Betriebliche Gesundheitsförderung: Ein Mehrwert für Unternehmen?
Zusammenfassung
Dieses Buch untersucht die Frage „Welchen Mehrwert kann ein Unternehmen durch die Einführung einer betrieblichen Gesundheitsförderung erzielen?“ Dabei wird nicht nur der Frage nachgegangen, wie Betriebliche Gesundheitsförderung (BGF) in ein Unternehmen zu implementieren ist. Vielmehr wird aufgezeigt, wie die Ergebnisse der BGF im Rahmen der betrieblichen Gesamtrechnung (Kosten-Nutzen-Analyse) erfasst und bewertet werden kann, wie auch die Lücke zwischen Wohlbefinden und Gesundheit einerseits und dem wirtschaftlichen Erfolg des Unternehmens andererseits gefüllt werden kann.
Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
2.4 Die Ottowa-Charta und die Luxemburger Deklaration als Grundlagen der Gesundheitsförderung
Am 21. November 1986 hat die erste Internationale Konferenz zur Gesundheitsförderung in Ottawa die folgende Charta verabschiedet, in der sie zu aktivem Handeln für das Ziel „Gesundheit für alle“ bis zum Jahr 2000 und darüber hinaus aufruft:
„Gesundheitsförderung zielt auf einen Prozess, allen Menschen ein höheres Maß an Selbstbestimmung über ihre Gesundheit zu ermöglichen und sie damit zur Stärkung ihrer Gesundheit zu befähigen. Um ein umfassendes körperliches, seelisches und soziales Wohlbefinden zu erlangen, ist es notwendig, dass sowohl einzelne als auch Gruppen ihre Bedürfnisse befriedigen, ihre Wünsche und Hoffnungen wahrnehmen und verwirklichen sowie ihre Umwelt meistern bzw. verändern können. In diesem Sinne ist die Gesundheit als ein wesentlicher Bestandteil des alltäglichen Lebens zu verstehen und nicht als vorrangiges Lebensziel. Gesundheit steht für ein positives Konzept, das in gleicher Weise die Bedeutung sozialer und individueller Ressourcen für die Gesundheit betont wie die körperlichen Fähigkeiten. Die Verantwortung für Gesundheitsförderung liegt deshalb nicht nur bei dem Gesundheitssektor, sondern in allen Politikbereichen und zielt über die Entwicklung gesünderer Lebensweisen hinaus auf die Förderung von umfassendem Wohlbefinden.“ (Ottowa-Charta der WHO vom 21. November 1986 zur Gesundheitsförderung)
In der Ottowa- Charta wurden die Grundsätze und Ziele zur Förderung der Gesundheit und zur Schaffung bzw. Erhaltung gesunder Umwelten formuliert. Im Fokus steht die Frage, wie und mit welchen Maßnahmen das Gesundheitspotential von Menschen durch strukturelles und politisches Handeln und durch persönliche Unterstützung gefördert werden kann (vgl. Hurrelmann/Laaser, 1993, S. 177). Insbesondere wird dabei betont, dass Gesundheitsförderung eine gesundheitsgerechte Gestaltung der natürlichen und sozialen Umwelt zum Ziel hat und analog dazu jedem Menschen die erforderliche Fähigkeit geben möchte, seine persönliche Gesundheit zu verbessern. Gesundheit wird als eine der wichtigsten Voraussetzungen für eine bestmögliche Lebensqualität eingeschätzt. Die Etablierung der Gesundheitsförderung soll über die institutionellen Grenzen hinaus angelegt sein. Das Ziel ist eine nützliche Arbeitsteilung mit einer Zusammenarbeit auf mehreren Ebenen und über mehrere Berufsgruppen hinweg (vgl. Hurrelmann/Laaser, 1993, S.177).
Die Ottawa-Charta benennt drei Handlungsqualifikationen:
- Interessen vertreten
- Vermitteln und vernetzen
- Befähigen und ermöglichen
und fünf Handlungsstrategien:
- Gesundheitsförderung auf der personalen Ebene
- Gesundheitsförderung auf der Verhaltensebene
- Gesundheitsförderung auf der Verhältnisebene
- Neuorientierung der Gesundheitsdienste
- Entwicklung gesundheitsfördernder Gesamtpolitik (vgl. Waller, 2002, S. 159f.).
Weiter wird in der Ottowa-Charta ausgeführt, dass ökonomisch, politische, soziale und kulturelle Faktoren entweder die Gesundheit schädigen oder ihr zuträglich sein können. Nur wenn Menschen die Bedingungen, die ihre Gesundheit beeinflussen, mitgestalten können, können sie ihre Gesundheitspotentiale entfalten. Die sich ständig wandelnden familiären, Arbeits- und Freizeitbedingungen haben einen entscheidenden Einfluss auf die Gesundheit. Familie, Arbeit und Freizeit sollten in der Gesellschaft so gestaltete werden, dass sie die Grundlage für Gesundheit und nicht für Krankheit bilden (vgl. Badura/Hehlmann, 2003, S. 13 f.).
Das Europäische Netzwerk für Betriebliche Gesundheitsförderung (ENBGF) beschreibt in seiner Luxemburger Deklaration von 1997 die betriebliche Gesund- heitsförderung als eine kollektive Maßnahme von Mitarbeitern, Arbeitgebern und Gesellschaft, welche die Verbesserung der Gesundheit und das Wohlbefinden am Arbeitsplatz umfasst. Dies soll durch die Stärkung der persönlichen Kompetenzen, die Förderung der aktiven Partizipation der Beschäftigten und durch Verbesserungen der Arbeitsbedingungen sowie der Arbeitsorganisation erreicht werden (vgl. Bueren, 2002, S. 56 f.).
Grundsätze der Luxemburger Deklaration:
- Unternehmensmaxime und -leitlinien, die in den Mitarbeitern einen wichtigen Erfolgsfaktor sehen und nicht nur einen Kostenfaktor
- Die Verknüpfung von Risikoreduktion mit dem Ausbau von Schutzfaktoren und Gesundheitspotentialen (Ganzheitlichkeit)
- Eine Unternehmenskultur und entsprechende Führungsgrundsätze, in denen Mitarbeiterbeteiligung verankert ist, um so die Beschäftigten zur Übernahme von Verantwortung zu ermutigen
- Eine Arbeitsorganisation, die den Beschäftigten ein ausgewogenes Verhältnis bietet zwischen Arbeitsanforderungen einerseits und eigenen Fähigkeiten andererseits sowie Einflussmöglichkeiten auf die eigene Arbeit und soziale Unterstützung
- Die Verankerung von Gesundheitszielen insbesondere in der Personalpolitik, aber auch in allen anderen Unternehmensbereichen (Integration)
- Ein integrierter Arbeits- und Gesundheitsschutz
- Ein hoher Grad an Einbeziehung der Beschäftigten in Fragen der Gesundheit (Partizipation)
- Die systematische Durchführung aller Maßnahmen und Programme (Projektmanagement) (vgl. Luxemburger Deklaration, 2007, o. S.).
2.5 Instrumente der Betrieblichen Gesundheitsförderung
Wesentliche Instrumente der Betrieblichen Gesundheitsförderung sind der Arbeitskreis Gesundheit, der Betriebliche Gesundheitsbericht und der Gesundheitszirkel.
2.5.1 Der Arbeitskreis Gesundheit
Für die Planung und Lenkung der Gesamtprozesse des betrieblichen Gesundheitsmanagements ist der Arbeitskreis Gesundheit zuständig. Der Arbeitskreis Gesundheit setzt sich intern zusammen aus Unternehmensleitung, Moderator, Personal- bzw. Betriebsrat, Betriebsarzt, Personalabteilung, Fachkraft für Arbeitssicherheit und sofern vorhanden auch von Sozialdienst und Kantine. Hinzu kommen als externe Mitglieder Mitarbeiter der Krankenkasse, der Berufsgenossenschaft, des Amts für Arbeitsschutz oder sonstiger Interessenvertretungen (vgl. Amt für Arbeitsschutz, 2006, S. 1). Zentrale Aufgaben des Arbeitskreises Gesundheit sind die Analyse des Ist-Zustandes, z.B. in Form eines Gesundheitsberichtes. Hierdurch lassen sich Probleme und andere Schwerpunkte für das betriebliches Gesundheitsmanagement festlegen. Des Weiteren dienen die Daten als Grundlage für die Analyse der Wirksamkeit. Die Planung und das Konzept werden aufbauend auf dieser Untersuchung für die betriebliche Gesundheitsförderung aufgestellt. Je nach Problemschwerpunkt richtet daraufhin der Arbeitskreis Gesundheit einen Gesundheitszirkel für die entsprechende Abteilung/Arbeitsbereich ein. Die von den Gesundheitszirkeln entwickelten Vorschläge zur Optimierung der Arbeitsbedingungen werden vom Arbeitskreis Gesundheit in der Umsetzung verantwortet. Der Arbeitskreis Gesundheit ist auch für die laufende Kontrolle der Maßnahmen verantwortlich. Er informiert neben den Mitgliedern der Gesundheitszirkel auch die übrigen Mitarbeiter über die Konzepte, Analysen und die beschlossenen Maßnahmen. Auf der Grundlage der vorgenommenen Bestandsaufnahme lässt sich nun durch die Begleitung und Kontrolle der Maßnahmen in den Gesundheitszirkeln durch den Arbeitskreis Gesundheit eine kontinuierliche Evaluation durchführen (vgl. Amt für Arbeitsschutz, 2006, S. 1 ff.). Zur Kontrolle aller Zielvorgaben und ihrer Evaluation entwickeln die Verantwortlichen der Gesundheitszirkel die betriebliche Gesundheitsberichterstattung (vgl. Westermayer, 1998, S. 126).
2.5.2 Der Gesundheitsbericht
Mit verschiedenen Erhebungen und Untersuchungen, u.a. anhand von anonymisierten Arbeitsunfähigkeitsdaten von Krankenkassen, Fragebogenergebnissen und ergonomischen Untersuchungen, erfasst der betriebliche Gesundheitsbericht die aktuellen betrieblichen Belastungen und Beanspruchungen der Mitarbeiter. Dadurch kann man genau feststellen, welche Beschäftigungsgruppen unter welchen gesundheitlichen Beeinträchtigungen im Unternehmen arbeiten (vgl. Westermayer, 1998, S. 125). Die betriebliche Gesundheitsberichterstattung soll folgende Aufgaben erfüllen:
- Information - die Betriebsangehörigen informieren
- Motivation - eine sachgerechte Diskussion über Gesundheit und Krankheit im Betrieb fördern
- Orientierung - einen Schwerpunkt setzen und zielgerichtete Präventionsmaßnahmen für die betriebliche Gesundheitspolitik ermöglichen
- Evaluation - diese Maßnahmen können dann entsprechend der Berichte in ihrer Entwicklung bewertet werden
- Koordination - in der Auswertung können die Aktivitäten der einzelnen Verantwortlichen aufeinander abgestimmt werden
Der betriebliche Gesundheitsbericht kann diese Aufgaben nur erfüllen, wenn die daran Beteiligten eng mit der Arbeitnehmervertretung zusammenarbeiten. Das sind der Arbeitskreis Gesundheit, der Gesundheitszirkel und die Unternehmensführung. Dabei diskutieren und legen sie gemeinsam die Aufgaben und die Ziele der Berichterstattung fest:
- An erster Stelle steht der gemeinsame Wille aller Beteiligten, etwas für die Gesundheit der Mitarbeiter zu tun
- Die Zielsetzung der Maßnahmen und ihre unterschiedlichen Fragestellungen müssen vorher klar definiert sein
- Die Daten und Informationen müssen unter strikter Beachtung des Datenschutzes in den Bericht einfließen
- Eine klare Definition des Unternehmens, der Abteilung, des Werks oder Betriebes, in der diese Maßnahmen greifen sollen (vgl. Amt für Arbeitsschutz, 2005, S. 1 ff.)
Die Informationen über die Krankheitsarten und deren Häufigkeit bzw. Verteilung bilden die Basis für Planung und Einsatz von Interventionsmaßnahmen. Des Weiteren ist der Gesundheitsbericht ein sinnvolles Instrument für die Evaluation betrieblicher Präventionsmaßnahmen, da der regelmäßige Vergleich betrieblicher Gesundheitsberichte Aussagen über die Effektivität und Effizienz geben kann (vgl. Sochert, 1999, S. 1).
2.5.3 Der Gesundheitszirkel
Immer wieder werden die hohen Investitionskosten genannt, die Betriebe angeblich daran hindern, die Gesundheit der Mitarbeiter zu fördern. Die Autoren Bähr und Westermayer sehen jedoch den Grund eher in der fehlenden Kommunikation als in den Investitionskosten. Ihrer Meinung nach ist das Wissen und die Erfahrung der Beschäftigten Basis genug, um die Gesundheit der Mitarbeiter zu fördern. Das Problem liege vielmehr darin begründet, dass dieses Wissen nicht abgefragt werde, respektive nicht zusammenfindet. Danach sind „Gesundheitszirkel nichts weiter als ein Versuch unterschiedliche Träger des Erfahrungswissens miteinander in ein Gespräch über Gesundheit im Betrieb zu bringen“ (Bähr/Westermayer, 1994, S. 14). Ein Gesundheitszirkel besteht in der Regel aus etwa vier bis sechs Mitarbeitern, die sich aus unterschiedlichen Teilen der Belegschaft, u.a. Arbeitnehmern, Vorgesetzen, Betriebsratsmitgliedern und Arbeitsschutzexperten wie z.B. dem Betriebsarzt oder einer Fachkraft für Arbeitssicherheit zusammensetzen (siehe Abbildung 1). Dabei werden Arbeitsbelastungen besprochen und Vorschläge zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen erarbeitet (vgl. Amt für Arbeitsschutz 2006, S. 2).
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 1: Struktur des Gesundheitszirkels (entnommen aus: Amt für Arbeitsschutz 2006, S. 3.)
Durch die Beteiligung der Mitarbeiter ergeben sich auch Erkenntnisse über Probleme in der Arbeitsorganisation oder über geringe soziale Unterstützung, z.B. durch inkompetentes Führungsverhalten oder fehlende Information. Eine weitere wesentliche Aufgabe der Gesundheitszirkel ist das Erarbeiten von Verbesserungsvorschlägen, welche aus dem Erkennen und Beurteilen von gesundheitsbelastenden Arbeitsbedingungen, wie z.B. ergonomische Belastungen oder das Arbeiten mit gefährlichen Stoffen, resultiert (vgl. Amt für Arbeitsschutz, 2006, S. 3). Bei der Suche nach den gesundheitsstörenden Faktoren müssen der Gesundheitszirkel und der Arbeitskreis Gesundheit eng zusammenarbeiten. Dabei legt der Gesundheitszirkel dem Arbeitskreis Gesundheit seine Resultate vor und dieser muss hiernach über die Durchführung von Maßnahmen entscheiden (vgl. Amt für Arbeitsschutz, 2006, S. 3 f.).
Entscheidend für das Funktionieren der Gesundheitszirkel ist die freiwillige und aktive Beteiligung der Mitarbeiter, denn sie sind die Fachleute für das Erkennen der Belastungen an den Arbeitsplätzen. Sinnvoll ist es auch, die Zirkelsitzungen von einem neutralen Moderator leiten zu lassen. Die Gesundheitszirkel können zum einen im Betrieb flächendeckend oder aber auch schwerpunktmäßig in differenzierten Problembereichen tätig werden (vgl. Amt für Arbeitsschutz, 2006, S. 3).
Ende der 80er Jahre wurden parallel zwei verschiedene Modelle, das Berliner und das Düsseldorfer Modell, zur Durchführung von Gesundheitszirkeln erarbeitet. Das Berliner Modell wurde zunächst am Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung formuliert und später an der TU Berlin weiterentwickelt. Die praktische Erprobung dieses Ansatzes erfolgte in den Jahren 1987 bis 1989 in zwei Werken der Volkswagen AG. Das Düsseldorfer Modell wurde am Institut für Medizinische Soziologie an der Universität Düsseldorf entwickelt und in einem Stahlwerk in enger Kooperation mit der dortigen Betriebskrankenkasse zuerst durchgeführt (vgl. Bueren, 2002, S. 56 f.).
2.6 Das Berliner Modell
Das Berliner Modell legt den Schwerpunkt auf die kommunikative Ausrichtung und geht von der Grundannahme aus, dass die gesundheitlichen Gefahren am Arbeitsplatz nicht nur auf physische Einflüsse der Arbeitsumgebung zurückzuführen sind, sondern auch auf psychosoziale Faktoren. Hierbei kann der Mangel an Anerkennung, Wertschätzung und Selbstachtung der Mitarbeiter zu gesundheitlichen Beeinträchtigungen führen, da „Menschen die Erfahrung brauchen, dass sie etwas zählen“ (vgl. Bähr/Westermayer, 1994, S. 24). Eine weitere Annahme des Berliner Modells ist, dass in Betrieben mit zentraler Kontrolle kommunikationsfeindliche Organisationsstrukturen herrschen. Daher mache eine Verbesserung der Ergonomie allein keinen Sinn, wenn die Organisationsstrukturen und die Kommunikation im Betrieb sich nicht auch verändern (vgl. Bähr/Westermayer, 1994, S. 24).
Im Rahmen eines Humanisierungsprojektes führte eine Forschungsgruppe der Technischen Universität Berlin in zwei VW-Werken zwischen 1987 und 89 Gesundheitszirkel durch. Je 15 Meister waren die Zielgruppe, da sie an der Schnittstelle zwischen Beschäftigten und Management als besonders anfällig für psychosozialen Stress galten.
Im Mittelpunkt der Zirkelarbeit sollten die Stressbelastungen der Meister sowie ihre Bewältigungsstrategien beim Umgang mit Stress stehen. Ausgegangen wurde dabei von einem ganzheitlichen Gesundheitsverständnis. Wichtiger Grundsatz der Zirkelarbeit war die These, dass die Teilnehmer selbst am besten wissen, wie sie mit den Belastungen umzugehen haben.
Das Konzept lässt sich wie folgt beschreiben:
- Ca. 15 Personen,
- die alle zu einer Hierarchiestufe gehören,
- kommen über einen begrenzten Zeitraum von acht bis zwölf Sitzungen
- unter der Leitung eines externen Moderators zusammen,
- um sich über Stressbelastungen und Bewältigungsstrategien auszutauschen und
- ein neues Bewältigungsverhalten beim Umgang mit Stress zu entwickeln.
- Über eine Projektgruppe ist der Zirkel mit der Betriebsleitung verbunden
(vgl. Wittig-Goetz, 2006, o. S.).
In der Umsetzungsphase befasste sich der Kontaktausschuss mit den Lösungsvorschlägen und stellte einen Handlungsplan auf, in dem die Zeitfristen und die Verantwortlichkeiten festgelegt waren. An diesem Gremium nahmen neben Mitarbeitern aus dem ersten Zirkel auch Vertreter der Unternehmensleitung, der Betriebsarzt, Mitglieder des Betriebsrates und die Fachkraft für Arbeitssicherheit teil. Aus Sicht der Wissenschaftler brachten die Zirkel einige positive Ergebnisse wie verbesserte subjektive Stressbewältigung, bessere innerbetriebliche Kommunikation zwischen Meistern und Beschäftigen und eine erhöhte Arbeitszufriedenheit mit Rückwirkungen auf die Gesundheit (vgl. Bueren, 2002, S. 57 f.).
2.7 Das Düsseldorfer Modell
Das Düsseldorfer Modell geht von der Annahme aus, dass der Präventionsaufgabe im betrieblichen Arbeitsschutz bisher zu wenig Aufmerksamkeit gewidmet wird. Daher wurden die Instrumente Gesundheitsbericht und Gesundheitszirkel als Verfahrensformen erprobt (vgl. Bähr/Westermayer, 1994, S. 25). Die ersten Gesundheitszirkel fanden unter der Leitung von Dr. Wolfgang Slesina in einem Stahlwerk statt.
Seit 1985 wurden im Thyssen-Stahlwerk in verschiedenen Teilbetrieben insgesamt 16 Gesundheitszirkel eingerichtet. Die Mitglieder der einzelnen Zirkel trafen sich zu je 12 Sitzungen, die in drei bis vier wöchigen Rhythmus stattfanden. Im Gegensatz zum Berliner Modell waren in diesen Zirkeln neben der Stressbelastung auch die technischen und ergonomischen Probleme des Arbeitsplatzes Themen der Zirkelarbeit. Im ersten Schritt sollten die Teilnehmenden klären, welche Arbeitsschritte besonders fordernd und beanspruchend sind, wie häufig diese auftreten und welche Möglichkeiten der Bewältigung bestehen. Des Weiteren wurde geklärt, welche der angesprochenen Arbeitssituationen zu gesundheitlichen Beschwerden führen können. Ob und in welcher Weise stark beanspruchende Arbeitsverrichtungen und -situationen verbessert werden können, sollte im zweiten Schritt ermittelt werden. Im Fokus standen Gestaltungsmaßnahmen organisatorischer, technischer und personenbezogener Art.
Die Gesundheitszirkel im Düsseldorfer Modell waren, genau wie im Berliner Ansatz zeitlich begrenzt auf acht bis zehn Sitzungen, die ein bis zwei Stunden dauerten und während der Arbeitszeit stattfanden. Im Gegensatz zum Berliner Modell waren hier jedoch die Teilnehmer nicht aus der selben hierarischen Stufe. Außer dem Moderator und dem zuständigen Meister hatten Betriebsrat, Betriebsleitung und die Arbeitsschutzexperten des Betriebes die Möglichkeit zur Teilnahme an den Sitzungen. Die Teilnehmer waren von ihren Kollegen aus dem Arbeitsbereich gewählt worden. Die Zirkel erarbeiteten und diskutierten in ihren Sitzungen Verbesserungsvorschläge (aus 30 bis 60 Einzelvorschlägen). Umgesetzt wurde anschließend ungefähr die Hälfte der Vorschläge und führte zu entsprechenden Veränderungen der Arbeitsbedingungen (z.B. ergonomisch verbesserte Ausstattung von Kränen, körperliche Entlastungen durch Sitzmöglichkeiten usw.). Im Vorfeld war bereits vereinbart worden, dass Verbesserungsvorschläge auch über das betriebliche Vorschlagswesen abgewickelt bzw. vergütet werden können (vgl. Bueren, 2002, S. 58 f.).
2.8 Vergleich der Modelle
Beide Modelle weisen in vielen Punkten Überschneidungen auf. Sowohl im Düsseldorfer wie im Berliner Modell ist der Zirkel zeitlich begrenzt. Er tagt in der Arbeitszeit und in seinem Mittelpunkt stehen die Beschäftigten, die Belastungen an den Arbeitsplätzen ihrer Abteilungen zum Thema machen und Lösungen entwickeln. In beiden Zirkelmodellen gibt es eine Moderation. Der größte Unterschied ist bei der Zusammensetzung erkennbar. Das Düsseldorfer Modell besteht aus einer variablen Kleingruppe von Beschäftigten, Arbeitsschutzexperten, Betriebsrat und Unternehmensleitung. Diese Zusammensetzung ermöglicht eine Diskussion aus unterschiedlichen Blickwinkeln, eine zeitnahe Umsetzung der Verbesserungsvorschläge und eine Festlegung der Verantwortlichkeiten. Im Berliner Modell hingegen bleiben die Beschäftigten unter sich. Dies erleichtert die Diskussion von Tabuthemen, z.B. das Verhalten der Vorgesetzten, Arbeitsplatzängste, das Betriebsklima und Mobbing. Das wäre bei einer gemischten Zusammensetzung höchstwahrscheinlich nicht möglich, oder zumindest schwierig. Beide Varianten lassen sich mit ihren besonderen Merkmalen nicht eins zu eins in der Praxis von Unternehmen wiederfinden. Seit einigen Jahren ist eine Kombination der beiden Modelle festzustellen. Auch individuelle Kombinationen beider Modelle sind möglich: Anfänglich bleiben die Beschäftigten zur Besprechung heikler Themen in moderierter Form unter sich. Später werden Arbeitsschutzexperten, Vorgesetzte, Betriebsrat und Unternehmensleitung hinzu gezogen, um Lösungen gemeinsam zu erarbeiten (vgl. Bueren, 2002, S. 60).
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
(Tab. 1: Vergleich der Modelle, eigene Darstellung in Anlehnung an: Bueren, 2002, S. 61.)
2.9 Mitarbeiterbefragung
Eine Mitarbeiterbefragung ermöglicht es in kurzer Zeit die gesamte Belegschaft aktiv in den Prozess der BGF mit einzubeziehen. Zur Mitarbeiterbefragung lässt sich der vielfach erprobte und wissenschaftlich validierte Fragebogen zur "Diagnose betrieblicher Gesundheit" einsetzen. Dadurch kann ein sehr verlässlicher Überblick über die betriebliche Situation der Belegschaft im Bezug zu deren Gesundheitszustand gemacht werden. Auch kann die Befragung positive wie negative gesundheitliche Aspekte im Arbeitsablauf des Unternehmens aufzeigen. Der Fragebogen folgt der wissenschaftlichen Sicht bei der Beurteilung der relevanten Arbeitsbedingungen auf die Gesundheit und das Wohlbefinden der Beschäftigten. Die Form des Fragebogens ermöglicht es jedem Mitarbeiter, darauf zu antworten. Anhand der Fragestellungen können dann aus den Antworten die positiven Gesundheitspotentiale erfasst werden. Die daraus resultierenden Handlungsanleitungen für gewünschte Optimierungen sind von großer Bedeutung für die Leistungsbereitschaft und Leistungsfähigkeit der Mitarbeiter. Neben der Beschreibung des aktuellen Standes der betrieblichen Gesundheit werden durch diese Befragung gleichzeitig die effektivsten Ansatzpunkte zur Verbesserung der Gesundheit und des Wohlbefindens der Mitarbeiter aufgezeigt. Damit stellt die Befragung die wirkungsvollste Methode zur begründeten Festlegung einer Gesundheitsförderungsstrategie für ein Unternehmen dar (vgl. bgf-berlin, o. J., o. A., o. S.).
Ziele einer Mitarbeiterbefragung:
- Einbeziehung der gesamten Belegschaft: Durch die Befragung aller Mitarbeiter wird im gesamten Betrieb das Bewusstsein für das Thema Gesundheit geweckt. Das ist eine wesentliche Voraussetzung für die nachhaltige Veränderungen und verbessert die Akzeptanz folgender Maßnahmen:
- Die Diagnose des gesundheitlichen Zustands der Belegschaft sowie der beeinflussenden Faktoren: Messung der Gesundheitsindikatoren (Arbeitsfreude, Selbstvertrauen, Gereiztheit, Erschöpfung und körperliche Befindensbeein-trächtigungen), Gesundheitspotenzialen und -gefährdungen bei der Arbeit
- Die passgenaue Ableitung von Aktionsfeldern: Pro auswertbaren Bereich werden die Haupteinflussfaktoren für die Gesundheit analysiert, so dass konkrete und präzise Handlungsfelder mit großer Wirkung sichtbar werden.
- Die Möglichkeit zur Entwicklung eines Benchmark- und Controlling-instruments: Die Daten der Mitarbeiterbefragung können mit anderen relevanten Daten des Unternehmens verknüpft werden und dadurch ein wichtiges Controllinginstrument darstellen (vgl. bgf-berlin, o.J., o. A., o. S.).
3. Wesentliche Maßnahmen der Betrieblichen Gesundheits-förderung
Die Maßnahmen zur Gesundheitsförderung und Prävention lassen sich im Ansatz in verhaltens- und verhältnisorientierte Maßnahmen unterteilen, dargestellt in Abbildung 2 (vgl. Nagel, 2007, S. 196).
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 2: Ansätze der Gesundheitsförderung, (entnommen aus: Wittig/Goetz, 2010, o. S.)
Aus der Kritik am bisherigen Präventionsansatz, der allein auf die Reduzierung von Krankheiten ausgerichtet war, ist der neue umfassendere Präventionsansatz „Betriebliche Gesundheitsförderung“ (BGF) entstanden. Die bisher alleinige Ausrichtung der Präventionsmaßnahmen auf Krankheiten erfasst die Probleme häufig nur unzureichend und setzte oft zu spät für eine erfolgreiche Heilung an (vgl. Kerkau, 1997, S. 15).
Die neue Präventionsstrategie BGF zielt nach der Auslegung der WHO im Gegensatz zu dem bisherigen Verständnis von Prävention darauf ab, dass die Gesundheitsressourcen und -potentiale gestärkt und nicht wie bisher Krankheiten nur abzuwehren oder ihnen vorgebeugt werden soll (vgl. Walter et al., 2001, S.23). Bei der BGF handelt es sich um ein positives Gesamtkonzept, dass über die Prävention hinausgeht.
Die Betriebliche Gesundheitsförderung zeichnet sich gegenüber anderen Präventionsmaßnahmen dadurch aus, dass sie:
- nicht nur physische, sondern auch psychische und psychosoziale Aspekte der Gesundheit mit einbezieht,
- Merkmale der Arbeit identifiziert, welche die Handlungsfähigkeit und das Wohlbefinden der Beschäftigten erhöht,
- verhaltens- und verhältnisbezogene Maßnahmen mit einbezieht,
- längerfristig angelegt ist,
- nicht nur Risikogruppen, sondern alle Beschäftigten anspricht,
- direkte und indirekte Mitbestimmung im gesamten Prozess der Betrieblichen Gesundheitsförderung zulässt (vgl. Bamberg, 1998, S. 18).
Das wesentliche Merkmal von Gesundheitsförderung ist, dass die Verantwortung für die Gesundheit nicht mehr alleinige Aufgabe der Gesundheitspolitik und des Gesundheitssystems ist. Denn alle gesellschaftlichen Bereiche, die sich auf die Gesundheit des Menschen auswirken, sind dafür verantwortlich. Der Arbeitswelt als zentrales Anwendungsfeld wird dabei die größte Verantwortung zugesprochen, da sich dieses in erheblichem Maße auf die Gesundheit und das Wohlbefinden des Menschen auswirkt (vgl. Kerkau, 1997, S. 15 f.).
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Details
- Seiten
- Erscheinungsform
- Erstausgabe
- Erscheinungsjahr
- 2011
- ISBN (PDF)
- 9783956847769
- ISBN (Paperback)
- 9783956842764
- Dateigröße
- 6.1 MB
- Sprache
- Deutsch
- Institution / Hochschule
- Hanseatische Verwaltungs- und Wirtschafts-Akademie VWA gemeinnützige GmbH, Studienzentrum Bremen
- Erscheinungsdatum
- 2015 (Februar)
- Note
- 2
- Schlagworte
- BGM BGF Mitarbeitermotivation Personalmarketing Personal Mitarbeiter