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Wie lernen Kinder Normen und Werte?

©2010 Studienarbeit 41 Seiten

Zusammenfassung

Kinder lernen Normen und Werte in erster Linie durch Beobachtung und Nachahmung. Gerade die ersten Lebensjahre eines Kindes sind entscheidend für sein weiteres emotionales und moralisches Leben. Eltern sollte es ein großes Bedürfnis sein, dafür Sorge zu tragen, dass ihr Kind unter einer autoritativen (demokratischen) Erziehung aufwachsen kann.
Der Prozess der Sozialisation sollte kein beschwerliches Unterfangen werden, sondern sich ‘automatisch’ im Familienleben vollziehen. Sind Eltern positive Vorbilder und gestaltet sich das Umfeld eines Kindes positiv, wird ein Kind sich auch an Regeln, soziale Normen und Werte, welche die Eltern ihm vorleben und erklären, anpassen. Durch gegenseitige Achtung, durch Förderung der Eigenverantwortlichkeit, durch die Bereitschaft zum Zuhören, durch Toleranz - auch anderen Einstellungen gegenüber, etc. wird sich eine sozial und emotional gesunde Persönlichkeit entwickeln!
Eine Persönlichkeit, die autonom, emotional und selbstbewusst durchs Leben geht!

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


Kinder sind manipulierbare Wesen

Zu meiner Kindheit, zumindest in dem Umfeld, in dem ich aufwuchs, war eine autoritäre Führung der Kinder angesagt. Die Kinder lernten Regeln sehr schnell, weil jegliches Missachten von Regeln mit Bestrafung einherging. Der Vater, das absolute Oberhaupt der Familie und unantastbar, stellte diese Regeln auf und die Kinder hatten sich daran zu halten. Mit einem starken Überlegenheitsgefühl und einem überzogenen Machtanspruch erwartete das Familienoberhaupt ihr Unterwerfen. Frei gewählte Aktivitäten waren strengstens verboten, aber es ging dabei generell nicht um Grenzen, die ein Kind kennen sollte, sondern es ging um strikten Gehorsam, der gefordert wurde. Die Kindheit durchzog sich mit Befehlen und Anordnungen, so lange, bis die Kinder im Verhalten und Denken den Vorstellungen ihres Vaters entsprachen. Sie waren sehr schnell in der Lage, höchste Anforderungen zu erfüllen, aus Angst vor Tadel, Bestrafungen und absoluter Missachtung.

Ein einflussreicher Philosoph aus früheren Zeiten (John Locke, 1632-1704) bezeichnete den menschlichen Verstand bei der Geburt als „Tabula rasa“ oder „unbeschriebenes Blatt“. Dieser werde im Verlauf des Lebens durch Erfahrung geprägt.[1]

Auch John B. Watson (amerikanischer Psychologe, 1878-1958), der die psychologische Schule des Behaviorismus begründete, war davon überzeugt, dass allein die jeweiligen Lebensumstände einen Menschen prägen und ihn zu dem machen, der er am Ende sei.[2]

Die Kinder, die in dieser Zeit aufwuchsen, wurden zum Teil wahrhaftig von ihren Familienoberhäuptern als „unbeschriebene Blätter“ betrachtet, die die Autori­täten nach Belieben vollschreiben konnten und immer, wenn es ihnen nicht mehr passte, etwas durchstreichen und Veränderungen vornehmen konnten, oder gar die Blätter zerreißen und neue Blätter beschreiben konnten, d.h. sie schrieben so lange Veränderungen oder neue Seiten voll, bis der Inhalt für sie endlich ihren Vorstellungen entsprach.

„Man gebe mir ein Dutzend gesunder Kinder, gut gebaut, und meine eigene, spezielle Welt, in der ich sie aufziehen könnte, und ich garantiere, ich könnte ein zufällig gewähltes Kind herausnehmen und zu einem Spezialisten in einem von mir gewählten Fachgebiet ausbilden – Arzt, Rechtsanwalt, Großkaufmann und, ja, sogar Bettler und Dieb, unabhängig von den Talenten, Vorlieben, Neigungen, Fähigkeiten, Berufungen und der Rasse der Vorfahren. (John B. Watson).“[3]

Anlage-Umwelt-Debatten

Es gibt sehr viele Debatten darüber, ob der Mensch sich nun durch seine Anlagen zu der Persönlichkeit entwickelt, die er später ist, oder ob er ein reines Produkt der Umwelt ist, in der er aufwächst.

Auch zwischen den amerikanischen Psychologinnen Sandra Scarr (*1936) und Diana Baumrind (*1927) gab es diese Diskussionen. Während Scarr be­hauptete, dass Kinder keine bestimmte Umwelt und keinen bestimmten Erziehungsstil benötigen, um sich gut zu entwickeln, weil sie genetisch darauf vorbereitet seien, mit einer Vielzahl von Entwicklungserfahrungen zurecht zu kommen, behauptete Baumrind das Gegenteil. Für sie stand fest, dass die elterliche Erziehung einen großen Einfluss auf die Entwicklung des Kindes nehme und dass eine positive elterliche Erziehung etwaige ungünstige genetische Voraussetzungen ausgleichen und in Verbindung mit anderen vorteilhaften Einflüssen die Entwicklung sogar verbessern könne.[4]

Wie in der Einleitung bereits erwähnt, vertrete ich die Auffassung der Be­havioristen, dass jeder Mensch, wie er mit sich und seiner Umwelt umgeht, durch die Erziehung geprägt ist. Das zählt nicht nur für das Verhalten eines Menschen, sondern auch für seine Wertevorstellungen, sein moralisches Denken, Handeln und Urteilen.

„Das Kind passt sich an die Gegebenheiten der Umwelt an.“[5]

„Genau das sagen uns auch die Genetiker inzwischen, selbst wenn mancher in alter Manier noch etwas anderes vertritt: Es gibt kein Gen für den menschlichen Geist. Und auch keins für unseren Charakter oder für unsere moralische Gesinnung.“[6]

Auswirkungen der autoritären Manipulation

Aus Erfahrungen kann ich berichten, dass autoritär erzogene Kinder in ihrem späteren Leben häufig schlecht zurechtkommen, weil sie in ihrer Entwicklung stets von Anweisungen und Entscheidungen anderer abhängig waren. Diese Abhängigkeit vollzieht sich auch in ihrem weiteren Leben. Sie sind häufig unterwürfig und unselbständig und haben dadurch ein nur sehr geringes Selbstbewusstsein. Sie vertrauen anderen Menschen nur sehr zögerlich, obwohl sie meinen, von ihnen abhängig zu sein. Meistens können sie schlecht Konflikte bewältigen oder sich in Konfliktsituationen behaupten. Wichtige Wertevorstellungen lassen häufig zu wünschen übrig, weil für sie Werte Gehorsamkeit, Machtausübung, Missachtung und Unterwerfung sind. Aus diesem Grund kommt es auch immer wieder vor, dass autoritär erzogene Menschen, obwohl sie in ihrer Kindheit darunter gelitten hatten, ihre eigenen Kinder ebenfalls autoritär erziehen. Es kann aber auch sein, dass sie ihren Kindern aufgrund ihrer eigenen negativen Kindheitserfahrungen eine genau gegenteilige, d.h. eher nachlässige Erziehung angedeihen lassen. Beides ist meines Erachtens für eine positive Entwicklung und für das Lernen und Verinnerlichen von sozialen Normen und Werten wenig förderlich.

Erziehung im Wandel

Die Zeiten haben sich geändert. Die eisernen Regeln früherer traditioneller Erziehung rosten. Und das ist auch gut so! Demokratie steht heute im Vordergrund. Aussagen wie „das muss man“ oder „das darf man nicht“ werden immer weniger verbindlich. Obwohl man sich nach wie vor an Gesetze halten muss, die ja in unserer Gesellschaft das Leben regeln, ist viel mehr Freiraum entstanden. Individualismus macht sich breit und löst uns aus gesellschaftlichen Zwängen. Der Bereich der Emotionen hat einen hohen Stellenwert bekommen.

Der amerikanische Psychologe Carl Ransom Rogers (1902-1987) sagte einst, dass der Mensch von Natur aus gut sei; dass man dem Menschen aber nicht gerecht werde, wenn man den Bereich der Emotionen übersehe.[7]

Gesellschaftliche Veränderungen

Neulich las ich in einer Zeitschrift, dass sich viele Eltern wieder nach den alten autoritären Erziehungsmethoden sehnen, wie dem Fordern von Gehorsam, Ordnung, Fleiß und Triebunterdrückung.

Andere Eltern dagegen reagieren im Bezug auf ihre Kinder mit zunehmender Resignation und machen die Gesellschaft für empfundene Missstände ver­antwortlich, weil sie selbst keine klare Position mehr finden können. Deshalb tendieren immer mehr Eltern zu einer „Laissez-faire-Haltung“ (Quelle unbekannt - geschrieben aus der Erinnerung).

Der Weg des geringsten Widerstandes

Ob Eltern sich nun wieder mehr Autorität in der Erziehung wünschen oder ihre Kinder lieber im Laissez-faire-Stil (französisch = „Lasst sie machen“ oder „Macht ihr mal“) erziehen, muss Gründe haben. Sie scheuen vielleicht die Mühe, die es macht, sich intensiv und mehr als notwendig in ihre Nachkommen hineinzuversetzen und sie zu „guten“ Menschen zu erziehen. Eltern sind heute auch zum Teil viel zu beschäftigt mit sich selbst und ihren Problemen. Vieles im alltäglichen Leben ist definitiv anstrengender und hektischer geworden, weil immer mehr von den Menschen gefordert wird, weil Sorgen und Existenzängste stetig wachsen, oder welche Beweggründe auch immer Eltern in diese Richtung führen. Diese Erziehungsstile haben meiner Ansicht nach jedoch negative Auswirkungen auf die kindliche Werte- und Moralentwicklung.

Irgendwo las ich einmal eine kurze, aber für mich perfekte Beschreibung des Laissez-faire-Erziehungsstils: „Man könnte sagen, dass diese Kinder, bildlich gesprochen, irgendwo im Ozean herumschwimmen und da sie nach nichts greifen und nichts halten können, sich einfach treiben lassen.“(unbekannte Quelle).

Ein Problem wird meines Erachtens oft übersehen, nämlich, dass man die negativen Folgen einer Erziehungsmethode bei einem Menschen nicht selten erst bemerkt, wenn es für Erziehung im Grunde längst zu spät ist. Und häufig sind es dann die eigenen Erzieher, die unerwünschtes Verhalten ihrer Kinder beklagen.

Die österreichische Schriftstellerin Freifrau Marie von Ebner-Eschenbach (1830-1916) hätte es treffender nicht formulieren können:

„Eltern verzeihen ihren Kindern die Fehler am schwersten, die sie ihnen selbst anerzogen haben.“[8]

Autonom, emotional und selbstbewusst

In einer positiven Umwelt können Kinder lernen, Konflikte auszuhalten und sie altersangemessen zu lösen. Dadurch können sie Eigeninitiative entwickeln, die sie selbstverantwortlich handeln lässt. Das fördert den Willen, „gut“ zu werden, d.h. die allgemeinverbindlichen Normen und Werte zu verinnerlichen ohne es ihnen durch die Forderung von Gehorsam und Disziplin „einzuimpfen“. Wenn Kinder den Wunsch haben, gut zu sein, werden sie sich emotional an Mitgefühl, Trost, Teilen und Helfen beteiligen.

Leider erhalten viele Kinder keine Gelegenheit, sozial integriert aufzuwachsen und das minimiert die Möglichkeiten, sich zu autonomen und selbstbewussten Persönlichkeiten zu entwickeln, für die Werte mit Emotionen verbunden sind. Sie entwickeln sich eher zu Persönlichkeiten, die durch das Befolgen von Regeln Strafe vermeiden wollen oder im Gegensatz dazu Regeln einfach ignorieren.

„Erst die affektive Komponente von Betroffenheit und empathischem Mitfühlen mit den Belangen anderer ermöglicht eine moralische Handlungsdisposition.“[9]

[...]


[1] Vgl. http://de.wikipedia.org/wiki/Tabula_rasa

[2] Vgl. Frank Ochmann, Die gefühlte Moral, 2008, S. 22

[3] Frank Ochmann, Die gefühlte Moral, 2008, S. 24, 25

[4] Vgl. http://www.uni-leipzig.de/~erzwiss/mitarbeiter/hoppe_graff/material/Unterlagen%20Lernen%2004- Kapitel%2007.pdf

[5] Thomas Kesselring, Jean Piaget, 1999, S. 81

[6] Frank Ochmann, Die gefühlte Moral, 2008, S. 37

[7] Vgl. http://www.die-wege.de/mod/book/view.php?id=130&chapterid=164

[8] http://itb.biologie.hu-berlin.de/~wiskott//DeutscheAphorismen/authorQuotes/Ebner-Eschenbach__Marie_von.html

[9] Detlef Horster (Hrsg.), Moralentwicklung von Kindern und Jugendlichen, 2007, S. 23

Details

Seiten
Erscheinungsform
Erstausgabe
Jahr
2010
ISBN (PDF)
9783956849336
ISBN (Paperback)
9783956844331
Dateigröße
4.8 MB
Sprache
Deutsch
Institution / Hochschule
Bergische Universität Wuppertal
Erscheinungsdatum
2015 (Februar)
Note
1
Schlagworte
Entwicklungspsychologie Moralentwicklung Norm und Wert Erziehung Persönlichkeitsentwicklung Tugend

Autor

Karin Preiß absolvierte eine Psychologische Ausbildung mit Schwerpunkt Entwicklungspsychologie und Persönlichkeitspsychologie. Darüber hinaus absolvierte sie eine Verhaltenstherapeutische Ausbildung und ist Hypnose-Therapeutin (ausgebildete Hypnotiseurin Advanced Level). Ihre Schwerpunkte liegen in der Arbeit mit sozialen Defiziten, Lernschwäche, Prüfungsängsten, Motivation und sozialen Phobien.
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