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Differentialdiagnostik der Kieferschmerzen: Regulationsmedizinischer Befund und integrative Therapie

©2012 Studienarbeit 62 Seiten

Zusammenfassung

Jedes ärztliches Handeln bei chronischen Kopf-, Gesichts- und Kieferschmerzen zielt zunächst auf das Ausschalten von Symptomen. Die Regulationsmedizin bietet hingegen neben der Differenzialdiagnostik der Schmerzen weitere kontext-abhängige Möglichkeiten ganzheitlicher Untersuchung und Versorgung. In diesem Rahmen kommt dem Arzt für Dentale und Orale Medizin, dem Zahnarzt, eine durch seine berufliche Stammkompetenz gegebene zentrale Rolle zu. Dabei fallen biomedizinische, psychosomatische und psychosoziale Faktoren gemeinsam als Teil integrierter Zuwendungen zum Patienten zum Erreichen von seinen Gesundungsstadien ins Gewicht. Deren Ressourcen liegen darin, den Bezug zu Kiefer-Relation und Zahnreihen-Okklusion zu halten, weil sie die kausale Schlüsselrolle spielen und zugleich kognitive und emotionale Partnerschaftlichkeit zwischen Mediziner und Patienten zu stützen. Der Erfolg der Therapie ist sowohl gebunden an die Auseinandersetzung des Patienten mit seinem Schmerz-Fremdbild, als auch mit seinem komplexen individuellen Eigenbild. Dieses Buch wendet sich an alle, die sich mit dem Bild der Schmerzen bei muskulären Funktionsstörungen im Bereich der Kopf- und Kiefergelenkgewebe präventiv, therapeutisch und rehabilitativ auseinander setzen. Der Autor, als Hochschullehrer und in zahnärztlicher Praxis im Rahmen der Schmerztherapie tätig, vermittelt den Heilberuflern Verständnis und praktische Hilfen.

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


2 Konzeptionen der Dentalen und Oralen Medizin

Innerhalb von Wissensdiskursen wie auch in der Dentalen und Oralmedizinischen Praxis erscheint die Schmerzhaftigkeit von Gebieten des Kopfes, des Gesichts und der Kiefer als ein ebenso heterogenes wie problematisches Phänomen, das von unterschiedlichen Ätiologien und Pathogenesen dominiert wird. Unsere Initiative zur Darstellung beginnt selbstverständlich bei der Beschreibung von Konzepten verschiedener Autoren und führt dann über zu resultierenden Strategien der Auffassungen und der Behandlungen.

2.1 Das Costen-Syndrom

Viele der Autoren beziehen sich auf die Beschreibungen der Zusammenhänge von Oto-Naso­Pharyngologie und Kiefergelenksymptomatologie, die tatsächlich durch anatomische und funktionelle Nähe relevant sind. Eine diesbezügliche Beschreibung findet sich als Konzept des Costen-Syndroms. Der US-amerikanische Arzt für Hals-, Nasen- Ohrenheilkunde James Bray Costen (1895-1962) erarbeite wissenschaftliche und praktische Studien des Mastoids. Seine theoretischen und praktischen Arbeiten wurden von der fortbildungsaktiven Kollegenschaft in den USA und in Europa willkommen geheißen und gut aufgenommen.

Costens Arbeiten beziehen sich auf die topographische Anatomie von Hals, Nase, Ohr und Kiefergelenken bzw. auf die gegenseitige funktionelle Beeinflussung der Strukturen. In diesem Zusammenhang beschreibt er Symptomenkomplexe, denen er Wertigkeiten zuordnet. Seine Arbeiten sind zugleich Texte zur Fort- und Weiterbildung. Sie sind in den Fachzeitschriften mehrerer Staaten von Nordamerika publiziert. [6]

Die zu Grunde liegenden Zeichen der Symptomatologie führen zu einem heterologen Schmerzleiden. Das Costen-Syndrom ist mit ausstrahlenden neuralgiformen Beschwerden im Schläfen- und Ohrbereich, dazu Druckdolenzen an den äußeren Kiefergelenkspolen, verbunden, mit Funktionsbeeinträchtigung der Mundöffnung, gelegentlich Glossalgie mit Beteiligung der hyoidalen Muskulatur und Hörstörungen der betroffenen Kopfseite mit Geräuschempfindungen und „Tinnitus“.

2.2 Kommentar zum Costen-Syndrom:

Trotz ständig wiederkehrenden Argumentationen wird der Begriff als „Costen-Syndrom“ von Fachärzten für Hals-, Nasen- und Ohrenkrankheiten und Zahnärzten benutzt, um eine Gruppe von ausstrahlenden Beschwerden im Ohr- und Gesichtsbereich zu benennen. Damit wollen die Autoren die mögliche Ursache für diese in den Kiefergelenken und in deren Funktion beschreiben.

Craniale Periosteopathien lassen sich unter Beachtung dieses Konzepts in ein Bild einordnen, das sowohl ohrenärztliche als auch neurologische und zahnärztliche Belange berücksichtigt.

Entsprechend muss der Gesundungsansatz auch auf alle Bereiche abgestimmt sein. Eine Verdachtsdiagnostik gestattet, Frühsymptome herbeizuziehen, um aus den Fachgebieten einzelne Therapieansätze abzufordern.

Heute ist medizinische Kenntnis, dass die mit dem Syndrom verbundenen Symptome ohne oral-medizinische Intervention nicht getilgt werden können. Diese Sicht wurde bereits verstärkt durch Untersuchungen der Poliklinik und Klinik für Physiologie und Gebiss-Funktionslehre Copenhagen, die den zentralen klinisch-zahnärztlichen Aspekt vertraten. [7]

Das Institut „Touch Research Miami, Florida, U.S.“ bezieht sich diese physiologische Sicht der Gebissfunktionslehre und zeigt, wie vielfältig die Arten der Manuellen Therapie sind:

The Touch Research Institute is dedicated to studying the effects of touch therapy. The TRIs have researched the effects of massage therapy at all stages of life, from newborns to senior citizens. In these studies the TRIs have shown that touch therapy has many positive effects, as alleviates depressive symptoms, reduces pain, reduces stress hormones, improves immune function.

Der Versuch, Myoarthropathien als alleinige pathologische Bilder zu symptomatologisieren, trifft auch allein diverse Gewebe der Kiefergelenkregion und geht argumentativ meist an der periostalen Mitbeteiligung vorbei. Deshalb wurde angeregt, die Periost-Osteopathien mit einzubeziehen. Dabei hat sich herausgestellt, dass die Periosteopathien durch komplexe Symptomatologie ausgezeichnet sind. Sie haben Syndrom-Charakter. Dadurch beinhalten sie auch eigene Syntropien.

Die fällt auch auf bei der Beurteilung der Parodontopathien, die Erkrankungen der periost-ähnlichen Desmodontalfaserbrücken sind. Die Anthropologie-Forscher der University of South Carolina US haben eine umfangreiche (Meta-)Analyse derartiger Zusammenhänge publiziert. Sie kommen zu dem Ergebnis: "This study examines whether periodontal disease is associated with periosteal lesions in a skeletal sample [...] (n = 265). The results reveal a significant association between periodontal disease and periosteal lesions (i.e., individuals with periodontal disease were also likely to have periosteal lesions). The association between the two pathological conditions might reflect underlying reduced immune competence and thus heightened susceptibility to pathogens that cause periodontal disease or periosteal lesions, exposure to an environmental factor, or underlying heightened inflammatory responses.“[8]

Für die Beurteilung der Ätiopathogenese der Cranialen Periosteopathien sind diese Merkmale von Syntropien insofern von Bedeutung, als sie das Merkmal des Schmerzes als obligates Symptom tragen.

Dadurch ist aber auch definiert, dass schmerzfreie Befindlichkeitsstörungen nicht in dieses Syndrom gehören.

Also werden Kiefergelenkreiben und -knacken, Typen von Druck an den äußeren Kiefergelenkspolen, selbst verbunden mit Funktionsbeeinträchtigung der Mundöffnung, gelegentlicher Glossalgie mit Beteiligung der hyoidalen Muskulatur und Hörstörungen der betroffenen Kopfseite mit Tinnitus an sich nicht zum Costen-Syndrom gezählt.

2.3 Das Gerber-Konzept

In Europa wuchs nach dem Zweiten Weltkrieg aus der demographischen Entwicklung und den aus Zahnverlusten resultierenden Problemen eine Zahnersatzkonzeption, die sich hauptsächlich auf totalen und subtotalen Zahnersatz stützte. Deshalb verwundert nicht, dass auch die schmerzhaften Symptomatologien des Gesichtsschädels (zahn-)prothesenbezogen gesehen, beschrieben und weiter beforscht wurden.

Einer der wesentlichen Promotoren der daraus resultierenden Befunderhebung, Diagnostik und Therapie war Albert Gerber, dessen Konzept viele Jahre die Zahnheilkunde prägte. Professor Dr. Gerber (1907-1990) war Schweizer Zahnarzt und Hochschullehrer für Zahnärztliche Prothetik an der Universität Zürich. Seine Studien führten ihn zu der gezielten Verbesserung der Lage herausnehmbarer Prothesen im Munde. 1960 wandte er sich zunächst der oro-fazialen Harmonie, 1964 der reproduzierbaren Lagebeziehungen der Kiefergelenke und knöchernen Pfannen zu. 1971 beschrieb er die Resilienz der Kiefergelenkköpfchen in ihren Lagern. 1946 präsentierte Gerber seine Arbeiten zu der Frage der Kaustabilität von balancierten Totalprothesen.

Das Prinzip der Lagestabilität durch Medio- und Laterotrusion wird seither als gleichmäßige beidseitige Okklusion besonders der frei endenden Sättel verstanden. 1948 erarbeitete er die Kieferbewegung im Kaubewegungssimulator (Immediate Side Shift) und schließlich 1951 im Condylator, einem die Kiefergelenke funktionell mechanisch nachahmenden Gerät. In diesem Zusammenhang stellte er die modifizierten Stützstift-Registrate vor, die zahnärztlich zur ausbalancierten Registrierung verwendet wurden. Seine Arbeiten zur Unterkieferbewegung gestatteten eine Beurteilung pathologischer Funktionsmerkmale der Kiefergelenke sowohl in der vertikalen als auch der horizontalen Dimension. Kiefergelenkdysfunktionen erkannte er in der Lageänderung der Kondylen zu den Fossae. Damit gestatte er einen „Freiheitsgrad“ des Gelenkes in enger Beziehung zur Okklusion. [9]

Gerber prägte seinen sehr eigenen Begriff von der Zentrik. Die von ihm beschriebene Zentrik ist die maximal mittige Position im Gelenkspalt. Diese wurde von US-amerikanischen Gnathologen als Acceptable Reference anerkannt. Kau- und Schluckakte werden seither in Relation zu der Form der Kiefergelenkspalten verstanden.

2.4 Kommentar zum Gerber-Konzept:

Die Lehre Gerbers ist konzentriert auf die Stabilität von mundschleimhautgelagertem Zahn­ersatz und die maximale Ruheposition der Kondylen im Gelenkspalt. Die Beweglichkeit selbst erlaubt das Abfahren eines okklusalen Feldes in einer gewählten Ebene. Damit wird die Belastung des ginglimo-arthrodialen Zweikammer-Gelenkes sowohl in Zentrik als auch in allen Seit- und Vorwärtsbewegungen abgestützt. Das ist für die Lage von schleimhautgestützten Prothesen wichtig. Man mag heute in Bezug auf die harmonische Funktion der Fossa articularis inhaltlich eine primär ligamentäre oder biomechanische oder neuromuskuläre Kondylenposition differenzieren. Dennoch ha­ben die Beurteilungen, die Gerber im Verlaufe seiner Forschungen und Lehre abgegeben hat, für herausnehmbaren Zahnersatz eine so große praktische Bedeutung, dass zahlreiche Autoren die Einstellung der Unterkieferlage in der neuromuskulär determinierten Zentrik bevorzugen. Referenzposition ist dabei die zentrische Kondylenposition, definiert als nicht seitenverschobene Position beider Kondylen bei intakter Diskus-Kondylus-Relation und physiologischer Belastung der beteiligten Gewebe. Die Kieferrelation wird als die vertikale, sagittale und transversale Lagebeziehung der Kiefer zueinander unter Berücksichtigung der Ruhelage des Unterkiefers und der Kondylen­position bezeichnet.

Die Bestimmung der vertikalen Kieferrelation (Bisshöhe) muss der Bestimmung der horizontalen Kieferrelation vorausgehen, da eine vertikale Änderung zwangsläufig eine horizontale Änderung in sagittaler Richtung nach sich zieht.

Craniale Periosteopathien sind von diesem Konzept besonders betroffen.

Die Funktion der Kiefergelenke ist ein feiner Stellmechanismus, der in zwei voneinander getrennten Kammern die Sehnenverlängerung eines Muskels, das Periost von Schädel und Unterkieferast und einen Kapselapparat trägt. Die zentrale Stellung der Kiefergelenkwalze ist die mechanisch ausgeglichene. Alle Zahnreihen auf Prothesen, die Stützen darstellen, bilden das Widerlager für dieses System. Darum ist die ausschließliche Orientierung an der Zentrik für die Eingliederung und Inkorporation subtotaler und totaler Zahnprothesen erforderlich. Außerhalb der Zentrik liegende Stö­rungen der Okklusion sind davon ausgenommen. Sie benötigten gleichzeitig ein Triggermerkmal eines definierten Schmerzes, damit sich daraus ein Behandlungsbedarf ergibt.

2.5 Das so genannte gnathologische Konzept

Dem in den 1970-er Jahren in verschiedener Form publizierten Konzept der Gnathologie geht eine lange und relevante Internationalisierung deutscher Zahnmedizin voraus. Zahnärztliche Praktiker kamen auf dem Wege über eigene Fortbildungsaktivitäten in die US-amerikanische Kollegenschaft, um sich Vorbilder fernab von den herkömmlichen „schulischen“ Lehren in Deutschland zu suchen. Dieses Konzept geht vom Primat der in-vivo-Übertragung der Lage knöcherner Strukturen des Ge­sichtsschädels in ein technisches Gerät aus, in dem dann relationsbezügliche Diagnostik und Therapievorbereitung erfolgen kann, wenn die Positionen analog zum Leben pantographiert sind. Die Übertragung verwendet Referenzpunkte, die Dreipunktabstützung am knöchernen Schädel bzw. zu den definierten räumlichen Ebenen haben. [10]

Einsatzgebiete der Artikulatoren sind die instrumentelle Funktionsanalyse als zahnärztliche Aufgabe und die Herstellung von Zahnersatz außerhalb des Mundes, die eine vorwiegend zahntechnische Aufgabe darstellt.

Das erste „voll justierbare“ Artikulatorgerät, das Dr. McCollum 1929 nach den Angaben von Dr. Charles E. Stuart patentieren ließ, wurde 1925 für die US-Arbeitsgruppe gemacht und war so gebaut, dass sie eine Gesichtsbogen-Übertragung zu Schädelebenen gestattete. Die Arbeitsgruppe wollte dann mögliche Achsenverschiebungen oder Laterotrusionen berücksichtigen. Das Gerät erlaubte, die Grenzbewegungen des Unterkiefers sowohl in der sagittalen und vertikalen („Posselt-Diagramm“) Dimension als auch in der horizontalen Ebene zu simulieren. Auf diesem Prinzip wurden später viele „semi-justierbare“ Geräte aufgebaut.

Der erste voll justierbare Bewegungssimulator wurde „Gnathoskop“ genannt. Später verwendete Charles Stuart den Namen „Gnathograph” für seinen gewerblich verfügbaren Pantographen. [11]

2.6 Kommentar zum gnathologischen Konzept:

Die Relationsbestimmung und Übertragung in Zahntechnik ist so alt wie die Bemühungen um Fertigung von zahnärztlich-prothetischen Werkstücken. Im Laufe der Zeit ist versucht worden, die Kieferbeziehungen noch genauer zu erfassen und sie dann fehlerlos in den Mund einzupassen. Dabei wurden „Gegenbisse“, einfache mittelwertige, semi-justierbare und schließlich voll-justierbare Geräte entworfen.

In der Gnathologie ist es allgemein üblich, die Position des Unterkiefers praktisch ausschließlich in Bezug zur Position der mandibulären Kondylen in den temporalen Fossae zu definieren, wobei hier der besseren Mess- und Reproduzierbarkeit wegen zumeist Grenzstellungen bevorzugt werden. Die wohl größte ergibt sich bei der Einrichtung des Freiheitsgrades auf Grenzbewegungen des Unterkiefers zu der Statik schädelbezüglicher Referenzen.

Ausgangspunkt für die aus der cranial liegenden rotierenden „Scharnierbewegung“ ist die Retrale­ Kontakt-Position (RKP). Dagegen wurde die Kieferschlussbewegung mit freiem Muskelspiel als „Habituelle Interkuspidation“ bezeichnet. Sie liegt in der Regel etwa 1-2 mm frontal von der RKP.

Die Unterkieferhaltung zum Oberkiefer ist ein Bestandteil der Körperhaltung. Sie ist individuell. Der gnathologische Fortschritt gegenüber den vorhergehenden Relationsbestimmungen liegt in der Berücksichtigung möglichst aller räumlicher Begrenzungen. Damit ist die Beziehung der Zahnreihen zueinander an vielen Stellen möglich. Der Entwurf der Okklusion kann also präzise justiert werden. Dieser Vorteil wird in der Prothetik begrüßt, weil Zahnersatz für Zahnreihen, kleine und große zahnbegrenzte Lücken und diverse Implantatversorgungen zum neueren Standard der Zahnmedizin wurden. Die schleimhautgelagerten Freiend- und Totalprothesen werden zukünftig vermutlich seltener gefertigt werden. Das ist Erfordernis der Demographie.

Die Gnathologie konnte sich selbst nicht als eigenes Fach mit Alleinstellungsmerkmal etablieren. Sie ist heute in die „Funktionsdiagnostik und -therapie“ zahnärztlicher Prothetik aufgegangen.

Craniale Periosteopathien sind von diesem Konzept betroffen, sofern sie von einer Orientierung an einer schädelbezüglichen Okklusion ausgehen. Sie setzen eine dreidimensional definierte Statik voraus. So entsteht eine Körperebene, zu der andere Ebenen parallelisiert werden müssten.

Der Gesundungsansatz Cranialer Periosteopathien beinhaltet oralmedizinische, ohrenärztliche, neurologische, körperstatische und zahnärztliche Befundbestimmungen, bei denen noch eine weitere Differenzierung in der Verteilung der Lückengebiss-Zähne erfolgen muss.

Diese erste Übersicht über eine Wegweisung zum Befundverständnis und damit auch zur Therapie ist häufig analog zum Begriff der Cranio-Mandibulären Dysfunktionen (CMD) wieder anzutreffen. Sie ist allerdings komplexer, um dem Praxisansatz gerecht zu sein. Deshalb werden als Folge dieser Übersicht sowohl desmodontale als auch myofasziale Gesichtspunkte hinzugefügt werden.

2.7 Das Konzept von Walter Drum

Mit dem allgemein anerkannten diagnostischen und therapeutischen Ziel der Zahnerhaltung hatte sich in Deutschland die Parodontologie entwickelt und in Praxis und Wissenschaft etabliert.

Dr. Oskar Weski, Berlin, prägte 1921 die Begriffe Paradentium und Paradentose. Unter Paradentium fasste er den gesamten Zahnhalteapparat zusammen, also das Zahnfleisch, den Alveolarknochen, die „Wurzelhaut“ mit den Sharpey-Fasern (zum Desmodont gehörige, in Wurzelzement und Lamina interna verankerte) und das Wurzelzement. Ebenso führte er auch den Begriff Paradentose für alle Erkrankungen des Zahnhalteapparates ein. Die von ihm 1924 inaugurierte Arbeitsgemeinschaft für Paradentose-Forschung (ARPA) prägte aus Idealismus und sozialhygienischer Verantwortung diesen Teil der Geschichte.

Auf Oskar Weski geht auch die Semiotik der „ätiologischen Trias“ zurück. Danach spielen bei der Entwicklung der später als „Parodontopathien“ bezeichneten Mundkrankheiten sowohl lokale als auch funktionelle und innere Faktoren eine Rolle. Die Klinik ist geprägt von dem Zusammenspiel aller drei Heterologien. [12]

Im Vordergrund von Polikliniken und Praxen standen hauptsächlich Interessen an lokalen Faktoren, weil diese sich als therapeutisch zugängig erwiesen. Zahnbelagsentfernung und individuelle Mundhygiene sind an den von Zahnbelägen betroffenen Patienten zu delegieren.

Da die funktionellen Faktoren professionell unter Aspekten der Planungsrichtlinien zahnärztlicher Prothetik gesehen wurden, kam ihnen global weniger Aufmerksamkeit zu. Die Probleme von Überlastungen der Zähne durch Pressen, Knirschen und Habits fiel praktischen Zahnärzten auf. Hier setzte die Beurteilung des Zahnarztes Dr. Walter Drum (1897-1987), Berlin, ein. Dr. Walter Drum wurde 1949 durch den Berliner Verleger Hubert Walter in die Chefredaktion des im Süden Berlins gegründeten Verlages ‚Quintessenz’ berufen.

1950 erschien die erste Ausgabe der Zeitschrift ‘Die Quintessenz der zahnärztlichen Literatur’, die noch heute als ‘Die Quintessenz’ die Periodika des Verlags anführt. Inzwischen kam es durch „Quintessenz International“ zu einer globalen Wichtung der ‚Quintessenz’, die in vielen Sprachen global vertreten ist. Er war auch maßgeblich an der Gründung und am Aufbau des Zahnmedizin-Verlages beteiligt und ist als Autor diverser Buch- und Zeitschriften-Publikationen hervorgetreten. Als Gründer und Chefredakteur der „Quintessenz der zahnärztlichen Literatur“ pflegte er einen nicht-politischen und auch nicht streng wissenschaftlichen Stil, sondern kümmerte sich von 1946 bis 1975 um die praktizierenden Zahnärzte, indem er aus der zahnärztlichen Literatur berichtete. Diverse Konzepte gehen auf ihn zurück. Darunter ist seine persönliche Interpretation mancher so genannter Parodontosen, deren Ursprung er auf unterschiedliche Parafunktionen (okklusal-inzisal durch Knirschen und Pressen, oro-fazial durch Zungen-, Wangen- und Lippendrücke) zurückführte. Er schließt sowohl an die „Bruxismus“-Theorien des österreichischen Zahnarztes Karolyi (1865-1945) [13] als auch an die später von kieferorthopädischen Autoren veröffentlichte Genese der „Parodontitis profunda“ an und bekannte sich zum Phänomen der gestauchten Parodontalgewebe durch untypische Knirsch- und Pressbewegungen, die zu einer Überbelastung des Desmodonts führen. Er hat dies als „traumatisches Potential der Parafunktionen“ benannt.

In Konsequenz dieser theoretischen Erwägungen empfahl er zur Therapie die „Drum Miniplast-Schiene“ als eine aus Polyvinyl oder Polycarbonat gezogene 0,8 bis 2 mm dicke Schiene, die als Vorläufer der Aufbiss-Schiene bekannt wurde.

Die Erklärungen, die Walter Drum aus seiner Sicht gab, faszinierten zu seiner Zeit sowohl die Lehrer der Bissfunktionslehre als auch die der Parodontologie.

Verlage und Schriftleitungen gratulierten Walter Drum 1967 zu seinem 70. Geburtstag (Deutsche zahnärztliche Zeitschrift 22:1591). Mit 71 Jahren wurde er von der Deutschen Zahnärzteschaft noch einmal durch die Verleihung der „Hermann Euler Medaille“ geehrt. Er selbst geriet dann aber leider in Vergessenheit der Wissenschaft.

2.8 Kommentar zur wissenschaftlichen Parallelität zur so genannten Trias der Ätiologien von Parodontopathien

Parodontologische Forschung und Lehre stützte sich „weltweit“ in dieser Zeit, angeführt durch viele skandinavische Wissenschaftler, stereotyp auf das so genannte „Plaque-Konzept“, eine Ära, die später durch die Semiotik der Biofilm-Forschung verlängert wurde.

Diese rein lokalistische Schau war aus praktischen Erwägungen wichtig: Belagbelastung der Gingivae und oberflächliche Parodontitis sind dem Patienten als zusammenhängende Phänomene vermittelbar. Angesichts der Übermächtigkeit der Lokalfaktoren war es zu komplex, die anderen Co-Faktoren global intensiver Betrachtung gleichwertig zu beforschen. In der Fachliteratur nachfolgender Zeiten sind wissenschaftliche Beschreibungen parodontaler Belastbarkeit vielfältig.

Dennoch gab es einen Markstein in der wissenschaftlichen Bewegung: Das Krankheitsbild der Parodontopathien in Zusammenhang mit Biomechanik zu beschreiben, war deutschen Wissenschaftlern vorbehalten. Unter ihnen spielte der Frankfurter Professor Dr. Konrad Thielemann zunächst in den USA, dann in Deutschland als Zahnarzt und Naturheilkundler, eine herausragende Rolle. Seine Schüler drängten mit ihm gemeinsam auf die Definition eines Artikulationsausgleichs. Das vorrangige Merkmal parodontaler Veränderungen auf Grund von Fehlbelastungen wurde als ständig wiederkehrend gefunden. Darauf beruhte das „Thielemann‘sche Diagonalgesetz“. Es beschreibt, dass sich im dreidimensionalen System der Mundhöhle Schaden auslösender Ort und Schaden (Zahnwanderung, Kippung etc.) diagonal voneinander zeigen. So ist ein elongierter dritter Molar mit Latero- oder Protrusionshindernis zugleich Anlass für Ausweichbewegungen des Unterkiefers und okklusalen / dentalen Schäden an einer diagonal dazu oder frontal gelegenen Zahnreihe. [14]

Den Zusammenhang von parodontaler Krankheit und exzessiven Zahnbelastungen erklärte Drum sowohl im Rahmen von wissenschaftlicher Literatur als auch in seiner Funktion als Schriftleiter zahnärztlicher Literatur. [15]

Die parodontalen Erkrankungen waren für ihn Autodestruktionsprozesse mit oder ohne infektiöse(n) Komplikationen. Wir haben mit Hilfe elektronenmikroskopischer Untersuchungen dentaler Traumata nachweisen können, dass gelockerte Zähne in der Regel degenerierte funktionsunfähige Propriozeptoren haben und damit keine Überreizung melden können, sodass eine etablierte Zahnlockerung definitiv zum noch stärkeren Trauma führen kann. [16]

Die Untersuchungen von Professor Dr. Michael Heners bewiesen schließlich, dass die pseudostrukturelle Aufhängung von Zähnen im Parodont mit einem elastischen Rückstellmechanismus verbunden ist, der vasal und nerval gesteuert ist. [17a 17b und 17c]

2.9 Kommentar zum Konzept von Drum:

Die Beurteilung struktureller geweblicher Eigenheiten gestattet, das desmodontale Gewebe mit zu dem cranialen Periosteum zu zählen. Damit sind diejenigen Erkrankungen, die primär das Desmodont betreffen, Craniale Periosteopathien.

Gemäß parodontologischer Nomenklatur zählen diejenigen Formen der Parodontopathien dazu, die auf Grund von Traumata provoziert werden. Treffen okklusale Verletzungsgeschehen auf ein ungenügend aufgebautes Parodont, kollabiert das feine periostoide Gewebe des Desmodonts und bringt Zahnlockerung. Treffen andere, horizontal gerichtete Lasten auf ein bereits entzündlich ab­gebautes Parodont, wird eine Kippung mit Lockerung provoziert, weil das Widerlager des Restparodonts nicht ausreichend stabil ist.

Drum hat konzeptionell darauf hingewiesen, dass Parafunktionen ursächlich mit profunden Parodontopathien verbunden sind. Der dazugehörende pathische Mechanismus ist mithin sowohl getragen von der mechanischen Überlastung (in Folge des mangelnden Umbaues der desmodontalen Gewebe) als auch von der schließlich fehlenden propriozeptiven Einschränkung der Kaumuskeleinwirkung.

Das Konzept der Autodestruktion durch Hyperfunktion an desmodontalen Geweben und der daraus resultierenden Parodontitissymptome bis hin zum Zahnausfall erweitert den Schadensbericht Cranialer Periosteopathien. Pathogenetische Grundlage der Parodontopathien bleibt die Trias aus lokalen, funktionellen und so genannten inneren Ursachen.

Der Stellenwert der funktionellen Ursachen wird seit langer Zeit deswegen umstritten, weil lokale Faktoren leicht erkennbar und therapierbar sind und die knöcherne Unterstützung der Zähne von sehr vielen Faktoren beeinflusst werden kann.

Das Spektrum der Parafunktionen als Autoaggression zur Autodestruktion enthält mit seinem psychosomatischen Anteil einen anderen Blickwinkel, der vor allem dem praktizierenden Zahnarzt vertraut ist. Referenzen sind das okklusale und das oro-faziale Belastungsgeschehen, verbunden mit typischen Schmerzen.

Der Autor der hier vorliegenden Publikation, Heinz Spranger, war zum damaligen Zeitpunkt

Kongresspräsident des literaturgestützten Diskussionsforums Dr. Drum / Prof. Dr. Krogh-Poulsen in Glücksburg. Walter Drum erklärte die praktische Bedeutung der oralen Parafunktionen den Zahnärzten so: Zentral ausgelöste und erhaltene Parafunktionen erwirken den Schaden am locus minoris resitentiae. Liegt dieser in den Kopfmuskel- und Kiefergelenkgeweben, kommt es zur schmerzhaften Autodestruktion Liegt dieser in der Okklusion, kommt es zu Deprogrammierungen der Kiefer- und Gesichtsmuskulatur. Liegt dieser in der Struktur und Funktion des Desmodonts, tritt eine Kribrosierung parodontaler Gewebe mit Zahnlockerungen auf.

Sorgfältigste Kognition der ärztlichen und nicht-ärztlichen Heilberufler beherrscht die Erfassung der Spuren von Parafunktionen. In der Regel ist dem Team der Zahnärzte nur deswegen keine Exploration der psychosomatischen Gegebenheiten ihrer Patienten mit Autoaggression und folgender Autodestruktion möglich, weil sie derzeit in das Berufsbild der Ärzte für Dentale und Orale Medizin nicht gehören. Ein Screening der jeweiligen Gesundungsstadien kann allerdings im Verlauf der Untersuchung und Behandlung einen Hinweis darauf erbringen und den Ablauf der Parafunktionen herausfiltern.

Die Symptomatologie der traumatischen „Erfolge“ von Parafunktionen ist erfassbar. Die Deutsche Tinnitus-Liga benutzt noch 2011 die Begriffe der Oralen Parafunktionen, um die

„Äußerungen von nonverbaler Kommunikation“ zu benennen. Dazu gehören

- Zähnepressen und Zähneknirschen
- Zungenpressen
- Protrusionen
- Laterotrusionen
- Wangenspannung
- Saug- und Bissphänomene von Zunge und Wange
- Lippenpressen
- Zungenpressen in Lücken oder Zwischenräume
- Mechanischer Unterdruck im Munde „Einsaugen“ und
- Andere „Gewohnheiten“.

Dabei werden intraoral Drücke und Schübe erzeugt, die mehr als das 300fache der normalen, physiologischen Leistung erbringen. Die Folgeschäden sind an allen Geweben erkennbar. Aufgabe des oralmedizinischen Teams ist, diese Folgen der oralen Parafunktionen symptomatisch auszuschalten oder mindestens zu verringern. Diese Kontrolle bedarf der detaillierten Dokumentation und Verlaufsbeobachtung. Ziel der Maßnahmen muss sein, konventionelle Intervention zur Schaden-Abwendung zu systematisieren.

Schmerzen entstehen vorwiegend als Folge der Dauerfehlspannung der Kau- und Gesichtsmuskulatur und der damit verbundenen Mangeldurchblutung des Gewebes. Parafunktionen, die normalerweise vom Organismus problemlos toleriert werden, weil die Intensität und Dauer der pathogenen Wirkung auf die betroffenen Gewebestrukturen im Bereich der individuellen Toleranz liegen, verstärken sich in Zeiten hoher psychosozialer Belastung und führen schließlich zum Symptom . Hinzu kommt, dass unter Stress die Grundspannung der Muskulatur ohnehin immer erhöht und die Reiz- und Schmerzschwelle erniedrigt ist.

In der Erkennung und Therapie der Parafunktionen geht es sowohl um Veränderung der Bedingungen auf der biologischen, als auch auf der psychosozialen Ebene, die zu diesem Fehlverhalten geführt haben. Damit ist gemeint, dass der behandelnde Zahnarzt nicht nur Korrekturen am Gebiss, so notwendig diese auch sein mögen, vornimmt, sondern sich auch im Klaren darüber ist, dass Belastung und Konflikt, d. h. Stress und Stressbewältigung im weitesten Sinne in die Therapie einbezogen werden müssen. Da dies häufig nur retardiert angenommen wird, muss der Behandler versuchen, seinem Patienten den Blick dafür zu öffnen, dass hier die Kombination verschiedener Faktoren für die Entstehung der Beschwerden verantwortlich ist. Selbstverständlich müssen Schäden an den Zahnreihen vorerst kompensiert und behandelt werden; aber der Arzt darf nicht den Fehler begehen, Beschwerdefreiheit allein durch die Kompensation zu versprechen.

Besonders bei Schmerzzuständen, Zungen- und Mundbrennen oder bei Gewöhnungsproblemen an einen neuen Zahnersatz ist die Behandlung anfangs oft ausschließlich auf Konstruktionsfehler oder Materialunverträglichkeit gegenüber Prothesenwerkstoffen ausgerichtet. Selten ist dem Zahnarzt allein gestattet, ohne die Compliance des Patienten zu helfen. Es erübrigt sich, darauf zu verweisen, dass sich das oralmedizinische Team der offenen Vermutung psychodynamischer Zustände enthalten muss.

Der nach der erwähnten wissenschaftlichen Veranstaltung zitierte „Glücksburger Konsens“ ging ursprünglich von biologisch-morphologischen Standpunkten aus.

Walter Drum bezog allerdings zur damaligen Zeit erstmalig psychologische Determinanten in die Pathogenese ein, in der er „Stress“-bedingte Co-Faktoren, die sowohl psychische Komponenten, als auch soziale beinhalteten, beschrieb.

Seine Hinweise zu Vorstellungen von der Pathogenese der Parodontopathien gingen von der Beobachtung aus, dass entzündliche Geschehen erhebliche Verlagerungen der Zahnpositionen in den Kieferalveolen provoziert werden. Damit kommt es aber auch zu anderen okklusalen Kontakten der betroffenen Zähne. Drum verwies darauf, dass die konvex geformten Höckerabhänge empfindliche Störfaktoren für die okklusalen Kontakte abgeben. Störfaktoren der Interkuspidation laden zum ständigen Abtasten dieser Hindernisse ein. Diese emotionalen Beseitigungsversuche verselbstständigen sich. Die Parafunktion beginnt. Starke psychologische Einflüsse erhalten die Parafunktion und führen durch ständige Wiederholungen zur Autodestruktion des gesamten funktionellen Systems.

Es mag wohl sein, dass in der deutschen Wissenschafts-Geschichte dieser Meilenstein der Medizin inzwischen wieder verschwunden ist. Mit der derzeitigen bio-, psycho- sozialen Konzeption der Salutogenese und der Kohärenz-Definition wird er aber wieder aktuell.

2.10 Das Konzept von Janet Graeme Travell

Aus dem Verständnis der Allgemeinmedizin resultieren viele diagnostische und therapeutische Ansätze für Gesichts- und Kopfschmerzen. Sie gehen zurück auf Dr. Janet Graeme Travell (1901-1997), US-amerikanische Ärztin für Allgemeinmedizin und Professorin an der Washington University.

Unter Schmerzmedizinern wird Janet Travell allgemein als der Hauptpionier in Diagnose und Behandlung der Myofaszialschmerzen anerkannt. Wenige würden bestreiten, dass sie eigenhändig diesen global bedeutungsvollen Zweig der Medizin schuf. Sie entwickelte im Verlauf ihrer Studien und verbreitete die Diagnostik und Behandlung des myofaszialen Schmerzsyndroms, ein Beschwerdebild mit auslösbaren Druckdolenzen. Diese werden hervorgerufen durch lokal begrenzte Verhärtungen in der skelettalen Muskulatur, die metabolische Veränderungen zeigen und vasale und nervale Übertragungen leisten.

Unter Triggerpunkten sind kleine, umschriebene, überempfindliche Punkte in verschiedenen Geweben zu verstehen. Ihre Stimulation löst neben lokalem Schmerz dann in einem entfernten Areal weitere Beschwerden aus, die schließlich auf Funktionsbeeinträchtigung hinweisen.

Die Bedeutung der Trigger-Punkte ist vielfach missinterpretiert worden. Im medizinnahen Unterricht werden ihr Entstehen und ihr Verbleiben am eindrucksvollsten im Zusammenhang mit Gelenkschäden erklärt. Kontusionen und Brüche veranlassen zunächst lokalisierte Schmerzen. Dadurch werden die an der Bewegung beteiligten Sehnen- und Muskelgruppen in eine Schonhaltung überführt. Diese Schonhaltung überfordert den Stoffwechsel der daran beteiligten Gewebegruppen. Daraus entstehen Schmerzzentren in der Muskulatur, die der nahen Körperoberfläche benachbart sind. Merkmal dieser ist ihre Selbstständigkeit. Wenngleich die ursprünglich am Schmerzgeschehen beteiligten Gelenke entweder durch Schonhaltung oder durch Immobilisierung ohne Schmerzen sind, bestehen die Triggerpunkte weiter. Die Begründung für das Persistieren ist deren typischer Metabolismus. Deshalb ist nötig, diese lokalisierten Schäden zu therapieren.

Die heute so genannte Triggerpunkt-Massage, die wirksamste Methode zur Beseitigung von Schmerzen, die von Massage-Therapeuten verwendet wird, beruht nahezu ausschließlich auf Angaben von Travell. Im beruflichen Ruhestand, mit über sechzig Jahren, begann sie, die von ihr entwickelten Methoden verstärkt zu unterrichten. Als über Siebzigjährige publizierte sie den ersten Teil der Arbeiten über Triggerpunkte des Kopfes und des Rumpfes; als über Achtzigjährige ging sie an die Veröffentlichung des zweiten Teils ihres großartigen Opus „Myofascial Pain & Dysfunction“. [18]

Travell wurde übrigens 1961 die erste Leibärztin eines Präsidenten der Vereinigten Staaten, zunächst Präsident John F. Kennedys, später Lyndon B. Johnsons. Das beruhte auf der Dankbarkeit für ihre Behandlung von JFKs myofaszialen und anderer Beschwerden und Schmerzen, die 1955 gedroht hatten, seine politische Karriere vorzeitig zu beenden.

Travell hatte sich neben den fachlichen Anweisungen an die Physiotherapie ebenso mit den Bezügen zur Zahnmedizin beschäftigt. Sie erklärte 1960 den Zusammenhang zwischen muskulären Kopf- und Halsschmerzen und Kiefergelenkerkrankungen. [19]

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Erscheinungsform
Erstausgabe
Jahr
2012
ISBN (PDF)
9783956848681
ISBN (Paperback)
9783956843686
Dateigröße
1.4 MB
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2015 (Februar)
Schlagworte
Orale Medizin Dentale Medizin Schmerzpatient Gesichtsschmerz Kopfschmerz

Autor

Heinz Spranger, Univ.-Prof.a.D.Dr.med.dent.Dr.h.c.MAS MSc (health), wurde 1942 in Berlin geboren. Nach seinem Studium der Zahnmedizin promovierte und habilitierte er an der Freien Universität Berlin. Sein akademischer Weg ging über Tübingen, Frankfurt/M, Bochum und Witten/Herdecke in das Kolleg für Gesundheit und Entwicklung Graz/Schloss Seggau. In Lehre, Forschung und Entwicklung setzte er diverse Schwerpunkte mit Integrativer Medizin, medizinnaher Gesundheitswissenschaft und Regulationsbiologie. Nach zwölf Jahren Forschungsprogrammen der DFG, internationalen Gastprofessuren und vielen Ehrungen (Wissenschaft/Forschung/Entwicklung), Träger des Bundesverdienstkreuzes, ist er heute in ländlicher Gemeinschaftspraxis mit seiner Ehefrau für seine Patienten als Parodontologe und Schmerztherapeut tätig.
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Titel: Differentialdiagnostik der Kieferschmerzen: Regulationsmedizinischer Befund und integrative Therapie
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