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Charakter- und Figurendesign: Einführung in die psychische und visuelle Gestaltung von Charakteren

©2009 Bachelorarbeit 77 Seiten

Zusammenfassung

‚Der erste Eindruck zählt‘, wer kennt dieses Sprichwort nicht? Das Gegenüber wird schnell als angenehm oder unangenehm, sympathisch oder unsympathisch, nett oder gefährlich eingestuft. Viele Eigenschaften, die Lebensgeschichte, die Lebensumstände, etc. kennen wir nicht, trotzdem können wir uns schnell ein Bild vom Gegenüber machen. Oft schreiben wir dem Gegenüber auch Werte und Eigenschaften aufgrund des ersten Eindruckes zu, reimen uns Zusammenhänge und verschiedenste Faktoren zusammen.
Tauschen wir das Gegenüber durch ein Bild von ihm aus, tritt dieser Effekt ebenfalls auf, genauso wie bei erfundenen Personen, wie es beim Charakter Design der Fall ist. Charakter Design ist somit ein wichtiger Aspekt in der bildenden Kunst und in vielen anderen Bereichen und Branchen, der oft im kreativen Schaffen mit einfließt, dessen Mechanismen und Methoden oft nicht bewusst gemacht werden, in unserem Leben aber allgegenwärtig sind.
Gutes Charakter Design ist mehr als einem Charakter ein Aussehen zu verschaffen. Es gilt vielmehr dem Charakter eine Identität zu geben, Ausstrahlung, Persönlichkeit, Leben einzuhauchen und ihm eine Lebensgeschichte, die auch visuell zu erkennen ist, zu verschaffen. Dazu werden die inneren Werte, Eigenschaften, Ideologien, Einstellungen, Lebenswerte, etc. des Charakters visuell nach außen gekehrt und lösen beim Rezipienten Emotionen und Sinneseindrücke aus, die bewusst gelenkt werden können. Deswegen ist, neben der Story, das Charakter Design der wichtigste Aspekt des visuellen Erzählens.
Die vorliegende Bakkalaureatsarbeit behandelt folglich nicht nur die visuelle Umsetzung des Charakter Designs, sondern vor allem die Mechanismen und Methoden dahinter. Welche gibt es, wie funktionieren diese, warum gibt es sie und wie helfen sie uns im Alltag? Somit ist diese Bakkalaureatsarbeit nicht nur ein Blick auf die Umsetzung des Charakter Designs, sondern auch ein tiefer Blick in unsere Psyche und deren Funktionsmechanismen.

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


Imaginäre Wahrnehmung

„Die imaginierte Welt ist eine, die man sich ›einbildet‹. Sie ist ein Bild, das nicht abbildet, sondern sich an die Stelle der Wirklichkeit setzt. Sie ist eine zweite Welt, die das Verhalten in der ersten steuern und sogar dominieren kann. Die Einbildungskraft bedient sich der Materialien, aus denen man lebt: Erfahrungen, Eindrücke, Obsessionen, Wünsche. Aber was sie daraus zeugt, ist etwas Neues, das sich der sonstigen Wirklichkeit auch entgegensetzen kann. Das Denken ist mit dem Problem der Bilder niemals fertig geworden und wird heute, da in den Bilderfluten des modernen Medienzeitalters Imagination und Wirklichkeit durcheinander gewirbelt werden, noch weniger damit fertig. [...] Die Juden waren nicht das, was Hitler in ihnen ›sah‹. Aber er hat sie dazu gemacht; er hat sie als Bazillen ›gesehen‹ und hat sie als Bazillen umbringen lassen. Und diejenigen, die dabei mitwirkten oder es gleichgültig geschehen ließen, haben sie dann ebenfalls so ›gesehen‹, zumindest aber dieser Sichtweise entsprechend gehandelt. Früher nannte man das ›Verblendung‹.“ 1

Muster

Alle bedeutsamen Dinge weisen Muster auf 2, sprich wahrnehmbare Eigenschaften, aufgrund derer wir sie identifizieren können. Das Gehirn ist visuell und inhaltlich darauf getrimmt diese zu erkennen. Indem zum Beispiel Kanten visuell verstärkt werden und inhaltlich, indem mithilfe der Wahrnehmung nach Ähnlichkeiten gesucht wird.

Die visuelle Mustersuche ist auch der Grund für das Phänomen „optische Täuschung“. Dabei handelt es sich um eine Wahrnehmungstäuschung, aufgrund derer falsche Annahmen getroffen werden 3. Wahrnehmung ist subjektiv und unterliegt der Beeinflussung des Gehirns.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Würfel und Dreieck entstehen nur aufgrund Mustersuche des Gehirns 4 5

Beim Charakter Design muss auf beide Arten der Mustersuche geachtet werden. Im negativen Sinne einerseits auf die visuelle, damit das Gehirn nicht falsche Muster findet beziehungsweise Muster sucht die es so nicht gibt, anderseits auf die inhaltliche, die aufgrund dieser falsche Vorstellungen entstehen können. Muster können aber auch im positiven Sinne verwendet werden! Da Kanten verstärkt werden und somit Silhouetten verstärkt werden, können diese verwendet werden, um ein besseres Charakter Design zu entwickeln. Ebenso werden Kontraste und Größenunterschiede verdeutlicht. Bewegung kann ebenso künstlich auf Einzelbildern erzeugt werden wie vieles andere auch.

Kollektive Wahrnehmungsmuster und Kollektivsymbole

Wie schon im Unterkapitel Ikone angedeutet, sind kollektive Wahrnehmungsmuster sehr wichtig im Zusammenhang mit visueller Sprache. Sie sind ausschlaggebend dafür, dass wir zwischen Abbildung und Vorstellung eine Verbindung 6 aufbauen und aufrufen. Diese Verbindung wird vom Betrachter hergestellt aufgrund Gemeinsamkeiten zwischen ikonischem Zeichen und Wahrnehmung des Gegenstandes. Ob nun ein Zeichen als bekannt angesehen wird und somit eine gewisse Vorstellung hervorruft, hängt von drei Faktoren 7 ab: Wahrnehmungsmuster, Abbildungskonventionen (dazu später mehr) und Erfahrungen des Betrachters (dazu ebenfalls später mehr).

Alle Mitglieder einer Gesellschaft weisen einen gewissen Vorrat an kollektiven Wahrnehmungsmustern auf, genauso wie Kollektivsymbole 8. Darunter versteht man kulturelle Stereotypen (dazu später mehr). Als Beispiel sei hier aufgrund der „Wirtschaftskrise“ das Wahrnehmungssymbol „Boot“ genannt. Wenn Politiker in unserem Land davon sprechen, dass wir alle in einem Boot sitzen, weiß jeder einerseits was damit gemeint ist, anderseits welche Auswirkungen es auf das Kollektiv aber auch auf das Individuum hat.

Intersubjektivität

Die Umwelt und wie wir diese wahrnehmen, wird unter anderem durch soziale und kulturelle Faktoren bestimmt. Im Wort Intersubjektivität stecken die Wörter inter (zwischen) und Subjekt (Person). Bei Intersubjektivität geht man davon aus, dass Personen untereinander Subjektives erkennen und nachvollziehen können 9. Damit das aber funktioniert, muss, wie eingangs erwähnt, die Umwelt ähnlich wahrgenommen werden. Eine Adelsfamilie wird vermutlich Subjektives einer auf der Straße lebenden Familie schwer oder kaum verstehen können und umgekehrt.

Subjektives ist nur einzelnen Individuen zugänglich, aber bestimmte Erfahrungen sind für mehrere Individuen vergleichbar. Oft werden Symbole oder Zeichen verwendet, da diese die gleiche Bedeutung für die jeweiligen Individuen besitzen. Dabei ist aber ebenfalls wieder eine gewisse „Gemeinsamkeit“ der Wahrnehmung wichtig!

Assoziationen

Assoziationen verknüpfen zwei oder mehrere ursprünglich getrennte Inhalte wie Gefühle, Ideen, Wahrnehmungen, ... miteinander 10. Dies führt dazu, dass beim Aufruf einer der beiden Inhalte der andere ebenfalls aufgerufen wird. Zum Beispiel kann beim Anblick einer Rose der Duft der Rose aufgerufen werden. Wir erkennen die Rose durch das Ansehen als solche und da wir ebenfalls den Duft der Rose kennen, werden diese beiden Komponenten miteinander automatisch verknüpft und assoziiert.

Einer der Gründe dafür ist, dass beim Lernen des einen Inhaltes meistens auch der zweite Inhalt auftritt und dadurch eine Verkettung entsteht. Ausschlaggebend für diese Assoziationsstärke sind laut Aristoteles die räumliche und zeitliche Nähe sowie die Gegensätzlichkeit der Inhalte.

Dabei kann sehr gut eine Verbindung zu den natürlichen Symbolen erkannt werden, da im konkreten Beispiel Rose der Duft einer Rose natürlich mit der Rose zusammenhängt und die Rose der Auslöser für diesen Duft ist.

Für die Verbindungsstärke sind laut Thomas Brown ihre jeweiligen Intensitäten, Häufigkeiten des gemeinsamen Auftretens, die Zeit seit dem letzten Auftreten und die Anzahl der Verknüpfungen der konkurrierenden Verknüpfungen ausschlaggebend. Oft gibt es viele Verknüpfungen und situativ entsprechend dem Kontext wird entschieden, welche Verknüpfung verwendet wird. Beim Geruch einer Zitrone kann ein Duftbaum assoziiert werden, eine Zitrone im Form des Obstes, eine Geschirrspülflasche mit Zitronengeruch, eine Süßigkeit mit Zitronengeruch und vieles mehr. Beim Anblick einer Rose kann wie schon zuvor erklärt der Duft der Rose assoziiert werden, aber auch die Vergänglichkeit des Lebens oder der Schönheit.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Blume, die verwelkt kann auch mit anderem assoziiert werden.

Zum Beispiel das Leben, das verrinnt bis es zu Ende ist. 11

Archetypus

Archetypus stammt aus dem Griechischen und bedeutet Urbild 12. Unter Archetypus werden kollektive Urbilder im Unterbewusstsein und kollektiver Wahrnehmung verstanden, die oft auch im Zusammenhang mit Vorstellungsmuster stehen.

Beispiele für Archetypen sind das Kind, der Krieger, der Beschützer, Jugend, Armut, Angst, Fluss, ein See, ... Diese Archetypen besitzen ein mehrdeutiges Gebilde, welche Assoziationen zu geistigen Ideen auslösen und in vielen Kulturen sich stark ähneln. Als Beispiel sei der Kreis für Geschlossenheit erwähnt. Weiters findet man in der Mythologie in unterschiedlichen Kulturkreisen ähnliche oder gleiche Muster und symbolische Bilder, sodass es Annahmen gibt, dass diese Urbilder in der Struktur der menschlichen Psyche verankert sind. Beispiele dafür sind Helden und deren Widersacher, „Baum des Lebens“, ... .

In vielen Bereichen wie Film, Theater, aber natürlich auch Charakter Design, spielen Archetypen eine wesentliche Rolle. Sie sind dafür verantwortlich, einzelne Rollen und ihre jeweilige Funktion zu charakterisieren, sprich Schablonen können beim Rezipienten als bekannt vorausgesetzt werden und somit leicht verwendet und aufgerufen werden. Hingegen sind andere „Schablonen“ meist abhängig vom Rezipienten und können nicht vorausgesetzt werden, sodass ein Einsatz von Archetypen eine große Risikominimierung darstellt. Beispiele für bekannte Archetypen in dem Bereich sind der Held, der Widersacher und der Liebhaber, welcher zugleich oft auch der Held ist.

Als Gegenstück zum Archetyp steht der Schattenarchetyp, der negative, sozial unerwünschte und unterdrückte Züge widerspiegelt 13. Beispiele dafür sind der Fremde, Feind, Rivale oder anders negativ gesinnte Personen. Bekannte Umsetzungen sind Mr. Hyde aus „Der seltsame Fall des Dr. Jekyll und Mr. Hyde“ 14 und Drachen (Schattenarchetyp), die vom Helden (Archetyp), meist einem Ritter, getötet werden müssen, um die Prinzessin zu retten. Dadurch kommt als Randerscheinung oft der Kampf „Gut gegen Böse“ zustande.

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Engel als Beispiel für Archetypus 15

Am Rande erwähnt sei, dass Schattenarchetyp in Kombination mit selektiver Wahrnehmung und einigen anderen hier vorgestellten Mechanismen und Methoden oft Ursache für Rassismus, Homophobie, Fremdenfeindlichkeit und vielem mehr sind.

Erkennungsmerkmale und Abstraktion

Das Wort Abstraktion kommt aus dem Lateinischen und bedeutet abgezogen 16. Unter Abstraktion versteht man das Weglassen von Einzelheiten, wodurch eine Vereinfachung entsteht.

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Abstrakte Zeichnung eines Hirschkäfers, trotzdem gut erkennbar 17

Beim Charakter Design werden bei der Abstraktion die Erkennungsmerkmale heran gezogen. Wissenschaftlich gesehen sind Erkennungsmerkmale Merkmale, durch die man von einem Besonderen auf ein Allgemeines schließen kann 18. Oft werden für die schon weiter zuvor beschriebenen Ähnlichkeiten Erkennungsmerkmale heran gezogen. Für Erkennungsmerkmale sind nur Eigenschaften gut geeignet, die auffallend sind und somit hervortreten. In einer Gasse mit lauter weißen Häusern und einem grünen Haus, wird vermutlich als Erkennungsmerkmal beziehungsweise Orientierungshilfe das grüne Haus besser als eines der weißen Häuser geeignet sein. Genauso wie bei einem „allgemeinen“ Arzt vermutlich der Kittel ein besseres Erkennungsmerkmal darstellen wird, da „alle“ Ärzte einen tragen, als zum Beispiel ein Zahnarztbohrer, den nur ein Zahnarzt verwendet.

Negative Erfahrungen speichern sich aber stärker ab als positive, und diese speichern sich wiederum viel stärker ab als neutrale Erfahrungen. Dadurch sind „negative“ Erfahrungen wie Zahnarztbohrer, Spritze, Operation, ... ebenfalls mit Arzt assoziiert und Erkennungsmerkmale für diesen.

Durch Abstraktion aufgrund Erkennungsmerkmale wird einerseits der Charakter „vereinfacht“ und die Erkennungsmerkmale verstärkt, anderseits, da das Gehirn generell durch die Reduktion weniger Informationen erhält, auch weniger zu verarbeiten hat. Dies führt dazu, dass der Charakter einprägsamer wird und zugleich einfacher als Muster, Schablone und bekanntes Zeichen abgespeichert werden kann.

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Echter Löwe und vereinfachter Löwe im Vergleich 19 20

Ein Wiederfinden, Assoziieren und Aufrufen im Gehirn wird ebenfalls forciert, da das Gehirn einfache, wenige Erkennungsmerkmale, dafür aber verstärkte, viel einfacher abspeichern und wiederfinden kann. Wer die Simpsons kennt, wird bei „blaue Haare“ gleich an Marge denken, bei gelb gleich an die Hautfarbe, oder bei den Schlümpfen an die blaue Hautfarbe.

Lego und Playmobilfiguren leben ebenfalls von einer erfolgreichen Abstraktion der Erkennungsmerkmale: Ein Cowboy und dessen Erkennungsmerkmale unterscheiden sich deutlich von denen eines Indianers oder Ritters. Bei anderen Figuren, die berufstätige Menschen darstellen, kann aufgrund der Erkennungsmerkmale und der Reduzierung leicht zwischen einem Arzt, Piloten, Polizisten, Feuerwehrmann unterschieden werden.

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Playmobil Ritter und Lego Star Wars Figuren auf das Wesentliche abstrahiert 21 22

In anderen Bereichen funktioniert es ebenso. Im Internet ist das Smiley J in Chats weit verbreitet und beliebt, wobei hier aber auch klar ein gewisses Problem aufgrund der Abstraktion erkennbar wird: Durch Vereinfachungen auf das Wesentliche kann auch leicht zu viel weggelassen werden, oder wie in diesem Fall, eine „Unterscheidung“ schwer werden. Ein J kann sehr viel bedeuten wie „finde ich auch“, „ist ok“, „bin gut drauf“, „freue mich“ und vieles mehr. Erst durch den Kontext kann die Bedeutung eindeutiger decodiert werden, wobei eine wirklich eindeutige Decodierung kaum möglich ist. Anderseits ist ein J wohl eine bessere Wahl als zum Beispiel ein Foto eines tatsächlichen Menschen, da dadurch die „Identifizierung“ um vieles erschwert wird, und die Funktion eines J den Rezipienten in der Regel geläufig ist, genauso wie dessen Bedeutung im Kontext. Ebenfalls löst ein Herzsymbol in einem Rezipienten sicher mehr Emotionen hervor, als wenn der/ die Liebste ein Foto eines tatsächlichen Herzens schicken würde. Abstraktion ist somit sehr nützlich und in vielen Bereichen essentiell, hat aber auch seine Grenzen und kann zu Problemen führen.

Schema

Menschen nehmen über die Sinnesorgane Informationen auf. Beim Charakter Design über die Augen, wobei ihnen Schemata helfen Bedeutungen zuzuordnen 23. Dadurch sind Schemata einerseits Filter, anderseits Hilfsmittel bei der Interpretation, helfen aber auch beim Speichern im Gehirn und dem Ordnen des Wissens. Dadurch steuern Schemata nicht nur die Wahrnehmung und die Informationsverarbeitung, sondern auch das Handeln.

Schemata funktionieren im Gehirn ähnlich wie Erkennungsmerkmale und Ähnlichkeiten. Dabei findet eine Abstraktion statt, die auch zu einer Generalisierung führt.

Grund dafür, dass der Mensch viele Techniken dieser Art mit meist großem Erfolg anwendet, ist folgender: „Die Welt, in der wir leben, ist in hohem Maße strukturiert und vorhersagbar, zumal bestimmte Ereignisse in bestimmten Kontexten wesentlich wahrscheinlicher auftreten als andere. In alltäglichen Situationen bilden wir Erwartungen bezüglich der Dinge, die wir in verschiedenen Kontexten sehen sollen.“ 24

Schemata sind im Bereich Charakter Design unter anderem aufgrund ihrer Erwartungshaltung und der Suche nach Erwartetem enorm wichtig und nicht zu unterschätzen! Beim Besuch eines Restaurants in etwa bieten Merkmale der Unterscheidung uns Anhalt, um das Restaurant als Restaurant zu sehen, uns in diese Situation „Restaurantbesuch“ hinein zu fühlen und eine gewisse Abfolge einzuhalten. Sind wir nicht sicher, ob es sich bei dem Gebäude um ein Restaurant handelt, suchen wir nach Merkmalen in unseren Schema „Restaurant“, um unsere Annahme zu bestätigen oder zu widerlegen. Findet man im Aushang eine Speisekarte, wird dies zu einer Bestätigung der Annahme „ist ein Restaurant“ führen. Würden wir aber einen Fahrplan für Züge finden, würde dies zu einer Widerlegung unserer Annahme führen, und das Gehirn würde nach Schemata suchen, in denen „Fahrplan mit Züge“ abgespeichert sind und vermutlich auf „Gebäude ist Bahnhof“- Schema stoßen und anschließend diese Annahme versuchen zu verifizieren.

Beim Betreten eines Restaurants wird unsere Wahrnehmung sofort aufgrund der vielen gefundenen Merkmale für das Schema „Restaurant“ dem restlichen Gehirn sagen „wir sind in einem Restaurant“. Dies führt dazu, dass wir eine gewisse Erwartungshaltung laden, in dem Fall unter anderem, dass wir etwas zu essen und trinken bekommen, für das wir aber zu zahlen haben, wir nach dem Konsumieren satt sein sollten, es uns hoffentlich schmecken wird und vieles mehr. Weiters werden auch gewisse Verhaltensregeln, Ablaufregeln und anderes über die Wahrnehmung aus unserem Gehirn automatisch „geladen“ und angewendet, zum Beispiel, dass man sich hinsetzt, eine Karte bekommt, etwas auswählt, später das Bestellte bekommt, anschließend konsumiert und am Schluss dafür bezahlt. Schemata helfen uns folglich unter anderem im Alltag in einer Gesellschaft deren Regeln und Normen zu folgen und zu befolgen.

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Wo würden Sie essen gehen, und wo ein Ticket kaufen? 25 26

Rahmen

Ein Rahmen gibt ein Verständnis dafür, was in einer Situation passiert und somit wie eine Person sich im gegebenen Kontext verhalten soll 27. Relevante Dinge werden eingeblendet (focal event), nicht relevante ausgeblendet (selektive Wahrnehmung).

„Diejenigen, die sich in einer Situation befinden stellen fest, was für sie die Situation sein sollte, und verhalten sich entsprechend. Sie werden Einzelheiten gewahr, die sie als solche nicht isoliert und zumeist auch nicht explizit wahrnehmen, sondern in ihrer Bedeutung, daher in einem Rahmen“ 28.

Ein Rahmen bietet eine Interpretationsanleitung für die gegebenen und weiteren Beschreibungen, wie ‚gut in der Hand liegen’ oder ‚leicht’, wobei ‚leicht’ oft verschieden und relativ gedeutet werden kann, abhängig davon, ob es um einen Gegenstand geht, der von Menschenhand oder Maschinen bewegt werden soll. Je nachdem in welchem Rahmen und somit Kontext das Ganze verstanden wird, haben sie ihre eigene Bedeutung.

Rahmen kennen wir alle von der Verwendung eines Bilderrahmens, wo das Wort Rahmen auch inkludiert ist. Ein Bilderrahmen sagt dem Betrachter, dass er bei der Interpretation des Bildes nicht dieselbe Art des Denkens anwenden soll, die er bei der Interpretation der Tapete außerhalb des Rahmens einsetzt. Ein weiteres Beispiel für Rahmen im Alltagsleben wäre ein Gerät, das von Menschenhand bewegt werden soll. Somit hat die Beschreibung „leicht“ einen Sinn. Bedeutungen haben Dinge erst in Bezug mit einem Kontext (kulturabhängig, erlernt, etc.). Im Theater hilft uns der Rahmen „Theater“ ebenso, nicht „Oh mein Gott, ist hier ein Arzt?“ zu schreien, wenn auf der Bühne ein Schauspieler scheinbar erstochen wird, sondern die Ruhe zu bewahren und uns das Stück weiter anzusehen. Wiederzufinden sind Rahmen auch in der Sprache, bei denen zum Beispiel alles, was mit „Spiel“ markiert wird, anders gesehen und assoziiert wird.

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Mord im Rahmen eines Theaterstückes (links) und eines Comics (rechts) 29 30

Im Bereich Charakter Design kann uns die Umgebung, in der sich ein Charakter aufhält ebenso einen Rahmen vorgeben. Sehen wir zum Beispiel einen Menschen in Priesterkleidung, handelt es sich vermutlich um einen Priester. Sieht man aber in der Umgebung viele verkleidete Menschen und ein Banner, auf dem geschrieben steht „Faschingsparty“, bekommt die ganze Szene einen anderen Rahmen. Es handelt sich nicht mehr um den Rahmen Kirche sondern um den Rahmen Faschingsparty, und dadurch verändert sich auch der Charakter für uns.

Weiters ist zu beachten, dass es keine Bedeutung ohne Kontext gibt. Kontexte formen unsere Interpretation des Gesehenen und werden nach und nach erlernt. Es gibt 5 wichtige Arten von Kontexten: „Historischer Kontext“, „Sozio-Kultureller Kontext“, „Individueller Kontext“, „Situativer Kontext“ und „Struktureller Kontext“ 31.

Verwendung beim Charakter Design

Beim Charakter Design sind Schemata und Rahmen in Kombination mit der illusionären Welt, den Erkennungsmerkmalen und der Erwartungshaltung sehr wichtig. In einer illusionären Welt suchen wir ebenfalls, wie in der realen Welt, nach Anhaltspunkten, Merkmalen, Ähnlichkeiten, ... aufgrund derer unsere Wahrnehmung Schemata finden und laden kann. Findet er diese, kann die illusionäre Welt als bestätigt angesehen werden und unser Gehirn beendet das Mustersuchen. Kleine Fehler werden aufgrund der Wahrnehmung nicht oder kaum beachtet. Werden aber für die Schemasuche zu wenige, schlechte, oder im schlimmsten Falle widersprüchliche Merkmale gefunden, sucht das Gehirn weiter und weiter. Dadurch kann die illusionäre Welt nie als bestätigt angesehen werden, sich darauf einlassen und hingeben. Beim Betrachten eines Charakters, bei dem das Gehirn ständig auf der Suche ist und nie zu einem Ende kommt, kann folglich nie eine Geschichte, die ein Charakter erzählen will, erzählt werden. Somit gilt es dieses Problem unbedingt zu vermeiden!

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2 Charaktere deren Aussehen allein uns schon viel über sie verrät 32 33

Umso wichtiger ist es, die zuvor beschriebenen Mechanismen zu verstehen und mit ihnen zu arbeiten statt gegen sie, damit der Charakter und die Geschichte, die er erzählen will, im Vordergrund stehen und nicht das Gehirn, das nach Ähnlichkeiten, Mustern, Schemata, Assoziationen, Archetypen und Erkennungsmerkmalen sucht. Kleine Fehler können aufgrund der selektiven Wahrnehmung, imaginären Wahrnehmung, der Wahrnehmungsmuster, ... ausgeblendet werden und uns somit dauerhaft in einer illusionären Welt fesseln.

Erfahrungen

Wahrnehmung ist zum Teil erlernt, dann wird von Konventionen gesprochen, zum anderen Teil ist sie unbewusst, dann spricht man von Sehgewohnheiten. Auf den folgenden Seiten wird näher auf diese Aspekte und deren Teilbereiche eingegangen.

Kulturelle und soziale Erfahrungen

Es gibt nicht nur bei den Erfahrungen kulturelle Unterschiede, sondern auch bei der Benutzung der Sinne. In der westlichen Kultur verlässt man sich auf den Sehsinn viel stärker als auf den Gehörsinn, auch europäischer Okularzentrismus genannt 34. Dies führt neben einer anderen Wahrnehmung auch dazu, dass andere Faktoren diese prägen.

Aber auch durch die Kulturangehörigkeit an sich gibt es große Unterschiede. In der westlichen Welt wird von links nach rechts und von oben nach unten geschrieben 35. Dadurch nehmen Menschen aus der westlichen Welt ein Bild, das Stiegen zeigt, anders wahr, und beantworten die Frage „Gehen die Stiegen nach oben oder unten?“ auch anders.

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Die Stiege links geht scheinbar nach oben, die rechte hingegen nach unten.

Grund dafür ist die konventionelle Leserichtung von links nach rechts. 36 37

In den verschiedensten Kulturen haben auch Farben unterschiedliche Bedeutungen. Rot steht für Liebe, Erotik, Leidenschaft, aber auch Zorn und Aggression 38. Im christlichen Glauben hingegen steht rot für die Farbe des Heiligen Geistes und des Blutes der Märtyrer; im übertragenen Sinn auch für Sünde. In China hingegen steht die Farbe Rot für Freude, Sommer und den Süden, aber auch Glück. Bei der Wahrnehmung von Farben gibt es ebenfalls Unterschiede: Bei uns besitzen Himmel und Meer dieselbe Farbe, da es in unserer Wahrnehmung dieselbe Farbe ist. Andere Kulturen unterscheiden dabei, machen dafür aber keinen Unterschied zwischen grün und blau.

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Für uns hat das Meer und der Himmel die selbe Farbe 39 40

Bei den Abbildungskonventionen gibt es ebenfalls große Unterschiede. In anderen Kulturen werden Tiere immer von oben gezeichnet, während bei uns Tiere von der Seite gezeichnet werden. Bei der Darstellung von Drachen sieht man ebenfalls deutlich, dass es große Unterschiede gibt, auch wenn die Perspektive dieselbe ist:

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Der europäische Drache sieht anders als der asiatische aus, weist jedoch Ähnlichkeiten auf 41 42

Aber auch in anderen Bereichen sind die kulturellen Unterscheide sehr deutlich: Kanten, die weiter weg sind, wenn man ein Bild aus Linien dreidimensional interpretiert, wirken größer (bei Völkern mit runder Bauweise anders), da wir gewohnt sind, dass Objekte, die weiter weg sind kleiner sind, auch Kanten. Bei der Landbevölkerung wirkt beim „umgekehrten T” die vertikale Linie länger. Grund dafür ist die Prägung der Wahrnehmung durch ihre Umgebung 43.

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Optische Täuschungen: Gleich lange Geraden (links), parallele Linien (rechts) 44 45

Bei der Größenkonstanz (Distanz zu Größenrelation) werden Büffel in der Prärie von Waldvölkern aus der Entfernung als Käfer wahrgenommen, da beim Waldvolk im Wald nie große Sichtweiten gegeben waren und sie somit die Größenkonstanz nie für hohe Distanzen lernen konnten. Wir müssen aber viele Sehgewohnheiten mit der Zeit erlernen: beim Betrachten von Autos aus einem Flugzeug erkennt man, im Gegensatz zu der Zeit wo man noch ein Kind war, dass es sich hierbei nicht um Matchbox Autos handelt, sondern um große Autos, die aufgrund der Distanz nur klein wirken.

Auch viele „Impossible Objects“ und optische Täuschungen wie Dreizack sind kulturell bedingt 46. Wir wissen aufgrund unserer kulturellen Zugehörigkeit wie das Objekt aussehen soll, da unser Gehirn es als Muster abspeicherte und mit Wiedererkennungsmerkmalen versah. Betrachten wir die einzelnen Wiedererkennungsmerkmale, gelangen wir über das Muster zu dem abgespeicherten Gebilde. Betrachten wir aber das abgebildete Bild als ganzes, sehen wir, dass es so nicht existieren kann. Trotzdem können wir keinen Fehler in sich erkennen, da wir nur über die Erkennungsmerkmale arbeiten können. Das Volk der Zulus unterliegt, aufgrund anderer Sehgewohnheiten bedingt durch eine andere Kultur, hingegen nicht diesen Täuschungen!

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Unmögliche Gegenstände: Dreieck (links oben), Dreizack (darunter) und Stiegenweg (rechts) 47 48

Soziale Unterschiede, teilweise über kulturelle verbunden, führen ebenso zu einer unterschiedlichen Wahrnehmung. Arme Kinder schätzen zum Beispiel Münzen größer ein als sie sind, während wohlhabende Kinder Münzen kleiner einschätzen. Reichen Kindern sind Münzen kaum etwas wert, wodurch die Wertigkeit abnimmt und die Assoziation „Kleingeld, das mich nicht interessiert“ entstehen kann. Durch diese Assoziation wird beim Aufruf „Münze“ diese Verbindung ebenfalls aufgerufen, und prägt die Wahrnehmung von Münzen mit, sodass die Münze aufgrund der Wertigkeit als klein und unwichtig eingestuft wird.

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Welche der beiden gezeigten Kühe gibt es in der Natur so zu finden? 49 50

Da sich Kulturen verändern, kann es auch innerhalb einer Kultur zu Generationsunterschieden kommen. Während früher viele Menschen aufs Land zur Erholung oder Urlaub fuhren, fahren heutzutage viele Eltern mit ihren Kindern lieber zu „Entertainmentcamps“ und ähnlichem. Folglich kommen Kinder weniger mit der Natur in Berührung und glauben mehr dem, was sie in Fernsehen, Zeitung, Internet, ... sehen. Folglich wundert es auch nicht, dass viele Stadtkinder glauben, Kühe seien lila mit einer weißen Schrift, da sie Kühe nur aus der Werbung kennen und annehmen, dass Kühe in Natur ebenfalls so aussehen.

Durch Globalisierung, Tourismus und einem großen Kulturaustausch können heutzutage kulturelle Unterschiede viel besser ausgeglichen werden. Beispiele dafür sind Restaurants, Zirkus, Filme, Dokumentarfilme, Geschäfte, Internet und vieles mehr.

Individuelle Erfahrungen

Darunter fallen eigene Erfahrungen, die unsere Wahrnehmung und Meinung prägen, und somit auch uns prägen. Zu beachten ist, dass grundlegende Eigenschaften die jeder Mensch aufweist wie Geschlecht, Religion, Alter, Werte, Beruf, Motivationen, sozialer Status, Kulturhintergrund und natürlich auch Erfahrungen die in der Vergangenheit gesammelt wurden, unsere Wahrnehmung beeinflussen 51. Weiters auch Erziehung und Bildung, wobei beide zu einem Teil natürlich auch soziokulturell verankert sind.

Urban Legends und weit verbreitete Irrtümer

Urban Legends sind moderne Sagen. Darunter fallen beispielweise die Behauptungen, dass es in New York im Abwassersystem Krokodile gibt 52, Spinat viel Eisen enthält und stark macht53, Reh und Hirsch dasselbe sind, frisches Obst und Gemüse immer gesünder als tiefgekühltes sind, Teflon aus der Raumfahrt kommt, Menschen mit Brille klug sind und Stiere bei einem roten Tuch wütend werden 54.

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Irrtümer sind weit verbreitet, können aber beim Charakter Design hilfreich sein 55 56

Auch wenn diese Urban Legends und verbreiteten Irrtümer nicht stimmen, viele Menschen glauben daran. Dadurch können aber diese „Wahrheiten“ im Charakter Design gut verwendet werden. Popeye kann Spinat essen und dadurch stark werden 57, Menschen, die klug oder belesen erscheinen sollen, tragen eine Brille, Stiere werden durch ein rotes Tuch noch wütender gemacht, Männer lösen Probleme mit Kraft und sind muskulös, während Frauen Probleme mit dem Gehirn lösen und attraktiv sind.

Zielgruppe

Durch unterschiedliche Erfahrungen, Wissen, Bildung, Interessen und Differenzen in der Wahrnehmung ist es immer wichtig, sich als Artist die Frage nach der Zielgruppe zu stellen! Zeichne ich ein Kinderbuch, werden die Kinder gewisse Denkschemata noch nicht kennen, andere hingegen schon. Die Charaktere werden folglich anders aussehen und zum Beispiel übertriebener und lustiger aussehen als für Erwachsene oder eine Fachjury 58. Bei einem Film für Erwachsene hingegen werden gewisse Schemata durchs Erwachsenwerden anders vorhanden sein. Folglich ist es wichtig, seine Zielgruppe zu kennen und auch zu wissen, ob die Darstellung des Charakters verstanden werden kann. Genauso muss beim Charakter Design darauf geachtet werden, was die Zielgruppe erwartet und sehen will.

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Bilder mit unterschiedlichen Zielgruppen: links Erwachsene, rechts Kinder 59 60

Kindchenschema

Ein sehr wichtiges Schema, das bislang noch nicht erläutert wurde, stellt das Kindchenschema dar.

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Auch bei Tieren funktioniert das Kindchenschema sehr gut. 61 62

Beim Kindchenschema werden Erkennungsmerkmale gefunden, die Schlüsselreize aufgrund von Proportionen auslösen, die vor allem bei Kindern vorkommen, die das Fürsorgeverhalten und Kümmerungsverhalten in uns wecken 63. Grund dafür ist die Natur, die uns und vielen Tieren, bei denen es das Kindchenschema ebenfalls gibt, diesen Mechanismus gab, damit Eltern sich um ihre Jungen kümmern, sie beschützen und groß ziehen. Dadurch kommt eine Eltern-Kind Bindung zustande. Evolutionsbiologisch bedingt setzte sich das Kindchenschema durch, da das Schema in uns Hilfsbedürftigkeit, Schwäche der Heranwachsenden und dadurch Schutz und Pflegeverhalten anregt. Darüber hinaus werden negative Faktoren wie Aggressivität reduziert.

Merkmale für das Kindchenschema sind ein großer Kopf, große Stirnregion, weiter unten liegende Platzierung der Gesichtsmerkmale, große Augen, klein Nase, kleines Kinn und rundliche Wangen. Darüber hinaus ist das Verhältnis Kopf gegenüber dem restlichen Körper anders, sodass der Kopf größer gegenüber Arme, Beine, Finger, ... ist.

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Gesichtsproportionen im Lauf des Alterns: links Säugling, Mitte Kind, rechts Erwachsener. 64

Das Kindchenschema wirkt aber nicht nur bei Kindern, sondern auch bei anderen Charakteren! Grund dafür ist, dass wir ständig nach Mustern und Schemata suchen, aufgrund Ähnlichkeiten und Merkmalen abstrahieren und dabei auch in Fällen fündig werden, in denen die Merkmale für ein Kindchenschema zutreffen, aber kein Kind vorliegt, da nur nach den Merkmalen für ein Kind gesucht wird! Folglich können auch Kindchenschemata losgetreten werden, wo keine angewendet werden sollten. Die Wahrnehmung wird getäuscht und manipuliert, durch selektive Wahrnehmung Faktoren, die uns warnen würden vor „in dem Fall liegt kein Kind vor, also Kindchenschema nicht anwenden“ unterbunden werden, sodass wir auch Sachen „süß und „niedlich“ finden, die keine Kinder sind.

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Kindchenschema wirkt bei Tieren (links) genauso wie bei alten Menschen (rechts) 65 66

In vielen Bereichen und Branchen, darunter Spielzeugbranche, Filmbranche, Modebranche und Werbebranche, um nur einige von sehr vielen zu nennen, wird deswegen auf das Kindchenschema zurückgegriffen. In einigen Bereichen wie Manga und Anime wird das Kindchenschema besonders verstärkt und übertrieben angewendet. Dabei werden vor allem Augen und Köpfe unrealistisch groß und Nasen sehr klein oder gar nicht gezeichnet. Die Jugendlichkeit, Attraktivität und Anziehungskraft wird somit erhöht.

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Kindchenschema in Manga und Anime 67 68

Eine Randerscheinung ist, dass Frauen auf Männer laut Untersuchungen 69 besonders attraktiv wirken, umso mehr sie dem Kindchenschema entsprechen. Grund dafür sind die schon zuvor beschriebenen Eigenschaften wie, dass der Beschützerinstinkt geweckt wird, aber auch dass sich der Mann dadurch mehr Nachwuchs verspricht! Entwicklungsgeschichtlich war es Männern von Vorteil, junge Frauen als Fortpflanzungspartnerinnen zu bevorzugen, da sie noch lange zeugungsfähig waren und somit eine größere Erfolgschance auf viel Nachwuchs aufwiesen 70. Laut einer Studie 71 sind jene Gesichter am schönsten, die es so in der Wirklichkeit nicht gibt. Meistens wird eine Mischung aus 10% bis 50% Kindchenschema als am schönsten angesehen.

Beim Charakter Design kann man sich dem Kindchenschema und den Ergebnissen vieler Studien bedienen. Will der Artist einen Charakter erstellen, der sehr den Eigenschaften des Kindchenschema entspricht und die Emotionen, die das Kindchenschema in uns hervorruft, überspitzt man die Eigenschaften der Kindchenschemata.

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Auch Dinosaurier und Urzeittiere können mittels Kindchenschema „süß“ wirken 72 73

Möchte der Artist hingegen einen Charakter entwickeln, der nett und freundlich ist, aber nicht zu „kindlich“ erscheint, werden das Kindchenschema und die damit verbundenen Eigenschaften abgestumpft angewendet, sodass einerseits der Charakter als erwachsen angesehen wird, anderseits ein wenig das Kindchenschema mit „nett“, „lieb“ und „hübsch“ mitschwingt.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Das Kindchenschema abgeschwächt angewendet, um Sympathie zu erwecken 74 75

Es kann natürlich auch das Gegenteil mit dem Kindchenschema ausgelöst werden, indem man nicht mit dem Kindchenschema, sondern gegen dieses arbeitet. „Negative“ Charaktere können ein „negatives“ Kindchenschema aufweisen, sprich, die Eigenschaften, die ein Kindchenschema auslösen, werden negiert angewendet. Ein kantiges Gesicht mit einer dominanten Nase kann aus einem „normalen“ Charakter leicht einen Bösewicht machen, der aus der Masse hervorsticht.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Bösewichte die markante, kantige Nasen aufweisen und ein kantiges Gesicht 76 77

[...]


1 Rüdiger Safranski, Das Böse oder Das Drama der Freiheit, Hanser, 1997, S. 286 f.

2 http://de.wikipedia.org/wiki/Muster_(Struktur) , (accessed 03/2009)

3 http://de.wikipedia.org/wiki/Optische_T%C3%A4uschung, (accessed 03/2009)

4 http://de.wikipedia.org/w/index.php?title=Datei:Nocube.svg&filetimestamp=20081227170308, (accessed 03/2009)

5 http://de.wikipedia.org/w/index.php?title=Datei:Kanizsa_triangle.svg&filetimestamp=20070315045140, (accessed 03/2009)

6 Christoph Redl, Grundlagen der Kommuniktions- und Medienthoerie Mitschrift SS07, Seite 24, 2007

7 Christoph Redl, Grundlagen der Kommuniktions- und Medienthoerie Mitschrift SS07, Seite 24, 2007

8 http://de.wikipedia.org/wiki/Kollektivsymbolik, (accessed 03/2009)

9 http://de.wikipedia.org/wiki/Intersubjektivit%C3%A4t, (accessed 03/2009)

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Details

Seiten
Erscheinungsform
Erstausgabe
Jahr
2009
ISBN (PDF)
9783956847844
ISBN (Paperback)
9783956842849
Dateigröße
26.2 MB
Sprache
Deutsch
Institution / Hochschule
Technische Universität Wien
Erscheinungsdatum
2015 (Februar)
Note
1
Schlagworte
Charakter Design Character Charakterdesign Characterdesign Visual Computing Videogame Computerspiel Grafikdesign

Autor

Mag. Martin Tintel, BSc, wurde 1984 in Wien geboren. Er studierte 2004 bis 2009 Medieninformatik und Visual Computing an der Technischen Universtität Wien, dann absolvierte er ein Praktikum im Bereich Game Design. Anschließend folgte ein Studium des Informatikmanagement bis 2011, Abschluss mit Auszeichnung. Schon während seines Studiums arbeitete er in diversen Branchen und Firmen und sammelte dort umfassende praktische Erfahrungen im Charakter Design. Seit 6 Jahren ist er als Informatiklehrer tätig.
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Titel: Charakter- und Figurendesign: Einführung in die psychische und visuelle Gestaltung von Charakteren
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