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Partizipation in offenen Kinder- und Jugendeinrichtungen: Utopie oder Alltagspraxis

©2011 Bachelorarbeit 67 Seiten

Zusammenfassung

Die Forderung nach einer intensiveren Beteiligung von Kindern und Jugendlichen tritt laut Pluto immer mehr in den Vordergrund, da die Heranwachsenden die Gesellschaft der Zukunft sind (vgl. Pluto, 2007: 9). Partizipation gilt als Schlüssel dafür, dass junge Menschen soziale, kulturelle und politische Grunderfahrungen machen und dadurch befähigt werden, ihre Zukunft unabhängig und selbstbewusst mitzugestalten. Eine nachhaltige Demokratieentwicklung sowie die Schaffung individueller Bildungschancen sind dabei ebenso zentral, wie die Förderung sozialer Integration (vgl. Fatke/Schneider/Meinhold-Henschel/ Biebricher, 2006: 26).
In der folgenden theoretischen Abhandlung wird deshalb der Fragestellung nachgegangen, ob die offene Kinder- und Jugendarbeit den Anforderungen bzw. gesetzlichen Grundlagen und Zielsetzungen von Partizipation gerecht werden kann, welche Voraussetzungen es dafür braucht und welche möglichen Grenzen in der Umsetzung auftauchen.

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


3.1.2 Transnationale und internationale Partizipationsrechte

Zu den transnationalen und internationalen Partizipationsrechten zählen die Grundrechtecharta der Europäischen Union (EU) und die UN-Kinderrechtskonvention (UN-KRK).

Die Grundrechtecharta enthält Rechte und Freiheiten für alle Menschen, die innerhalb dieser Gemeinschaft leben. Die am 7.12.2000 beschlossene Charta erhielt allerdings erst 2009, mit dem Inkrafttreten des Vertrages von Lissabon, ihre Rechtsgültigkeit als europäisches Primarrecht (vgl. Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, 2010: 9). In Artikel 24 wird festgehalten, dass Kinder „ihre Meinung frei äußern“ (Grundrechtecharta, Art. 24) können und diese auch bei sie betreffenden Angelegenheiten, unter Berücksichtigung von Alter und Reife, berücksichtigt werden soll.

1989 wurde von den Vereinten Nationen das ‚Übereinkommen über die Rechte des Kindes‘ verabschiedet. Die sogenannte UN-Kinderrechtskonvention ist zwar „völkerverbindlich“ (Rätz-Heinisch/Schroer/Wolff, 2009: 49), kann aber als „zwischen-staatliches Recht (…) keine innerstaatliche Geltung beanspruchen“ (ebd., 2009: 50). Das heißt, die Kinderrechte können nicht eingeklagt werden. Die Konvention wurde 1990 von Deutschland unterzeichnet und trat 1992 in Kraft (vgl. ebd., 2009: 49). Obwohl sich Deutschland mit dieser Ratifizierung verpflichtet hat, die Gesetzgebung den Vorgaben der UN-KRK anzupassen (vgl. Liebel, 2007: 44), gibt es bis dato noch immer keine gesetzliche Verankerung der Kinderrechte im deutschen Grundgesetz. Positiv ist allerdings zu vermerken, dass die Konvention ein Umdenken in unterschiedlichen Organisationen dahingehend ausgelöst hat, sich mehr an den Kinderrechten zu orientieren (vgl. ebd., 2007: 143).

Durch die Betonung von Partizipation und Selbstbestimmung geht die UN-KRK „weit über reine Schutz-, Sorge- und Versorgungsrechte als vorauszusetzende Grundrechte hinaus“ (Bredow/Durdel, 2003:82). Konkrete Partizipationsrechte sind mehrfach verankert: Berücksichtigung des Kindeswillen (Art. 12), Meinungs- und Informationsfreiheit (Art. 13), Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit (Art. 14), Vereinigungs- und Versammlungsfreiheit (Art. 15) sowie die Sicherung eines adäquaten Medienangebotes unter Berücksichtigung des Kinder- und Jugendschutzes (Art. 17). Die Kinderrechtskonvention gilt für alle jungen Menschen, die „das achtzehnte Lebensjahr noch nicht vollendet“ (UN-KRK, Art. 1) haben.

Kritisch betrachtet enthält die UN-KRK allerdings gleichzeitig sehr spezifische Einschränkungen, was die Partizipation der Heranwachsenden betrifft. So beschränken sich die Beteiligungsrechte bei der freien Meinungsbildung, -äußerung und -berücksichtigung auf Angelegenheiten, welche die Heranwachsenden direkt betreffen, unter Maßgabe der Fähigkeit, dass sie sich eine eigene Meinung bilden können (vgl. UN-KRK, Art. 12). Diese vielseitig interpretierbare Formulierung begünstigt sehr unterschiedliche Sichtweisen, wenn es darum geht, wie Kinder und Jugendliche konkret beteiligt werden können und sollen.

3.2 Gesellschaftspolitische Partizipationsforderung

„Durch die demografische Entwicklung werden junge Menschen in Deutschland zunehmend zu einer Minderheit. Es müssen Möglichkeiten gefunden werden, diejenigen, welche in Zukunft diese Gesellschaft und ihr demokratisches System tragen und weiterentwickeln sollen, frühzeitig einzubeziehen.“ (Mecklenburg, 2008: 5).

Diese Aussage des stellvertretenden Vorsitzenden des Landesjugendrings Nordrhein-Westfalen fasst sehr gut zusammen, welchem Grundproblem die Partizipationsförderung im gesellschaftspolitischen Kontext entgegenwirken soll.

Untersuchungen zeigen (u.a. die 16. Shell Jugendstudie 2010[1] ), dass den Kindern und Jugendlichen das „Vertrauen in das demokratische System, politisches Interesse und das Wissen um Rechte und konkrete Beteiligungsmöglichkeiten“ (Quitzau, o.J.) fehlt. Sie erkennen weder Zusammenhänge zwischen der Ausübung demokratischer Rechte und politischer Veränderungen noch zwischen gesellschaftspolitischem Engagement und ihrer eigenen individuellen Entwicklung (vgl. ebd.).

Eine 2007 durchgeführte Studie des Deutschen Kinderhilfswerks bestätigt, dass viele Erwachsene, die sich ehrenamtlich oder politisch engagieren, dies bereits in ihrer Kindheit oder Jugend taten. Wenn Heranwachsende also bereits in frühen Jahren positive Partizipationserfahrungen machen, die immer auch eng mit (gesellschaftlichem) Engagement zusammenhängen, so hat dies auch Folgen für die weitere persönliche und gesellschaftliche Entwicklung (vgl. Meinhold-Henschel/Schack, 2008: 362 f).

Pluto betont, dass Partizipation im Bezug auf die sozialpolitische Forderung „ein Weg der Sicherung“ (Pluto, 2007: 18) von Demokratie sowie der Förderung ehrenamtlichen Engagements sein soll. Da die heutigen Kinder und Jugendlichen im Erwachsenenalter Verantwortung für und in der Gesellschaft übernehmen müssen, ist es wichtig, ihnen durch eine aktive Mitbestimmung und Mitgestaltung ein demokratisches Bewusstsein näher zu bringen (vgl. Debiel, 2002: 84) und ihnen praktisch zu veranschaulichen, welche Möglichkeiten sie haben, ihre Zukunft aktiv zu beeinflussen. Kinder und Jugendliche müssen befähigt werden, die Welt und damit ihre eigene Zukunft nach ihren Vorstellungen mitzugestalten (vgl. BMFSFJ, 2006: 59).

Laut Schäfer[2] werden bis 2015 „nur noch 19 % der Gesamtbevölkerung jünger als 18 Jahre“ (Schäfer, 2008: 10) sein. Dieser demographische Wandel bedeutet für die Heranwachsenden, dass sie es als Minderheit schwer haben werden, ihre Anliegen kundzutun und zu verwirklichen. Nicht nur aufgrund der Generationengerechtigkeit wäre es wichtig, dass Kinder und Jugendliche möglichst früh lernen, wie sie ihre Interessen, Wünsche und Bedürfnisse einbringen und einfordern können (vgl. Schäfer, 2008: 11).

Ein anderer gesellschaftspolitischer Grund, warum die Partizipation von Heranwachsenden stärker gefördert werden soll ist, dass gerade ihre kindliche Unvoreingenommenheit gegenüber neuem Wissen und neuen Handlungsorientierungen eine zentrale Basis für die Bewältigung zukünftiger gesellschaftlicher Herausforderungen bietet (vgl. Roth, 2008: 35).

Die besondere Chance, die im Zusammenhang mit der Offenen Arbeit gesehen wird ist, dass diese aufgrund ihrer Strukturbedingungen (siehe 4.) einen nahezu perfekten Rahmen bietet, in dem die jungen Menschen die Möglichkeit haben, sich innerhalb eines ‚Schutzraums‘ auszuprobieren und dadurch befähigt werden, ihre Anliegen auch in größeren Zusammenhängen zu äußern, zu vertreten und zu verwirklichen (vgl. Schäfer, 2005: 11 f).

3.3 Pädagogische und entwicklungspsychologische Partizipationsforderung

Die politisch bedingte, voranschreitende Globalisierung und Individualisierung, einhergehend mit entstandardisierten Lebensläufen und allgemeinen demographischen und ökologischen Entwicklungen (vgl. Roth, 2008: 35), verlangt Kompetenzen von Kindern und Jugendlichen, die sie sich nicht immer ausreichend und in gleichem Maße im familiären Umfeld aneignen können (vgl. Schäfer, 2008: 11). Die sich immer schneller verändernden Lebenswirklichkeiten erfordern mehr Eigenverantwortlichkeit und Selbständigkeit für die eigene Lebensführung (vgl. Hafeneger, 2005: 22).

Im Bereich der Ich-Kompetenz müssen die jungen Menschen „ein Bewusstsein für die eigenen Bedürfnisse, Meinungen, Stärken und Schwächen“ (Bruner/Winklhofer/ Zinser, 2001: 91) entwickeln und sich trauen, diese zu äußern. Da dieses Bewusstsein einhergeht mit der Entwicklung eines Selbstkonzepts und der eigenen Identität, brauchen die Heranwachsenden hier viel Unterstützung, Verständnis und ‚Übungsmöglichkeiten‘ seitens der Erwachsenen, wenn sie vielleicht noch nicht ausreichend über diese Ich-Kompetenzen verfügen (vgl. Bruner/Winklhofer/Zinser, 2001: 91).

Im Bereich der Sozialkompetenz benötigen sie „die Fähigkeit, in einen produktiven Dialog mit Erwachsenen und Gleichaltrigen zu treten und sich in die Gruppe einzufügen, ohne die eigene Meinung aufzugeben“ (Bruner/Winklhofer/Zinser, 2001: 91).

Außerdem müssen sie fähig sein, Bedürfnisse und Wünsche anderer wahrzunehmen und ungleiche Erwartungen, Meinungen und Wünsche zu akzeptieren (vgl. Großmann, 2003: 208).

Für die Entwicklung dieser Kompetenzen, einhergehend mit der allgemeinen (psychischen und physischen) Entwicklung von Heranwachsenden, sind unterschiedliche Komponenten ausschlaggebend. Obwohl hier kontroverse Fachmeinungen vorliegen, geht man im Allgemeinen davon aus, dass für die Persönlichkeitsbildung sowohl biologische als auch umweltbedingte Faktoren eine Rolle spielen (vgl. Taubert/ Förster, 2008: 225 ff).

Die Entwicklung von allgemeinen Wertvorstellungen sowie der aufgezählten Kompetenzen wird zudem erheblich von pädagogischen Einflüssen bestimmt (vgl. Taubert/Förster, 2008: 225 ff). Es ist also nicht nur Aufgabe der Erwachsenen im familiären, sondern auch im institutionellen bzw. pädagogischen Kontext, junge Menschen in ihren aktuellen Entwicklungsphasen zu unterstützen und zu fördern. Im besten Falle werden dadurch problematische Entwicklungsverläufe verhindert oder ausge-glichen, so dass allen Kindern die bestmöglichen Zukunftschancen ermöglicht werden können (vgl. ebd.).

Darum ist es wichtig, dass Kinder und Jugendliche Möglichkeiten erfahren, in denen sie sich ihrer Stärken und Schwächen bewusst werden können, sie dabei unterstützt werden, eigene Wünsche und Interessen zu artikulieren, diese in unterschiedliche Kontexte einzubringen und gemeinsam in Aushandlungs- und Entscheidungsprozessen Lösungen oder Mittelwege zu finden (vgl. Großmann, 2003: 188).

In Partizipationsprozessen haben junge Menschen die Chance, Neues auszuprobieren und aus ihren Erfahrungen zu lernen. Durch eine aktive Mitsprache, Mitgestaltung und Mitbestimmung (z.B. Erstellung von Gruppenregeln) erfahren Kinder und Jugendliche, dass ihre Meinung wichtig ist und die eigenen Fähigkeiten wertvoll sind. Dies trägt dazu bei, ein gesundes Selbstvertrauen und Selbstbewusstsein zur Stärkung der eigenen Persönlichkeit zu entwickeln (vgl. Hundertmark-Mayser, 2003: 12 f).

Dass sich eine aktive Beteiligung von Kindern und Jugendlichen für diese positiv auswirkt, kann durch die Erfahrungen im ASP-Juniors-Projekt nur bestätigt werden. Im Laufe des letzten Jahres konnte bei allen Teilnehmer/innen eine deutliche Steigerung von Selbstwert und Selbstsicherheit festgestellt werden. Je mehr Verantwortungs- und Entscheidungsspielraum sie seitens der Einrichtung erhielten, desto verstärkter brachten sie sich ein, entwickelten eigene Ideen und setzten diese gemeinschaftlich um (z.B. Bau einer eigenen Hütte, etc.). Die beteiligten Kinder sind sichtlich mit der erweiterten Verantwortung gewachsen, haben sich vermehrt im Bereich der Sozialkompetenzen weiterentwickelt, und Einzelgänger sind zu Teamspielern geworden, die sich gemeinsam für unterschiedliche Belange einsetzen.

Neben einem respektvollen Umgang mit den Bedürfnissen anderer eröffnet eine partizipativ gestaltete Kinder- und Jugendarbeit den Heranwachsenden die (Lern-) Möglichkeit, eigene Interessen zu erkennen und sich für individuelle Bedürfnisse und Anliegen einzusetzen (vgl. Zinser, 2005: 158). Aus der pädagogischen und entwicklungspsychologischen Sicht heißt deshalb die Forderung an die OJKA, ihre institutionellen Bedingungen als Chance zu begreifen und Partizipation altersangemessen erfahrbar zu machen (Lüders, 2003: 161).

4. ‚Portrait‘ der Offenen Kinder- und Jugendarbeit

Mittels der eben dargestellten Begründungszusammenhänge wird deutlich, welche Leistungen die OKJA in Bezug auf Partizipation erbringen soll oder muss. In einem weiteren Schritt soll nachfolgend erläutert werden, welche (förderlichen oder auch hinderlichen) Rahmenbedingungen die Offene Arbeit für die Partizipationspraxis bietet.

Die OKJA unterliegt grundsätzlich einem ständigen Veränderungsprozess, da sie gezwungen ist, immer wieder neue Antworten auf die Probleme einer sich ständig wandelnden Kindheit und Jugend zu geben. Aufgrund dieser Tatsache hat sich im Laufe der Zeit eine bunte Vielfalt an Einrichtungen und den damit verbundenen konzeptionellen Ausrichtungen und Arbeitsweisen herausgebildet (vgl. Deinet/Sturzenhecker, 2005: 11). Die Bandbreite an unterschiedlichen Angeboten der OJKA reicht von Kinder- oder Jugendtreffs und altersübergreifenden Kinder- und Jugendeinrichtungen über spezielle Mädchentreffs oder Kinder- und Jugendkulturzentren bis hin zu Abenteuerspielplätzen sowie der mobilen Arbeit.

Die Differenzen in Bezug auf Träger, Finanzierung, räumliche Gegebenheiten sowie personelle Ausstattung sind ebenso facettenreich, wie die Besucher/innen-Struktur und die spezifischen konzeptionellen Ausrichtungen (vgl. Moser, 2010: 273). Da es im Rahmen dieser Bachelorarbeit nicht möglich ist, diese Buntheit an Formen, Methoden und Inhalten ausführlich darzustellen, werde ich nur einen groben Überblick über die grundsätzlichen Rahmenbedingungen, den Charakter sowie die konzeptionellen Grundmuster und Leitlinien der OKJA geben.

4.1 Grundsätzliche Rahmenbedingungen

Wie bereits erwähnt finden sich die rechtlichen Grundlagen der OKJA in § 11 SGB VIII wieder. Dementsprechend wird die Offene Arbeit im Rahmen der Kinder- und Jugendhilfe finanziell gefördert. Die konkreten Leistungen erbringen verschiedene freie und öffentliche Träger, wie beispielsweise auch der Kreisjugendring München-Stadt. Um regelmäßige finanzielle Mittel zu erhalten, müssen diese nach § 75 SGB VIII als Träger im Rahmen der Kinder- und Jugendhilfe anerkannt sein und nach § 74 Abs. 1 SGB VIII bestimmte Voraussetzungen erfüllen, wie u.a. die Erbringung eines angemessenen finanziellen Eigenanteils (vgl. Gernert, 2005: 319 f).

In Einrichtungen der OKJA sind sowohl ehrenamtliche, nebenberufliche als auch hauptamtliche Mitarbeiter/innen mit unterschiedlichen Berufsausbildungen (z.B. Erzieher/innen, Sozialpädagog/innen, etc.), sowie sich in der Ausbildung befindende Personen (z.B. Erzieher/in im Anerkennungsjahr, Studierende der Fachhochschule, etc.) tätig. Daneben engagieren sich eine Reihe von Praktikant/innen unterschiedlichster Ausbildungsberufe, Schüler-Schnupper-Praktikant/innen oder Menschen, die ein Freiwilliges Soziales Jahr oder den Zivildienst durchlaufen (vgl. Thole/Pothmann, 2005: 19).

Mitarbeiter/innen der OKJA müssen über eine Reihe von Fähigkeiten und Fertigkeiten für die tägliche Arbeit verfügen, um den dortigen Anforderungen gerecht zu werden und u.a. mit der sich ständig ändernden Besucher/innengruppe Freizeit gestalten und die Heranwachsenden in ihren Wünschen und Bedürfnissen unterstützen zu können. Ein Mindestmaß an handwerklichen, sportlichen und kulturellen Kompetenzen sowie der Freude am kreativen Gestalten und Spielen sind genauso wichtig wie situationsorientierte Spontanität, Flexibilität und empathische (vgl. Thole/Pothmann, 2005: 33f) „Wahrnehmungs-, Verstehens und Beratungskompetenzen“ (ebd., 2005: 34).

Die Angebote der OKJA richten sich grundsätzlich an alle Kinder und Jugendliche im schulfähigen Alter von 6 bis einschließlich 27 Jahren. Einrichtungsabhängig sind aber unterschiedliche Altersgruppen als konkrete Zielgruppe definiert. Es gibt sowohl spezielle Kindereinrichtungen für Schulkinder bis 12 oder 13 Jahren, Jugendtreffs mit der Zielgruppe ab 13, 14 oder 15 Jahren bis einschließlich 18, 21 oder auch 27 Jahren sowie altersübergreifende Einrichtungen, die Kinder und Jugendliche mit ihren Angeboten gleichermaßen ansprechen. Es ist zwar grundsätzlich eine formelle Altersspanne festgelegt, in der Praxis verschwimmen diese Altersgrenzen jedoch oft im pädagogischen Hinblick auf die unterschiedlichen individuellen Entwicklungsstände der Heranwachsenden (vgl. Kraus, 2010: 5).

4.2 Charakteristik der Offenen Kinder- und Jugendarbeit

Trotz ihrer Vielfältigkeit verfügt die OKJA über bestimmte Merkmale, die alle Einrichtungen gemein haben und durch die sie sich von anderen Institutionen abgrenzen, die ebenfalls mit Kindern und Jugendlichen arbeiten. Sturzenhecker[3], benennt hier die Kriterien „Offenheit, Marginalität und Diskursivität“ (Sturzenhecker, 2005: 341).

Bezugnehmend auf das Strukturmerkmal ‚Offenheit‘ betont Sturzenhecker u.a., dass es keine genau festgelegten Ziele innerhalb der verschiedenen Freizeitstätten gäbe. Ich kann mich dieser Aussage nur insofern anschließen, dass es im Gegensatz zu schulischen Institutionen keine festgelegten Lehr- oder Bildungspläne gibt, an die sich alle Einrichtungen einheitlich halten müssen. Offenheit wäre allerdings falsch gedeutet, wenn damit ausgesagt wird, dass die Freizeitstätten völlig offen in ihrer inhaltlichen Ausgestaltung seien. Die Praxis vor Ort mag offen wirken und ist dies auch in Bezug auf die offene, zwanglose und freie Nutzung durch die Zielgruppe. Trotzdem müssen sich die Einrichtungen der OKJA an gesetzliche Vorgaben halten und einen konkreten pädagogischen Rahmen verfolgen. Dieser ist in Form von Konzepten, Leistungsbeschreibungen, übergreifenden Leitlinien sowie Zielvereinbarungen mit dem Träger festgehalten. Auch wenn das konkrete pädagogische Handeln dabei kaum spezifiziert ist (vgl. Sturzenhecker, 2005: 341), so müssen die gesetzlich formulierten Wirkungsziele in Form von ‚leistbaren‘ und überprüfbaren Handlungszielen konkretisiert werden (vgl. Zinser, 2005: 158).

Die von Sturzenhecker benannte Diskursivität steht in enger Verbindung mit der freiwilligen Teilnahme seitens der Heranwachsenden. Sie fordert von Einrichtungen und ihren Fachkräften die Flexibilität und Bereitschaft, immer wieder neu zu verhandeln, auf die Wünsche, Bedürfnisse und Anliegen der Heranwachsenden einzugehen, Angebote, Ziele und Methoden dementsprechend anzupassen und immer wieder neu zu bestimmen. Nur so kann gewährleistet werden, dass die Angebote von den Kindern und Jugendlichen angenommen und die Praxis vor Ort erfolgreich laufen kann (vgl. Sturzenhecker, 2005: 342). Die geforderte Flexibilität wird jedoch eingeschränkt, da sich die OKJA neben der Selbstbestimmung und Emanzipation der Zielgruppe in einem „dynamischen Spannungsfeld“ (Fromme, 2005b: 132) zwischen gesetzlichen Anforderungen im Bereich der Kinder- und Jugendhilfe, Zielen und Forderungen des Trägers sowie kommerziellen Freizeitangeboten und pädagogischer Freizeiterziehung befindet (vgl. ebd.).

Als seien diese Charaktereigenschaften nicht schon Herausforderung genug, ist die OKJA zusätzlich durch das Strukturmerkmal der Marginalität gekennzeichnet und wird in zweierlei Beziehung an den Rand gedrängt (vgl. Sturzenhecker, 2005: 341).

Die OKJA muss sich immer wieder ihre Stellung zwischen den verschiedenen Sozialisationsinstanzen (Schule, Familie, etc.) erkämpfen und nimmt gleichzeitig sogar innerhalb der Kinder- und Jugendhilfe eine exkludierte Stellung ein. Es werden, vor allem auch in Bezug auf die finanzielle Versorgung, klare Prioritäten auf die Unter-stützung von Kindertageseinrichtungen (Kindergarten, Hort, etc.) und konkreten erzieherischen Hilfen gelegt (vgl. Sturzenhecker, 2005: 342). Im Jahr 2009 beliefen sich beispielsweise die Ausgaben der Kinder- und Jugendhilfe in Bayern insgesamt auf 3.482.634.331 Euro. Davon flossen 174.461.466 Euro in Einrichtungen der Offenen Kinder- und Jugendarbeit und 2.249.400.770 Euro in die Kindertagesbetreuung (vgl. Bayerisches Landesamt für Statistik und Datenverarbeitung, 2010: 8).

Allgemein wird die OKJA oft als unwichtig und unbedeutend eingestuft, da sie augenscheinlich nicht die Macht besitzt, Lebensläufe von Kindern und Jugendlichen grundlegend zu beeinflussen. Im Gegensatz zur Schule, in der die Heranwachsenden einen Bildungsabschluss erhalten, der für die weitere Zukunft von ausschlaggebender Bedeutung sein kann, scheint es keine ‚fassbaren‘ Vor- oder Nachteile zu haben, wenn ein Kind nie eine Einrichtung der OKJA besucht hat (vgl. Sturzenhecker, 2003: 4). Aufgrund der geringen Messbarkeit ihrer Wirkkraft, wird die OKJA häufig als wenig greif- und kontrollierbar wahrgenommen (vgl. Sturzenhecker, 2005: 342). Sie muss sich deshalb immer wieder der sozial- und bildungspolitischen Diskussion stellen, um sich gesellschaftlich zu legitimieren und das qualitative Fortbestehen der OKJA zu sichern (vgl. Thole, 2008: 323).

In den letzten Jahren hat dies dazu geführt, dass immer mehr Einrichtungen ihre Offenheit einbüßen, indem sie u.a. unterschiedliche Formen von verbindlicher Betreuung (z.B. Hausaufgabengruppen) anbieten, eng angepasste Kooperationen z.B. mit Schulen eingehen und einen enger strukturierten Ansatz wählen (vgl. Sturzenhecker, 2003: 9 f). Die OKJA nimmt damit „die Chancen und Aufgaben, Kindern und Jugendlichen einen Freiraum für mitverantwortliche Selbstbestimmung anzubieten und mit ihnen Partizipation zu üben“ (Sturzenhecker, 2003: 9) teilweise nicht mehr hinreichend wahr.

Um die Offenheit nicht ganz zu verlieren, müssen die Einrichtungen der OKJA die breitgefächerte Forderung nach einer intensiven Partizipation von Kindern und Jugendlichen als ihre Chance nutzen, den gesellschaftspolitischen Anspruch der Partizipationsförderung zu ihren Gunsten auslegen und ihre wichtige Stellung hervorheben. Im Gegensatz zur Schule ist für Pädagog/innen in der OKJA, aufgrund des nicht vorhandenen Leistungsdrucks, der vertrauensvolle Zugang zur Lebenswelt junger Menschen viel unkomplizierter. Dadurch entsteht ein essentielles Lern- und Erfahrungsfeld, welches Heranwachsenden u.a. die Möglichkeit gibt, sich zwanglos auszuprobieren (vgl. Deinet/Sturzenhecker, 2005: 13).

4.3 Handlungsmethoden, konzeptionelle Grundmuster und Leitlinien

Nach § 11 Abs. 1 SGB VIII soll die OKJA Angebote bereithalten, die die Interessen der Heranwachsenden aufgreifen, sie bei der Entwicklung fördern, bei der Selbstbestimmung unterstützen, gesellschaftliche Mitverantwortung bewusst machen und zu sozialem Engagement anregen. Hervorzuheben ist dabei, dass die Angebote von den Heranwachsenden mitbestimmt und mitgestaltet werden sollen (vgl. § 11 Abs. 1 SGB VIII).

Das grundsätzliche pädagogische Handeln in Feldern der OKJA basiert auf einer „Verbindung von allgemein-, freizeit- und sozialpädagogischen Prinzipien“ (Fromme, 2005: 87). Die Bereitstellung offener und dennoch betreuter Räumlichkeiten, die als Schutzraum und gleichsam als Bildungs-, Lern-, und Erfahrungsfelder fungieren, ist ebenso Bestandteil der Alltagspraxis, wie situationsorientierte Beratungssequenzen (vgl. ebd., 2005: 87f). Dazwischen liegt eine Bandbreite von Handlungsmethoden, beginnend bei speziellen Kursen und Workshops, situationsorientierten und strukturierten Angeboten, Elementen der Erlebnis- oder Zirkuspädagogik bis hin zu themenzentrierter Projektarbeit, Ausflügen, Ferienfahrten und Veranstaltungen (vgl. Thole, 2000: 262). Auch die Interessenvertretung gegenüber anderen Sozialisationsinstanzen sowie die Unterstützung bei der Bewältigung von Konflikten und sonstigen Problemen zählen zum Aufgabenspektrum der OKJA.

Aufgrund der verschiedenartigen finanziellen, personellen und räumlichen Ressourcen sowie der unterschiedlichen sozialräumlichen Umgebung sind in den Einrichtungen diverse konzeptionelle Schwerpunkte vorhanden. Das schriftliche Konzept spiegelt die Einrichtungsprofile wider, ist gesetzlich verpflichtend und dient dazu, pädagogische Ansätze, Arbeitsweisen und Grundhaltungen transparent zu machen (vgl. Knisel-Scheuring/Roth, 2010: 61). Im Rahmen dieser unterschiedlichen Einrichtungsprofile gibt es bestimmte pädagogische Arbeitsansätze, die sich in allen Institutionen in unterschiedlicher Intensität wiederfinden lassen. Zu erwähnen sind hier laut Deinet und Sturzenhecker u.a. die geschlechterbezogene Pädagogik, Kultur- oder Medienarbeit, Sozialraumorientierung, Bildungs- oder Präventionsarbeit und Partizipation (vgl. Deinet/Sturzenhecker, 2005: 6).

Zusätzlich zu den konkreten konzeptionellen Schwerpunkten gibt es eine Reihe von Querschnittsaufgaben oder auch Leitlinien, die „sowohl Bestandteil der allgemeinen theoretischen und konzeptionellen Entwicklung als auch Kernelement der Vor-Ort-Konzeptionen“ (Thole, 2000: 259) sind. Die im Rahmen des achten Jugendberichtes von 1990 als allgemeine ‚Strukturmaxime‘ herausgegebenen Kriterien „Lebensweltorientierung, Partizipation und Integration“ (BMJFFG, 1990: 12 & 85 ff, zitiert nach Thole, 2000: 259) sind Merkmale, die je nach Einrichtung in unterschiedlichem Ausmaß in der Praxis vor Ort berücksichtigt werden müssen (vgl. ebd.). Als bekannter deutscher Erziehungswissenschaftler knüpft Thole an diese Merkmale an und benennt u.a. folgende zusätzliche Leitlinien für die OKJA: Freiwilligkeit, Gruppenorientierung, Biographieorientierung, Alltagsorientierung, Förderung von Selbstwertkompetenzen. Diese Leitlinien oder auch Strukturmaxime schaffen einen fachlichen Standard und sichern die Qualität einer adressaten- und dienstleistungsbezogenen Kinder- und Jugendarbeit (vgl. Thole, 2000: 259).

Obwohl die Forderung nach Partizipation von Kindern und Jugendlichen erst in den letzten Jahren immer präsenter zu werden scheint, hat die aktive Beteiligung von jungen Menschen im Praxisalltag der OKJA demnach schon immer eine bedeutende Position eingenommen (vgl. Pluto, 2007: 11). Partizipation ist als fundamentaler Baustein der OKJA sowohl als konzeptioneller Grundsatz als auch als Querschnittsaufgabe zu finden.

5. Partizipationswirklichkeit in der Offenen Arbeit mit Kindern

Die aufgeführten Rahmenbedingungen und Strukturmerkmale machen deutlich, dass in der OKJA sowohl hinderliche als auch förderliche Partizipations-Komponenten vorhanden sind. Sie geben damit Antworten darauf, warum es teilweise erhebliche Unterschiede in der Partizipationspraxis vor Ort gibt und den Heranwachsenden nicht immer in gleichem Maße „Eigenverantwortlichkeit und Gestaltungsspielräume zur Verfügung“ (Schweikl 2010) gestellt werden können.

Kamp fand in der durch das Deutsche Kinderhilfswerk beauftragten Studie zum Thema ‚Beteiligungsrechte von Kindern und Jugendlichen in Deutschland‘ heraus, dass Beteiligungsrechte meist sehr unterschiedlich gewährt und gefördert werden und nicht immer den Notwendigkeiten und Möglichkeiten entsprechen (vgl. Kamp, 2010: 75). Auch die ZDF-Studie[4] aus dem Jahr 2009 zeigt, dass die Intensität der Beteiligung von Kindern in Familie, Schule und Kommune eher marginal ist (vgl. Schneider/Stange/Roth, 2009: 8).

Diese beiden großen, repräsentativen Studien beziehen sich allerdings hauptsächlich auf gesamtgesellschaftliche Zusammenhänge und geben nur eine geringfügige Auskunft darüber, wie es um die konkrete Beteiligungsrealität speziell in Einrichtungen der OKJA bestellt ist. Eine im Jahr 2009 in Jena durchgeführte Untersuchung, die eine Bestandaufnahme im Bezug auf Partizipation speziell in den Einrichtungen der OKJA zum Ziel hatte, liefert einen etwas detaillierteren Einblick in die Umsetzungspraxis (vgl. Martin/Morgenstern, 2010: 3). Eine Analyse der dortigen Einrichtungskonzepte hat u.a. ergeben, dass in vielen Freizeitstätten die Kinder zwar bei Planungsprozessen mitsprechen dürfen, Festlegungen über die konkreten Beteiligungsstrukturen oder -formen aber häufig fehlen (vgl. Martin/Morgenstern, 2010: 12 ff).

Ein nächster Schritt soll nun die Partizipationswirklichkeit, speziell in Freizeitstätten für Schulkinder von 6 bis 13 Jahren, u.a. unter Einbeziehung des Praxisbeispiels der ASP-Juniors auf dem ASP Neuhausen, beleuchten und aufzeigen, wo Differenzen und Grenzen in der Umsetzung vorliegen.

5.1 Partizipation als Alltagspraxis der Freizeitstätten

Obwohl die Beteiligung von Kindern (noch) nicht immer gleichermaßen tiefgreifend umgesetzt wird, wie es wünschenswert und auch erforderlich wäre, bestätigen viele kleinere und größere Projekte (wie auch das der ASP-Juniors) sowie unterschiedliche Evaluationsergebnisse, dass in so gut wie allen Kindereinrichtungen der OKJA unterschiedlichste Partizipationsformen bestehen und angeboten werden. Dies verdeutlicht auch ein Blick auf die Seite www.stark-durch-beteiligung.de, auf der aktuelle Projekte und Angebote im Großraum München vorgestellt werden. Deutlich wird hier, dass Partizipation sehr oft projektmäßig verankert ist, jedoch nur selten in nachhaltigen Strukturen.

Eine 2010 durchgeführte Kinderbefragung in 36 Einrichtungen der OKJA unter der Trägerschaft des Kreisjugendring München-Stadt zeigt auf, inwiefern die dortige Zielgruppe das Gefühl hat, beteiligt zu werden. Auf die konkrete Frage, ob sie in der Einrichtung bestimmen dürfen, was gemacht wird, antworteten 41,5 % der Kinder mit ‚oft‘, 37,5 % mit ‚manchmal‘, 9,0 % mit ‚selten‘ und 12,0 % mit ‚weiß ich nicht‘ (vgl. Kraus, 2010: 9). Diese trägerinterne Umfrage bestätigt durchaus, dass in den ‚abgefragten‘ Freizeitstätten Partizipation Alltagspraxis ist.

Während Schule eher eine Fremdbestimmung darstellt, so ist der Besuch von Einrichtungen der OKJA freiwillig und muss dadurch dem Anspruch gerecht werden, etwas zu bieten, das den Vorstellungen und Interessen der Heranwachsenden entspricht (vgl. Bruner/Winklhofer/Zinser, 2001: 74). Am Einfachsten ist dies durch eine aktive Einbeziehung und Beteiligung der Zielgruppe u.a. bei der Programmgestaltung möglich. Aufgrund dessen gehört Partizipation schon immer zur alltäglichen Praxis vor Ort. Klöver und Strauss stellen in ihrer empirischen Forschung[5] u.a. fest, dass diese Selbstverständlichkeit, Kinder mit einzubeziehen, den Nachteil hat, dass wie bei vielen anderen selbstverständlichen Handlungen der genaue Blick auf die inhaltliche Ausgestaltung oft vernachlässigt und demensprechend nicht evaluiert und weiterentwickelt wird (vgl. Klöver/Straus, 2005: 30). Ein Mangel an zeitlichen, personellen und finanziellen Ressourcen fördert zudem den Umstand, dass Kinder vor Entscheidungen gestellt werden, die seitens der Erwachsenen bereits ‚vorpräpariert‘ sind. Diese Einschränkung des Entscheidungsspielraums macht es für die Heranwachsenden schwierig, eigene Vorstellungen zu entwickeln und umzusetzen (vgl. Großmann, 2003. 200). Die Kluft zwischen Beteiligungsanspruch und Beteiligungswirklichkeit ergibt sich demnach nicht vordergründig infolge des Fehlens von Partizipationsstrukturen, sondern ist auf die teilweise vernachlässigte qualitative Umsetzung, Ausgestaltung und Intensität zurückzuführen.

5.2 Verschiedene Stufen/Grade der Beteiligung

Kinder dürfen in den vorhandenen Partizipationsstrukturen der Einrichtungen sehr unterschiedlich bzw. teilweise eher in begrenztem Umfang (mit)entscheiden. In diesem Zusammenhang wird in der Fachliteratur oft von differierenden Partizipationsintensitäten bzw. unterschiedlichen Partizipationsstufen gesprochen. Die ur-sprünglich von Arnstein[6] stammende Stufenleiter der Partizipation, die er bezugnehmend auf die „Bürgerbeteiligung in kommunalen Planungsverfahren“ (Sturzenhecker, 2003: 24) entwarf, wurde u.a. von dem amerikanischen Psychologen Hart[7] weiterentwickelt und spezifiziert. Im Rahmen der wissenschaftlichen Begleitung der Bertelsmann-Studie zum Thema ‚Partizipation von Kindern und Jugendlichen in Deutschland‘ lehnen sich Fatke und Schneider an die Stufen der Partizipation von Hart an (vgl. Fatke/Schneider, o.J.: 10). Ich habe diese Darstellung gewählt, weil sie die teilweise sehr feinen Stufen-Unterschiede für mich am treffendsten betitelt und herausstellt.

Abbildung: Stufenleiter der Partizipation (Fatke/Schneider, o.J.: 10, in Anlehnung an Hart 1997)

Die geringste Partizipationsintensität ist auf Stufe 1, die höchste auf Stufe 8 zu verzeichnen. Um Manipulation oder auch Fremdbestimmung handelt es sich entsprechend der ersten Stufe dann, wenn die Heranwachsenden in der Wahrnehmung und Artikulation ihrer Bedürfnisse gezielt beeinflusst werden, damit Fachkräfte ihre geplanten Inhalte und Vorhaben umsetzen können.

Unter der Stufe der Dekoration (Stufe 2) wird eine Mitwirkung von Heranwachsenden bei Aktionen oder Projekten verstanden, über deren Anlass, Inhalt und/oder Ziele sie entweder nicht ausreichend und kindgerecht informiert wurden oder diese für sie nicht verständlich sind. Unter einer Alibiteilnahme (Stufe 3) ist zu verstehen, dass Kinder zwar angehört werden, sie aber weder ein Recht auf Mitgestaltung noch die Möglichkeit, konkrete Entscheidungen zu treffen, haben (vgl. Fatke/Schneider, o.J.: 10).

Erst die Stufen 4 (zugewiesen und informiert) und 5 (konsultiert und informiert) zeigen laut dem Stufenmodell, die ersten Formen einer aktiven Mitwirkung und Mitbestimmung von Kindern. In der vierten Partizipationsstufe, die der Teilhabe, werden die Angebote und Projekte zwar noch vom pädagogischen Fachpersonal initiiert und vorbereitet, die Heranwachsenden wissen aber um ihre Möglichkeiten der ‚Einmischung‘ (vgl. Fatke/Schneider, o.J.: 10). In der fünften Partizipationsstufe können die Kinder eigene Ideen und Wünsche einbringen, Kritik äußern und bei der Ausgestaltung von Projekten und Angeboten aktiv mitwirken. Die endgültigen Entscheidungen werden allerdings seitens des Fachpersonals getroffen (vgl. ebd., o.J.: 11). Diese ‚indirekte‘ Einflussnahme findet sich in diversen Freizeitstätten oft durch Wunsch- und Ideenboxen oder zielgruppenspezifischen Umfragen wieder, bei denen die Kinder aufgefordert werden, ihre Meinung zu äußern. Die zur Sprache gebrachten Vorschläge oder Kritikpunkte werden im Normalfall von den Pädagog/innen zwar aufgegriffen, es entsteht aber keinerlei Verbindlichkeit zur Umsetzung (vgl. Schröder, 1995: 17).

Mit der sechsten Stufe, die der Mitbestimmung, nähern wir uns immer mehr der gesetzlichen Vorstellung von Partizipation, im Sinne des Kinder- und Jugendhilfegesetzes, an. Auch wenn die Initiative hier immer noch von den Fachkräften ausgeht (vgl. Lieb, 2007: 186), so können Kinder bereits ihre eigenen Ideen nicht nur einbringen, es werden zudem die Entscheidungen gemeinsam abgestimmt und getroffen (vgl. Schröder, 1995: 17).

Laut Schröder ist mit der siebten Stufe der Partizipation die Selbstbestimmung erreicht, da die Heranwachsenden hier selbst die Initiative ergreifen (können), Entscheidungen treffen und Projekte und Angebote selbständig organisieren. Die Fachkräfte unterstützen und fördern diese Aktionen und tragen die Entscheidungen der Zielgruppe mit (vgl. Schröder, 1995: 17).

Die achte Partizipationsstufe ist erreicht, wenn Projekte und Angebote vollkommen selbständig von den Heranwachsenden initiiert und durchgeführt werden und eine Struktur vorliegt, bei der Kinder und Erwachsene die gleiche Entscheidungsbefugnis besitzen. Diese höchste Stufe der Partizipation, die eine gemeinsame Kultur des gegenseitigen Lernens (vgl. Fatke/Schneider, o.J.: 11) ermöglichen soll, findet sich hauptsächlich in der verbandlichen Jugendarbeit wieder.

Würde man Beteiligungsprojekte nur anhand dieser Stufenleiter messen, wären die meisten als unzureichend einzustufen. Vernachlässigt würde dabei, dass vielleicht auch eine niedrigschwellige Beteiligung für Kinder passend sein könnte, weil sie hier die Chance haben, einfach nur dabei zu sein, ohne selber aktiv werden zu müssen. Genauso kritisch kann gesehen werden, dass in der Stufe der Selbstbestimmung vielleicht nur noch eine geringe Anzahl an Kindern beteiligt wäre, die über entsprechend hohe Kompetenzen verfügen (vgl. Lüders, 2003: 163).

Aufgrund dessen ist es sehr viel gewinnbringender, unterschiedliche Partizipationsformen „entlang der alterstypischen und sozialen Voraussetzungen und Entwicklungspotenziale von Kindern“ (ebd.) bereitzuhalten. Das Wissen um diese unterschiedlichen Stufen der Partizipation kann aber dazu dienen, auf vorhandene oder auch fehlende Strukturen aufmerksam zu machen und anregen, Veränderungen herbeizuführen.

[...]


[1] Nähere Informationen zur 16. Shell Jugendstudie 2010 unter http://www.shell.de/home/content/deu/aboutshell/our_commitment/shell_youth_study/, Zugriff 20.05.11

[2] nordrhein-westfälischer Staatssekretär für Kultur

[3] Sturzenhecker forscht und publiziert nicht nur im Bereich der Partizipation, sondern ist auch im Gebiet der Jugendarbeit eine bekannte Fachgröße. Nähere Informationen: http://www.epb.uni-hamburg.de/de/personen/sturzenhecker, Zugriff 20.05.11

[4] Deutschlandweite Studie des ZDF mit dem Thema „Kinder ohne Einfluß?“. Beteiligung von Kindern und Jugendlichen in Familie, Schule und Wohnort. Nähere Informationen unter http://www.unternehmen.zdf.de/fileadmin/files/Download_Dokumente/DD_Das_ZDF/Veranstaltungsdokumente/kann_darf_will/Partizipationsstudie_final_101109.pdf, Zugriff 20.05.11

[5] Evaluationsstudie im Rahmen des Instituts für Praxisforschung und Projektberatung (München) mit dem Thema: „Wie attraktiv und partizipativ sind Münchens Freizeitstätten?“

[6] Nähere Informationen zu "Ladder of Citizen Participation," von Sherry Arnstein unter http://www.partnerships.org.uk/part/arn.htm , Zugriff 20.05.11

[7] Nähere Informationen zu „Ladder of Young People´s Partizipation” des Soziologen Roger Hart unter http://freechild.org/ladder.htm, Zugriff 20.05.11

Details

Seiten
Erscheinungsform
Erstausgabe
Jahr
2011
ISBN (PDF)
9783956849640
ISBN (Paperback)
9783956844645
Dateigröße
836 KB
Sprache
Deutsch
Institution / Hochschule
Hochschule München
Erscheinungsdatum
2015 (Februar)
Note
1,7
Schlagworte
Beteiligung Mitbestimmung Freizeiteinrichtung Mitgestaltung soziale Arbeit Jugendarbeit Jugenderziehung

Autor

Die Autorin und gelernte Erzieherin Alexandra Kozak, schloss 2011 Ihr berufsbegleitendes Studium zur Sozialen Arbeit an der Hochschule München mit dem akademischen Grad zum Bachelor of Arts erfolgreich ab. Bereits vor und während des Studiums sammelte sie umfassende praktische Erfahrungen in diversen Praxisfeldern der Offenen Arbeit mit Kindern und Jugendlichen. Aktuell leitet Frau Kozak eine offene Kindereinrichtung (Abenteuerspielplatz) in München.
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Titel: Partizipation in offenen Kinder- und Jugendeinrichtungen: Utopie oder Alltagspraxis
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