Pflegelehrerbildung im Spannungsfeld unterschiedlicher Qualifikationen: Ein Überblick und eine Meinungsanalyse zur Pflegelehrerbildung in Deutschland
Zusammenfassung
Von dieser Heterogenität der Pflegelehrerbildung sind auch die beiden Autorinnen der vorliegenden Arbeit betroffen. Diese Betroffenheit, welche bereits vor Aufnahme des Studiums bestand, brachte den Wunsch hervor, sich eingehender mit der Pflegelehrerbildung zu beschäftigen. Die Autorinnen waren Studentinnen an einer Fachhochschule. Der Karriereweg, den sie über ein Fachhochschulstudium einschlagen, ist auch im Zuge des eingesetzten Bologna Prozesses immer noch ein anderer, als der Karriereweg, der mittels eines Universitätsstudiums eingeschlagen werden kann. Die Autorinnen hoffen mit ihrer Arbeit einen Überblick über die Pflegelehrerbildung geben zu können und versuchen anhand der zwei Diskursstränge aufzuzeigen, in welchem Spannungsfeld sich die Pflegelehrerbildung in Deutschland befindet.
Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
3.Rückblick auf die Entwicklung der Pflegelehrerbildung
Bedingt durch die Ausführungen der historischen Hintergründe im vorigen Kapitel können wir die Entstehung des Pflegelehrerberufes nun besser darstellen. Seine Entstehung ist eng mit der Krankenpflegegeschichte verbunden und konnte, bedingt durch die gegebenen Umstände, nur auf der Ebene der Weiterbildung entstehen.
Der Strukturwandel in der Gesellschaft und im Gesundheitswesen zeigt die Versäumnisse der vergangenen Jahrzehnte und die daraus resultierende mangelnde Anerkennung des Pflegelehrerberufes.[1]
3.1 Die Sonderstellung der Krankenpflegeschulen und ihrer Lehrkräfte
Bis heute unterscheiden sich die Strukturen der Krankenpflegeschulen und die Grundvoraussetzungen für eine Lehrertätigkeit an einer Krankenpflegeschule erheblich von denen des berufsbildenden Schulwesens.[2] Die Krankenpflegeausbildung ist eine schulische Ausbildung außerhalb des Berufsbildungsgesetzes. Der Krankenhausträger ist oftmals auch Träger der Krankenpflegeschule, womit die dort angestellten Pflegelehrer als Arbeitnehmer fungieren. Dieser Doppelstatus, gleichzeitig Lehrender an der Schule und in der Praxisbegleitung zu sein führt erfahrungsgemäß immer wieder zu Spannungen zwischen den Lernorten.[3]
3.2 Die Auswirkungen der gesetzlichen Vorgaben auf die Professionalisierung der Krankenpflege und die Qualifizierung der „Pflegelehrer“ durch Weiterbildung
Wie bereits in Kapitel 2 dargestellt, bestand lange Zeit kein Bedarf an Pflegelehrern, da die Pflege nicht als Beruf anerkannt war. Es waren größtenteils Frauen, die diese Tätigkeit ausführten. Da diese alle nötigen Eigenschaften und Tugenden zur Krankenpflege mitbrachten, bestand kein Bedarf an Ausbildung. Praktischer Unterricht fand durch erfahrene Schwestern am Krankenbett statt. Eine wichtige Voraussetzung war es, gut pflegen zu können. In verschiedenen Krankenhäusern wurden die Frauen in Ethik unterrichtet. Dies galt jedoch nicht der theoretischen Ausbildung, sondern der Festigung ihrer Grundsätze, der Aufopferung und der Nächstenliebe.[4] Da die medizinischen Fortschritte und die Wissenschaft sich immer weiter entwickelten, stiegen auch die pflegerischen Anforderungen an die Schwestern und somit der Bedarf an einer systematischen Ausbildung.[5]
Im Jahre 1903 gründete das Deutsche Rote Kreuz die erste Fortbildungsschule für ihre leitenden Schwestern, die Oberinnen.[6] 1938 wurde die Berufsausübung der Krankenpflege erlaubnispflichtig und somit gesetzlich geregelt. Es wurden Krankenpflegeschulen errichtet, die Schulleitung übernahm ein Arzt.[7] Durch die Hilfestellung der Ärzte wurde die Professionalisierung der Krankenpflege einerseits gefördert, andererseits jedoch die Selbstständigkeit des Berufes unterdrückt. Die Ärzte trugen die Hauptverantwortung für die Ausbildung und betrachteten Pflegelehrer lediglich als untergeordnete Hilfskräfte.[8] Die Ärzte besaßen fachwissenschaftliche jedoch keine pädagogischen Qualifikationen die dieser Rolle entsprachen.[9]
Eine Lehrerqualifizierung war ebenfalls nicht im Sinne der Krankenpflegeorganisationen. Sie unterstellten den Weiterbildungsmaßnahmen und den beruflichen Qualifikationen Praxisferne. Lange Zeit wurden weder von den Ausbildungsstätten, noch vom Gesetzgeber, ernsthafte Schritte unternommen um dieser Diskrepanz ein Ende zu setzen.[10] Der Staat hatte jedoch auch nur begrenzte Zugriffsmöglichkeiten, da die Krankenpflegeausbildung nicht dem Berufsbildungsgesetz unterstand.[11] In der Gesetzgebung von 1949 beschloss die Bundesregierung, die Berufsausbildungen in der Pflege weiterhin unter „andere pflegerische Heilberufe“ durch das Gesundheitsministerium regeln zu lassen:
„Gesundheits- und Krankenpflege, sowie Gesundheits- und Kinderkrankenpflege gehören nach gesetzlicher Eingruppierung zu den Heilberufen und unterliegen somit der Gesundheitsgesetzgebung statt der Gesetzgebung durch das Bildungsministerium bzw. der Kultusministerkonferenz (KMK).“[12]
1943 wurde erstmalig der Begriff „Lehrschwester“ erwähnt. Die Basis für ihre Ausbildung bildete das Krankenpflegegesetz von 1938. Die Berufsbezeichnungen „Lehrschwestern“, „Unterrichtsschwestern“ entwickelten sich aus den Pflegeberufen heraus. Die Ausbildung war an eine Erstausbildung in einem Pflegeberuf und an eine mehrjährige Berufstätigkeit gebunden.[13] 1957 wurde das einheitliche Krankenpflegegesetz für die Bundesrepublik Deutschland verabschiedet. Die Krankenpflegeausbildung fand nun in Verantwortung von Krankenhausträgern an staatlich anerkannten Kranken- bzw. Kinderkrankenhäusern statt. Die Dauer betrug 3 Jahre und wurde von der Gesundheitsbehörde der Länder geregelt, unabhängig vom Bildungssystem des Staates. Die theoretischen Stunden der Grundausbildung wurden heraufgesetzt und es entstand ein erhöhter Bedarf an Unterrichtsschwestern. Entsprechend dem Krankenpflegegesetz von 1938 wurden diese weiterhin aus der Pflege rekrutiert, nahmen an Weiterbildungslehrgängen teil und bedurften keiner staatlichen Lehramtsprüfung. Die Weiterbildung galt nicht als eigenständiger Beruf, sondern war eine Zusatzqualifikation und qualifizierte für pädagogische Aufgaben in der Ausbildung. Die Weiterbildung zur Unterrichtsschwester dauerte bis Ende der 70er Jahre ein Jahr, ab den 80er Jahren dann zwei Jahre. Sie schloss nach einer Prüfung mit einem Zertifikat der jeweiligen Weiterbildungseinrichtung ab.[14] Es entstanden in ganz Deutschland Weiterbildungsinstitute, die sowohl von konfessionellen Trägerschaften als auch von Gewerkschaften gegründet wurden. Der Lehrgang wurde in Länderhoheit geregelt und unterlag einer großen Heterogenität in Bezug auf das geforderte Wissen.
Die Entscheidung für eine Weiterbildung zur Unterrichtsschwester war oft um dem Schichtdienst und der anstrengenden körperlichen Arbeit zu entkommen und nicht aus Interesse an einer pädagogischen Tätigkeit.[15]
In den 70er Jahren fing die Krankenpflege an sich zusehends zu emanzipieren und es kam zu einer Abgrenzung vom traditionellen Gehorsam gegenüber den Ärzten. Die pflegerischen Tätigkeiten stellten den Patienten in den Mittelpunkt der Pflege und nicht länger den Arzt. So entwickelte sich ein neues berufliches Selbstverständnis.
Ein weiterer wichtiger Punkt in der Entwicklung der Krankenpflegeausbildung und der Lehrerqualifikation ist, dass bis in die 60er Jahre fast jede weibliche Pflegekraft einer Schwesternschaft angehörte. Außerhalb einer Schwesternschaft war die Ausbildung kaum möglich.[16] Die Schwesternschaft bestimmte über die beruflichen Aufgaben ihrer Mitglieder und somit auch die Weiterbildung zur Unterrichtsschwester. Der Ruf nach Anerkennung der Eigenständigkeit des Berufes wurde immer lauter und somit auch der Bedarf an einer entsprechenden Ausbildung.[17]
3.3 Entwicklung der Akademisierung der Pflegelehrer im gesellschaftspolitischen Kontext
Von Mitte der 1970er Jahre bis in die Mitte der 1990er Jahre kam es zu strukturellen Veränderungen im Gesundheitswesen. Zur Notwenigkeit einer Veränderung kam es aufgrund einer stetig steigenden Arbeitslosigkeit in den 1970er Jahren. Diese Arbeitslosigkeit führte dazu, dass dem Gesundheitswesen weniger finanzielle Mittel zur Verfügung standen. Dieser Mangel an Kapital führte seinerseits dann zu einer Erhöhung der Krankenkassenbeiträge.[18] Das Gesundheitswesen in der BRD musste also reformiert werden.
Um Arbeitgebern einen Anreiz zu verschaffen Arbeitsplätze zu schaffen und Neueinstellungen vorzunehmen, wurde das Prinzip der Parität zurückgefahren. Das heißt, dass in Bezug auf die Beitragszahlung in die gesetzliche Krankenversicherung (GKV) vom Arbeitnehmer eine höhere Selbstbeteiligung gefordert wurde. Nicht zuletzt trug hier die Einführung der Pflegeversicherung im Jahre 1995 zur Erhöhung der Selbstbeteiligung bei. Idee war es durch Einführung der Pflegeversicherung die Kommunen zu entlasten, die bis dahin bei Bedürftigkeit die ambulante Versorgung deckten. Ebenfalls wurden somit die Krankenhäuser entlastet, indem ein großer Teil der Versorgung in den ambulanten Sektor ausgelagert werden konnte. Die Schwerstpflegebedürftigkeit wurde als neue Leistung in den Katalog der Krankenkassen aufgenommen und diese finanzierten die häusliche Pflege ebenfalls in einem bestimmten Rahmen. Als möglicher Faktor zur Kosteneindämmung setzen die Krankenkassen auch immer mehr auf Gesundheitsförderung und Prävention, indem sie darauf ausgerichtete Programme für ihre Versicherten anboten.
Durch diese Veränderungen ergaben sich neue, anspruchsvolle Betätigungsfelder für Pflegende im ambulanten Versorgungsbereich. Auch die Mitwirkung bei den Präventionsprogrammen der Krankenkassen wurde Pflegekräften eröffnet, nicht zuletzt auch aus dem Grunde, weil sie billiger waren, als Ärzte. Das hieß aber auch, dass für immer mehr, sowie komplexere Aufgaben, eine höhere Zahl an Pflegekräften bereitgestellt werden musste, die es nicht gab. Die Auswirkungen des Pflegenotstandes waren in der Öffentlichkeit angekommen.[19]
3.4 Von der Weiterbildung zur Akademisierung- Einrichtung von Studiengängen an Fachhochschulen und Universitäten
Die Krankenpflege hatte sich in den letzten Jahren grundlegend geändert und die Kritik an der Weiterbildung wie sie in Deutschland üblich war, wurde immer lauter. Die Anforderungen an Lehrende im Bereich Pflege entsprachen nicht mehr der Zeit und es mussten dringend wichtige Schritte unternommen werden, um die Ausbildung der Lehrer und Lehrerinnen im Gesundheitswesen dem aktuellen internationalen Stand anzupassen. Die hauptamtlich Lehrenden der Kranken- und Kinderkrankenpflegeschulen waren vor allem dreijährig ausgebildete Pflegepersonen mit einer Weiterbildung, welche von Schwesternschaften, Berufsverbänden und Gewerkschaften durchgeführt wurde. Dauer, Inhalt und Prüfungsanforderungen waren nicht verbindlich festgelegt. Mit einer solchen Weiterbildung wurde die Forderung des Gesetzgebers erfüllt, eine im Verhältnis zur Zahl der Schülerinnen ausreichende Zahl von Unterrichtsschwestern, beziehungsweise Unterrichtspflegern einzusetzen. Die Lehrenden hatten durch eine solche Weiterbildung keine Qualifikation, die denen der Gewerbelehrer gleichzusetzen war. In den 70-80er Jahren gab es bereits erste Versuche, die Weiterbildung als Pflegestudiengänge an Fachhochschulen und Universitäten zu etablieren. Hierdurch wurde ein wichtiger Schritt getan, um die Lehrerrolle in der Pflege zu verändern. Die, durch die Sonderstellung bedingte Problematik der bisherigen Pflegelehrerausbildung wurde nun nicht mehr geleugnet. Die deutlich verstärkte Professionalisierung des Pflegeberufes und die Akademisierung der Lehrerbildung wurden nun von politischer Seite unterstützt. Es musste dringend eine Steigerung der Attraktivität der gesamten beruflichen Bildung eingeführt werden, da es immer weniger Bewerber für den Beruf gab.[20]
Durch die Akademisierung erhoffte man sich eine Reform in der Ausbildung der Lehrkräfte und eine Qualitätssteigerung der Pflegepraxis. Der Pflegeberuf sollte attraktiver werden und neue Karrieremöglichkeiten eröffnen, die es vorher nicht gab. Ein solcher Akademisierungsversuch war der „Modellstudiengang für Lehrer/innen für Kranken- und Kinderkrankenpflege“ an der Freien Universität Berlin aus dem Jahr 1976, welcher im Kapitel 4 von uns exemplarisch dargestellt wird.
Im Jahre 1989 wurde von der Deutschen Krankenhausgesellschaft ein gemeinsames, länderübergreifendes Projekt ausgearbeitet. Die Weiterbildung für Lehrkräfte in der Krankenpflegeausbildung sah nun eine 2000stündige theoretische Ausbildung vor.[21]
Durch die Wiedervereinigung Deutschlands (1990) gewann die Akademisierung des Pflegelehrerberufs an politischer Bedeutung. Im Bildungssystem der DDR existierte die Pflegelehrerausbildung bereits seit 1963 als Diplomstudiengang. Nach einer dreijährigen Fachschulausbildung mit einheitlicher Berufsausbildung erwarb man den Titel „Diplom-Medizinpädagoge“. Dieser universitäre Studiengang wurde nach der Wiedervereinigung in den Einigungsvertrag des Krankenpflegegesetzes aufgenommen und an der Humboldt-Universität in Berlin fortgeführt.[22]
1992 veröffentlichte die Robert Bosch Stiftung die Denkschrift „Pflege braucht Eliten“. Sie half dabei, die Bemühungen um eine Akademisierung des Berufsfeldes Pflege in Deutschland voran zu treiben.[23]
Ebenfalls im Jahre 1992 wurde auf der Bundestagung des Bundesausschusses der Lehrerinnen und Lehrer für Pflegeberufe die Berufsbezeichnung „Unterrichtsschwester“ in „Lehrerin für Pflegeberufe“ umbenannt. Diese sollte vom Berufsfeld „Pflege“ wegführen und zu einer Anerkennung der Lehrer im Berufsfeld Pflege führen. Außerdem wollte man das Selbstbildnis der „Pflegelehrer“ vom eigenen Standpunkt der „weiterqualifizierten und spezialisierten Pflegekräfte“ wegführen.[24] Immer mehr Pflegelehrer wurden über den tertiären Bildungsweg ausgebildet und es kam zu einer neuen beruflichen Identifizierung.[25]
Die Frage nach der Verortung und Art der Lehrerbildung sorgte von Beginn an für kontroverse Diskussionen.[26] Die meisten Studiengänge die entstanden, sowohl an Fachhochschulen wie auch an Universitäten, waren keine grundständigen Studiengänge, sondern verlangten eine Erstausbildung als Zugangsvoraussetzung. In Hinblick auf die Verortung (Fachhochschule oder Universität) schlug die Hochschulrektorenkonferenz von 1998 eine Beteiligung der Fachhochschulen an der Lehrerbildung vor.[27] Der Bundesausschuss der Länderarbeitsgemeinschaften der Lehrerinnen und Lehrer für Pflegeberufe war für eine universitäre Qualifikation, da auch die Ausbildung anderer Berufslehrer an Universitäten stattfand. Eins der Hauptargumente war, dass man eine Gleichstellung der Qualifikation anstrebte. Das Bundesministerium für Bildung, Wissenschaft, Forschung und Technologie schlug sogar vor, dass die gesamte Lehrerbildung an die Fachhochschulen verlagert werden sollte.[28] Von großer Bedeutung für die Implementierung der Studiengänge der Lehrer für Pflegeberufe war die Rahmenvereinbarung der Kultusministerkonferenz von 1995 welche die „Pflege“ als universitäre Fachrichtung einführte.[29]
Somit konnten die Studiengänge sowohl an Universitäten als auch an Fachhochschulen angeboten werden, waren jedoch von Beginn an uneinheitlich. Die Mehrzahl der Studiengänge an den Fachhochschulen waren Diplom-Studiengänge im Bereich „Pflegepädagogik“. Daneben gab es die Studiengänge an Universitäten, die mit einem Staatsexamen abschlossen.[30]
Es wurden Diplomstudiengänge und Staatsexamen angeboten in den Bereichen:[31]
- Diplom-Pflege
- Lehramt Pflege
- Pflegemanagement
- Pflegepädagogik/Pädagogik für Gesundheitsberufe
- Bachelorstudiengang in Pflege
Es gibt bis heute keine verbindlichen Richtlinien für die Pflegelehrerausbildung und die Spannbreite der Studiengänge ist erheblich. Diese Entwicklung der Akademisierung der Pflege war jedoch mehr als unumgänglich, da Deutschland im internationalen Vergleich in dieser Hinsicht als rückständig galt.[32]
Einerseits ist die Vielfalt der Studiengänge darauf zurückzuführen, dass die Pflegewissenschaft noch in den Kinderschuhen steckt. Es gibt keine konkreten, bundeseinheitlichen Richtlinien, welche entscheidend sind für eine universitäre, pflegepädagogische Qualifizierung für Lehrkräfte an Pflegeschulen. Dies hat zur Folge, dass für jedes Bundesland teilweise sehr unterschiedliche Richtlinien gelten. Andererseits ist es jedoch auch eine Art Querschnitt durch die immer grösser werdenden Anforderungen die heute an Angehörige der Pflege- und Gesundheitsberufe gestellt werden. Ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung scheint die Akademisierung auf jeden Fall zu sein, da Lehrende im Berufsfeld Pflege fortan nicht mehr als Pfleger, sondern als Lehrer ausgebildet werden.
3.5 Akademisierung versus Weiterbildung
Im Jahre 2000 veröffentlichte die Robert Bosch Stiftung die Studie „Pflege neu denken - Zur Zukunft der Pflegeausbildung“. In dieser Studie ging es darum, Veränderungen für die Lernenden und Lehrenden in der Pflegeausbildung einzuleiten, um eine Qualifikationssteigerung der Pflege zu erreichen und um im internationalen Vergleich mit den Nachbarländern zu bestehen. Die Studie machte unter anderem darauf aufmerksam, dass das Lehrpersonal an Pflegeschulen immer noch sehr heterogen war. Sie wies kritisch auf die Realität hin, dass Lehrer nach wie vor über Weiterbildung qualifiziert wurden, ungeachtet der Tatsache, dass es bereits Hochschulstudiengänge gab.[33] Im Kapitel „Begründung für eine Änderung der Pflegeausbildung“ wird die damals allgegenwärtige Problematik des Spannungsfelds der Lehrerbildung dargestellt:
„Absolventinnen der Studiengänge „Pflegepädagogik“ oder „Lehramt für Gesundheitsberufe“ werden von den Schulträgern bisher nur zögernd eingestellt, […] Ein beträchtlicher Anteil des Unterrichts wird von Honorarkräften erteilt, die kaum eine pädagogische Qualifikation nachweisen.“[34]
Hierbei spielte unter anderem die finanzielle Mehrbelastung durch höher qualifizierte Lehrkräfte eine zentrale Rolle. Der Bedarf an akademisch ausgebildeten Lehrern wurde noch nicht von den Pflegeschulen anerkannt. Die akademisierten Lehrer hatten somit keine Garantie, ihrem Grad entsprechend, an einer Schule eingestellt zu werden. Sie wurden größtenteils nach den gleichen Kriterien eingestuft wie die Pflegelehrer mit Weiterbildung, wodurch das Arbeitsfeld Pflege für sie uninteressant wurde. Die Studie beklagt die Tatsache, dass vor allem weitergebildete Lehrer an den Schulen unterrichten und trotz Akademisierung noch Weiterbildungsmöglichkeiten bestanden, welche nach ihrem Ermessen nicht mehr zeitgemäß waren.[35]
3.6 Die neuen Herausforderungen an die Pflegelehrer durch das KrPflG von 2004
Mit dem neuen Krankenpflegegesetz von 2004 wurde die Gesamtverantwortung für die Organisation und Koordination des theoretischen und praktischen Unterrichts sowie die praktische Ausbildung den Krankenpflegeschulen übertragen. Hiermit versprach sich der Gesetzesgeber einen optimierten Theorie-Praxis Transfer, eine optimierte Verbindung zwischen Lernort Schule und Lernort Praxis. Der Lehrer ist somit am Lernort Praxis als Praxisbegleiter tätig.[36]
„Die Gesamtverantwortung für die Organisation und Koordination des theoretischen und praktischen Unterrichts und der praktischen Ausbildung entsprechend dem Ausbildungsziel trägt die Schule. Die Schule unterstützt die praktische Ausbildung durch Praxisbegleitung“[37]
Außerdem wurde durch die Neuregelung eine Hochschulqualifikation für Pflegelehrer verlangt, wodurch eine Anhebung der fachlichen und pädagogischen Qualifikation angestrebt wurde. Für Lehrer, welche ihre Berufsbefähigung über eine herkömmliche Weiterbildung erworben hatten, besteht laut KrPflG von 2004 §24 Abs. 1 und 2, eine Klausel zur Rechtsstandswahrung (KrPflG 2004),[38] die sogenannte „Bestandsschutzregelung“.
Die Pflegelehrenden stehen seitdem vor neuen, gesetzlich festgelegten Herausforderungen:
„Neben der Erarbeitung und Erprobung neuer Ausbildungsmodelle und Curricula, der Bewältigung von Kooperations- und Fusionierungsprozessen, dem Einsatz neuer Unterrichtsmethoden und der Erarbeitung neuer Unterrichtsinhalte sind die bundesdeutschen Pflegelehrenden erstmalig mit dem gesetzlichen Anspruch einer wissenschaftlichen Absicherung des im Unterricht vermittelten Wissens konfrontiert.“[39]
Die neuen Herausforderungen sind unter anderem:[40]
- Reformprozesse der Krankenpflegeschulen
- Ausarbeitung neuer Ausbildungsmodelle und Curricula
- Bewältigung von Kooperations- und Fusionierungsprozessen
- Einsatz neuer Unterrichtsmethoden
- Erarbeitung neuer Unterrichtsinhalte
- …
Die Pflegelehrer sind nun aufgefordert, immer auf dem aktuellsten Stand der Wissenschaft zu sein und nicht mehr nach vorgegebenen Pflegelehrbüchern zu unterrichten oder sich auf ihr pflegeberufliches Erfahrungswissen zu berufen.
Die Rolle des Lehrers ist somit einem elementaren Wandel ausgesetzt. Bisher stand der Unterricht im Zeichen der Vermittlung von Fachwissen. Nach den Vorgaben der im Jahr 2003 erlassenen Ausbildungs- und Prüfungsordnung leitet der Lehrer als Gestalter, Moderator und Berater die Lernprozesse. Dies bedeutet für den Pflegelehrer eine Vielzahl an beruflichen und didaktischen Herausforderungen.[41]
Die Schulen für Gesundheitsberufe tragen nach dem KrPflG von 2004 die Gesamtverantwortung für die Ausbildung der Schüler, d.h. hier werden Lehrer gebraucht, die sowohl Theorie als auch Praxis vermitteln können. Im Gegensatz zu Lehrern an Berufsschulen gibt es bei Lehrern an Schulen des Gesundheitswesens keine Trennung zwischen theoretischer und praktischer Unterrichtstätigkeit. Nach Reiber werden hier Einheitslehrer gebraucht, die sowohl Fachtheorie und Fachpraxis lehren können.[42]
Von 2005 bis 2008 wurde an der Fachhochschule Bielefeld das Projekt „Qualifizierungsinitiative für Lehrkräfte in Gesundheitsberufen“ durchgeführt. Hauptanliegen des Projektes war es, die Kompetenzen von Berufsangehörigen zu ermitteln, um herauszufinden, inwieweit eine Anrechnung auf einen Hochschulstudiengang möglich ist. Hintergrund war der Beschluss der KMK (Kultusministerkonferenz) vom 28.06.2002, dass außerhalb des Hochschulstudiums erworbene Kenntnisse für das Studium angerechnet werden konnten.[43] Im Jahre 2009 wurde das Ergebnis des Projektes als Broschüre veröffentlicht, mit dem Ziel, Studieninteressierten aus dem Berufsfeld Pflege, insbesondere Pflegelehrer/innen mit Weiterbildung, einen Überblick über mögliche Studiengänge zu geben. Die Studiengänge wurden als Vollzeitstudium oder berufsbegleitend angeboten.
4. Ein erster Akademisierungsversuch: Der Modellstudiengang für Lehrer/innen für Kranken- und Kinderkrankenpflege an der Freien Universität Berlin
Als der Modellstudiengang[44], welcher Lehrkräfte für den Pflegebereich akademisch ausbilden sollte, im Oktober 1976 als Modellstudiengang an der Freien Universität gestartet wurde, handelte es sich um keine Neuerung im internationalen Bereich der Krankenpflege. Doch für die deutsche Krankenpflege war dieser Studiengang eine Sensation, denn zum ersten Mal in der Bundesrepublik Deutschland versuchte sich ein Bereich aus der Krankenpflege als Hochschuldisziplin zu etablieren.[45]
Der Modellstudiengang, welcher im Oktober 1976 startete und bis 1982 als Modellversuch lief, trug zu Beginn den Namen „Modellversuch Lehrkräfte Medizinalfachberufe“.[46] Der Name macht deutlich, dass zunächst alle Lehrenden aus jeglichen Bereichen des Gesundheitswesens angesprochen waren. Allerdings entwickelte sich recht schnell eine Tendenz hin zu Lehrenden aus dem Bereich der Kranken- und Kinderkrankenpflege. Aus Sicht Einiger eine komfortable Situation für die anderen Medizinalfachberufe. Da bislang in keinem der bestehenden Gesundheitsberufe die Lehrerbildung akademisiert war, ließ man der Krankenpflege als dem größten Vertreter im Bereich der Gesundheitsberufe den Vortritt, um zu beobachten, wie und ob es diese Berufsgruppe schaffte, sich im tertiären Bildungsbereich zu etablieren. Hinzu kam, dass Mitte bis Ende der 1970er Jahre Kritik an der Weiterbildung zur/zum Unterrichtsschwester/Unterrichtspfleger laut wurde. Namenhafte Personen aus dem Bereich der Krankenpflege, wie beispielsweise BOTSCHAFTER, GRAUHAN, SCHAGEN, HOEFER und SIEBERS kritisierten neben der genannten Weiterbildung ebenfalls das bestehende Niveau der Grundausbildung in der Krankenpflege. Die zügig voranschreitenden Neuerungen im Gesundheitswesen erforderten entsprechend ausgebildetes Personal. Es gab daher anfang der 70er Jahre ebenfalls Überlegungen von Seiten des Wissenschaftsrates, die Grundausbildungen innerhalb der Gesundheitsberufe zu akademisieren. Das in diesem Zusammenhang gewünschte Ziel war, „eine wirkungsvolle Entwicklung im Gesundheitswesen zu ermöglichen und hierfür Kräfte heranzubilden, die in der Lage sind, die sich aus der wissenschaftlichen und gesellschaftlichen Entwicklung ergebenden Wandlungen mitzuvollziehen und zu fördern. Gründlichere Schulbildung, eine weniger auf Erlernen von Fertigkeiten als auf selbstständige Verarbeitung vertiefter Kenntnisse abgestellte Ausbildung und ein Wissenshorizont, der über diese Fachkenntnisse hinausgreifend auch zu den sich gerade im Gesundheitswesen stellenden sozialen Problemen überlegt Stellung zu nehmen erlaubt, sind Ziele, die zumindest über den Rahmen der bisherigen Ausbildungsgänge hinausgehen und dazu zwingen, neue, zusätzliche Ausbildungsgänge anzubieten und zu erproben.“[47]
In der Aussage des Wissenschaftsrats wird deutlich, dass es nicht um eine allgemeine, flächendeckende Akademisierung der Grundausbildungen ging, sondern um eine zusätzlich zur Ausbildung zu erlangende Qualifikation. „Mit dem Hochschulstudium sollten bestehende Ausbildungsgänge nicht abgeschafft werden. Nur 5-10% eines Ausbildungsjahrganges sollten eine akademische Ausbildung erhalten.“[48] Im Mai 1974 berieten Gesundheitsminister und Senatoren der Länder über die Einführung von Studiengängen für die Grundausbildungen im Gesundheitswesen und lehnten diese Einführung schlussendlich ab. Stattdessen wurde der Gedanke geboren die Akademisierung im Gesundheitswesen auf Teile der damaligen Weiterbildungen, darunter auch die zur Unterrichtskraft, zu akademisieren.[49]
Durch die Akademisierung der Lehrkräfte erhoffte man sich eine Qualitätssteigerung, welche sich ebenfalls auf den Bereich der Grundausbildung in der Krankenpflege niederschlagen sollte, sowie eine Attraktivitätssteigerung des Berufes durch das Angebot entsprechender Aufstiegsmöglichkeiten. Zusätzlich erhoffte man sich durch die Qualitätssteigerung in der Ausbildung der Lehrkräfte eine Verbesserung der Pflegepraxis im Allgemeinen und eine damit verbundene Steigerung der Berufszufriedenheit im Bereich der Pflege.[50]
4.1 Zur Entstehung des Modellstudienganges
Neben der bereits erwähnten Kritik an der Qualität der Ausbildung innerhalb der Gesundheitsberufe führten bildungspolitische sowie allgemeine politische und wirtschaftliche Faktoren zur Entstehung[51] des Modellstudiengangs. Der Modellstudiengang war angelegt, als ein dreijähriger Studiengang. Der Wissenschaftsrat von 1973 hatte professionsunabhängig die Forderung nach dreijährigen Studiengängen gefordert. Als allgemeine Kritik an Universitäten warf man diesen damals vor wenig durchlässig für die breite Masse zu sein. Dies sollte verändert werden. Die damalige Bundes- und Landesregierung, unter Führung von SPD und FDP, zeigte sich daher aufgeschlossen gegenüber neuen Modellversuchen und war breit diese finanziell zu unterstützen. Allein mit eigenen Mitteln der Universität wäre der Studiengang nicht durchführbar gewesen.
Angesiedelt wurde der Modellstudiengang am Fachbereich 2 der Freien Universität Berlin. Begründet wurde die dortige Ansiedlung damit, dass dieser Fachbereich gute Kontakte zum Klinikum Steglitz und der daran angeschlossenen Krankenpflegeschule und Fortbildungsstätte unterhielt. Es handelte sich bei diesem Fachbereich nicht um das erziehungswissenschaftliche Institut der Freien Universität Berlin. Fachbereichssprecher und späterer Projektleiter des Modellstudiengangs war ein Mediziner. Die Ansiedlung an diesen Fachbereich wurde mit der unlösbaren Praxisnähe in diesem Bereich der Lehrerbildung begründet. Da der Modellstudiengang allerdings auch erziehungswissenschaftlich geprägt war, kritisiert Wanner die Entscheidung zur Ansiedlung in den Fachbereich 2 und beklagt die geringe Beteiligung der Erziehungswissenschaft am Modellstudiengang.
„Obwohl erziehungswissenschaftliche Inhalte ein Drittel des Umfangs des Studiengangs ausmachten und Erziehungswissenschaftler im Wissenschaftlichen Beirat vertreten waren, waren es wie so oft in der Geschichte der Krankenpflegeaus- und Weiterbildung wiederum Mediziner, die einen bestimmten Einfluss erlangten. Dies deutet darauf hin, dass auch der Modellstudiengang sich nicht von den Traditionen der Krankenpflege lösen konnte und wollte und den Schritt zu einer eigenständigen Lehrerbildung nur bedingt vollzog.“[52]
4.2 Die Zugangsvoraussetzungen
Die ehemalige Studentin Elke MÜLLER erinnert sich, dass die Zugangsvoraussetzungen[53] im Gegensatz zu anderen Universitätsstudiengängen, für den Modellstudiengang sehr hoch angesetzt waren. Reichte traditionell für ein Hochschulstudium die allgemeine Hochschulreife als Zugangsvoraussetzung aus, wurden für den Modellstudiengang zusätzlich eine dreijährige abgeschlossene Ausbildung in der Kranken- oder Kinderkrankenpflege verlangt, sowie ein mindestens zweijährige Berufstätigkeit im Bereich der Pflegepraxis. Als Grund für diese zusätzlichen Zugangsvoraussetzungen wurde genannt, dass das Studium nicht für einen neuen Beruf qualifizieren solle, sondern ein schon bestehender Beruf sollte akademisch um Lehrkompetenzen erweitert und reflektiert werden. Zur damaligen Zeit zeigte sich an den Krankenpflegeschulen außerdem eine große Zahl an berufsfremden Dozenten. Daher war Pflege häufig gar nicht der zentrale Inhalt von Pflegeausbildung was dazu führte, dass kaum ein realistisches Bild des pflegerischen Alltags an die Auszubildenden vermittelt wurde. Dies sollte sich in Zukunft durch die entsprechende Zugangsvoraussetzung verändern, indem über ein Hochschulstudium erfahrene Pflegekräfte für die Lehre ausgebildet wurden.
4.3 Ziele des Modellstudiengangs
„Ziel des Modellversuchs ist die Entwicklung und Erprobung eines dreijährigen Studiengangs für Lehrkräfte an Lehranstalten für Medizinalfachberufe. Die so ausgebildeten Lehrkräfte sollen hauptamtlich an den Lehranstalten angestellt sein und die in diesem Bereich der berufsbildenden Schulen in großem Umfang tätigen, stundenweise beschäftigten, Dozenten wie Ärzte, Psychologen, Soziologen und andere Lehrkräfte im Wesentlichen ersetzen.“[54]
Vier Jahre nach Bestehen des Modellstudiengangs beschrieb Prof. Dr. E. LÄMMERT[55] in der Zeitschrift „Krankenpflege“ nochmals eingehend die Ziele des Modellstudiengangs. Auch er unterschied in berufspolitische, bildungspolitische und gesundheitspolitische Ziele und erwähnt ebenfalls einige spezielle Zielsetzungen.
Berufspolitisch hielt er die Einführung von Pflege als wissenschaftliche Disziplin für einen großen Fortschritt. Im Fach Krankenpflege wurde studienbegleitend ein Themenkatalog diverser Pflegeprobleme erstellt, welche von mehreren Blickwinkeln aus beleuchtet wurden. Der Grundstock für die Pflegewissenschaft in Deutschland kann hier als gelegt angesehen werden. Auch LÄMMERT selbst sah in dem Studium den Beginn für Pflegeforschung. Wissenschaftlich interessierte Pflegekräfte hatten mittels des Studiums nun die Möglichkeit, sich außerhalb anderer Disziplinen mit relevanten Fragen ihres Berufsstandes zu befassen. Vor Beginn des Studiums war dies für Studieninteressierte aus dem Bereich der Pflege nur über ein Studium in einem verwandten Wissenschaftsbereich, wie beispielsweise Soziologie, Sozialwissenschaften oder Psychologie möglich. Als gesundheitspolitisches Ziel sah LÄMMERT die Aufnahme der Pflegeberufe, sowie aller sonstigen Gesundheitsberufe in das duale Ausbildungssystem. Mit dem Modellstudiengang würden schließlich Lehrkräfte ausgebildet, welche den Berufsschullehrern gleichzustellen seien. Des Weiteren stellte der Studiengang für ihn ein Bindeglied in der für die Kooperation zwischen akademisierten und nicht akademisierten Gesundheitsberufen dar.
Bildungspolitisch leistete der Modellstudiengang seinen Beitrag zu den damals diskutierten Studienreformen. Es handelte sich schließlich um einen dreijährigen, praxisorientierten Studiengang. Die Universität verfolgte hier nicht nur ein höheres Bildungsziel, sondern orientierte sich auch, wie damals gefordert, an dem gesellschaftlichen Bedarf qualifizierter Fachkräfte. Trotz der eben erwähnten zusätzlichen Zugangsvoraussetzungen brach der Modellstudiengang die starren traditionellen Zulassungskriterien auf, da auch eine fachgebundene Hochschulreife zur Aufnahme in das Studium ausreichte.
Spezielle Ziele die das Studium verfolgte war die Befähigung der Studierenden zur Durchführung von methodisch gestütztem Unterricht in der Pflege, auf Grundlage wissenschaftlicher Erkenntnisse. Das Einüben praktischer Anleitung, sowie Reflexion und Analyse beruflicher Praxis hatte das Studium ebenfalls zum Ziel.
4.4 Die Studieninhalte
Die primär gelehrten Fächer[56] im Modellstudiengang waren Krankenpflege und Erziehungswissenschaften, sowie ein Wahlpflichtfach. Im Wahlpflichtfach gab es die Möglichkeit zwischen zwei Studienschwerpunkten zu wählen. Zum einen konnte man sich für biologisch-medizinische Grundlagen oder zum anderen für sozialwissenschaftliche Grundlagen entscheiden. Ein weiteres Fach beschäftigte sich mit der Berufssozialisation. Im weiteren Verlauf möchten wir nun auf die Inhalte der Fächer eingehen. Den Schwerpunkt legen wir dabei auf die Fächer Krankenpflege und Erziehungswissenschaften.
Im Fach Krankenpflege sollte eben diese aus mehreren Blickrichtungen betrachtet werden. Für die Studierenden ergab sich hierbei die Schwierigkeit, dass Literatur zu relevanten Konzepten und Denkmodellen nur in englischer Sprache vorhanden war, da schlichtweg die pflegewissenschaftliche Literatur im deutschsprachigen Raum nicht vorhanden war. Wer sich also schwer tat mit der englischen Sprache der tat sich auch schwer beim Durchsichten der Literatur. Ein neuer und in der Pflegepraxis hierzulande nicht praktizierter Schwerpunkt, war der Pflegeprozess, der den Studenten in diesem Fach, zumindest in seiner Theorie, näher gebracht wurde. Eine Reflexion und Erweiterung der pflegerischen Praxis wurde durch den Schwerpunkt Pflegetechnik ermöglicht. Neues Terrain betraten die Studenten innerhalb des Fachs durch Veranstaltungen mit Themen wie „Betriebliche Formen der Krankenpflege“, „Organisation des Pflegebereichs“, „Gesellschaftliche Bedingungen der Krankenpflege“ und „Interdisziplinäres Krankenpflegecolloquium“. Elke MÜLLER beschreibt, dass es den Studenten innerhalb dieser Veranstaltungen möglich war „eigene Fähigkeiten und ganzheitliche Denkansätze auf pflegerische Inhalte anzuwenden, zur Diskussion zu stellen und zu überprüfen.“[57] Das Fach Erziehungswissenschaften war eng verbunden mit den Themen aus dem Fach Krankenpflege. Den pädagogischen Schwerpunkt der Erziehungswissenschaften bildete die Erwachsenenbildung. Hierbei ging es um die Vermittlung einer Pädagogik, welche dem Auszubildenden auf Augenhöhe begegnet. Krankenpflegeunterricht wurde außerdem unter einen teilnehmerorientierten und verwendungszweckorientierten Ansatz gestellt. Im Fach Berufssozialisation beschäftigten sich die Studierenden mit der Geschichte der Krankenpflege, schwerpunktmäßig mit der Geschichte der Krankenpflege als eine Frauengeschichte. Es wurde eine Verknüpfung zwischen der Krankenpflegegeschichte und der Geschichte der Frauenbewegung hergestellt und die damals herrschenden feministischen Ansätze fanden Einzug in die Betrachtung des Krankenpflegeberufs.
4.5 Zur Berufsbezeichnung
Die Studien- und Prüfungsordnung sah für die Absolventen des Modellstudiengangs die Berufsbezeichnung[58] „Diplom-Unterrichtsschwester/Unterrichtspfleger“ vor. Elke MÜLLER beschreibt, dass unter ihren Kommilitonen diese Berufsbezeichnung zu Unmut führte. Sie plädierten für eine Berufsbezeichnung, welche ihrer akademischen Ausbildung Ausdruck verlieh und sich von der Berufsbezeichnung der weitergebildeten Lehrenden abgrenzte. Um ihrer schriftlichen Forderung an verschiedene Universitätsgremien Nachdruck zu verleihen, stellte der Jahrgang gesammelt seine Anmeldung zur Diplomprüfung zurück. Letztendlich mit Erfolg. Mitte Oktober 1981 wurde den Studenten vom Senat für Wissenschaft und kulturelle Angelegenheiten mitgeteilt, dass die Prüfungsordnung ab sofort die Berufsbezeichnung „Lehrer/Lehrerin für Kranken- und Kinderkrankenpflege (Diplom)“. Damit schaffte der Jahrgang die Änderung der Berufsbezeichnung und damit die sprachliche Abgrenzung von der Pflege durch den Austausch des Wortes Unterrichtsschwester/-pfleger in Lehrer/in. Wie im Kapitel zum Rückblick der Pflegelehrerbildung bereits erwähnt, geschah dies flächendeckend erst 1992 durch den Bundesausschuss der Lehrerinnen und Lehrer für Pflegeberufe. Mit dieser, durch den Senat geänderten Berufsbezeichnung wurden auch erweiterte Kompetenzen für die Träger der Berufsbezeichnung definiert. So sollte der Abschluss neben der Durchführung theoretischen und praktischen Unterrichts in der Krankenpflege ebenfalls dazu befähigen auch an anderen Bildungseinrichtungen des Gesundheitswesens zu unterrichten. Zusätzlich sollte er für Führungs- und Aufsichtspositionen qualifizieren.
4.6 Der Modellstudiengang als Auslaufmodell
Am 30.06.1980 sprach sich das Bildungsministerium gegen einen zweiten Durchlauf[59] des Modellversuchs aus. Es gab allerdings Bestrebungen den Studiengang als Regelstudiengang an der Freien Universität Berlin zu etablieren. Es wurden sogar zwei Planstellen für den Studiengang geschaffen, die aber nach dem Veto des Wissenschaftsrats aufgegeben wurden. 1982 mit Beendigung des Modellversuchs wurde der Abschlussbericht vorgelegt. Mehrere Gutachter hatten ihn positiv bewertet. Trotzdem sprach sich 1984 der Gesundheitssenator endgültig gegen die Etablierung des Studienganges aus. Begründet wurde dies unter anderem durch die höheren Kosten, die ein Studiengang im Vergleich zur Weiterbildung ausmacht, sowie mit dem hohen Fokus auf die Krankenpflege. Dadurch würden die Erziehungswissenschaft sowie die Bezüge der Krankenpflege zu Krankenhaus und Arzt in den Hintergrund rücken. Auch politische Wechsel innerhalb der Universität, sowie in der Regierung führten zu dieser negativen Entscheidung in Bezug auf den Studiengang. In der Regierung nahm die CDU die Zügel in die Hand und sah eine erneute Verkleinerung der Universitäten ohne Zugang für die breite Masse vor und setzte dies durch. In der Studie von HEDIN, die durch Befragungen von Absolventen den Studiengang beforschte wurde von den Betroffenen, gefragt nach dem Untergang des Studiengangs, häufig beklagt, dass aus den eigenen Reihen der Krankenpflege zu wenig Unterstützung laut wurde.
In der Maiausgabe „Deutsche Krankenpflegezeitschrift“ von 1990 wird in einem Artikel auf die Wiederaufnahme des Studienganges für das Sommersemester 1991 hingewiesen.[60] Zu dieser Wiederbelebung des Studiengangs an der Freien Universität Berlin ist es nie gekommen. Vermutlich war im damals wiedervereinten Berlin die Konkurrenz durch den Studiengang „Diplom-Medizipädagogik“ an der Humboldt Universität Berlin zu groß.
[...]
[1] Vgl. Ostermann-Vogt, 2011, S.27ff.
[2] Vgl. ebd. S.26.
[3] Diese Erfahrung haben uns mehrere Kommilitonen bestätigt.
[4] Vgl. Bischoff-Wanner, 2011, S.20ff.
[5] Vgl. Ostermann-Vogt, 2011, S.23.
[6] Vgl. Wittneben, 2000, S.8.
[7] Vgl. Mamerow, 2010, S.28.
[8] Vgl. Bischoff-Wanner, 2011, S.32 und Ostermann-Vogt, 2011, S.27.
[9] Vgl. Wittneben, 2000, S.8.
[10] Vgl. Robert Bosch Stiftung, 2000, S.183.
[11] Vgl. ebd. S.19.
[12] Mamerow 2010, S.27.
[13] Vgl. Mamerow, 2010 S.18.
[14] Mit dieser Weiterbildung hatten die Pflegelehrer nicht die gleichen Qualifikationen wie die Gewerbelehrer.
[15] Vgl. Robert Bosch Stiftung, 2000, S. 193.
[16] Vgl. ebd. S.191.
[17] Die Implementierung der beruflichen Fachrichtung „Pflege“ durch die Kultusministerkonferenz 1995 ist ein erster Schritt von Seiten der Länderregierungen diesen Sonderstatus aufzuheben (vgl. Robert Bosch Stiftung, 2000, S.19 und 104).
[18] Vgl. Krampe, 2009, S. 41.
[19] Vgl. Krampe, 2009, S. 50ff.
[20] Vgl. Robert Bosch Stiftung, 2000, S.189ff.
[21] Vgl. Ostermann-Vogt, 2011, S. 27.
[22] Vgl. ebd. S.28.
[23] Die Denkschrift war das Ergebnis einer von der Robert Bosch Stiftung beauftragten Kommission zu Fragen der Hochschulausbildung von Lehr- und Leitungskräften in der Pflege.
[24] Vgl. Mamerow, 2010, S.18.
[25] Pflegelehrer ohne berufspädagogischen Hochschulabschluss standen nun vor der Herausforderung, dem Paradigmenwechsel in der Pflegelehrerbildung Rechnung zu tragen, um ihre Mobilitätschancen aufrecht erhalten zu können.
[26] Vgl. Kapitel 8.2 Diskurs um die Lernortorientierung
[27] Vgl. Bischoff-Wanner, 2008, S.31.
[28] Vgl. Weidner, 2000, S.16.
[29] Vgl. Remmers, 2000, S.27.
[30] Vgl. Ostermann-Vogt, 2011, S.29.
[31] Vgl. Mamerow 2010, S.18.
[32] Vgl. Ostermann-Vogt, 2011, S.27.
[33] Vgl. Robert Bosch Stiftung, 2000, S.209.
[34] Ebd. S.15.
[35] Vgl. ebd. S.19ff und S. 209.
[36] Vgl. Mamerow, 2011, S.19.
[37] §4 Abs.5 Satz 2 und 3 KrPflG 2004.
[38] Siehe:http://www.gesetze-im-internet.de/bundesrecht/krpflg_2004/ge...
[39] Glissmann, 2009, S.69.
[40] Vgl. Ostermann-Vogt, 2011, S.37ff.
[41] Vgl. ebd. S.17 und S.36.
[42] Vgl. ebd. S.53 und Reiber, 2008, S.53.
[43] Vgl. Knigge-Demal et al., 2009, S.2f.
[44] Die Ausführungen zum Modellstudiengang beziehen sich hauptsächlich auf die, im Literaturverzeichnis vermerkten, Artikel von Müller und Hedin. Davon Abweichende Bezugnahmen sind entsprechend gekennzeichnet.
[45] Vgl. Hedin, 1987, S.31.
[46] Vgl. Müller, 1990, S.332.
[47] Wissenschaftsrat 1973, S. 11f., zitiert nach Wanner, 1987, S.214.
[48] ebd.
[49] Vgl. ebd. S. 215ff.
[50] Vgl. Hedin, 1987, S.31.
[51] Vgl. Hedin, 1987, S. 31 ff.
[52] Wanner, 1987, S.219.
[53] Vgl. Müller, 1990, S.332.
[54] Modellversuch 1977, S.1, zitiert nach Wanner, 1987, S. 221.
[55] Vgl. Lämmert, 1980, S.53 ff.
[56] Vgl. Müller, 1990, S.333ff.
[57] Müller, 1990, S.334.
[58] Vgl. Müller, 1990, S.335.
[59] Vgl. Hedin, 1987, S.32f.
[60] Vgl. Botschafter, 1990, S.517.
Details
- Seiten
- Erscheinungsform
- Erstausgabe
- Erscheinungsjahr
- 2013
- ISBN (PDF)
- 9783958206410
- ISBN (Paperback)
- 9783958201415
- Dateigröße
- 1.6 MB
- Sprache
- Deutsch
- Institution / Hochschule
- Katholische Hochschule Nordrhein-Westfalen
- Erscheinungsdatum
- 2015 (Februar)
- Note
- 2
- Schlagworte
- Krankenpflege Pflegelehrer Akademisierung Kinderkrankenpflege Modellstudiengang
- Produktsicherheit
- BACHELOR + MASTER Publishing