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Wohlstand ohne Wachstum? Zur Diskussion über alternative Modelle der Berechnung des Bruttoinlandprodukts

©2013 Masterarbeit 69 Seiten

Zusammenfassung

Am 1. und 2. Oktober 2013 fand in Kiel das sechste Global Economic Symposium (GES) statt. Diese Konferenz wird seit 2008 vom Institut für Weltwirtschaft organisieret wird und die Teilnehmer gehören zu den prominentesten Politiker, Unternehmern und Wirtschaftswissenschaftler der Welt. Sie ist darauf ausgerichtet, eine umsetzbare Lösung für die aktuellen globalen Probleme zu erarbeiten. Neben der Gefahr einer neuen Rezession der Weltwirtschaft und den Finanzproblemen der Eurozone gehörte in diesem Jahr auch die Neudefinierung des gesellschaftlichen Wohlstandes zu den Hauptthemen des Symposiums. Dabei herrschte die Einigkeit zwischen den Teilnehmer, dass solche traditionelle Wohlstandsindikatoren wie das Bruttoinlandsprodukt veraltet sind.
Dieses Beispiel bestätigt die Annahme, dass die Probleme der Neubestimmung des Wohlstandes oder des Erreichens des Wohlstandes ohne Wachstum immer noch aktuell bleiben. Mittlerweile haben mehrere Politik-, Sozial- und Wirtschaftswissenschaftler unterschiedliche theoretische Modelle und Konzepte vorgeschlagen, die die gesellschaftliche Wohlfahrt in alternativer Weise berechnen sollen. In diesem Bezug entsteht aber die Frage, ob alle dieser Modelle und Konzepte verlässliche Wohlstandsalternativen darstellen und überhaupt praktisch verwendbar sind. Hierbei lässt sich die folgende Forschungsfrage des vorliegenden Aufsatzes formulieren: Welches alternative Modell der Wohlstandmessung kann das Wohlfahrtsniveau einer Gesellschaft umfassender und angemessener widerspiegeln?
Um diese Forschungsfrage zu beantworten, werden vor allem der klassische Wohlstandsbegriff sowie andere traditionelle Wohlstandskonzepte genau definiert. Darin werden auch internationale und nationale rechtliche Aspekte des Wohlstandes einbezogen. Hierbei werden nur solche internationalen Rechtsakte berücksichtigt, an die die Bundesrepublik Deutschland gebunden ist. Im folgenden Kapitel werden die theoretische Kritik der traditionellen Wohlstandskonzepte und entsprechende empirische Daten von Industriestaaten dargestellt und zum Vergleich mit alternativen Konzepten ausgearbeitet. Im letzten Kapitel werden ausgewählte alternative Modelle und Konzepte ausführlich beschrieben und bewertet. Aufgrund der vorliegenden Bewertung, die auch in tabellarischer Form dargestellt wird, wird das Endergebnis gezogen beziehungsweise die Forschungsfrage beantwortet.

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


1. Konzeptionelle Kritik

a. Kritik der Verwendung des Bruttoinlandsprodukts als Wohlstandsindikators

Einer der Hauptkritiker des Bruttoinlandsprodukts als Wohlstandindikators ist der britische Wirtschaftswissenschaftler Tim Jackson. Sein Kritikkonzept richtet sich vor auf das Wachstum des BIP und hat die folgenden Schwerpunkte:

1) Durch das Wachstum des Bruttoinlandsproduktes kommt die Vermehrung des Wohlstandes nicht der gesamten Erdbevölkerung oder der Bevölkerung eines Staates zugute, sondern wird sehr ungleichmäßig verteilt. Dabei verdient ein Fünftel der Weltbevölkerung etwa zwei Prozent des Welteinkommens, und die reichsten 20 Prozent verdienen 74 Prozent des Welteinkommens. Es ist bemerkenswert, dass der Einkommensunterschied auch in hoch entwickelten Industriestaaten immer größer wird. Während die Reichen immer wohlhabender wurden, stagnierten die Realeinkommen der Mittelschicht in den westlichen Staaten seit mehreren Jahre. Das Wachstum des Bruttoinlandprodukts hat das Lebensniveau der Bedürftigen keineswegs gehoben. Die Ungleichheit des Einkommens führt zur sozialen Spannung, die den gesellschaftlichen Frieden beeinträchtigen und somit auf Wohlstand und Lebensqualität einer Gesellschaft sehr negativ auswirken können (Jackson 2011: 27).
2) Es gibt keine Korrelation oder Zusammenhang zwischen dem ständigen Streben nach wirtschaftlichem Wachstum und Steigerung von Glück und Lebenszufriedenheit der Menschen. Das Streben nach ständigem Wachstum des BIP kann sie sogar beeinträchtigen. Während die entwickelten Volkswirtschaften in den letzten zehn Jahren ökonomisch vergleichsweise erfolgreich waren, kann man in entsprechenden Staaten gleichzeitig eine wachsende „sozialen Rezession“ beobachten (Jackson 2011: 27).
3) Die Erde hat ökologische Grenzen und die Ressourcen des Planeten sind endlich. In diesem Bezug entsteht die folgende Frage: wie und für wie lange ist stetiges Wachstum möglich, ohne auf die ökologischen Grenzen eines endlichen Planeten zu stoßen? Es wird ständig über die Aspekte der Ressourcenknappheit und die Fähigkeit des Planeten, die Folgen der wirtschaftlichen Aktivitäten für die Umwelt „zu assimilieren“, diskutiert.

Im Rahmen der Ressourcenknappheit spielt einerseits der Begriff des Scheitelpunktes eine wichtige Rolle. Dieser Punkt spiegelt das Niveau der Erdölvorkommen wieder und wenn er überschritten wird, wird die Ölförderung für immer teurer. Somit wird die Zeit des billigen Öls endgültig vorüber. Der hohe Ölpreis dient seinerseits als die Ursache der Verlangsamung des Wirtschaftswachstums, was zur Krise führen kann. Die Vorkommen solcher Ressourcen wie Kupfer, Zinn, Silber, Chrom, Zink und einiger anderen wichtigen Bodenschätzen erschöpfen sich auch mittlerweile. Bei aktuellen Verbrauchsmengen erden sie innerhalb von nächsten zwanzig bis vierzig Jahre aufgebraucht. Außerdem kommt der fruchtbare Boden mittlerweile aus, was zum Anstieg der Preise für Nahrungsmittel führt (Jackson 2011: 28 – 35).

Zur Fähigkeit des Planeten, die Folgen der wirtschaftlichen Aktivitäten für die Umwelt „zu assimilieren“, gehört vor allem das Problem des Klimawandels, der durch die Anreichung von Treibhausgasen in der Atmosphäre entsteht. Die Vergrößerung des Ausstoßes von Treibhausgasen ist ihrerseits eng mit dem Wirtschaftswachstum verbunden, indem immer mehr Industriegüter produziert werden. Die schwerwiegenden Folgen des Klimawandels sind Verwüstungen, Überflutungen, Orkanen. Es ist bemerkenswert, dass frühzeitiges Handeln, das auf die Senkung der Treibhausgasemissionen gerichtet ist und zu den geringen Einbußen beim BIP führt, helfen würde, in der Folge erheblich höhere Kosten zu vermeiden (vgl. Jackson 2011: 28 – 35; Stern 2007: 15).

Ein deutscher Zukunftswissenschaftler Horst Opaschowski kritisiert auch die Verwendung des Bruttoinlandsprodukts als Wohlstandsindikator. Die Schlüsselbehauptung seiner Kritik ist die Erkenntnis, dass das Bruttoinlandsprodukt das wirkliche Wohlstandsniveau einer Gesellschaft nicht mehr widerspiegeln kann, weil es bestimmte ökonomische, soziale und ökologische Aspekte und Entwicklungen nicht mehr hinreichend abbildet. Während solche destruktive Prozesse wie Auszahlungen von Verschrottungsprämien für Kraftfahrzeuge und Zerstörungen von Natur durch den Ausbau touristischer Infrastrukturen zur Steigerung des BIP beitragen, werden solche qualitative Aspekte des Wachstums wie Sozial- und Umweltverträglichkeit, gerechte Einkommensverteilung und Förderung des Wohlergehens der Menschen außer Betracht gelassen. Außerdem wird die Bevölkerung durch die Vermehrung des materiellen Wohlstandes nicht geistlich zufriedener. Als Folge wird Wachstums des BIP immer durch das steigende Gier und die Etablierung des übermäßigten Konsums als größter Schwäche des Menschen begleitet (Opaschowski 2013: 104 – 105, vgl. Sedlacek 2012: 114).

Die entsprechende Enquete – Kommission des deutschen Bundestages, die den Titel „Wachstum, Wohlstand, Lebensqualität – Wege zu nachhaltigem Wirtschaften und gesellschaftlichem Fortschritt in der Sozialen Marktwirtschaft“ trägt und sich mit dem neuen Wohlstandsverständnis beschäftigt, hat auch die Schwerpunkte der Kritik des BIP als Wohlstandsindikators entwickelt. Die wichtigsten von denen sind die folgenden (Schlussbericht der Enquete-Kommission 2013: 232 – 234):

1. Das Bruttoinlandsprodukt erfasst die Veränderungen der Qualität von Gütern und Dienstleistungen ungenau. Angesichts des wachsenden Anteils von Dienstleistungen und der Produktion zunehmend komplexerer Produkte ist es heutzutage schwieriger, die produzierte Menge und die Wirtschaftsleistung zu erfassen. Wenn in einem Sektor der Wert der produzierten Güter oder Dienstleistungen steigt, ist diese Wertsteigerung in der Regel auf eine Qualitätsverbesserung zurückzuführen ist. Werden Qualitätsverbesserungen zu gering eingeschätzt, ist die aktuelle Inflationsrate zu hoch und das reale BIP damit zu niedrig. Im umgekehrten Fall trifft das Gegenteil zu (vgl. Fitoussi/ Sen/ Stiglitz 2009: 11).
2. Öffentlich bereitgestellte Güter und Dienstleistungen werden ungenau erfasst , weil solche Güter und Dienstleistungen, wie Landesverteidigung, innere Sicherheit, individuelle medizinische Versorgung, werden anhand ihrer Kosten, aber nicht anhand der tatsächlich erbrachten Dienstleistungen gemessen. Im Gesundheitswesen werden beispielsweise die Kosten für Ärztinnen und Ärzte, die als Input bezeichnet werden können, nicht jedoch erfolgte Behandlungen oder Behandlungserfolge, die Output genannt werden können, gemessen. In einigen Fällen kann der Output trotz der ständigen Erhöhung des Outputs immer relativ niedrig bleiben (vgl. Fitoussi/ Sen/ Stiglitz 2009: 97 – 99).
3. Bruttoinlandsprodukt berücksichtigt Haushaltsproduktion, ehrenamtliches Engagement und der Wert der Freizeit unvollständig. Wertschöpfende Tätigkeiten wie Hausarbeit, Kinderbetreuung oder Pflege von Angehörigen werden im BIP nur dann berücksichtigt, wenn sie bezahlt werden, nicht jedoch, wenn die betroffene Person sie selbst durchführt oder die unentgeltliche Hilfe aus der Nachbarschaft kommt. Der materielle Lebensstandard und das öffentliche oder individuelle Nutzen in den beiden alternativen Szenarien sind aber praktisch identisch. Ehrenamtliches Engagement und der Wert der Freizeit fließen überhaupt nicht ins BIP ein, obwohl der Wert des gesellschaftlichen Nutzen daraus in vielen Fällen so groß sein kann, dass die Leistung ohne ehrenamtlich Tätige vom Staat „gekauft“ werden müsste und damit BIP wirksam wäre. Die Nicht-Berücksichtigung des ehrenamtlichen Engagements führt folglich zu einer Unterschätzung des Bruttoinlandprodukts. Andererseits erfolgt die Herstellung von Gütern und Dienstleistungen und somit das Wachstum des BIP auf Kosten der freien Zeit, die einen individuellen Wert hat. Bei der Nicht-Berücksichtigung des Gutes Freizeit wird der Wert des Bruttoinlandsprodukts überschätzt (vgl. Fitoussi/ Sen/ Stiglitz: 14).
4. Wohlstand mindernde Schäden wirtschaftlicher Aktivitäten werden unangemessen in das Bruttoinlandsprodukt eingerechnet. Beispielsweise werden Umweltverschmutzung, Wirtschaftskriminalität, Verkehrsunfälle, vermehrte psychische Erkrankungen als Faktoren berücksichtigt, die nicht zur Senkung, sondern zur Steigerung des Bruttoinlandsprodukts führen. Zum Bespiel sind die Förderung und der Verbrauch von Kohle sehr umweltschädlich, jedoch wird dadurch das BIP erhöht, weil sie materiell gemessen werden können. Dabei werden die resultierenden Umwelt- und Gesundheitsschäden sowie die Tatsache, dass es sich um eine nicht regenerierbare Energie- quelle handelt, nicht berücksichtigt. Bei der Vermehrung psychischer Erkrankungen steigen private und öffentliche Heilungsausgaben sowie die Herstellung von entsprechenden Medikamenten, die ins BIP einfließen. Dabei werden die Verschlechterung des Wohls der Bevölkerung sowie die Beeinträchtigung individuellen Wohls überhaupt nicht berücksichtigt (vgl. SVR/CAE 2010: 36).

Die Verwendung des BIP als Wohlstandsindikator wird auch durch das Denkwerk Zukunft – Stiftung kulturelle Erneuerung“ kritisiert. Die Schwerpunkte dieser Kritik können in folgenden zwei Thesen zusammengefasst werden (vgl. Butzmann/ Schulte/ Wahl 2011: 11 – 12):

1) Das Bruttoinlandsprodukt lässt den immateriellen Wohlstand unberücksichtigt, obwohl solche immaterielle Werten wie Gesundheit, Freizeit, gesellschaftliches Miteinander, politische Mitwirkungsrechte in einer modernen Gesellschaft immer wichtiger werden. Darüber hinaus führt das Wirtschaftswachstum und somit die Vermehrung des materiellen Wohlstandes oftmals zur erheblichen Beeinträchtigung aufgezählter Werten.

2) Die weitere Verwendung des BIP als Wohlstandindikators lässt gesellschaftlichen und ökologischen Schaden unberücksichtigt, die immateriellen sowie immateriellen Wohlstand erheblich mindern können. Im Laufe der Zeit können die Grundlagen des gesellschaftlichen Wohlstandes irreversibel beschädigt werden, was die weitere Wohlstandsvermehrung unmöglich macht.

Aus der dargestellten konzeptuellen Kritik des BIP als Wohlstandsindikators, die von unterschiedlichen Wissenschaftler und Institutionen vertreten wird, kann man die folgenden allgemeinen Kritikpunkte herleiten:

1) Das Bruttoinlandsprodukt bezieht sich nur auf materielle Aspekte des Wohlstandes, die ihrerseits nicht gleichmäßig durch die Bevölkerung verteilt werden. Somit entsteht das verkehrte Bild des Wohlstandes, das die Lebenszufriedenheit der Menschen, die ehrenamtliche Tätigkeit sowie die Qualität von Gütern und Dienstleistungen unberücksichtigt lässt.
2) Wenn die Vermehrung des Wohlstandes mit dem Wachstum des Bruttoinlandsprodukts gleichgesetzt wird, werden die Ressourcen der Erde endgültig erschöpft und die Ökosysteme der Welt endgültig zerstört. Dabei ist es bemerkenswert, dass der Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen gemäß Art. 20a des Grundgesetzes der BRD zu den staatlichen Aufgaben gehört. Somit weisen die nationalen Rechtsnormen eindeutig darauf hin, dass das gesamtwirtschaftliche Gleichgewicht gemäß Art. 109 Abs. 2 und 4 GG immer unter strenger Berücksichtigung der ökologischen Aspekte und der Nachhaltigkeit eingehalten werden soll.

b. Kritik der Verwendung des Integrierten Wohlstandsindexes und des Sets von Schlüsselindikatoren

Obwohl die beiden Konzepte bei der Wohlstandsmessung deutlich seltener als das BIP verwendet werden und trotzdem mehr Indikatoren, können sie den Wohlstand auch nicht umfassend und angemessen widerspiegeln. Dafür gibt es die folgenden Gründen:

1. Das Bruttoinlandsprodukt im klassischen Sinn bleibt auch im Integrierten Wohlstandsindex und dem Set von Schlüsselindikatoren ein führender Wohlstandsindikator. Die Wohlstandmessung wird bloß um einige weitere Indikatoren erweitern. Das Konzept des Bruttoinlandsprodukts selbst einschließlich seiner Dimensionen bleibt dabei unberührt.
2. Die Verfügbarkeit und Zugänglichkeit von empirischen Datensätzen für einzelne Indikatoren sind oftmals nicht ausreichend, was den praktischen und strategischen Nutzen dieser Konzepte für Politik, Wirtschaft und Öffentlichkeit erheblich einschränkt (vgl. Butzmann/Schulte/Wahl 2011: 21 – 22). Insbesondere betrifft dies die Daten für gesellschaftliche und ökologische Einzelindikatoren, die unregelmäßig und in niedriger Qualität erhoben werden (Constanza/ Hart/ Posner/ Talberth 2009: 24 – 26).
3. Bisher gibt es kein Verfahren für die standardisierte Auswahl von Einzelindikatoren. Diese können ganz willkürlich ausgewählt werden und einzelne Wohlstandsdimensionen nicht nur objektiv sondern auch subjektiv darstellen. Somit wird die Wohlstandsmessung aufgrund des Integrierten Wohlstandsindexes und des Sets von Schlüsselindikatoren nicht umfassend. Außerdem kann der internationale Vergleich des Wohlstandes dadurch nicht durchgeführt werden (vgl. Butzmann/ Schulte/ Wahl 2011: 22).
4. Weil der Integrierte Wohlstandsindex mehrere Dimensionen einbezieht, wird es unklar, inwieweit sie gewichtet werden sollen. Obwohl das Bruttoinlandsprodukt der führende Indikator im Wohlstandsindex bleibt, wird es unklar, in welchem genauen Gewicht, das prozentual ausgeprägt wird, das BIP in den Integrierten Wohlstandsindex eingeht. An- und Abstieg des Indexes wird dabei auch durch soziale und ökologische Dimensionen bestimmt. So kann ein Index auch dann zunehmen, weil z.B. der Anstieg ökonomischer Indikatoren den erheblichen Rückgang ökologischer und/oder sozialer Werte überkompensiert und umgekehrt (Butzmann/ Schulte/ Wahl 2011: 23).
5. Es wird nicht vorgeschrieben, welche genaue Anzahl von Indikatoren das Set von Schlüsselindikatoren einbeziehen soll. Wenn ein Set mehr als 20 Indikatoren umfasst, ist es sehr unübersichtlich und international unvergleichbar, weil Daten unterschiedlich erhoben werden können. Außerdem gibt es die Möglichkeit, dass das Set von Schlüsselindikatoren nicht aufgrund der Indikatoren, die angemessen und umfassend den Wohlstand widerspiegeln, sondern nur aufgrund solcher Indikatoren, für welche repräsentative Daten unproblematisch erhoben werden können, gebildet wird (vgl. Butzmann/ Schulte/ Wahl 2011: 24).

2. Empirische Überprüfung der Kritik

Die konzeptionelle Kritik des Bruttoinlandsprodukts als Wohlstandsindikators lässt sich auch durch empirische Daten überprüfen. Die Behauptung, dass konstanter Wachstums des materiellen Wohlstandes zur endgültigen Erschöpfung der Ressourcen führt, wird in der Wissenschaft weitgehend akzeptiert und somit benötigt keine empirische Beweise. Trotzdem gibt es noch kein allgemeines Verständnis dafür, dass der hohe materielle Wohlstand nicht immer dem Wohlstand im sozialen Sinn entspricht. Die entsprechenden Datensätze aus den sozialen Wohlstandsdimensionen Lebenszufriedenheit, Lebenserwartung, Kindersterblichkeit und Zugang zur Bildung lassen diese These weitgehend bestätigen.

a. Überblick über die Industriestaaten

Eine der wichtigsten Wohlstandsdimensionen ist die Lebenszufriedenheit der Bevölkerung. Die Lebenszufriedenheit kann als positive subjektive Bewertung individuelles Wirtschafts- und Sozialstatus, Zukunftsperspektiven und der übrigen Lebensumstände verstanden werden. Obwohl die Ansicht noch verbreitet ist, dass solche positive Bewertung vom materiellen Wohlstand abhängig ist, beweisen mehrere empirische Datensätze das Umgekehrte.

So hat sich das Realeinkommen pro Kopf und somit der individuelle materielle Wohlstand in den Vereinigten Staaten von Amerika heutzutage im Vergleich zum Jahre 1950 verdreifacht, was auch zum entsprechenden Wachstum des Bruttoinlandsprodukts geführt hat. Die Prozentzahl der Menschen aber, die sich als sehr glücklich bezeichnet, ist kaum gestiegen, seit der Mitte der 1970er – Jahre sogar gesunken. In Großbritannien belief sich die Zahl derer, die sich als „sehr glücklich“ bezeichnet, im Jahr 1957 auf 52 Prozent. Heute beträgt diese Zahl 36 Prozent, obwohl die Realeinkommen während der vorliegenden Zeitperiode sich mehr als verdoppelt haben (Jackson 2011: 58 – 59). Die Lebenszufriedenheit von Kinder und Jugendlichen ist auch vorbildlich. Laut der objektiven Messung des UN – Kinderhilfswerk sieht die Lebenssituation der 11- bis 15-jährigen Kinder und Jugendlichen in Deutschland, die vor allem den materiellen Wohlstand in unterschiedlichen Dimensionen umfasst, ganz gut aus und nimmt Platz 5 in der entsprechenden Rangliste aus 30 Industriestaaten ein. Doch ist der Anteil der 11- bis 15-jährigen Kinder und Jugendlichen, die ihre Lebenssituation selbst positiv bewerten, ganz niedrig. In der entsprechenden Rangliste befindet sich Deutschland am Platz 22 von insgesamt 30 Plätzen. Die Lage der 11- bis 15-jährigen Kinder und Jugendlichen in Griechenland und Estland sieht umgekehrt aus: wenn die Forscher des UN – Kinderhilfswerks sie als ganz niedrig bewerten, empfinden sich Kinder und Jugendlichen in diesen Staaten überwiegend als glücklich. Auf der bereits erwähnten Rangliste nach der Forschung des UN – Kinderhilfswerkes nehmen Estland und Griechenland entsprechend Plätze 23 und 25 ein. Gleichzeitig steht Griechenland auf Platz 5 und Estland – auf Platz 9 der oben aufgeführten Rangliste nach der subjektiv empfundenen Lebenszufriedenheit (Schwarz 2013: 3). Dabei ist es bemerkenswert, dass das nominale Bruttoinlandsprodukt sowie das Bruttoinlandsprodukt pro Kopf in Deutschland deutlich größer ist als in Griechenland und Estland.

Das folgende Paradox der Lebenszufriedenheit ist festgestellt: wenn ein Pro – Kopf – Einkommen von rund 15000 US – Dollar erreicht ist, reagiert der Wert der Lebenszufriedenheit so gut wie überhaupt nicht mehr auf Zuwächse beim BIP, selbst dann nicht, wenn diese beträchtlich sind. Zum Beispiel weisen Dänemark, Schweden, Irland, Belgien und Neuseeland allesamt höhere Werte bei der Lebenszufriedenheit auf als die USA und Deutschland, jedoch signifikant niedrigere Werte bei den Einkommen und Bruttoinlandsprodukt (Jackson 2011: 58 – 59). Das ähnliche Paradox wurde von dem US – amerikanischen Wirtschaftswissenschaftler Richard Easterlin festgestellt. Aufgrund der Untersuchung der Korrelation zwischen dem Wachstum des BIP und der Lebenszufriedenheit in 37 Staaten – davon 17 Industriestaaten, 9 Entwicklungsstaaten und 11 Transformationsstaaten – kam er zum Ergebnis, dass es keine signifikante positive Korrelation zwischen dem Wachstum des Bruttoinlandsprodukts und Wachstum des Lebenszufriedenheitsniveau in der langfristigen Perspektive gibt. Die entsprechende positive Korrelation ist nur in der kurzfristigen Perspektive zu beobachten (vgl. Easterlin 2013: 4, 7, 11).

Die andere wichtige soziale Wohlstandsdimension ist die Lebenserwartung. Selbstverständlich gibt es Staaten mit hohem BIP, wo die Lebenserwartung bei der Bevölkerung auch hoch ist. Trotzdem liegt die Lebenserwartung in einigen Staaten mit niedrigem Einkommen auf gleicher Höhe mit den entwickelten Staaten. Zum Beispiel beträgt das jährliche Durchschnittseinkommen in Chile 12000 US – Dollar, das Land hat gleichzeitig eine Lebenserwartung von 78,3 Jahren. Es ist mehr als in Dänemark, wo das Durchschnittseinkommen mit 34000 US – Dollar fast dreimal so hoch ist. Andererseits sind das Einkommensniveau und das Bruttoinlandsprodukt pro Kopf in Südafrika und Botswana mit Chile vergleichbar, die Lebenserwartung liegt dort aber um 30 Jahre niedriger (Jackson 2011: 73 – 75).

Es gibt auch keinen eindeutigen Zusammenhang zwischen dem Wachstum des BIP und Erhöhung der Lebenserwartung. Beispielsweise wurde Japan von der Asienkrise von den Jahren 1997 – 1998 schwer getroffen und erlebte die erhebliche wirtschaftliche Rezession. Die Lebenserwartung erhöhte sich aber in dieser Periode schneller als jemals in den vorangegangenen zwei Jahrzehnten. Das Wirtschaftswachstum in Argentinien verlief in den letzten drei Jahrzehnten sehr ungleichmäßig, indem die Rezessionen den Wachstumsperioden folgten. Die Zuwächse bei der Lebenserwartung blieben jedoch erheblich und stetig (Jackson 2011: 73 – 75). In Kuba brach die formelle Wirtschaft, deren Hauptindikator das BIP ist, nach dem Auseinanderfallen der Sowjetunion im Jahr 1989 zusammen, unter anderem weil das subventionierte sowjetische Öl nicht mehr geliefert wurde. Eine aktuelle Studie zeigt allerdings, dass es während dieser wirtschaftlich schwierigen Periode signifikante Verbesserung im Gesundheitsbereich gab und somit die Lebenserwartung sich erhöht hat. So nahmen die Todesfälle aufgrund von Diabetes zwischen 1997 und 2001 um 51 Prozent, aufgrund von koronaren Herzerkrankungen – um 35 Prozent und aufgrund von Schlaganfall – um 20 Prozent ab (Franco /Ordunez /Caballero /Tapia Granados /Lazo /Bernal /Guallar /Cooper 2007: 1374).

Es gibt auch Staaten, wo die Lebenserwartung trotz der wirtschaftlichen Erholung sich deutlich verringert hat. Beispielsweise hat Russland Anfang 2000er-Jahre einen wirtschaftlichen Aufschwung erlebt, der nach der dauernden Rezession infolge des Zusammenbruches der Sowjetunion folgte. Die Situation mit der Lebenserwartung hat sich dort nur verschlechtert. Die Wachstumsraten in Südafrika waren in den 1990er – Jahren relativ hoch, obwohl die Lebenserwartung sich erheblich verringert hat (Jackson 2011: 76 – 77).

Das Kindersterblichkeitsniveau widerspiegelt den Zustand des Gesundheitswesens und somit den sozialen Wohlstand einer Gesellschaft. Obwohl die Kindersterblichkeit in OECD – Staaten im Vergleich zu Afrika südlich der Sahara deutlich niedriger ist, verringert sich allerdings ihre Verbesserung mit steigendem Einkommen und aus dem Wachstum des BIP pro Kopf sehr schnell. Zum Beispiel liegt die Kindersterblichkeit in Kuba mit sechs von 1000 Lebendgeburten, so niedrig wie in den Vereinigten Staaten von Amerika – obwohl das kubanische Durchschnittseinkommen mit 6000 US – Dollar pro Kopf weniger als 15% des US – amerikanischen beträgt. In Äquatorialguinea, wo das Pro-Kopf-Einkommen 8000 US – Dollar beträgt, liegt die Kindersterblichkeit mit 123 von 1000 Lebendgeburten deutlich höher als in Kuba (Jackson 2011: 73 – 74).

Das Bildungssystem spielt die führende Rolle bei der sozialen Integration einer Person und somit gehört auch zu den wichtigsten sozialen Wohlstandsdimensionen. Es gibt allerdings Staaten, wo der Zugang zu Bildung trotz der niedrigen Einkommen ebenso hoch ist wie in den am weitesten entwickelten Ländern. Zum Beispiel schneidet Kasachstan auf dem Indikator für den Bildungszugang besser ab als Japan, die Schweiz oder die USA, obwohl das Durchschnittseinkommen dort weniger als 8000 US – Dollar beträgt und die aufgelisteten Industriestaaten um das Vier- bis Fünffach höheres Einkommensniveau verfügen (Jackson 2011: 74).

Die angeführten empirischen Datensätze verschaffen nicht nur den Überblick über die Lage in mehreren Industriestaaten, sondern lassen auch drei wichtige Ergebnisse formulieren (vgl. Jackson 2011: 74, 76, 78):

1) es gibt keine eindeutige Korrelation zwischen Einkommenshöhe und besseren Lebensbedingungen: wenn das Einkommen über 15000 US – Dollar pro Kopf ansteigt, nehmen die Wachstumsgewinne in Bereichen der Lebensbedingungen ab;
2) Wachstum ist keine Garantie für mehr sozialen Wohlstand; insbesondere betrifft dies die Lebenserwartung, weil Verbesserungen in dieser Dimension in fast allen entwickelten Staaten in kleinen Schritten stattgefunden haben;
3) die Verschlechterungen in humanitären Bereich, die im Zusammenhang mit wirtschaftlichen Turbulenzen auftreten, sind eher auf die jeweilige gesellschaftliche Struktur als auf den jeweiligen Grad der wirtschaftlichen Instabilität zurückzuführen.

b. Betrachtung der Lage in der Bundesrepublik Deutschland

Die Bundesrepublik Deutschland gehört zu den hoch entwickelten Industriestaaten, somit ist die Tendenz der Abwertung des Bruttoinlandsprodukts als Wohlstandsindikators auch für sie aktuell. Insbesondre betrifft dies das Niveau der Lebenszufriedenheit und des Wohlfühlens der Bevölkerung trotz des hohen Bruttoinlandsprodukts. Mehrere empirische Datensätze lassen es bestätigen.

Trotz der wirtschaftlichen Krisenentwicklungen in mehreren Teilen der Welt sind die gute Konjunktur und angemessener Wirtschaftswachstum in Deutschland zu beobachten. Im Jahre 2010 betrug das nominale Bruttoinlandsprodukt knapp 2,5 Mrd. Euro mit dem realen Zuwachs von 3,6% (Fischer Weltalmanach 2012: 119). Mit der Wirtschaft wächst auch der Lebensstandard und das Geldvermögen[1] beläuft heute auf 4,715 Billionen Euro. Doch die Bevölkerung fühlt sich immer schlechter und unsicherer. Wenn der Anteil der befragten Staatsbürger, die von der Verschlechterung der Lebensqualität in Deutschland im Vergleich zu früheren Zeiten überzeugt waren, im Jahre 2002 33% betrug, waren davon schon 38% der Befragten im Jahre 2012 überzeugt (Opaschowski 2013: 35). Im Jahre 1999 hatten 40% der Deutschen die Angst vor der Aggressivität in der Gesellschaft. Im Jahre 2010 betrug die Anzahl solcher Personen bereits 61%. Insgesamt 68% der Bevölkerung wurden im Jahre 2011 davon überzeugt, dass die nächsten Generationen mit mehr Arbeitsplatzunsicherheit und gleichzeitig mehr Druck und Stress arbeiten müssen werden. In diesem Bezug kann man von den in Deutschland wachsenden neuen Ängsten vor dem Wohlstandsverlust, vor wachsender Aggressivität und vor dem Arbeitsstress reden. Außerdem sorgen sich viele deutschen Staatsbürger um das Wachstum der soziale Kälte (58%) und Kriminalität (71%) in Zukunft, was auch gegen die Herrschaft der Lebenszufriedenheit in deutscher Gesellschaft spricht. (Opaschowski 1997: 20; Opaschowski 2013: 47, 53, 101).

Dabei ist es bemerkenswert, dass Armut und Wohlstand keine Widersprüche sein müssen. Im Jahre 1990 vertraten nur wenige Prozente der Bevölkerung der Deutschen Demokratischen Republik die Auffassung, dass ihr Einkommen für das Leben kaum ausreichend war. In ein Jahr nach der Wiedervereinigung hat sich der Anteil solcher Personen verdreifacht und betrug 20% am Ende des Jahres. Nach einer Erholung während der neunzigen Jahren wächst sich der Anteil der Bevölkerung der neuen deutschen Bundesländer, der sich als „arm“ empfinden, seit der Jahrtausendwende stabil (vgl. Opaschowski 2013: 64). Darüber hinaus haben sich 38% der deutschen Bürger im Krisenjahr 2009, in dem die Wirtschaft einen schweren Einbruch erlitt, sich trotzdem als „sehr glücklich“ gefühlt. Zum Verglich betrug die Anzahl solcher Leute im Jahre 1954 28% und im Jahre 2000 – 31% (vgl. Opaschowski 2013: 40).

Im Bezug auf die Wohlstandsmessung durch das Bruttoinlandsprodukt ist das Beispiel des deutschen Bundeslandes Schleswig – Holstein sehr vorbildlich. Im Juni 2011 hat die dortige Grüne Landtagsfraktion den sogenannten regionalen Wohlfahrtsindex (RWI) für Schleswig-Holstein) in Zusammenarbeit mit dem Institut für Interdisziplinäre Forschung Heildelberg, dem Wuppertal –Institut, dem Institut für ökologische Wirtschaftsforschung Berlin und der Freien Universität Berlin in Anlehnung an den Nationalen Wohlstandsindex (NWI) ausgearbeitet. Der Index schließt unter anderem solchen Indikatoren ein, die auch die Lebenszufriedenheit zuverlässig widerspiegeln können. Dazu gehören Einkommensverteilung, Schäden durch Kriminalität, Kosten für Drogen, Alkohol und Tabak sowie Kosten für Verkehrsunfälle. Außerdem berücksichtigt der RWI öffentliche Ausgaben für Bildung, die für den allgemeinen Bildungszugang sehr bedeutsam sind. Das Niveau der wirtschaftlichen und infrastrukturellen Entwicklung Schleswig-Holsteins ist mittel im Vergleich zu anderen Bundesländer. Darüber hinaus lag das BIP im Bundesland im Jahre 2008 nur 0,2% über dem BIP von 1999. Die Forscher haben aber festgestellt, dass der RWI von 1999 bis 2008 dagegen um 9,4% gestiegen ist, was für die Wohlstandsvermehrung trotz des niedrigen BIP – Wachstum spricht (vgl. Diefenbacher/ Petschow/ Pissarskoi/ Rodenhäuser/ Zierschank 2011: 27 – 92, 96).

3. Vergleichskriterien zu alternativen Konzepten

Die angeführte konzeptionelle Kritik der Wohlstandsmessung durch das Bruttoinlandsprodukt als Hauptindikator und empirische Datensätze, die die Zuverlässigkeit dieser Hauptkritikpunkte bestätigen, zeigen eindeutig, dass das BIP für die Wohlstandsmessung nicht umfassend und angemessen ist. Mittlerweile entwickelt sich das Verständnis dieser Tatsache im Sozialwissenschaften, indem mehrere alternative Konzepte der Wohlstandsmessung erstellt wurden und werden. Diese Alternativen sind ganz unterschiedlich, weil sie nicht die gleichen Indikatoren einschließen und somit können sie nicht immer dafür tauglich sein, den Wohlstand wirklich umfassend und angemessen zu bestimmen. Im Großen und Ganzen muss ein alternatives Konzept den folgenden Kriterien entsprechen:

1) Das Modell der Wohlstandsmessung soll unbedingt nicht nur wirtschaftliche und soziale, sondern auch ökologische Indikatoren einschließen. Wie es bereits erwähnt wurde, sind die Ressourcen des Planeten begrenzt und können durch das konstante Wachstum des BIP komplett ausgebeutet werden. Somit soll der vernünftige Umgang mit Ressourcen und der Umwelt in einer Gesellschaft bei der Wohlstandsmessung berücksichtigt werden.
2) Die Datengrundlagen der Indikatoren, die zu einem Konzept der Wohlstandsmessung gehören, sollen möglichst objektiv und verlässlich erhoben werden. Beispielsweise kann man die Lebenszufriedenheit, Zukunftsperspektiven, Optimismus oder Glück aufgrund der Umfrage messen, die Antworten dabei werden oftmals durch subjektive Einschätzungen begründet und können tendenziell sowie von der Formulierung der Fragen abhängig sein. Umso mehr kann sogar eine sehr repräsentative Umfrage die ganze Gesellschaft nicht umfassen. Andererseits gibt es bisher keine verlässliche Erhebungsweise für eine Reihe von Datensätzen aus dem ökologischen Bereich. Somit sollen alle Methoden solcher Art möglichst begrenzt verwendet werden.
3) Indikatoren aus dem sozialen und ökologischen Bereiche sollen den gleichen Wert mit den Indikatoren aus dem wirtschaftlichen Bereich haben. Weil das BIP als führender Wohlstandsindikator aus dem wirtschaftlichen Bereich den Wohlstand nicht umfassend messen kann, muss ein Indikator solcher Art entweder mit den sozialen und ökologischen Indikatoren gleichgesetzt oder diesen sogar untergeordnet werden. Aus dem Inhalt des Konzeptes soll es eindeutig folgen, wie die Indikatoren nach ihren Wert gewichtet werden.
4) Das Konzept muss übersichtlich und für die praktische Anwendung als Alternative tauglich sein. Wenn das alternative Modell zu viel oder zu wenig Indikatoren und Variablen umfasst, nicht eindeutig besagen kann, wie den Wohlstand gemessen wird, schwer interpretierbar ist oder überhaupt keine wirkliche alternative zum BIP darstellt, kann sie nicht praktisch anwendbar sein. Dabei ist es keine notwendige Bedingung, dass der Wert des Wohlstandes in einem Index ausgeprägt wird.
5) Das Konzept soll den nationalen und internationalen rechtlichen Vorschriften, die sich auf Wohlstand mittelbar oder unmittelbar beziehen, nicht widersprechen. Wie es bereits in Abschnitt II festgestellt wurde, gibt es keine direkten rechtlichen Regelungen für die Berechnung des Bruttoinlandsprodukts. Trotzdem sollen ein Konzept keine Verstöße gegen Grundregelungen der Statistiksammlung und –Bearbeitung sowie das Hauptziel des StabGes enthalten. Wobei es ist zulässig, wenn die potenzielle Erweiterung des „magischen Vierecks“ durch eine alternative Wohlstandsmessung berücksichtigt wird. Außerdem soll es auf die in Abschnitt II angeführten Rechte, die einige Wohlstandsdimensionen darstellen, im Rahmen eines alternativen Wohlstandskonzeptes geachtet werden.

IV. Alternative theoretische Modelle und Konzepte für die Wohlstandmessung und zur Bildung des Bruttoinlandsprodukts (BIP)

Derzeit gibt es mehrere alternative Modelle für die Messung des Wohlstands, die Alternativen beziehungsweise Ergänzungen für Berechnungsindikatoren des Bruttoinlandsprodukts darstellen. In den Vereinigten Staaten von Amerika (USA) wurde sowohl ein „Maß für ökonomische Wohlfahrt“ als auch ein „Genuine Progress Indicator“ entwickelt, in Japan ein „Index für Nettowohlfahrt“, in Bhutan der „Gross National Happiness Indicator“, und in Kanada der „Canadian Index of Wellbeing“. In Frankreich hat die Kommission der Noblen (auch als Stiglitz–Kommission bekanntes Komitee) eine Reihe von Empfehlungen zur alternativen Wohlfahrtsberechnung vorgestellt (vgl. Diefenbacher/Zieschank 2011: 39 – 54). Häufig sind zwischen den Konzepten Ähnlichkeiten zu erkennen bzw. sind sie sehr ähnlich, werden sehr undetailliert erarbeitet oder unausführlich beschrieben, indem man ihren Hintergrund, ihre Struktur und die Berechnungsart nicht objektiv nachvollziehen kann. In anderen Fällen stellen sie nur Grundgedanken oder Richtlinien dar. Die oben genannten Empfehlungen der Kommission der Noblen können als Beispiel dazu dienen. Darüber hinaus können einige Modelle keinen Wohlstand im direkten Sinn erfassen. Zum Beispiel weist der oben genannten „Gross National Happiness Indicator“ mehr aggregierte Lebenszufriedenheit als Wohlstand aus, die von kurzfristig geltenden Faktoren stark abhängig sein kann. Außerdem bezieht sich dieses Konzept auf Traditionen des Königreiches Bhutan (vgl. Opaschowski 2013: 107 – 109).

Im folgenden Abschnitt werden fünf Modelle ausführlich dargestellt, die als neuartige Wohlstandsberechnungen gelten können. Dazu gehören der „Nationale Wohlfahrtsindex für Deutschland (NWI)“, der „Genuine Progress Indicator (GPI)“ für die USA, der „Nationale Wohlstandsindex in Deutschland (NAWI D)“ von Horst Opaschowski, der „Wohlstandsindikatorensatz“ der Enquete-Kommission Wachstum, Wohlstand, Lebensqualität – Wege zu nachhaltigem Wirtschaften und gesellschaftlichem Fortschritt in der Sozialen Marktwirtschaft des Deutschen Bundestages und zuletzt das „Wohlstandsquintett“ des „Denkwerkes für Zukunft“.

1. Beschreibung von ausgewählten theoretischen Modelle und Konzepte

a. Der Nationale Wohlfahrtsindex (NWI)

Dieses nachrangig vorgestellte, alternative Model ist das Ergebnis einer Studie, die das deutsche Umweltbundesamt und das Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit im Jahre 2009 durchgeführt haben. Das Ziel für die Entwicklung des Nationalen Wohlfahrtsindex (NWI) ist es, die Kenngrößen des BIP zu ergänzen, und die entsprechenden Informationslücken zu schließen. Jedoch handelt es sich hierbei aber nicht um ein Konzept, um das Bruttoinlandsprodukt als grundsätzliches Konzept der Wohlstandsmessung abzulösen (Diefenbacher/Zieschank 2009: 35; Diefenbacher/Zieschank 2011: 60).

Der NWI stellt eine monetäre Kenngröße dar, mit welchem Datengrundlagen für alle einbezogenen Indikatoren in monetärer Form als jährliche Stromgröße erhoben werden, oder theoretisch betrachtet dafür geeignet sind in dieser Form erhoben werden zu können. Es handelt sich hierbei um eine Zu- bzw. Abrechnung von Summen und hängt davon ab, ob die zugrunde liegenden Aktivitäten die gesamtgesellschaftliche Wohlfahrt steigern oder mindern. Insgesamt umfasst der NWI 21 Grundindikatoren, wovon sieben Indikatoren dem wirtschaftlichen Bereich zuzuordnen sind. Fünf Indikatoren werden dem sozialen Bereich zugeordnet und neun dem ökologischen Bereich. Zudem gibt es zwei weitere modifizierte Formen des Wohlfahrtsindexes, die je 19 oder 23 Indikatoren umfassen. Alle Indikatoren wurden aufgrund ihrer monetären Größe oder prinzipiellen Möglichkeit der Ausprägung in Geldeinheiten, ihrer politischen Relevanz sowie Beeinflussbarkeit für die Wohlfahrtsentwicklung von westlichen Industriestaaten und aufgrund der Verfügbarkeit von entsprechenden empirischen Datenreihen ausgewählt (Diefenbacher/Zieschank 2009: 36 - 37; Diefenbacher/Zieschank 2011: 60).

Zu den wirtschaftlichen Indikatoren des NWI gehören 1) Index der Einkommensverteilung, 2) gewichteter privater Verbrauch, 3) Wert der Hausarbeit, 4) Wert ehrenamtlicher Arbeit, 5) Kosten und Nutzen dauerhafter Konsumgüter, 6) Nettowertänderungen der Kapitalausstattung, 7) Saldo der wirtschaftlichen Außenbilanz. Hierbei haben die Verfasser des Konzeptes das Jahr 2000 als Basisjahr für alle Wertangaben und Berechnungen aufgrund der Datenverfügbarkeit ausgewählt.

1) Index der Einkommensverteilung stellt ein Gini - Index der äquivalenzgewichteten Nettohaushaltseinkommen dar. Unter einer „Äquivalenz - Gewichtung“ ist ein Verfahren verstehen, wenn die Zahl und das Alter aller in einem Haushalt lebenden Menschen, zum Einkommen in diesem Haushalte in Relation gesetzt wird. In diesem Zusammenhang wird jede Person mit einem Faktor gewichtet, der den Bedürfnissen dieser Person im Haushalt entspricht, wobei die Bedürfnisse grundsätzlich vom Alter und dem sozialen Status abhängig sind. Im Folgenden wird das Gesamteinkommen aller Haushaltsmitglieder durch die Summe der Gewichtungsfaktoren geteilt.

Der Gini - Index wird in der Bundesrepublik Deutschland von verschiedenen Instituten und Forschergruppen berechnet, und seine Jahreszahl für das Jahr 2000 als 100 gesetzt. Bei der gleichmäßigen Einkommenserteilung wird die Veränderung des Wertes des Index als Verbesserung gewertet. Wenn die Ungleichheit der Einkommensverteilung aller in einem Haushalt lebenden Personen steigt, wird eine Wertänderung des Gini - Index negativ bewertet. Je niedriger der Wert für ein bestimmtes Jahr des Indexwertes 100 ist, desto mehr wird die Einkommensverteilung als gleichmäßig und gerecht eingeschätzt. Dabei ist es rein theoretisch vorstellbar, dass die gleichmäßige Einkommensverteilung einen Punkt erreichen kann, nach dem jede weitere Bewegung in Richtung Gleichverteilung keinen Wohlstandsgewinn mehr bringt, weil das Einkommen jeder Person nicht mehr steigen kann (vgl. Diefenbacher/Zieschank 2009: 46 – 48).

2) Der gewichteter private Verbrauch wird als realer Verbrauch von Privatpersonen in Preisen des Jahres 2000, gewichtet mit dem Gini - Index der äquivalenzgewichteten Netto­einkommen von Haushalten, deren Zahl im Bezug auf das Jahr 2000 als „100“ gesetzt wurde, definiert. Die Daten für den realen privaten Verbrauch stammen aus der Volks­wirt­schaftlichen Gesamtrechnung und werden somit vom Statistischen Bundesamt erhoben. Der Wert des gewichteten privaten Verbrauches wird wie folgt berechnet: (Privater Verbrauch/Index der Einkommensverteilung) x 100. Wenn nur eine der beiden Variablen eine positive Ent­wicklung einnimmt, kann sie die negative Entwicklung der anderen Variable in ihrer Wirkung über­treffen, was zu einem methodischen Problem führen kann. Somit gäbe es einen realen Zu­wachs des gewichteten privaten Verbrauches nur dann, wenn sich die Einkommensverteilung annähern würde und der reale private Verbrauch steigt (Diefenbacher/Zieschank 2009: 49 – 50).

3) Der Wert von Hausarbeit entspricht dem Wert der Haushaltsproduktion in Preisen im Jahr 2000. Die Datensätze für den Wert dieses Indikators werden durch das sogenannte „Haushalts - Satellitensystem zur Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung des Statistischen Bundesamtes“ erhoben. Die Daten selbst beruhen auf der Ermittlung des Jahresvolumens von unbezahlter Arbeit für die Gesamtbevölkerung (hierbei werden nur Bürger ab ihrem zwölften Lebensjahr in den Datensatz aufgenommen). Bei der Berechnung werden nur solche Aktivitäten und Tätigkeiten berücksichtigt, die auch von Dritten im Haushalt gegen eine entsprechende Entlohnung übernommen werden könnten. Tätigkeiten im persönlichen Bereich, hierunter zählt Schlafen, das Zuführen von Lebensmitteln oder Körperpflege und Freizeitaktivitäten, werden in der Berechnung nicht berücksichtigt.

Die unmittelbare Berechnung des Wertes von Hausarbeit erfolgt durch den sogenannten „Generalistenansatz“, bei dem angenommen wird, dass ein Haushaltsmitglied die volle Verantwortung übernimmt und als Haushaltsangestellte/r verschiedene Tätigkeiten ausführt und dafür Nettolöhne, ohne die Berechnung von Ausfallzeiten wegen Urlaub oder Krankheit, bekommt. Aus dieser Vorgehensweise resultieren gewisse methodische Probleme mit sich. Zunächst ist zu erwähnen, dass neben dem „Generalistenansatz“ auch andere Methoden wie den „Spezialistenansatz“, den „Durchschnittslohansatz“ und den „Opportunitätskostenansatz“ existieren, deren Anwendung unter Umständen zu einem unterschiedlichen Resultat führen kann. Außerdem müssen feste Brutto- oder Nettostundenlöhne für die Tätigkeiten im Haushalt festgelegt werden, da entsprechende Werte unterschiedlich ermittelt werden können. Die Anwendung anderer Berechnungsmethoden oder einem unterschiedlichen Stundenlohnsatz kann zu erheblichen Berechnungsunterschieden führen, die sich in einem unterschiedlichen Resultat bemerkbar machen. Dies kann so weit gehen, als dass es in einigen Fallen möglich ist, dass diese Unterschiede bis 100% betragen können.

Die Tätigkeiten im Haushalt sind Teil der wirtschaftlichen Wertschöpfung eines Landes. Somit wird die Steigerung der Haushaltsproduktion als Wohlfahrtszunahme stets positiv bewertet (Diefenbacher/Zieschank 2009: 51 – 53).

4) Der Wert ehrenamtlicher Arbeit wird als derjenige Wert von ehrenamtlichen Tätigkeiten betrachtet, der außerhalb von Haushalten und informellen Hilfen für andere Haushalte liegt, und in Preisen des Jahres 2000 berechnet. Die Daten hierfür werden ebenfalls vom Statistischen Bundesamt durch das „Haushalts - Satellitensystem zur Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung“ erhoben. Hierbei ist besonders zu berücksichtigen, dass das Werteberechnungsverfahren, die methodischen Probleme und die Bedeutung dieses Indikators dem Wert für Hausarbeit sehr ähnlich sind. Die Volumensteigerung ehrenamtlicher Arbeit wird in der Regel als Indikator für den Wohlfahrtszuwachs betrachtet und somit positiv bewertet. Werden jedoch immer mehr soziale Tätigkeiten ehrenamtlich durchgeführt, wird dies als Ausdruck des Abbaus von Wohlfahrtsleistungen und somit von der gesamtgesellschaftlichen Wohlfahrt bewertet (Diefenbacher/Zieschank 2009: 54 – 55).

5) Der Indikator „Kosten und Nutzen dauerhafter Konsumgüter“ weist die Differenz zwischen den Ausgaben für die Beschaffung privaten Vermögens, die als Kosten berechnet werden, und dem jährlichen Nutzen dieses Bestandes, das in der monetären Form in Preisen des Jahres 2000 ausgeprägt wird, aus. Durch diesen Indikator wird das zeitliche Auseinanderfallen von Ausgaben und Nutzen einer wichtigen wirtschaftlichen Aktivität mit längerfristiger Perspektive erfasst.

Die Daten dafür werden aus unterschiedlichen Quellen gesammelt, weil das private Geldvermögen in Deutschland traditionell in großen Zeitabständen erfasst wird. Der Wert des Indikators wird aufgrund der Annahme berechnet, dass die Ausgaben für privates Vermögen sich aus den Abschreibungen der privaten Gebrauchsgüter und dem dazu addierten Nettozuwachs an deren Wert bemessen. Allerdings gibt es derzeit nur Schätzwerte und bisher kein verlässliches Berechnungsverfahren für den unmittelbaren Bestand des privaten Gebrauchsvermögens, was zum entsprechenden methodischen Problem führt. Hieraus ergibt sich das zweite methodische Problem hinsichtlich der Werteberechnung, welches es schwierig macht, den exakten Nutzen aus dem Bestand der Konsumgüter zu ermitteln (Diefenbacher/Zieschank 2009: 58 – 60).

6) Nettowertänderungen der Kapitalausstattung erfassen Änderungen des Nettoanlagevermögens einschließlicher Kapitalausstattung und Produktionsmittel in Relation zur Änderung der Erwerbspersonen, und weist den Wohlfahrtsgewinn oder –verlust aus. Die entsprechenden Datensätze werden vor allem vom Statistischen Bundesamt und Ifo, dem Institut für Wirtschaftsforschung, erhoben. Um die Zu- oder Abnahme der Wohlfahrt in einem Land zu berechnen, wird der Veränderungsbedarf des Anlagevermögens von der tatsächlichen Veränderung des Nettoanlagevermögens subtrahiert. Der Veränderungsbedarf wird seinerseits durch die Berechnung der prozentualen Veränderung der Zahl der Erwerbspersonen ermittelt. Somit dient die Zunahme der Anlagevermögen entsprechend dem Veränderungsbedarf, oder gar bei gleichzeitiger Minderung der Anzahl von Erwerbspersonen, als Indikator für den Wohlfahrtsgewinn einer Gesellschaft (Diefenbacher/Zieschank 2009: 95 – 96).

7) Der Saldo der wirtschaftlichen Außenbilanz umfasst den Saldo der Kapitalbilanz, in welchem Investitionen von Ausländern im Inland subtrahiert und Investitionen von Inländern im Ausland addiert werden. Diese Datensätze werden vom Statistischen Bundesamt erhoben. Wenn ein aus einem bestimmten Land stammendes Kapital in einem Drittland angelegt wird, entwickelt sich dieses Land hinsichtlich der Bilanz in Richtung der Gläubigerposition. Wenn aber die Wohlfahrt eines Landes ausschließlich durch Auslandsinvestitionen aus Drittland finanziert wird, wird dieses Land als Schuldner betrachtet. Je ausgeglichener die Wirtschaftsbilanz eines Staates ist desto mehr beinhaltet sie die gesellschaftlichen Kriterien einer Wohlfahrtsgesellschaft (vgl. Diefenbacher/Zieschank 2009: 97 – 98).

Zu den sozialen Indikatoren des NWI gehören 1) öffentliche Ausgaben für Gesundheits- und Bildungswesen, 2) Fahrten zwischen der Wohnung und Arbeitsstätte, 3) Kosten bei Verkehrsunfällen, 4) Schäden durch Kriminalität, 5) Kosten von Alkohol- und Drogenmissbrauch. Auch hierbei dient das Jahr 2000 als Basisjahr für alle Werteangaben und Berechnungen.

1) Nur 50% der öffentlichen Ausgaben für Gesundheits- und Bildungswesen in Preisen des Jahres 2000 werden als ein Indikator des Nationalen Wohlfahrtsindex berücksichtigt und zum Wohlfahrtsindex addiert. Es gilt zu beachten, dass es einen gewichtigen Unterschied zwischen Ausgaben für die Vorbeugung von Verschlechterungen und Schäden und wohlfahrtssteigernden Ausgaben gibt. Auch hier werden die entsprechenden Datensätze vom Statistischen Bundesamt erhoben. Das einzige methodische Problem ist der Tatsache geschuldet, dass die Bildungsausgaben ab dem Jahr 2007 entsprechend der Systematik der International Standard Classification of Education (ISCED) erhoben werden, wobei hier ebenfalls Datensätze rückwirkend für die Jahre 2004 und 2005 erhoben worden sind. Diese neue Erhebungssystematik führt zu einem Sprung in den Bildungsausgaben von 71,2 Milliarden Euro auf 86,6 Milliarden Euro für das Jahr 2004, was dazu führt, dass die Nutzung einer Schätzungsmethode ab diesem Jahr notwendig macht. Die Erhöhung des wohlfahrtssteigernden Teils der öffentlichen Ausgaben führt zu einer Erweiterung von Gesundheits- und Bildungsdienstleistungen sowie zu einer Steigerung des Wertes des Wohlfahrtindex (vgl. Diefenbacher/Zieschank 2009: 56 – 57).

2) Fahrten zwischen der Wohnung und Arbeitsstätte werden in Preisen des Jahres 2000 ausgewiesen. Die Daten für die entsprechenden Fahrten stammen aus den allgemeinen Ausgaben für Verkehr der privaten Haushalte, die in der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung berücksichtigt werden, und werden einem Rat von Sachverständigen für Umweltfragen, einem Beratungsgremium der deutschen Bundesregierung, im Sondergutachten „Umwelt und Straßenverkehr“ nachgewiesen.

Die Kosten für Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsplatz werden durch die Gewichtung der gesamten Verkehrsausgaben mit dem entsprechenden Fahrtenanteil (in Kilometer) gewichtet. Der daraus resultierende Betrag wird nach dem üblichen Verfahren preisbereinigt, wobei eventuelle Kosten für die Fahrtzeiten dabei nicht berücksichtigt werden. Bei der Berechnung ergeben sich jedoch zahlreiche methodische Probleme. Erstens beruhen die Bestimmung der Verkehrswege insgesamt und der Anteil der Verkehrswege zwischen Wohnung und Arbeitsplatz auf ungenauen Hochrechnungen, da es noch keine verlässliche Methode dafür gibt. Desweiteren fließen in die Berechnungen keine Wochenendpendler und Fahrten zwischen verschiedenen Arbeitsstätten an einem Arbeitstag ein. Hinzukommt, dass Fahrten zwischen der Wohnung und etwaigen Ausbildungsstätten nicht berücksichtigt werden.

Die Ausgaben für Fahrten zwischen der Wohnung und Arbeitsstätten führen zu einer Minderung des Wohlstandsniveaus, da sie die jeweilige Arbeitstätigkeit ermöglichen und somit den „Verlust der Lebenszeit“ von fahrenden Personen sowie die etwaige Einflüsse auf die Umwelt negativ bewirken. Somit spricht die Absenkung der Kosten für Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte für die Steigerung des Wertes im Wohlfahrtindex (vgl. Diefenbacher/Zieschank 2009: 61 – 62).

3) Die Kosten von Verkehrsunfällen werden jährlich von der Bundesanstalt für Straßenwesen ermittelt, wobei systematisch zwischen Reproduktionskosten, Ressourcenausfallkosten, humanitären Kosten, außermarktlichen Kosten und weiteren Kostenpositionen unterschieden wird. Reproduktionskosten entstehen durch den Einsatz von medizinischen, juristischen, verwaltungstechnischen und anderen Maßnahmen, die auf die Herstellung einer vergleichbaren Situation ähnlich wie vor dem Verkehrsunfall gerichtet sind. Ressourcenausfallkosten entstehen dann, wenn Unfallopfer und Sachgüter vorübergehend oder dauerhaft nicht mehr in der Lage sind, am Produktionsprozess teilzunehmen. Dieser Umstand führt zu einer Verringerung des BIP. Humanitäre Kosten fallen dann an, wenn Personen psychische und physische Beeinträchtigungen während des Unfalls oder als direkte Folge eines Unfalls erlitten haben, die entweder zu einer wesentlichen Einschränkung oder gar zum Ausfall der Arbeitsfähigkeit führen können. Unter außermarktliche Kosten versteht man beispielsweise Verluste an der Wertschöpfung durch Arbeiten im häuslichen Bereich respektive in der Schattenwirtschaft.

Anzumerken ist, dass Kosten von Verkehrsunfällen die gesellschaftliche Wohlfahrt nicht fördern und deswegen den Wert des Wohlfahrtsindexes mindern. Hinzukommt, dass Kosten bei Arbeits-, Sport- oder Haushaltsunfälle auch vom Nationalen Wohlfahrtsindex abgezogen werden können (vgl. Diefenbacher/Zieschank 2009: 63 – 64).

4) Mögliche Schäden durch Kriminalität werden auf Basis von Daten der Polizeilichen Kriminalstatistik des Bundeskriminalamtes ermittelt. Wenn der tatsächliche Schaden einer Straftat nicht bekannt ist, wird von einem„symbolischen Schaden“ in Höhe von einem Euro ausgegangen, was in der Folge zu einem methodischen Problem bei der Werteberechnung führen kann. Durch Kriminalität herbeigeführte Schäden werden als wohlfahrtsmindernd betrachtet, sodass sie in der Folge die Werteausprägung des Nationalen Wohlfahrtindex mindern (Diefenbacher/Zieschank 2009: 66 – 67).

5) Unter Kosten bei Alkohol- und Drogenmissbrauch sind alle Kosten zu verstehen, die durch den schädlichen Gebrauch abhängigkeitserzeugender Substanzen gemäß der internationalen Klassifikation entstehen. Zu diesem Indikator gibt es heutzutage keine amtlichen Datensätze, die sich auf Zeitreihen beziehen, sondern lediglich Schätzungen, die im Rahmen von einzelnen Studien gemacht wurden (Bergmann/Horch 2002). Zudem gibt es bisher keine verlässliche Studie zu den Kosten alkoholassoziierter Krankheiten.

Die sozialen Folgekosten des Alkohol- und Drogenmissbrauchs die gesamtgesellschaftliche Wohlfahrt. Daher werden diese Kosten in einem alternativen Wohlfahrtsindex in Abzug gebracht. Es ist denkbar, dass neben den Kosten für Alkohol- und Rauchmittelmissbrauch auch Kosten von Medikamenten- und Tabakabhängigkeit als Indikatoren zum Nationalen Wohlfahrtsindex addiert werden können (vgl. Diefenbacher/Zieschank 2009: 68 – 69).

Zu den ökologischen Indikatoren des Nationalen Wohlfahrtsindex gehören 1) Gesellschaftliche Ausgaben zur Kompensation von Umweltbelastungen, 2) Schäden durch Wasserverschmutzung, 3) Schäden im Zuge von Bodenbelastungen, 4) Schäden durch Luftverschmutzung, 5) Schäden durch Lärm, 6) Verlust bzw. Gewinn durch die Veränderung der Fläche von Feuchtgebieten, 7) Schäden durch Verlust von landwirtschaftlich nutzbarer Fläche, 8) Ersatzkosten durch Ausbeutung nicht erneuerbarer Ressourcen, 9) Schäden durch CO2-Emissionen. Es gibt drei wichtige Problemfelder, die mit der Schätzung der Kosten für Umweltschäden verbunden sind: erstens gibt es bisher keine sichere theoretische Grundlage, die bestimmte Schäden als Faktoren der Beeinträchtigung der gesellschaftlichen Wohlfahrt zuordnen lässt. Zweitens gibt es bisher keine zuverlässige Methode, um bestimmte Arten von Schäden monetär zu bewerten. Drittens sind bisher keine zuverlässigen Datensätze für spezielle Arten von Umweltschäden verfügbar. Um die Wirkung der vorliegenden Probleme zu mildern, werden nur solche Schäden berücksichtigt, für die kein Zweifel besteht, dass sie zur Wohlfahrtbeeinträchtigung in kurzer oder längerfristiger Perspektive führen können. Außerdem werden nur solche Berechnungsverfahren für die Werte der ökologischen Indikatoren ausgewählt, die in der Regel eine Untergrenze von Kosten ausweisen. Für alle Werteangaben und Berechnungen gilt das Jahr 2000 als Basisjahr (vgl. Diefenbacher/Zieschank 2009: 73 – 74).

1) Gesellschaftliche Ausgaben zur Kompensation von Umweltbelastungen umfassen die staatlichen und die privaten Umweltschutzausgaben, die auf eine Beseitigung, Milderung oder gar Verhinderung negativer externer Umwelteffekte menschlicher Tätigkeiten gerichtet sind. Die Datenerhebung und unmittelbare Ausgabenberechnung, gemäß dem vom Statistischen Amt der Europäischen Gemeinschaften entwickelten System SERIEE-EPEA, erfolgen durch das Statistische Bundesamt. Weil die relevanten Ausgaben nicht immer eindeutig bestimmt und abgegrenzt werden können, führt dies zu einem methodischen Problem. Ohne Zweifel mindern gesellschaftliche Ausgaben zur Kompensation von Umweltbelastungen die gesellschaftliche Wohlfahrt und somit werden vom Nationalen Wohlfahrtsindex subtrahiert (vgl. Diefenbacher/Zieschank 2009: 71 – 72; Lauber 2005).

2) Schäden durch Wasserverschmutzung beinhalten alle Reparatur- und Vermeidungskosten zur Sicherung der Wasserqualität, die wegen Verschmutzung von Flüssen, Seen und Meeren sowie der Belastung des Grundwassers aufgewendet werden. Hinzu kommen alle Kosten, die durch irreparable Wasserschäden entstehen. Bisher gibt es keine zuverlässigen Daten über die Kostenentwicklung der Wasserverschmutzung, somit werden diese Kosten nur als Schätzungen auf Annahmen über Kosten einzelner Komponenten wie zum Beispiel Trinkwasseraufbereitung ermittelt. Solches Berechnungsverfahren der Schäden können angezweifelt werden, da Schäden durch Wasserverschmutzung die Wohlfahrt beeinträchtigen können und so den Wert des Wohlstandsindexes mindern (vgl. Diefenbacher/Zieschank 2009: 75 – 76).

3) Schäden im Zuge von Bodenbelastungen erfassen alle Schäden, die zu einer Verschlechterung von Böden, der Veränderung der Landnutzung und dem Verlust von Biodiversität und ihren entsprechenden Kosten führen können. Bisher wurden keine zuverlässigen Datensätze zu diesem Indikator erhoben und kein geeignetes Berechnungsverfahren ausgearbeitet, was in der Summe zu einem erheblichen methodischen Problem führt: Es wird von einem jährlichen Betrag in Höhe von 50 Milliarden Euro ausgegangen, der für die Wiederherstellung der ländlichen Ökosysteme weltweit notwendig ist. Gleichzeitig wird jedoch angenommen, dass der bundesdeutsche Anteil am Weltsozialprodukt etwa 4 Prozent beträgt. Nach der entsprechenden Einschätzung sollen die jährlichen Schäden im Zuge von Bodenbelastungen in Deutschland auf 2 Milliarden Euro belaufen. Je höher die Schäden im Zuge von Bodenbelastungen sind, desto niedriger wird der Wert des Wohlstandsindex (Diefenbacher/Zieschank 2009: 77 – 78).

4) Schäden durch Luftverschmutzung erfassen Gesundheitsschäden, materielle Schäden an Bauwerken und Vegetationsschäden einschließlich Waldschäden sowie möglichen Ernteausfällen, die sich in Kosten der Beseitigung entsprechender Umweltbelastungen, in irreparablen Umweltschäden sowie in Kosten zur Vermeidung solcher Umweltschäden in Zukunft niederschlagen. Bisher fehlen auch hier verlässliche empirische Datensätze für diesen Indikator. Es gibt nur Schätzwerte für durchschnittliche externe Schadenskosten, was zu einem erheblichen methodischen Problem führt. Somit ist es sinnvoll folgendes Berechnungsverfahren vorzunehmen: in Beziehung zu Schadenskosten werden solche Schadstoffe aufgenommen wie Schwefeldioxid, Stickoxid, Feinstaub, flüchtige organische Verbindungen und Kohlenmonoxid. Dann werden die Emissionen der entsprechenden Schadstoffe mit den durchschnittlichen externen Schadenskosten multipliziert. Die Schadenskosten werden dann gemäß dem Preisniveau des jeweiligen Jahres korrigiert. Schäden durch Luftverschmutzung mindern die gesellschaftliche Wohlfahrt und werden aus diesem Grunde vom Wohlfahrtsindex abgezogen (vgl. Diefenbacher/Zieschank 2009: 79 – 80).

5) Zu den monetären Schäden durch Lärm zählen Wertminderungen von Gebäuden und Grundstücken durch Straßenlärm, Lärmbekämpfungsmaßnahmen wie Schallschutzwände, verringerte Arbeitsproduktivität aufgrund von hohen Lärmpegeln am Arbeitsplatz, Gesundheitskosten und mögliche Entschädigungszahlungen für Lärm am Arbeitsplatz. Diese Arten von Schäden sind eng mit den Kosten, die sich in der Beseitigung entsprechender Umweltbelastungen, in irreparablen Umweltschäden sowie in Kosten zur Vermeidung solcher Umweltschäden in Zukunft niederschlagen, verbunden.

Es gibt zwei möglichen Berechnungsverfahren, deren Grundlagen sich wegen des Fehlens der zuverlässigen empirischen Datensätze auf Schätzungen stützen. Im Rahmen des ersten Verfahrens erfolgt die Kostenschätzung in Euro je betroffene Person und aktuelles Jahr, die auch nach Lärmpegel (von weniger als 45 bis mehr als 75 dB) und Verkehrsträger (Straße, Schiene oder Flugverkehr) differenziert wird. Das wichtigste methodische Problem dieses Verfahrens ist, dass ein Schätzwert nur dann möglich ist, wenn es gelingt, die Anteile der vom Lärm betroffenen Bevölkerung in entsprechenden Kategorie zu erfassen (Maibach/ Schreyer/ Sutter 2007: 153; Diefenbacher/Zieschank 2009: 82). Das zweite Berechnungsverfahren ermittelt nur die Schätzung von Lärmkosten, die ungefähr auf 0,03 Eurocent pro gefahrenen Fahrzeugkilometer belaufen können. Obwohl die Anwendung dieses Verfahrens zu einer deutlicheren Wertschätzung im Resultat führt, ergibt sich daraus ein bedeutendes methodisches Problem, mit welchem nur der Wert des Straßenverkehrs berechnet werden kann. Für die Bewertung der gesamten Lärmschäden ist dies jedoch nicht ausreichend (vgl. Diefenbacher/Zieschank 2009: 82). Da die Entstehung von Lärmbelästigung ein wohlfahrtsmindernder Faktor ist, wird dessen Wert vom Nationalen Wohlfahrtsindex abgezogen (vgl. Diefenbacher/Zieschank 2009: 83).

6) Verlust bzw. Gewinn durch die Veränderung der Fläche von Feuchtgebieten kann entweder zu Schadenskosten, die sich auf negative Artenvielfalt- und Klimaänderungen wegen des Feuchtgebietverlustes beziehen, oder zum Wohlfahrtsgewinn führen, indem neu Feuchtgebiete entstehen. Die aktuelle Fläche der Feuchtgebiete in Deutschland beläuft sich auf ungefähr 843000 Hektar. Trotzdem mangelt es auch für diesen Indikator an verlässlichen Daten, weil der monetäre Wertansatz für ein Hektar Feuchtgebiet bisher fehlt (Diefenbacher/Zieschank 2009: 85).

Für diesen Indikator wird ein jährlicher Ausweis von Schadenskosten als Berechnungsgrundlage verwendet. Im Rahmen dieser Methode wird der jeweilige Gebietszuwachs oder die Gebietsminderung der Feuchtgebiete mit dem Hektarwert multipliziert. Der entsprechende Wert wird jährlich als Einmalbetrag entweder im Fall des Gebietszuwachses zum Wohlfahrtsindex addiert oder im Fall der Gebietsminderung vom Wohlfahrtsindex abgezogen (vgl. Diefenbacher/Zieschank 2009: 85, 93).

7) Schäden durch Verlust von landwirtschaftlich nutzbarer Fläche erfassen die durchschnittlichen externen Schadenskosten, die durch den Verlust dieser Fläche entstehen. Die empirischen Datensätze hinsichtlich des Verlustes landwirtschaftlicher Nutzflächen in Deutschland werden alle vier Jahren aus der Flächennutzungshaupterhebung entnommen. Der Wert für einen Hektar der landwirtschaftlichen Nutzflächen wird in Höhe von 10000€ in Preisen von 2006 festgelegt.

Für die Werteberechnung dieses Indikators wird auch die Methode des jährlichen Ausweises von Schadenskosten verwendet, indem der entsprechende Kostenbetrag vom Wohlfahrtindex subtrahiert wird. Es ist aber umstritten, ob der Werteverlust durch Umnutzung und Umwidmung von Flächen als Schaden beurteilt und entweder im Rahmen des vorliegenden Indikators oder als selbständigen Indikator berechnet werden soll (Diefenbacher/Zieschank 2009: 88 – 89).

8) Ersatzkosten durch Ausschöpfung nicht erneuerbarer Ressourcen sind in einem Gegenwert der Kosten zu betrachten, die in Zukunft aufgebracht werden müssen, um eine ausreichende Energieerzeugungskapazität aus erneuerbaren Ressourcen zu entwickeln, um solche Güter und Dienstleistungen zu produzieren, die man aus dem heutigen Energieverbrauch aus nicht erneuerbaren Ressourcen erzielt. Die Daten über den Energieverbrauch aus nicht erneuerbaren Energieträger wie Erdöl, Erdgas, Kohle- und Kernenergie werden durch das Umweltbundesamt oder das (UNEP) erhoben. Die verbrauchte Energie wird in sogenannten „barrel of oil equivalents“ (BOE) umgerechnet. Im Rahmen des Verfahrens der Werteberechnung wird der Gesamtenergieverbrauch aus nicht erneuerbaren Energien in BOE mit den jeweiligen Ersatzkosten der alternativen Energiekapazitäten multipliziert. Allerdings fehlt es bisher an verlässlichen Daten über die Ersatzkosten pro BOE, was auch bei diesem Konzept zu einem methodischen Problem führt. Ersatzkosten durch Ausbeutung nicht erneuerbarer Ressourcen vergrößern die Knappheit von Ressourcen der Erde und werden somit vom Nationalen Wohlfahrtsindex abgezogen (vgl. Diefenbacher/Zieschank 2009: 90 – 91).

9) Schäden durch CO2-Emissionen beinhalten durchschnittliche externe Schadenskosten aus Treibhausgasemissionen in Kohlenstoffdioxidäquivalenten. Die Datensätze über die Treibhausgasemissionen in CO2-Äquivalenten sowie über durchschnittliche externe Schadenskosten je Tonne CO2 werden vom Umweltbundesamt erhoben. Die durchschnittlichen Schadenskosten belaufen sich inzwischen auf 70€ je Tonne.

Es gibt zwei gleichwertige Möglichkeiten der Indikatorenberechnung, die jedoch einem unterschiedlichen Ergebnis führen kann: der bereits beschriebene jährliche Ausweis von Schadenskosten und der akkumulierter Ausweis von Schadenskosten. Im Rahmen des letzten Berechnungsverfahrens wird der Wert der durchschnittlichen externen Schadenskosten ab dem Jahr 1900 errechnet und als steigender Betrag vom Wohlfahrtsindex subtrahiert. Grundsätzlich werden jedoch Schäden durch CO2-Emissionen als wohlfahrtsmindernde Faktoren betrachtet (Diefenbacher/Zieschank 2009: 93 – 94).

Neben 21 beschriebenen Stammindikatoren kann der Nationale Wohlfahrtsindex um zwei weitere Indikatoren aus dem wirtschaftlichen und ökologischen Bereich erweitert werden. Der Indikator aus dem wirtschaftlichen Bereich ist die Nettoverschuldung des öffentlichen Haushalts, die sich aus der Differenz der Schulden des öffentlichen Gesamthaushalts zwischen zwei aufeinander folgenden Jahren ergibt. Der Indikator aus dem ökologischen Bereich bezieht sich auf öffentliche Ausgaben zur ökologischen Transformation, die auf die Entwicklung eines nachhaltigen ökonomisch – ökologischen Produktionsverfahren gerichtet sind (vgl. Diefenbacher/Zieschank 2009: 99 – 101).

Bei der Berechnung des Nationalen Wohlfahrtsindex wird zuerst die Gesamtsumme der Werte von ökonomischen Indikatoren und öffentlichen Ausgaben für Gesundheits- und Bildungswesen ermittelt. Von dieser Summe wird dann die Gesamtsumme der Werte von übrigen Indikatoren aus dem sozialen Bereich und ökologischen Indikatoren abgezogen (vgl. Diefenbacher/Zieschank 2009: 105). Wie das Bruttoinlandsprodukt kann der Nationale Wohlfahrtsindex entweder als Gesamtsumme oder aufgeteilt pro Kopf betrachtet werden.

Das Konzept des Nationalen Wohlfahrtsindex umfasst nicht nur wirtschaftliche, sondern auch soziale und ökologische Wohlstandskriterien, wobei alle Kriterien nahezu gleichmäßig vertreten sind. Es ist auch offensichtlich, dass alle Indikatoren denselben Wert haben. Das Konzept verletzt weder internationale noch nationale rechtliche Vorschriften. Darüber hinaus berücksichtigt es das außenwirtschaftliche Gleichgewicht als Wohlstandsindikator, was dem Ziel des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichtes im Sinne dem Gesetz zur Förderung der Stabilität und des Wachstums der Wirtschaft entspricht. Die Anzahl der Indikatoren des Nationalen Wohlfahrtsindex ist übersichtlich und das Konzept besagt eindeutig, wie Wohlstand alternativ gemessen werden könnte. Obwohl der NWI nur als Ergänzung des BIP entwickelt wurde, umfasst er unterschiedliche Wohlstandsbereiche und qualifiziert sich somit eindeutig, um als Alternative betrachtet werden zu können.

Trotzdem muss bei der Indikatorenbeschreibung mehrmals darauf hingewiesen werden, dass es bisher keine verlässlichen Datensätze gibt und es sich somit nur um Einschätzungen handeln kann. Insbesondere betrifft das die Indikatoren aus dem ökologischen Bereich. Die mangelnde Verlässlichkeit der Daten schadet auch ihrer Objektivität, da wirkliche Zahlen von der Einschätzung erheblich abweichen können. Somit entspricht das Konzept des Nationalen Wohlfahrtindex vier der fünf Kriterien, die Angemessenheit und Umfang der Konzepte der Wohlstandsmessung bestimmen.

[...]


[1] einschließlich Bargeld, Wertpapiere, Bankeinlagen, Sparbriefe und Versicherungsansprüche

Details

Seiten
Erscheinungsform
Erstausgabe
Jahr
2013
ISBN (PDF)
9783956847622
ISBN (Paperback)
9783956842627
Dateigröße
739 KB
Sprache
Deutsch
Institution / Hochschule
Christian-Albrechts-Universität Kiel
Erscheinungsdatum
2015 (Februar)
Note
2,7
Schlagworte
Volkswirtschaft GPI NAWI D NWI

Autor

Andrei Horlau, M.A., wurde 1984 in Kaunas (Litauen) geboren. Im Jahre 2010 hat er sein Studium an der Ernst-Moritz-Arndt-Universität Greifswald mit dem akademischen Titel Bachelor of Arts in Politikwissenschaft und Privatrecht abgeschlossen. Während des Bachelor-Studiums erfolgte die Tätigkeit als Referent für Ausländerfragen im Allgemeinen Studierendenausschuss. Im Jahre 2012 war Andrei Horlau im Projekt „jung und wählerisch“ der Landeszentrale für politische Bildung Schleswig – Holsteins tätig. Im Jahre 2013 hat er das Studium an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel mit dem akademischen Grad Master of Arts in Internationaler Politik und Internationaler Recht abgeschlossen.
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Titel: Wohlstand ohne Wachstum? Zur Diskussion über alternative Modelle der Berechnung des Bruttoinlandprodukts
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