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Naturwissenschaftliche Bildung in der Frühen Kindheit: Ein grundlegender Vergleich der schwedischen Entwicklungspädagogik mit dem Konzept der Stiftung „Haus der kleinen Forscher“

©2013 Bachelorarbeit 40 Seiten

Zusammenfassung

Die vorliegende Arbeit stellt zwei verschiedene pädagogische Ansätze im Bereich der frühen naturwissenschaftlichen Bildung vor und vergleicht diese anhand grundlegender theoretischer und praktischer Kriterien (Das Bild vom Kind, die Perspektive des Kindes, die Rolle der pädagogischen Fachkraft, sowie eingesetzte Methoden und Materialien) miteinander.
Die Autorin beschreibt die wissenschaftstheoretische Phänomenologie, welche durch die schwedische Wissenschaftlerin Ingrid Pramling Samuelsson erdacht und zur anwendungsbezogenen Entwicklungspädagogik (Utvecklingspedagogik) weiterentwickelt wurde. Anschließend stellt sie das pädagogische Konzept der in Deutschland renommierten Stiftung „Haus der kleinen Forscher“ vor.
Abschließend wertet die Autorin die herausgearbeiteten Gemeinsamkeiten und Differenzen der Ansätze in Bezug auf die Vergleichskriterien aus und zieht ein kurzes Fazit.
Die Arbeit stützt sich auf internationale Quellen und bezieht sowohl deutsche, als auch englische und schwedische Texte ein.

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


2.1 Das Bild vom Kind

Kinder werden als eigenständige Mitglieder der Schwedischen Gesellschaft anerkannt. Sie bilden eine eigene soziale Gruppierung mit eigenen Rechten. Das Konstrukt Kindheit wird nicht als Randstufe oder Vorbereitungsphase auf das Leben verstanden, sondern als eine wichtige Teilstruktur der Gesellschaft, als eine Phase im Lebenszyklus, ebenso wichtig wie alle anderen Phasen auch. Kindheit ist von Kindern und für Kinder sozial konstruiert und kontextbezogen. Daher gibt es keine universelle Kindheit und kein universelles Kind. Jedes Kind hat eine Stimme, der zugehört werden muss, wenn man Kinder erst nehmen möchte. Kinder beteiligen sich aktiv an der Konstruktion ihres eigenen Lebens und ihrer Umwelt und lernen durch Erfahrungswissen (Dahlberg et al. 2007, S. 49). Die Schwedische Literatur spricht in Anlehnung an die Pädagogik von Reggio Emilia auch vom reichen Kind (Dahlberg et al. 2007); (Thulin 2010); (Pramling Samuelsson und Pramling 2009) welches auf Grundlage seiner individuellen Fähigkeiten, welche es von Geburt an besitzt, Kultur, Wissen und Identität mitkonstruiert, und interessiert, engagiert und fokussiert sein eigenes Lernen mitgestaltet und sich gültige Zusammenhänge erschließt (Thulin 2010, S. 37). Mit diesem Verständnis vom reichen Kind ist Lernen eine kooperative und kommunikative Tätigkeit, in welcher Kinder zusammen mit anderen Kindern und Erwachsenen Wissen konstruieren und der sie umgebenden Welt eine Bedeutung zuweisen. Das Kind entwickelt dabei Ideen und Theorien, welche es wert sind untersucht und – wo es dienlich und angemessen erscheint – auch in Frage gestellt und herausgefordert zu werden (Dahlberg et al. 2007, S. 50).

Doch das Bild vom Kind umfasst nicht nur eine Lernkomponente, sondern auch eine soziale Komponente. So geht die Entwicklungspädagogik von einem sozialen und empathischen Kind aus, welches für andere Kinder sorgt und darauf achtet, dass andere Kinder bei Forschungsaktivitäten etwas sehen und teilhaben können. Das Kind fragt, ob der Erwachsene zuschaut, wie es zeichnet; es achtet darauf, dass auch die anderen Kinder Zugang zu Werkzeugen und Forschungsinstrumenten haben und es unterstützt, wenn einem anderen Kind die Handhabung noch schwer fällt. Damit verbunden geht die Entwicklungspädagogik davon aus, dass das Kind auch gern Hilfe von Erwachsenen und Freunden annimmt (Thulin 2010, S. 37).

2.2 Die Perspektive des Kindes

Alle pädagogischen Aktivitäten sollen die Perspektive des Kindes berücksichtigen und auf ihr aufbauen. Doch was genau bedeutet das? Die Schwedische Literatur unterscheidet klar zwischen der sogenannten barnperspektiv (Kindperspektive) und der barns perspektiv (der Perspektive des Kindes) (Halldén 2003). Die Kindperspektive einnehmen bedeutet, fachliches Wissen und Erfahrungen über Kindheit und Kinder so einzusetzen, dass beste Bedingungen für das Kind geschaffen werden können – aus Sicht des Erwachsenen (Halldén 2003, S. 14).

Die Perspektive des Kindes dagegen leitet das pädagogische Handeln in schwedischen Kindertageseinrichtungen. Sie beschreibt die direkte Sichtweise des Kindes. Hier leistet das Kind selbst seinen Beitrag (Halldén 2003, S. 14), ist aktiv beteiligt und kommuniziert seine Sicht verbal oder nonverbal. In seinen Aussagen und Bemerkungen spiegelt sich seine eigene, meist unbewusste Art des Denkens und Erlebens wider (Pramling Samuelsson und Asplund Carlsson 2007, S. 84), was dann die Grundlage für alle pädagogischen Aktivitäten bildet (Thulin 2010, S. 30). Die Perspektive des Kindes einzunehmen bedeutet also die Welt und die Wirklichkeit durch die Augen des Kindes zu sehen. Dies schließt auch ein, die Welt und ihre Phänomene als Ganzes zu betrachten – als etwas, das man vorerst nicht in verschiedene Dimensionen unterteilen kann. In der Wirklichkeit der Kinder existieren beispielsweise keine ernsthaften Tätigkeiten einerseits und das ausgelassene Spiel andererseits (Pramling Samuelsson und Asplund Carlsson 2007, S. 59).

Grundlegend für die Gestaltung von Lernprozessen ist die Einsicht, dass unterschiedliche Lerngegenstände für Kinder und Erwachsene ganz unterschiedliche Bedeutungen haben können. „Es ist also nicht das Problem der Erwachsenen, über das sich das Kind Gedanken macht, sondern es ist ein anderes Problem, nämlich dieses, wie es sich aus der Perspektive des Kindes darstellt“ (Pramling Samuelsson und Asplund Carlsson 2007, S. 83). Die Ideen und Deutungen der Kinder können insbesondere bei naturwissenschaftlichen Themen sehr von den Erkenntnissen der Wissenschaft abweichen. Das, was für die meisten Erwachsenen offensichtlich scheint (zum Beispiel welche Materialien schwimmen und welche sinken, oder dass Erwärmen und Abkühlen zur gleichen Art von Veränderung gehören), ist jungen Kindern nicht bewusst, weshalb sie meist unterschiedliche Erklärungen für diese Phänomene finden (Harlen 2006, S. 5). Hier spielen die Einstellungen und das Verhalten der pädagogischen Fachkräfte gegenüber den kindlichen Annahmen über natürliche Phänomene und deren Beobachtungen eine bedeutende Rolle (Sträng 2008, S. 123):

“[…] if we wish to develop children’s understanding at the same time as assessing the capabilities and knowledge they have acquired, we need to nourish an interactional contract […] within which children can respond in a competent manner from their own perspective on the world. Not until we – teachers and researchers – do this will we be able to truly gain access to the process we call development.” (Pramling Samuelsson und Pramling 2009, S. 214)

2.3 Die Rolle der pädagogischen Fachkraft

Von übergeordneter Wichtigkeit in der Schwedischen Entwicklungspädagogik ist die Anforderung an die pädagogische Fachkraft, die Perspektive der Kinder einnehmen zu können. Die Perspektive der Kinder zeigt sich in den Fragen, den Bemerkungen und im Verhalten der Kinder. Die pädagogische Fachkraft ermutigt die Kinder, ihre Fragen offen zu stellen, ihrer Verwunderung Ausdruck zu verleihen und Erklärungen für Phänomene zu finden (Pramling Samuelsson und Pramling 2009, S. 206). Sie nimmt die Fragen und Ideen der Kinder ernst, hört zu, beobachtet, analysiert, stellt unterschiedliche Perspektiven und Denkansätze der Kinder heraus, schafft jedem einzelnen von ihnen eine Plattform und plant darauf aufbauend die weitere Vorgehensweise (Thulin 2010, S. 39). „Sie stellt viele Fragen, wie die Kinder etwas meinen, warum sie dies oder das tun, wie sie auf etwas gekommen sind usw.“ (Pramling Samuelsson und Asplund Carlsson 2007, S. 140).

Die Beschreibung und Herausstellung der unterschiedlichen Denkweisen der Kinder ist ein Hauptaspekt der Phänomenografie und ihrer pädagogischen Praxis. Es ist die Aufgabe der pädagogischen Fachkraft, die unterschiedlichen Denkansätze sichtbar zu machen „und für das Kind Voraussetzungen zu schaffen, diese Variation der Gedankengänge zu erkennen“ (Pramling Samuelsson und Asplund Carlsson 2007, S. 43). Sie macht die Kinder auf die Unterschiede und die Gemeinsamkeiten in deren individueller Lösungsfindung, beim Zeichnen oder anderen Ausdrucksarten aufmerksam und betont damit besonders die Vielfalt der Ausdrucks- oder Verstehensmöglichkeiten (Pramling Samuelsson und Asplund Carlsson 2007, S. 140).

Die pädagogische Fachkraft prägt jede Aktivität durch Kommunikation und Interaktion mit den Kindern (Pramling Samuelsson und Asplund Carlsson 2008, S. 638), jedoch ohne dabei das Wissen direkt zu vermitteln. Sie sollte lediglich die Aufmerksamkeit und das Interesse der Kinder auf relevante Aspekte des Lerngegenstandes lenken (Pramling und Pramling Samuelsson 2001, S. 141). Diese Lerngegenstände können meist in mehr als einer Weise wahrgenommen werden. Daher muss nach und nach dafür gesorgt werden, dass die Fähigkeit der Kinder, unterschiedliche Aspekte wahrzunehmen und je nach Relevanz den einen oder den anderen zu berücksichtigen, gestärkt wird (Pramling Samuelsson und Pramling 2009, S. 209).

Die oberste Aufgabe der pädagogischen Fachkraft ist es jedoch, Lerninhalte festzulegen und aus der Beobachtung der Kinder Lerngegenstände zu ermitteln, welche die Kinder ansprechen und zum Erzählen, Beschreiben, Erklären und Nachdenken anregen (Pramling Samuelsson und Asplund Carlsson 2007, S. 44–45). Wenn das Erleben des Kindes der Ausgangspunkt für das Lernen bestimmter Inhalte sein soll, dann muss die pädagogische Fachkraft auch eine genaue Vorstellung davon haben, was die Kinder verstehen sollen (Pramling Samuelsson und Asplund Carlsson 2007, S. 64). Sie muss also eine klare Vorstellung der Lernziele haben, die sie mit den Kindern erreichen möchte und sie muss eine ebenso klare Vorstellung haben, auf welchem Weg sie sich diesen Zielen mit den Kindern nähern könnte. Sie muss die Fähigkeit haben, zu analysieren, wo die Kinder stehen und wie sie sie bei der Entwicklung ihrer Fähigkeiten unterstützen kann. Dazu gehört es auch, den Kindern die Bedeutung der Lernziele näher zu bringen und begreifbar zu machen (Harlen 2006, S. 9).

Eine andere Herausforderung für die pädagogische Fachkraft ist es, den Kindern ein wissenschaftliches Vorbild zu sein, sodass sie positive Einstellungen und Überzeugungen gegenüber der Naturwissenschaft entwickeln. Denn letztendlich sind es diese Einstellungen und Überzeugungen, welche ihre Motivation, naturwissenschaftliche Phänomene zu ergründen, lebenslang beeinflussen (Siraj-Blatchford 2001, S. 3). Die pädagogische Fachkraft sollte dem jeweiligen naturwissenschaftlichen Lerngegenstand daher Neugier und Achtung entgegenbringen (Engdahl und Ärlemalm-Hagsér 2008, S. 120). Und sie sollte selbst ein gesteigertes Interesse an den vielfältigen Phänomenen der Naturwissenschaft zeigen. Um das naturwissenschaftliche Interesse der Kinder zu wecken, kann die pädagogische Fachkraft im Morgenkreis das Gespräch in eine naturwissenschaftliche Richtung lenken und sich berichten lassen, welche Erfahrungen und Erlebnisse die Kinder mit einem bestimmten Phänomen bereits gemacht haben oder wo sie Verwunderung verspüren (Thulin 2010, S. 28). Sie kann auch Geschichten erzählen über naturwissenschaftliche Entdeckungen (Siraj-Blatchford 2001, S. 2–3), denn zumeist hat jede naturwissenschaftliche Forschung in der Lebenswirklichkeit der Menschen ihren Anfang genommen. Zudem kann sie die Aufmerksamkeit der Kinder im Alltag auf Geschehnisse lenken, die naturwissenschaftliche Anknüpfungspunkte aufweisen (Thulin 2010, S. 28), wie beispielsweise Waldspaziergänge, gemeinsames Kuchen backen oder Aktivitäten mit Naturmaterialien, wie Schnee oder Sand. Dadurch können die Kinder ein anfängliches Bewusstsein für naturwissenschaftliche Phänomene und eine positive Einstellungen gegenüber den Naturwissenschaften entwickeln (Siraj-Blatchford 2001, S. 2–3).

Die pädagogische Fachkraft plant die Aktivitäten sorgfältig und bereitet diese vor, ohne die Lebenswirklichkeit der Kinder zu vernachlässigen. Sie erfährt durch die Dialoge mit den Kindern, was diese vom Lerninhalt bereits wissen und wie sie sich die Zusammenhänge vorstellen. Sie wendet aber auch unterschiedliche kognitive und kreative Methoden an, um verschiedene Inhalte problematisieren zu können (Pramling Samuelsson und Asplund Carlsson 2007, S. 140).

2.4 Die Themenarbeit

Wenn es um das Verstehen und Anwenden der schwedischen Entwicklungspädagogik geht, spielt das Konstrukt der Variation eine große Rolle. Durch Variation lernt das Kind ganz naturgemäß. Es hat ein Interesse daran, verschiedenste Muster und Phänomene zu verstehen. Um dies zu erreichen, nutzt das Kind verschiedene Objekte, mit denen das Muster wiederholt und das jeweilige Ergebnis beobachtet wird (Pramling Samuelsson 2006, S. 121). „Das Phänomen, das es interessant findet, erscheint dem Kind als konstant, während es die Art und Weise, es in seinem Handeln zu gestalten, variiert“ (Pramling Samuelsson und Asplund Carlsson 2007, S. 67). Wenn es zum Beispiel erlebt, wie ein stehender Reifen sich um seine eigene Achse dreht, und selbst fasziniert ist von diesem Phänomen, dann wird es versuchen, diesen Reifen selbst zu drehen und das gleiche auch mit anderen Objekten versuchen. Nach und nach wird es Kriterien herausarbeiten können, die charakteristisch dafür sind, dass ein Objekt sich um seine eigene Achse drehen kann (zum Beispiel muss es unten schmal zulaufen, wie ein Brummkreisel). Es hat also durch Varianz charakteristische Prinzipien des Rotierens entdeckt und herausgearbeitet (Pramling Samuelsson 2006, S. 121). Durch diese Variation erwirbt das Kind erste Fähigkeiten zur Generalisierung und Verstehen kann sich nach und nach aufbauen. Daher ist auch die Herausstellung der vielfältigen Ideen und Annahmen der einzelnen Kinder so wichtig für die schwedische Entwicklungspädagogik. Dieses Wissen um die Bedeutung der Variation schlägt sich natürlich auch auf die angewendeten Methoden in der Kindertageseinrichtung nieder.

Bezogen auf die methodische Arbeit bedeutet Variation vor allem, dass das Kind beim Lernen alle Sinne einsetzen kann. Daher wird darauf geachtet, dass der gleiche Lerninhalt auf verschiedenste Arten erschlossen wird (Pramling Samuelsson und Asplund Carlsson 2007, S. 65). Dies geschieht zumeist durch eine Methode, welche alle anderen noch zu beschreibenden Methoden beinhaltet: die Themenarbeit (temaarbete) (Thulin 2010, S. 29). Die Aktivitäten der naturwissenschaftlichen Bildung sind typischerweise in Form recht allgemeiner, übergreifender und vor allem langfristiger Projektthemen organisiert (Gustavsson und Pramling 2013, S. 5), wobei das Thema immer aus ganz verschiedenen Perspektiven für die Kinder erfahrbar gemacht wird. Diese Variation hilft, beim Erleben des Themas alle Sinne zu stimulieren (Pramling Samuelsson und Asplund Carlsson 2007, S. 65–66). In welche Richtung und mit welchen Aktivitäten sich ein Thema dabei entwickelt, hängt immer von den Erfahrungen und den Interessen der Kinder ab. Die Kindertageseinrichtung bildet lediglich den Rahmen, in welchem die Variation von den Kindern und der pädagogischen Fachkraft zusammen gestaltet wird. Dabei geht zumindest der Erwachsene von Anfang an bewusst und planvoll vor (Pramling Samuelsson und Asplund Carlsson 2007, S. 70), in dem er die Aktivitäten vorbereitet und die Aufmerksamkeit der Kindes auf den Inhalt, für welchen es ein Verständnis entwickeln soll, oder auf die Kompetenz, die es erlangen soll, leitet (Pramling Samuelsson und Asplund Carlsson 2007, S. 71). Die pädagogische Fachkraft plant jedoch nicht von vornherein die gesamte Themenarbeit, sondern beginnt nach einem durchgeführten Termin auf Grundlage der daraus entstandenen Erkenntnisinteressen der Kinder den nächsten Termin zu planen (Skolverket 2012, S. 15).

2.4.1 Methoden

Die hauptsächliche Methode, um das Verständnis des Kindes weiter zu entwickeln, ist der Dialog. Durch Dialoge mit dem Kind möchte die pädagogische Fachkraft nicht nur herausfinden, was das Kind bereits weiß, sondern sie möchte damit vielmehr eine gedankliche Struktur aufbauen und im Verstand des Kindes neue Einsichten formen. Fragen sind vorwärts gerichtet und zielen darauf ab, in kleinen Schritten, durch Beobachtung und Ermutigung, zu neuen Erkenntnissen zu führen (Pramling Samuelsson und Pramling 2009, S. 214). Dabei ist jedoch penibel darauf zu achten, dass keine traditionellen Frage-Antwort-Situationen aufkommen. „Kinder müssen reflektieren und frei assoziieren dürfen und es muss ihnen dabei das Gefühl vermittelt werden, dass sie genau das tun dürfen und nicht unter dem Erwartungsdruck stehen, eine richtige Antwort geben zu müssen“ (Pramling Samuelsson und Asplund Carlsson 2007, S. 42). Auch bei kleinen Kindern, welche sich noch nicht vollständig mitteilen können ist der Dialog wichtig, denn wenn der Erwachsene mit dem Kind in Situationen von Interesse interagiert und kommuniziert, lernen die Kinder durch diese Unterstützung der Erwachsenen. Sie lernen, dass Beobachtungen, egal welcher Phänomene in ihrem Umfeld wichtig sind und sie lernen ebenso, auf Gemeinsamkeiten, Unterschiede und Veränderungen zu achten. Dies sind wichtige Grundlagen für das naturwissenschaftliche Lernen (Sträng 2008, S. 127).

Eine weitere wichtige Methode für die naturwissenschaftliche Bildung in schwedischen Kindertageseinrichtungen sind metakognitive Dialoge (Pramling Samuelsson und Asplund Carlsson 2007). Ziel von metakognitiven Dialogen ist es zum einen, die Kinder dabei zu unterstützen, ihr eigenes Lernen und Denken zu betrachten, aber auch eine Basis für ein sich entwickelndes Reflexionsvermögen zu schaffen, indem sie ihre Denkweise in Relation zu der der anderen Kinder setzen (Pramling Samuelsson und Asplund Carlsson 2007, S. 140–141). So wird das „Lernen zum Objekt der Aufmerksamkeit und das Gelernte zu einem Objekt der Kommunikation“ (Pramling Samuelsson und Asplund Carlsson 2007, S. 85). Der Gegenstand – das Was – des Lernens ist herbei ebenso wichtig, wie der Akt – das Wie – des Lernens (Pramling Samuelsson und Asplund Carlsson 2007, S. 85–86). Durch die Darstellung der Vielfalt an Ideen zu einem Phänomen und dem Dialog mit den Kindern wird jedes Kind mit den Denkweisen der anderen Kinder konfrontiert. Die Auseinandersetzung mit der Perspektive der anderen Kinder stellt seine ihm eigene Art zu denken infrage und möglicherweise wird es dadurch sein eigenes Verständnis hin zu einer mehr wissenschaftlichen Denkweise anpassen (Pramling Samuelsson und Asplund Carlsson 2007, S. 43).

Naturwissenschaften sind oftmals ein kompliziertes Feld, da die Erklärungen ihrer Phänomene meist nicht direkt beobachtbar sind. Daher kommt dem Bilden von Hypothesen und dem Suchen von Erklärungen eine große Bedeutung in der schwedischen Entwicklungspädagogik zu, denn sie stellen die ersten Schritte dar, auf dem Weg des naturwissenschaftlichen Denkens und Lernens (Pramling und Pramling Samuelsson 2001, S. 147). Wenn Kinder in der Auseinandersetzung mit natürlichen Phänomenen damit konfrontiert werden, Probleme zu lösen, Hypothesen aufzustellen und Untersuchungen zu entwerfen, entwickeln sich auch Situationen, die Fragen aufwerfen. Genau das sind die Voraussetzungen, um ihr naturwissenschaftliches Denken und Wissen weiterzuentwickeln. Die Fragen beginnen oft mit den Worten Darf ich…, können wir…, haben wir…, wie kann man… oder warum… Diese Fragen können als Wille verstanden werden, sowohl neue inhaltsspezifische Wissensdomänen zu erobern, als auch sich prozessorientierte Wissensdomänen anzueignen und eine Untersuchungskompetenz zu entwickeln (Thulin 2010, S. 38). Durch die Fragen der Kinder kann die pädagogische Fachkraft dem kindlichen Interesse begegnen, es herausfordern und somit maßgeblich dazu beitragen, dass jedes Kind sein Wissen und sein Selbstbild weiterentwickelt (Thulin 2010, S. 38).

Eingesetzte Methoden, wie Beobachtungen, Experimente, Versuche, Exkursionen oder Dialoge sind dabei bedarfsgerecht anzuwenden, so dass sie Kindern die Beantwortung ihrer Frage an die Natur auch tatsächlich ermöglichen können. Generell ist zu beachten, dass alle Methoden spielerisch angewendet werden sollen, was bedeutet, dass Aspekte wie symbolische Repräsentation, Freiwilligkeit, Freude, Kreativität und spontanes Handeln ermöglicht werden müssen. Aus Sicht der Entwicklungspädagogik stimulieren Spiel und Lernen einander und können als untrennbare Einheit verstanden werden, welche das Verstehen von Phänomenen unterstützt (Pramling Samuelsson und Johansson 2006, S. 47). Festgelegte Lernziele sollten auf ein Minimum beschränkt und flexibel gehalten werden, damit Kinder sich auch eigene Ziele setzen können. Die Kinder sollten ebenfalls sowohl sozial als auch aktiv eingebunden sein. All dies sind sowohl Eigenschaften des Spiels wie auch wichtige Aspekte des Lernens. Spiel und Lernen sind hier ein Mittel, um grenzenlose Ideen und Gedanken hervorzurufen. (Pramling und Pramling Samuelsson 2001, S. 143); (Pramling Samuelsson und Johansson 2006, S. 47).

Prinzipiell geht es in der Auseinandersetzung mit naturwissenschaftlichen Phänomenen in schwedischen Kindertagesstätten nicht so sehr um das Lernen bestimmter Begriffe, als vielmehr um die Anbahnung eines generellen Verständnisses für die nature of science (Thulin 2010, S. 28). Für ein Kind kann es beispielsweise schwierig sein, das Phänomen des Schwimmens und Sinkens von Gegenständen wissenschaftlich zu verstehen, sich also mit dem Konstrukt der Dichte auseinanderzusetzen. Nichtsdestotrotz können Kinder aber bestimmte wissenschaftliche Abläufe erfahren und deren Bedeutung verstehen lernen, um dadurch möglicherweise die Grundlage für ein allgemein besser entwickeltes Verständnis zu schaffen (Thulin 2010, S. 28).

2.4.2 Die Rolle der pädagogischen Dokumentation

Die Entwicklung der Kinder wird in Schweden größtenteils auf die Leistung der pädagogischen Fachkräfte zurückgeführt (Taguma et al. 2013, S. 35). Um dieser Verantwortung gerecht werden und die Entwicklung genau aufzeigen zu können, wird die Methode der pädagogischen Dokumentation intensiv genutzt. Die pädagogische Dokumentation fokussiert dabei nicht primär auf das einzelne Kind, sondern auf die Kindergruppe und wird als kollektives Evaluationsinstrument verstanden, weit entfernt von individuellen Entwicklungsplänen (Skolverket 2008, S. 28). Ausgehend von den Aussagen und dem beobachteten Verhalten der Kinder wird das, was in der Einrichtung passiert, durch die Dokumentation sichtbar gemacht. So hört die pädagogische Fachkraft sorgfältig dem zu, was die Kinder zu berichten haben, nimmt sensibel das wahr, was passiert und fängt die Lernprozesse der Kinder durch das Fotografieren, Notieren und Filmen der Geschehnisse ein (Skolverket 2012, S. 15).

Die Kinder werden immer direkt an der pädagogischen Dokumentation beteiligt. Sie fotografieren selbst Aspekte, welche sie als besonders bedeutsam erachten, sie verleihen ihren Vorannahmen, Hypothesen und Beobachtungen durch Zeichnungen Ausdruck oder sprechen darüber, welche Aspekte ihnen in der Dokumentation fehlen, was sie als den wichtigsten Aspekt des Themas erleben oder was sie beim nächsten Mal ausprobieren wollen (Skolverket 2012, S. 15). In dieser Reflexionsarbeit mit den Kindern kommt es oft vor, dass das, was Erwachsene als alltäglich und selbstverständlich ansehen, sich für die Kinder als bedeutungsvoll und von brennendem Interesse entpuppt und vertieft werden will (Skolverket 2012, S. 16). Indem man mit den Kindern nach der Aktivität über das Erlebte und Gesagte spricht und mit ihnen zusammen ihre Bilder, Fotos und Videos auswertet, wird es möglich, den nächsten Aktivitäten eine Richtung zu geben (Skolverket 2012, S. 15). Somit wird die pädagogische Dokumentation zur treibenden Kraft des kindlichen Lernens (Skolverket 2012, S. 32).

Die Arbeit mit der pädagogischen Dokumentation ermöglicht es, die fortschreitenden Lernprozesse, sowohl der Kinder als auch der Erwachsenen zu erkennen und zu gestalten. Die Werke der Kinder werden gelesen, interpretiert und zusammen mit den Kindern und Kollegen diskutiert (Skolverket 2012, S. 16). Die pädagogische Dokumentation ermöglicht es somit, die Variation zu identifizieren und den Wissensentstehungsprozess sichtbar zu machen (Skolverket 2012, S. 32).

Wenn die Dokumentation zusammen mit der Kindergruppe und den Kollegen bearbeitet wurde, wird sie innerhalb der Einrichtung öffentlich gemacht. Die Werke der Kinder können beispielsweise im Eingangsbereich der Einrichtung präsentiert werden, sodass jeder sie bestaunen kann (Pramling Samuelsson und Asplund Carlsson 2007, S. 140). Die Dokumentation stellt so eine Verbindung her zwischen der Kindergruppe und ihrem Thema, aber auch zwischen der Kindergruppe und anderen Kindern der Einrichtung, sowie auch den Eltern und anderen Erziehern (Skolverket 2012, S. 17). Die Entwicklung des Themas lässt sich direkt verfolgen. Die teilnehmenden Kinder können sehen, welche Gedanken sie zu Beginn der Themenarbeit hatten und wie sich ihr Wissen über die Zeit entwickelt hat, was es ihnen auch ermöglicht, etwas über ihre eigenen Lernprozesse zu erfahren (Pramling Samuelsson und Asplund Carlsson 2007, S. 140). Die pädagogische Dokumentation vermag also auch, die Entwicklung und das Lernen des individuellen Kindes abzubilden. Die Dokumentation soll jedoch in erster Linie aufzeigen, was in der Interaktion zwischen dem Kind und seiner Umwelt entsteht und von Bedeutung ist. Sie soll keinesfalls das Kind in Bezug zu allgemeinen Entwicklungsstufen setzen und entsprechend dieser bewerten (Skolverket 2012, S. 31).

Das Gespräch und die Reflexion mit allen Beteiligten, sowohl mit den Kindern als auch mit dem Kollegium, ist entscheidend, damit die pädagogische Dokumentation einen Beitrag zur Verbesserung der pädagogischen Wirksamkeit leisten kann. Man könnte also sagen, dass die Diskussionen und der Dialog es sind, die aus einer einfachen Dokumentation eine pädagogische Dokumentation machen (Skolverket 2012, S. 15).

2.4.3 Materialien und Instrumente

Grundsätzlich sollten die Kinder in der ersten Auseinandersetzung mit der Naturwissenschaft die Möglichkeit bekommen, sich mit spezifischen, natürlichen Phänomenen auseinanderzusetzen. Daher sollten sie an natürliche Artefakte und Gegenstände herangeführt werden, die Ihnen erste Erfahrungen mit der Naturwissenschaft ermöglichen (Siraj-Blatchford 2001, S. 2). Diese ersten Erfahrungen beinhalten das Spielen mit unterschiedlichen Naturmaterialien, wie Sand, Wasser, Holz, Moos, Ton usw., aber auch die Lenkung ihrer Aufmerksamkeit auf ihren Körper und seine Bewegungsfähigkeit, sowie auf die natürlichen und künstlich hergestellten Gegenstände in ihrer Umgebung (Siraj-Blatchford 2001, S. 2). In Schweden ist diese Arbeit mit Dingen aus der Natur besonders wichtig, wobei solche natürlichen Dinge nicht nur die greifbare Natur beinhalten, sondern auch Licht und Schatten, Geräusche und Luft. Auch Aquarien oder Terrarien sind denkbare und verwendete Materialien (Björkman 2008) in schwedischen Kindertageseinrichtungen.

Oft werden den Kindern Digitalkameras zur Verfügung gestellt. Die Fotos, welche die Kinder damit während der Projekte machen, geben Aufschluss über deren Sicht und Erfahrungen und das, was ihnen wichtig ist (Einarsdottir et al. 2009, S. 217–218). Und natürlich zählen auch Becherlupen, Vergrößerungsgläser, Ferngläser, Reagenzgläser, Pinzetten, Löffel oder Pipetten zu den Hauptmaterialien jeder naturwissenschaftlichen Untersuchung (Thulin 2010, S. 33).

3 Der Ansatz der Stiftung „Haus der kleinen Forscher“

Die Stiftung Haus der kleinen Forscher steuert die gleichnamige „größte deutsche Bildungsinitiative im frühkindlichen Bereich“ (Stiftung Haus der kleinen Forscher 2013a, S. 4). Diese Bildungsinitiative hat zum Ziel, Kinder im Kindergartenalter, und neu auch im Grundschulalter, für Naturwissenschaften, Technik und Mathematik zu begeistern. Durch verschiedene Materialgaben und Themenvorschläge soll der kindliche Forscherdrang und die Freude geweckt werden, naturwissenschaftliche Fragestellungen zu bearbeiten (Stiftung Haus der kleinen Forscher 2012c, S. 10) und Antworten zu finden.

Dabei richtet sich die Bildungsinitiative Haus der kleinen Forscher hauptsächlich an die pädagogischen Fachkräfte, welche für die Bildung der Kinder verantwortlich sind. Sie werden durch die Stiftung kontinuierlich fortgebildet und dauerhaft begleitet (Stiftung Haus der kleinen Forscher 2012c, S. 10).

Die Arbeit der Stiftung basiert auf einer breiten wissenschaftlichen und gesellschaftspolitischen Grundlage, die sich sowohl aus aktuellen Erkenntnissen der Entwicklungspsychologie, der Lernforschung, der Elementarpädagogik und Fachdidaktik speist, als auch die Bildungspläne der einzelnen Bundesländer einbezieht. Außerdem werden praktische Erfahrungen aus den Netzwerken der Stiftung in die Arbeit und die Entwicklung neuer Materialien integriert (Stiftung Haus der kleinen Forscher 2013a, S. 4).

[...]

Details

Seiten
Erscheinungsform
Erstausgabe
Jahr
2013
ISBN (PDF)
9783958205642
ISBN (Paperback)
9783958200647
Dateigröße
1 MB
Sprache
Deutsch
Institution / Hochschule
Freie Universität Berlin
Erscheinungsdatum
2015 (Februar)
Note
1,3
Schlagworte
Entwicklungspädagogik Naturwissenschaft Kindertagesstätte Schweden pädagogische Praxis Scientific Literacy Kleinkindpädagogik

Autor

Nicole Persson, B.A., wurde 1982 im Land Brandenburg geboren. Ihr Studium der Erziehungswissenschaft an der Freien Universität Berlin schloss die Autorin im Jahre 2013 mit dem akademischen Grad des Bachelor of Arts erfolgreich ab. Bereits während des Studiums sammelte die Autorin umfassende praktische Erfahrungen im Bereich der Frühpädagogik. Zum einen verbrachte sie 6 Monate als Austauschstudentin in Stockholm, wo sie neben Kursen zum „Explorative Learning“ (Erkundungslernen) auch Praktika in schwedischen Kindertageseinrichtungen absolvierte. Sie war beeindruckt vom schwedischen Bildungsverständnis und der pädagogischen Praxis - insbesondere in Bezug auf die frühe naturwissenschaftliche Bildung. In Deutschland forschte sie in einer Kindertagesstätte im Land Brandenburg mit 4-6-jährigen Kindern weiter zu naturwissenschaftlichen Themen und trug damit zur Zertifizierung dieser Kindertagesstätte zum ‚Haus der kleinen Forscher‘ bei. Diese Erfahrungen motivierten sie, sich in ihrer Bachelorarbeit der Thematik des vorliegenden Buches zu widmen.
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Titel: Naturwissenschaftliche Bildung in der Frühen Kindheit: Ein grundlegender Vergleich der schwedischen Entwicklungspädagogik mit dem Konzept der Stiftung „Haus der kleinen Forscher“
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