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Dominanz und Unterwerfung in der Körpersprache: Der Machtaspekt in der nonverbalen Kommunikation

©2004 Studienarbeit 49 Seiten

Zusammenfassung

Diese wissenschaftliche Arbeit bietet ein weit gefächertes wie auch vertiefendes Bild des Machtaspektes in der Körpersprache. Zunächst wird auf die nonverbale Kommunikation allgemein eingegangen: Auf die verschiedenen Bereiche wie auch Funktionen der Körpersprache, die Unterscheidung zwischen willkürlichen und unwillkürlichen Signalen, En- und Dekodierung, die Gegenüberstellung verbaler und nonverbaler Sprache und deren Wechselwirkung wie auch Nutzen.
Im nächsten Schritt stehen die körpersprachlichen Machtverhältnisse im Fokus. Körpersprache als Hauptmedium, über welches Macht kommuniziert wird. Themeninhalt ist u. a. die Unterscheidung zwischen vertikaler und horizontaler Kommunikationsebene, wie auch dem positiven und negativen Machtaspekt der Körpersprache. Es wird erörtert, wie sich Dominanz und Unterwerfung in Persönlichkeit und Situation ausdrücken und schließlich wird anhand einiger Beispiele die Verschiedenheit zwischen sicherer und unsicherer Dominanz dargestellt.
Zum Abschluss der Arbeit gebe ich einen vertiefenden Einblick in den alltäglichen Umgang mit Zeit und Raum als Ausdrucksform von nonverbalen Machtbotschaften und deren Funktion. Beim Zeitaspekt werden u. a. das zeitliche Territorium und der Machtaspekt des Wartens beleuchtet, beim Raumverhalten wird beispielsweise auf die Körpersphäre, das räumliche Territorialverhalten und das Phänomen der räumlichen Positionierung eingegangen; ebenso werden geschlechtsspezifische Unterschiede aufgeführt. Abschließend wird beleuchtet, warum die Körpersprache ein so geeignetes und wesentliches Mittel ist, um Macht zu kommunizieren.

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


I. Körpersprache

Die Körpersprache ist eine nonverbale Art der Kommunikation, die jeder spricht - ob bewusst oder unbewusst. Niemand kann sich ihr entziehen. Es gibt je nach Kultur, Genera­tion und Individuum diverse Kommunikationsunterschiede, doch generell ist es eine Sprache, die überall verstanden wird.

Die Psychologin Bärbel Schwerfeger schreibt in ihrem Buch "Macht ohne Worte""Körpersprache ist so etwas wie ein geheimer Code, den jeder versteht, den aber keiner kennt und erklären kann." * 1

Im ersten Kapitel möchte ich zunächst auf die Körpersprache allgemein, noch unabhängig der ihr innewohnenden Machtstrukturen eingehen. Als erstes ist zu klären, was genau wir als Körpersprache bezeichnen. Ich habe mir die Frage gestellt, über welche nonverbalen Ausdrucksmerkmale wir kommunizieren und was es mit diesen Signalen auf sich hat. Ich werde folglich eine Übersicht über diese körpersprachlichen Bereiche geben und aufzeigen, welche verschiedenen Formen der nonverbalen Kommunikation es gibt.

I.1. Formen der körpersprachlichen Signale

Unser Körperverhalten sendet unentwegt Signale, Botschaften und Kommentare aus und gibt uns wichtige Informationen über die innere Haltung und Einstellung unserer Mit­menschen. Nonverbale Reize verschiedenster Art spielen zusammen und transportieren alle gleichzeitig, wie ein "glänzendes Orchester" eine Unmenge an Informationen.

Zur Veranschaulichung werde ich das "Vokabular" der Körpersprache zunächst in vier Bereiche aufteilen, welche für sich jeweils wiederum weitere Unterbereiche beinhalten:

Der Bereich der Sprechart:

Sprechweise, Lautstärke, harte und weiche Laute, hohe und tiefe Töne, der Klang der Stimme und Betonung.

Der Bereich des Gesichtes:

Mimik (diese umfasst die Stellungen und Bewegungen der Augenbrauen, Augäpfel, Nase, Kinn und des Mundes, Öffnen und Verengen der Augen) und Augenkontakt (Ausweichend, eindringlich, verspielt, scharf).

Der Bereich des Körpers:

Deuten, Gestik, Körperhaltung und Bewegungen (Stellungen mit Kopf, Händen, Armen, Beinen und Rumpf), räumliches Verhalten (sich klein machen, Raum einnehmen) und die Verwendung von Berührung (beispielsweise durch Umarmung oder den Umgang mit Gegenständen).

Der Bereich der Kleidung:

Das inszenierte Aussehen ist ebenfalls eine Form der nonverbalen Kommunikation. Kleider, Schmuck (auch Körperschmuck wie Tätowierungen und Piercings), Frisuren und Bärte, sogar Spazierstöcke und Tabak-Pfeifen, bis hin zu Kosmetika und Parfüms sind gute Informationsquellen.

Die Signale jeder dieser Bereiche sind unglaublich flexibel und wandlungsfähig. Und sogar jeder einzelne Unterbereich kann in eine Reihe von vielen weiteren Variablen unterteilt werden. Hierzu ein Beispiel, das verdeutlichen soll, dass es beispielsweise im Bereich „Gesicht“ nicht nur ein paar mimische Ausdrucksmöglichkeiten gibt, sondern viele verschiedenste Stellungs- und Bewegungsformen einzelner Teilbereiche innerhalb des Gesichtes: Bereich: Gesicht Unterbereich: Augenkontakt Variable: Eiserner Blick

Ein Blick ist nicht immer gleichförmig, sein Erscheinungsbild ist verschiedenartig und er besitzt unzählige Ausdrucksweisen: Es gibt beispielsweise den Blick während des Zuhörens oder der während des Sprechens, flüchtiger Augenkontakt bis zu intensivstem Blick­austausch, bewusst gesetzte oder unbewusst passierte Blicke, auch der Grad der Augen­öffnung hat viele Varianten, ebenso Augenlidbewegungen, die Pupillenrichtung und sogar die Pupillengröße sind flexibel und somit mit unterschiedlichen Botschaften bestückt etc.

Dies führt uns zum nächsten Punkt, der die Variabilität unseres Beispiels des „Eisernen Blickes“ nochmals mannigfaltig steigert: Signale aus anderen Bereichen, wie beispiels­weise die Lautstärke der Stimme oder Stellung der Wirbelsäule, welche parallel zur Mimik Signale aussenden, führen zu weiteren Kombinationsmöglichkeiten und erweitern so das endlose Spektrum der nonverbalen Ausdrucksformen.

Jedes Signal für sich sendet somit keine stabilen und eindeutig festlegbaren Botschaften aus, sondern vielerlei ganz unterschiedliche Botschaftsvarianten, je nach Kontext und Komposition. Der mimische Ausdruck des Lächelns beispielsweise kann je nach Um­ständen verschiedene Bedeutungen haben. Beim Kind ist das Lächeln noch relativ einfach, beim Erwachsenen fächert es sich immer komplexer auf in mehrere Arten von Lächeln, welche alle verschiedenartige wenn nicht sogar konträre Gefühle ausdrücken.

Die Wissenschaftler Brannigan und Humphries haben ein Inventar menschlicher Gesten und Ausdrucksformen aufgestellt, welches 135 Ausdrucksarten enthält und beschreibt allein neun Arten des Lächelns.*2 Eines davon ist das "Lächeln mit langem Gesicht": Das verkrampfte, erzwungene Lächeln eines Menschen, der höflich bleiben muss, auch wenn er Lust hätte, jemandem die Zähne zu zeigen oder das Lächeln einer Sekretärin, die sich von ihrem Chef in die Enge getrieben fühlt.

Jede Variable hat ihre Wirkung, doch ist an dieser Stelle auch zu bemerken, dass es Unterschiede in ihrer Wichtigkeit gibt: Ein Kopfnicken ist beispielsweise ein sehr wichtiges Signal zur Verständigung, Bewegungen mit den Füßen dagegen weniger. Es ist kein Zufall, dass unsere kulturell antrainierte Verständigungs-Kommunikation wie das Nicken und Kopfschütteln zweckdienlich klar und leicht ersichtlich auf „Augenhöhe“ stattfindet statt leicht übersehbar und somit hinderlich zu unseren Füßen.

Was zusätzlich bzw. ergänzend zu diesen Bereichen ebenfalls eine Rolle spielt ist der Zeitfaktor. Ob eine Geste schnell oder langsam ausgeführt wird, eine Gefühlsreaktion sofort oder mit Verzögerung auftritt, ein Ausdruck flüchtig oder von längerer Dauer ist, dies macht die einzelnen Signale abermals in sich variabel.

Ein Kind, das eine Ohrfeige bekommt, hält fast im gleichen Moment seine Wange fest und reagiert damit auf den körperlichen Schmerz. Die gleiche Handbewegung nur langsamer ausgeführt, verrät nach Psychologin Claude Bonnafont in erster Linie Scham und Ärger. Sie geht sogar so weit und wagt dazu die These: "Sehr vereinfacht könnte man sagen, dass eine schnelle Reaktion oberflächliche Empfindungen ausdrückt, während eine langsame Reaktion tiefe Gefühle verrät."* 3

Wie also deutlich wurde, gibt es ein riesiges Spektrum an Ausdrucksformen und somit auch an unerschöpflich vielen und unterschiedlichsten nonverbalen Mitteilungen.

I.1.1. Zusammensetzung nonverbaler Teileindrücke

Signale werden nicht nur gesendet, sondern auch empfangen. Begegnet uns ein Mensch, erschaffen wir hunderte von Hypothesen, wie dieser Mensch sein könnte, wie er uns gegen­über eingestellt ist und was sein Motiv ist. Und dies geschieht, ohne dass wir es bewusst mitbekommen. Unser Eindruck entsteht durch eine Aneinenderreihung von vielen Teil-Eindrücken. Diese möchte ich noch einmal differenzierter darstellen. Claude Bonna­font hat die vorhandenen körpersprachlichen Signale in folgende vier Bereiche eingeteilt.

Visuelle Eindrü>- Gefühlsreaktionen: Erröten, Erbleichen, Zittern, krampfartige Bewegungen, ruckartige Bewegungen, Schweißausbrüche

- Reaktionen auf die unmittelbare Umgebung und Einordnung im Raum

Gehöreindrü>- Geräusche, die der Körper mit Hilfe von Objekten erzeugt: Klavierklimpern, Hämmern, Scharren, Türenschlagen, mit Gegenständen klappern, Hupen

- Lärmkulisse, mit der man sich umgibt oder schützt, die man anderen zumutet

Geruchseindrü>- Händedruck, Umarmung, Schulterklopfen, Handauflegen auf den Arm, Umfassen der Schultern, Handkuss, Tanz

- zufällige und unabsichtliche Berührungen

- sexuelle Vertraulichkeiten *4

Diese Einteilung von Körpersignalen unterscheidet sich von meiner ersteren dahingehend, dass es sich hierbei nicht nur um Signale handelt, die von dem Sender einer körpersprach­lichen Botschaft mitgeteilt werden, sondern sie umfasst zusätzlich Signale, die vom Empfänger aufgenommen werden. Also auch Signale wie Körpergerüche, die vom Sender dieses Signals nicht willkürlich als Botschaft gedacht war.

I.2. Willkürliche & unwillkürliche Signale

Nach diesem ersten Einblick in die Ausdrucksformen der Körpersprache möchte ich eine weitere Differenzierung machen zwischen Botschaften, die wir bewusst senden und Signalen, die wir senden ohne es zu bemerken.

Die Aufteilung der Körpersignale von Edmund Husserl *5 unterscheidet zwischen bewussten Ausdruckssignalen, die zielgerichtet sind und etwas aussagen sollen, wie beispielsweise eine Begrüßungsgeste. Dagegen setzt er unbewusste Zeichen, wie beispiels­weise Zittern oder Schwitzen, ebenfalls beobachtbare Zeichen, mit denen aber nicht beabsichtigt wird, etwas mitzuteilen. Er unterscheidet also zwischen "willkürlich" und "unwillkürlich" Signalen. Der Schauspieler und Autor Samy Molcho vollzieht dieselbe Unterscheidung, er unterteilt die Körpersignale in Aktionsbewegungen (sachbezogen und gezielt) und Emotionsbewegungen (spontan und reaktiv).*6

Die Unterscheidung zwischen gesteuerten und ungesteuerten Signalen ist jedoch immer eine Frage des Maßes, und es kann Zwischenstufen geben. Zum Beispiel kann jemand seinen sozial hohen Status durch seine Kleidung mit Erfolg zum Ausdruck bringen, aber diese Kleidung persönlich nur als "hübsch" bezeichnen.

Aus Sicht des Empfängers kann dieselbe schicke Kleidung als klares Statement verstanden werden. Beispielsweise wird sie im positiven Fall als geschmackvoll und edel bewertet, im negativen Fall als aufgeblasen und unangemessen overdressed. Andernfalls kann dieselbe Kleidung auch als unbewusstes Signal entschlüsselt werden, wobei dem Kleidungsträger unterstellt wird, dass ihm gar nicht bewusst ist, wie edel bzw. overdressed er wirkt. (Mehr zum Thema vestimentäre Kommunikatuion in meinem Buch „Kleidung als symbolische Selbstinszenierung“).

Weitergehend stellt sich die Frage, ob nonverbale Signale nur eine Wirkung auf den Em­pfänger der Signale haben, wenn er diese bewusst wahrnimmt, oder ob auch unbewusst wahrgenommene Signale eine Wirkung auf ihn haben.

Die Antwort dieser Fragestellung ist: Ja, auch Signale, die der Empfänger nicht bewusst wahrnimmt, wie beispielsweise eine Pupillenerweiterung des Senders, haben trotzdem eine Wirkung auf ihn. Oft empfinden wir es als "Intuition", wenn wir in einer Situation etwas empfinden, was zwar keiner sagt, das sich aber später als richtig herausstellt. Diese Intuition ist oft die unterschwellige und unterbewusste Wahrnehmung manchmal nur winziger körpersprachlicher Signale. Wir fühlen uns beispielsweise nicht willkommen und abgelehnt, obwohl unser Gegenüber sagt, wie sehr er sich freut, uns zu sehen. Wir spüren Traurigkeit, obwohl unser Gegenüber versichert, wie gut es ihm geht. Wir bemerken eine gewisse Nervosität bei einer Person, die sich sehr selbstsicher gibt.

Nicht alle nonverbalen Botschaften, die wir aussenden werden zwangsläufig von unserem Gegenüber gesehen. Manche gezielten Gesten übersieht unser Gegenüber, da er mit seiner Aufmerksamkeit evtl. woanders ist. Ebenso wenig werden unsere unwillkürlichen Zeichen zwangsläufig von unserem Gegenüber übersehen. Hierzu eine kurze Übersicht über be­wusst und unbewusst wahrgenommene und gesendete Signale von dem viel zitierten Psychologen und Wissenschaftler Michael Argyle: * 7

- Für Sender wie Empfänger bewusst sind Gesten wie z.B. mit dem Finger auf etwas weisen.
- Für beide Parteien unbewusst sind kleine nonverbale Signale wie Pupillenerweiterung und Blickwechsel. Diese sind jedoch nicht ohne Wirkung für den Empfänger.
- Wenn dem Sender seine Signale bewusst sind, der Empfänger sie dagegen nur unbewusst wahrnimmt, kann man daraus schließen, dass der Sender ein Mensch ist, der geübt ist in seinem Körperverhalten und manipulativ wirken kann.
- Sind Signale dem Sender unbewusst, doch dem Empfänger bewusst, ist Zweiterer geübt in der Interpretation von Körpersignalen. Die meisten nonverbalen Mitteilungen sind allerdings dem Sender größtenteils unbewusst und dem Empfänger größtenteils bewusst. Beispielsweise das Kopfnicken in einem Gespräch ist dem Sender meistens nicht bewusst bzw. nicht gesteuert, doch für den Empfänger eine Botschaft, die besagt, dass es ihm gestattet wird, weiter zu sprechen.

I.3. Enkodieren & Dekodieren der Körpersignale

Wie wir gesehen haben, gibt es Signale, die gesehen werden wollen, doch nicht beim Em­pfänger ankommen und es gibt Signale, die keine bewusste Botschaft übermitteln wollen, doch die vom Empfänger aufgeschnappt und interpretiert werden. Die nächste Frage, die sich nun stellt ist, wie genau das Senden und Empfangen von nonverbalen Signalen funktioniert.

In der Sozialpsychologie wird die Kommunikation des Körpers in Enkodieren und Dekodieren unterteilt. Enkodieren beschreibt das Ausdrücken oder Aussenden von nonverbalem Verhalten, wie z.B. ein Lächeln oder jemanden auf den Rücken klopfen.

Dekodieren ist das Interpretieren der Bedeutung nonverbalen Verhaltens, das Menschen zum Ausdruck bringen, wie beispielsweise die Entscheidung des Empfängers, dass das Klopfen auf den Rücken keine liebevolle, sondern eine herablassende Geste war.

Darwin vertrat die Überzeugung, dass alle Menschen auf dieselbe Art und Weise verschiedene Emotionen enkodieren und dass alle Menschen diese auch mit derselben Treffsicherheit dekodieren können. Das hieße, dass die verschiedenen Formen des Gesichtsausdrucks (zur Kommunikation von Emotionen) universell seinen und es keine kulturellen Unterschiede gäbe.

In einer empirischen Studie von den Sozialpsychologen und Wissenschaftlern Paul Ekman und Walter Friesen wurde untersucht, ob es kulturelle Unterschiede im Dekodieren gibt. Und zwar anhand von Fotos von sechs Gesichtern, die die sechs Basisemotionen Freude, Wut, Furcht, Ekel, Traurigkeit und Überraschung zeigten. Heraus kam, dass Dar­wins Vermutung stimmte: Die Interpretation von Mimik ist in primitiven Volksstämmen auf Steinzeit-Niveau wie in Industrieländern einheitlich (interkulturelle Universalität).*8

Irenäus Eibl-Eibesfeldt, Schüler von Konrad Lorenz, hat dargelegt, dass Kinder, die von Geburt an blind, taub und stumm sind, die gleichen Reflexbewegungen und die gleichen mimischen Ausdrucksformen zeigen, wie alle anderen Kinder, wenn es darum geht, Zorn, Freude, Angst oder Traurigkeit deutlich zu machen. *9

Zwischen Zeichensetzung und Zeichenverstehen, wie man Dekodieren und Enkodieren auch formulieren könnte, besteht meistens eine genaue Entsprechung, es können jedoch auch Missverständnisse entstehen.

I.3.1. Erschwertes Dekodieren

Körpersprache ist eine unstrukturierte Sprache, deshalb ist das Interpretieren dieser Kommunikationsform eine komplizierte Angelegenheit. Manche Botschaften kommen als andere an, als sie ursprünglich gemeint waren, in diesem Fall spricht man von Fehlinter­pretationen. Die Sozialpsychologie nennt vier Faktoren, die das Dekodieren erschweren:

Die Affektmischung:

Das heißt, dass es z.B. im menschlichen Gesicht zu einer Mischung der Emotionen kommt, so dass der eine Teil des Gesichtes eine Emotion wiedergibt und auf dem anderen Teil des Gesichtes eine andere zu sehen ist. *10

Unterdrückung von Mimik:

Dieses Verstecken des mimischen Ausdrucks kommt vor allem bei negativen Emotionen wie Ekel, Wut, Furcht oder Traurigkeit vor. Die Menschen erscheinen weniger emotional als sie in Wirklichkeit sind, da sie nicht wollen, dass die andere Person merkt, wie sie sich tatsächlich fühlen.

Darstellungsregeln:

Damit sind kulturelle Regeln gemeint, die vorschreiben, welches nonverbale Verhalten wo und wann erwünscht oder unangebracht ist. Beispielsweise ist es in der amerikanischen wie auch in der deutschen Kultur verankert, dass Männer Emotionen wie Trauer oder Weinen nicht zeigen sollten, während dieser mimische Ausdruck bei Frauen erlaubt ist. In Japan dagegen sollte eine Frau kein breites ungehemmtes Lächeln zeigen, sondern es hinter ihren Händen verstecken, während dies bei westlichen Frauen erwünscht ist. Wir passen im Laufe unseres Lebens unsere Körpersprache bestimmten Regeln an. Geschlechtsspezifisches Rollenverhalten, Anstandsregeln und Höflichkeitsformen führen dazu, dass wir versuchen einen Teil unserer ursprünglichen körpersprachlichen Signale zu kontrollieren oder gar zu verleugnen, wenn sie doch auftreten. (Beispielsweise "Man gähnt nicht, man starrt niemanden an, kratzt sich nicht, verzieht nicht das Gesicht, bohrt nicht in der Nase) Diese Konventionen können zu einer Diskrepanz zwischen Sprache und Körpersprache führen.*11

Bewusste und unbewusste Signale:

Wie im Kapitel I.2. (Willkürliche und unwillkürliche Signale) bereits beschrieben, kann man nonverbale Signale in zwei Kategorien einteilen: In Mitteilungen, durch die wir etwas vermitteln möchten (bewusste Signale) und in Zeichen, die nicht als Botschaft gemeint sind (unbewusste Signale). Ein Problem in der Dekodierung entsteht, wenn Zeichen für Mit­teilungen gehalten werden, oder umgekehrt. Zum Beispiel sendet Person A unbewusste Signale zu Person B, dass er B gern habe (was er tatsächlich tut), aber B denkt sich, das sei eine gelenkte Mitteilung, also nur reine Höflichkeit. Oder der umgekehrte Fall wäre: Person C teilt Person D mit, dass er D gern habe (was aber nicht der Fall ist, sondern nur eine bewusst gelenkte Höflichkeits-Botschaft), und das wird von D als ein unbewusstes Signal, also gültiges Zeichen für echte Gefühle von C interpretiert.

Andere Psychologen nennen weitere Faktoren, die die Dekodierung erschweren:

Subtile Hinweise nicht erkennen:

Zu Fehlern in der Dekodierung nonverbalen Verhaltens beschreibt Argyle *12, dass es leicht zu Fehleinschätzungen kommen kann, wenn man subtile nonverbale Hinweise, die andere über ihren emotionalen Zustand und ihre Einstellung geben, nicht bemerkt. Beispielsweise kann so schlechte Laune fälschlicher Weise für eine Abneigung der Person gehalten werden, Höflichkeit oder Freundlichkeit kann als sexuelles Interesse oder Traurigkeit als Feindseligkeit dekodiert werden.

Die Stimmung des Interpretierenden:

Weiter beschreiben Argyle und Trower *13 den Fakt, dass Stimmungen, Einstellungen und Ziele eine große Wirkung auf unsere Interpretation der Handlungen anderer ausübt. Wir neigen dazu, unsere Umgebung durch die Brille unserer Stimmungen zu sehen. Haben wir Angst, fühlen wir uns von den Dingen bedroht; sind wir zornig, provozieren oder belästigen uns die Dinge. In depressiver Stimmung führen wir die Handlungen auf unsere Schwäche zurück, sind wir dagegen in Hochstimmung, so sehen wir die Ereignisse gern im Licht unserer Fähigkeiten.

Dazu haben S. Feshbach und R.D. Singer *14 Untersuchungen durchgeführt: Sie haben Testpersonen durch Elektroschocks in einen Angstzustand versetzt und ihnen Fotografien von unterschiedlichen Gesichtern gezeigt. Die Testpersonen empfanden diese als aggressiv und bedrohlich.

Sympathie:

Auch die Sympathie färbt unsere Interpretationen. Ist uns jemand sympathisch, neigen wir dazu, ihm alle möglichen guten Eigenschaften zuzuschreiben und interpretieren sein Tun entsprechend positiv. Lehnen wir jemanden ab, können wir nichts Gutes an ihm finden. Mehrabian hat in seinen Experimenten festgestellt, dass Menschen, die darauf aus sind, Anklang zu finden, schlechtere Enkodierer sind.*15

Individuelle Maßstäbe:

Jeder Mensch hat andere Bewertungsmaßstäbe, anhand dessen er das gezeigte Verhalten beurteilt. Die Bewertung der Körpersprache bei anderen Personen hängt eng mit den Erwartungen zusammen, die wir an uns selbst haben.

Verschiedene gesellschaftliche Gruppierungen:

Wenn Sender und Empfänger verschiedenen gesellschaftlichen Gruppierungen angehören, z.B. verschiedenen Altersstufen oder Kulturen, erschwert sich oftmals die Verständigung untereinander noch mehr.

Paul Ekman und Wallace Friesen *16 haben untersucht, wie wir Körpersignale am zuverlässigsten dekodieren können, ohne dabei auf kontrollierte Höflichkeitssignale hereinzufallen. Sie fanden heraus, dass man sein Gegenüber am besten einzuschätzen vermag, wenn man die Gesichtspartien und Körperteile beobachtet, die Personen nicht so gut unter Kontrolle haben. Sie kamen zu dem Ergebnis, dass wir unseren Mund gut kontrollieren können, Stirn und Augen dagegen kaum. Wir verraten unsere wirklichen Gefühle meist durch einen flüchtigen Ausdruck, etwa einer Grimasse, bevor wir uns wieder unter Kontrolle haben. Ein falsches Lächeln lässt sich daran erkennen, dass es zu schnell erscheint und verschwindet oder dass es um den Mund, nicht aber die Augen spielt. Gefühle verraten sich aber auch durch Stimme und Hände. Das Heben der Stimme am Ende der Sätze weist z.B. auf Furcht hin und zusammengepresste Hände signalisieren Angst.

Es gibt also die Möglichkeit zahlreicher Missverständnisse in der körpersprachlichen Kommunikation. Und doch verständigen wir uns neben der verbalen auch mit der körper­sprachlichen Kommunikation, auch wenn die Sprache als Hauptkommunikationsmittel von uns bevorzugt wird.

I.4. Verbale & nonverbale Kommunikationsebene

Warum kommunizieren wir immer noch hauptsächlich über Körpersignale? Die Antwort ist einleuchtend. Körpersprachliche Signale gab es schon, bevor die Sprache entwickelt wurde.

Die Sprache, unsere "offensichtliche" Kommunikationsebene, ist oft unvollständig und ungenau. Wir müssen sie ergänzen, denn bestimmte Nuancen des verbalen Ausdrucks lassen sich durch Worte allein nicht ausdrücken. Schon die Intonation der Sprache gehört zum Bereich der Körpersprache. Und ohne diese und andere Körpersignale blieben viele verbale Aussagen mehrdeutig oder sinnlos. Das gesprochene Wort ist also lückenhaft und erzählt nicht die ganze Geschichte.

Die Kommunikationsebene Körpersprache birgt zudem weitere Nutzen: Körperliche Signale werden viel schneller und instinktiver wahrgenommen als sprachliche Signale. Untersuchungen ergaben, dass bereits 1/24 Sekunde ausreicht, um Gesichtsausdrücke zu über zwei Dritteln richtig wahrzunehmen und zu identifizieren.

Die Dekodierungs-Schnelligkeit der Körpersprache ist nicht alles: In Untersuchungen von Argyle, Alkema und Gilmour * 17 kam heraus, dass die nonverbalen Signale ungefähr fünfmal so starke Wirkung hatten wie die verbalen. Wenn beide miteinander im Konflikt standen, wurden die verbalen Botschaften weitgehend ignoriert. Nonverbale Signale sind sehr viel wichtiger bei der Dekodierung als verbale Äußerungen. Am meisten Gewicht bei der Dekodierung wird vermutlich dem Körperkontakt beigemessen, dann dem Gesichts­ausdruck und dem Tonfall, schließlich folgt die Körperhaltung und dann die Orientierung (Zueinander gewendet sein, nebeneinander oder gegenüber, einander abgewendet sein).*18

I.4.1. Die Täuschung in der Kommunikation

Die Körpersprache hat einen weiteren Vorteil gegenüber der verbalen Sprache: Worte können sehr schnell zu leeren Hülsen werden. Mit der Sprache kann man lügen und täuschen und es ist möglich, sie manipulativ einzusetzen. Da unser Körperverhalten im Gegensatz zu unserer verbalen Sprache viel unbewusster abläuft, kann man es schwer unterdrücken; in der Körpersprache ist Täuschung so gut wie gar nicht möglich, da man Körpersignale kaum steuern kann. "Blicke lügen nicht" und ähnliche Alltagsweisheiten beschreiben dieses Phänomen.

"Direkter und spontaner als die Sprache der Worte ist die Körpersprache aber unmittelbarer Ausdruck des Unbewussten und enthüllt dessen dunkle und verwickelte Geheimnisse deutlicher, als Worte es vermögen." so Bonnafont. *19

Nicht zufällig misst der Lügendetektor-Test den Wahrheitsgrad einer Aussage nicht an der Wortwahl, sondern am Körperverhalten ab. Dieser Apparat misst während einer Befragung bestimmte Reaktionen der Versuchsperson: Puls, Blutdruck, Atmung und Schweißabsonderung. Er vergleicht, welche Emotionen bei der Versuchsperson mit wel­chen Worten in Verbindung standen. Und das Resultat zeigt, dass der Körper mit be­eindruckender Ehrlichkeit reagiert.

Eine andere Methode, die psychische Persönlichkeit mit Hilfe physischer Reaktionen zu untersuchen, besteht darin, dass man die Ausdehnung oder Verengung der Pupillen bei einer Versuchsperson beobachtet, der man Bilder, Filme oder gefühlsmäßig stimulierende Szenen vorführt. Bei Angenehmem weitet sich die Pupille, Unangenehmes lässt sie sich verengen. Die Ausdehnung verrät die Zuneigung der Versuchsperson, das Zusammen­ziehen seine Abneigung. Dieses Phänomen wird manchmal dazu benutzt, um die Wirkung von Reklamefilmen oder die Zugkraft eines Wahlkandidaten zu testen.

Der Körper lügt nicht. Nicht einmal Schweigen kann die Körpersprache: "Der Körper ist unfähig, nicht zu kommunizieren", so Samy Molcho *20. Ständig senden wir Signale aus, selbst eine steife Haltung oder ein maskenhafter Gesichtsausdruck ist ein Signal, das vom Gegenüber entsprechend der jeweiligen Situation eingeschätzt wird.

"Wenn die Augen das eine sagen, die Zunge aber etwas anderes, wird sich der Erfahrene auf die Sprache der Ersteren verlassen." so ein Zitat von Ralph Waldo Emerson aus "The Conduct of Life".

Die Glaubwürdigkeit ist also ein Aspekt der Körpersprache, den unsere verbale Sprache in diesem Maße nicht erfüllen kann.

I.4.2. Funktionen verbaler versus nonverbaler Sprache

Ich habe mich mit dem Unterschied verbaler und nonverbaler Sprache weiter dahingehend beschäftigt, in wie weit sich diese beiden Arten der Kommunikation ergänzen. Im Folgenden möchte ich die Fragestellung aufführen, welche Bereiche der Kommunikation die Körpersprache und welche die verbale Sprache umfassen.

Argyle beschreibt, dass während Sprache in erster Linie dazu dient, Inhalte und Informationen zu vermitteln - beispielsweise über Personen, Gegenstände oder Ereignisse - drückt man mit der Körpersprache die Bewertung und Bedeutung dieser Inhalte und Informationen aus. Die Körpersprache offenbart also Emotionen und Einstellungen, und damit die Beziehung zum Gegenüber. Was wir Körperausdruck nennen, ist der Ausdruck innerer Bewegung, er gibt Aufschluss über unsere innere Haltung, unsere Gefühle und Gedanken, über unsere Persönlichkeit, unser Geschlecht und unseren sozialen Status. *21

Die Körpersprache hat vielerlei Funktionen in der Kommunikation. Die Sozial­psychologen Elliot Aronson, Timothy D. Wilson und Robin M. Akert beschreiben die vier hauptsächlichen Funktionen nonverbaler Reize in der Kommunikation. Vorrangig werde nonverbales Verhalten gebraucht, um:

Gefühle und Emotionen auszudrücken:

Beispielsweise werden die Augen zu Schlitzen, die Augenbrauen senken sich, der Mund wird zu einer dünnen geraden Linie. Dies ist ein Signal der Wut, der Ausdruck eines Gefühls.

Einstellungen mitzuteilen:

Zum Beispiel stellt man mittels nonverbaler Signale Sympathie zum Gegenüber dar: Ein "Ich mag dich" wird ausgedrückt durch lächeln und längeren Blickkontakt. Auch Ab­neigung wird hauptsächlich nonverbal mitgeteilt. Ein "Ich kann dich nicht leiden" wird gezeigt durch einen abgewandten Blick, eine flach klingende Stimme und einen zur Seite gedrehten Körper.

Eigene Persönlichkeitseigenschaften zu kommunizieren:

Die Botschaft "Ich bin kontaktfreudig" beispielsweise wird gesandt durch ausgeladene Gestik, variierende Betonung beim Sprechen, einen energetischer Klang der Stimme.

Die verbale Kommunikation zu erleichtern:

Ein Beispiel hierfür ist das Senken der Stimme und ein zur Seite sehen, während man seinen Satz zu Ende bringt, damit das Gegenüber weiß, dass man fertig ist mit seinem verbalisierten Gedankengang und der Zuhörer nun das Wort hat. *22

Die nonverbale Kommunikation wird grundsätzlich parallel zum verbalen Ausdruck angewandt. Körpersprache ist eine sehr vielschichtige Ausdrucksform. Sie begleitet jede sprachliche Äußerung, verstärkt, verändert oder entkräftigt sie. Sie kann aber auch unabhängig von der Wortsprache eingesetzt werden oder sie ersetzen.

Natürlich kann man jene Emotionen und Einstellungen auch verbal mitteilen, doch die Körpersprache hat neben der bereits erwähnten fünffach stärkeren und viel schneller aufgenommenen Wirkung weitere eindeutige Vorteile gegenüber der verbalen Kommuni­kation. Und zwar im Bereich des Subtilen:

"In der Körpersprache können negative Signale verwendet werden, ohne dass sie vom Empfänger voll bewusst wahrgenommen werden." Man kann also beispielsweise durch Blicke mitteilen, dass man einer Unterhaltung abgeneigt ist, sodass das Gegenüber ohne sich dessen bewusst zu werden warum, selbst das Interesse an einer Unterhaltung verliert. Nonverbales Verhalten bleibt oft unbemerkt: Es ist subtil genug, um uns - ohne dass wir es merken - zu beeinflussen; und auch subtil genug, so Henley *23, dass wir "uns mittels dessen Beeinflussungen widersetzen können, ohne zu offenem Protest zu schreiten."

"Signale können auf subtile Weise und ohne volle Bewusstheit angewandt werden und leicht zurück genommen werden." Man kann z.B. Sympathie oder Abneigung kommuni­zieren, ohne dabei die Höflichkeitsetikette zu verletzen. Und muss nicht die volle Ver­antwortung dafür tragen, weil man willkürliche Mitteilungen als unwillkürliche Zeichen tarnen kann. Oder allgemeiner betrachtet wird nonverbales Verhalten dazu benutzt, einander zu beeinflussen, aber wenn jemand dies enttarnen will, kann man es abstreiten. Es wird benutzt, um gegen Macht zu rebellieren, aber wenn ein Rebell dessen angeklagt wird, kann er es ableugnen. Diese Möglichkeit des Leugnens macht nonverbale Äußerungen attraktiv für subtile Machtbotschaften.*24

Da man zwar aufhören kann zu sprechen, aber nicht aufhören kann, mit dem Körper zu kommunizieren, ist die körpersprachliche Beziehungsebene dem Inhalt gewissermaßen übergeordnet.

"Nonverbales Verhalten ist das Medium, durch das sich Menschen am leichtesten manipulieren lassen - es ist der Punkt, an dem soziale Kontrolle am unauffälligsten, aber doch sehr wirksam angesetzt werden kann, damit die Sozialstruktur intakt bleibt. Nonverbale Kommunikation ist der günstigste Platz für das Aufstellen von Warnsignalen." so Henley *25

Wir haben nun also gesehen, wie sehr nonverbale Aktionen unser Verhalten beeinflussen und regulieren, wie wenig sie aber zum Repertoire unserer bewussten Kommunikation gehören.

II. Hierarchische Strukturen in nonverbalem Verhalten

Wir kommunizieren permanent nonverbal über meistens unbewusste Körpersignale. Es ist gar nicht zu vermeiden, etwas zu vermitteln. Jene Signale funktionieren nach unaus­gesprochenen Regeln. Scheinbar harmlose Gesten wie beispielsweise ein Lächeln, eine Berührung, die Art, wie wir sitzen, blicken oder Raum einnehmen senden Botschaften aus. Diese Botschaften enthüllen sich bei genauem Hinsehen auch als Ausdrucksmittel für hierarchische Strukturen. Ich möchte in diesem Teil der Studienarbeit die alltäglichen, oft automatisierten und scheinbar nichts sagenden Körpersignale im Hinblick auf Dominanz und Unterwerfung analysieren, also den Machtaspekt in der nonverbalen Kommunikation näher beleuchten. In wie weit spielt Macht eine Rolle in der Körpersprache?

Eine erste Ahnung davon gibt uns vielleicht folgendes überleitendes Zitat der Psy­chologin Schwertfeger *26: "Wenn Körpersprache in erster Linie die Beziehung der Menschen zueinander ausdrückt und Beziehungen in der Regel auf einer gewissen Ungleichheit beruhen, dann muss die Körpersprache auch ein wesentliches Mittel sein, um diese Ungleichheit und damit Macht auszudrücken und aufrechtzuerhalten."

II.1. Horizontale & vertikale Kommunikationsebene

Henley schreibt in ihrem Buch "Körperstrategien": "Unsere Körpersprache umfasst nicht nur Botschaften, die Freundschaft oder Sexualität signalisieren: Es sind auch Machtstrategien, die wir mit unserem Körper vollziehen. Körpersprache ist Politik."* 27

Ich werde den Machtaspekt in Bezug auf die Körpersprache einleitend mit der Theorie von Roger Brown (Social Psychology", New York: Free Press, 1965)*28 erläutern, welche zwischen zwei Dimensionen nonverbaler Kommunikation unterscheidet:

Zum einen habe nonverbale Kommunikation zu tun mit Nähe und Distanz, Zuneigung und Abneigung, Intimität, Sexualität etc. Also Ausdrucksformen, die geeignet sind, Gefühle und positive oder negative Haltungen zu übermitteln oder auch zu verdecken. Dies nennt sich die "horizontale Dimension", die unter gleichberechtigten Beziehungen, also Freundschaftsbeziehungen stattfindet. Wir haben räumliche Metaphern, die sich auf Nähe beziehen und die diese Dimension beschreiben, wie beispielsweise "sich nah sein", "sich fern sein". In dieser Dimension will keiner der beiden Beteiligten den anderen in irgend­einer Weise einschränken oder über ihn bestimmen, sondern Sympathie und Abneigung spielen eine Rolle.

Bei der "vertikalen Dimension" menschlicher Beziehung dagegen geht es um das Ele­ment von Status, Macht, Dominanz und Überlegenheit. Diese Ebene findet unter "ungleichen Beziehungen" statt; es handelt sich hierbei also um hierarchische Beziehungen. Einer ist dem anderen überlegen, da er durch verschiedene Faktoren (Alter, Wissen, Geld, Status) mehr Macht besitzt. Macht ist also die vertikale Dimension einer Beziehung. Je stärker die Hierarchie ausgeprägt ist, umso ausgeprägter sind die Machtverhältnisse und umso schwerer kann man sie durchbrechen. Beispiele für eine ungleiche Machtverteilung sind Beziehungen zwischen Lehrer und Schüler oder König und Sklave.

Auch hierzu gibt es entsprechende räumliche Metaphern, die dieses Phänomen der nonverbalen Kommunikation beschreiben, wie z.B. "die Oberen", "Unterschicht", "über jemandem stehen" und "zu jemandem aufblicken / herabblicken".

Es gibt also zwei Hauptdimensionen von interpersonalen Beziehungen: Zum einen gibt es die Begegnung zwischen Statusgleichen, welche von freundlich bis feindselig reicht. Und es gibt die hierarchische Begegnung, bei der Dominanz und Unterwerfung die Haupt­signale ausmachen.

Allerdings gibt es auch Mischformen dieser beiden Ebenen. Es gibt Kombinationen wie freundliche Dominanz oder feinselige Dominanz, und es gibt freundliche oder feindselige Unterwerfung. Oft verbinden wir mit Macht automatisch einen Macht missbrauch, ausgelöst durch den Mächtigen in Form von Ausbeutung, Unterdrückung, Zwang, Eigennutz oder Hochmut. Wir unterstellen dem Untergebenen, dass er nicht sehr glücklich in seiner Position ist, gefangen ist in sklavischer Unfreiheit. Das heißt, wir bringen Wertung mit ins Spiel. Doch sei an dieser Stelle gesagt, dass das Machtphänomen an sich zunächst einmal neutral ist, es handelt sich grundsätzlich einmal um Macht gebrauch. Und dieser kann durchaus positiv sein, indem beide Parteien zutiefst einverstanden sind mit ihrer Position, wie beispielsweise Mutter und Kind, Helfer und Opfer, Guru und spirituell Suchender, Psychologe und Klient, Star und Fan etc. In der starken Rolle zu sein beinhaltet also grundsätzlich immer auch die Möglichkeit einer liebevollen Führung, in der schwachen Rolle zu sein die Möglichkeit eines freiwilligen Folgens aus eigenem Antrieb heraus. Natürlich kann dieselbe vertikale Rollenverteilung auch negativ gestaltet sein, indem einer der beiden Parteien nicht glücklich ist mit seiner Rolle, wie beispielsweise wenn der spirituell Suchende sich vom Guru unterdrückt und manipuliert fühlt oder ein Angebeteter sich vom Stalker in die Rolle des Mächtigen gedrängt fühlt. Kurz: Es gibt unterschiedliche Dimensionen von Dominanz wie auch von Unterwerfung.

Ich habe mir demzufolge die Frage gestellt, wie groß das Ausmaß der vertikalen Ebene in der Kommunikation ist. Schwertfeger schreibt, dass in jeder menschlichen Beziehung in irgendeiner Form meist einer der Überlegene ist und dadurch eine gewisse Macht über den anderen hat - auch wenn es sich dabei nicht um ein deutlich sichtbares und ausgeprägtes Machtverhältnis handelt. Gleichrangige Beziehungen seien äußerst selten und es gäbe meistens Ungleichheiten in Bezug auf Rechte oder Pflichten.

Da jeder Mensch unterschiedliche Bedürfnisse, Vorstellungen und Wünsche hat, bleibt immer nur die Wahl, entweder seine eigenen Wünsche durchzusetzen und damit zumindest im Moment gegen den anderen zu sein oder sich den Bedürfnissen seines Gegenübers anzupassen und damit seine eigenen Wünsche zurück zu stecken. Hier spielen viele Faktoren eine Rolle: Inwieweit hat man gelernt, auf etwas zu verzichten? Wie wichtig sind bestimmte Dinge für jemand? Wie gut kann man sich durchsetzen? Wie kompromissbereit ist man?... Es wird deutlich, dass jeder Einzelne von uns bereits in den kleinsten Angelegenheiten seines Alltags mehr mit dem Thema Macht zu tun hat, als er vielleicht zunächst vermutet.

II.2. Machtverhältnisse

"Nonverbales Verhalten ist das Medium, durch das sich Menschen am leichtesten manipulieren lassen - es ist der Punkt, an dem soziale Kontrolle am unauffälligsten, aber doch sehr wirksam angesetzt werden kann, damit die Sozialstruktur intakt bleibt.", so Henley *29

Das Hauptmedium, über welches wir Macht kommunizieren und demonstrieren, ist die nonverbale Kommunikation. Macht ist ein Hauptaspekt der Körpersprache, sowohl auf der "großen Skala sozialer Gesellschaft als auch auf der kleinen Skala interpersonaler Dominanz." *30

Doch wie funktionieren jene vertikalen Machtverhältnisse? Macht ist grundsätzlich Ausdruck einer sozialen Beziehung und nicht das Merkmal nur eines Beteiligten. Es handelt sich dabei also immer um das Verhältnis von mindestens zwei Parteien. Machtverhältnisse sind stets an die aktuelle Situation gebunden und nicht konstant. Macht ist ein dynamischer Prozess, der ständigen Änderungen unterliegt. Obwohl man ständig versucht, Machtverhältnisse aufrecht zu erhalten (näheres dazu im letzten Kapitel: VI.1.), wird man immer wieder mit der Tatsache konfrontiert, dass Machtverhältnisse etwas sehr Unstabiles sind und sich unvorhersehbar ändern können.

Manchmal begibt man sich freiwillig in Machtverhältnisse und es besteht kein Grund zum Widerstand, ein anderes Mal kämpft man wie besessen dagegen. Während man z.B. unter Autoritätspersonen bestimmte Vorschriften und Regeln freiwillig befolgt, würde man dasselbe Verhalten nie zeigen, wenn es ebenbürtige Freunde verlangen würde.

Zudem ist Machterleben etwas sehr Subjektives. Was der eine als Macht empfindet, ist für den anderen eine Selbstverständlichkeit. Manche Menschen sind empfänglicher als andere für nonverbale Machtbotschaften.

Die nonverbale Art von Machtausübung ist allerdings häufig beiden Beteiligten nicht bewusst, und die Folge ist, dass Machtverhältnisse - scheinbar ohne das Dazutun des Mächtigeren - funktionieren. Und zwar je nachdem, wie der Sender sich selbst versteht und wie er wünscht, dass andere ihn sehen. Tatsache ist, dass wir uns dem Machtaspekt in der Körpersprache kaum bewusst sind, zumindest nicht in dem starken Ausmaß, wie dies der Fall ist.

Wenn Macht eine solch große Rolle in der nonverbalen Kommunikation einnimmt, warum ist uns dies dann im Alltag kaum bewusst? Über die horizontale Dimension wissen wir gut bescheid, die vertikale hingegen übt ebenfalls einen großen Einfluss auf uns aus, doch wir werden kaum ermutigt, sie zu beachten.

Es gibt Situationen, in denen fühlen wir, dass wir unterdrückt werden, aber meistens wissen wir nicht, durch welche Mechanismen dies geschieht. Vielleicht protestieren wir gegen Machtausübungen die offensichtlich sind, wie beispielsweise verbale Angriffe oder Handlungen von unterdrückendem Charakter, doch manchmal werden wir durch "unsichtbare" Angriffe in eine Unterwerfungshaltung gedrängt, ohne es überhaupt zu merken.

Henley dazu: "Die Trivialitäten unseres täglichen Lebens - andere berühren, näher heran- oder weiter wegrücken, den Blick senken, lächeln, jemanden unterbrechen werden gemeinhin als Hilfsmittel sozialer Kommunikation betrachtet, aber nicht in ihrer Bedeutung als mikropolitische Gesten gewürdigt: als Aufrechterhaltender des Status quo, d. h. des Staates, der Reichen, der Autoritäten, all jener, deren Macht in Frage gestellt werden könnte. Aber diese Details gehören zur ständigen sozialen Kontrolle, die bei der internalisierten Sozialisation beginnt und bei roher körperlicher Gewalt endet." *31 Sie bringt es schließlich auf den Punkt mit dem Satz: "Es ist auffallend, wie wenig Beachtung die meisten Untersuchungen nonverbalen Verhaltens dem Machtaspekt schenken. Verwunderlich ist dies jedoch nicht, denn wir neigen dazu, alle Hinweise auf Ungleichheit in unserer vermeintlich doch egalitären Gesellschaft zu unterdrücken und zu übersehen." *32

II.2.1. Erhaltung der Machtstrukturen durch Körpersignale

Während Sprache in erster Linie Inhalt vermittelt, ist Körpersprache das Hauptmittel, um die Art der Beziehung zwischen zwei Personen auszudrücken. Und sie legt gleichzeitig die Struktur einer Beziehung fest. So darf z.B. ein Vorgesetzter ohne anzuklopfen das Zimmer eines Mitarbeiters betreten, er darf ihm auf die Schulter klopfen und ihn sogar "anschreien", während dieses Verhalten umgekehrt für den Mitarbeiter unmöglich ist. "Soziale Rollen legen den Verhaltensspielraum von Personen fest.", so Schwertfeger *33. Jede soziale Rolle hat ihre spezifische Körpersprache. Dementsprechend verändert man auch seine Körpersprache, wenn man seine Rolle wechselt. Dieselbe Person wird sich z.B. als Geschäftspartner oder als Familienvater unterschiedlich verhalten. Wir sind uns dieses Verhaltens häufig nicht bewusst. Erst wenn Abweichungen auftreten und sich jemand nicht so verhält, wie er sich in seiner Rolle oder Position verhalten sollte, fallen bestimmte - unangemessene - körpersprachlichen Signale auf.

Körpersprache legt nicht nur Strukturen fest, sie erhält sie auch aufrecht. Bei ungleichen Beziehungen wird der Höherstehende oder Mächtigere stets versuchen, seine Position zu sichern und zu behaupten. Dazu wendet er als erstes körpersprachliche Signale an. Tritt in einer Beziehung zuviel Veränderung auf, erfolgt in der Regel zunächst eine Drohung oder Zurechtweisung durch körpersprachliche Signale. Erst wenn diese nicht wirksam sind, werden sie durch sprachliche Signale verstärkt. Manchmal genügt schon ein Blick des Gegenübers und wir wissen, dass wir etwas falsch gemacht haben, und verändern unser Verhalten in die gewünschte Richtung. Meist reagieren wir auf diese Signale automatisch und erfüllen damit die an uns gestellten Erwartungen.

Schwertfeger schreibt in ihrem Buch über jene Aufrechterhaltung der Machtverhältnisse. "Durch die Verteilung der sozialen Rollen entsteht in jeder Gesellschaft eine bestimmte soziale Ordnung. Körpersprache ist dabei ein wichtiges Mittel, die bestehende soziale Ordnung aufrechtzuerhalten und zu stabilisieren. (...) Soziale Rollen legen die Beziehungen und damit auch die Machtverhältnisse zwischen Menschen fest, und die Körpersprache ist ein wesentliches Mittel, mit dem diese Machtverhältnisse aufrechterhalten werden." * 34

Liegt daher in der Körpersprache auch der Schlüssel für die Veränderung von Be­ziehungen und damit von Machtverhältnissen? Schwertfeger beantwortet diese Frage zunächst mit der Feststellung, dass es schwer ist, bereits bestehende Beziehungen in ihrer Struktur zu verändern. Denn wer einmal der Überlegene war, der wird seine Position nicht so schnell aufgeben. Zusätzlich macht sich jeder im Laufe der Zeit ein Bild vom anderen und ordnet ihn entsprechend ein. Doch was passiert, wenn wir unsere Körpersprache verändern? Wenn der schüchterne und zurückhaltende Freund plötzlich selbstbewusst und forsch auftritt? Zunächst wird man versuchen, ihn wieder in das "alte Bild" zu rücken. Hält das neue Auftreten jedoch an, muss man sich mit der Veränderung abfinden. Dabei wirken Veränderungen der Körpersprache weit überzeugender als Worte.

Will man also Beziehungsstrukturen verändern, muss man auch die Körpersprache verändern. Worte allein genügen meist nicht, und sie werden schnell zu leeren Hülsen, wenn die Beziehung im Grunde genommen gleich bleibt. Das Bewusstwerden der eigenen Körpersprache ist der erste Schritt für geplante Veränderungen. Nur was einem bewusst ist, kann man auch gezielt verändern. Veränderungen können bei scheinbar unwichtigen Kleinigkeiten ansetzen: Eine andere Körperhaltung, ein anderer Blick oder ein Lächeln können große Wirkungen haben.

[...]

Details

Seiten
Erscheinungsform
Erstausgabe
Jahr
2004
ISBN (PDF)
9783956849329
ISBN (Paperback)
9783956844324
Dateigröße
6.1 MB
Sprache
Deutsch
Institution / Hochschule
Universität Kassel
Erscheinungsdatum
2015 (Februar)
Note
1,3
Schlagworte
Nonverbale Kommunikation Psychologie Pädagogik Verhaltensanalyse Machtsignal

Autor

Die Autorin Graciette Justo ist Diplom-Sozialpädagogin (Universität Kassel) und staatlich anerkannte Schauspielerin (Schauspielschule Theaterraum München).
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Titel: Dominanz und Unterwerfung in der Körpersprache: Der Machtaspekt in der nonverbalen Kommunikation
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