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Der Biafrakrieg als Medienereignis

©2013 Examensarbeit 58 Seiten

Zusammenfassung

Der afrikanische Kontinent gilt heute weiterhin als „fremd“, „triebhaft“, „kulturlos“ und „vernunftlos“. Diese Argumentationen dienten in der Vergangenheit zur Legitimierung, Unterdrückung und Kolonisierung eines ganzen Kontinents. Der „Schwarze Kontinent“ wird durch eine diskreditierende Berichterstattung seiner Würde beraubt. Unsere Wahrnehmung des afrikanischen Kontinents wird weniger durch die Wirklichkeit als durch die Repräsentation in den vermittelten Medien bestimmt. In dieser Form entfachen Medien Feindbilder und erweitern die Kluft zwischen den Kulturen. Der Rezipient der Massenmedien wird tagtäglich mit Bildern und Informationen über den Zusammenbruch von Staaten in der „Dritten Welt“ konfrontiert. In der Vergangenheit gab es immer wieder Phasen, in denen Bilder und Informationen im Überfluss über uns hineinbrechen. Durch das plötzliche Verschwinden der Berichterstattung wird dem Konsumenten nicht deutlich, wieso es zu derartigen Katastrophen und Kriegen gekommen ist und worin die Ursachen dafür lagen.

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


4.1. Ursachen des Bürgerkrieges

Die Geschichte Nigerias in seinen heutigen Grenzen beginnt im Jahre 1914 mit der Errichtung britischer Protektorate über Nord- und Südnigeria und deren spätere Zusammenlegung. Während der Norden Nigerias als Provinz bestehen blieb, wurde der Süden in eine Ost- und Westregion unterteilt.

Infolge dessen entstand ein Gebiet mit einer ausgesprochen heterogenen Ethnizität.

Bis auf die Hauptstadt Lagos, die eine Sonderstellung hatte, gab es drei Regionen, in denen eine Vielzahl von Ethnien mit unterschiedlichen Kulturen, Sprachen und Regierungsformen zusammenlebte. In den drei Regionen dominieren jeweils eine der großen drei Ethnien Nigerias: im Norden die Hausas/Fulani, im Südwesten die Yoruba und im Südosten die Igbo.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 1: Religius and Ethnic map of Nigeria.

Insgesamt machen diese großen Ethnien ca. 60 % der Gesamtbevölkerung aus. Daneben gibt es eine Vielzahl von Minderheiten. Im damaligen Norden, der flächenmäßig größten Region, lebt rund die Hälfte der Gesamtbevölkerung Nigerias. Die Verwaltung der britischen Kolonie basierte auf dem System der „indirect rule“, welches so angelegt ist, dass es sich der Macht der traditionellen Herrscher bedient und sich so durch sie etabliert. Die bereits angesprochene Dreiteilung in autonome Regionen, welche jeweils durch ein Mehrheitsvolk beherrscht wurde, sorgte für eine gesellschaftliche Polarisierung. Die gesellschaftlichen Minoritäten, ca. 40% der Gesamtbevölkerung, wurden in diesem System benachteiligt, denn ihnen standen der Verfassung nach zu urteilen weder Rechte noch besonderer Schutz zu.[1]

Mit der Unabhängigkeit Nigerias im Jahr 1960 und der Errichtung einer parlamentarischen Demokratie, war die regionale Autonomie bereits tief in der Gesellschaft verankert. Innerhalb der Regionen vertraten die jeweiligen Parteien die Interessen der Eliten, die damit einen Anspruch auf die Macht erhoben und somit Einfluss auf die Verteilung des Staatshaushaltes nehmen konnten.[2] Auf föderaler sowie auf regionaler Ebene bildete sich eine neue politische Klasse heraus. Deren Interesse bestand darin, sich im Kampf um Privilegien und dem Zugriff auf staatliche Ressourcen Vorteile zu verschaffen. Um diese Privilegien zu erhalten war ihnen jedes Mittel recht: Amtsmissbrauch, Korruption und Manipulation der politischen Institution zur Selbstbereicherung.

Politische Spielregeln wurden kaum eingehalten, so dass es besonders vor und während verschiedener Wahlen zu militanten Ausschreitungen kam.[3]

Der Kolonialismus in Nigeria bewirkte nicht nur die Integration der Ökonomie in den Welthandel, oder einen Verstädterungsprozess, sondern schuf eine „politische Zwangsintegration“[4] von Gruppen mit unterschiedlichen kulturellen, religiösen und ethnischen Differenzen. Die Spannungen aus Inklusion und Differenz verstärkten die ethnisch-regionalen Unterschiede. Mit der Einführung des Protektorates in Nigeria, sollte eine stärkere Selbstverwaltung der indigenen Bevölkerung vorangetrieben werden. Die koloniale Herrschaft Nigerias war eng verbunden mit der direkten politischen Verbindung von Kolonialbeamten und lokalen, traditionellen Herrschern.[5]

In Folge der Kolonialherrschaft und der damit verbundenen politischen Zusammenarbeit von Kolonialherren und lokalen Autoritäten bildeten sich ethnische Disparitäten aus.

„[e]ine kollektive Identität ´der´ Yorubas, ´der´Igbo usw. als voneinander unterschiedene ethnische Gruppen hatte in der vorkolonialen Periode nicht existiert. Identität war – jedenfalls außerhalb der islamischen Welt – vor allem kommunal definiert […][6]

Die Instrumentalisierung der ethnischen Identität wurde spätestens ab den 1950er Jahren politisiert. Um Wähler zu akquirieren, die politische Unabhängigkeit zu legitimieren und im späteren Verlauf die Kontrolle des politischen Systems zu gewinnen, benötigten die nigerianischen Eliten eine breite Masse der Bevölkerung.[7]

Die zunehmend ethnische Dimension der Politik wurde über Appelle der regionalen und ethnischen Zugehörigkeit, bzw. über Drohungen und Marginalisierungen vorangetrieben. Der Ethnonationalismus wurde durch die Wahlkämpfe der Parteichefs bis in die kleinsten Kommunen transportiert, wo sie als Verteidiger und Beschützer stilisiert wurden. Die Diversität der Ethnien wurde von den Politikern instrumentalisiert und galt als probates Mittel zur Rekrutierung von Wählern, wenn andere Argumente der Wählermobilisierung ihre Wirkung verfehlten.[8] Es ist davon auszugehen, dass der Grundstein der ethnisch-kulturellen Differenzen bereits „die wichtigste Determinante im entstehenden politischen System Nigerias“[9] war.

4.2. Der Weg in den Bürgerkrieg

Am Erhalt des Systems waren alle Eliten interessiert, verfolgten jedoch partiell eigene Interessen, sodass das labile politische Systems Nigerias innerhalb der Regionen und Koalitionen nach der Erklärung der Unabhängigkeit schnell zu zerbrechen begann.[10] Auf der regionalen Ebene wurde das Klientelwesen gefördert und auf der nationalen Ebene eine Konkurrenz geschaffen, in der die ethnischen Auseinandersetzungen die politischen Konflikte lediglich verschärften.[11] Die fragile politische Balance zwischen den drei Regionen und ihren Eliten, welche bereits nach der Unabhängigkeit eine weitreichende Autonomie besaßen, drohte in einer „eskalierenden Serie politischer Krisen“[12] zusammenzubrechen. Am 15. Januar 1966 unternahmen junge Offiziere einen Militärputsch, welcher den Höhepunkt der gewalttätigen Auseinandersetzungen darstellte.

Bei diesem Putsch wurden führende Politiker aus den Nord- und Westregionen getötet. Die Absichten der Putschisten, welche mehrheitlich Igbos waren, waren zunächst sozialrevolutionär und sie stellten sich gegen Korruption, Amtsmissbrauch und forderten die Abkehr vom Tribalismus.[13] Die Putschisten stammten mehrheitlich aus Südnigeria, dieser Umstand verstärkte das interethnische Misstrauen.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 2 : Lt. Col. Yakubu Gowon.

Dieses Misstrauen bewirkte, dass vor allem Nord-Nigeria den Putsch als Versuch interpretierte Nigeria unter die Herrschaft der Igbos zu bringen. Der Putsch scheiterte, denn bereits gegen Ende Juli 1966 erlangte Lt. Col. Y. Gowon durch einen Gegenputsch die militärische Dominanz im Norden. In Folge der Auseinandersetzungen kam es Ende September 1966 zu Pogromen im Norden, welche sich vor allem gegen die dort ansässige Igbo-Bevölkerung richtete. Die Massaker, bei denen Tausende ihr Leben ließen, lösten eine Massenflucht aus dem Norden in ihre Heimatregion aus, die bis zum Kriegsbeginn 1967 anhielt.[14] Für den späteren Verlauf des Biafrakrieges interessant, stellt diese Massenflucht und die Vertreibung der Igbo, den Beginn der Sezession des Südostens Nigerias dar.

Die Massaker lieferten den Igbos den Beweis, dass lediglich Biafra ihnen Sicherheit bieten konnte und waren Auslöser für den Ausruf der Genozid-Theorie durch Chukwumeka Odumegwu Ojukwus.[15] Die Genozid-Theorie, welche zum zentralen Punkt der Propaganda Biafras wurde, wird zu einem späteren Zeitpunkt aufgegriffen. Nach der Aufrüstung des Südostens und der Vorbereitung auf die Sezession, entwickelte Gowon die politische Option der Aufteilung Nigerias in zwölf Bundesstaaten. Die Neuaufteilung sollte bewirken, dass die Großregionen aufgebrochen werden, ohne sie jedoch einer zentralistischen Kontrolle zu unterstellen und sie demnach für Majoritäten als auch für Minoritäten im Norden Nigerias attraktiver zu machen.[16] Die föderale Aufteilung in Bundesstaaten war für die Igbo nicht akzeptabel, da ihnen nach der Neuaufteilung die politische Kontrolle über ökonomisch wichtige Gebiete (die Seehäfen, die Erdölgebiete und die Nahrungsmittel produzierenden Regionen) entzogen worden wären. Für die Igbo-Bevölkerungsmehrheit und dessen Sprecher Ojukwu im Osten waren diese Forderungen nicht hinnehmbar. Der Ausruf der Aufteilung wurde als Kriegserklärung interpretiert und mit einer Unabhängigkeitserklärung Biafras erwidert.[17] Am 27. Mai 1967 wurde die Sezession ausgerufen und wechselseitig verkündete Gowon das System der zwölf Bundesstaaten und proklamierte den Notstand. Wenige Tage später kam es zu den ersten gewalttätigen Auseinandersetzungen.[18]

4.3. Dimension und Auswirkung des Bürgerkrieges

Die anfänglich als „Polizeiaktion“ der nigerianischen Zentralregierung durchgeführte Offensive gegen Ojukwu, stellte sich nicht als die schnelle Beendigung des Konflikts heraus, sondern entwickelte sich zu einem ausgewachsenen Krieg.

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Abbildung 3: Chukwuemeka Odumegwu Ojukwu.

Ziel der nigerianischen Politik war es die Einheit Nigerias wieder herzustellen und die Igbos zu integrieren.[19] Dem entgegen stand die Forderung der Igbos nach einem unabhängigen Biafra, als einen international anerkannten Staat. Beide Kriegsparteien erhielten Unterstützung aus dem Ausland. Von Beginn an unterstützten Großbritannien, später auch die Sowjetunion und eine Vielzahl afrikanischer Staaten die nigerianische Seite.

Die großen Waffenlieferungen für die nigerianische Seite sorgte für die militärische Überlegenheit. Biafra war zur Beginn der Kriegshandlungen zunächst auf sich allein gestellt, konnte jedoch später die Unterstützung aus Frankreich, Südafrika und Portugal sicherstellen. Die militärische Strategie Biafras bestand darin, den Krieg auszuhalten und mit fortwährender Dauer auf die internationale/ diplomatische Anerkennung zu hoffen. Die relativ lange Dauer des Krieges ist mit dem langanhaltenden Ringen um die Anerkennung zu begründen.[20]

Biafra war Nigeria militärisch unterlegen, konnte aber zu Beginn einige Achtungserfolge feiern. Langfristig hatte die biafranische Armee der übermächtigen nigerianischen Armee nichts entgegen zu setzen. Mit zunehmender Dauer des Krieges war das Leben in der Biafraregion von Hunger, Luftangriffen und Flucht vor der nigerianischen Armee geprägt.[21] Die großen Versorgungsengpässe sorgten für Hungersnöte und wurden von beiden Seiten in Kauf genommen. Obwohl der Hunger auf beiden Seiten auftrat, betraf er nicht flächendeckend alle Bevölkerungsteile. Personenkreise, die sich Zugang zu Hilfslieferungen verschaffen konnten, gehörten zu den Privilegierten des Krieges. Die noch zu Beginn des Krieges proklamierte „Brüderlichkeit und Gleichheit“ der biafranischen Bevölkerung, setzte sich mit zunehmender Dauer in individuelle Überlebensstrategien um.[22] Für Biafra diente dieser Hunger als Bestätigung der „Genozid-Theorie“, mit der sie die internationale Weltöffentlichkeit versuchten aufmerksam zu machen.[23] Der Krieg dauerte insgesamt drei Jahre an und wurde mit großer Härte geführt.

Das Ende des Krieges wurde durch die bedingungslose Kapitulation Biafras am 12. Januar 1970 markiert. Die Zahl der Opfer wird nach heutiger Erkenntnis auf ca. 1.000.000 Menschen geschätzt.[24]

4.4. Propaganda

Biafra war Nigeria zwar militärisch weit unterlegen, konnte jedoch durch eine effizientere und bessere Propaganda während des gesamten Krieges überzeugen. Mit einer gezielten Propaganda auf Seiten Biafras sollte die Bevölkerung auf einen langandauernden Krieg psychologisch vorbereitet werden. Im Verlauf zunehmend schlechten humanitären Lage Biafras reagierten die Medien. Mit einer eigens eingerichteten „ Directorate of Propaganda“ sollte die Furcht vor einem Genozid aufrechterhalten werden.[25] Die Weltpresse nahm zunächst keinen Anteil an den Auseinandersetzungen in Nigeria. Auf der Seite der nigerianischen Zentralregierung wurde der Genozid-Begriff abgelehnt, man berief sich lediglich auf den Kampf gegen die Sezessionisten und nicht gegen das Volk der Igbo.[26] Trotz der ausbleibenden Propaganda gegen die Igbos, musste sich die Zentralregierung den Vorwurf des Genozids gefallen lassen. Mit gezielten Luftangriffen, Vertreibungen, Massaker an der Zivilbevölkerung und Hungerblockaden, konnten die Betroffenen den Genozid-Begriff aufrechterhalten. Die Verpflichtung von professionellen Redeführern war das Resultat der europäischen Ausbildung der Gegner. Emeka Ojukwu kam aus einer der reichsten Familien Nigerias und studierte am Lincoln College der Universität Oxford. Yakubu Gowon war Absolvent der britischen Eliteakademie Sandhurst.[27]

Für die Bearbeitung des europäischen Pressemarktes wurde die Genfer Public Relations Agentur „Markpress“ beauftragt. Der Erfolg der biafranischen Darstellung im Ausland ist im Wesentlichen „Markpress“ zu verdanken. Mit der Propaganda eines religiös motivierten Krieges zwischen Christentum und Islam sollten Sympathien im Ausland geweckt werden. Der Erfolg der biafranischen Propaganda ist jedoch nicht gänzlich der Öffentlichkeitsarbeit der PR-Agentur zuzuschreiben, großen Anteil hatten ebenfalls kirchliche Organisationen, die ihren Fokus zunehmend auf die geopolitischen Ereignisse in Nigeria setzten.[28]

4.5. Kriegsende und Nachkriegszeit

Der Biafrakrieg endete mit der bedingungslosen Kapitulation Biafras am 15. Januar 1970. Nach dem Krieg wurde die Parole „ One Nigeria“ zu einem Ausruf der persönlichen Unterwerfung durch die nigerianische Armee. Racheakte der Besieger blieben aus, jedoch kam es fast überall zu Übergriffen und Plünderungen.[29] Im Gegensatz zu den Minoritätengebieten sah man die nigerianische Armee in den Igbo-sprachigen Gebieten nicht als Befreier an.

„In den Igbo-sprachigen Gebieten kamen die Zivilisten nur dann heraus, wenn sie mußten, voll Furcht, gefolgt von Schock“

(Obersanjo, 1980)[30]

Die größten Probleme in der Nachkriegszeit stellte die Sicherstellung der Nahrungsmittelversorgung, als auch die Wiedereingliederung und Rückkehr der Flüchtlinge, dar.

Die Versorgungsituation blieb auch nach Kriegsende kritisch und führte immer wieder zu Berichten über einen „silent genocide“[31] der Igbo-Bevölkerung. Wichtig für die Bekämpfung des Hungers war besonders die Wiederherstellung funktionierender Marktbeziehungen ins Ausland. Das politische System unter der Führung von Gowon, wurde zu einer Föderation mit zuerst zwölf Bundesstaaten umstrukturiert, dann 19 (1976), später 21 (1988) und schließlich 30 Bundesstaaten (1991).

Die Nachkriegsadministration gründete angesichts der hohen Kriegsschäden und der langandauernden Versorgungsprobleme ein Programm „Olu Obodo“ (Arbeit für das Gemeinwohl), zur finanziellen, propagandistischen und logistischen Unterstützung von Selbsthilfegruppen.[32]

In Nigeria ist es heute noch üblich über voneinander abgegrenzte ethnische Gruppen, „den“ Igbos / Yorubas usw. zu sprechen. Die Politik und die Politiker sind ethnisch geprägt und gelten auch heute noch als die Repräsentanten ihres jeweiligen Volkes. Heute ist Nigeria in 40 Bundesstaaten aufgeteilt, die zentrale Gewalt wird durch das Zentrum ausgeübt, welches gestärkt aus dem Bürgerkrieg hervor ging. Auch diese Stärkung kann als Versuch gewertet werden regional-ethnische Auseinandersetzungen zu verhindern. Das föderale System Nigerias tendiert dazu alle großen Machtblöcke aufzuweichen.[33] Mit der Verteilung der ethnischen Großgruppen auf mehrere einzelne Bundesstaaten soll die Autonomie der jeweiligen Ethnien innerhalb ihrer Staaten gefördert werden. Die Föderalisierung ermöglicht eine Vielzahl von Koalitionen auf nationaler Ebene und reduziert zudem die Gefahr der Polarisierung untereinander. Der Nord-Südgegensatz ist ein ganz zentraler Aspekt, neben den vielen Ressourcen- und Machtkonflikten in Nigeria. Auch die Frage nach der Reintegration der Igbos birgt heute noch großes Konfliktpotenzial.

4.6. Reintegration und die politische Ordnung in der Nachkriegszeit

Die Frage nach der Reintegration der Igbo ist auch heute noch allgegenwärtig. Die Politik der Nachkriegszeit ist geprägt durch die Reintegration der Igbo, der Versöhnung und dem Wiederaufbau Nigerias. Der Neubeginn und der Weg in eine „Normalität“ verlief daher im Vergleich zu anderen afrikanischen Bürgerkriegen relativ schnell.

„Aus längerer historischer Perspektive gesehen könnte sich zeigen, daß die Afrikaner, die uns kaum etwas darüber beizubringen haben, wie man Krieg führt, einen wirklichen Beitrag dazu leisten können, uns zu lehren, wie man Frieden herstellt.“

(John de St. Jorre, 1972)[34]

So ist festzustellen, dass es keine gezielte Politik der Rache gab, jedoch ist nicht zu leugnen, dass es Besiegte und Sieger gab. Dieser Umstand prägte die Verteilung von Ressourcen, als auch die Kräfteverhältnisse unter den Nigerianern. Die Rhetorik beider Seiten zeigt aber deutlich, dass die Frage nach der vollständigen Wiedereingliederung der Igbos noch heute im politischen Diskurs steht. Für die Seite der Igbos ist die Reintegration unzureichend und nicht vollkommen abgeschlossen und eher das Ergebnis ihrer eigenen Initiative. In großen Teilen der Igbo-Bevölkerung herrscht die Meinung vor, dass die Kriegsentschädigungen hätten größer ausfallen müssen, da die Kriegshandlungen hauptsächlich auf dem Igbo-Territorium stattgefunden haben, denn der Krieg sei in der Verantwortlichkeit aller Nigerianer durchgeführt worden.[35] Weit verbreitet ist die Annahme, dass die Igbo-Eliten im Vergleich zu anderen Eliten der verschiedenen Ethnien politisch ohnmächtig sind und das fast vier Jahrzehnte nach dem Bürgerkrieg. Als Grund wird das Misstrauen anderer ethnischen Gruppen benannt.[36] Die mediale Aufarbeitung spielt ebenfalls eine große Rolle und verdeutlicht, dass der Kriegsbewältigungsprozess noch lange nicht abgeschlossen ist. In der nigerianischen Presse sind häufig Interviews mit ehemaligen Akteuren des Bürgerkrieges zu finden.

Der Grundtenor der Kommentare zum 20. Jahrestag des Kriegsendes 1990 war andächtig und abschreckend:

„Der Friede wurde 1970 wiederhergestellt, doch die grundlegenden strukturellen Gegensätze Nigerias, die das politische System Nigerias in den sechziger Jahren sprengten, bestehen in modifizierter Form weiter.“[37]

Das Reintegrationsprogramm der Zentralregierung zeigt aber auch seine Schwächen, denn ein Kriegsende ohne Sieger und Besiegte erleichtert zunächst die Wiedervereinigung Nigerias, jedoch wird die Frage nach Schuld und Aussöhnung nicht aufgegriffen. So entstand gegen Ende des Krieges eine widersprüchliche Situation, in der die verschiedenen Seiten das Gefühl hatten sich für den Krieg entschuldigen zu müssen. Diese widersprüchliche Situation Nigerias nach dem Bürgerkrieg eröffnet jedoch gleichzeitig einen Raum öffentlicher Diskussion, in dem Kriegsursachen und Auswirkungen sowie die Verteilung von Macht immer wieder neu aufgearbeitet werden kann.

5. Darstellung des Krieges in der medialen Repräsentation

Die Afrika-Berichterstattung zeichnet sich vor allem dadurch aus, dass den Konsumenten der Medien häufig Authentizität nur vorgespielt wird. Schwerwiegend kommt die Erstattung von Berichten in gängigen Mustern hinzu.

Afrika wird als Kontinent von Hunger und Elend, machtgierigen Diktatoren und als Brutstelle von Kriegen und Gewalt dargestellt.[38]

„Im Grunde ist die europäische Seele immer noch auf der Suche nach dem archaischen dunklen, seit Jahrtausenden unveränderten Afrika“

(Stefan Eisenhofer)[39]

Den Auseinandersetzungen in Nigeria schenkte die Weltöffentlichkeit zunächst keine Aufmerksamkeit. Mit der sich zunehmend verschlechternden humanitären Lage und dem Einsetzen des Massensterbens reagierten die Medien. Die Konfliktperspektive ist also das beherrschende Merkmal der europäischen Afrika-Berichterstattung. Ganz nach dem Motto:

(…) gute Nachrichten sind keine Nachrichten, nur schlechte Nachrichten sind schlagzeilentauglich“

(Helmut Müller)[40]

Eine gute Begründung für die aufgestellte These, dass lediglich schlechte Nachrichten für Schlagzeilen sorgen, lieferten Johan Galtung und Mari Holmboe Ruge, zwei norwegische Friedensforscher, bereits 1965 in ihrer Studie „The Structure of Foreign News“

„Negative news is more unexpected than positive news, both in the sense that the events referred to are more rare, and in the sense that they are less predictable. This presupposes a culture where changes to the positive, in other word ´progess´, are somehow regarded as the normal and trivial thing that can pass under-reported because it represents nothing new. The negative curls and eddies rather than the steady positive flow will be reported. The test of this theory would be a culture with regress as the normal, and in that case one would predict over-reporting of positive news. This is exemplified by news about the illness of an important person: the slightest improvement is over-reported relative to a steady decline.”[41]

Der Biafrakrieg ist als Medienereignis zu definieren, da ein komplexes und dynamisches Beziehungsgeflecht aus Militär, Politik und Medien diesen Krieg geprägt haben. Um nun den Untersuchungsgegenstand der Krisen- und Kommunikationsforschung des Biafrakrieges bestimmen zu können, werden unter Berücksichtigung von Printmedien, die Dynamik der Berichterstattung, sowie deren Einfluss auf das Kriegsgeschehen ausführlich dargestellt. In Folge vieler verschiedener Kriege veränderte sich auch die Kriegsberichterstattung genauso gravierend wie der Journalismus insgesamt.[42]

Neben internationalen sicherheitspolitischen Intentionen zur Instrumentalisierung des Journalismus, gelten vor allem ökonomische Interessen von Medienunternehmen als eine Konstante in der Kriegsberichterstattung. Innovationen in der Medientechnologie, ökonomische Profitinteressen, sowie Informations- und Unterhaltungsbedürfnisse der Rezipienten stellen im weiteren Verlauf der Arbeit einen prägenden Faktor dar.

[...]


[1] Vgl. Graf, William D.: The Nigerian State, S. 15.

[2] Post, Kenneth, Vickers, Michael (1973): Structure and Conflict in Nigeria 1960-1964.London. S.63-106.

[3] Zu erwähnen ist hier die Zensuskontroverse 1963.

[4] Osterhammel, Jürgen; Jansen, Jan C. (2012): Kolonialismus. Geschichte, Formen, Folgen. 7., vollst. überarb. und aktualis. Aufl., Orig.-Ausg. München: Beck (Beck'sche Reihe, 2002 : C. H. Beck Wissen). S. 88.

[5] Marx, Christoph (2005): Geschichte Afrikas. Von 1800 bis zur Gegenwart. 1. Aufl. Stuttgart: UTB Geschichte. S. 161.

[6] Harneit-Sievers, Axel: Kriegsfolgen und Kriegsbewältigung. In: Afrika, S. 15.

[7] Wirtz, Albert: Krieg in Afrika, S. 78-62.

[8] Vgl. Graf, William D.: The Nigerian State, S. 32.

[9] Harneit-Sievers, Axel: Kriegsfolgen und Kriegsbewältigung. In: Afrika, S. 15.

[10] Harneit-Sievers, Axel: Der Sezessionskrieg um Biafra, S. 279.

[11] Heerten, Lasse (2011): A wie Auschwitz, B wie Biafra. Der Bürgerkrieg in Nigeria (1967-1970) und die Universalisierung des Holocaust. In: Zeithistorische Forschung/Studies in Contemporary History (8), H 13.

[12] Diamond, L. (1988): Class, Ethnicity and democracy in Nigeria. The Failure of the First Republic. London. S. 173.

[13] Harneit-Sievers, Axel: Der Sezessionskrieg um Biafra, S. 279.

[14] Harneit-Sievers, Axel: Der Sezessionskrieg um Biafra, S. 279.

[15] Ademoyega, Adewale (1981): Why We Struck. The Story of the First Nigerian Coup: Ibadan. S. 33-47.

[16] Stremlau, John J. (1977): The international politics of the Nigerian civil war, 1967-1970. Princeton, N.J: Princeton University Press, S. 53.

[17] Ebd. S. 54.

[18] Harneit-Sievers, Axel: Der Sezessionskrieg um Biafra, S. 280.

[19] Harneit-Sievers, Axel: Der Sezessionskrieg um Biafra, S. 284.

[20] Harneit-Sievers, Axel; Ahazuem, Jones O.; Emezue, Sydney (1997): A social history of the Nigerian Civil War. Perspectives from below. Enugu [Nigeria], Hamburg: Jemezie; Lit (Studies in African history, v. 17 = Studien zur afrikanischen Geschichte ; Bd. 17), S.102.

[21] Harneit-Sievers, Axel: Der Sezessionskrieg um Biafra, S. 285.

[22] Stremlau, John J.: The international politics of the Nigerian civil war, S. 222.

[23] Sturmer, Martin (2013): Afrika! Plädoyer für eine differenzierte Berichterstattung. Konstanz, München: UVK Verlagsges, S.109.

[24] Harneit-Sievers, Axel: Der Sezessionskrieg um Biafra, S. 285.

[25] Stremlau, John J.: The international politics of the Nigerian civil war, S. 112-113; Harneit-Sievers, Axel: Kriegsfolgen und Kriegsbewältigung in Afrika, S. 103.

[26] Krik-Green, A.H.M: Crisis and Conflict in Nigeria. Band 1 und 2. London 1971, S. 178.

[27] Sturmer, Martin: Afrika! Plädoyer für eine differenzierte Berichterstattung, S. 105.

[28] Ebd. S.107.

[29] Harneit-Sievers, Axel: A social history of the Nigerian Civil War, S.167.

[30] Obasanjo, Olusegun (1980): My command. An account of the Nigerian civil war, 1967-1970. Ibadan: Heinemann. S.76.

[31] Harneit-Sievers, Axel: Kriegsfolgen und Kriegsbewältigung. In: Afrika, S. 126-127.

[32] Harneit-Sievers, Axel: A social history of the Nigerian Civil War, S.188f.

[33] Harneit-Sievers, Axel: Der Sezessionskrieg um Biafra, S. 311.

[34] De St. Jorre, John (1972): The Nigerian Civil War. London: Hodder and Stoughton, S. 407.

[35] Harneit-Sievers, Axel: A social history of the Nigerian Civil War, S. 197.

[36] Harneit-Sievers, Axel: Kriegsfolgen und Kriegsbewältigung. In: Afrika, S. 199-200.

[37] Harneit-Sievers, Axel: Der Sezessionskrieg um Biafra, S. 314.

[38] Sturmer, Martin, S. 11.

[39] Kastler, Ursula (2011): Sehnsucht Afrika. In: Salzburger Nachrichten, 26. November 2011, S. 61 (Beilage Lebensart S.V).

[40] Sturmer, Martin, S. 32.

[41] Galtung, Johan, Ruge Mari Holmboe (1965): The Structure of Foreign News. The Presentation of the Congo, Cuba and Cyprus Crisis in Four Nowegian Newspapers. In: Journal of Peace Research, S. 64.

[42] Löffelholz, Martin (Hg.) (2004): Krisenkommunikation im 21. Jahrhundert. 1. Aufl. Wiesbaden: VS, Verl. für Sozialwissenschaften (Krieg als Medienereignis, 2), S. 25.

Details

Seiten
Erscheinungsform
Erstausgabe
Jahr
2013
ISBN (PDF)
9783958206045
ISBN (Paperback)
9783958201040
Dateigröße
2.3 MB
Sprache
Deutsch
Institution / Hochschule
Universität Duisburg-Essen
Erscheinungsdatum
2015 (Februar)
Note
1,3
Schlagworte
Biafra Propaganda Medien Bürgerkrieg Nigeria
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