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Gewohnheitsrecht in Albanien: Rolle und Herkunft des Kanun bei den Albanern

©2010 Studienarbeit 25 Seiten

Zusammenfassung

Die Illyrer als Vorfahren der Albaner, die in vorhistorischer Zeit und zwar in der „paläo-indoeuropäischen“ Periode, auf dem Balkan gelebt haben, hatten die Sitten und Gebräuche als Hauptquelle des Rechts. Die nicht schriftlichen juristischen Quellen oder das Gewohnheitsrecht (bei den Albanern Kanun) greifen diese Regeln auf, die in einer früheren Entwicklungsphase der Gesellschaft geschaffen und mündlich von Generation übermittelt worden sind, die faktisch angewandt worden sind (lat. Consuetudo), sowohl aufgrund ihrer Annahme durch alle, als auch im Sinne der Überzeugung der juristischen Notwendigkeit ihrer Umsetzung (lat. Opinio necessitatis oder opinio juris). Bei den Albanern wurden viele regionale Kanunen angewandt, aber der Kanun des Lek Dukagjini (Recht des Lek Dukagjini), der als der bekannteste und der am meisten beachtete Kanun angesehen wird. Aufgrund der großen Bedeutung des Kanun von Lek Dukagjini wird sich diese wissenschaftliche Studie hauptsächlich mit dem besagten Kanun beschäftigen.

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


Inhaltsverzeichnis

Einführung

I. Historischer Überblick über den Kanun bei den Albanern

II. Der Begriff des KANUN

III. Die bei den Albanern angewandten Kanune
III.1. Der Kanun des Lekë Dukagjini
III.2 Der Kanun des Skanderbeg
III.3. Der Kanun der Labëria
III.4. Der Kanun des Großen Berglandes

IV. Positive und negative Besonderheiten bei den Kanunen
IV. 1. Positive Besonderheiten
IV.1.1. Das Ehrenwort, gegebenes Wort, (Waffenstillstand) (alb. besa)
IV.1.2. Die Gastfreundschaft (Mikpritja)
IV.1.3. Der Schutz
IV.1.4. Die Ehre
IV.1.5. Mannhaftigkeit
IV.2. Negative Besonderheiten
IV.2.1. Rache und Blutrache
IV.2.2 Ungleichheit

V. Fazit

Literaturverzeichnis

Einführung

Seit wann kennt man das Gewohnheitsrecht bei den Albanern? Die Illyrer als Vorfahren der Albaner, die in vorhistorischer Zeit und zwar in der „paläo-indoeuropäischen“ Periode, auf dem Balkan gelebt haben, hatten die Sitten und Gebräuche als Hauptquelle des Rechts. Die nicht schriftlichen juristischen Quellen oder das Gewohnheitsrecht (bei den Albanern Kanun) greifen diese Regeln auf, die in einer früheren Entwicklungsphase der Gesellschaft geschaffen und mündlich von Generation übermittelt worden sind, die faktisch angewandt worden sind (lat. Consuetudo), sowohl aufgrund ihrer Annahme durch alle, als auch im Sinne der Überzeugung der juristischen Notwendigkeit ihrer Umsetzung (lat. Opinio necessitatis oder opinio juris). Bei den Albanern wurden viele regionale Kanunen angewandt, aber der Kanun des Lek Dukagjini (Recht des Lek Dukagjini) wird als der bekannteste und der beachteste Kanun angesehen.

I. Historischer Überblick über den Kanun bei den Albanern

Wenn wir sagen, dass das Gewohnheitsrecht oder "ius non scriptum" als ungeschriebenes albanisches Recht seine Wurzeln im Altertum hat1, dann finden wir Belege oder Argumente dafür in der Literatur antiker Schriftsteller, Philosophen und Historiker wie z.B.: Homer in seinen Werken “Ilias” und “Odyssee”2, Hesoid3,

Herodot4, Thukydides5, die sich in ihren Studien mit den alten Pelasgern beschäftigten, und diese auf die Zeit um ca. 4000 Jahre v.u.Z. datieren6. Diese Regeln des Gewohnheitsrechts sind in jener Zeit entwickelt worden, von Generation zu Generation und über albanische Versammlungen bis in die heutigen Tage tradiert worden7.

Die Illyrer als Vorfahren der Albaner8, die in vorhistorischer Zeit, und zwar in der ”paläo-indoeuropäischen“ Periode9, auf dem Balkan gekommen sind, hatten die Sitten und Gebräuche als Hauptquelle des Rechts.

Den spärlichen Zeugnissen zufolge war das Ziel dieses Rechtes, das sich auf das Gewohnheitsrecht stützte, bei denen Illyrer der Erhalt des Sklavenhalterstaates, daher verwandelten sich die alten von Generation zu Generation überlieferten Regeln, die die Interessen des gesamten Kollektivs zum Ausdruck brachten, zu regeln, die lediglich die engere herrschende Klasse sowie deren Interessen schützte. Die alten Sitten und Gebräuche wurden von der herrschenden Klasse nicht immer toleriert und sanktioniert, sondern lediglich wenn diese Regeln nicht in Widerspruch ihren Interessen gerieten10.

In jedem Land oder jedem Staat gibt es Juristische Quellen, die normalerweise in schriftlicher oder auch nicht schriftlicher Form bestehen. In schriftlicher Form sind sie in entsprechenden Dokumenten kodifiziert, wie z.B: Verfassung, Gesetz, Ausführungs­bestimmungen, um deren Anwendung sich der Staat mittels Kontrolle durch die Gewalt des Staatsapparates kümmert.

Die nicht-schriftlichen juristischen Quellen oder das Gewohnheitsrecht (bei den Albanern der Kanun) greifen diese Regeln auf, die in einer früheren Entwicklungsphase der Gesellschaft geschaffen und mündlich von Generation auf Generation übermittelt worden sind, die faktisch angewandt worden sind (lat. Consuetudo), sowohl aufgrund ihrer Annahme durch alle, als auch im Sinne der Überzeugung der juristischen Notwendigkeit ihrer Umsetzung (lat. opinio necessitatis oder opinio iuris).

Wann die Albaner eine auf die Regeln des Gewohnheitsrechts gestützte Organisation begannen, ist zeitlich recht schwer zu präzisieren.

Gestützt auf die Literatur albanischer und ausländischer Historiker wie z.B. Albert Dumont, der zum Ursprung und zur Geschichte der Albaner deutlich zum Ausdruck brachte, dass “die Albaner die älteste Rasse in Europa sind11, muss also auch die Schaffung oder Genesis des Gewohnheitsrechts in einer sehr frühen Zeit angesiedelt werden.

Der serbische Autor Nedeljkovič, der das serbische mit dem albanischen Gewohnheitsrecht verglichen hat, stellt fest, dass das albanische Volk wesentlich älter ist als das serbische Mittelalter12, aber auch die Mehrheit der Autoren, die sich mit dem Studium der Geschichte des albanischen Gewohnheitsrechts beschäftigt haben, ist der Auffassung, dass es ein von Generation zu Generation überliefertes illyrisch-dardanisch -albanisches Konglomerat ist13.

Bezüglich des albanischen Gewohnheitsrechts ist die Mehrheit der Verfasser, die sich mit diesem Thema auseinandergesetzt hat, der Auffassung, dass es über Jahrhunderte und Jahrtausende hinweg geschaffen worden ist, was auch die Authochtonie der Albaner belegt, die bis auf das mittlere Paläolithikum zurückgeht14, und das ist bis unserer heutigen Tage angewandt worden ist, nachdem ihre Territorien unter fremder, sei es römischer, byzantinischer, osmanischer, bulgarischer, serbisch-montenegrinischer, Besatzung gestan­den haben, da er hatte sich als eine Ergänzung und gleichzeitig als ein zum staatlichen Recht der fremden Regime konkurrierendes Recht dargestellt15.

Das Gewohnheitsrecht der Albaner regelte während der Geschichte wie juristischen Be­ziehungen in zahlreichen ihrer Lebensbereiche16, angefangen bei der Geburt bis hin zum Tod.

Im Gewohnheitsrecht fanden sich also Normen mit verfassungsmäßigen Charakter des Familien-, Zivil-, Straf- und Prozessrechts, daher wurde es auch als "Verfassung" der Albaner bezeichnet17, oder wie Professor Ejup Statovci zum Ausdruck brachte war “das Gewohnheitsrecht mehr als eine Verfassung, mit der es manchmal gleichgesetzt wird, es ist mehr als jedes Gesetz. Es ist zugleich eine Verfassung, auch ein Code, auch Gesetz, es ist nahezu ein gesamtes juristisches und gesellschaftliches System, das in sich auch Normen beinhaltet, die nicht mit Recht und juristischen Institutionen zu tun haben.18.

Auch Karl Kaser, der sich in einer Studie mit der Untersuchung der Gesellschaftsordnung der Stammesgemeinschaften unter ethnologischen und historischen Aspekten beschäftigt hat, beschreibt das albanische Gewohnheitsrecht als ihr lyrisches Erbe, Vorläufer des Kanun als vorhergehenden Orientierungsrahmen der Stammesgesellschaft, wenn er sagt: “Die Kenntnis der ungeschriebenen Gesetze, nach denen unsere pastoralen Gesellschaften lebten, trägt viel zum Verständnis der Ursache ihrer externen Patriarchalität bei. Sie sind der aus sehr alten Zeiten ererbte kulturelle Orientierungsrahmen, den ich als illyrisches Erbe bezeichne. Dieser Rahmen bildete sich in Zeiten heraus, in denen noch kein Staat in der Lage war, das Leben und die Herden von nomadischen oder halbsesshaften Hirten zu schützen.19.

Prof. Ismet Elezi definiert die Bedeutung der ungeschriebenen Normen des Gewohn­heitsrechts “als nicht schriftliche Gesamtheit juristischer Normen und Verhaltensregeln, die in verschiedenen Zeiten beschlossen und in der Tradition mündlicher Überlieferung von Generation zu Generation weiter gereicht worden sind und die zur Regelung rechtlicher Beziehungen zwischen den Menschen in verschiedenen Lebensbereichen dienen und deren Anwendung entsprechend der Tradition durch die lokale Selbstverwaltungs­einheit ohne staatlichen Zwang sichergestellt wird20.

Wenn wir einen historischen Überblick über die Rolle des Gewohnheitsrechts ist bei den Albanern bei der Wahrung der Identität gegenüber den fremden Besatzern und dem Leiden, die das albanische Volk während der Geschichte durchlebt hat, geben, kann daher nicht genau gesagt werden, in welcher geschichtlichen Periode das Gewohnheitsrecht eine bedeutendere Rolle gespielt hat als in einer anderen, aber trotz aller dieser Kolonisierungen und Genozide hat dieses Recht zu überleben vermocht und dabei die Sprache bewahrt, die besonders war, die Kultur, wie die bekannte englische Albanologin Edith Durham sagte: “Andere Reiche kamen und gingen, aber sie, vergingen auf der Schulter des Albaners, wie das Wasser auf dem Rücken der Rose[…] und er bewahrte seine Gebräuche und seine Identität.” 21 .

[...]


1 Pupovci, Syrja: Burimet për studimet e Kanunit të Lekë Dukagjinit, Studime historike, Nr. 2. Tiranë, 1971. S. 75; Zojzi. Rrok, Aspekte të Kanunit të Skenderbeut të para në kuadrin e përgjithshëm të së drejtes kanunore, Studime historike Nr. 4, Tiranë, 1974, S. 175.

2 Homer: Ilias, Kap. XVI 285 – 290, S. 357, Odyssee, Kap. XIV, Prishtinë

3 Hesiod: „“Carmina“ S.134-156, zitiert nach “Ilirët dhe Iliria te autoret antik“ Prishtinë, 1979, S.14

4 Herodot: Historien, Buch II, zitiert nach „“Ilirët dhe Iliria te autorët antik“ S. 16

5 Thukydites: Historien, nach dem zitierten Werk S. 24

6 Doucette, R. Serge / Thaqi, Hamdi: Kosova “Demokraci morale“ apo Kosovo “Serbi e madhe“, Prishtinë, 2004, S.156 – 157

7 Ukaj, Bajram: Dënimet në të drejtën penale të Shqipërisë, Prishtinë, 2006, S. 32

8 Thunmann, E. Johann: Untersuchungen über die Geschichte der östlichen europäischen Völker, I Teil, Leipzig, 1774, S. 249, in: Stipcevic, Aleksander “Ilirët, historia, jeta, kultura“, Prishtinë 1980, S. 79

9 Jacques, Edwin: “The Albanians: An Ethnic History from Pre-Historic Times to the Present”, 1995, North Carolina, übersetzt von Edi Seferi, Tiranë, S. 43.

10 Krisafi, Ksenofon: Shteti dhe e drejta në Iliri, in: Historia e shtetit dhe e së drejtës në Shqipëri, Tiranë 2007, S. 22 – 24

11 Frashëri, Kristo: “Abdyl Frashëri” (1839 – 1892), Tiranë, 1984

12 Nedeljkovič, Branislav: Kanun Leke Dukadjina, “Anali Pravnog Fakulteta u Beogradu”, 4, 1958

13 Statovci, Ejup: Një monument madhor i kultures së lashtë shqiptare, Përparimi, Nr. 5. Prishtinë, 1990, S. 527-528; Meksi, Vangjel, Problemi i historisë së institucioneve juridike të shqiptarëve, in: “Konferenca e studimeve albanologjike”, Tiranë, 1969

14 Homer: “Die Pelasger waren ein authochtones Volk, das auf seiner Erde lebte“, zitiert nach “Shqipëtarët-kombë i ndarë“ I, S.116; Historia e Popullit Shqipëtar I, S. 44

15 Laurasi, Aleks / Zaganjori, Xhezair / Elezi, Ismet / Nova, Koço: Historia e shtetit dhe e së drejtës në Shqipëri, Kreu VI e drejta zakonore shqipëtare, Tiranë 2007, S. 231

16 Bashkurti, Lisen: Diplomacia shqipëtare, Tiranë, 2005, S, 60

17 Luarasi, Aleks: ”Edrejta zakonore shqiptare” in: “Historia e shtetit dhe së drejtës në Shqipëri, Tiranë 2007, S. 232

18 Statovci, Ejup: Një monument madhor i kultures së lashtë shqipëtare, Përparimi – Revistë shkencore, Nr. 5, 1990 S. 517

19 Kaser, Karl: Hirten, Kämfer, Stammeshelden, Ursprünge und Gegenwart des balkanischen Patriarchats, Wien, 1992. S. 293

20 Elezi, Ismet: ”Njohuri për të drejtën zakonore mbarëshqiptare”, Prishtinë 2003, S. 10 sowie auf: http://kanuniilaberise.tripod.com/id17.html (zuletzt gelesen am: 28.01.2008)

21 Miss Edith Durham: Brenga e Ballkanit, Tiranë 1991, S. 104

Details

Seiten
Erscheinungsform
Erstausgabe
Jahr
2010
ISBN (PDF)
9783958205079
ISBN (Paperback)
9783958200074
Dateigröße
3.9 MB
Sprache
Deutsch
Institution / Hochschule
Universität Wien
Erscheinungsdatum
2015 (Februar)
Schlagworte
Lek Dukagjini Rache Blutrache Waffenstillstand Besa Ehrenwort Gastfreundschaft

Autor

Islam Qerimi, LL.M (Magister der Rechte), wurde 1967 in Dumnice e Poshtme (Kosova) geboren. Sein Diplomstudium der Rechtswissenschaften hat er an der Universität von Prishtina und sein Magisterstudium der Rechtswissenschaften an der Ruhr-Universität Bochum erfolgreich abgeschlossen. Zur Zeit der Veröffentlichung ist der Autor Doktorand an der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Universität Wien. Fasziniert von dem albanischen Gewohnheitsrecht und den Kanunen hielt sich der Autor mehrmals in Albanien auf, um die Besonderheiten des Gewohnheitsrechts kennenzulernen. Seine Tätigkeit bei verschiedenen kosovarischen Universitäten motivierte ihn dazu, sich der Thematik des vorliegenden Buches zu widmen.
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