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Das Handlungsverständnis Sozialer Arbeit in Anstalten für psychisch kranke Straftäter im Kontext des österreichischen Maßnahmenvollzugs

©2014 Bachelorarbeit 53 Seiten

Zusammenfassung

Der 1975 implementierte österreichische Maßnahmenvollzug behandelt Straftäter, die aufgrund einer psychischen Erkrankung eine Straftat begehen bzw. als psychisch krank diagnostiziert werden. Diese werden größtenteils in der forensischen Psychiatrie - in eigens dafür errichteten Justizanstalten - behandelt.
Hauptaugenmerk der vorliegenden Arbeit liegt in der Aufklärung über das Handlungsverständnis Sozialer Arbeit sowie ihre Möglichkeiten und Grenzen bei der Arbeit mit psychisch kranken Straftätern. Dazu werden das System des österreichischen Maßnahmenvollzugs, dessen Entwicklung und Entstehung, die rechtlichen Grundlagen und Rahmenbedingungen sowie beteiligte Institutionen, Professionen und die Zielgruppe aufgezeigt.
Ein weiterer Fokus liegt auf der Betrachtung des Instrumentariums der Psychiatrie, da diese die Einweisungspraxis des Maßnahmenvollzugs entscheidend prägt. Um das Handlungsverständnis Sozialer Arbeit zu fundieren, werden ergänzend die Theorien abweichenden Verhaltens und das Konzept der Lebensbewältigung beleuchtet.

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


2.2 Statistische Beleuchtung der Einweisungen

Die Zahl der Untergebrachten im österreichischen Maßnahmenvollzug erlebte zwischen 2001 und 2012 einen Anstieg um etwa 69 % und erreicht ihren Höchstwert. Etwa jeder 10. Gefangene in Österreich unterliegt dem Regime des Maßnahmenvollzugs. (Bundesministerium für Justiz 2013a: 8)

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 2: Einweisungszunahme im Maßnahmenvollzug nach § 21 StGB

Bezugnehmend auf die Zunahme an Einweisungen zeigt sich ein langfristiger Trend. Wie aus dem oben angeführten Diagramm ersichtlich ergibt sich im Bemessungszeitraum zwischen 2001 und 2012 ein Zuwachs von 88 % bei den Untergebrachten nach § 21 Abs. 1 StGB, und bei den Untergebrachten nach § 21 Abs. 2 ist ein Zuwachs von 114 % zu verzeichnen. Der Durchschnittswert der Anhaltedauer stieg bei zurechnungsunfähigen psychisch kranken Straftätern zwischen 2001 und 2013 von 1,6 auf 3,1 Jahre und bei den Zurechnungsfähigen von 3,6 auf 5 Jahre auf einen bisherigen Höchststand an. (Bundesministerium für Justiz 2013a: 9-11)

Dieser Anstieg ist nicht auf eine zunehmende Gefährlichkeit von Menschen zurückzuführen, sondern auf die häufige Bestellung von Sachverständigern (Gutachtern) im Ermittlungsverfahren durch Staatsanwaltschaften, welche die Persönlichkeit des Täters beurteilen sollen. (Schwaighofer 2013: 62) Weitere Gründe für den Anstieg der Einweisungen stellen gesellschaftliche Ursachen dar. Verantwortung wird oft delegiert und abgeschoben, sie möchte von niemandem mehr übernommen werden (Bsp.: „schwierige“ Jugendliche, die in kein Behandlungskonzept „passen“, und zwischen den Einrichtungen hin- und hergeschoben werden). (Eckhart 2014: Gesprächsnotiz vom 19.02.)

3 Das System des österreichischen Maßnahmenvollzugs

3.1 Gesetzliche Grundlagen und Rahmenbedingungen

Der österreichische Straf- und Maßnahmenvollzug wird durch die Zuständigkeit des Bundes gemäß Art 10 Abs. 1 Z 6 B-VG (Bundes-Verfassungsgesetz) geregelt. Das Bundesministerium für Justiz ist als oberste Vollzugsbehörde für die strategische Planung und Steuerung und die Leitung des Maßnahmenvollzugs zuständig. Das Strafvollzugsgesetz (StVG) regelt gerichtliche Freiheitsstrafen sowie die mit Freiheitsentziehung verbundenen vorbeugenden Maßnahmen. (Bundesministerium für Justiz 2013b: 9 f.)

In den Strafvollzug werden Personen aufgrund einer strafbaren Handlung eingewiesen. Konträr dazu werden in den Maßnahmenvollzug jene Personen eingewiesen, welche eine strafbare Handlung in Kombination mit einer psychischen Erkrankung begangen haben. In Bezug auf die Unterbringung von psychisch kranken Straftätern werden Auszüge des § 158 vom Strafvollzugsgesetz (StVG) angeführt:

„(1) Die Unterbringung geistig abnormer Rechtsbrecher ist in den dafür besonders bestimmten Anstalten oder in den dafür besonders bestimmten Außenstellen der Anstalten zum Vollzug von Freiheitsstrafen zu vollziehen […]
(2) In den Anstalten für geistig abnorme Rechtsbrecher darf auch der Strafvollzug an Strafgefangenen durchgeführt werden, die wegen ihres psychischen Zustandes in anderen Vollzugsanstalten nicht sachgemäß behandelt werden können oder die sich wegen psychischer Besonderheiten nicht für den allgemeinen Vollzug eignen […]
(4) Die Unterbringung nach § 21 Abs. 1 des Strafgesetzbuches darf durch Aufnahme In eine öffentliche Krankenanstalt für Psychiatrie vollzogen werden, […].
(5) Die Unterbringung nach § 21 Abs. 2 des Strafgesetzbuches darf auch in besonderen Abteilungen der Anstalten zum Vollzug von Freiheitsstrafen vollzogen werden.“

Die beteiligten Institutionen, in welche Maßnahmenpatienten eingewiesen werden, sind im Kapitel 3.4 dargestellt.

3.2 Besonderheiten des Maßnahmenvollzugs in Österreich

Die forensische Psychiatrie unterscheidet sich vor allem in der Behandlungsdauer und den rechtlichen und institutionellen Bedingungen und dem damit verbundenen Zwangskontext von der Allgemeinpsychiatrie. Die Behandlung von forensisch-psychiatrischen Klienten in der forensischen Psychiatrie ist oft an unfreiwillige Bedingungen geknüpft. Ein besonders Gewicht liegt deshalb bei der Herstellung der Anfangsmotivation der Klienten, damit sie sich auf den Therapieprozess einlassen. (Dörner et al 2010: 349) Vorrangiges Ziel ist die Reduzierung der Gefährlichkeit der Inhaftierten. Weiters, dass die Sicherheit von Dritten Personen, im Falle einer Entlassung, gewährleistet werden kann sowie die soziale Rehabilitation. (Stompe 2013: 167 f.) „Geistig abnorme“ Rechtsbrecher werden so lange in der Maßnahme angehalten bis davon ausgegangen werden kann, dass ihre Gefährlichkeit nicht mehr fortbesteht. (Bundesministerium für Justiz 2013b: 33)

Die „psychiatrische, psychotherapeutische und sozialrehabilitative“ Forensik sowie auch deren Klientel sind grundsätzlich, vor allem aufgrund der einseitigen Medienberichtserstattungen, von einer Abwehrhaltung in der Gesellschaft und auch in anderen Institutionen geprägt. (Reichel/Cancola 2012: 2)

3.2.1 Zweck der Unterbringung forensisch-psychiatrischer Klienten

§ 164 Abs. 1 des Strafvollzugsgesetzes (StVO) erläutert den Zweck der Unterbringung von psychisch kranken Straftätern folgendermaßen:

„Die Unterbringung in einer Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher soll die Untergebrachten davon abhalten, unter dem Einfluß ihrer geistigen oder seelischen Abartigkeit mit Strafe bedrohte Handlungen zu begehen. Die Unterbringung soll den Zustand der Untergebrachten soweit bessern, daß von ihnen die Begehung mit Strafe bedrohter Handlungen nicht mehr zu erwarten ist, und den Untergebrachten zu einer rechtschaffenen und den Erfordernissen des Gemeinschaftslebens angepaßten Lebenseinstellung verhelfen.“

Zweifelsohne ist der Wortlaut des Gesetzes, vor allem dass psychisch kranke Straftäter von einer geistigen oder seelischen Abartigkeit gekennzeichnet sein, menschenunwürdig und ethisch nicht vertretbar. Auch in Fachdiskursen beteiligter Professionen werden die in den Gesetzestexten verwendeten Begriffe, darunter auch „geistig abnorm“, stark kritisiert. Trotz der öffentlicher Kritik, Menschen als abartig oder auch abnorm zu bezeichnen, steht eine Änderung derzeit nicht in Aussicht.

Grundsätzlich unterscheidet das österreichische Strafrechtssystem zwei Gruppen psychisch kranker Straftäter:

3.2.2 Zurechnungsunfähige „geistig abnorme“ Rechtsbrecher nach § 21 Abs. 1 StGB

In die vorbeugende Maßnahme nach § 21 Abs. 1 StGB wird ein Täter dann eingewiesen, wenn eine Straftat begangen wurde, welche mit mehr als einem Jahr Freiheitsentzug bestraft wird und in einem Zustand verübt wurde, welcher die Schuldfähigkeit nach § 11 StGB ausschließt (Stompe 2013: 26 f.):

„Wer zur Zeit der Tat wegen einer Geisteskrankheit, wegen einer geistigen Behinderung, wegen einer tiefgreifenden Bewußtseinsstörung oder wegen einer anderen schweren, einem dieser Zustände gleichwertigen seelischen Störung unfähig ist, das Unrecht seiner Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln, handelt nicht schuldhaft.“

Geisteskrankheit umfasst extrem ausgeprägte Neurosen, Persönlichkeitsstörungen, hirnorganische Psychosyndrome sowie Psychosen. Unter Schwachsinn fallen ausgeprägte Formen intellektueller Behinderungen. Bei den tiefgreifenden Bewusstseinsstörungen werden Akohol-, Medikamenten- sowie Drogenintoxikation, schwere Affektzustände und Erschöpfung miteinbezogen. Unter „anderen schweren seelischen Störungen“ werden schwere Neurosen und Persönlichkeitsstörungen, Störungen der Impulskontrolle, alkohol- und drogenbedingte Wesenszustände sowie organische und schizophrene Residualzustände mitimpliziert. (Stompe/Schanda 2010: 30)

§21 Abs. 1 des Strafgesetzbuches (StGB) erläutert die Rechtslage folgendermaßen:

„Begeht jemand eine Tat, die mit einer ein Jahr übersteigenden Freiheitsstrafe bedroht ist, und kann er nur deshalb nicht bestraft werden, weil er sie unter dem Einfluß eines die Zurechnungsfähigkeit ausschließenden Zustandes (§ 11) begangen hat, der auf einer geistigen oder seelischen Abartigkeit von höherem Grad beruht, so hat ihn das Gericht in eine Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher einzuweisen, wenn nach seiner Person, nach seinem Zustand und nach der Art der Tat zu befürchten ist, daß er sonst unter dem Einfluß seiner geistigen oder seelischen Abartigkeit eine mit Strafe bedrohte Handlung mit schweren Folgen begehen werde.“

Die Aufrechterhaltung der vorbeugenden Maßnahme nach § 21 Abs. 1 StGB, welche auf unbestimmte Zeit angeordnet wird, muss einmal im Jahr vom regionalen Vollzugsgericht überprüft werden (auf Antrag auch öfter möglich). (Stompe 2013: 28)

3.2.3 Zurechnungsfähige „geistig abnorme“ Rechtsbrecher nach § 21 Abs. 2 StGB

Weiters kann in die vorbeugende Maßnahme nach § 21 Abs. 2 des Strafgesetzbuches (StGB) auch eingewiesen werden, wer „[…] ohne zurechnungsunfähig zu sein, unter dem Einfluß seiner geistigen oder seelischen Abartigkeit von höherem Grad eine Tat begeht, die mit einer ein Jahr übersteigenden Freiheitsstrafe bedroht ist. In einem solchen Fall ist die Unterbringung zugleich mit dem Ausspruch über die Strafe anzuordnen.“

„Schwere seelische Abartigkeit“ umfasst alle Störungen, welche nicht eindeutig einer psychiatrischen Erkrankung, wie Psychosen oder Hirnerkrankungen, zugeordnet werden können. Dazu zählen weiters neurotische Entwicklungen, sexuelle Verhaltensabweichungen, chronische Missbrauchsformen (Drogen, Alkohol, Medikamente) oder unter anderem auch Störungen der Impulskontrolle (z.B. pathologisches Spielen). (Frottier 2010: 13 f.)

Auch in diesem Fall wird davon ausgegangen, dass eine neuerliche Straftat mit schweren Folgen getätigt wird. Im Gegensatz zu Abs. 1 ist der Täter zurechnungsfähig (er handelt schuldhaft) und er wird parallel zur Einweisung in die vorbeugende Maßnahme auf unbestimmte Zeit zu einer Haftstrafe verurteilt. (Stompe 2013: 29)

3.3 Einweisungs- und Entlassungspraxis des Maßnahmenvollzugs

3.3.1 Zum Ablauf der Einweisungen in die Maßnahme

Es ist anzumerken, dass nur eine schuldhafte Handlung auch strafbar ist, da das österreichische Strafrecht ein Schuld-Strafrecht ist. Wenn Zweifel an der Zurechnungsfähigkeit des Täters bestehen, wird die Einholung eines psychiatrischen Gutachtens angeordnet. Während der Untersuchungshaft wird der Straftäter in einem psychiatrischen Krankenhaus behandelt. Bis zur Verhandlung muss ein zweites ausführliches Gutachten zur Beurteilung der Schuldfähigkeit erstellt werden und dieses muss vom zuständigen Gutachter während der Hauptverhandlung erläutert werden. Insbesondere muss auf die Diskretionsfähigkeit (Fähigkeit, Recht und Unrecht einer Handlung zu erkennen) sowie auf die Dispositionsfähigkeit (Fähigkeit, das Verhalten zu steuern) des Täters Bezug genommen werden. (Stompe 2013: 26)

Nach Stompe (2013: 27 f.) stellt eine ungünstige Kriminalprognose eine weitere Voraussetzung für die Einweisung in den Maßnahmenvollzug dar. Dies bedeutet, dass ohne Behandlung in der vorbeugenden Maßnahme ein weiteres schweres Delikt zu befürchten wäre. Die Aufgabe des Gutachters liegt darin, beispielhaft Delikte anzuführen, welche zu befürchten sind. Die Beurteilung obliegt jedoch dem Gericht.

Seit 2002 wurde die bedingte Nachsicht der vorbeugenden Maßnahme nach § 45 StGB eingeführt, welche dann zur Anwendung kommt wenn anzunehmen ist, dass eine „[…] Behandlung außerhalb der Anstalt […] ausreichen werde, um die Gefährlichkeit, gegen die sich die vorbeugende Maßnahme richtet, hintanzuhalten“ ist. (Stompe 2013: 28 f.)

Bedingte Nachsicht bedeutet, dass der Täter keine Haftstrafe absitzen muss, sondern bestimmte Weisungen vom Gericht erhält. Die gängigsten richterlichen Weisungen werden im weiteren Verlauf angeführt.

3.3.2 Handlungsschema der Entlassungen aus dem Maßnahmenvollzug

Die Notwendigkeit der Fortsetzung der Maßnahme beziehungsweise die Überprüfung, ob keine Gefährlichkeit mehr vorliegt und der Klient bedingt entlassen werden kann, wird einmal jährlich vom zuständigen Vollzugsgericht überprüft. (Stompe/Schanda 2010: 30) Eine Entlassung (§ 47 Abs. 2 StGB) erfolgt immer bedingt, und die Probezeit beträgt, je nach Schwere des Anlassdelikts, fünf oder zehn Jahre (seit 2002 ist auch eine Verlängerung der Probezeit möglich). Nach der Entlassung können vom Gericht unterschiedliche Weisungen (nach § 54 StGB) angeordnet werden, wie zum Beispiel Fortsetzung einer psychopharmakologischen oder psychotherapeutischen Behandlung, Drogen- oder Alkoholabstinenzkontrollen oder auch Aufenthalt in einem Wohnheim. Falls eine Weisung nicht eingehalten wird, kann es zu einem Widerruf der bedingten Entlassung durch ein Gericht kommen. (Stompe 2013: 28)

Die Unterbrechung der Unterbringung („UdU“)

Die Unterbrechung der Unterbringung wird an einigen Standorten angewendet, wo die bedingte Entlassung eines Untergebrachten durch das Gericht oder einen Gutachter verweigert wird, die behandelnde Anstalt jedoch dafür spricht. Durch diese Maßnahme kann den Betroffenen das Leben erleichtert werden, da sie in Form von Kettenunterbrechungen der Unterbringung einige Monate in diversen Nachbetreuungseinrichtungen und Wohngruppen untergebracht werden. (Bundesministerium für Justiz 2012: 59)

Positive Berichte der betreffenden Einrichtung, in welcher sich die Klienten in der Zeit der Unterbringungsunterbrechung befinden, können dazu führen, dass sich das zuständige Gericht schneller dazu entscheidet, die Klienten bedingt zu entlassen.

Obwohl die Rückfallsquote niedriger ist als im Normalvollzug, liegt der Prozentanteil der Rückfallstäter bei Klienten des § 21 Abs. 1 StGB bei 13 %, und bei den Klienten des § 21 Abs. 2 StGB bei 25 %. In den meisten Fällen werden „nur“ gerichtliche Weisungen nicht eingehalten. Dies kann schon dazu führen, dass die Klienten wieder in die Maßnahme eingewiesen werden. (Engel 2012: 20)

3.4 Beteiligte Institutionen und Professionen

3.4.1 Übersicht primäre und sekundäre Institutionen im Kontext des österreichischen Maßnahmenvollzugs

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 3: Primäre und sekundäre Institutionen im Kontext des österreichischen Maßnahmenvollzugs (eigene Darstellung)

Die oben abgebildete Grafik zeigt auf, dass es sich beim Maßnahmenvollzug um ein großes Feld mit verschiedenen beteiligten Institutionen handelt. Die primären Institutionen sind gekennzeichnet von einer Kombination aus Strafvollzug und Psychiatrie, d.h. dass die Klienten ihre Haftstrafe absitzen müssen, und gleichzeitig wegen ihrer psychischen Erkrankung behandelt werden. Nach der bedingten Entlassung, oder bei der Unterbrechung der Unterbringung werden die psychisch kranken Straftäter großteils in forensischen Nachbetreuungseinrichtungen (sekundäre Institutionen) untergebracht oder nachbetreut. Während des Aufenthalts müssen sie oftmals Bewährungshilfe in Anspruch nehmen oder es wird ihnen ein Sachwalter zur Seite gestellt.

Nachfolgend werden zwei primäre und eine sekundäre Institutionen kurz vorgestellt:

3.4.1.1 Justizanstalt Wien Göllersdorf

Die Justizanstalt Wien Göllersdorf ist die zentrale Institution zur Behandlung zurechnungsunfähiger Straftäter und verfügt über eine Bettenkapazität von 136 in den Wohnstationen sowie 17 Akutbetten. Seit 1990 reichen die Plätze nicht mehr aus, weshalb nur mehr als ein Drittel dort behandelt werden kann. Die restlichen Insassen befinden sich in forensischen Abteilungen der psychiatrischen Krankenhäuser in den einzelnen Bundesländern sowie anderen justizeigenen Einrichtungen. (Stompe 2013: 32)

3.4.1.2 Forensisches Nachbetreuungszentrum Asten

Im forensischen Nachbetreuungszentrum in Asten werden Klienten aufgenommen, bei welchen ein fortgeschrittener Abbau der Gefährlichkeit vorliegt. Die Betreuung durch ein multiprofessionelles Team (Ärzte/innen, Pfleger/innen, Psychologen/innen, Sozialarbeiter/innen, Sonder- und Heilpädagogen/innen, Ergotherapeuten/innen, Physiotherapeuten/inne, Justizwachebeamten/innen) soll den Klienten helfen, ihre Selbstständigkeit in Bezug auf lebenspraktische Kompetenzen wieder zu erlangen, um eine bedingte Entlassung durch das zuständige Gericht zu erreichen. (Bundesministerium für Justiz 2013b: 62)

3.4.1.3 Justizanstalt Wien Mittersteig

Die Sonderanstalt Wien Mittersteig fungiert seit 1975 als primäre Institution für die Unterbringung zurechnungsfähiger psychisch kranker Straftäter und richtet den Fokus der Betreuung und Behandlung nach dem Risikolevel der Klienten. (Bundesministerium für Justiz 2013b: 73)

Die Justizanstalt Wien Floridsdorf ist die Außenstelle von Mittersteig, welche auch Alkohol- und Drogenabhängige entwöhnungsbedürftige Rechtsbrecher behandelt.

3.4.2 Behandlungsschwerpunkte und Professionsübersicht

3.4.2.1 Schwerpunkte in der Behandlung psychisch kranker Straftäter

In der Anfangsphase nach der Aufnahme befinden sich die Klienten 6 Wochen in der Begutachtungsabteilung, wo ein Therapievorschlag entworfen wird. Hier werden alle Unterlagen besprochen, es wird eine Delikt- und Störungshypothese formuliert und im Anschluss daran wird eine Kriminalitätsprognose erstellt. Danach wird ein Behandlungs- und Klassifizierungsvorschlag angefertigt, darunter versteht man ein mehrseitiges internes Gutachten. Die Erklärung dieser Delikt- und Störungshypothese dient als Ausgangspunkt der Behandlung und als Aufklärung, um welche „Störung“ es sich handelt. (Eckhart 2014: Gesprächsnotiz vom 19.02.)

Im Vordergrund der Behandlung psychisch kranker Straftäter stehen spezifische psychotherapeutische Konzepte, wie tiefenpsychologische, gesprächs- und verhaltenstherapeutische Ansätze. Anzumerken ist in diesem Kontext, dass Medikamente in der Behandlung jedoch einen hohen Stellenwert einnehmen. Ergänzend werden ergotherapeutische Angebote mit kunst- und kreativtherapeutischen Ansätzen verknüpft. Die Angebotsvielfalt wird mit sport- und bewegungstherapeutischen Konzepten, wohn- und gruppendynamischen Prozessen sowie sozialtherapeutischen Verfahren vervollständigt. (Dörner et al 2010: 349)

In der Arbeit und im Umgang mit diesem „schwierigen“ Klientel steht die Behandlung der wesentlichsten Risikofaktoren, wie Alkohol- und Drogenproblematik sowie Non-Compliance, im Vordergrund. Klare Strukturen und Zielvereinbarungen sind erforderlich. (Schanda 2005: 16)

3.4.2.2 Zusammensetzung des multiprofessionellen Teams

Die in der forensischen Psychiatrie Tätigen müssen immer wieder neu bestimmen, in welchem Namen sie handeln. Einerseits arbeiten sie für die Gesellschaft, da sie die Arbeits- sowie Sozialfähigkeit der Klienten wiederherstellen sollen, andererseits arbeiten sie für das Individuum. Eigene Erwartungen und Normen sowie die persönliche Auseinandersetzung damit, was er oder sie als normal oder sinnvoll hält, sind essentiell für einen handlungsfähigen Standpunkt seitens der Mitarbeiter/innen.

Das Team muss oft eine Menge übertragene Spannungen, hauptsächlich von den Klienten, aushalten. „Ein Team ist keine Kuschelgruppe“ und kann nicht immer nur nett sein. Oft müssen sie in diesem Zwangskontext auch Macht ausüben. Sie sind der Wirkfakor im psychiatrischen Alltag, ein „Teil des Sozialen“. (Dörner et al 2010: 40)

Zum Personal zählen unter anderem: Sicherheitspersonal (Wachbeamte), Ärzte (Allgemeinmediziner, Psychiater), Pfleger/innen, Ergotherapeuten/innen, Psychologen/innen sowie Sozialarbeiter/innen.

Die Aufgaben Sozialer Arbeit werden in Kapitel 5 dargestellt.

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Details

Seiten
Erscheinungsform
Erstausgabe
Jahr
2014
ISBN (PDF)
9783958206403
ISBN (Paperback)
9783958201408
Dateigröße
914 KB
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2015 (Februar)
Note
2
Schlagworte
Psychisch kranker Straftäter abweichendes Verhalten Forensische Psychiatrie Lebensbewältigung Maßnahmenvollzug

Autor

Carina Bittner, B.A., wurde 1990 in Lilienfeld in Niederösterreich geboren. Ihr Studium der Sozialen Arbeit an der Fachhochschule Kärnten schloss sie im Juli 2014 mit dem akademischen Grad Bachelor of Arts in Social Sciences erfolgreich ab. Bereits während des Studiums sammelte die Autorin praktische Erfahrungen im Bereich der forensischen Nachsorge. Ihre Tätigkeit motivierte sie, sich der Thematik der vorliegenden Arbeit zu widmen.
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