Solvency II – eine große Herausforderung für die Versicherungswirtschaft?
©2007
Bachelorarbeit
47 Seiten
Zusammenfassung
Die Rahmenbedingungen für Versicherungsunternehmen haben sich in den letzten Jahrzehnten stark gewandelt. Die Versicherungsbranche war gekennzeichnet von volatilen Kapitalmärkten, sinkenden Zinsen, einer steigenden Zahl von Großschäden und der beschleunigten Deregulierung des Versicherungsmarktes.
Folge dieser Marktveränderungen war eine sinkende Eigenkapitalbasis vieler Versicherungsunternehmen, wodurch die Solvabilität einiger Versicherer gefährdet war.
Damit Versicherungsunternehmen trotz dieser schwierigen Bedingungen auch weiterhin eine ausreichende Eigenkapitalausstattung gewährleisten können, wurde Anfang des Jahres 2000 das Projekt Solvency II initiiert.
Mit diesem neuen Aufsichtsmodell sollen die bisherigen Solvabilitätsrichtlinien modernisiert und neue Kapitalanforderungen für Versicherungsunternehmen bestimmt werden. Gemäß Solvency II sind die Risiken von Versicherungsunternehmen umfassend, realistisch und zeit-nah darzustellen und mit ausreichend Eigenkapital zu unterlegen, immer vor dem Hintergrund eine hohe Sicherheit für Versicherungsnehmer zu gewährleisten.
Demnach richtet sich die Eigenkapitalanforderung von Versicherungsunternehmen durch Solvency II nicht mehr nach der Höhe der eingenommenen Prämien, sondern nach den tatsächlichen Risiken.
Eine weitere Intention von Solvency II ist die europaweite Vereinheitlichung nationaler Aufsichtssysteme. Die europäische Kommission strebt dabei eine maximale Harmonisierung (,level playing field') an, welche Wettbewerbsverzerrungen innerhalb der europäischen Union so weit wie möglich vermeidet und ergänzende Regelungen der Einzelstaaten überflüssig macht.
Folge dieser Marktveränderungen war eine sinkende Eigenkapitalbasis vieler Versicherungsunternehmen, wodurch die Solvabilität einiger Versicherer gefährdet war.
Damit Versicherungsunternehmen trotz dieser schwierigen Bedingungen auch weiterhin eine ausreichende Eigenkapitalausstattung gewährleisten können, wurde Anfang des Jahres 2000 das Projekt Solvency II initiiert.
Mit diesem neuen Aufsichtsmodell sollen die bisherigen Solvabilitätsrichtlinien modernisiert und neue Kapitalanforderungen für Versicherungsunternehmen bestimmt werden. Gemäß Solvency II sind die Risiken von Versicherungsunternehmen umfassend, realistisch und zeit-nah darzustellen und mit ausreichend Eigenkapital zu unterlegen, immer vor dem Hintergrund eine hohe Sicherheit für Versicherungsnehmer zu gewährleisten.
Demnach richtet sich die Eigenkapitalanforderung von Versicherungsunternehmen durch Solvency II nicht mehr nach der Höhe der eingenommenen Prämien, sondern nach den tatsächlichen Risiken.
Eine weitere Intention von Solvency II ist die europaweite Vereinheitlichung nationaler Aufsichtssysteme. Die europäische Kommission strebt dabei eine maximale Harmonisierung (,level playing field') an, welche Wettbewerbsverzerrungen innerhalb der europäischen Union so weit wie möglich vermeidet und ergänzende Regelungen der Einzelstaaten überflüssig macht.
Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
Abbildungsverzeichnis
Abbildung 1: Strukturen des Lamfalussy-Verfahrens... 9
Abbildung 2: Risikoarten eines Versicherungsunternehmens ... 10
Abbildung 3: Die 3-Säulen-Struktur von Solvency II ... 12
Abbildung 4: Mindestkapitalanforderungen (Säule 1) ... 13
Abbildung 5: Komponenten des neuen niederländischen Aufsichtssystems ... 29
Abbildung 7: Konzeption des neuen Schweizer Solvenztest ... 32
Tabellenverzeichnis
Tabelle 1: Übersicht ausgewählter Optionsrechte ... 21
Tabelle 2: Änderungen in der Risikoerfassung und messung unter Solvency II... 22
Tabelle 3 : Überblick über internationale Solvabilitäts-Standardmodelle... 27
1
1 Einleitung
1.1 Problemstellung
Die Rahmenbedingungen für Versicherungsunternehmen haben sich in den letzten Jahr-
zehnten stark gewandelt. Die Versicherungsbranche war gekennzeichnet von volatilen
Kapitalmärkten, sinkenden Zinsen, einer steigenden Zahl von Großschäden und der be-
schleunigten Deregulierung des Versicherungsmarktes.
Folge dieser Marktveränderungen war eine sinkende Eigenkapitalbasis vieler Versiche-
rungsunternehmen, wodurch die Solvabilität einiger Versicherer gefährdet war.
1
Unter dem Begriff Solvabilität (abgeleitet vom französischen Wort solvabilité für Zahlungsfä-
higkeit bzw. Solvenz) versteht man die Fähigkeit eines Versicherungsunternehmens, die
durch den Abschluss von Versicherungsverträgen eingegangenen Verpflichtungen erfüllen
zu können.
2
Damit Versicherungsunternehmen trotz dieser schwierigen Bedingungen auch weiterhin eine
ausreichende Eigenkapitalausstattung gewährleisten können, wurde Anfang des Jahres
2000 das Projekt Solvency II initiiert.
Mit diesem neuen Aufsichtsmodell sollen die bisherigen Solvabilitätsrichtlinien modernisiert
und neue Kapitalanforderungen für Versicherungsunternehmen bestimmt werden. Gemäß
Solvency II sind die Risiken von Versicherungsunternehmen umfassend, realistisch und zeit-
nah darzustellen und mit ausreichend Eigenkapital zu unterlegen, immer vor dem
Hintergrund eine hohe Sicherheit für Versicherungsnehmer zu gewährleisten.
Demnach richtet sich die Eigenkapitalanforderung von Versicherungsunternehmen durch
Solvency II nicht mehr nach der Höhe der eingenommenen Prämien, sondern nach den tat-
sächlichen Risiken.
3
Eine weitere Intention von Solvency II ist die europaweite Vereinheitlichung nationaler Auf-
sichtssysteme. Die europäische Kommission strebt dabei eine maximale Harmonisierung
(,level playing field') an, welche Wettbewerbsverzerrungen innerhalb der europäischen Union
so weit wie möglich vermeidet und ergänzende Regelungen der Einzelstaaten überflüssig
macht.
4
Im Juli 2007 wurde von der EU-Kommission nach mehrjähriger Vorarbeit ein Richtlinienent-
wurf für das neue Solvabilitätssystem vorgelegt, bis 2010 sollen die neuen Regelungen
endgültig in Kraft treten.
1
vgl. Ehrlich et al. (2006), S. 26
2
vgl. Dillmann (2007 a), S. 5 und vgl. dazu auch Renz/Best (2005), S. 327
3
vgl. o.V. (2006 g), S. 1 und vgl. dazu auch o.V. (2006 f), S. 36
4
vgl. Ehrlich et al. (2006), S. 26
2
Ausgehend von der dargestellten Problemstellung sollen in dieser Arbeit u.a. die nachfol-
genden Fragen beantwortet werden:
x Welche rechtlichen Rahmenbedingungen haben derzeit für Versicherungsunternehmen
Gültigkeit?
x Welche Inhalte hat Solvency II bzw. welche Änderungen werden durch Solvency II auf
Versicherungsunternehmen zukommen?
x Welche Auswirkungen wird Solvency II auf die Lebens- und Rückversicherungsunter-
nehmen bzw. deren Kunden haben?
x Ist Solvency II mit dem für Banken gültigen Aufsichtssystem Basel II vergleichbar?
x Welche Standardmodelle zur Bestimmung der Eigenkapitalanforderung wurden internati-
onal entwickelt?
x Welche Anforderungen müssen interne Modelle erfüllen, damit sie zur Berechnung des
notwendigen Solvenzkapitals verwendet werden dürfen?
1.2 Aufbau und Abgrenzung der Arbeit
In Kapitel 2 werden die Gründe für die Notwendigkeit der Einführung eines neuen Solvabil i-
tätssystems dargelegt. Dazu erfolgt eine Analyse der bestehenden rechtlichen
Rahmenbedingungen in Hinblick auf die Solvabilitätsvorschriften. Des Weiteren wird in die-
sem Kapitel durch Erläuterung des Müller-Reports und von Solvency I der Weg bis zur
Entwicklung von Solvency II dargestellt und das erstmals im Versicherungsbereich ange-
wandte Lamfalussy-Verfahren beschrieben.
Das folgende Kapitel 3 beschäftigt sich zu Beginn mit den verschiedenen Risikoarten denen
Versicherungsunternehmen ausgesetzt sind. Nachfolgend werden die drei Säulen von Sol-
vency II erläutert und ein Vergleich zwischen Solvency II und dem in Banken gültigen
Solvabilitätssystem Basel II angestellt.
Kapitel 4 beschreibt die Auswirkungen die Solvency II auf die Versicherungswirtschaft hat.
Zunächst werden die von der CEIOPS durchgeführten Auswirkungsstudien durchleuchtet,
nachfolgend wird die Bedeutung von Solvency II für die Lebens- und Rückversicherung dar-
gestellt. Aufgrund des begrenzten Umfangs der Bachelorarbeit werden die Auswirkungen auf
die Schaden-/Unfall- und Krankenversicherung nicht erläutert.
Verschiedene internationale Standardmodelle zur Berechnung des Solvenzkapitals sind in
Kapitel 5 aufgeführt. Es erfolgt dazu eine Charakterisierung von Faktor- und Szenarioansät-
zen, weiters werden Merkmale von internen Modellen angeführt und die Anforderungen, die
an sie gerichtet werden, analysiert.
3
2 Ausgangssituation für die Erstellung von Solvency II
Nachstehend werden die derzeitigen rechtlichen Rahmenbedingungen für Versicherungs-
unternehmen in Österreich in Bezug auf Solvabilitätsregelungen näher erläutert und Gründe
für die Notwendigkeit der Einführung von Solvency II dargelegt. Weiters wird der Weg bis zur
Erstellung von Solvency II und das darin angewandte Lamfalussy-Verfahren näher erläutert.
2.1 Rechtliche Rahmenbedingungen für Versicherungsunternehmen
Grundsätzlich werden Versicherungsunternehmen aus nachfolgenden Motiven beaufsichtigt:
Zum einen haben Versicherungsunternehmen eine hohe volkswirtschaftliche Bedeutung,
bspw. durch die Kapitalakkumulation, da Prämien am Geld- oder Kapitalmarkt angelegt wer-
den, bei der Entlastung des Staates und des Gemeinwesens durch den Abschluss von
Privatversicherungen oder beim Schutz des Vermögens der Versicherungsnehmer.
Zum anderen dient die Regulierung der Versicherungswirtschaft unter der Berücksichtigung
der volkswirtschaftlichen Bedeutung vornämlich dem Schutz des Verbrauchers, der einen
Versicherungsvertrag mit dem Zweck erwirbt, im Schadenfall eine finanzielle Kompensation
zu erlangen. Damit der Verbraucherschutz gewährleistet werden kann, verfolgt die Versiche-
rungsaufsicht folgende Ziele: Sicherstellung der Funktionsfähigkeit der
Versicherungswirtschaft sowie Verhinderung und Beseitigung von Missständen im Versiche-
rungswesen.
5
Zur Sicherstellung dieser Ziele bedarf es gesetzlicher Bestimmungen:
Zentrale Bestandteile der österreichischen Versicherungsaufsicht sind derzeit die Normen
des Unternehmensgesetzbuches (UGB), des Versicherungsaufsichtsgesetzes (VAG), des
Versicherungsvertragsgesetzes (VersVG) und Verordnungen der österreichischen Finanz-
marktaufsicht (FMA).
Nationale Regelungen wurden in den letzten Jahren mit dem Ziel der Schaffung eines ein-
heitlichen Marktes für Versicherungsunternehmen durch EU-weite regulatorische
Rahmenbedingungen ergänzt bzw. ersetzt. Die bisher gültige Solvenzaufsicht entspringt
größtenteils der Lebensrichtlinie (79/267/EWG) aus dem Jahr 1979 sowie die Schadenversi-
cherungsrichtlinie (73/239/EWG) aus dem Jahr 1973. Beide Richtlinien zielen vor allem auf
das versicherungstechnische Risiko ab; sie wurden im Jahr 1992 im Zuge der Marktöffnung
neuerlich novelliert (3. Richtliniengeneration). Die Änderungen beinhalteten u.a. die Einfüh-
rung eines Sitzlandprinzips unter gegenseitiger Anerkennung harmonisierter
Aufsichtsnormen, die Bildung einer ausreichenden Solvabilitätsspanne (Mindestbetrag an
freien und unbelasteten Eigenmitteln) und den Entfall der präventiven Preis- und Produktkon-
trolle, wodurch die Solvabilitätsvorschriften an Bedeutung gewannen.
5
vgl. Romeike/Müller-Reichart (2005), S. 111-112
4
Die Umsetzung dieser 3. Richtliniengeneration ins nationale Recht erfolgte 1994.
Die aktuelle Lebens- (2002/83/EG) bzw. Schadenversicherungsrichtlinie (2002/13/EG)
stammt aus dem Jahr 2002, die Änderungen die mit diesen Richtlinien verbunden sind, wer-
den in Kapitel 2.3.2 (Solvency I) näher erläutert.
Wesentliche Normen bezüglich Eigenmittelerfordernisses sind in Österreich § 73b VAG (Ei-
genmittelausstattung), §§ 81i-81m VAG (Vorschriften über versicherungstechnische
Rückstellungen), § 86j VAG (bereinigtes Eigenmittelerfordernis) und § 104a VAG (Anord-
nungen der Finanzmarktaufsicht).
6
In Österreich regelt also § 73b Versicherungsaufsichtsgesetz (VAG) die Höhe des Solvenz-
kapitals: ,,Die Versicherungsunternehmen haben zur Sicherung der dauernden Erfüllbarkeit
ihrer Verpflichtungen aus Versicherungsverträgen für ihr gesamtes Geschäft jederzeit Ei-
genmittel [...] zu halten.
In Anhang D dieses Bundesgesetzes sind die genauen Bestimmungen angeführt, die jedoch
einen pauschalen Prozentsatz vorgeben, ohne wirklich auf unternehmensspezifische Risiken
einzugehen."
7
So müssen bspw. in der Lebensversicherung (außer Zusatzversicherungen und der fondge-
bundenen LV) die Eigenmittel der Summe zweier Ergebnisse entsprechen.
Einerseits aus dem sich nachfolgend errechneten Betrag:
4 Prozent der Deckungsrückstellung und der Prämienüberträge ohne Abzug der RV multipliziert mit
*
herer
Rückversic
der
Abzug
ohne
rträge
Prämienübe
und
ckstellung
Deckungsrü
herer
Rückversic
der
Anteil
-
Vorjahres
des
rträge
Prämienübe
und
ckstellung
Deckungsrü
¸¸¹
·
¨¨©
§
* dieser Quotient ist in jedem Fall mit 85 Prozent anzusetzen
Zusätzlich ist bei den Verträgen, bei denen das Risikokapital nicht negativ ist folgender Be-
trag zu addieren:
3 Promille des übernommenen Risikokapitals multipliziert mit
*
tal
Risikokapi
Vorjahres
des
herer
Rückversic
der
Anteil
-
tal
Risikokapi
¸¸¹
·
¨¨©
§
* dieser Quotient ist in jedem Fall mit 50 Prozent anzusetzen
In der Nicht-Lebensversicherung müssen die Eigenmittel dem höheren Index (Prämien- oder
Schadenindex), der wiederum pauschal ermittelt und von den Prämien des direkten und indi-
rekten Geschäfts bzw. der betriebenen Versicherungssparten abhängig ist, entsprechen.
8
6
vgl. Follmann (2007), S. 53
7
Hartinger/Predota (2007), S. 23-24
8
vgl. Anlage D zu § 73b Abs. 1 Bundesgesetz vom 18. Oktober 1978 über den Betrieb und die Beauf-
sichtigung der Vertragsversicherung Versicherungsaufsichtsgesetz (VAG), BGBI 569/1978 i.d.F.
5
2.2 Gründe für die Notwendigkeit eines neuen Aufsichtsmodells
Ein wesentlicher Grund dafür, dass das bisherige Aufsichtsmodell nicht mehr zeitgemäß ist
und überarbeitet werden muss, ist die Tatsache, dass § 73 VAG bei der Berechnung der
Solvabilitätsspanne nur bestimmte Versicherungsrisiken berücksichtigt, das Irrtums- und
Schwankungsrisiko, das operationelle Risiko, das Anlagerisiko sowie Korrelationen zwischen
Einzelrisiken bleiben unberücksichtigt, obwohl diese miteinander verknüpft sind und einander
durch positive oder negative Rückkoppelungen beeinflussen.
9
,,Weitere aktuelle Argumente für die Überarbeitung aufsichtsrechtlicher Bewertungsmethoden
liefert die Betrachtung der Kapitalmarktsituation der letzten Jahre. Diese ist geprägt von einer
anhaltenden Aktienbaisse, welche zu einem Abschmelzen der Reserven auf der Aktivseite
der Bilanz führten. Ergänzend kommt es auf nationaler Ebene im Bereich der Lebensversi-
cherung zu starken Veränderungen der Sterblichkeit und aufgrund des demografischen
Wandels zu einem mäßigen Neukundengeschäft."
10
Nach Meinung von Analysten der amerikanischen Investmentbank Goldman Sachs wird eine
große Zahl der derzeit in Deutschland tätigen Lebensversicherer aufgrund mangelnder Kapi-
talanlage- und Risikostreuung in den nächsten Jahren vom Markt verschwinden. Folge
könnte ein Vertrauensverlust auf Seiten der Kunden sein, welcher auch negative Konse-
quenzen für andere Versicherungsunternehmen, und in weiterer Folge auch für die Stabilität
des Finanzsystems, haben könnte.
Neben den soeben erwähnten gesamtwirtschaftlichen Auswirkungen ist der Schutz der Ver-
sicherungsnehmer ein wichtiges Argument für die Einführung einer neuen Aufsicht.
11
Die EU hat sich aus den genannten und noch weiteren unberücksichtigten Gründen mit dem
Projekt Solvency II, das im nachfolgenden Kapitel näher erläutert wird, der Modernisierung
der Versicherungsaufsicht angenommen.
2.3 Chronologie bis zur Entwicklung von Solvency II
Bevor das Projekt Solvency II näher erläutert wird, werden noch kurz die wesentlichen Etap-
pen bis zur Entwicklung der neuen EU-Solvabilitätsregelung erläutert:
2.3.1 Müller-Report
Basis der bestehenden Solvenzregelungen sind, wie bereits erwähnt, die Schadenver-
sicherungsrichtlinie aus dem Jahr 1973 und die Lebensversicherungsrichtlinie von 1979.
9
vgl. Romeike/Müller-Reichart (2005), S. 111-112
10
Follmann (2007), S. 51
11
vgl. Follmann (2007), S. 52
6
Mit der Schaffung des europäischen Binnenmarkts und der damit verbundenen Deregulie-
rung gab es bereits frühzeitig Bestrebungen, diese Regeln den geänderten Verhältnissen
anzupassen. Aus diesem Grund wurde 1994 eine Kommission unter der Leitung von
Dr. Helmut Müller eingesetzt, die in der Folge eine Bestandsaufnahme der derzeit gültigen
Systeme in den EU-Ländern sowie einen Vergleich mit der Solvenzkontrolle in anderen Län-
dern durchführte und den sogenannten Müller-Report erarbeitete. Dieser kam zur
Auffassung, dass sich das System im Kern bewährt hätte, enthielt aber auch verschiedene
Vorschläge und Maßnahmen, um das bestehende System an die geänderten Marktgege-
benheiten anzupassen.
12
Die Forderungen der Kommission können wie folgt zusammengefasst werden:
Zum Einen wurde gefordert, dass der Mindestbeitrag für Garantiefonds, aufgrund der seit
1973 stattgefundenen Inflation, erheblich angehoben werden muss (wobei es Sonderrege-
lungen für kleine Versicherungsunternehmen geben soll).
Weiters wurde eine Überarbeitung der Eigenmittelvorschriften für die versicherungstechni-
schen Rückstellungen sowie die Kapitalrisiken, um den dort auftretenden
Gefahrenpotentialen noch besser gerecht zu werden, als zweckmäßig erachtet.
Für die Bemessung der zu bildenden Solvabilitätsspanne befürwortet die Kommission ein
Festhalten an den Beiträgen und Schäden. Neben dem Beitrags- und Schadenindex soll ein
dritter, auf Basis der Rückstellung für noch nicht abgewickelte Versicherungsfälle berechne-
ter Rückstellungsindex eingeführt werden, mit dem den beim long-tail-Geschäft hohen
Abwicklungsrisiken Rechnung getragen werden soll. Der Abzug für Rückversicherung soll
bei der Ermittlung nach dem Rückstellungsindex in gleicher Weise wie beim Beitrags- und
Schadenindex vorgenommen werden.
Es wurde ebenso gefordert, dass die absoluten Werte für den Beitrags- und Schadenindex
durch jeweilige Prozentsätze für diese beiden Indizes ersetzt werden sollen. Diese Prozent-
sätze sollen bei 18 (Beitragsindex) und 26 (Schadenindex) festgelegt werden, beim
Rückstellungsindex soll der Prozentsatz zwischen 12 und 15 liegen. Der Index der zur
höchsten Solvabilitätsspanne führt, wird für die Berechnung entscheidend sein.
Als weiterer wichtiger Punkt wurde gefordert, dass die Aufsichtsbehörden bereits im Vorfeld,
wenn die Solvabilität noch erfüllt ist aber eine Beeinträchtigung der Versicherungsinteressen
droht, Eingriffsmöglichkeiten erhalten.
13
Folge des Müller-Reports waren zwei EU-Richtlinien, die im Jahre 2002 unter dem Begriff
,,Solvency I", der nachstehend näher erläutert wird, verabschiedet wurden.
12
vgl.
Nelson/Stricker/Thofern (o.J.), S. 2
13
vgl. o.V., Müller-Report (1997), S. 46
7
2.3.2 Wesentliche Änderungen durch Solvency I
Eine wichtige Änderung durch die Richtlinien, die 2004 in die nationalen Gesetze übernom-
men wurde, war dass die Solvabilität nicht mehr einmalig am Ende des Geschäftsjahres
sondern zu jedem Zeitpunkt gewährleistet werden muss. Die Folge dieser Änderung war,
dass sich Versicherungsunternehmen bessere Informationssysteme anschaffen mussten, die
die Daten, die zur Berechnung der Solvabilitätsmarge notwendig sind, auf Tagesbasis zur
Verfügung stellen können müssen.
14
Weiters beträgt der Garantiefonds nach Solvency I sowohl in der Schaden- als auch in der
Lebensversicherung drei Mio. Euro: dieser Betrag wird mit dem Europäischen Verbraucher-
preisindex angepasst (von Eurostat veröffentlicht). Gemäß § 73f VAG beträgt der
Garantiefonds in der Schaden- bzw. Lebensversicherung 4,3 Mio. Euro, ein Kompositversi-
cherer aus einer Leben- bzw. Schaden- und Unfallversicherung muss einen Garantiefonds in
der Höhe von 7,6 Mio. Euro aufweisen.
15
Hinzu kommt, dass den europäischen Aufsichtsbehörden mehr Befugnisse zugesprochen
werden. So kann die Aufsichtsbehörde bei in Schwierigkeiten geratenen Unternehmen, die
Rechte des Versicherers, über seine Vermögenswerte frei zu verfügen, einschränken und
die Vorlage eines Sanierungsplans fordern. Sie kann sich auch die auf die Solvabilität ange-
rechneten Rückversicherungsverträge vorlegen lassen und die Anrechnung bei der
Solvabilität versagen, was vor allem dann der Fall sein wird, wenn kein signifikanter Risiko-
transfer erfolgt oder sich der Risikotransfer maßgeblich verschlechtert hat.
16
Die Höhe des Solvabilitäts-Solls veränderte sich in der Schadenversicherung wie folgt:
,,Beiträge und Schäden in den Versicherungszweigen Luftfahrtzeughaftpflicht, See-, Binnen-
see- und Flussschifffahrtshaftpflicht sowie in der Allgemeinen Haftpflichtversicherung gehen
mit einem Faktor von 1,5 in die Berechnungen des Beitrags- bzw. Schadenindexes ein. Auf
Basis von Marktdaten von 2000 bedeutet dies eine Erhöhung der Soll-Solvabilität im Umfang
von 7 Prozent, da die Haftpflichtsparten rund 14 Prozent der Gesamtprämie der Schaden-
versicherer ausmacht."
17
Die Grenzen für die Berechnung des Beitrags- und Schadenindex ab denen die reduzierten
Faktoren von 16 Prozent bzw. 23 Prozent angewendet wurden, lagen vor Solvency I bei
18,7 Mio. Euro bzw. 13,1 Mio. Euro (darunter 18 Prozent bzw. 26 Prozent).
18
Im Zuge von
Solvency I werden diese Grenzen auf 50 Mio. bzw. 35 Mio. erhöht und an die Inflation ange-
passt.
14
Heistermann (2002), S. 15-16
15
vgl. § 73f Bundesgesetz vom 18. Oktober 1978 über den Betrieb und die Beaufsichtigung der Ver-
tragsversicherung Versicherungsaufsichtsgesetz (VAG), BGBI 569/1978 i.d.F.
16
vgl. Romeike/Müller-Reichart (2005), S. 118
17
Heistermann (2002), S. 16
18
vgl. Stölting (2004), S. 4
8
Die Ist-Solvabilität besteht aus dem freien und unbelasteten Eigenkapital (EK), dies sind vor
allem das eingezahlte Grundkapital, die gesetzlichen und freien Rücklagen und der Gewinn-
bzw. Verlustvortrag nach Abzug der auszuschüttenden Dividenden.
Bei der Anrechnung von Mitteln für die Ist-Solvabilität kommt es zu folgenden Änderungen:
Nur noch auf Antrag werden 50 Prozent des nicht eingezahlten Grundkapitals angerechnet,
und nur dann, wenn mindestens 25 Prozent des Grundkapitals eingezahlt sind. Die Anrech-
nung ist nur noch bis zu einem Wert von 50 Prozent der Solvabilitätsspanne möglich, diese
Grenze gilt auch für nachrangige Verbindlichkeiten und Genussrechtskapital (davon nur
25 Prozent Mittel mit Laufzeitbegrenzung).
In der Lebensversicherung wird die Anrechnung von 50 Prozent der Unternehmensgewinne
nur noch bei Vorlage eines versicherungsmathematischen Gutachtens längstens bis zum
31.12.2009 erfolgen können.
19
Obwohl die wesentlichen Empfehlungen des Müller-Reports in den Richtlinien von Solvency I
umgesetzt wurden, äußerte die EU-Kommission Zweifel, ob Solvency I die Marktverände-
rungen der letzen Jahre tatsächlich adäquat berücksichtigt.
So wurde auf die Entwicklung internationaler Rechnungslegungsstandards (wie bspw. IFRS),
die einen großen Einfluss auf das Risikomanagement von Versicherungsunternehmen haben
und auch die Versicherungsaufsicht beeinflussen werden, nicht eingegangen. Weiters erfolgt
bspw. noch immer eine pauschale Bewertung des Anlagerisikos eines Versicherungsunter-
nehmens in Prozent der Deckungsrückstellung, unabhängig von der Art der Kapitalanlagen
und dem damit verbundenen Verlustrisiko.
20
,,Das grundlegende Problem einer unzureichenden Orientierung der Mindestkapitalausstat-
tung an den tatsächlichen Risiken des Versicherungsunternehmens wurde auch durch die
modifizierten Regelungen nicht behoben und der Komplexität des Versicherungsgeschäfts
weiterhin nicht gerecht."
21
2.4 Die vier Stufen des Lamfalussy-Verfahrens
Nachfolgend wird das Lamfalussy-Verfahren, welches im Zuge von Solvency II im Versiche-
rungsbereich das erste Mal Anwendung fand und durch seinem stufenartigen Aufbau einen
schnelleren EU-Gesetzgebungsprozess gewährleisten soll, näher erläutert:
Dieses Verfahren, das ursprünglich nur für den Wertpapiersektor entwickelt wurde und mitt-
lerweile auf den gesamten EU-Finanzsektor ausgedehnt wurde, geht auf einen Vorschlag
eines ,Ausschusses der Weisen' unter dem Vorsitz von Baron Lamfalussy zurück.
19
Heistermann (2002), S. 16-17
20
vgl. Romeike/Müller-Reichart (2005), S. 122
21
Follmann (2007), S. 60
9
Ziel ist es, den komplexen und langwierigen regulären EU-Gesetzgebungsprozess im Rah-
men eines Vier-Stufen-Plans zu vereinfachen und zu beschleunigen.
In Stufe 1 nehmen Ministerrat und Europäisches Parlament, unter Federführung der Kom-
mission, die politische Rahmenfestsetzung (Rahmenrichtlinie) vor. Die Ausarbeitung der
detaillierten Durchführungsbestimmungen erfolgt in Stufe 2 durch die Kommission mit Unter-
stützung vierer, aus hochrangigen Vertretern der nationalen Finanzministerien
zusammengesetzten, Fachausschüsse (Europäischer Bankenausschuss, Europäischer
Wertpapierausschuss, Europäischer Ausschuss für Versicherungswesen und die betriebliche
Altersversorgung und Finanzkonglomerateausschuss). Die Ausschüsse stimmen über die
Durchführungsbestimmungen ab. Erlangen diese eine qualifizierte Mehrheit, können sie von
der Kommission erlassen werden.
Bei der Entwicklung der Durchführungsmaßnahmen wird die EU-Kommission von Arbeits-
gruppen des Committee of European Insurance and Occupational Pensions Supervisors
(CEIOPS), die mit Vertretern der nationalen Aufsichtsbehörden bzw. Notenbanken besetzt
sind, auf der 3. Stufe des Lamfalussy-Verfahrens beraten.
22
Diese führen weiters einen intensiven Dialog mit einem beratenden Gremium aus Marktteil-
nehmern (Market Principant Consultative Panel), damit deren Interessen vertreten werden
und die Arbeiten transparent ablaufen.
23
Neben der Beratung der Kommission beschäftigen sich diese Ausschüsse noch mit dem
aufsichtsrechtlichen Informationsaustausch, der Umsetzung der europäischen Rechtsakte
und der Angleichung der aufsichtsrechtlichen Praxis im europäischen Markt für Finanzdienst-
leistungen.
In Stufe 4 setzt die europäische Kommission die effektive und konsistente Anwendung, Ab-
änderung und Aktualisierung des Gemeinschaftsrechts in den EU-Mitgliedsstaaten durch.
24
Abbildung 1: Strukturen des Lamfalussy-Verfahrens
Quelle: Schubert (2005 a), S. 41
22
vgl. o.V., Deutsche Bundesbank (2007 d) und vgl. dazu auch Bauer/Enz (2006), S.13
23
vgl. Schubert (2005 a), S. 41
24
vgl. o.V., Deutsche Bundesbank (2007 d) und vgl. dazu auch Bauer/Enz (2006), S.13
EU-Kommission
Level 1
Level 2
Level 3
EIOPC
CEIOPS
SOLVENCY II
...
Market Partici-
pants
Consultative
Leben/Nicht-
Leben (Säule 1)
Aufsichtspro-
zess (Säule 2)
Markttranspa-
renz (Säule 3)
Sektorübergrei-
fende Elemente
Richtlinienvorschlag
Durchführungsbefugnisse
Details
- Seiten
- Erscheinungsform
- Erstausgabe
- Erscheinungsjahr
- 2007
- ISBN (PDF)
- 9783956848643
- ISBN (Paperback)
- 9783956843648
- Dateigröße
- 5.6 MB
- Sprache
- Deutsch
- Institution / Hochschule
- FH Joanneum Graz
- Erscheinungsdatum
- 2015 (Februar)
- Note
- 1
- Schlagworte
- Versicherung Police Lamfalussy-Verfahren Risiko Solvency I Solvabilität Eigenmittel
- Produktsicherheit
- BACHELOR + MASTER Publishing