich, jedoch ist die Rückstellungsfähigkeit in der Steuerbilanz nur bei einer schriftlichen Zusage gegeben.[55]
Eine Pensionsrückstellung darf gemäß § 6a Abs. 2 Nr. 1 EStG vor dem Versorgungsfall erstmals für das Wirtschaftsjahr gebildet werden in dem die Pensionszusage erteilt wird. Zu beachten ist, dass dies nur zulässig ist, wenn der Pensionsberechtigte bei Neuzusagen nach dem 31.12.2008 ein Mindestalter von 27 Jahren erreicht hat. Bei Zusagen vor dem 31.12.2008 kann das Mindestalter als Voraussetzung abweichen. Beruht die Zusage auf einer Entgeltumwandlungsvereinbarung (nach dem 31.12.2000 abgeschlossen, vor 01.01.2001, 30. Lebensjahr als Mindestalter) oder ist diese gesetzlich nicht verfallbar, greift kein Mindestalter.[56] Ein Lebensjahr vollendet hat der Pensionsberechtigte mit Ablauf des Tages vor seinem Geburtstag (§§ 187 Abs. 2 S. 2, 188 Abs. 2 BGB). Somit gilt ein Lebensjahr bis zur Mitte eines Jahres als vollendet, wenn der Geburtstag vor dem 02.07. eines Jahres liegt. Nach dem Eintritt des Versorgungsfalls ist keine Altersbegrenzung für die Bildung einer Pensionsrückstellung zu beachten und diese darf erstmals für das Wirtschaftsjahr gebildet werden in dem der Versorgungsfall eingetreten ist. Sowohl die erstmalige Rückstellungsbildung bei Eintritt des Versorgungsfalls als auch die Auffüllung bei Eintritt des Versorgungsfalls auf den Barwert der Pensionsverpflichtung sind nur einmalig und nur im Wirtschaftsjahr des Eintritts möglich. Sie können nicht in einem späteren Wirtschaftsjahr nachgeholt werden (Rückstellungsnachholverbot).[57]
3.2.2.8 Aufwandrückstellungen
Die nach dem BilMoG verbliebenen Aufwandsrückstellung, welche gem. § 249 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 HGB passivierungspflichtig sind, sind gemäß dem Maßgeblichkeitsgrundsatz ebenso in der Steuerbilanz abzubilden.[58]
3.3 Tabellarische Gegenüberstellung der Ansatzkriterien
Wie in den Kapiteln 3.1. und 3.2. aufgezeigt, gilt grundsätzlich wegen der Maßgeblichkeit der Handelsbilanz für die Steuerbilanz, dass Rückstellungen, welche in der Handelsbilanz zwingend zu bilden sind ebenso in der Steuerbilanz zu bilden sind. Dies gilt zumindest insoweit, wie das Steuerrecht keine Sonderregelung vorsieht.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten[59]
4. Bewertungskriterien für Rückstellungen der Höhe nach
Durch das BilMoG wurde auch die Bewertung von Rückstellungen neu geregelt. Ausgangspunkt jeder Bewertung ist nun der Erfüllungsbetrag, wonach künftige Preis- und Kostenänderungen zu berücksichtigen sind. Folglich kommt es nun handelsrechtlich nicht mehr auf die Verhältnisse am Bilanzstichtag an. Zudem sind Rückstellungen mit einer Restlaufzeit von mehr als einem Jahr zwingend abzuzinsen.[60]
4.1 Handelsrecht
Die grundlegenden handelsrechtlichen Bewertungsmaßgaben für Rückstellungen finden sich in § 253 Abs. 1 S.2 (vernünftige kaufmännische Beurteilung, Erfüllungsbetrag) und Abs. 2 S. 1 HGB (Abzinsungspflicht für langfristige Rückstellungen).
4.1.1 Einzel- und Pauschalbewertung
Rückstellungen können als Einzelrückstellungen oder als Pauschalrückstellungen gebildet werden. Im Gegensatz zu Einzelrückstellungen findet bei Pauschalrückstellungen keine Einzelbewertung statt. Sie dienen dem Grundsatz der Wirtschaftlichkeit als vereinfachende Rückstellungsermittlung für eine Vielzahl gleichartiger Geschäftsvorfälle. Der Erfüllungsbetrag wird für die Gesamtheit der einzelnen Fälle meist anhand statistischer Methoden oder Erfahrungswerten aus der Vergangenheit ermittelt.[61]
4.1.2 Vernünftige kaufm. Beurteilung
Rückstellungen sind mit dem Erfüllungsbetrag anzusetzen, welcher sich nach vernünftiger kaufmännischer Beurteilung ergibt (§ 253 Abs. 1 S. 2 HGB). Für ungewisse Verbindlichkeiten sowie für dem Grunde und der Höhe nach sichere Verbindlichkeiten ist folglich der Erfüllungsbetrag die maßgebende Bewertungsgröße zur Rückstellungsbewertung.[62] Ausnahme stellt hier nur die Rückstellung zur Abgrenzung passiver latenter Steuern dar. Deren Höhe wird in § 274 Abs. 1 HGB festgelegt.[63] Die vernünftige kaufmännische Beurteilung verhindert eine „willkürliche“ Bewertung der Rückstellung. Sie muss somit objektiv nachvollziehbar sein und den tatsächlichen Verhältnissen entsprechen.
[...]
[1] Vgl. BFH vom 02.10.1992, III R 54/91, BStBl. II 1993, S. 153; BFH vom 01.08.1984, IR 88/80, BStBl. II 1985, S. 44; BFH 17. 12. 1998, IV R 21/97, BStBl. II 2000, S. 116.
[2] Vgl. Kozikowski/Schubert, in: BeBiKo 2010, § 249 HGB Rn. 42-45.
[3] Vgl. BFH 17. 7. 1980, IV R 10/76, BStBl. II 1981, S. 669.
[4] Vgl. BFH 28. 3. 2000, VIII R 13/99, BStBl. II 2000, S. 612.
[5] Vgl. Rückstellungen 2011, S. 31.
[6] Vgl. Morck, in: HGB 2011, § 249 HGB Rn. 12.
[7] Vgl. Merkt, in: BeKuKo 2010, § 249 HGB Rn. 10.
[8] Vgl. Morck, in: HGB 2011, § 252 HGB Rn. 5.
[9] Vgl. Kozikowski/Schubert, in: BeBiKo 2010, § 249 HGB Rn. 51.
[10] Vgl. Ballwieser, in: Münchner Kommentar 2008, § 249 HGB Rn. 61.
[11] Vgl. Morck, in: HGB 2011, § 249 HGB Rn. 7.
[12] Kozikowski/Schubert, in: BeBiKo 2010, § 249 HGB Rn. 52.
[13] Vgl. Bilanzen 2009, S. 438.
[14] Kozikowski/Schubert, in: BeBiKo 2010, § 249 HGB Rn. 52.
[15] Vgl. Bertram, in: Haufe HGB, § 249 HGB Rz. 135ff.
[16] Vgl. Ballwieser, in: Münchner Kommentar 2008, § 249 HGB Rn. 67.
[17] Vgl. BFH vom 19.07.1983, VIII R 160/79, BStBl. II 1984 S. 56; BFH vom 7.10.1982, IV R 39/80, BStBl. II 1983, S. 104.
[18] Vgl. Ballwieser, in: Münchner Kommentar 2008, § 249 HGB Rn. 69.
[19] Vgl. BFH vom 19.07.1983, VIII R 160/79, BStBl. II 1984 S. 56; BFH vom 08.10.1987, IV R 18/86, BStBl. 1988 II S. 57; BFH vom 25.01.1984, I R 7/80, BStBl. II 1984, S. 344.
[20] Vgl. Kozikowski/Schubert, in: BeBiKo 201, § 249 HGB Rn. 76.
[21] Vgl. Ballwieser, in: Münchner Kommentar 2008, § 249 HGB Rn. 74.
[22] Vgl. BFH vom 23.06.1997, GrS 2/93, BStBl. II 1997, S. 738.
[23] Vgl. Merkt, in: BeKuKo 2010, § 249 HGB Rn. 11.
[24] Vgl. Scheffler, in: Handbuch der Rechnungslegung, S. 56.
[25] Vgl. Jahresabschluss 2009, S. 411 ff.
[26] Vgl. Morck, in: HGB 2011, § 249 HGB Rn. 8.
[27] Vgl. Kozikowski/Schubert, in: BeBiKo 2010, § 249 HGB Rn. 101.
[28] Vgl. Wiedmann, in: HGB 2008, § 249 HGB Rn. 77; Kozikowski/Schubert, in: BeBiKo 2010, § 249 HGB Rn. 105.
[29] Vgl. Wiedmann, in: HGB 2008, § 249 HGB Rn. 79.
[30] Vgl. Morck, in: HGB 2011, § 249 HGB Rn. 8 f.
[31] Vgl. Haufe HGB, § 249 Rn. 201; ADS, § 249 Anm. 175 mwN.
[32] Vgl. Kozikowski/Schubert, in BeBiKo 2010, § 249 HGB Rn. 102.
[33] Vgl. Bilanzierung 2010, S. 382.
[34] Vgl. Kozikowski/Schubert, in: BeBiKo 2010, § 249 HGB Rz. 102.
[35] Vgl. Pawelzik, in: BBK 2010, S.857.
[36] Vgl. Jahres- und Konzernabschluss 2010, Rn. 615k.
[37] Vgl. Jahres- und Konzernabschluss 2010, Rn. 820.
[38] Vgl. Raetke/Theile, in: BBK 2010, S. 306 ff; BMF vom 12.3.2010, IV C 6 – S 2133/09/10001, BStBl. 2010 I, S. 239
[39] Vgl. Prinz, in: DB 2011, S. 494.
[40] Vgl. Buciek, in: Blümich EStG, § 5 EStG Rn. 884f.
[41] Vgl. Prinz, in: DB 2011, S. 496.
[42] Vgl. OLG Düsseldorf vom 19.05.2010, 26 W 4/08 (AktE), DB 2010, S. 1454.
[43] Vgl. Buciek, in: Blümich EStG, § 5 EStG Rn. 832f.
[44] Vgl. BFH vom 11.11.1981, I R 157/79, BStBl. II 1982, S. 748.
[45] Vgl. Buciek, in: Blümich EStG, § 5 EStG Rn. 835f.
[46] Vgl. BFH vom 09.02.2006, IV R 33/05, BStBl. II 2006; S. 517.
[47] Vgl. Rückstellungen 2011, S. 35.
[48] Vgl. Krudewig, in: GmbH-Steuerpraxis 2011, S. 136.
[49] Vgl. Rückstellungen 2011, S. 33.
[50] Vgl. Buciek, in: Blümich EStG, § 5 EStG Rn. 887.
[51] Vgl. Buciek, in: Blümich EStG, § 5 EStG Rn. 851.
[52] Vgl. BMF vom 29.10.1993, IV B 2-S 2175-47/93, DStR 1993, S. 1667.
[53] Vgl. NWB Kommentar 2010, § 249 HGB Rn. 157.
[54] Vgl. Rückstellungen 2011, S. 115.
[55] Vgl. Förster, in: Blümich EStG, § 6a EStG Rz. 88ff.
[56] Vgl. Förster, in: Blümich EStG, § 6a EStG Rz. 214; § 52 Abs. 16b EStG.
[57] Vgl. Förster, in: Blümich EStG, § 6a EStG Rz. 221f.
[58] Vgl. Buciek, in Blümich EStG, § 5 EStG Rn. 899f.
[59] Vgl. Zeidler/Wiswedel: Rückstellungen.
[60] Vgl. Theile et al., in: StuB 2011, S. 323.
[61] Vgl. Jahresabschluss 2009, S. 418.
[62] Vgl. Kozikowski/Schubert, in: BeBiKo 2010, § 253 HGB Rn. 151.
[63] Vgl. Morck, in: HGB 2011, § 253 HGB, Rn 4.
Details
- Seiten
- Erscheinungsform
- Erstausgabe
- Erscheinungsjahr
- 2011
- ISBN (PDF)
- 9783958207202
- ISBN (Paperback)
- 9783958202207
- Dateigröße
- 4.6 MB
- Sprache
- Deutsch
- Institution / Hochschule
- Georg-Simon-Ohm-Hochschule Nürnberg
- Erscheinungsdatum
- 2015 (Februar)
- Note
- 1
- Schlagworte
- Handelsrecht Steuerrecht Latente Steuern Gewährleistungsrückstellung Drohverlustrückstellung
- Produktsicherheit
- BACHELOR + MASTER Publishing