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Kaizen beim Automobilhersteller Toyota: Möglichkeiten des Managementkonzepts für europäische Unternehmen

©2007 Diplomarbeit 44 Seiten

Zusammenfassung

Mit immer wieder neuen Rekordgewinnen steht der japanische Automobilhersteller Toyota an der Spitze des weltweiten Automobilmarktes. Das Managementkonzept Kaizen stellt dabei, mit der Philosophie kontinuierlicher Verbesserungen bei der Qualität, der Optimierung von Prozessen und bei der Minimierung von Kosten, einen wichtigen Faktor für den Erfolg des Unternehmens dar.
Auch wenn das Kaizen-Konzept schon in den 80er und 90er Jahren in Europa bekannt wurde, ist es ein aktuelles Thema. Insbesondere vor dem Hintergrund des Umbruchs in der Automobilbranche, in Europa und auch weltweit in den letzten zwei bis drei Jahren, sollten die Ursachen für den Erfolg von Toyota genauer betrachtet werden. Die anhaltenden Krisen bei General Motors und Ford, Bestechungs- und Korruptionsaffären bei Volkswagen und die rückgängig gemachte Fusion von Daimler und Chrysler geben hierzu Anlass.
Ziel dieser Arbeit ist es, das Managementkonzept Kaizen darzustellen und die wesentlichen gesetzlichen und sozialen Rahmenbedingungen der japanischen Kultur, die den Erfolg des Konzepts bei Toyota gewährleisten, zu identifizieren. Daraus sollen mögliche Anpassungen sowie die Grenzen der Übertragbarkeit des Konzepts auf die europäische Kultur herausgearbeitet werden.

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


2.3.2 Die Anwendung des Konzepts bei Toyota

Die Philosophie des Kaizen findet bei Toyota Eingang in deren Unternehmensphilosophie. Auf Grundlage der Guiding Principles stützt sich der "Toyota Way" auf zwei Pfeiler: kontinuierliche Verbesserung und Respekt vor den Menschen.[1] Kaizen gehört damit bei Toyota zum Alltag und das Unternehmen ist ständig bestrebt, Produkte, Prozesse, Mitarbeiter, letztlich das gesamte Unternehmen zu verbessern. Dabei liegt der Fokus auf den Mitarbeitern, die die Möglichkeit durch entsprechende Ausbildung und Weiterentwicklung, aber auch die Verantwortung haben, durch ihre Mitwirkung zu Verbesserungen beizutragen.[2]

Bereits 1951 wurde ein Vorschlagswesen eingeführt, welches sich an gewonnenen Erkenntnissen über das Vorschlagswesen bei Ford in den USA orientierte[3]. Die Anzahl der Vorschläge nahm seitdem kontinuierlich zu und trägt heute wesentlich zum Erfolg des Unternehmens bei. Durch Anleitungen und Schulungen werden die Mitarbeiter in die Lage versetzt, sinnvolle und durchdachte Verbesserungsvorschläge abzugeben.[4]

Die Einführung einer umfassenden Qualitätskontrolle (Total Quality Control) erfolgte bei Toyota unternehmensweit in den Jahren 1961 bis 1966. Eigenständige Qualitätszirkel entstanden 1975. Hierbei handelt es sich um Aktivitäten kleiner Gruppen, die sich neben der Qualitätskontrolle auch mit umfassenden Verbesserungsaktivitäten beschäftigen.[5] Ein Beispiel für eine gut funktionierende Qualitätskontrolle zeigt sich in der Tatsache, dass Toyota in der Endfertigung fasst keine Zonen zur Nacharbeitung mehr besitzt. Fehler werden direkt beim entsprechenden Produktionsvorgang entdeckt und nicht bis zur Endmontage mitgeschleift. Im Gegensatz dazu verwenden andere Automobilhersteller noch bis zu 20 Prozent der Fabrikfläche beziehungsweise 25 Prozent der gesamten Arbeitszeit für die Fehlerbeseitigung.[6]

Insbesondere findet das Kaizen-Konzept im Toyota-Produktionssystem seine praktische Umsetzung. Auf Grund des hohen Stellenwertes des Systems im Unternehmen soll dieses nun in einem eigenen Abschnitt beleuchtet werden.

2.4 Das Toyota-Produktionssystem im Kontext zu Kaizen

2.4.1 Historische Entwicklung des Toyota-Produktionssystems

Das Toyota-Produktionssystem (TPS) geht auf Taiichi Ohno zurück, welcher 1932 zu Toyota kam und seit 1947 als Fertigungsleiter in Toyota City, damals noch Komoro, arbeitete. Später wurde er Executive Vice President bei TMC. Er begann bereits Ende der 30er Jahre mit der Entwicklung des TPS, aber erst in den 60er Jahren erfolgte eine durchgängige Umsetzung des Systems.[7]

Die Entstehung des TPS geht auf die Fließbandproduktion bei Ford zurück. Im Jahr 1950 wurde das Ford River Rouge Werk in den USA von Toyota besichtigt. Die dort vorgefundene Massenproduktion mit Fließbandarbeit, Arbeitsteilung und Normierung von Teilen sollte an die Situation in Japan angepasst und weiterentwickelt werden.[8] Denn kurz nach dem zweiten Weltkrieg sah sich Toyota einer geringen Nachfrage nach Automobilen gegenüber und war so gezwungen, verschiedene Modelle in niedrigen Stückzahlen zu geringen Kosten zu produzieren. Für eigene Produktionsanlagen je Modell war kein Kapital vorhanden. Das Toyota-Produktionssystem entstand in dieser Zeit aus der wirtschaftlichen Notwendigkeit heraus, mit wenigen Ressourcen und begrenzter Kapitalausstattung einen schnellen Umschlag des eingesetzten Kapitals zu erreichen.[9]

Das TPS erfuhr im Zeitablauf eine kontinuierliche Verbesserung. Erst in den 70er Jahren, nach der Ölkrise 1973, wurde das TPS aber auch außerhalb von Japan bekannt. Bei Toyota hatte man in dieser Zeit weit weniger mit dem Rückgang von Gewinnen zu kämpfen als bei anderen Unternehmen. Mit Hilfe des TPS konnte man hier flexibel auf den einsetzenden Nachfragerückgang reagieren. Auf Grund dieses Erfolges wurde dem System nun mehr Aufmerksamkeit zuteil.[10] Besonders in der viel beachteten und diskutierten MIT-Studie von 1990 sehen Womack et. al. im TPS die Lösung für Probleme westlicher Automobilhersteller. Sie setzen das Toyota-Produktions­system mit schlanker Produktion gleich und sehen darin die Verbindung von Vorteilen der handwerklichen und der Massenproduktion.[11] Diese Gleichsetzung wird in der Literatur diskutiert und zum Teil angezweifelt[12]. Ungeachtet dessen wird dem TPS auch heute noch großes Interesse beigemessen.

2.4.2 Kernelemente des Toyota-Produktionssystems

Das Ziel des TPS ist es, eine höhere Wirtschaftlichkeit und Produktivität bei der Produktion zu erreichen. Dabei stützt sich das System auf zwei Säulen.[13]

Just-in-Time als erste Säule eröffnet die Möglichkeit, Verschwendung (Muda), Unzweckmäßigkeiten beziehungsweise Überlastungen (Muri) sowie Ungleichmäßigkeiten (Mura) zu vermeiden und die Effizienz zu steigern, indem Güter zur richtigen Zeit in der benötigten Menge in der Produktion bereitgestellt werden[14]. Bei der Klassifizierung von Muda unterteilt Toyota den Produktionsprozess in nicht zur Wertschöpfung beitragende, zur Wertschöpfung beitragende sowie nicht zur Wertschöpfung beitragende, aber unverzichtbare Tätigkeiten, wobei erstere vermieden werden müssen. Die sieben Arten der Verschwendung im Sinne des Kaizen-Konzepts wurden bereits unter Punkt 2.3.1 vorgestellt. Muri stellt Probleme bei Qualität und Sicherheit durch zu hohe, nicht optimale Auslastung von Maschinen und Arbeitern dar. Bei Mura handelt es sich um eine Kombination aus Muda und Muri, die bei Unregelmäßigkeiten im Produktionsablauf entsteht. Die so genannten "3M" sollen vermieden werden. Ziel ist eine eher langsamere und kontinuierliche, als eine schnelle, überlastete und störanfällige Produktion.[15]

Die zweite Säule ist die autonome Automation. Diese geht über die einfache Automation hinaus. Einer Maschine wird eine Art menschlicher Intelligenz in Form eines Gerätes eingebaut, welches die Maschine bei auftretenden Problemen automatisch stoppt. Dadurch ist es möglich, dass ein Arbeiter mehrere Maschinen gleichzeitig bedienen kann. Er muss nur eingreifen, wenn eine Maschine auf Grund eines Problems anhält. So ist eine Einsparung von Arbeitskräften und damit verbunden eine Erhöhung der Produktivität möglich. Zugleich wird die Herstellung fehlerhafter Teile vermieden. Die Stärke des Toyota-Produktionssystems liegt dabei in der Kombination der beiden Säulen.[16]

Darüber hinaus ist der Einsatz von Standard-Arbeitsverfahren zur Eliminierung von fehlerhaften Teilen und Arbeitsabläufen ein wichtiger Teil des Toyota-Produktionssystems. Unter Einbeziehung der Ideen der Mitarbeiter werden Standard-Arbeitsblätter für jeden Arbeitsplatz entwickelt und ständig verbessert. Sie enthalten Informationen über die Taktzeit, also die Zeit für die Herstellung eines bestimmten Werkstückes, über die Arbeitsabfolge, sprich die Reihenfolge der Arbeitsgänge, sowie Informationen über den Standard-Lagerbestand, welcher zur Ausführung des entsprechenden Arbeitsschrittes notwendig ist. Diese Standardisierung von Arbeitsabläufen trägt ebenfalls zur Erhöhung der Produktivität bei. Auch neu eingestellte Arbeiter lernen hierdurch schnell, unnötige Bewegungen und fehlerhafte Teile zu vermeiden. Dabei ist die Standardisierung nicht nur auf den Fertigungsbereich beschränkt, sondern umfasst sämtliche Bereiche des Unternehmens.[17] Hierbei handelt es sich also ebenfalls um eine Aktivität im Rahmen des Kaizen-Konzepts.

Das Instrument für die Umsetzung des TPS ist das Hilfsmittel kanban (übersetzt: Schildchen). Das kanban ist dabei ein Blatt Papier, welches Entnahme-, Transport- sowie Produktionsinformationen für jedes Teil im Produktionsprozess mit sich führt und den Güterfluss kontrolliert. Es erfolgt dabei eine Betrachtung des gesamten Produktionsprozesses vom Endpunkt aus. Ein nachgelagerter Produktionsprozess holt sich jeweils nur die Teile beim vorgelagerten Prozess ab, die er tatsächlich benötigt (Pull-System). Teile kommen also "just in time" an, wenn sie gerade zur Verarbeitung gebraucht werden. Damit wird Überproduktion beseitigt. Zusätzliche Lagerbestände sind nicht notwendig. Kosten können eingespart werden.[18]

Das kanban-System wurde 1962 unternehmensweit eingeführt. In den darauf folgenden Jahren bis 1965 erfolgte die Einbindung sämtlicher Zulieferer von Toyota in das System. Diese mussten nun ihre Lieferungen entsprechend "just in time" gestalten. Später erhielten Zulieferer die Möglichkeit, direkt an die Fließbänder zu liefern.[19]

Ein wichtiger Aspekt für das Funktionieren des Just-in-Time-Prinzips ist die Glättung des Fertigungsflusses, Produktionsnivellierung genannt. Auf schwankende Nachfrage auf dem Automobilmarkt muss mit niedrigen Losgrößen flexibel reagiert werden können, um eine gleichmäßige Auslastung der Produktion zu erreichen. Bei Toyota wurde dies durch die kontinuierliche Verkürzung der Umrüstzeiten möglich.[20]

Bestandteil des TPS ist auch das firmeninterne Toyota-Informationssystem, welches für die Produktionsnivellierung sowie für das Funktionieren der Just-in-Time-Fertigung die technische Grundlage darstellt. Dabei wird besonders darauf geachtet, dass keine unbeherrschbare Informationsflut entsteht und überflüssige Informationen zurückgehalten werden. Somit herrscht auch hier ein Just-in-Time-Prinzip vor. Informationen kommen also nur dort an, wo sie benötigt werden. Bei der Montage der Autos führen diese selbst alle wichtigen Information immer mit sich.[21]

Insgesamt wird das TPS durch Mitarbeitervorschläge ständig verbessert und an aktuelle Gegebenheiten angepasst. Dieses betriebliche Vorschlagswesen, die Vermeidung von Verschwendung sowie die Standardisierung und das Just-in-Time-Prinzip als wesentliche Elemente des TPS stellen wichtige Kernpunkte der Kaizen-Unternehmensphilosophie von Toyota dar.[22]

Dabei ist das TPS nicht nur eine Sammlung dieser Elemente, die miteinander kombiniert die Effizienz von Produktionen steigern. Vielmehr muss hierfür auch das Grundverständnis für die Toyota-Prinzipien gelebt werden. Das bedeutet, die Menschen in den Mittelpunkt zu stellen und ihnen Instrumente zur kontinuierlichen Verbesserung an die Hand zu geben.[23]

Die Unternehmensethik beziehungsweise -kultur von Toyota gilt dabei als wichtige Basis für die Umsetzung des TPS und damit auch für die Kaizen-Philosophie.

2.5 Die Unternehmenskultur bei Toyota als Erfolgsfaktor

Die Kultur des Unternehmens wurde und wird geprägt durch "die bemerkenswerte Einheitlichkeit im Führungsverständnis und in der Philosophie über die gesamte Unternehmensgeschichte hinweg"[24].

Gemäß der Unternehmensphilosophie im Rahmen der Guiding Principles von Toyota sieht das Unternehmen seine Aufgabe darin, durch das Herstellen von qualitativ hochwertigen, sicheren und umweltfreundlichen Automobilen einen Beitrag zum Gemeinwohl der Gesellschaft zu leisten. Dabei spielt der Respekt vor den Menschen, speziell den Mitarbeitern und Geschäftspartnern gegenüber, eine große Rolle. Toyota schreibt sich sichere und faire Arbeitsbedingungen auf die Fahnen, fördert Kreativität und Teamarbeit. Verantwortung und gegenseitiges Vertrauen zwischen Unternehmen und Mitarbeitern sind ebenfalls wichtige Bestandteile der Guiding Principles. Gegenüber Anteilseignern wird auf langfristiges und stabiles Wachstum, nicht auf kurzfristige Gewinne gesetzt.[25]

Diese Unternehmenskultur wurde stark von den Mitgliedern der Gründerfamilie geprägt und jeweils von den Führungspersönlichkeiten im Zeitablauf weiterentwickelt, ohne die Grundzüge radikal zu verändern. Die Kultur ist also über Jahrzehnte kontinuierlich gewachsen.[26] Auch wenn die Hälfte der Konzernführer seit Gründung aus der Toyoda-Familie stammt, zählt bei der Ernennung der Konzernchefs jedoch nur deren Leistung innerhalb des Konzerns, nicht die Verbundenheit mit der Gründerfamilie. So ist auch der aktuelle Konzernchef Katsuaki Watanabe nicht Mitglied der Gründerfamilie, aber ein langjähriger und verdienter Mitarbeiter des Unternehmens.[27]

Neue Mitarbeiter werden bei Toyota zum großen Teil direkt von der Universität rekrutiert und im Unternehmen durch Aus- und Weiterbildung auf ihr Aufgabengebiet vorbereitet. Dies beinhaltet die fachliche Qualifikation einerseits, das Erlernen und Verinnerlichen der Unternehmenskultur andererseits. Es handelt sich dabei um keine formale Ausbildung im eigentlichen Sinne, sondern um einen kontinuierlichen Prozess "on the job". So werden auch Führungskräfte bei Toyota nicht extern eingestellt, sondern bei Eignung im Unternehmen über längere Zeit auf diese Aufgabe hin geschult. Lediglich für Spezialkräfte, beispielsweise für den IT-Bereich, erfolgt eine externe Rekrutierung, soweit diese im Konzern selbst nicht vorhanden sind. Insgesamt herrscht eine hohe Arbeitsmoral. Teamarbeit und Kollegialität sind alltäglich. Gründe hierfür liegen in der Sicherheit des Arbeitsplatzes und des Einkommens. Daneben binden Sozialleistungen wie Mitarbeiterwohnungen, Kinderbetreuungseinrichtungen und Freizeitangebote die Mitarbeiter zusätzlich an das Unternehmen. Das Engagement der Mitarbeiter für ihren Arbeitsplatz im Rahmen des Vorschlagswesens zahlt sich auch monetär in Form von Prämien und Vergütungen aus. Auf der anderen Seite wird von den Arbeitnehmern auch erwartet, das Firmeninteresse vor private Interessen zu stellen. Dies leben die Konzernführer auch vor. So werden zum Teil Krisen künstlich heraufbeschworen, um die Mitarbeiter ständig ihr Bestes geben zu lassen.[28]

Dass die von Toyota dargestellte Unternehmensphilosophie auch praktisch gelebt wird, zeigt sich insbesondere im Vorschlagswesen. Die Anzahl der jährlich eingereichten Vorschläge von den rund 60.000 Mitarbeitern betrug im Jahr 2005 beispielsweise 550.000, davon wurden über 90 Prozent umgesetzt.[29]

Daneben konnten durch hohe Investitionen in Forschung und Entwicklung zum Beispiel im Jahr 2004 die Entwicklungszeiten von Automobilen auf 24 Monate verkürzt werden. Bei der Konkurrenz benötigt man hierfür durchschnittlich 36 Monate.[30] Toyota sieht die Menschen als wertvollste Ressource des Unternehmens an. Nur die qualifizierten Mitarbeiter vor Ort sind befähigt, Probleme zu erkennen und zu lösen und so zu kontinuierlichen Verbesserungen beizutragen.[31]

Natürlich ist hierzu kritisch anzumerken, dass es auch bei Toyota Fälle von Mobbing gibt, wenn Mitarbeiter sich nicht einem Team unterordnen können. Auch treten private und familiäre Probleme bei den Mitarbeitern auf, bedingt durch lange Arbeitszeiten und wenig Familienleben.[32]

Trotzdem stellt bei Toyota die Unternehmenskultur neben der kontinuierlichen Verbesserung im Rahmen des Kaizen-Konzepts einen wichtigen Faktor für den Erfolg des Unternehmens dar. Eine Betrachtung der Verbreitung und des Erfolgs in der Anwendung des Kaizen-Konzepts in Europa folgt anschließend. Dabei wird auf gesetzliche und soziale Rahmenbedingungen der europäischen und der japanischen Kultur eingegangen.

3 Das Kaizen-Konzept in Europa

3.1 Die Umsetzung von Kaizen in Europa

3.1.1 Probleme und Misserfolge bei der Umsetzung

In Europa sind Kaizen beziehungsweise Konzepte der kontinuierlichen Verbesserung auch unter den Namen KVP (Kontinuierlicher Verbesserungsprozess) oder CIP (Continuous Improvement Process) bekannt. Versuche, das japanische Managementkonzept Kaizen in europäischen Unternehmen zu realisieren, begannen größtenteils nach 1991, dabei schwerpunktmäßig in der Produktion und der Logistik.[33] So wurde beispielsweise das Just-in-Time-System mit einigen Anpassungen als ein Teilaspekt des Kaizen-Konzepts bei Automobilherstellern in Europa erfolgreich eingeführt. Hierzu zählen die Unternehmen BMW und VW in Deutschland sowie Peugeot und Renault in Frankreich.[34] Volkswagen sah bereits im Jahr 1989 Potentiale zur Kostensenkung im Kaizen-Konzept und führte es unter dem Namen KVP ein. Auch der Bosch-Konzern begann frühzeitig mit der Einführung, unter dem eher selten verwendeten Namen CIP.[35]

Auch wenn Teile des Kaizen-Konzeptes erfolgreich umgesetzt wurden, zeigen die folgenden Darstellungen, dass die im Sinne der ganzheitlichen Kaizen-Philosophie angestrebten langfristigen Verbesserungen ausblieben.

Mit dem personenorientierten Segment des Kaizen-Konzepts ist grundsätzlich das Betriebliche Vorschlagswesen (BVW) in Deutschland vergleichbar[36]. Das personenorientierte Kaizen geht aber über das BVW in Europa generell hinaus, da hier bereits die allerkleinsten Verbesserungen gewürdigt und honoriert werden.[37] Die Weiterentwicklung eines bestehenden BVW zu einem Vorschlagswesen im Sinne des Kaizen-Konzepts scheitere beispielsweise beim Unternehmen Weidmüller Interface GmbH & Co. an der unzureichenden Integration des Konzepts in die Unternehmenskultur. Das Unternehmen zeigte zwar grundsätzlich Interesse am BVW, jedoch wurde den Mitarbeitern nicht klar vermittelt, dass und in welcher Form Verbesserungsvorschläge gewünscht sind.[38] So ist es in deutschen Großunternehmen dann auch durchaus möglich, dass eingereichte Verbesserungsvorschläge im Rahmen eines BVW mehrere Jahre zur Bearbeitung brachliegen[39]. Vergleicht man die Anzahl der Verbesserungsvorschläge pro Mitarbeiter in Japan und in Deutschland, zeigt sich, dass hierzulande Mitarbeiterpotentiale für Verbesserungen ungenutzt bleiben[40].

Als gruppenorientiertes Segment des Kaizen-Konzepts war in Deutschland die Einführung von Gruppenarbeit beispielsweise bei Opel problematisch, da sich unter den Mitarbeitern durch die erhöhten Leistungsanforderungen eine belastende Gruppendynamik entwickelte. Diese wirkte sich negativ aus und führte zu Unzufriedenheit bei den Arbeitnehmern. Bei Pilotversuchen an den Standorten Rüsselsheim und Bochum gingen zwar nach Einführung von Gruppenarbeit die Fehlzeiten zurück, jedoch nur kurzfristig für die Dauer des Versuches. In einem Bildröhrenwerk des Philips-Konzerns in Österreich führte die Einführung von Gruppenarbeit zwar dazu, dass sich die Wirtschaftlichkeit erhöhte, andere mitarbeiterorientierte Faktoren blieben jedoch auf der Strecke.[41]

Die angeführten Beispiele zeigen, dass in den Unternehmen offenbar meist nur Insellösungen realisiert, also nur Teilaspekte des Kaizen-Konzepts umgesetzt werden konnten und keine Veränderung in den Köpfen, also in der Unternehmenskultur stattfand. Dies führte eben nicht zum gewünschten Erfolg. Die Ursachen hierfür sollen näher untersucht werden.

[...]


[1] vgl. Toyota Motor Corporation, Toyota world, 2007, S. 6

[2] vgl. Becker, H., Phänomen, 2006, S. 211-212

[3] vgl. Yasuda, Y., Mitarbeiterkreativität, 1994, S. 76

[4] vgl. Yasuda, Y., Mitarbeiterkreativität, 1994, S. 56-59

[5] vgl. Yasuda, Y., Mitarbeiterkreativität, 1994, S. 61-63

[6] vgl. Womack, J., Revolution, 1992, S. 63-63

[7] vgl. Becker, H., Phänomen, 2006, S. 60-61

[8] vgl. Becker, H., Phänomen, 2006, S. 264-266

[9] vgl. Liker, J., Toyota Weg, 2007, S. 49

[10] vgl. Becker, H., Phänomen ,2006, S. 290-291

[11] vgl. Womack, J., Revolution, 1992, S. 19

[12] vgl. Rudolph, H., Erfolgsfaktoren, 1996, S. 187-189

[13] vgl. Ohno, T., Toyota-Produktionssystem, 1993, S. 30

[14] vgl. Ohno, T., Toyota-Produktionssystem, 1993, S. 153

[15] vgl. Becker, H., Phänomen, 2006, S. 302-304

[16] vgl. Ohno, T., Toyota-Produktionssystem, 1993, S. 33-35

[17] vgl. Ohno, T., Toyota-Produktionssystem, 1993, S. 47-49

[18] vgl. Ohno, T., Toyota-Produktionssystem, 1993, S. 52-56

[19] vgl. Rudolph, H., Erfolgsfaktoren, 1996, S. 191

[20] vgl. Ohno, T., Toyota-Produktionssystem, 1993, S. 64-67

[21] vgl. Ohno, T., Toyota-Produktionssystem, 1993, S. 76-79

[22] vgl. Becker, H., Phänomen, 2006, S. 212-214

[23] vgl. Liker, J., Toyota Weg, 2007, S. 67

[24] Liker, J., Toyota Weg, 2007, S. 42

[25] vgl. Toyota Motor Corporation, Toyota world, 2007, S. 2-3

[26] vgl. Becker, H., Phänomen, 2006, S. 134-135

[27] vgl. Liker, J., Toyota Weg, 2007, S. 47

[28] vgl. Becker, H., Phänomen, 2006, S. 217-221

[29] vgl. Köhler, A., Fliegende Autos, 2006, S. 41

[30] vgl. Becker, H., Phänomen, 2006, S. 215

[31] vgl. Becker, H., Phänomen, 2006, S. 225-226

[32] vgl. Becker, H., Phänomen, 2006, S. 234-238

[33] vgl. Schwager, M., Reengineering, 1997, S. 17

[34] vgl. Park, S., Auseinandersetzung, 1990, S. 13

[35] vgl. Yasuda, Y., Mitarbeiterkreativität, 1994, S. 20

[36] vgl. Schwager, M., Reengineering, 1997, S. 145

[37] vgl. Urban, C., Vorschlagswesen, 1994, S. 61

[38] vgl. Urban, C., Vorschlagswesen, 1994, S. 92-93

[39] vgl. Schwager, M., Reengineering, 1997, S. 128

[40] vgl. Yasuda, Y., Mitarbeiterkreativität, 1994, S. 18

[41] vgl. Rudolph, H., Erfolgsfaktoren, 1996, S. 227-228

Details

Seiten
Erscheinungsform
Erstausgabe
Jahr
2007
ISBN (PDF)
9783956849732
ISBN (Paperback)
9783956844737
Dateigröße
4.3 MB
Sprache
Deutsch
Institution / Hochschule
FernUniversität Hagen
Erscheinungsdatum
2015 (Februar)
Note
2
Schlagworte
Qualitätsmanagement kontinuierliche Verbesserung Automobilhersteller Japan Europa

Autor

Anett Broscheit schloss ihr Studium der Wirtschaftswissenschaft an der Fernuniversität Hagen im Jahr 2007 mit dem akademischen Grad der Diplom-Kauffrau ab.
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