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System-konstruktivistische Perspektive in der Sozialpädagogischen Familienhilfe

©2013 Masterarbeit 70 Seiten

Zusammenfassung

Unter Berücksichtigung gesellschaftlicher Veränderungen und der damit verbundenen Herausforderungen an Familien und FamilienhelferInnen, soll im Rahmen dieser Arbeit versucht werden, mit Hilfe der system-konstruktivistischen Perspektive, sich der Lebenswelt der AdressatenInnen und deren Problemdefinition adäquat zu nähern und sie zu Lösungen anzuregen. Unter Einbezug des Hilfeplanprozesses einer jeden sozialpädagogischen Familienhilfe, soll prozesshaft der Versuch unternommen werden, die system-konstruktivistische Sichtweise theoretisch und methodisch in die Fallarbeit mit Familien einzubetten.

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis



B. Inhaltsverzeichnis
A
A. Inhaltsübersicht
B. Inhaltsverzeichnis
C. Abbildungsverzeichnis
Vorwort
... 1
Einleitung
... 3
1
Was ist Familie?: Kennzeichen familialen Zusammenlebens
... 4
1.1
Familie im Wandel Teil I: Die Hausgemeinschaft ... 6
1.2
Familien im Wandel Teil II: Das bürgerliche Familienideal... 8
1.3
Familie im Wandel Teil III: Familien heute ... 10
1.3.1
Der Individualisierungsprozess nach Beck ...
10
1.3.2
Herausforderungen an Individuum und Familie ...
12
2
Sozialpädagogische Familienhilfe
... 15
2.1
Kennzeichen Sozialpädagogischer Familienhilfe ... 15
2.2
Alleinstellungsm. der SPFH: Herausford. an Adressat_in und Helfer_in ... 16
3
Der systemische Denkansatz
... 21
3.1
Ein allgemeines Verständnis von Systemen ... 21
3.2
Das Sozialökologisches Systemmodell Bronfenbrenners ... 22
3.3
Entwicklungslinie(n) der Systemischen Perspektive ... 23
3.3.1
Der Konstruktivismus ...
25
3.3.2
Das Autopoiesis-Konzept nach Maturana & Varela ...
26
3.3.3
Die Kybernetik der Kybernetik ...
27
3.3.4
Kennzeichen systemisch-konstruktivistischer Sichtweisen ...
28

4
4
Hilfeplanung
... 30
4.1
Ebene der Auftragsklärung ... 31
4.1.1
Informationssammlung ...
33
4.1.2
Gemeinsame Problemdefinition ...
34
4.1.3
Konkretisierung des Auftrages im Hilfeplan ...
39
4.2 Ebene der Intervention
...
40
4.2.1
Das Genogramm ...
41
4.2.2
Das Soziotop ...
41
4.2.3
Reframing ...
42
4.2.4
Die Arbeit mit Skulpturen ...
42
4.3 Ebene der Evaluation
...
43
5
Kritische Anmerkungen an die Hilfeplanung. u. E. der system. Perspektive ... 45
6
Schlussbemerkung ... 47
D.
Literatur- und Quellenverzeichnis
E.
Anhang

C. Abbildungsverzeichnis
Abb.1:
Was ist Bibliodrama?
Quelle: http://www.kirche-deckenpfronn.de/angebote-fuer-er
wachsene/biblioddrama/
Abb.2:
Systemische Familienarbeit, Schematische Darstellung des
Ä%HREDFKWHUV³ XQG Ä9HUVWHKHQV³ HLQHV VR]LDOHQ 9RUJDQJV
Quelle: Erler, Michael (2003): S. 30
Abb.3:
Das Soziotop.
Quelle: Rothe, Marga (1994): S. 74
Abb.4:
Die Gliederung des Soziotops
Quelle: Rothe, Marga (1994): S. 75
Abb.5:
Die Gliederung des Soziotops
Quelle: Rothe, Marga (1994): S. 76
Abb.6:
Genogramerstellung
Quelle: Ritscher, Wolf (2006): S. 96
Abb.7:
Genogram der Familie Arnold Funk und Legende
Quelle: Ritscher, Wolf (2006): S. 97


Vorwort
Menschen interagieren und kommunizieren stets in einer existierenden Um-
welt. Die fünf Sinne (Hören, Sehen, Riechen, Schmecken, Tasten) helfen uns
hierbei, sich in der jeweils umgebenden Umwelt zurechtzufinden. Doch wie
verlässlich und
ÄZLUNOLFK³ ELOGHQ GLHVH XQVHUH :HOW DE" Was ist wenn wir die
Wirklichkeit nicht erfassen wie sie ist? In diesem Kontext kann es passieren,
dass wir wesentliche Elemente übersehen, vergessen, bagatellisieren oder
einfach als unnötig erachten. Unter diesem Aspekt können daraus unange-
nehme, unerwartete Folge- und Nebenwirkungen für uns resultieren. In die-
sem Hinblick
VROO GLH $EELOGXQJ GHV 'HFNEODWWV Ä0HLQH )UDX XQG PHLQH
6FKZLHJHUPXWWHU³
1
der folgenden Arbeit, -wodurch ich mich von Profn. Hasel-
mann
LQ LKUHP %XFK Ä3V\FKRVR]LDOH $UEHLW LQ GHU 3V\FKLDWULH ± systemisch
RGHU VXEMHNWRULHQWLHUW³- inspirieren lassen habe, zum einen die Dilemmata un-
serer Wahrnehmung aufzeigen, um daraus schließlich einen Bogen zur Sozi-
alpädagogischen Familienhilfe zu spannen. So bewegen sich Familienhel-
fer_innen aufgrund des besonderen Settings der aufsuchenden Hilfe zwangs-
läufig in einem Dilemma. Nämlich: Aufgrund von subjektiv gemachten Be-
obachtungen innerhalb eines Familiensystems Probleme abzuleiten, daraus
adäquate Interventionen einzuleiten, welche sich an die Lebenswelt der/die
Adressaten_innen orientieren, mit dem Ziel, ihre Ressourcen und Handlungs-
möglichkeiten aufzudecken und zu vergrößern. Dabei sind Familienhelfer_in-
nen nicht nur in Kontakt mit den Familiensystemen an sich, sondern interagie-
ren und kommunizieren mit unterschiedlichsten Bezugssystemen im Rahmen
einer Sozialpädagogischen Familienhilfe (z.B. Jugendamt, Schulen, Kita,
Arge, Sozialamt). Diese Bezugssysteme haben aufgrund ihres Auftrages, un-
terschiedlichste Interessensschwerpunkte.
1
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RAU UND MEINE
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ENGLISCH
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MY WIFE AND MY MOTHER
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SYCHOLOGEN
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ORING AUF-
GEGRIFFEN
.
1

Das Jugendamt hat ein Interesse bzw. die Pflicht, Familien in schwierigen Le-
benssituationen adäquat zu unterstützen, mit dem Fokus das Kindeswohl zu
schützen. Die Schule hat das Interesse und die Pflicht, ihren Bildungsauftrag
gerecht zu werden. Die Arge hingegen, hat ein Interesse, arbeitslos geworde-
nen Menschen bzw. Menschen ohne Berufsausbildung (wieder) einen Weg in
das Berufsleben zu ermöglichen. Zwischen allen diesen Schnittstellen bewe-
gen sich
)DPLOLHQKHOIHUBLQQHQ XQG VLQG LP 6LQQH GHV Ä'RSSHOWHQ 0DQGDWV³
ÄJH]ZXQJHQ³ ]ZLVFKHQ GLHVHQ Ä,QWHUHVVHQNRQIOLNWHQ³ XQG VXEMHNWLYHQ Wirklich-
keiten zu vermitteln, gepaart mit der eigenen subjektiven Wirklichkeit eines/ei-
ner jeden/jeder Familienhelfer_in. Die systemisch-konstruktivistische Perspek-
tive bietet meines Erachtens in diesem Kontext Familienhelfer_in eine Mög-
lichkeit, sich der Lebenswelt der/die Adressaten_innen adäquat zu nähern, un-
ter Einbezug von Interessenskonflikten ihrer Bezugssysteme. Da ich selbst in
der Sozialpädagogischen Familienhilfe tätig bin, war/ist mein Interesse umso
größer, sich dieser Thematik in Form einer Masterabschlussarbeit zu nähern.
Da sich der Aufbau und die damit verbundene Stringenz der vorliegenden
Masterarbeit, aus meiner subjektiven Sicht, meinen gemachten Beobachtun-
gen aus der Praxis und den damit verbunden Erfahrungen ergeben, bitte ich
um Nachsicht und Verständnis, das sich die Folgenden Kapitel so darstellen
und gliedern, wie ich es für mich als sinnhaft erachtet habe. In diesem Zusam-
menhang möchte ich an dieser Stelle auch betonen, dass sich die in den ein-
zelnen Kapiteln beschriebenen Themen, aufgrund des vorgeschriebenen be-
JUHQ]WHQ 8PIDQJV HLQHU 0DVWHUWKHVLV OHGLJOLFK QXU ÄDQJHVFKQLWWHQ³ ZHUGHQ
konnten. Ich habe im Folgenden dennoch den Versuch unternommen
±unter
Einbezug des roten Fadens- Komplexe Sachverhalte auf das Wesentliche zu
reduzieren.
2

Einleitung
Die vorliegende Arbeit gliedert sich in sechs Kapitel, welche thematisch aufei-
nander aufbauen. Im ersten Teil sollen die Kennzeichen familialen Zusammen-
lebens herausgearbeitet werden. Das bedeutet: Was verstehen wir heute von
Familie und welche Herausforderungen ergeben sich aufgrund gesellschaftli-
cher Rahmenbedingungen für diese? Unter diesem Aspekt, werden zunächst
in den
hEHUVFKULIWHQ Ä)DPLOLH LP :DQGHO ,-,,,³, die Kennzeichen familialen Zu-
sammenlebens damaliger Gesellschaften herausgearbeitet, um so die Ent-
wicklung und Herausforderungen heutiger Lebensformen nachzuvollziehen.
,P $QVFKOXVV VROO PLW +LOIH %HFNV 9HUVWlQGQLV YRQ Ä,QGLYLGXDOLVLHUXQJ³ GLH 'L
lemmata aufgezeigt werden, denen heutige familiale Lebensformen ausge-
setzt sind. Mit diesen gewonnen Erkenntnissen, beschäftigt sich das zweite
Kapitel, mit der Sozialpädagogischen Familienhilfe. In diesem Sinne sollen die
Kennzeichen, sowie die Besonderheiten und Alleinstellungsmerkmale der
SPFH beleuchtet werden. Unter diesen Aspekten ergeben sich sowohl Chan-
cen als auch Risiken für Helfer_in und Adressaten_innen, woraus sich Dilem-
mata für beide ergeben können. Diesbezüglich soll ein Bogen zum Abschnitt
drei (Der systemische Denkansatz) geschlagen werden. Hierbei wird zunächst
durch ein allgemeines Verständnis von Systemen, über das Sozialökologische
Systemmodell Bronfenbrenners, hin zu den Entwicklungslinien der systemi-
schen Perspektive, der Versuch unternommen, die Besonderheiten der syste-
misch-konstruktivistischen Perspektive herauszuarbeiten. Für das darauf fol-
gende Kapitel (Hilfeplanung) ist in diesem Zusammenhang, der Konstruktivis-
mus (3.3.1), das Autopoiesis-Konzept nach Maturana Varela (3.3.2) sowie
die Kybernetik der Kybernetik (3.3.3) von grundlegender Bedeutung, wie man
im Weiteren sehen wird. In dem Kapitel der Hilfeplanung, soll der Versuch un-
ternommen werden, die gewonnen Erkenntnisse der vorangegangenen Kapi-
tel, unter Berücksichtigung eines Hilfeplanprozesses und der damit verbunden
Fallarbeit praxisnah darzustellen. Hierbei werden die Ebenen der Auftragsklä-
rung, der Intervention und Evaluation unterschieden und beleuchtet, in Anleh-
nung an die nach Fallarbeit Michel-Schwartze. Im fünften Teil sollen der Hilfe-
planung unter Einbezug der systemischen Perspektive kritischen Anmerkun-
gen unterzogen werden, um schlussendlich im letzten Teil ein Fazit zu ziehen.
3

1
Was ist Familie?: Kennzeichen familialen Zusammenlebens
Wird heutzutage von Familie gesprochen, ist längst nicht mehr vom klassi-
schen Modell
GHU Ä9DWWHU-Mutter-Kind-7ULDGH³ DXV]XJHKHQ 6WLHIIDPLOLHQ
Patchwork-Familien, Adoptionsfamilien, Pflegefamilien, Ein- bzw. Zwei-Eltern-
familien -um nur einige zu nennen- sind ebenfalls Kennzeichen familialen Zu-
sammenlebens unserer heutigen Gesellschaft.
2
Pluralisierung, Globalisierung
und Individualisierung tauchen in diesem Kontext immer wieder gern in ein-
schlägigen Literaturen auf, um die Diversität sowie den strukturellen Wandel
von Familienformen zu beschreiben.
3
Themen wie: Arbeitsmarkt und Bildung,
Selbstverwirklichung vs. Fremdverwirklichung, Rollenerwartungen, die Auflö-
sung bisheriger Rollenbilder, bringen Ängste und Unsicherheiten in unsere
Gesellschaft -und damit auch in jede einzelne Familienform-, welche das Sys-
tem Familie in jeglicher Hinsicht beeinflusst.
4
Aufgrund des historischen Wandels und der damit verbundenen Vielfältigkeit
familialen Zusammenlebens, ist es jedoch schwierig eine genaue Definition
YRQ Ä:DV LVW )DPLOLH³ ]X Geterminieren. Hinzu kommt, dass es nach jeweili-
gen Erkenntnisinteresse, unterschiedliche Zugangsformen wie z.B. die der So-
ziologie, Psychologie, Rechtskunde und den Erziehungswissenschaften gibt,
um sich der Thematik Familie zu nähern. Zu berücksichtigen ist außerdem,
dass die Vorstellung familialen Zusammenlebens häufig auf Idealbildern,
Wunschvorstellungen und rhetorischen Bildern beruht.
5
Es soll im Folgenden
GHQQRFK GHU 9HUVXFK XQWHUQRPPHQ ZHUGHQ VLFK GHQ %HJULII Ä)DPLOLH³ ZHL
testgehend zu nähern.
2
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EINISCH
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2006,
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2012,
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142
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2005,
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68
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2012,
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88
4

Die Familie (lat. familia: Die
Ä+DXVJHPHLQVFKDIW³ LVW HLQHU GHU lOWHVWHQ XQG
beständigsten Formen des menschlichen Zusammenlebens.
6
Im deutschen
6SUDFKUDXP ZXUGH Ä)DPLOLH³ DOV %HJULII MHGRFK HUVWPDOV (QGH GHV -DKU
hunderts geprägt.
7
'DV KLVWRULVFKH LGHDOLVLHUWH %LOG YRQ Ä)DPLOLH³ Lst von der
Vorstellung einer Großfamilie geprägt, indem mehrere Generationen unter ei-
nem Dach zusammenwohnen, sich gegenseitig unterstützen und füreinander
sorgen. Das zentrale Merkmal von Familie, ist demnach die Zusammengehö-
rigkeit von mind. zwei Generationen, die zueinander in einer Elter-Kind-Bezie-
hung stehen.
8
Aus Sicht des Kindes wird in diesem Zusammenhang von der
Herkunftsfamilie gesprochen. Betrachtet man dies aus der Positionen der El-
tern, spricht man von der Eigenfamilie.
9
Rätz-Heinisch macht darauf aufmerk-
sam, dass sich das Familienverständnis seit dem 7. Familienbericht gewandelt
hat. Demnach impliziert Familie nicht mehr nur das Zusammenleben von Er-
wachsenen und Kindern an einem Ort, sondern auch das von mehreren Ge-
nerationen, z.B. den älteren Menschen, die Aufgrund von Krankheit Pflegebe-
dürftig sind.
10
Des Weiteren werden multilokale Mehrgenerationsfamilien
ebenfalls mitberücksichtigt.
11
Nach Nave-Herz lässt sich Familie durch drei
Ebenen bestimmen. Zum einen spricht sie von der
ÄELRORJLVFK-sozialen Dop-
SHOQDWXU³. Dies meint zum einen, dass sich Familien biologisch reproduzieren,
sowie die Aufgabe der frühkindlichen Sozialisation innehat. Des Weiteren wird
von der Familie gesellschaftlich eine Schutz- und Fürsorgefunktion erwartet.
12
Weiteres Kennz
HLFKHQ GHU )DPLOLH LVW GLH ÄGenerationsdifferenzierung³. In die-
VHP .RQWH[W NDQQ VRZRKO YRQ GHU .HUQIDPLOLH QXFOHDU IDPLO\ Ä9DWHU-Mutter-
.LQG³ JHVSURFKHQ ZHUGHQ RGHU DEHU YRQ GHQ *URHOWHUQ 8UJURHOWHUQ XVZ
(Drei- bzw. Viergenerationsfamilie). Drittes Kennzeichen familialen Zusam-
menlebens ist nach Nave-Herz das Kooperations- und Solidaritätsverhältnis
zwischen den einzelnen Familienmitgliedern.
6
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1991,
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2006,
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2012,
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EINISCH
2012,
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110]
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Spezifische Rollenstrukturen sind Wesensmerkmal dieser Ebene. So wird je-
dem Familienmitglied z.B. Vater, Mutter, Kind (Schwester und Bruder) etc. kul-
turabhängig eine Rolle zugeschrieben, welche mit entsprechenden Erwartun-
gen und Aufgaben einhergeht.
13
Damit bezieht sich Nave-Herz auf das famili-
DOH 5ROOHQYHUVWlQGQLV 3DUVRQV GHU VHLQHU =HLW YRQ HLQHU Ä5ROOHQVWUXNWXU³ LQ
nerhalb der Familie sprach.
14
Demnach gab es eine klare interne sowie ex-
terne Aufgabentrennung zwischen den Ehepartnern. Der Ehemann war Ernäh-
rer und somit für die ökonomische Absicherung der Familie zuständig. Die
Frau hingegen, war für die Pflege des Haushalts, die Kinderziehung und die
Bedürfnisse der Familie zuständig. Es ist davon auszugehen, dass in den In-
dustriegesellschaften bis in den 1970er Jahren, die Mehrheit nach diesem Fa-
milienmodell lebte.
15
1.1 Familie im Wandel Teil I: Die Hausgemeinschaft
Blickt man zurück auf die Zeit bis ins 18. Jahrhundert, wird deutlich, dass das
was wir heute unter Familie verstehen
±sei es ideeller Natur oder gesellschaft-
lich beruhenden Normverständnisse- nicht immer so war. In diesem Zusam-
menhang ergaben sich für die damalige Zeit zwei Hauptgruppen zwischen-
menschlichen Zusammenlebens. Die Gruppe des Adels und die der bäuerli-
chen Familie bzw. den Hausgemeinschaften.
16
Letztere möchte ich eine ge-
nauere Betrachtung unterziehen, da sie zu jener Zeit vorherrschende Lebens-
form war. Zum anderen erscheint es mir wichtig, um so ein adäquates Ver-
ständnis des bürgerlichen Zusammenlebens Anfang des 19. Jahrhunderts zu
bekommen, welche später als Norm- und Idealvorstellung zwischenmenschli-
chen Zusammenlebens galt und damit den Grundstein heutiger Lebensformen
setzte.
17
Wesentliches Merkmal der Hausgemeinschaften war das,
GHV ÄJDQ
]HQ +DXVHV³ 'LHV LPSOL]LHUWH GDVV GDV +DXV VRZRKO 3URGXNWLRQV- als auch
Lebensort zugleich bedeutete.
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Zu den Haushaltsmitgliedern gehörten Eheleute, Kinder (leibliche Kinder,
Stiefkinder, uneheliche Kinder etc.), Verwandte (z.B. ledige Schwestern des
Hausvaters), Gesinde (Knechte, Mägde, Gesellen) und Inleute (Nichtver-
ZDQGWH ,Q GLHVHP =XVDPPHQKDQJ NRQQWH DXFK QLFKW YRQ Ä)DPLOLH³ LP KHXWL
gen Sinne gesprochen werden, da weder die Kernfamilie noch die Blutsver-
wandtschaft im Vordergrund standen.
19
Oberstes Gebot dieser Haushaltsge-
meinschaft war die tägliche Existenzsicherung und der Erhalt der Generati-
onsabfolge. Für persönliche Neigungen und Gefühle gab es in der Regel kei-
nen Raum. Vielmehr wurde die Haushaltsgemeinschaft als Wirtschaftsge-
meinschaft bzw. Arbeitsgemeinschaft verstanden, welche vordergründig das
Ziel der ökonomischen Absicherung verfolgte.
20
In diesem Zusammenhang
unterstanden alle Haushaltsmitglieder dem Ehemann. Zwischenmenschliche
Beziehungen wie z.B. die Partnerwahl und die damit verbundene Heirat, be-
ruhte nicht auf persönliche emotionale Zuneigung, sondern unterlag Sach-
zwängen und ökonomischen Aspekten (z.B. Mitgift, Arbeitskraft). Prinzipiell
war demnach die Ehe kein Bund zweier sich liebenden Personen, sondern
hatte die Funktion, ein Bündnis zweier Familien oder Sippschaften herzustel-
len. Somit war jeder Einzelne für den Erhalt der Wirtschaftsgemeinschaft Fa-
milie zuständig.
21
Hinsichtlich der Rolle des Kindes, ist zu betonen, dass es zu
dieser Z
HLW NHLQ 9HUVWlQGQLV YRQ HLQHU Ä.LQGHUZHOW³ JDE 'LH .LQGHU ZXUGHQ
streng erzogen und sehr früh in den Arbeitsprozess mit eingebunden. In die-
sem Sinne gab es ein nebeneinanderher von spielen und arbeiten zugleich, in
der Welt der Erwachsenden.
22
Zusammenfassend lässt sich also festhalten,
dass sich das zwischenmenschliche Zusammenleben bis Ende des 18. Jahr-
hundert wesentlich von denen, späterer Lebensformen unterschieden hat. Die
Folgenden Besonderheiten sind zusammenfassend dafür Beispielhaft:
1. Kaum jemand lebte allein bzw. als Paar zu zweit
2. Innerhalb des Haushaltes gab es wenig Raum für
Individualität und Intimität
3. Kaum eine Hausgemeinschaft bestand aus weniger als vier Personen
4. Das Haus beinhaltete sowohl Privat- als auch Arbeitsleben
19
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5. Die Hausgemeinschaft diente als Produktions-, Wohn-, Lebens-, und
Schutzgemeinschaft
6. Die Hausgemeinschaft war patriarchal strukturiert d.h. der Ehemann
war als Hausherr, Vater und Arbeitgeber zugleich.
23
1.2 Familien im Wandel Teil II: Das bürgerliche Familienideal
Richtet man den Fokus auf die familialen Lebensformen ab dem 19. Jahrhun-
dert, ergaben sich weitere grundlegende Veränderung hinsichtlich der dama-
ligen Lebensführung der Menschen. So entwickelte sich die Form der bürger-
lichen Familie, welche im Wesentlichen durch die Epoche der Aufklärung im
18. Jahrhundert und den Beginn der Industrialisierung (Ende des 18. Jahrhun-
derts) begünstigt wurde.
24
Herausragende Merkmale dieser Lebensform wa-
ren die Trennung zwischen Produktionsplatz und Privatem, welche Grundvo-
raussetzung für die Entwicklung von Nähe und Intimität innerhalb der Familie
war.
25
'LH /HEHQVIRUP GHV ÄJDQ]HQ +DXVHV³ O|VWH VLFK VRPLW ODQJVDP DXI
Dies bedeutete, dass die Familie stärker in den Vordergrund zwischen-
menschlichen Zusammenlebens rückte. So hatte die Ehe nicht mehr das Motiv
einer Zwangs-
E]Z =ZHFNJHPHLQVFKDIW VRQGHUQ UFNWH GLH Ä/LHEH³ DOV ]HQW
rales ehestiftendes Motiv immer mehr in den Vordergrund. Einhergehend ent-
wickelte sich erstmals eine Individualisierung hinsichtlich der Partnerwahl, wel-
che sich historisch in vier Phasen vollzog: 1. Entscheidung durch die Eltern, 2.
Anbahnung durch die Eltern, 3. Mitsprache- bzw. Vetorecht der Braut und El-
tern, 4. freie selbstbestimmende Partnerwahl.
26
Auch in Bezug auf die Kinder-
ziehung fand verstärkt eine Emotionalisierung der Eltern-Kind-Beziehung statt.
So wurden Kinder zunehmend als eigenständige Individuen wahrgenommen.
Erziehung hatte mehr und mehr den Charakter, die Individualität, Sittlichkeit
und die Vernunft der Kinder zu fördern. Unter diesen Aspekten wurde das Ge-
schlechterverhältnis neu ausgerichtet.
23
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122
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'LHV EHGHXWHWH GDVV )UDXHQ ]X Ä(PRWLRQDOLWlWVVSH]LDOLVWHQ³ ZXUGHQ LQGHP
sie im Rahmen der häuslichen privaten Sphäre, die Rolle einer fürsorglichen
Mutter, Hausfrau und Gattin übernahmen. Dem Mann hingegen wurde die
Rolle des Familienoberhaupts und Ernährers zuteil.
27
1DFK GLHVHP )DPLOLHQPRGHOO 6LHKH DXFK Ä+DXVIUDXHQHKH³ ZXUGH ±wie be-
reits in Kapitel 2 erwähnt- von den meisten Menschen in den Industriegesell-
schaften, noch bis in den 70er Jahren des letzten Jahrhunderts gelebt. Zu be-
rücksichtigen ist hierbei, dass sich durch die Trennung von Arbeitsplatz und
Privaten, sowie der Intensität des familialen Zusammenlebens sowohl Chan-
cen, als auch Risiken für die Familien ergaben. So konnte sich zum einen eine
individuelle Kultivierung und Vertrautheit innerhalb der Familie entwickeln. Auf
der anderen Seite bestand die Gefahr, den hohen Anforderung innerhalb der
Familie nicht gerecht zu werden. Risiken wie z.B. Gewalt innerhalb der Familie
konnten Aufgrund der räumlich-häuslichen Abschottung zur Gesellschaft aus-
gelebt werden.
28
Neuere Studien zeigen, dass trotz zunehmender Pluralisie-
rungs- und Individualisierungstendenzen, noch heute dieses Familienbild als
ideelles Grundmodell, bei den meisten Menschen verankert ist.
29
In diesem
Zusammenhang antworteten 91% der 18-
MlKULJHQ DXI GLH )UDJH Ä:DV YHU
VWHKHQ VLH XQWHU HLQHU )DPLOLH³ PLW GHU $QWZRUW Ä(LQ YHUKHLUDWHWHV (KHSDDU
PLW .LQGHUQ³
30
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2006,
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TUDIE MIT
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WURDE
2004
DURCH DAS
I
NSTITUT FÜR
D
EMOSKOPIE
A
LLENSBACH DURCHGEFÜHRT
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9

1.3 Familie im Wandel Teil III: Familien heute
Hinsichtlich der weiteren gesellschaftlichen Entwicklung, ist besonders ab
Mitte des 20igsten Jahrhunderts ein wesentlicher Wandel festzustellen, wel-
cher bis heute wirkt und damit in jeder individuellen Lebenswelt Einzug hält.
Ging es in den früheren Gesellschaften in der Regel um die tägliche Existenz-
sicherung, ist nun auch für die unteren Gesellschaftsschichten ein Standard -
hinsichtlich der Lebens- und Bildungschancen- erreicht worden. So investier-
ten auch Frauen im Zuge der Studentenbewegungen und Reformationen in
den 1970er Jahren von den gestiegenen Bildungschancen und der Gleichbe-
rechtigung. In diesem Kontext wurde erstmals ein Raum geschaffen, welcher
den Menschen Spiel- und Wahlmöglichkeiten hinsichtlich der eigenen Lebens-
planung ließ/lässt.
31
Aus
GHU HLQVW EUJHUOLFKHQ Ä1RUPDOELRJUDSKLH³ ZXUGH
6FKULWWZHLVH HLQH Ä:DKO³- E]Z Ä%DVWHOELRJUDSKLH³
32
Doch was bedeutet dies
für jeden Einzelnen? Dies möchte ich im Folgenden Anhand des Individuali-
sierungsprozesses nach Beck genauer erläutern.
1.3.1 Der Individualisierungsprozess nach Beck
(V ZXUGH EHUHLWV LPSOL]LW DXI GLH Ä1RUPDOELRJUDSKLH³ ELV LQV -DKUKXQGHUW
hingewiesen (Kapitel 2.1-2.2), welche im Wesentlichen durch eine klare Rol-
lenstruktur von Frau und Mann innerhalb einer Hausgemeinschaft gekenn-
]HLFKQHW ZDU 6R EHVWDQGHQ GLH Ä1RUPDOELRJUDSKLH³ GHU )UDX LQ GHU 5HJHO DXV
HLQHU Ä+DXVKDOWVELRJUDSKLH³ XQG GLH GHV 0DQQHV DXV HLQHU Ä$UEHLWVPDUNWELR
graphie.
33
Des Weiteren stand weniger das Individuum, sondern die tägliche
Existenzsicherung der Hausgemeinschaft, sowie der Erhalt der Generations-
DEIROJH LP 9RUGHUJUXQG 'DUDXV HUJDE VLFK HLQ JHZLVVHV Ä6LFKHUKHLWVJHIKO³
da nicht jeder für sich alleine zuständig und verantwortlich war, sondern die
Haushaltsgemeinschaft/en füreinander einstanden.
34
31
VGL
.
B
ECK
2005,
S.
66
FF
32
VGL
.
H
ELMING U
.
S
CHATTNER U
.
A
.
1998,
S.
151
33
VGL
.
B
ECK
2005,
S.
14
F
34
VGL
.
DIES
.
S.
14
F
10

Details

Seiten
Erscheinungsform
Erstausgabe
Jahr
2013
ISBN (PDF)
9783956849565
ISBN (Paperback)
9783956844560
Dateigröße
2.8 MB
Sprache
Deutsch
Institution / Hochschule
Hochschule Neubrandenburg
Erscheinungsdatum
2015 (Februar)
Note
2,1
Schlagworte
systemischer Denkansatz Systemkonstruktion Sozialpädagogische Familienhilfe Fallarbeit Familiensystem
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Titel: System-konstruktivistische Perspektive in der Sozialpädagogischen Familienhilfe
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