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Systemische Arbeit mit Familien: Ein kritischer Vergleich zwischen Bert Hellinger und Virginia Satir

©2011 Bachelorarbeit 52 Seiten

Zusammenfassung

Diese Bachelor-Thesis befasst sich mit einem kritischen Vergleich zweier Methoden der systemischen Familientherapie/-beratung: Der Familienaufstellung nach Bert Hellinger und die Familienskulptur nach Virginia Satir. Hierbei lautet die zentrale Fragestellung dieser Arbeit: Durch welche Aspekte unterscheidet sich die Familienaufstellung nach Hellinger von der systemischen Arbeit mit Familienskulpturen nach Satir hinsichtlich beider Methoden und Ansätzen? Um dieser Frage im Verlauf der Ausarbeitung nachgehen zu können, werden zunächst die Familienaufstellung nach Hellinger sowie die Familienskulptur nach Satir in ihren Grundzügen beschreibend dargestellt. Nachdem ein theoretisches Basiswissen zur Anwendung beider Methoden vermittelt wurde, wird sich diese Ausarbeitung mit dem kritischen Vergleich beider Methoden nach Hellinger und Satir befassen.

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


kus der methodischen Anwendung. Die Familienskulptur nach Virginia Satir wirkt da-
bei hingegen als eine weitaus humanistischere, ressourcenorientiertere und moder-
nere Methode für die systemische Praxis der Sozialen Arbeit.
2

2 Einleitung
In der vorliegenden Bachelor-Thesis werde ich mich mit der Methode der Familien-
aufstellung
2
nach Bert Hellinger im kritischen Vergleich zur Methode der Familien-
skulptur nach Virginia Satir im Kontext der Sozialen Arbeit befassen.
3
Die Thematik habe ich für meine Bachelor-Thesis gewählt, weil ich im vorherigen
Semester ein Seminar zur systemisch-lösungsorientieren Beratung besucht habe. In
diesem Seminar wurde den Teilnehmern
4
das methodische Vorgehen in der Arbeit
mit der Familienskulptur nach Virginia Satir durch praktische Übungen ansatzweise
vermittelt. Im Zusammenhang mit der Methode der Familienskulptur wurde jedoch
nur kurz auf die umstrittene Methode der Familienaufstellung nach Bert Hellinger
eingegangen. Die in der Veranstaltung angesprochenen Aspekte weckten mein
Interesse, mich näher sowohl mit der Methode Hellingers als auch mit der Satirs zu
beschäftigen. Mein besonderes Interesse gilt dem kritischen Vergleich der Methoden
der Familienaufstellung nach Hellinger und der Familienskulptur nach Satir hinsich-
tlich der Anwendung im Praxisfeld der Sozialen Arbeit.
Meine Literaturrecherchen zu Hellingers Familienaufstellung führten mich zu einer
Vielzahl von kritischen Kommentaren von systemisch arbeitenden Fachkräften wie
beispielsweise der Psychologin Irmela Wiemann, die bereits seit vielen Jahren nach
der Methode der Familienskulptur mit Familien arbeitet und Hellinger, beziehung-
sweise seine Form von Familienaufstellung, unter anderem auf Grund seiner patriar-
chalen Vorstellungen von Strukturen sowie seiner antiemanzipatorischen Werthal-
tungen, ablehnt (vgl. Wiemann, 2000, erziehungsberatung-hessen.de, S. 1). Auch
der Psychologe Werner Haas sieht und beschreibt die Arbeit von Hellinger in seinem
Werk ,,Familienstellen ­ Therapie oder Okkultismus" (2005) aus einer durchaus kriti-
schen Perspektive. Weitere Kritiker in Hinblick auf Hellinger und seine Methode der
Familienaufstellung sind beispielsweise die DGSF
5
(vgl. DGSF, 2010, www.dgsf.org)
sowie die Systemische Gesellschaft (vgl. Potsdamer Erklärung zur Aufstellungsar-
2
Von Hellinger sowie anderen Autoren auch oft ,,Familienstellen" genannt.
3
Auf Grund der Komplexität dieser beiden Verfahren werde ich nicht auf alle Teilaspekte eingehen
können. Wohl aber werde ich versuchen einen theoretischen Einblick in beide Methoden zu geben.
4
Um den Lesefluss nicht zu stören, werde ich im folgenden Text jeweils nur das generische Masku-
linum verwenden.
5
Deutsche Gesellschaft für systemische Therapie und Familientherapie.
3

beit, www.systemische-gesellschaft.de). Am 21.08.2003 veröffentlichte DIE ZEIT ei-
nen ausführlichen Artikel zu Hellingers Familienaufstellung. Auch hierbei wurde seine
Arbeit stets mit einem kritischen Unterton dargestellt. Trotz dieser Vielzahl von Kriti-
kern arbeitet die 1996 von dem Familientherapeuten Gunthard Weber gegründete
IAG
6
weiterhin nach Hellingers Ansätzen mit dem Ziel, diese zu verbreiten und wei-
terzuentwickeln (vgl. Buchholz, 2003, S. 11-13).
In der vorliegenden Arbeit möchte ich unter anderem einigen Kritikpunkten an Hellin-
gers Familienaufstellung nachgehen und seine Ansätze in Bezug auf das System
,,Familie" beleuchten.
Ich halte diese Thematik sowohl für mich als angehenden Sozialarbeiter als auch für
die Profession der Sozialen Arbeit insgesamt für sehr interessant, da sie sich nicht
nur mit einer höchst umstrittenen Form von Familientherapie und Familienberatung
7
befasst, sondern diese mit einer weitaus akzeptierten Form von systemischer Arbeit
mit Familien
8
vergleicht und ihre Anwendung in der Sozialen Arbeit darstellt.
Im Fokus meiner Fragestellung stehen hierbei die unterschiedlichen Methoden und
Ansätze beider Verfahren in der Arbeit mit Familien. Die Fragestellung meiner Arbeit
lautet somit:
Durch welche Aspekte unterscheidet sich die Familienaufstellung nach Hellin-
ger von der systemischen Arbeit mit Familienskulpturen nach Satir hinsichtlich
beider Methoden und Ansätze?
Meine Arbeit wird sich im Hinblick auf den Arbeitstitel sowie im Hinblick auf die Fra-
gestellung wie folgt gliedern: Um ein Basiswissen für die weiteren Ausführungen zu
erlangen beziehungsweise zu vermitteln, werde ich zunächst die Grundlagen der
Familienaufstellung nach Hellinger darstellen. Im zweiten Kapitel werde ich die
Grundlagen der Arbeit mit der Familienskulptur nach Satir darstellen. Im dritten Kapi-
tel werde ich mich mit der Methode von Hellingers Familienaufstellung und seinem
Ansatz aus kritischer Perspektive befassen. Um den Rahmen der Arbeit nicht zu
sprengen werde ich nicht auf alle bekannten Kritikpunkte eingehen können, sondern
6
Internationale Arbeitsgemeinschaft für Systemische Lösungen nach Bert Hellinger.
7
Hiermit ist die Familienaufstellung nach Hellinger gemeint.
8
Hiermit ist die Familienskulptur nach Satir gemeint.
4

mich lediglich auf einige, aus meiner Sicht zentrale Themen beschränken. Zentrale
Begriffe dieser Diskussion im Hinblick auf die Familienaufstellung nach Hellinger
werden hierbei die Kritik am patriarchalischen Familienbild, die Kritik aus feministi-
scher Sicht sowie eine kritische Beleuchtung von Hellingers Begriffen Ordnung, Ver-
strickung und Versöhnung sein. Zum Ende des Kapitels werde ich einen kritischen
Vergleich der beiden Methoden der Familienaufstellung nach Hellinger und der Fami-
lienskulptur nach Satir anstellen, indem ich sie einander gegenüberstelle und ihre
zentralen Unterschiede herausarbeite. Das vierte Kapitel werde ich dazu nutzen mich
mit den Anwendungsbereichen der Methode der Familienskulptur nach Satir im sys-
temischen Praxisfeld der heutigen Soziale Arbeit auseinanderzusetzen. Hierzu werde
ich die Anwendung der Methode in Bezug auf die Sozialen Arbeit kurz darstellen und
die theoretischen Ausführungen dann mit Hilfe von zwei Experten-Interviews
9
zur
Methodenanwendung, aus praktischer Perspektive ergänzen.
Im abschließenden Resümee werde ich dann die zentralen Ergebnisse dieser Aus-
arbeitung noch einmal zusammenfassen, sowie die Fragestellung meiner Arbeit mit
Hilfe des durch diese Ausarbeitung neu erworbenen theoretischen und praktischen
Fachwissens beantworten
.
9
Siehe den Interviewleitfaden im Anhang.
5

3 Die Familienaufstellung nach Bert Hellinger
3.1 Hellingers Biographie
Bert Hellinger wurde 1925 in Leimen geboren (vgl. Buchholz, 2003, S. 12). Er stu-
dierte Philosophie, Theologie und Pädagogik und wurde im Anschluss daran Pries-
ter. Er war sechs Jahre lang als Mitglied eines katholischen Missionsordnens in Sü-
dafrika tätig. Hier leitete er mehrere höhere Schulen, darunter eine für Schwarzafri-
kaner. In dieser Zeit erlangte Hellinger Einblicke in die gruppendynamische Vorge-
hensweise von Trainer, welche Gruppenarbeit sowohl für Schwarze als auch für
Weiße anboten. Nach seiner Rückkehr aus Afrika 1969 setzte Hellinger seine Erfah-
rungen in Bezug auf Gruppendynamik in seiner therapeutischen Arbeit um. Er verließ
zu Beginn der 1970er Jahre seinen Orden und wandte sich dem Tätigkeitsfeld der
Psychotherapie zu, indem er eine Ausbildung zum Psychoanalytiker in Wien begann.
Ihm wurde jedoch die Anerkennung zum Psychoanalytiker verweigert, nachdem er
vor der psychoanalytischen Vereinigung über die unkonventionelle und zu diesem
Zeitpunkt revolutionäre Arbeit des Analytikers und Psychologen Arthur Janov refe-
rierte (vgl. Franke, 1997, S. 87) und sich dem Ansatz Janovs zugewandt hatte (vgl.
Nuber, 2003, S. 11).
Im Anschluss daran absolvierte Hellinger mehrere Studienaufenthalte in den Verei-
nigten Staaten von Amerika. Er hielt sich neun Monate lang in Los Angeles auf, um
dort die Primärtherapie von Arthur Janov zu erlernen. Auf seinem Weg zu seiner
Therapie begegnete Hellinger unterschiedlichen Therapieformen, darunter der Ge-
stalttherapie,
10
der Familientherapie, der Provokativen Therapie
11
sowie der Hypno-
therapie.
12
Die Auseinandersetzung mit der Arbeit von Eric Berne übte einen großen
Einfluss auf die Vorgehensweise Hellingers aus (vgl. Franke, 1997, S. 87).
Für seine Familienaufstellung übernahm Hellinger die Methode des Aufstellens von
Repräsentanten an Stelle der Familienmitglieder von Thea Schönfeld, die dieses ers-
tmalig bei psychiatrischen Patienten anwendete (vgl. Sparrer, 2009, S. 100-101).
10
Mit der Transaktions- und Skriptanalyse von Eric Berne.
11
Von Frank Farelly.
12
Von Milton Erickson.
6

Hellinger lebt mittlerweile in Süddeutschland und hat seine Praxis sowie die Arbeit
mit Gruppen aufgegeben. Stattdessen arbeitet er in Form von Lehrseminaren in
Deutschland, Österreich und der Schweiz. Die Thematiken bezüglich seiner Arbeit
sind psychiatrische sowie psychosomatische Erkrankungen und die Auswirkungen
der systemischen Verstrickung
13
auf der Basis von zwischenmenschlichen Bezie-
hungen (vgl. Franke, 1997, S. 89).
Seit 1996 besteht die Internationale Arbeitsgemeinschaft Systemischer Lösungen
nach Bert Hellinger (IAG), deren Aufgabe es ist über die Qualität der Lehre zu wa-
chen sowie sich mit der Pflege der Praxis zu befassen (vgl. Haas, 2005, S. 13).
3.2 Grundlagen der Familienaufstellung
Bevor ich genauer auf den Begriff der Familienaufstellung eingehe, möchte ich zu-
nächst den Begriff ,,Aufstellung" mit einem Zitat näher erläutern:
,,Aufstellungen helfen, systemische Beziehungsstrukturen in kurzer Zeit zu erkennen
und zu einer Lösung zu führen. Das Verhalten und die Aussagen des Klienten stellen
dabei eine Folge der tieferliegenden ,unsichtbaren Bindungen` dar. Veränderungen in
dieser Struktur führen zu Veränderungen im Handeln, Denken und damit Fühlen."
(Franke, 1997, S. 91-92)
Die Familienaufstellung ist eine Methode, bei welcher der Klient mit Hilfe von Grup-
penmitgliedern sein inneres Bild seiner eigenen Familie nachstellt. Die Grundannah-
me lautet hierbei, dass der Grund für psychische Störungen und psychosomatische
Erkrankungen möglicherweise eine Störung der Ordnung
14
innerhalb des Familien-
systems ist. Somit entstehen so genannte systemische Verstrickungen (vgl. Franke,
1997, S. 85), die sich als Verstoß gegen Hellingers Ordnung innerhalb der Familie
schädlich auf die nachfolgenden Generationen auswirken können (vgl. Schlee, 2003,
S. 28).
In Bezug auf die Familienaufstellung nach Hellinger beschreibt Hausner die Verbin-
dung der Generationen untereinander innerhalb einer Familie so:
13
Siehe hierzu Kap. 3.2.2.
14
Siehe hierzu Kap. 3.2.1.
7

,,Das Familienstellen bringt darüber hinaus ans Licht, wie auch die Traumen der Vor-
fahren, mit denen wir schicksalhaft verbunden sind, generationsübergreifend weiter-
wirken und auf das Leben der Nachkommen Einfluss nehmen."
(Hausner, 2008, S.17)
In der Familienaufstellung nach Hellinger wird mit Provokationen gearbeitet, weiter-
hin weist diese Methode deutliche Bezüge zum psychoanalytischen Weltbild auf (vgl.
Sparrer, 2009, S. 102). Hellinger geht in seiner Arbeit davon aus, dass es eine ,,rich-
tige", das heißt eine passende Ordnung für das System gibt. Diese Ordnung verhilft
dem System zur Ruhe, Stabilität und Zufriedenheit bei allen Mitgliedern. Die Fami-
lienaufstellung ist also dazu da, störende beziehungsweise gestörte Beziehungen zu
erforschen. In einem weiteren Schritt wird versucht die Ordnung erneut oder zum
ersten Mal (wieder) herzustellen. Unbewusste Verstrickungen innerhalb einer Familie
werden durch die Familienaufstellung sichtbar und somit behandelbar gemacht. Die
Arbeit Hellingers ist auf Versöhnung
15
und Gerechtigkeit
16
ausgerichtet (Franke,
1997, S. 85-86).
Die Familienaufstellung verläuft in ihren Grundzügen folgendermaßen: Der Klient
beschreibt sein Anliegen mit möglichst wenigen Worten (vgl. Schlee, 2003, S. 24).
Der Therapeut stellt dem Klienten dann einige Fragen, welche für die Aufstellung
wichtig sind. Eine mögliche Frage ist z. B., ob jemand verheiratet ist und Kinder hat.
Daraus ergibt sich nämlich, ob auch die Gegenwartsfamilie in die Familienaufstellung
einbezogen werden muss oder ob sich die Aufstellung nur auf die Herkunftsfamilie
bezieht. Dann stellt der Therapeut Fragen zur Herkunftsfamilie in Bezug auf wichtige
Ereignisse, wie beispielsweise nach jung verstorbenen Familienmitgliedern oder
traumatischen Erlebnissen des Klienten in der Kindheit (vgl. Hellinger, 2007b, S.
193). Hierbei sind lediglich äußere Ereignisse von Bedeutung. Es ist beispielsweise
für die Aufstellung unwichtig, ob der Vater trinkt oder ob sein Wesen eher dominant
oder devot ist (vgl. Hellinger, 2007b, S. 194). Hat der Therapeut genug Informationen
gesammelt, kann die Aufstellung der Familie des Klienten beginnen (vgl. Hellinger,
2007b, S. 193). Der Klient wird nun aufgefordert sich zu sammeln und seine Familie
aufzustellen. Er wählt hierzu aus den anwesenden Gruppenmitgliedern so genannte
15
Beispielsweise mit den Eltern.
16
Das heißt, das Recht eines jeden Familienmitgliedes auf Zugehörigkeit zum System.
8

Stellvertreter für seine Familienmitglieder aus und stellt sie so auf, wie es ihm in Be-
zug auf sein Anliegen als angemessen erscheint (vgl. Schlee, 2003, S. 24). Das
heißt, der Klient positioniert die Stellvertreter in ihrer Beziehung zueinander im Raum
(Hellinger, 2007a, S.16). Beim Aufstellen kann der Klient lediglich den Standpunkt
im Raum und die Blickrichtung der Stellvertreter bestimmen. Den Stellvertretern wird
nur gesagt, welches Familienmitglied sie vertreten sollen, ansonsten werden keine
weiteren Informationen gegeben (vgl. Schlee, 2003, S. 24). Die Stellvertreter fühlen
sich, laut Hellinger, dann so wie die Personen, welche sie repräsentieren, ohne dass
sie etwas über diese wissen (Hellinger, 2007a, S.16). Es wird mindestens ein Stell-
vertreter im ,,Feld" aufgestellt, meist jedoch zwei oder mehr. Hierbei können nicht nur
Stellvertreter für Personen gestellt werden, sondern auch für Symptome, Emotionen,
den Tod oder ein bestimmtes Land (vgl. Schneider, 2006, S. 38). Schneider führt da-
zu aus: ,,Je weniger die Stellvertreter wissen, desto überzeugender ist ihr gefühltes
Wissen für den Klienten."
(Schneider, 2006, S. 25)
Hat der Klient alle für die Familienaufstellung nötigen Stellvertreter aufgestellt, posi-
tioniert er einen Stellvertreter für seine eigene Person und zieht sich aus der Aufstel-
lung zurück, um die weiteren Schritte und Ereignisse von außen zu beobachten. Laut
Hellinger baut sich nun ein so genanntes ,,energetisches Kraftfeld" auf, das es allen
Stellvertretern ermöglicht, die Emotionen und Einstellungen so wahrzunehmen wie
die Familienmitglieder, welche sie in der Aufstellung repräsentieren (vgl. Schlee,
2003, S. 24). Hausner beschreibt diesen Effekt so: ,,Je nachdem wie die Stellvertreter
zueinander in Beziehung stehen, wie sie empfinden, was sie äußern, welche Impulse
sie haben, können der Aufstellungsleiter und der Patient erkennen, welche Ereignis-
se aus der Geschichte der Familie relevant sind und welche Dynamiken in dieser
Familie wirken und in einem Zusammenhang mit der Krankheit und der Symptomatik
des Patienten stehen können."
(Hausner, 2008, S. 19)
Der Therapeut fragt nach der Aufstellung die einzelnen Stellvertreter, wie sie sich in
ihrer Position fühlen und wahrnehmen. Dabei wird sowohl auf physische als auch
seelische Empfindungen eingegangen. Aus den Informationen der Stellvertreter kann
der Therapeut nun auf Ereignisse in der Vergangenheit der Familie des Klienten
schließen. Mit Hilfe der Informationen können dann erforderliche Veränderungen in
Bezug auf die Positionierung der Stellvertreter zueinander abgeleitet werden. Nach-
dem der Therapeut die Positionen der Stellvertreter entsprechend verändert hat, be-
9

fragt er sie nach eventuellen Veränderungen in ihrem Empfinden und ihren Eindrü-
cken in der neuen Position. Durch die Aussagen der Stellvertreter zu ihren Empfin-
dungen kann der Therapeut, wenn nötig, weiter umstellen, bis er eine Konstellation
gefunden hat, in der sich alle Stellvertreter in ihrer richtigen Position fühlen (vgl.
Schlee, 2003, S. 24-25). Er lässt sich hierbei von den Rückmeldungen der Stellvert-
reter leiten, indem er fragt, ob die jeweilige Veränderung in der Konstellation vom
Betreffenden als ,,besser" oder ,,schlechter" empfunden wird (vgl. von Schlip-
pe/Schweitzer, 2007, S. 43). Durch die Empfindungen der Stellvertreter kann die fa-
miliäre Ordnung gefunden werden, bei welcher sich alle Familienmitglieder wohl füh-
len (vgl. Hellinger, 2007a, S.16).
Anschließend richtet der Therapeut weitere Fragen an den Klienten, der sich noch
immer außerhalb der Aufstellung befindet. Besonderes wird hier nach den so ge-
nannten ,,Verstößen gegen die familiäre Ordnung"
17
gefragt. Hat der Therapeut durch
diese Fragen weitere Details über die Familiengeschichte erfahren, erweitert er die
Aufstellung um weitere Stellvertreter von Familienmitgliedern. Hierbei handelt es sich
meist um Familienmitglieder aus der Großelterngeneration. Es können jedoch hierbei
auch Personen aufgestellt werden, welche bereits verstorben sind.
18
Durch die Fra-
gen des Therapeuten stellt sich immer heraus, dass der Klient in seiner ursprüngli-
chen Aufstellung wichtige Mitglieder seiner Familie übersehen oder vergessen hat,
welche nun vom Therapeuten nachträglich und ergänzend aufgestellt werden. An-
schließend wird der Klient in die Position seines Stellvertreters gestellt, um direkt in
die Dynamik einbezogen zu werden (vgl. Schlee, 2003, S. 23-25). Hierbei soll er sei-
nen Platz in dem versöhnten und neu geordneten System spüren (vgl. Schneider,
2006, S. 26). Der Therapeut konfrontiert den Klienten mit einigen Stellvertretern, wel-
che für bestimmte Mitglieder seiner Familie stehen. Durch exakt vom Therapeuten
bestimmte Handlungen
19
und Dialoge zwischen den Stellvertretern und dem Klienten
entwickeln sich eine körperliche Nähe, intensive Blickkontakte und so genannte ,,lö-
sende" Sätze hin zu einer starken Emotionalität (vgl. Schlee, 2003, S. 25). Die Auf-
stellung kommt zur Ruhe, wenn alle Familienmitglieder wieder zusammenfinden,
17
Beispielsweise eine Scheidung in der Familie.
18
Beispielsweise Fehlgeburten.
19
Beispielsweise sich verneigen (vgl. Schneider, 2006, S. 39).
10

ausgeklammerte Familienmitglieder wieder integrieret wurden und jeder seinen ihm
zustehenden Platz in der Familie eingenommen hat (vgl. Schneider, 2006, S. 26).
Schlee beschreibt den Effekt der Familienaufstellung so: ,,Fast immer sind die Klien-
ten innerlich sehr berührt und meinen, einen tiefen Blick in die ihnen bis dahin uner-
kannte Dynamik ihrer Familiengeschichte getan zu haben. Sie glauben, nun deren
Zusammenhänge erkennen zu können."
(Schlee, 2003, S. 25-26)
Hellinger erkannte, dass die Methode der Aufstellung eine gute Möglichkeit bietet
seelische Vorgänge sowie familiäre Bindungsprozesse zu visualisieren. Durch die
Bewegung der Stellvertreter, ihre Umstellung, kurze Informationsfragen sowie das
Einbeziehen von ausgeschlossenen Personen und durch kurze lösende Dialoge las-
sen sich bei einem Klienten hilfreiche Prozesse bewirken (vgl. Schneider, 2006, S.
24).
Hausner weist darauf hin, dass nicht für alle Personen die Gruppensitzung ein ge-
eignetes Setting ist. Besonders bei psychisch labilen Personen sollte dies vorab mit
dem Arzt oder Therapeuten erörtert werden (vgl. Hausner, 2008, S. 19).
Eine Familienaufstellung kann zwischen 15 und 90 Minuten dauern. Meistens wird
sie jedoch vom Therapeuten nach 25 bis 35 Minuten beendet. Im Anschluss daran
wird nicht mehr über den Inhalt oder den Verlauf der Familienaufstellung gespro-
chen. Ein Austausch zwischen den beteiligten Personen ist hierbei nicht vorgesehen
und auch zur Nachhaltigkeit der Veränderungen durch Familienaufstellungen gibt es
bislang noch keine systematischen Untersuchungen (vgl. Schlee, 2003, S. 26).
3.3 Zentrale Begriffe der Familienaufstellung
Dieses Kapitel möchte ich dazu nutzen um drei zentrale Begriffe der Familienaufstel-
lung nach Hellinger näher zu beleuchten. Dies wird mit der Absicht unternommen,
ein tiefer greifendes Verständnis zum Ansatz sowie zur therapeutischen Haltung Hel-
lingers und seiner Anhänger
20
zu erlangen bzw. zu vermitteln.
3.3.1 Ordnung
Ein wichtiger Aspekt in Hellingers Konzept der Familieaufstellung ist der Begriff der
Ordnung (vgl. Franke, 1997, S. 91). Er geht in seinem Ansatz davon aus, dass in so-
20
Wie z. B. die Autoren Hausner, Weber und Schneider (siehe Literaturverzeichnis).
11

zialen Systemen
21
eine so genannte ,,Ursprungsordnung" besteht (vgl. von Schlip-
pe/Schweitzer, 2007, S. 43). Diese Ordnung
22
beruht auf der zeitlichen Abfolge. Das
heißt, die Familienmitglieder, die zuerst im System waren, haben Vorrang vor denen,
welche nach ihnen kommen (vgl. Franke, 1997, S. 91). Somit haben die Eltern Vor-
rang vor ihren Kindern und das erstgeborene Kind Vorrang vor dem zweitgeborenen
Kind usw. (vgl. Hausner, 2008, S.18). Schneider nennt diese Art der Ordnung
,,Grundordnung" oder ,,Rangordnung" (vgl. Schneider, 2006, S. 91-92). Die Ge-
schwisterreihe muss eingehalten werden, das heißt, dass kein Geschwisterteil aus
der Reihe ausgeschlossen werden darf. Keinem Mitglied der Familie darf die Zuge-
hörigkeit sowie der rechtmäßige Platz verweigert werden (vgl. Franke, 1997, S. 91).
Bei der Gegenwarts- und der Herkunftsfamilie ist diese Ordnung umgekehrt. Hier hat
das aktuelle Familiensystem
23
Vorrang vor dem vorherigen Familiesystem
24
(vgl.
Franke, 1997, S. 91). Den Grund für diese Rangordnung kann Weber nicht erklären,
er bezeichnet ihn als Erfahrungswert seiner therapeutischen Arbeit (vgl. Weber,
2007, S. 142). Trotz der Vorrangstellung der Gegenwartsfamilie müssen frühere
Ehen und Partnerschaften der Eltern als solche anerkannt werden (vgl. Franke,
1997, S. 91).
Zwischen den Eltern besteht eine individuelle Rangfolge. Da die Elternbeziehung
zeitgleich beginnt, sind sie im Sinne der Ursprungsordnung stets ebenbürtig. Ihre
Rangfolge ergibt sich aus der Funktion, beispielsweise wer für die Sicherheit verant-
wortlich ist (vgl. Schneider, 2006, S. 50). Orban sieht dies so, dass der eine Partner
mehr für die Sicherheit des Systems zuständig ist als der Andere. Dabei ist es egal,
ob diese Funktion der Mann oder die Frau inne hat, der Andere muss folgen. Orban
ist jedoch aufgrund von therapeutischen Erfahrungswerten der Ansicht, dass es das
Beste für das System ist, wenn der Mann führt und die Frau folgt (vgl. Orban, 2008,
S. 102).Hellinger selbst stellt den Begriff der Zugehörigkeit innerhalb des Familien-
systems in Bezug auf die Ordnung so dar:
21
Zumindest im westlichen Kulturkreis.
22
Oder auch ,,Rang" (vgl. von Schlipppe/Schweitzer, 2007, S. 43).
23
Die Gegenwartsfamilie.
24
Die Herkunftsfamilie.
12

Details

Seiten
Erscheinungsform
Erstausgabe
Erscheinungsjahr
2011
ISBN (PDF)
9783956849572
ISBN (Paperback)
9783956844577
Dateigröße
688 KB
Sprache
Deutsch
Institution / Hochschule
Hochschule Bremen
Erscheinungsdatum
2015 (Februar)
Note
2,3
Schlagworte
Familientherapie Familienberatung Familienaufstellung Familienskulptur Soziale Arbeit
Produktsicherheit
BACHELOR + MASTER Publishing

Autor

Ricus Thielbörger, geb. 1987 in Bremerhaven, studierte von 2007 bis 2011 Soziale Arbeit an der Fakultät für Gesellschaftswissenschaften der Hochschule Bremen. 2011 bis 2012 absolvierte er ein Anerkennungsjahr zum Sozialarbeiter/-pädagoge im Bereich der stationären Drogentherapie sowie in der Existenzsicherung des Amtes für Soziale Dienste der Freien Hansestadt Bremen. Seit April 2012 ist der Autor als Sozialarbeiter/-pädagoge im ambulant betreuten Wohnen für psychisch kranke Jugendliche und junge Erwachsene in Bremen tätig und absolvierte 2013 eine Fortbildung zur Kinderschutzfachkraft (gemäß § 8a SGB VIII).
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