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Der Markt regiert sich selbst: Die Thesen von Keynes und Smith im Check

©2013 Bachelorarbeit 57 Seiten

Zusammenfassung

Wie und vor allem mit welchen Mitteln kann es der Wirtschaft, auf sich allein gestellt, gelingen, sich selbst zu heilen und Krisen wie die aktuell vorherrschende zu bewältigen? Kann es überhaupt gelingen oder ist dies nolens volens nur mit entsprechenden staatlichen Eingriffen möglich? Wirtschafts-Nobelpreisträger Joseph Stiglitz formuliert die große Frage in der Weltwirtschaft des 21. Jahrhunderts so: 'Welche Rolle soll der Staat spielen?' (Stiglitz 2011). Darauf gibt ein weiterer Wirtschafts-Nobelpreisträger, Paul Krugman, folgende Antwort: 'Europa braucht wie die Vereinigten Staaten unbedingt einen fiskalischen Stimulus, um den Einbruch der privaten Ausgaben wettzumachen. Doch im Unterschied zu den Vereinigten Staaten besitzt Europa keine gemeinsame Regierung' (Krugman 2009). Schon an diesen beiden Expertenantworten erkennt man, dass hier wenig Einigkeit besteht. Es werden dann zu diesem Konflikt in schöner Regelmäßigkeit die entsprechenden Thesen der Klassiker und Keynesianer gegeneinander ins Feld geführt, die jedoch allesamt aus dem letzten Jahrhundert stammen und zum Beispiel die heute extrem wichtige Rolle des Finanzsektors häufig außer Acht lassen.

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


2 Grundlegende ökonomische Paradigmen und ihre Ausprägungen

2.1 Klassik / Neoklassik (angebotsorientierter Ansatz) in der Theorie

2.1.1 Hauptmerkmale und historischer Hintergrund – Zusammenstellung der Annahmen und Aussagen

Als einer der Wegbereiter der klassischen Theorie gilt Adam Smith. Er wurde 1723 in Schottland geboren, studierte in Oxford und wurde später Professor für Logik in Glasgow (vgl. Kurz, Sturn 2013: 13ff). Mit seinem 1776 erschienenen Werk „Wealth of Nations“ ging Adam Smith als einer der bedeutendsten Ökonomen in die Geschichte ein. Es wurde zu einem „Leitstern der Wirtschafts- und Ordnungspolitik in kapitalistischen Marktwirtschaften“ (Kurz, Sturn 2013: 5). Sehr vereinfacht könnte man aus diesem Werk subsummieren: Kapital schafft Märkte (durch Konsum), Märkte schaffen Arbeit und steigern die Arbeitsproduktivität, Einkommen und Profite steigen, dies führt wiederum zu Konsum und Investitionen und schafft wieder Kapital; ein eigenständiger Kreislauf also (vgl. Kurz, Sturn 2013: 72).

Als weiterer Hauptvertreter dieser Angebotstheorie und Mitbegründer des Monetarismus gilt der Amerikaner und Wirtschafts-Nobelpreisträger Milton Friedman (1912-2006), der staatliche Eingriffe in das Wirtschaftsgeschehen strikt ablehnte und als Monetarist die Bedeutung der Geldmenge für die Volkswirtschaft betonte. Hierzu soll die Geldmenge von den Zentralbanken vorsichtig an das Wachstumspotenzial einer Volkswirtschaft angepasst werden (vgl. Langhans, Prochnow 2011: 58).

Besonders zu erwähnen als späterer diametraler Gegenspieler von Keynes ist hier auch der Österreicher Joseph Schumpeter, der der Auffassung war, dass alle staatlichen Eingriffe die Gesamtsituation nur verschlimmern, da allgemein erwartet wird, dass bei der nächsten und vielleicht noch größeren Krise der Staat erneut einspringt und somit schwierige Situationen sogar noch provoziert würden (vgl. Roubini, Mihm 2010: 84). „Dem Staat kommt lediglich die Aufgabe zu, durch eine kon­stante, transparente und verlässliche Ordnungspolitik die Angebotsbedingungen in einer Volkswirtschaft zu optimieren“ (Vogt 2010: 39).

Als Neoliberalismus wird eine Form der klassischen Anschauungen bezeichnet, die staatliche Eingriffe nicht komplett ablehnt, z.B. wenn sie der Verhinderung der Bildung von Kartellen dient. Zu den bedeutendsten Vertretern zählen Friedrich August von Hayek und Walter Eucken.

Eines der wichtigsten Merkmale der klassischen Theorie liegt in der strikten Trennung des Geld- und Gütermarktes sowie in der Annahme, dass die Märkte inhärent stabil sind. Bezeichnend ist dabei, dass Smith und auch andere frühe Wirtschaftstheoretiker wie Ricardo, Say und Marshall in ihren Werken erklären, warum und wie der Markt eben funktioniert und weniger warum er eben unter Umständen nicht funktioniert (vgl. Roubini, Mihm 2010: 61).

Eine absolute Notwendigkeit im klassischen Markt ist Wachstum, dazu braucht es eine Steigerung der Arbeitsproduktivität und die sogenannte Kapitalakkumulation. Eine freiheitliche Wettbewerbsordnung sorgt ebenso für bestmögliche Wachstumsbedingungen (vgl. Söllner 2012: 26f.). Der Marktpreis ist in gewisser Hinsicht der Regelmechanismus, in einschlägiger Literatur auch als „unsichtbare Hand“ bezeichnet (vgl. Altmann 2009: 181).

In der Vergangenheit gab es immer wieder entschiedene Verfechter der klassi­schen Thesen, so sagte schon Ludwig Erhard: „Eine freie Wirtschaft ist notwendiger Teil einer freien Gesellschaft“. Er war es, der 1948 die Aufhebung der Preiskontrollen durchsetzte und somit für die Liberalisierung der Märkte sorgte, die einen beispiellosen Aufschwung in Westdeutschland brachten, der oft als Wirtschaftswunder deklariert wurde. Es war jedoch nur das logische Resultat der Gesetze des freien Marktes (vgl. Suntum 2013: 18).

Als Negativ-Beispiel für staatliche Eingriffe in große Volkswirtschaften kann hier die 1981 in den USA unter Reagan forcierte restriktive Geldpolitik dienen, die hauptsächlich zur Absenkung der Inflation gedacht war. Nachdem aber dadurch nicht nur die Inflationsrate sondern auch Produktion und Beschäftigung sanken, wurde diese restriktive Geldpolitik bereits 1982 wieder aufgegeben (vgl. Kromphardt 2013: 152f).

2.1.2 Ansätze in der Geldmarktpolitik

Da man die angebotsorientierte Variante häufig auch als Monetarismus bezeichnet, kann schon erahnt werden, dass der Geldpolitik eine sehr entscheidende Rolle zukommt (vgl. Vogt 2010: 40). Hier ist auch einer der größten Unterschiede der beiden Theorien zu finden. Während Keynes später in der Akkumulation des Kapitals eher eine Gefahr sieht, sind Adam Smith und die Verfechter der klassischen Theorie der Überzeugung, dass die Akkumulation des Kapitals als zwingende Voraussetzung für künftigen Wohlstand zu sehen ist (vgl. Kurz, Sturn 2103: 127). Sie gehen davon aus, dass einmal akkumuliertes Kapital dem Wirtschaftskreislauf durch Konsum erneut zugeführt wird. Die Möglichkeit, dass das Geld eben nicht wieder „ausgegeben“ wird, wurde nicht weiter in Betracht gezogen.

So schlug beispielsweise Milton Friedman vor, dass die Zentralbanken die Geldmenge jährlich konstant erhöhen, gekoppelt an die Wachstumsraten der Wirtschaft. Darin sah er die Möglichkeit, Vertrauen auch in langfristige Investitionen der Kapitalgeber zu wecken. Zurückgegriffen wird von den Monetaristen in diesem Zusammenhang auf die Quantitätstheorie des Geldes, die sich in folgender Gleichung widerspiegelt:

Die linke Seite (Zentralbankgeldmenge multipliziert mit der Umlaufgeschwindig­keit derselben) ist dabei Ausdruck der monetären Nachfrage einer Volkswirt­schaft, wohingegen die rechte Seite (reales Sozialprodukt multipliziert mit dem Preisniveau) das in Geld bewertete Güterangebot repräsentiert (vgl. Bartling, Luzius 2008: 239). Geld wird nur als eine Art Schleier betrachtet, der über den realwirtschaftlichen Vorgängen schwebt, diese aber letztlich nicht beeinflusst (vgl. Suntum 2013: 107). Da in der heutigen Zeit die „Geldwirtschaft“ als eigener Wirtschaftszweig operiert und auch wie sich gerade aktuell zeigt, Auslöser für vielfältige Krisen sein kann, lässt gewisse Zweifel an der „Geldschleier“-These aufkommen.

2.1.3 Ansätze in der Beschäftigungspolitik

Um die ausreichende Versorgung mit Gütern zu realisieren, müssen die Produktionsfaktoren Kapital, Arbeit, Technologie und Boden bestmöglich eingesetzt werden. Generell geht es in der Beschäftigungspolitik um den wichtigen Produktionsfaktor Arbeit (vgl. Welfens 2013: 17).

Durch den Konjunkturzyklus ergeben sich in Marktwirtschaften Veränderungen, die Auswirkungen auf das Arbeitsangebot haben. In der Phase der Rezession kommt es zu einer steigenden Zahl Arbeitswilliger, die keine Arbeit finden. Dieses Phänomen nennt man daher auch konjunkturelle Arbeitslosigkeit (vgl. Welfens 2013: 34).

Alle Überlegungen des klassisch-neoklassischen Ansatzes gingen grundsätzlich von „Vollbeschäftigung“ als Normalfall aus. Anhaltende Phasen von „Unterbeschäftigung“ waren nicht vorgesehen und so wurden weder die Ursachen hierfür untersucht, noch gab es entsprechende Lösungen. Man nahm an, nur zu hohe Löhne hätten auch negative wirtschaftliche Auswirkungen und könnten Arbeitslosigkeit mit verursachen. Daher wurden Lohnsenkungen als Allheilmittel zur Vermeidung von Arbeitslosigkeit gepriesen (vgl. Willke 2012: 23). Wenn die Beschäftigten sinkende Löhne akzeptieren, dann stellen die Unterneh­mer wieder Arbeitskräfte ein und die Arbeitslosigkeit verschwindet von allein: ein geschlossener Kreislauf also. Partialanalytisch betrachtet bedeutet dies, dass Angebot und Nachfrage auf dem Arbeitsmarkt nach Ansicht der Neoklassiker vom Reallohn bestimmt werden (vgl. Wagner 2011: 27).

Die Neoklassiker verwenden die Akzelerationshypothese als Gegenargument zu den keynesianischen Thesen. Diese Akzelerationshypothese besagt im Kern, dass, will der Staat die Arbeitslosenquote unter der natürlichen Quote halten, er laufend die Inflation erhöhen muss. Gerade in Zeiten vor Wahlen ist der Staat geneigt dies zu tun, da eine niedrigere Arbeitslosenquote wahlkampftechnisch immer positive Auswirkungen hat, jedoch die eingesetzten Mittel und Maß-nahmen meist nur von kurzfristiger Natur sind (vgl. Wagner 2011: 135). Damit geht auch hier wieder eine klare Absage an den Staat, sich „einzumischen“. In Kapitel 5.2 wird es noch Gelegenheit geben, diesen Teilbereich näher zu betrachten.

2.1.4 Ansätze in der Haushalts- und Fiskalpolitik

Wie bereits in den vorangegangenen Kapiteln erwähnt, soll sich nach Ansicht der Klassiker / Neoklassiker der Staat weitestgehend aus dem Wirtschaftsgeschehen heraushalten. Er hat lediglich den Ordnungsrahmen zu schaffen. Gleichzeitig soll er „seinen“ Haushalt entsprechend „seinen“ wirtschaftlichen Möglichkeiten führen. Geht es also der Wirtschaft eines Staates gut, dann fließen auch die Einnahmen des Staates in Form von Steuern. Während beim Privathaushalt für die Einkommenserzielung zwingend eine Faktorleistung in Form von Arbeit erbracht werden muss, gilt beim Staat dieses Prinzip von Leistung und Gegenleistung nicht. Ein Staat erzielt seine Einnahmen in erster Linie mit Steuern, für die nicht zwingend eine Gegenleistung erbracht werden muss (vgl. Altmann 2009: 72f.).

Es gilt auch hier, dass wirtschaftliches Wachstum Grundvoraussetzung für die Verbesserung der sozialen Verhältnisse ist. Anders ausgedrückt, kann man den Kuchen erst an die Bürger verteilen, wenn er von der Wirt­schaft bereitgestellt worden ist (vgl. Ribhegge 2011: 269). Durch Steuersenkungen kann der Bürger in die Lage versetzt werden, noch mehr zu konsumieren und damit wiederum die Staatseinnahmen zu erhöhen, was gleichzeitig einen positiven Einfluss auf die Wirtschaft hat. So wird bei der angebotsorientierten Politik auf Senkung der Grenzsteuersätze bei der Einkommenssteuer bzw. der Körperschaftssteuer als probates Mittel zurückgegriffen, um so die Rentabilität der Investitionen zu verbessern, Beschäftigung und somit Wachstum zu generieren (vgl. Welfens 2013: 33).

Einen Einfluss der Politik durch finanzpolitische Maßnahmen, wie Erhöhung der Staatsausgaben in Rezessionsphasen, lehnen die Verfechter der klassischen Thesen strikt ab, da sie langfristig mit einer Verschlechterung der wirtschaftlichen Lage durch dieses Instrument rechnen. Dazu wird später in Kapitel 5.3 zum Thema antizyklische Fiskalpolitik noch näher eingegangen.

2.2 Keynesianismus (nachfrageorientierter Ansatz) in der Theorie

2.2.1 Hauptmerkmale und historischer Hintergrund – Zusammenstellung der Annahmen und Aussagen

Zunächst einmal soll auch hier wieder der Gründervater dieser Theorie kurz vorgestellt werden, John Maynard Keynes (1883-1946). Keynes wurde in Cambridge (England) geboren und wuchs in großbürgerlichen Verhältnissen auf. Er studierte Mathematik, Philosophie und Geschichte. Zu seinen Lehrern gehörten bedeutende Ökonomen wie Marshall und Pigou (vgl. Kromphardt 2013: 13f.). Sein bekanntestes und gleichzeitig aufsehenerregendes Werk „Allgemeine Theorie der Beschäftigung, des Zinses und des Geldes“ veröffentlichte er 1936 mit der Weltwirtschaftskrise von 1929 – 1933 im Hintergrund. Man könnte seine Theorie somit auch als Theorie der Depressionszeit bezeichnen (vgl. Willke 2012: 7).

Generell ist seine Theorie stärker makroökonomisch (gesamtwirtschaftlich) geprägt als die vorherrschende, eher mikroökonomisch (einzelwirtschaftlich) geprägte Theorie der Klassiker (vgl. Willke 2012: 12). „Keynes hält das makroökonomische Ungleichgewicht für den Normalfall“ (Willke 2012: 14). Daher fordert er Staatsausgaben, die auch durchaus mit Schulden finanziert werden dürfen, um die Nachfrage auf einem hohen Niveau zu halten, damit die Konjunktur anzukurbeln und so auch einen hohen Beschäftigungsgrad zu sichern (vgl. Willke 2012: 14).

Keynes‘s Überlegungen sind entstanden aus echtem „Marktversagen“. Speziell die Weltwirtschaftskrise Anfang der 30er Jahre, die mit dem Platzen der Aktienkursblase an der New Yorker Börse im Oktober 1929 begann, ist, wie bereits erwähnt, als Auslöser zu sehen. Keynes verglich dazu den Aktienmarkt einmal mit einem Preisausschreiben in einer Zeitung. Der geneigte Leser könne aus hundert Fotografien ein paar hübsche Gesichter auswählen. Der Gewinner ist dann der Leser, der der Kollektivmeinung am nächsten gekommen ist (vgl. Harford 2006: 211). Was will uns das sagen? Aktien haben oft nicht wirklich etwas mit tatsächlichen Werten gemein, sondern nur mit Erwartungen, die von den betreffenden Unternehmen oder dem Marktumfeld mehr oder minder stark beeinflusst werden.

Was damals als Finanzkrise begann, griff bald auch auf die amerikanische Realwirtschaft über. Durch sinkende Investitionen der Unternehmer und mangels privaten Konsums kam es zu einer Phase der tiefen Depression einhergehend mit enormer Massenarbeitslosigkeit. Auch Europa inklusive Deutschland wurde bald ebenso von der Krise erfasst (vgl. Kromphardt 2013: 54f.). Der unbedingte Glaube an die bisher als unumstößlich geltenden Selbstheilungskräfte der Märkte war weltweit tief erschüttert. Schon 1932 schrieben Keynes und seine Mitstreiter, wie Pigou, einen Brief an die „Times“, in dem sie auf die positiven Auswirkungen von zusätzlichen öffentlichen Ausgaben hinweisen (vgl. Kromphardt 2013: 62).

In Deutschland wurde die keynesianische Theorie später sehr erfolgreich in den Jahren 1966/67 unter Karl Schiller als Wirtschaftsminister und Franz-Josef Strauß als Finanzminister eingesetzt. Mit einem zusätzlichen Investitionshaushalt von 2,5 Milliarden D-Mark und weiteren konjunkturbelebenden, geldpolitischen Maßnahmen der damaligen Bundesregierung kam es rasch zum Superboom der Jahre 1968 und 1969 (vgl. Willke 2012: 118). Allerdings geriet der Keynesianismus in den 70er Jahren direkt in eine schwere Krise, verursacht durch das Phänomen der Stagflation „ – die Wirtschaftspolitik war blockiert, weil sie nicht gleichzeitig expansiv gegen die Stagnation und restriktiv gegen die Inflation wirken konnte – “ (Willke 2012: 12).

Im Zuge der weltweiten Finanzkrise ab 2008 mussten von Regierungen vieler Industriestaaten drastische Maßnahmen ergriffen werden, um Banken und Versicherungen zu retten und somit einen weiteren Absturz der Konjunktur zu verhindern (vgl. Kromphardt 2013: 163). Hier erlebten Keynes und seine Anhänger eine wahre Renaissance. „Keynes Lehre dagegen scheint heute aktueller denn je, liegt doch im Mangel an Kontrolle eine der Hauptursachen der Krise“ (Tanzer 2009: 50).

Keynes geht in seinen Überlegungen davon aus, dass es durchaus Marktungleichgewichte gibt, die sich eben nicht, wie bisher von den Klassikern angenommen, selbst ausgleichen. Er widerspricht damit dem Say’schem Theorem, welches besagt, dass sich jedes Angebot seine Nachfrage schafft, sondern setzt vielmehr darauf, dass Nachfrage, bei Bedarf auch mit staatlicher Unterstützung, erst geschaffen werden muss. Entgegen den Ansichten der Klassiker sehen die Keynesianer eine Verschmelzung von Geld- und Gütermarkt, dies ist auch einer der Hauptunterschiede dieser beiden Theorien.

2.2.2 Ansätze in der Geldmarktpolitik

Keynes hat seine Theorien mit einer echten Wirtschaftskrise im Hintergrund geschrieben. Daher ist bei ihm Unsicherheit künftiger ökonomischer Entwicklungen vorrangig, ein gewisser Marktpessimismus herrscht vor. Und so wird die Geldnachfrage als rationales Verhalten unter Unsicherheit zum Angelpunkt seiner Erklärungen von Instabilität, sprich Geld ist bei Keynes eben nicht neutral wie bisher in den klassischen Ansätzen (vgl. Tomann 1997: 17). Bei Keynes geht es außerdem um langfristige Finanzierungshorizonte, einen unterentwickelten Kapitalmarkt und eine eindeutige Ausrichtung hin zu „stakeholder value“. Dies ist entgegengesetzt der klassischen Ansichten von High-Risk-Finance mit kurzen Zeithorizonten, einem hochliquiden Kapitalmarkt und einem Fokus auf dem „shareholder value“ eine komplett neue Theorie (vgl. Abelshauser 2003: 99).

So macht Keynes höhere Ersparnisse verantwortlich für geringere Investitionen. Wird nichts oder weniger konsumiert, spüren die Unternehmen den Nachfrageausfall. Es gibt jedoch keine Garantie, dass dieser Konsum zum späteren Zeitpunkt nachgeholt wird. Aus diesem Grund wird die erwartete Rendite einer zuvor getätigten Investition des Unternehmens negativ beeinflusst. Somit blieben unter Umständen dringend benötigte Investitionen künftig komplett aus (vgl. Kromp-hardt 2013: 91). „Die Unternehmensentscheidungen über Investitionen, Produktion und Beschäftigung sind die treibende und bestimmende Kraft der kurzfristigen und langfristigen Entwicklung“ (Kromphardt 2013: 115). Damit wird also gesagt, möglichst hohe Kapitalakkumulation, wie von den Klassikern gefordert, führt zu sinkendem Konsum und dadurch ausbleibenden Investitionen, was äußerst negativ für die wirtschaftliche Entwicklung ist.

Keynes war 1944 einer der Mitunterzeichner des Schlussdokuments, welches zur Gründung des Internationalen Währungsfonds (IWF) und der Bank für Wiederaufbau und Entwicklung (Weltbank) führte. Es wurde ein Gold-Devisen-Standard vereinbart, dem Dollar fiel die Rolle der Leitwährung zu. Trotz intensiver Bemühungen gelang es ihm nicht, die Gläubigerländer zum Abbau ihrer Überschüsse zu verpflichten. Insgesamt jedoch war es ein durchaus großer Triumph, da durch die Möglichkeit bei finanziellen Schwierigkeiten Kredite beim IWF zu beanspruchen, die Notwendigkeit der Abwertung oder des Einsatzes von protektionistischen Maßnahmen gebannt war (vgl. Kromphardt 2013: 134f).

2.2.3 Ansätze in der Beschäftigungspolitik

Die Klassiker gingen bisher davon aus, alle Märkte glichen sich durch Angebot und Nachfrage aus, einschließlich des Arbeitsmarktes. Außerdem war eine weit verbreitete Ansicht die, dass jeder, der arbeiten will, auch Arbeit finden würde. Nachdem aber im Zuge der Weltwirtschaftskrise ab 1929 eine tiefe wirtschaftliche Depression herrschte und zum Beispiel in den USA jede vierte Erwerbsperson arbeitslos war, geriet diese These der Klassiker zur andauernden Vollbeschäftigung in Bedrängnis. Auch gab es damals keine Arbeitslosenversicherungen auf heutigem Niveau, so dass das Elend der Bevölkerung rasch zunahm (vgl. Kromp-hardt 2013: 54ff). Aus diesen Aspekten heraus beschäftigte sich Keynes sehr genau mit diesem Thema und kam zu dem Schluss, dass eine rein marktwirtschaftliche Volkswirtschaft auch durchaus länger in einer Situation der Unterbeschäftigung stecken bleiben und nur eine aktive staatliche Geld- und Fiskalpolitik diesen Missstand beseitigen kann (vgl. Kromphardt 2103: 106).

Seine Thesen besagen weiterhin, dass Löhne sich nur nach oben bewegen und ein einmal erreichtes Lohnniveau nicht mehr nach unten gehen kann (vgl. Altmann 2009: 423). Damit widerspricht er klar der klassisch-liberalen Ansicht, dass sinkende Löhne Arbeitslosigkeit verhindern. Im Gegenteil, sinkende Löhne bedeuten für ihn sinkende Kaufkräfte, was wiederum in eine generelle Abwärtsspirale führt. Keynes macht verschiedene Faktoren für die Arbeitslosigkeit verantwortlich, allen voran eine stagnierende oder gar zurückgehende Investitionsneigung der Unternehmen. Aber auch übertriebene Sparsamkeit der Konsumenten in Form von sinkendem Hang zum Verbrauch wie auch eine steigende Liquiditätsvorliebe sind nach seiner Ansicht Gründe für spätere Arbeitslosigkeit (vgl. Willke 2012: 46).

Keynesianische Instrumente, wie steigende Staatsausgaben zur Belebung der Konjunktur, werden deshalb von Regierungen gerade vor Wahlen häufig benutzt um Wählerstimmen zu gewinnen. Eine niedrige Arbeitslosenquote steht sinngemäß immer auch für eine gesunde Wirtschaft. Außerdem werden die Sozialsysteme eines Staates bei einer geringen Arbeitslosigkeit weit weniger belastet als bei einer hohen, speziell in Staaten wie Deutschland wo es gute Arbeitslosenversicherungssysteme für Arbeitnehmer gibt.

2.2.4 Ansätze in der Haushalts- und Fiskalpolitik

Die Planung der Staatseinnahmen in Form von Steuern und deren entsprechenden Verteilung in Form von Staatsausgaben sowie die Staatsdefizitfinanzierung sind Hauptaktivitäten der Haushalts- und Fiskalpolitik eines Staates. Eine der bedeutendsten Thesen von Keynes in diesem Zusammenhang ist die antizyklische Fiskalpolitik; diese besteht aus zwei Komponenten. Eine Komponente ist die Möglichkeit von Steuersenkungen in Krisenzeiten, z.B. während einer Rezession. Die Steuerzahler sollen dazu gebracht werden, mehr zu konsumieren und so soll die Wirtschaft wieder belebt werden. Da in Krisenzeiten die Bürger jedoch meist auch in Sorge um ihren Arbeitsplatz und damit ihrer Zukunft sind, wird das eingesparte Steuergeld eben oftmals nicht für den Konsum verwendet, sondern gespart, was dann nicht den gewünschten Effekt bringt. Die zweite Komponente ist die Erhöhung der Staatsausgaben. Der Staat ist auf dem Gütermarkt ein wichtiger, auf manchen Märkten, wie dem Rüstungsmarkt, sogar der einzige Nachfrager. Um nun in Zeiten des wirtschaftlichen Abschwungs oder einer drohenden Rezession stabilisierend einzugreifen und somit schlimmstenfalls eine Depres-sion zu verhindern, soll der Staat, wenn es nach Keynes und seinen Anhängern geht, aktiv in das Wirtschaftsgeschehen eingreifen (vgl. Welfens 2013: 131).

Dieses Eingreifen darf jedoch noch nur von vorübergehender Natur sein, denn eine Erhöhung der Staatsaugaben bei gleichzeitigen Steuersenkungen führt zu einem temporär erhöhten Haushaltsdefizit, welches es in Boomphasen durch Steuerhöhungen und Reduzierung der Staatsausgaben unbedingt wieder einzudämmen gilt (vgl. Welfens 2013: 333). Genau dies wird jedoch von den Regierungen oftmals gerade aus wahltaktischen Gründen nicht oder nicht effizient umgesetzt und zählt somit zu den wichtigsten Kritikpunkten, die die Gegner von Keynes gegen eine antizyklische Fiskalpolitik ins Feld führen.

Speziell im Bereich der Steuerpolitik ist es so, dass mit Besteuerungen generell Belastungen verbunden sind. Es muss daher genau überlegt werden, welche Art von Steuern erhoben bzw. erhöht oder gesenkt werden sollten, da es ansonsten zu nicht erwünschten Ausweichreaktionen der Wirtschaftsakteure kommen kann (vgl. Welfens 2013: 132). Auf dieses Thema wird in Kapitel 5.3 noch näher eingegangen.

2.3 Vergleich der wichtigsten Aussagen beider Theorien

2.3.1 Klassik / Neoklassik

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb. 2: Hauptmerkmale Klassik/Neoklassik

Quelle: eigene Quelle

Klassiker und Neoklassiker gehen in ihrer Lehre von einem stabilen Markt als Normalfall aus, der stets zum Gleichgewicht tendiert, Arbeitslosigkeit und Rezession gelten als unüblicher Sonderfall (vgl. Kaletsky 2010: 210). Das gesamtwirtschaftliche Angebot bestimmt die Nachfrage.

2.3.2 Keynesianismus

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb. 3: Hauptmerkmale Keynesianismus

Quelle: eigene Quelle

Keynes und die Anhänger seiner Lehre gehen von wirtschaftlicher Instabilität als Normalfall aus und betrachten das von den Klassikern gepriesene Markt-gleichgewicht als unüblichen Sonderfall (vgl. Kaletsky 2010: 210). Die gesamtwirtschaftliche Nachfrage bestimmt das Angebot.

3 Die derzeitige Situation in Europa

3.1 Überblick über die derzeitige wirtschaftliche Situation in Europa

Europa, speziell die europäische Währungsgemeinschaft, befindet sich in der Krise. Südeuropäische Länder wie Griechenland, Spanien und Portugal stehen vor dem Kollaps, aber auch Länder wie Frankreich und Italien bleiben weiterhin gefährdet. Die Wettbewerbsfähigkeit war dort (als Beispiel Griechenland) verloren gegangen, weil durch den EURO eine kreditfinanzierte Wirtschaftsblase entstand. Auch die politisch-emotionale Lage ist angespannt. Trotz aller finanzieller Hilfen wird Deutschland keinesfalls als Retter wahrgenommen, sondern häufig wegen seiner Aufforderung zur strengen Haushaltsdisziplin für alle „Unannehmlichkeiten“ die den Bürgern der entsprechenden Länder entstehen, verantwortlich gemacht (vgl. Sinn 2013: 79).

Es bleibt weiter abzuwarten und zu beobachten, inwieweit die Selbstheilungskräfte des Marktes im EURO-Raum wirken und Fehlentwicklungen so korrigiert werden können. Hierüber „streiten“ sich die vermeintlichen Experten, darunter auch einige Ökonomen. Ein Teil dieser Experten, wie etwa IFO-Präsident Hans-Werner Sinn, sind gegen exzessive Rettungsschirme, da diese den Selbstheilungsprozess unterminieren. Andere dagegen, unter ihnen auch Bundeskanzlerin Angela Merkel, sehen genau darin die einzige Lösung zur Krisenbewältigung. Dass damit die Kriterien des Maastrichter Vertrages hinsichtlich Staatsverschuldung, Haushaltsdefizit und Inflationsrate nicht mehr zu erfüllen sind, wird billigend in Kauf genommen. Durch die Duldung der Verletzung dieser Kriterien wurde jedoch eine regelrechte Rettungsspirale losgetreten, aus der ein Entkommen ohne einschneidende Entscheidungen, wie beispielsweise zeitweiser Austritt Griechenlands aus der EURO-Zone, schwer möglich scheint.

Mit verantwortlich für die Misere ist auch die von Beginn an falsche Einschätzung als Finanzkrise und nicht als mangelnde Wettbewerbsfähigkeit der einzelnen Länder. „Die fiebersenkenden Maßnahmen, die man ergriffen hat, sind keinerlei Ersatz für die chirurgischen Eingriffe, die eigentlich nötig wären“ (Sinn 2013: 80).

Als Negativ-Beispiel aus der jüngeren Geschichte kann hier die zu frühe Einführung der D-Mark in den Neuen Bundesländern dienen, welche die Wirtschaft dort auch von einen Tag auf den anderen lahmgelegt hat, da die Wettbewerbsfähigkeit praktisch nicht mehr vorhanden war.

Ein weiterer, auch nicht zu unterschätzender Punkt, ist die öffentliche Verschwendung von Staatsgeldern und die weit verbreitete Korruption in den betreffenden Ländern. Schon in seinem 1776 erschienenem Werk „Wealth of Nations“ schrieb Adam Smith sinngemäß, dass öffentliche Verschwendung häufig Grund für die Verarmung eines Landes sei (vgl. Kurz, Sturn 2013: 128). Dies kann man bedenkenlos bestätigen, wenn man die aktuelle Situation in Europa, speziell am Beispiel Griechenland betrachtet.

Wie unterschiedlich die Situation in den einzelnen Staaten des EURO-Raumes ist, zeigt beispielsweise ein Blick auf die Leistungsbilanzen dieser Länder:

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb. 4: Leistungsbilanzsalden der Euro-Länder aus dem Jahresbericht der EZB 2012

Quelle: Online im Internet: http://www.bundesbank.de/Redaktion/DE/Downloads/Veroeffentlichungen/EZB_Jahresberichte/2012_jahresbericht_ezb.pdf?__blob=publicationFile [Stand 02.11.13]

Gerne wird von sogenannten Experten propagiert, dass das Ende des EURO auch das Ende Europas sei. Nun haben aber tatsächlich nur 17 von 27 Ländern in der EU den EURO als Währung und insgesamt besteht Europa aus 47 Ländern. Auch entspricht der europäische Binnenmarkt nicht gleich der EURO-Zone. Dem europäischen Binnenmarkt geht es im Vergleich zur EURO-Zone gut. Nicht-EURO-Länder wie Dänemark und Schweden können genauso innerhalb des europäischen Binnenmarktes ohne Zölle und Mehrwertsteuerausgleich handeln wie die EURO-Länder Deutschland oder Portugal.

Gerade jedoch Deutschland, das oft als EURO-Profiteur genannt wird, hat durch den Verlust seiner stabilen, inflationsarmen Währung Einbußen hinnehmen müssen (vgl. Henkel 2013: 154ff). So mahnte auch Wirtschaftsprofessor Hans-Werner Sinn kürzlich in einem Interview mit dem FOCUS: „Beim BIP lag Deutschland 1995 auf dem zweiten, heute auf dem siebten Platz. Die Bilanz eines Euro-Profiteurs sieht anders aus.“

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Details

Seiten
Erscheinungsform
Erstausgabe
Jahr
2013
ISBN (PDF)
9783958206144
ISBN (Paperback)
9783958201149
Dateigröße
2 MB
Sprache
Deutsch
Institution / Hochschule
( Europäische Fernhochschule Hamburg )
Erscheinungsdatum
2015 (Februar)
Note
1,3
Schlagworte
Keynesianismus Klassiker Europa Euro USA Marktwirtschaft

Autor

Antje Jakesch, Wirtschaftsingenieurin, Jahrgang 1969, schreibt in ihrer Abschlussarbeit über ein aktuelles politisches Thema: Marktwirtschaft und Politik, Europa und USA im Vergleich. Ihr nebenberufliches Studium mit dem akademischen Grad Bachelor of Engineering schloss die Autorin 2014 ab. Selbst als Vertriebsleiterin in der Wirtschaft tätig, verfolgt sie mit großem Interesse das wirtschaftliche und politische Geschehen und nutzte die Gelegenheit der Abschlussarbeit für einen Vergleich der beiden wirtschaftspolitischen Weltanschauungen im Hinblick auf das aktuelle Weltwirtschaftsgeschehen und die Auswirkungen heutigen Handelns für künftige Entwicklungen.
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