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Finanzkrisen verstehen! Minskys Theorie der finanziellen Instabilität und ihre Anwendung auf die Finanzkrise von 2007

©2013 Bachelorarbeit 48 Seiten

Zusammenfassung

Hyman P. Minsky veröffentlichte 1982, in Anlehnung an die Große Depression von 1929, eine Aufsatzsammlung mit dem Titel „Can ‚It‘ Happen Aagain?“. In dieser entwickelt er die Finanzmarktinstabilitätshypothese (FIH), welche besagt, dass dem Kapitalismus gerade in prosperierenden Zeiten eine Tendenz zur Instabilität innewohnt und es somit wieder zu Finanzkrisen und infolgedessen zu Wirtschaftskrisen kommen könne. In Minskys Worten ausgedrückt: „Stability is destabilizing“. Die vorliegende Arbeit wendet Minskys Hypothese auf die Finanzkrise von 2007 an. Zwar wurden viele wichtige Krisenursachen diskutiert: Deregulierung, Gier, Irrationalität, eine Liquiditätsschwemme, Leistungsbilanzungleichgewichte sowie eine lockere Geldpolitik. Sie weisen aber, im Gegensatz zu Minskys Theorie, nicht auf einen systemischen Charakter der Krise hin. Die Analyse der Finanzkrise wird sich dabei auf die Entwicklungen in den USA, wo diese ihren Anfang nahm, konzentrieren. Die These der vorliegenden Arbeit ist, dass Minskys Theorie in leichter Abwandlung die Finanzkrise erklären und zu einem tieferen Verständnis helfen kann.

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


2.1.2 Die Rolle der fundamentalen Unsicherheit

Minsky zufolge ist die Einführung der Unsicherheit in die makroökonomische Theoriebildung eine der wichtigsten Leistungen von Keynes, so dass er zu folgendem Schluss kommt: „Keynes without uncertainty is something like Hamlet without the Prince“ (1975, S. 57). In der neoklassischen Theorie ist die Entscheidungsfindung ein rein formaler Prozess, in dem sämtliche Alternativen herangezogen und deren Barwerte unter Beachtung der jeweiligen Eintrittswahrscheinlichkeiten bewertet werden können (vgl. Akerlof und Shiller 2009, S. 32). Keynes postuliert hingegen, dass Investoren keine wahrscheinlichkeitsbasierten Aussagen über die Profitabilität eines geplanten Investitionsprojekts treffen können. Stattdessen handeln Investoren unter fundamentaler Unsicherheit. Die Resultate hängen häufig von nicht vorhersehbaren Umständen in relativ ferner Zukunft ab (vgl. Keen 2011, S. 226). Keynes beschreibt Unsicherheit wie folgt:

„By uncertain knowledge … I do not mean merely to distinguish what is known for certain from what is only probable. The game of roulette is not subject, in this sense, to uncertainty. … [T]he expectation of life is only slightly uncertain. … The sense in which I am using the term is that in which the prospect of a European war is uncertain, or the price of copper and the rate of interest twenty years hence, or the obsolescence of a new innovation. About these matters there is no scientific basis on which to form any calculable probability whatever. We simply do not know.” (1937, S. 213f.)

Unsicherheit spielt bei (a) den Finanzierungstrukturen der Wirtschaftsakteure sowie (b) auf Finanzmärkten eine hervorzuhebende Rolle (vgl. Minsky 1975, S. 67).

(a) Die Finanz- oder Bilanzstruktur von Wirtschaftsakteuren ergibt sich aus dem Zusammenspiel der Aktiva und Passiva. Diese werden von Minsky in der Terminologie von Keynes als Annuitäten betrachtet, da sie Zahlungen über eine fixe oder variable Periode begründen (vgl. Minsky 1986, S. 194). Eine zu einem bestimmten Zeitpunkt bestehende Bilanzstruktur beinhaltet die Verbindlichkeiten aus vergangenen Investitionsentscheidungen, während aktuelle Investitionsentscheidungen die Verbindlichkeitsstruktur der Zukunft determinieren (vgl. Minsky 1982a, S. 19). Aktiva und Passiva unterscheiden sich oft in ihrer Fristigkeitsstruktur. So werden Investitionen häufig mit kurzfristigem Fremdkapital finanziert, welches Zahlungsansprüche auf das langfristige Anlagevermögen besitzt (vgl. Dymski und Pollin 1992, S. 30). Zukünftige Cashflows aus den Aktiva sind dabei von Einschätzungen über die Zukunft abhängig und folglich unsicher. Vertraglich vereinbarte Zahlungsansprüche bestehen hingegen auch für den Fall, dass ein Investitionsprojekt fehlschlägt (vgl. Minsky 1986, S. 219). Investitionen beeinflussen also die heutige und zukünftige Finanzierungsstruktur und erhöhen über die damit verbundene Unsicherheit die Risiken des Unternehmens (Insolvenzrisiko) als auch des Kapitalgebers (Ausfallrisiko) (vgl. Dymski und Pollin 1992, S. 30).

(b) Unternehmen können neben der Diversifikation von Aktivitäten auch Finanzmärkte nutzen, um sich gegen Risiken aus Investitionsprojekten abzusichern, bspw. durch Ausgabe von Eigenkapitalanteilen oder Absicherungsgeschäfte. Auf dem Sekundärmarkt können Wirtschaftsakteure zudem mit Finanzprodukten handeln und damit ein dem eigenen Risiko-/Renditeprofil entsprechendes Portfolio konstruieren. Unsicherheit besteht aber weiterhin: Erstens besteht ein Ausfallrisiko auf die Residualansprüche von Anteilseignern. Im Falle einer negativen wirtschaftlichen Entwicklung kann es zu Zahlungsausfällen kommen, was bei hohen und / oder breit gestreuten Ausfällen eine Kettenreaktion über die Interdependenz der Bilanzstrukturen, z.B. von Finanzinstitutionen, auslösen kann. Damit stellen Finanzmärkte den Kanal dar, durch den ex ante gefasste Erwartungen und darauffolgende Cashflows Einzelner ex post auf das Finanzsystem als Ganzes wirken können (vgl. Dymski und Pollin 1992, S. 31). Dennoch kann Diversifizierung insgesamt zu mehr Sicherheit verhelfen und dazu beitragen, Unsicherheit abzubauen. Zweitens besteht aber zusätzlich, durch die mögliche Schwankung der Vermögenspreise, ein Marktrisiko. Eine Absicherung hiergegen ist schwierig, da der Preis von der Stimmung des Marktes abhängt (siehe Kapitel 3.1).

Insgesamt werden die Risiken durch Finanzmärkte nicht wesentlich geringer. Zwar verringert sich das Ausfallrisiko, dieser Rückgang wird jedoch durch das Marktrisiko kompensiert (vgl. Dymski und Pollin 1992, S. 31). Die sich ergebende Unsicherheit sowie die miteinander verwobenen Finanzierungsstrukturen führen Minsky zufolge dazu, dass das systemische Risiko ansteigt, wodurch Finanzmärkte und damit Finanzstrukturen instabil werden können (vgl. Dymski und Pollin 1992, S. 31).

Trotz aller Unsicherheit werden Investitionen getätigt. Die Erwartungsbildung von Investoren geschieht mithilfe von Heuristiken (vgl. Keynes 1937, S. 214). Wirtschaftsakteure orientieren sich erstens am status quo; die Gegenwart wird als Leitfaden für die Zukunft herangezogen. Zweitens nehmen sie an, dass die aktuelle Bepreisung von Vermögensgütern auf einer korrekten Einschätzung zukünftiger Cashflows beruht. Drittens orientieren sie sich an den Einschätzungen und dem Verhalten der Masse (Herdentrieb), da sie selbst in der Regel keinen Informationsvorsprung besitzen. Weiterhin müssen Gefühle bei Investitionsentscheidungen – die „animal spirits“ (Keynes 1936, S. 137) – berücksichtigt werden. Zusammengenommen bedeutet dies, dass Erwartungen Schwankungen unterliegen, womit rasche Vermögenspreisänderungen möglich sind (vgl. Minsky 1975, S. 68). Die Unsicherheit hat einen Einfluss auf die Portfoliowahl der Wirtschaftsakteure.

2.1.3 Portfoliowahl und Liquiditätspräferenz

Das Portfolio sollte im Allgemeinen so gewählt werden, dass die künftigen Annuitäten der Aktiva die künftig anfallenden Verbindlichkeiten decken, so dass das finanzielle Gleichgewicht gewahrt wird (vgl. Tebroke und Laurer 2005, S. 18). Ein positiver Cashflow wird durch das operative Geschäft, Finanzaktiva, Verschuldung oder die Liquidation von bestehenden Aktiva erzielt (vgl. Minsky 1982a, S. 126).

Die im vorangegangenen Abschnitt geschilderten Unwägbarkeiten sind den Wirtschaftsakteuren bekannt, weshalb sie versuchen, sich gegen mögliche Zahlungsschwierigkeiten zu wappnen (vgl. Minsky 1986, S. 133). Dabei besitzt Bargeld eine hervorgehobene Rolle. Dessen Wert besteht darin, Zahlungsverpflichtungen begleichen zu können (vgl. Minsky 1975, S. 72). Dies differenziert es von anderen Aktiva, da diese zunächst veräußert werden müssen und somit auf einen liquiden Markt angewiesen sind (vgl. Minsky 1975, S. 71). Dies kann in Zeiten von Krisen schwierig sein und im Falle von Notverkäufen hohe Abschläge bedeuten. Der Nachteil der Bargeldhaltung ist, dass es selbst keinen Cashflow erwirtschaftet (vgl. Minsky 1986, S. 202). Dennoch wirkt der Besitz von Geld und anderen geldnahen (liquiden) Mitteln als Versicherung gegen eine schlechte Wirtschaftsentwicklung. Für den Fall, dass der Cashflow aus der operativen Tätigkeit zu niedrig ist und / oder keine Refinanzierungsmöglichkeiten bestehen, kann mithilfe des Liquiditätspolsters (Bargeld und liquide Mittel) das Geschäft aufrechterhalten werden (vgl. Minsky 1975, S. 77). Das Bemühen, ein Liquiditätspolster aufrechtzuerhalten, zählt Minsky zu einem wichtigen Motiv der Liquiditätspräferenz von Keynes. Die Höhe der Bargeldhaltung dient als „barometer of the degree of our distrust of our own calculations and conventions concerning the future“ (Keynes 1937, S. 216).

Wie erläutert, besteht ein intertemporales Netzwerk unsicherer Cashflows in den Bilanzen der Wirtschaftsakteure. Die Bedeutung dieser Perspektive wird in Bezug auf die Bestimmung der Nachfrage und die Produktion neuer Vermögensgüter deutlich, da das Investitionsvolumen mit den Konditionen auf dem Finanzmarkt verbunden wird.

2.1.4 Die Theorie der Investition

Investitionen, deren Motiv in der Erzielung künftiger Gewinne liegt, treiben die wirtschaftliche Entwicklung an. In Minskys Investitionstheorie wird das Investitionsvolumen durch den Nachfrage- und Angebotspreis für Vermögensgüter sowie, damit einhergehend, durch die Konditionen auf dem Finanzmarkt bestimmt (vgl. 1986, S. 254).

Der Preis der laufend produzierten Investitionsgüter, Waren und Dienstleistungen bestimmt sich über die Stückkosten plus Gewinnaufschlag (mark-up) (vgl. Minsky 1986, S. 177). Letzterer hängt vom Ausmaß der Marktmacht eines Unternehmens ab. Minsky ergänzt, dass sich im Falle von Investitionsgütern derjenige Angebotspreis (PI) bildet, der einen Produzenten gerade noch dazu veranlassen würde, eine weitere Einheit herzustellen. Dies gilt, solange der Käufer den Erwerb aus internen Mitteln finanzieren kann. Grundsätzlich besteht die Möglichkeit, den Kauf von Investitionsgütern aus Mitteln der externen oder internen Finanzierung zu bezahlen (vgl. Minsky 1986, S. 192). Interne Finanzierungsmittel bezeichnen Einnahmeüberschüsse vergangener Perioden, ebenso wie Erlöse aus dem Verkauf vorhandener Aktiva (vgl. Emunds 2001, S. 249). Je höher die Liquiditätspräferenz ist, desto geringer sind die zur Verfügung stehenden internen Finanzierungsmittel. Wenn zusätzlich externe Finanzierungsmittel (Kredite, Anleihen etc.) herangezogen werden, enthält der Angebotspreis zusätzlich die Finanzierungskosten (PIs). Diese werden anhand von Kriterien wie Kreditsicherheiten, Verschuldungsgrad etc. bestimmt. Die Bestimmung wird durch Informationsasymmetrien erschwert, so dass, entgegen dem Modigliani-Miller-Theorem, die externe Finanzierung kostspieliger als die interne ist (vgl. Assenza et al. 2010, S. 186). Da angenommen wird, dass das Gläubigerrisiko und damit die Fremdkapitalkosten mit steigendem Verschuldungsgrad zunehmen, verläuft die Angebotspreiskurve bei gegebenen Erwartungen steigend, sobald Fremdkapital benötigt wird. In Abbildung 1 (Abb. 1) werden bis OIF interne, von da an externe Finanzierungsmittel verwendet. Die Steigung ändert sich mit einer Anpassung der Erwartungen und damit der Einschätzung des Gläubigerrisikos. Dies kann u.a. auf Veränderungen der Konditionen auf dem Finanzmarkt, der wirtschaftlichen Entwicklung oder auf einer Veränderung der Liquiditätspräferenz beruhen (vgl. Bellofiore und Ferri 2001, S. 9).

Abbildung 1: Bestimmung des Investitionsvolumens

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Quelle: Wray und Tymoigne 2008, S. 8.

In Anlehnung an Keynes entwickelt Minsky einen weiteren Preis, den Nachfragepreis für Vermögensgüter. Während der beschriebene Angebotspreis für die laufend produzierten Waren, Investitionsgüter und Dienstleistungen gilt, bezieht sich der Nachfragepreis auf das in der Marktperiode fixe Angebot an Vermögensgütern (vgl. Emunds 2001, S. 255). Vermögensgüter zeichnen sich bis auf Bargeld dadurch aus, Cashflows zu erwirtschaften. Sie können einerseits durch das operative Geschäft, andererseits aber auch aufgrund von Liquidationen erzielt werden (vgl. Minsky 1986, S. 202). Werden die erwarten Cashflows diskontiert oder der Marktpreis für bestehende Vermögensgüter (PK) als Referenzpunkt genommen, kann der Nachfragepreis (PId) abgeleitet werden (vgl. Wray und Tymoigne 2008, S. 9). Wichtig ist, dass die Cashflows unsicher sind und daher auf subjektive Einschätzungen beruhen. Im Falle einer Krise wird der Nachfragepreis aufgrund schlechter Erwartungen gering sein, in Zeiten eines Booms hingegen hoch. Er kann also breit um den Angebotspreis schwanken. Wiederum muss der Fall der externen Finanzierung ergänzt werden. Je höher die notwendige Kreditaufnahme ist, desto größer ist das Schuldnerrisiko, weshalb ein Preisabschlag vorgenommen wird. Dieser kann als Sicherheitsmarge interpretiert werden, womit sich der Schuldner gegen eine ungünstige Entwicklung und eine damit möglicherweise verbundene Zahlungsunfähigkeit absichern möchte (vgl. Wray und Tymoigne 2008, S. 9). Sobald externe Finanzierungsmittel genutzt werden, verläuft die Nachfragepreiskurve daher fallend (vgl. Abb. 1). Das Schuldnerrisiko ist subjektiv, es gibt nicht einmal Kategorien für seine Bestimmung (vgl. Dymski und Pollin 1992, S. 37). Der Nachfragepreis steigt mit wachsendem Optimismus, einer sinkenden Liquiditätspräferenz oder bei einem Anstieg der Geldmenge und damit der verfügbaren Liquidität (vgl. Wray 1992, S. 167).

Investitionen finden solange statt, wie der Nachfrage- über dem Angebotspreis liegt (bis zum Schnittpunkt von PId und PIs, vgl. Minsky 1986, S. 214). Die Volatilität des Investitionsvolumens bestimmt sich durch Veränderungen im Angebots- sowie im Nachfragepreis und beruht damit auf den Erwartungen (vgl. Minsky 1975, S. 95). Solange sich diese bestätigen, werden Investitionen über gesunkene Risikoprämien sowie eine damit verbundene niedrigere Liquiditätspräferenz befördert (vgl. Bellofiore und Ferri 2001, S. 11). Basierend auf dem aus den Investitionsentscheidungen resultierenden Verhältnis zwischen Einzahlungen und Zahlungsverpflichtungen, entwickelt Minsky eine Klassifizierung ökonomischer Akteure.

2.2 Die Finanzierungsstruktur ökonomischer Akteure

Minsky unterscheidet drei Finanzierungsstrukturen (vgl. 1986, S. 230ff.). Die Aktivitäten der Wirtschaftsakteure können als „Bündel von Investitionsprojekten“ (Dymski und Pollin 1992, S. 38) verstanden werden. Der Wert der Unternehmung ergibt sich als diskontierter Wert zukünftiger Cashflows der Aktiva minus Verbindlichkeiten der Passiva.

Abgesichert finanzierende Akteure sind dadurch charakterisiert, dass ihre erwarteten Einzahlungen in jeder Periode die fälligen Zahlungsverpflichtungen (Zins und Tilgung) übersteigen (vgl. Minsky 1986, S. 230ff.). Bei spekulativ finanzierenden Akteuren übersteigen die Zahlungsverpflichtungen hingegen in der Anfangsphase die erwarteten Einzahlungen, sodass zwar Zinszahlungen aus den Nettogewinnen geleistet werden können, Tilgungsleistungen aber nicht möglich sind. Ein Beispiel für diese Finanzierungsstruktur sind Finanzinstitutionen, die zumeist langfristige Kredite durch kurzfristige Einlagen finanzieren (Fristentransformationsfunktion), aber auch produzierende Unternehmen mit kapitalintensiven Investitionen (vgl. Minsky 1986, S. 231). In Anlehnung an Charles Ponzi, einen Betrüger aus den 1920er Jahren, sind als drittes Ponzi-Akteur e solche, bei denen die Nettogewinne zunächst nicht einmal für den Zinsdienst ausreichen. Die Schuldenlast steigt bis zum Periodenende, an dem ein hoher Zufluss erwartet wird. Nach Minsky ist diese Finanzierungsform typisch für sehr langfristige Investitionsprojekte, sie ist aber auch bei Investmentfonds zu finden (Minsky 1982a, S. 37).

Spekulative als auch Ponzi-Akteure erwarten in der Endperiode des Planungshorizonts große Einzahlungen. Bis dahin müssen sie sich über Fremdkapital oder Liquiditätsreserven refinanzieren. Während der Marktwert des abgesichert finanzierte Unternehmen im Wesentlichen vom Gütermarkt, also dem Erzielen von Cashflows abhängig ist, sind positive Marktwerte von spekulativen und Ponzi-Akteuren auf das Funktionieren des Güter- und des Geldmarktes angewiesen. Dies bedingt das normale Funktionieren der Finanzmärkte, insbesondere ein nicht rapide steigendes Zinsniveau (vgl. Minsky 1986, S. 232). Wichtig ist, dass die jeweiligen Finanzierungsstrukturen in beide Richtungen ineinander übergehen können, z.B. wenn erwartete Zahlungen ausbleiben oder Zinsen ansteigen.

Durch die Identifizierung der Finanzierungsklasse kann die spezifische Fragilität eines Wirtschaftsakteurs ermittelt werden. Durch Aggregation aller Unternehmen und die Analyse der Verteilung der Finanzierungsklassen können Aussagen über die Stabilität des Finanzsystems getroffen werden (vgl. Minsky 1982a, S. 24). Spielen spekulative und Ponzi- Akteure eine gewichtige Rolle, erhöht sich die Fragilität: Es sinkt die Absorptionsfähigkeit negativer Schocks, bspw. wenn sich Cashflows oder Zinssätze verändern, so dass es schneller zu Finanzkrisen kommen kann.

2.3 Die Rolle von Finanzinstitutionen

Zur Investitionsfinanzierung sind Unternehmen auf Finanzintermediäre angewiesen. Diesen kommt bei Minsky eine bedeutende Rolle zu, wie im Folgenden, aufbauend auf Schumpeters Theorie wirtschaftlicher Entwicklung, nachgezeichnet wird.

2.3.1 Schumpeters Theorie wirtschaftlicher Entwicklung

Neben Keynes ist Minskys Doktorvater Schumpeter ein wichtiger Bezugspunkt. Geschäftsbanken spielen bei diesem eine wichtige Rolle für die wirtschaftliche Entwicklung. Schumpeter (1934) geht von einer Wirtschaft in der Nähe des Gleichgewichts aus. In diesem Zustand kann die Wirtschaft als Kreislauf verstanden werden, in dem Käufe von laufenden Waren, Gütern und Dienstleistungen durch laufende Einnahmen finanziert werden. Innerhalb dieses Systems kann wirtschaftliche Entwicklung durch Innovationen stattfinden. Diese bestehen aus technologischen oder organisatorischen Neuerungen mit dem Motiv der Erzielung von Monopolrenten (vgl. Wray 1992, S. 165). Diese bringen das System aus dem Gleichgewicht. Durch Innovationen wird der Wirtschaftskreislauf durchbrochen, da ein Kauf bzw. eine Investition produktive Ressourcen des Systems beansprucht, ohne dass zugleich ein Verkauf stattfindet (vgl. Schumpeter 1934, S. 68). Damit gilt die Neutralität des Geldes nicht mehr, denn durch die Umwidmung der produktiven Ressourcen und dem damit verbundenen Absinken des aggregierten Angebots entsteht beim innovierenden Unternehmen eine Zahlungslücke, die nur durch aus der Kreditgeldschöpfung stammende zusätzliche Kaufkraft geschlossen werden kann. Innovationen und damit das Wirtschaftssystem beruhen demnach notwendigerweise auf dem Vorhandensein eines funktionierenden Finanzmarktes (vgl. Schumpeter 1934, S. 74). Die Kreditinflation ist jedoch temporär, da nach einiger Zeit Produkte hergestellt und aus deren Erlösen die Kredite getilgt werden können. Schumpeter argumentiert zudem, dass das Geldangebot nicht exogen, sondern endogen durch Finanzintermediäre bestimmt wird (Schumpeter 1934, Kapitel 3).

2.3.2 Die Theorie des endogenen Geldangebots

Minsky betrachtet, ebenso wie Schumpeter, Schulden als diejenige Komponente der aggregierten Nachfrage, die über das laufende Einkommen hinausgeht und damit Wachstum ermöglicht (vgl. Minsky 1982b, S. 6). Es handelt sich dabei um keinen Transfer zwischen einem Sparer mit niedriger Zeitpräferenz und einem Investor mit hoher Zeitpräferenz[1]. Im Gegenteil: Der endogenen Geldangebotstheorie zufolge, beschränken Ersparnisse nicht die Investitionen. Auf Nachfrage des Bankenpublikums schöpfen Geschäftsbanken das Geld, welches sie ausleihen (vgl. Emunds 2001, S. 253). Dem Kreditnehmer wird es auf dem Girokonto gutgeschrieben und in der Bankbilanz kommt es zu einer Bilanzverlängerung (vgl. Minsky 1986, S. 80).

Der Ansatz widerspricht der Theorie der Exogenität der Geldmenge. In dieser entsteht Geld, indem Zentralbankgeld zur Verfügung gestellt wird oder die Bevölkerung spart, so dass Banken mit diesen Reserven im Rahmen des Geldschöpfungsmultiplikators Kreditgeld erzeugen können (vgl. Wray 1992, S. 171). Der Ansatz der Endogeneität lehnt die Idee des beschriebenen Multiplikator ab, indem er die Abfolge umkehrt (vgl. Papadimitriou und Wray 2010, S. 9): Zunächst erfüllen Finanzinstitutionen die Kreditwünsche des Publikums und erst hinterher beschaffen sie sich die regulatorisch notwendigen Reserven. Dies geschieht durch Verschuldung bei anderen Geschäftsbanken mithilfe des Interbankenmarkts, dem Verkauf liquider Aktiva oder über die Verpfändung notenbankfähiger Sicherheiten bei der Zentralbank (vgl. Emunds 2001, S. 253). Die Ersparnis wird demnach gesamtwirtschaftlich von der Kreditnachfrage und damit den Investitionen bestimmt.[2]

Dies bedeutet nicht, dass die Zentralbank keinen Einfluss auf die Wachstumsrate der Geldmenge hat, schließlich kann sie Preis- oder Quantitätsrestriktionen durchsetzen. Bei einer starken Expansion werden Geschäftsbanken die Kreditkonditionen verschlechtern, da antizipiert wird, dass die Zentralbank die monetäre Expansion durch eine Hochzinspolitik zu brechen versuchen wird (vgl. Emunds 2001, S. 253). Dies heißt für Minsky aber nicht, dass die Zentralbank das Kreditvolumen kontrollieren kann, sondern nur, dass Finanzinstitutionen ihre Reserven wirtschaftlich über ein kluges Bilanzstrukturmanagement (liability management) verwalten müssen und über Innovationen Mengen- sowie Preisbeschränkungen zu umgehen versuchen werden (vgl. Minsky 1986, S. 252ff.). Außerdem werden starke Restriktionen zu einer Ausweitung des unregulierten Schattenbankensektors führen, auf die die Zentralbank kaum Einfluss hat (vgl. Minsky 1986, S. 273).

2.3.3 Finanzinnovationen und Money Manager -Kapitalismus

Minsky wendet Schumpeters Theorie auf den Finanzsektor an. Mithilfe von Innovationen können Finanzinstitute gewinnsteigernd auf restriktive Impulse der Geldpolitik reagieren und ggf. kurzfristig Monopolrenten abschöpfen (vgl. Nasica 2010, S. 105f.). Dies geschieht durch die Schaffung neuer Praktiken, Geldformen oder geldnaher Finanzprodukte (vgl. Raines und Leathers 2008, S. 152f.). Ein Beispiel hierfür sind Einlagenzertifikate, welche als Reaktion auf die restriktive Geldpolitik in den 1980er Jahren entwickelt wurden und kurzfristig Liquidität beschaffen (vgl. Papadimitriou und Wray, 2010, S. 17).

Minsky beobachtet außerdem einen Wandel des Wirtschaftssystems. Durch die starke Bedeutung von Finanzinstitutionen, verbunden mit einer enormen Vermögenszunahme durch das Ausbleiben einer Schuldendeflation seit dem zweiten Weltkrieg, interpretiert er die neue Spielform des Kapitalismus als Money Manager -Kapitalismus (vgl. Wray 1992, S. 166). Damit einher geht ein Aufstieg von Finanzinstitutionen, die nicht dem Geschäftsbankensektor zuzuordnen sind, also Investmentbanken, Schattenbanken sowie andere. Diese übernehmen vermehrt eine Finanzierungsrollen und treten in Konkurrenz zu den Geschäftsbanken (vgl. Wray 1992, S. 166). Dies gelingt ihnen, da Nicht-Banken mit geringeren Margen arbeiten können und so keine regulatorischen Vorschriften einhalten müssen (vgl. Wray und Tymoigne 2008, S. 19). Hinzu kommt, dass Unternehmen durch die Entwicklung von Commercial Paper Märkten unabhängiger von den Banken wurden.

Diese Entwicklungen führten in den USA zu einer Abnahme des Marktanteils von Geschäftsbanken im Bereich der Kreditintermediation von 46% im Jahr 1980 auf 30% im Jahr 2007 (vgl. Greenlaw et al 2008, S. 7). Konfrontiert mit den geänderten Konditionen, sind Geschäftsbanken genötigt, innovativ tätig zu werden, um weiterhin hohe Renditen zu erzielen (vgl. Minsky 1986, S. 81). Eine der wichtigsten Innovationen der letzten Jahrzehnte ist die Einführung von Verbriefungen, wie in Kapitel 4.3 aufgezeigt wird.

3. Die Hypothese finanzieller Instabilität

Minskys Erklärung, wie es systemimmanent zu Finanzkrisen kommt, legt einen Schwerpunkt auf Veränderungen von Erwartungen und damit verbundenen Auswirkungen auf das Finanzsystem (vgl. Minsky 1986, S. 219ff.). Sie lässt sich erstens anhand einer Expansionsphase, in der sich das Finanzsystem zu mehr Fragilität entwickelt, sowie einer Kontraktionsphase, in der dies zu einer Krise führt, darstellen (vgl. Nasica 2010, S. 101).

3.1 Expansionsphase

Die Analyse beginnt in Zeiten schwachen Wachstums mit niedrigem Zinsniveau. Die Wirtschaftsakteure sind, aufgrund von Erinnerungen an eine vergangene Wirtschaftskrise, risikoavers und überwiegend abgesichert finanziert. Sie haben geringe Verschuldungsgrade sowie eine hohe Gewinn-Zinslast-Quote, während Banken hohe Risikoprämien nehmen und nur sichere Projekte finanzieren (vgl. Keen 1997, S. 35f.).

In dieser Umgebung gelingen die meisten Investitionsprojekte, worauf Unternehmen und Finanzinstitutionen im Laufe der Zeit ihre Risikoeinschätzung ändern und ihre Risikoaversion abnimmt (vgl. Bellofiore et al. 2010, S. 87). Es wird mehr investiert und die Liquiditätspräferenz nimmt ab. Zudem steigen die Gewinnerwartungen, womit das Gläubiger- wie auch das Schuldnerrisiko (vgl. Kapitel 2.1.4) sinkt. Damit steigt der Nachfrage- und sinkt der Angebotspreis von Investitionsgütern. Mit einer dadurch bewirkten Erhöhung des Investitionsvolumens steigen wiederum die Preise von Vermögensgütern. Um die Investitionsgüternachfrage sowie nun auftretende Vermögenswertkäufe (z.B. Wertpapiere, Immobilien) in Hoffnung auf steigende Preise zu finanzieren, steigt die Nachfrage nach externen Finanzierungsmitteln (vgl. Kindleberger 1978, S. 16). Diese werden bereitwillig zur Verfügung gestellt, da Finanzinstitutionen den allgemeinen Optimismus teilen (vgl. Minsky 1982b, S. 121). Unternehmen beginnen, ihre Einnahmen nicht mehr zur Kredittilgung, sondern zur Reinvestition zu verwenden. Kreditzahlungen müssen durch neue Kredite bezahlt werden und die Finanzierungsstrukturen transformieren sich (vgl. Vogl 2011, S. 12). Das Kreditwachstum beschleunigt sich, womit sich Verschuldungsgrade erhöhen, die Gewinn-Zins-Quoten sinken und Liquiditätspolster abnehmen. Die gestiegene Geldmenge leistet weiteren Aufschub bei den Preisen für Vermögensgüter. Ist der Finanzsektor bzgl. der Möglichkeit der Geldschöpfung stark reguliert bzw. versucht die Zentralbank die Entwicklung zu bremsen, kommt es zunehmend zu Finanzinnovationen oder zur Gründung von Finanzintermediären im unregulierten Bereich (vgl. Keen 1997, S. 36f.).

Mit dem Anstieg der Preise von Vermögenswerten steigen auch die Werte belastbarerer Sicherheiten, weshalb das Kreditvolumen weiter ausgeweitet werden kann. Die animal spirits sind in Anbetracht potentieller Gewinnmöglichkeiten stark ausgeprägt, so dass immer mehr Investoren, zunehmend auch an Geschäften mit Vermögenswertsteigerungen, verdienen wollen und beginnen, mit diesen zu handeln (vgl. Dymski und Pollin 1992, S. 40). Eine Phase der Spekulation beginnt, die sich zunehmend von den zugrundeliegenden Fundamentalwerten der Realwirtschaft entfernt (vgl. Kindleberger 1978, S. 18). In dieser führen der Anstieg der Vermögenswerte, der Löhne und der Beschäftigungsquote zu höherem Konsum (vgl. Wray 1992, S. 168).

Zu diesem Zeitpunkt handelt es sich um eine „euphoric economy“ (Minsky 1982b, S. 120-124) mit allseits verbreiteten positiven Erwartungen, welche auch konservative Unternehmen dazu veranlassen, mehr Risiken einzugehen, um der Konkurrenz zu trotzen. Das Investitionsvolumen steigt ebenso wie die Preise von Vermögenswerten weiterhin an, womit es durch ex-post betrachtete „irrationale Überschwänge“ (Shiller 2000) zur Bildung von Blasen kommt (vgl. Bellofiore et al. 2010, S. 88).

[...]


[1] In dieser Weise wurde Minsky beispielsweise von Krugman und Eggertsson in „Debt, Delveraging and the Liquidity Trap: A Fisher-Minsky-Koo approach“ (2010) modelliert.

[2] Der Ansatz der Endogenität erhält Unterstützung in zahlreichen empirischen Untersuchungen. Carpenter und Demiralp (2010) beobachten, dass die Kreditvergabe zeitlich der Reservebeschaffung vorausgeht.

Details

Seiten
Erscheinungsform
Erstausgabe
Jahr
2013
ISBN (PDF)
9783958205697
ISBN (Paperback)
9783958200692
Dateigröße
1.2 MB
Sprache
Deutsch
Institution / Hochschule
Universität Bayreuth
Erscheinungsdatum
2015 (Februar)
Note
1
Schlagworte
Behavioral Finance Crash Keynesianismus Immobilienkrise Subprime
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