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Steuermoral: Eine empirische Studie zur Akzeptanz von Steuerhinterziehung

©2012 Bachelorarbeit 45 Seiten

Zusammenfassung

Die Hinterziehung von Steuern ist sowohl ein aktuelles Thema von öffentlichem Interesse als auch Gegenstand zahlreicher theoretischer und empirischer Analysen. In dieser Arbeit wird die Steuermoral untersucht. Sie gilt als wesentliche Einflussgröße bei der Entscheidung einer Person, eine Steuerhinterziehung zu begehen. Das soziale Phänomen der Steuermoral ist dabei allerdings schwierig zu erfassen. Es beschreibt eine intrinsische Motivation einer Person, Steuern zu zahlen. Diese Motivation wird durch eine Vielzahl kultureller und institutioneller Faktoren beeinflusst.
Im Rahmen dieser Arbeit wird der Frage nachgegangen, inwieweit Unterschiede in der Steuermoral der Bevölkerung in Deutschland, Spanien, Schweden und Polen bestehen und welchen Einfluss soziodemographische Determinanten auf die Steuermoral im Ländervergleich ausüben. Es soll aufgezeigt werden, in welchen Ländern eine eher höhere Steuermoral herrscht und ob ein Zusammenhang zwischen der Einstellung zum Steuerdelikt und der Haltung gegenüber anderen Straftaten, aber auch nicht strafbaren Handlungen, besteht. Das zentrale Ziel liegt darin, den Effekt des Alters, des Ehe- und Kinderstatus‘ sowie der Religiosität auf die Steuermoral zu quantifizieren und zu klären, ob dieser Einfluss im Ländervergleich verschieden ist.

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


3 Theoretische Analyse

3.1 Begriffsabgrenzung von Steuermoral und Steuerhinterziehung

Steuern sind entgeltliche Abgaben an das öffentlich-rechtliche Gemeinwesen, welche keinen Ausgleich für eine besondere Leistung des Steuerpflichtigen darstellen.[1] Die Steuern, die der einzelne zu tragen hat, werden zur Bereitstellung staatlicher Leistungen für die Öffentlichkeit verwendet. Der Anreiz des Steuerpflichtigen[2], dieser unfreiwilligen Abgabe eines Teiles seines Einkommens zu entgehen, kann ihn dazu verleiten, Steuern zu hinterziehen. Dies erfolgt in Deutschland meist in Form von Schwarzarbeit oder einer Unterlassung der Deklarierung fremdländischer Kapitalrenditen.[3] Steuerhinterziehung ist in Deutschland strafbar gem. § 370 AO. Entscheidend für die tatsächliche Begehung dieses Deliktes ist die sog. Steuermoral.[4] Diese kann definiert werden als „(…) die Einstellung (Attitüde) einer Gruppe oder der Gesamtheit der Steuerpflichtigen zur Frage der Erfüllung oder Vernachlässigung ihrer steuerlichen Pflichten (…)“.[5] Die Steuermoral beschreibt somit die Akzeptanz bzw. Haltung der Steuerpflichtigen gegenüber dem Steuerdelikt sowie seine moralische Bewertung. Sie bildet sich aus einer Vielzahl von Faktoren, welche u.a. länder- und kulturspezifisch bedingt sind.[6] Im Gegensatz zur Steuermentalität, welche die generelle Einstellung zu einer Steuer beschreibt, kann von der Steuermoral eines Menschen mit hoher Wahrscheinlichkeit auf die tatsächliche Begehung des Steuerdeliktes geschlossen werden.[7] Allerdings entscheidet nicht nur die Steuermoral darüber, ob Steuern hinterzogen werden: Der Steuerpflichtige wägt unter anderem auch emotionale und rationale Entscheidungsaspekte ab.[8] Steuermoral kann somit nicht mit dem Begriff der Steuerhinterziehung gleichgesetzt werden; beide Aspekte korrelieren allerdings miteinander.[9] Das Ausmaß der Steuerhinterziehung ist in der Forschung schwierig zu erfassen, da es mithilfe von Befragungen oder statistischen Daten lediglich geschätzt werden kann.[10] Gleiches gilt auch für die Steuermoral, welche nicht unmittelbar zu beobachten ist.[11]

3.2 Hypothesenformulierung

Wie bereits dargelegt, ist die Steuermoral ein entscheidender Faktor zur Bestimmung des Ausmaßes der Steuerhinterziehung. Soziodemographische Größen spielen dabei aufgrund ihres Einflusses auf die Höhe der Steuermoral nachgewiesen eine bedeutende Rolle. Im Folgenden wird auf ausgewählte Determinanten eingegangen und ihr möglicher Beitrag zur Erklärung der Höhe der Steuermoral erläutert. Dies erfolgt, um Hypothesen bezüglich der Determinanten abzuleiten zu können, welche im Rahmen der empirischen Analyse getestet werden sollen.

Mit zunehmendem Alter werden Menschen sensibler in Bezug auf die Gefahr, bestraft zu werden. Dies liegt beispielweise daran, dass sie sich sowohl im Berufsleben als auch in der Freizeit ein größeres soziales Umfeld schaffen und eigene Familien gründen. Der Kontakt mit der Gesellschaft nimmt zu und damit steigt auch der soziale Status. Die Reaktion des Umfeldes auf die Begehung eines Deliktes wird durchweg bedeutender. Die Gefahr der sozialen Auffälligkeit wird größer und die potenziellen Kosten einer Strafmaßnahme steigen.[12] Die Steuerzahlung wird in jüngeren Lebensjahren oft noch unter anderen Gesichtspunkten betrachtet: Wenn junge Erwachsene ihr erstes Gehalt verdienen, fällt dieses meist beim Berufseinstieg geringer aus als in späteren Jahren. Die Freude über das „erste“ verdiente Geld weicht möglicherweise dem Unmut darüber, dass ein nicht geringer Teil des Einkommens zur Zahlung von Steuern entzogen wird. Die Steuer wird als „ungerechtfertigter Eingriff“[13] empfunden; diese Empfindung nimmt allerdings mit zunehmenden Alter ab.[14] Die Hinterziehung von Steuern wird somit aufgrund des Anstieges des soziales Status‘ und der zunehmenden Gewöhnung an die Steuerzahllast für den Steuerpflichtigen mit steigendem Alter weniger vertretbar. Die Akzeptanz einer Hinterziehung von Steuern verringert sich. Dies kann gleichgesetzt werden mit einer Erhöhung der Steuermoral, sodass sich eine Hypothese bezüglich steigenden Alters ableiten lässt:

H1: Je älter eine Person ist, desto höher ist ihre Steuermoral.

Mit ähnlichen Darlegungen kann auch ein Einfluss des Familienstandes auf die Akzeptanz von Steuerhinterziehung begründet werden. Zum einen ist anzunehmen, dass Ehepartner gemeinsam z.B. in ihrer Nachbarschaft und bei Freizeitaktivitäten viele Kontakte knüpfen und ihr sozialer Status steigt: Sie fühlen sich eher mit der sozialen und politischen Gemeinschaft verbunden, als wären sie ledig.[15] Hinzu kommt das Gefühl der Verantwortung gegenüber dem Ehepartner bzw. der Ehepartnerin: Werden Steuern hinterzogen und die Begehung dieses Deliktes wird bekannt, gilt die vermutlich negative Reaktion des sozialen Umfeldes wahrscheinlich nicht nur dem Einzelnen, sondern dem Ehepaar. Dies führt dazu, dass verheiratete Personen eine Hinterziehung von Steuern für weniger vertretbar halten, als ledige Personen. Einen weiteren Aspekt könnten steuerliche Privilegien von Ehepaaren darstellen. Steuergesetze, welche ledigen Steuerpflichtigen Abzüge und Befreiungen verweigern,[16] die aber Ehepaaren zustehen,[17] könnten zu einem Empfinden von Ungerechtigkeit führen. Aus diesem Ungerechtigkeitsgefühl entsteht bei unverheirateten Personen möglicherweise ein Anreiz, Steuern zu hinterziehen, sodass die Steuermoral unverheirateter im Vergleich zu verheirateten Personen niedriger ausfällt. Daraus ergibt sich im Umkehrschluss unmittelbar die folgende Hypothese:

H2: Verheiratete Personen weisen eine höhere Steuermoral auf, als unverheiratete.

Bekommen Menschen Kinder, unabhängig davon, ob sie verheiratet, liiert oder ledig sind, entstehen ein Pflichtgefühl und eine Verantwortung gegenüber dem Kind bzw. den Kindern. Diese schließen in der Schule und in der Freizeit Freundschaften und haben in dieser Hinsicht eine Art „Ansehen“, welches sie während ihrer Kindheit und in späteren Jahren ausbauen. Die Reaktion des Umfeldes auf ein Bekanntwerden eines Steuerdeliktes der Eltern oder eines Elternteiles fällt in diesem Fall wahrscheinlich nicht bloß auf den einzelnen Steuersünder bzw. das Paar zurück, sondern auch auf die Kinder. Aufgrund dieser Verantwortung und dem Bedürfnis, eigene Kinder vor schlechter Reputation zu schützen, lässt sich eine weitere Hypothese bezüglich des Familienstandes ableiten:

H3: Personen mit einem oder mehreren Kindern haben eine höhere Steuermoral als jene, die keine Kinder haben.

Moralische Regeln, welchen die Menschen folgen, werden seit jeher von religiösen Ordnungen vorgegeben.[18] Ebenso ist die Pflicht, Steuern zu zahlen, tief im Christentum verankert: In alten Schriften wird bereits dazu aufgefordert, seine Steuerschuld zu begleichen.[19] Religion stellt eine übernatürliche Autorität[20] dar, die dazu verleitet, moralische Grundsätze zu befolgen. Der Glaube an Gott und Hölle bzw. an ihre Äquivalente nicht-christlicher Religionen ist ein bedeutender Faktor moralischen Verhaltens.[21] Menschen, welche sich in erheblichem Maße als religiös identifizieren, schämen sich mit hoher Wahrscheinlichkeit dafür, gegen Gesetze zu verstoßen.[22] Religiosität übt infolgedessen mit ihren impliziten Grundsätzen einen Einfluss auf das Steuerhinterziehungsverhalten aus. Dies kann durch die Zugehörigkeit zu einer Glaubensgemeinschaft intensiviert werden.[23] Ein Steuerpflichtiger, der sich selbst als religiös identifiziert, folgt den moralischen Regeln und fühlt sich somit verpflichtet, einen Teil seines Einkommens an den Staat abzugeben.[24] Im Hinblick auf die Religiosität ergibt sich somit unmittelbar die folgende Hypothese:

H4: Identifizieren sich Personen als religiös, weisen sie eine höhere Steuermoral auf als jene, welche sich nicht als religiös identifizieren.

Im Rahmen der empirischen Analyse werden diese Hypothesen für Deutschland, Spanien, Schweden und Polen getestet. Dies soll Aufschluss darüber geben, inwieweit die soziodemographischen Determinanten einen unterschiedlich starken Einfluss auf die Steuermoral in den verschiedenen Ländern ausüben. Im folgenden Kapitel wird zunächst der verwendetet Datensatz erläutert.

4 Empirische Analyse

4.1 Datensatz

Die Daten, welche der in diesem Kapitel durchgeführten Analyse zugrunde liegen, entstammen der World Values Survey. Diese Organisation untersucht den Wertewandel und seinen Einfluss auf das soziale und politische Leben. Ihre Studien umfassen die Befragungen aus mehr als 80 Ländern, in welchen jeweils mindestens 1000 Einwohner über ihre Werte und ihren Glauben befragt werden. Bislang liegen bereits fünf sog. Wellen von Studien vor. Das Stichproben-Design besteht aus einer mehrstufigen, zufälligen Auswahl von Probenahmestellen.[25] Da die WVS den Befragten in allen Ländern identische Fragen stellt, ist diese optimal geeignet, Ländervergleiche bezüglich der Steuermoral und ihrer Determinanten durchzuführen. Diese Studie erlaubt es, die Steuermoral als abhängige Variable zu untersuchen.[26]

Der vorliegende Datensatz entstammt Welle fünf aus dem Jahr 2005 und enthält 5267 Fälle aus insgesamt vier Ländern: Deutschland, Polen, Schweden und Spanien. Von den 5267 Fällen sind 2064 aus Deutschland, 1000 aus Polen, 1200 aus Spanien und 1003 aus Schweden. Das Mindestalter zur Teilnahme an dieser Befragung liegt bei 18 Jahren, ein Höchstalter ist nicht gegeben. Der älteste Proband weist ein Alter von 98 Jahren auf. Das Durchschnittsalter liegt bei 48.11 Jahren. Von den Teilnehmern sind 52% weiblich. Bezüglich ihres Familienstandes haben 55.4% der Befragten angegeben verheiratet zu sein, 20.9% sind ledig, 8.1% verwitwet. Die übrigen 15.6% sind unverheiratet zusammenlebend, geschieden oder getrennt.

Im nächsten Schritt soll erläutert werden, wie die Steuermoral der verschiedenen Länder für die Datenanalyse operationalisiert werden kann, da diese nicht, wie beispielsweise das Geschlecht, unmittelbar beobachtbar ist.[27] Im ersten Teil der empirischen Analyse wird die Steuermoral im Ländervergleich deskriptiv veranschaulicht. Diese deskriptive Analyse wird durchgeführt, um eine Übersicht über die Höhe der Steuermoral in den verschiedenen Ländern zu erhalten. Im Anschluss folgt zusätzlich ein Signifikanztest, welcher zeigen soll, ob mögliche Unterschiede in der Steuermoral der Probanden aus vier verschiedenen Ländern auch in der Grundgesamtheit bestehen.

4.2 Steuermoral im Ländervergleich

Die Quantifizierung der Steuermoral erfolgt im Rahmen der World Values Survey anhand der allgemeinen Frage, ob die Probanden bestimmte Handlungen für vertretbar halten. Dafür sollen die Befragten auf einer Skala von 1 bis 10 Werte ankreuzen, wobei 1 bedeutet „unter gar keinen Umständen in Ordnung“ und 0 „in jedem Fall in Ordnung“. Mit den Werten dazwischen können sie ihre Antworten abstufen.

Nach dieser allgemeinen Anweisung wird neben anderen Delikten und Wertvorstellungen, mit denen sich Kapitel 4.3 ausführlicher beschäftigt, aufgeführt: Steuern hinterziehen, wenn man die Möglichkeit hat. Bewerten die Probanden eine Steuerhinterziehung sehr negativ, also als „unter gar keinen Umständen in Ordnung“, wird im Folgenden von einer hohen Steuermoral ausgegangen. Beurteilen sie das Steuerdelikt eher als vertretbar, wird eine niedrige Steuermoral angenommen.

Tab. 1: Kennzahlen der Bewertung von Steuerhinterziehung, WVS 2005[28]

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Anmerkung: Die Ergebnisse wurden auf zwei Nachkommastellen gerundet.

Tabelle 1 veranschaulicht, dass von den 5267 Probanden 5161 die Frage zur Akzeptanz einer Steuerhinterziehung beantwortet haben. Die Mittelwerte der Beurteilung einer Steuerhinterziehung liegen in den vier Ländern zwischen 2 und 3. Es zeigt sich dennoch eine höhere Steuermoral bei den spanischen und deutschen Probanden im Vergleich zu den schwedischen und polnischen. Die Standardabweichung zeigt an, wie unterschiedlich die Werte in der Variablen sind. Die Steuermoral scheint bei den Probanden in den jeweiligen Ländern recht unterschiedlich zu sein, denn die Streuung ist beispielweise in Deutschland mit 1.78 beinahe so hoch wie der Durchschnittswert von 2.14. Allerdings lässt sich die Standardabweichung hier nicht sinnvoll interpretieren, da bei der Variablen der Steuermoral keine Normalverteilung vorliegt:[29] Der Wert 1 für „ unter gar keinen Umständen in Ordnung“ wurde in allen vier Ländern am häufigsten, im Länderdurchschnitt mit 58.32%, angekreuzt. Die Werte 2 bis 10 wurden nach oben hin abnehmend weniger häufig gewählt: Eine 2 wählten im Länderdurchschnitt noch 12.52% der Befragten, eine 10 beispielweise nur noch 0.74%.[30]

Der Wert 1 für „unter gar keinen Umständen in Ordnung“ soll nun als Kriterium verwendet werden, um die Steuermoral im Ländervergleich anhand eines Diagramms zu verdeutlichen.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb. 1: Die Steuermoral im Ländervergleich, WVS 2005[31]

Abbildung 1 offenbart, dass knapp 60% der deutschen Probanden der Meinung sind, eine Steuerhinterziehung sei unter gar keinen Umständen in Ordnung. Im Vergleich zu Polen und Schweden weist Deutschland damit eine leicht höhere Steuermoral auf. In Spanien ist die Steuermoral am höchsten: Knapp 65% der spanischen Befragten halten das Steuerdelikt für unvertretbar. Es fällt auf, dass bei dem gewählten Kriterium der Steuermoral Polen und Schweden ihre Plätze getauscht haben: In Abbildung 1 zeigt sich für Polen eine höhere Steuermoral als für Schweden. In Tabelle 1 weißt Schweden allerdings mit 2.29 einen niedrigeren Mittelwert, also eine scheinbar höhere Steuermoral, auf als Polen. Dies erklärt sich dadurch, dass die polnischen Probanden zwar mit einer größeren Häufigkeit den Wert 1 angekreuzt, jene schwedischen Befragten allerdings den Wert 2 bis 4 häufiger gewählt haben (33.5% im Vergleich zu 21.17% bei den polnischen Probanden). Dies hat den Mittelwert der Steuermoral für die schwedischen Probanden im Vergleich zu den polnischen stärker verringert.[32]

Die oben aufgeführten Ergebnisse lassen erkennen, dass es einen Unterschied in der Steuermoral zwischen den Ländern gibt. Um von den berechneten Mittelwerten der vier Länder in der Stichprobe Rückschlüsse darauf ziehen zu können, ob diese zwischen den Ländern auch in der Grundgesamtheit statistisch signifikant voneinander verschieden sind, wird hierzu ein univariates Verfahren für den nichtparametrischen Vergleich, der U-Test nach Mann und Whitney, verwendet.[33] Bei der Durchführung des U-Tests ergibt sich ein Signifikanzwert (p-Wert). Dieser beschreibt die Irrtumswahrscheinlichkeit, welche verbunden ist mit einer Zurückweisung der Nullhypothese.[34] Bei Durchführung des Tests für Deutschland und Polen ergibt sich ein p-Wert von 0.00. Es ist somit anzunehmen, dass die Angaben zur Steuermoral zwischen den beiden Ländern auch in der Grundgesamtheit verschieden voneinander sind. Signifikante Ergebnisse zeigen sich auch für Spanien und Polen, Spanien und Schweden sowie für Spanien und Deutschland. Die Durchführung des U-Tests für Polen und Schweden ergibt einen p-Wert von 0.66, für Deutschland und Schweden 0.13: Es liegt hierbei kein signifikanter Unterschied bei der Steuermoral zwischen den jeweiligen zwei Ländern vor.[35] Die Signifikanzwerte für Polen und Schweden lassen sich möglicherweise dadurch begründen, dass die Angaben der Probanden zur Steuermoral zwischen den Ländern bereits in der Stichprobe des WVS nicht stark voneinander abweichen. Bei einem anderen Kriterium zur Veranschaulichung der Steuermoral als dem des Mittelwerts, einem Ländervergleich der Häufigkeit des Wertes 1 für „unter gar keinen Umständen in Ordnung “ in Abbildung 1, tauschen Polen und Schweden sogar ihre Plätze.

Es lässt sich hier bereits festhalten, dass die Steuermoral der Probanden in den vier Ländern unterschiedlich ausgeprägt ist. Abgesehen von den Ländervergleichen Polen mit Schweden sowie Schweden mit Deutschland sind diese Unterschiede zudem signifikant. Dies gibt einen ersten Hinweis darauf, dass die in Kapitel 3.2 erläuterten Determinanten möglicherweise einen unterschiedlich starken Einfluss auf die Steuermoral der verschiedenen Länder haben und wahrscheinlich soziale und institutionelle Merkmale der Länder die Höhe der Steuermoral bestimmen.[36] Nach der Darstellung der Steuermoral im Ländervergleich findet im nächsten Schritt eine Einordnung der moralischen Einstellung zur Steuerhinterziehung in den Kontext anderer Delikte und Verhaltensnormen statt.

4.3 Steuermoral im Kontext anderer Verhaltensnormen

Die Moral bezeichnet die in einer Gesellschaft und auch bei einzelnen Personen gebräuchlichen Normen und Werte sowie die Einstellung zu einer bestimmten Thematik, wie zu jener der Steuerhinterziehung. Die moralische Haltung gegenüber dem Steuerdelikt ist somit ähnlich zur moralischen Einstellung gegenüber anderen Gesetzwidrigkeiten oder umstrittenen und teilweise tabuisierten Themen in der Gesellschaft verankert. Gleichsam wie die moralische Haltung gegenüber dem Steuerdelikt entsteht auch die Akzeptanz anderer Straftaten, wie der Sozialleistungsbetrug oder die Annahme von Bestechungsgeldern, vorwiegend im Rahmen gesellschaftlicher Faktoren. Die Moral kann ebenso eine Verhaltensnorm einer einzelnen Person darstellen, welche lediglich auf individueller Ebene besteht.[37] Gleiches gilt für umstrittene Themen wie Homosexualität, Abtreibung und Scheidung, wobei diese beispielweise in Deutschland im Vergleich zu den zuvor genannten Delikten bis auf Ausnahmefälle nicht strafrechtlich verfolgt werden.[38] Im Folgenden wird die Frage untersucht, inwieweit moralische Vorstellungen miteinander verknüpft sind.

Die Einstellung zu den oben genannten Thematiken bestimmt sich ebenso wie die Haltung gegenüber dem Steuerdelikt anhand der Frage des WVS, inwieweit die Probanden diese Handlungen für in Ordnung halten. Dabei erhalten die Befragten eine Skala mit Werten von 1 bis 10, wobei 1 bedeutet „unter gar keinen Umständen in Ordnung“ und 10 „in jedem Fall in Ordnung“.[39] Die generierten Variablen erhalten somit Ordinalskalenniveau. Um festzustellen, ob eine hohe Steuermoral gleichzeitig mit hohen Moralvorstellungen über andere Handlungen auftritt, wird der Rangkorrelationskoeffizient nach Spearman herangezogen. Dieser eignet sich besonders dafür, die Stärke des Zusammenhangs zwischen zwei ordinalskalierten Variablen zu bestimmen.[40] Für jedes Variablenpaar, welches sich aus der abhängigen Variablen und den möglichen Determinanten bilden lässt, wird ein Korrelationskoeffizient berechnet. Da die Ergebnisse für Deutschland, Spanien, Schweden und Polen ähnlich ausfallen, werden diese am Beispiel von Deutschland veranschaulicht (vgl. Tabelle 6 des Anhangs).

Es zeigt sich, dass eine hohe moralische Einstellung gegenüber der Steuerhinterziehung gleichzeitig mit hohen Moralvorstellungen über andere Delikte einhergeht: Die Korrelationskoeffizienten der Variablenpaare Steuerhinterziehung und Annahme von Bestechungsgeldern sowie Steuerhinterziehung und Sozialleistungsbetrug nehmen Werte von über 0.5 an. Die Koeffizienten sind zudem mit einem p-Wert von 0.00 höchst signifikant: Je weniger also eine deutsche Person eine Steuerhinterziehung für vertretbar hält, desto weniger akzeptiert sie auch eine Annahme von Bestechungsgeldern sowie einen Sozialleistungsbetrug. Es fällt auf, dass jene umstrittenen, nicht strafbaren Handlungen nur eine geringe Korrelation mit dem Steuerdelikt und den anderen beiden Straftaten aufweisen. Die Koeffizienten der Variablenpaare der Einstellung gegenüber Abtreibung und Steuerhinterziehung sowie Scheidung und Steuerhinterziehung weisen nur geringe Korrelationen auf, welche allerdings signifikant sind. Eine hohe Steuermoral geht somit nicht unmittelbar mit einer hohen Moralvorstellung über häufig tabuisierte, nicht strafbare Themen einher. Allerdings korrelieren letztere relativ stark miteinander. Alle Variablenpaare bzgl. der nicht strafbaren Handlungen zeigen Korrelationskoeffizienten über 0.5, teilweise auch über 0.6, welche ein Signifikanzniveau von 0.00 aufweisen. Wird also in der Grundgesamtheit beispielweise eine Scheidung als nicht vertretbar angesehen, gilt dies gleichzeitig auch für eine Abtreibung und gleichgeschlechtliche Liebe. Gleiche Ergebnisse zeigen sich ebenso für Spanien, Schweden und Polen: Lediglich die Höhe der Korrelationskoeffizienten weicht marginal voneinander ab.

Es lässt sich somit festhalten, dass die Höhe der Steuermoral mit der Moralvorstellung über andere Delikte zusammenhängt. Hält eine Person das Annehmen von Bestechungsgeldern oder Sozialleistungsbetrug für unvertretbar, lehnt sie höchstwahrscheinlich auch eine Hinterziehung von Steuern ab.

Im folgenden Abschnitt werden die Hypothesen aus Kapitel 3.2 getestet und somit geklärt, ob die im Rahmen der Hypothesenformulierung beschriebenen Determinanten statistisch signifikant sind. Damit soll aufgezeigt werden, welche Faktoren einen Einfluss auf die Höhe der Steuermoral ausüben und inwieweit sich dieser Einfluss in ausgewählten Ländern unterscheidet. Dafür werden die erläuterten Determinanten in einem ersten Schritt operationalisiert. Die anschließende Überprüfung der Hypothesen erfolgt zum einen anhand einer bivariaten Analyse, um die theoretische Begründung der Hypothesen zu verdeutlichen. Damit sollen die möglichen Einflussfaktoren anschaulich präsentiert werden. In einem zweiten Schritt wird eine multivariate Analyse durchgeführt. Diese dient dazu, den gleichzeitigen Einfluss mehrerer soziodemographischer Determinanten auf die Steuermoral zu analysieren.

4.4 Determinanten der Steuermoral

4.4.1 Operationalisierung der Variablen

Die Steuermoral lässt sich anhand der Befragung von Probanden im Rahmen der WVS messen. Gleichzeitig können auch die potenziellen Einflussfaktoren für mehrere Länder mithilfe des WVS bestimmt werden.[41] Um Analysen durchführen zu können, werden die Determinanten der Steuermoral im Folgenden operationalisiert. Für die abhängige Variable, die Steuermoral, erfolgte dies bereits in Abschnitt 4.2.

Das Alter wird für die Analyse nicht umkodiert und behält damit Intervallskalenniveau. Da die Hypothese getestet werden soll, welchen Einfluss es auf die Steuermoral hat, mindestens ein Kind zu haben, wird der Kinderstatus dummykodiert mit 1 für mindestens ein Kind und 0 für kein Kind. Hierfür wird der Verlust der Informationen darüber in Kauf genommen, welchen Einfluss eine unterschiedliche Anzahl von Kindern auf die Steuermoral haben kann. Bei der Frage zum Ehestatus stehen mehrere Antwortmöglichkeiten zur Auswahl: Verheiratet (1), wie verheiratet zusammenlebend (2), geschieden (3), getrennt (4), verwitwet (5), ledig/niemals verheiratet gewesen (6). Diese Variable wird für das multiple Regressionsmodell dummykodiert. 1 steht somit für verheiratet, 0 fasst alle anderen Kategorien zusammen (beispielsweise ledig, verwitwet, geschieden). Dabei muss allerdings ein Informationsverlust in Kauf genommen werden, da somit der Effekt der einzelnen Ausprägungen nicht getrennt ausgewiesen wird. Allerdings reicht der Einfluss der Ausprägung verheiratet aus, um Hypothese 2 zu testen. Die Determinante der Religiosität bestimmt sich im Rahmen der WVS anhand folgender Frage: Einmal abgesehen davon, wie oft Sie Gottesdienste besuchen: Würden Sie sagen, Sie sind… Ein religiöser Mensch (1), kein religiöser Mensch (2), ein Atheist (3)? Zur besseren Interpretierbarkeit wird diese Variable in einen Dummy umkodiert mit 1 für religiös und 0 für nicht religiös (Ausprägungen kein religiöser Mensch und ein Atheist).

Die abhängige Variable besitzt somit Ordinalskalenniveau, die unabhängige für das Alter Intervallskalenniveau. Die erklärenden Variablen Familienstand, Anzahl der Kinder und Religiosität besitzen nur noch zwei Ausprägungen und sind somit nominalskaliert.

4.4.2 Bivariate Analyse

Im ersten Schritt wird eine bivariate Analyse anhand der Rangkorrelation nach Spearman durchgeführt.[42] Diese soll aufzeigen, ob ein Zusammenhang zwischen den Determinanten und der Steuermoral besteht und ob die Stärke einer möglichen Korrelation im Ländervergleich verschieden ist. Die Analyse erfolgt für jedes der vier Länder gesondert, um einen unterschiedlich starken Einfluss der Determinanten auf die Steuermoral aufzuzeigen. Tabelle 2 gibt die bivariaten Korrelationen und ihre zugehörigen Signifikanzwerte der Determinanten und der abhängigen Variablen wieder.[43] Signifikanzen auf dem 1%-Niveau sind im Folgenden mit ** hervorgehoben (5%-Niveau: mit *).

Tab. 2: Ergebnisse der bivariaten Analyse, WVS 2005[44]

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Anmerkung: Die Ergebnisse wurden auf zwei Nachkommastellen gerundet.

Die Korrelationskoeffizienten informieren über den Zusammenhang zwischen den jeweiligen Variablen. Ein negatives (positives) Vorzeichen bedeutet, dass sich die Steuermoral mit steigenden Werten der erklärenden Variablen erhöht (verringert). Es zeigt sich, dass die Koeffizienten in allen vier Ländern ein negatives Vorzeichen haben. Dies weist bereits darauf hin, ohne dabei die Signifikanzwerte zu beachten, dass die Determinanten, wie in den Hypothesen erläutert, die Steuermoral tendenziell positiv und nicht negativ beeinflussen.

Tabelle 2 offenbart signifikante negative Korrelationen zwischen der Steuermoral und dem Alter, dem Kinderstatus und der Religiosität. Die Korrelation in Deutschland von ‑0.16 für das Alter übersteigt jene des Kinderstatus und der Religiosität, aber alle drei sind auf dem 1%-Niveau höchst signifikant. Diese Ergebnisse besagen, dass in Deutschland eine höhere Steuermoral eher bei älteren Personen, bei jenen mit Kindern sowie bei jenen, welche sich selbst als religiös einschätzen, auftritt. Diese Ergebnisse sprechen bereits im Rahmen der bivariaten Analyse für die Hypothesen H1, H3 und H4. Der Ehestatus weist für Deutschland keine signifikante Korrelation mit der Steuermoral auf (H2). Ähnliche Ergebnisse zeigen sich für Spanien: Die Korrelationskoeffizienten für Alter, Kinderstatus und Religiosität weisen negative, höchst signifikante Werte aus (H1, H3, H4). Auch hier zeigt sich für den Ehestatus keine signifikante Korrelation (H2). In Schweden weisen lediglich das Alter und die Religiosität auf eine Bestätigung der Hypothesen hin: Das Alter ist auf dem 1%- Niveau signifikant, Religiosität auf dem 5%-Niveau (H1, H4). Eine Korrelation von Kinder- oder Ehestatus mit der Steuermoral bestätigt sich hier nicht (H2, H3). Beachtlich erscheinen die Ergebnisse für Polen: Hier lässt sich neben Korrelationen der Steuermoral mit dem Alter, dem Kinderstatus und der Religiosität ebenso ein Zusammenhang des Ehestatus mit der Steuermoral feststellen: Dies spricht für die Bestätigung aller formulierten Hypothesen (H1, H2, H3, H4). Somit scheint zumindest in Polen eine Beziehung zwischen der Höhe der Steuermoral und der Frage, ob man verheiratet ist oder nicht, zu bestehen. Hinzu kommt, dass die Höhe aller Korrelationskoeffizienten für Polen jene von Deutschland, Spanien und Schweden übertrifft: Beispielsweise weist der Kinderstatus eine teilweise mehr als doppelt so hohe Korrelation mit der Steuermoral aus als in den anderen drei Ländern. Scheinbar besteht in Polen zwischen den erläuterten Determinanten und der Steuermoral im Vergleich ein stärkerer Zusammenhang. Zu erwähnen ist zusätzlich die Tatsache, dass die Determinanten untereinander korreliert sind, wie beispielweise das Alter und der Kinderstatus (vgl. A.4 im Anhang). Dem wird in der Prüfung auf Multikollinearität im Rahmen der multivariaten Analyse Beachtung geschenkt (vgl. A.6 im Anhang). Die Begründung der formulierten Hypothesen H1, H3 und H4 konnte somit für mehrere Länder untermauert werden, Hypothese H2 lediglich für ein Land.

4.4.3 Multiple lineare Regression

Bei der folgenden Analyse soll die Wirkung der Determinanten auf die Steuermoral im multivariaten Fall dargelegt werden. Die Analyse zeigt im Rahmen der Methode der kleinsten Quadrate (OLS)[45] Schätzungen des Effektes der erklärenden Variablen auf die Steuermoral. Es wird hierfür die vereinfachende Annahme getroffen, dass die abhängige Variable metrisch skaliert ist:[46] Die in der Literatur zahlreich beschriebene Methode der multiplen linearen Regression kann Anwendung finden, da die sie als relativ unempfindlich gegenüber Verletzungen der verschiedenen Annahmen beschrieben wird.[47]

Da das Auslassen relevanter erklärender Variablen im Regressionsmodell zu verzerrten und inkonsistenten Schätzergebnissen führt,[48] werden neben den vier erläuterten Determinanten zur Überprüfung der formulierten Hypothesen weitere Kontrollvariablen in die einzelnen Regressionsmodelle der Länder eingefügt: Diese stehen für das Geschlecht, die Bildung, das Einkommen und den Berufsstatus.[49] Zur Vermeidung verzerrter Schätzergebnisse werden zusätzlich die weiteren Annahmen eines multivariaten linearen Regressionsmodells geprüft (vgl. A.6 im Anhang). Das Regressionsmodell erhält somit für jedes der vier Länder die folgende Form:

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Es werden die standardisierten OLS Koeffizientenschätzer β der Variablen und ihre Signifikanzwerte im multiplen linearen Regressionsmodell mit der abhängigen Variablen der Steuermoral berechnet. Die Ergebnisse dieser multivariaten Analyse sind in Tab. 3Tabelle 3 unter Angabe der zugehörigen Hypothesen am Beispiel von Deutschland dargestellt.[50] Da keine vollständigen Angaben der 2064 deutschen Probanden zu jeder Variablen vorliegen, basiert die lineare Regression auf insgesamt 1723 Fällen.

Tab. 3: Ergebnisse der multivariaten Analyse für Deutschland, WVS 2005[51]

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Anmerkung: Die Ergebnisse wurden auf drei Nachkommastellen gerundet.

Der Beta-Koeffizient quantifiziert die Beziehung zwischen der jeweiligen Determinante und der Steuermoral. Er gibt die Stärke einer Änderung der Steuermoral bei Eintritt einer bestimmten Ausprägung an.[52] Ein negatives Vorzeichen bedeutet, dass sich die Steuermoral mit Eintritt der Ausprägung 1 (Ehe-, Kinderstatus und Religiosität) bzw. mit steigendem Wert (Alter) der unabhängigen Variablen erhöht, ein positives Vorzeichen somit den umgekehrten Fall.[53] Die Determinante des Alters weist für Deutschland einen hoch signifikanten Einfluss auf die Steuermoral auf: Mit zunehmenden Alter steigt die Steuermoral deutscher Personen (H1). Der Einfluss des Kinderstatus‘ und der Religiosität ist dabei ebenfalls signifikant: Haben Personen in Deutschland ein Kind oder mehrere Kinder, verfügen sie über eine höhere Steuermoral als jene ohne Kinder (H3). Außerdem gilt, dass Personen, welche sich selbst als religiös bezeichnen, eine Hinterziehung von Steuern für weniger vertretbar halten, als jene, welche sich als nicht religiös identifizieren (H4). Die Determinante des Ehestatus hat in Deutschland keinen signifikanten Einfluss auf die Steuermoral (H2). Für Deutschland können somit bis auf H2 alle Hypothesen bestätigt werden (H1, H3 und H4). Diese Ergebnisse stimmen mit jenen der bivariaten Analyse überein. Die Tabellen 12, 13 und 14 im Anhang präsentieren die Ergebnisse für Spanien, Schweden und Polen. Für Spanien zeigt sich, dass die Steuermoral lediglich für religiöse Personen höher ist, als für nicht religiöse (H4): Im Vergleich zur bivariaten Analyse, in welcher die Ergebnisse noch auf eine Bestätigung von H1 und H2 hinwiesen, können nun bis auf H 4 keine weiteren Hypothesen für Spanien bestätigt werden. In Schweden übt allein das Alter einen Einfluss auf die Steuermoral aus (H1): Eine Signifikanz der Religiosität wie im Rahmen der bivariaten Analyse bestätigt sich hier nicht mehr (H4). Für Polen sind bis auf den Kinderstatus (H3) alle Einflüsse der interessierenden Determinanten signifikant (H1, H2, H4): Diese Ergebnisse für Polen stimmen, davon abgesehen, dass H3 im multivariaten Modell nicht bestätigt werden konnte, mit jenen Ergebnissen, die bereits im Rahmen der bivariaten Analyse erzielt wurden, überein. Polen ist somit das einzige der vier Länder, in denen der Ehestatus die Steuermoral beeinflusst. Auffällig ist hierbei erneut die Höhe der Koeffizienten: Sie besagen, dass steigendes Alter sowie die Religiosität einer Person in Polen einen höheren Einfluss auf die Steuermoral hat als in den drei anderen Ländern.

Zur Beurteilung der Qualität des Modells wird im ersten Schritt das Bestimmtheitsmaß R² herangezogen.[54] Für die Modelle von Deutschland und Spanien ergibt sich jeweils ein R² von 0.205, für Schweden 0.220 und für Polen 0.270. Eine Aussage darüber, ob diese Ergebnisse als gut einzustufen sind, hängt von der jeweiligen Fragestellung des Modells ab.[55] Bei der Steuermoral basieren die Einflussgrößen neben soziodemographischen Aspekten auch auf individuellen Persönlichkeitsmerkmalen und Empfindungen. Daher können Ehe- und Kinderstatus sowie Religiosität die Angaben zur Steuermoral auch im optimalen Fall nur zum Teil erklären.[56] Demzufolge sind diese Ergebnisse vermutlich als Erfolg anzusehen. Im zweiten Schritt wird eine sog. F-Statistik herangezogen. Bauer (2009) empfiehlt für eine Beurteilung des gesamten Modells, neben dem R² und der individuellen Signifikanz der einzelnen Koeffizienten, den F-Test für die gemeinsame statistische Signifikanz dieser Koeffizienten zu betrachten.[57] Der F-Test überprüft die Nullhypothese, dass kein konkreter Zusammenhang zwischen den Determinanten und der Steuermoral besteht.[58] Die Schätzungen aller vier Länder sind hochsignifikant (p<0.01). Die Nullhypothese kann somit abgelehnt werden.[59]

Insgesamt deuten die Maße daher auf eine, dem Forschungsgegenstand angemessene, akzeptable Güte der Regressionsmodelle der vier Länder hin.

[...]


[1] Vgl. § 3 Abs. 1 AO.

[2] § 33 AO definiert den Begriff des Steuerpflichtigen.

[3] Vgl. BMF (2005), S. 55f.

[4] Vgl Torgler/Schaltegger (2005), S. 2.

[5] Schmölders (1970), S. 75.

[6] Vgl. Torgler/Schaltegger (2005), S. 2.

[7] Vgl. Schmölders (1970), S. 78f.

[8] Vgl. Franzen (2008a), S. 76.

[9] Vgl. Kirchgässner (2007), S. 41ff.; Reckers et al. (1994); Torgler/Schaltegger (2005), S. 4.

[10] Vgl. Franzen (2008a), S. 73; Kirchler/Maciejovsky (2002), S. 19.

[11] Vgl . Frey (2004), S. 47.

[12] Vgl. Tittle (1980).

[13] Schmölders (1970), S. 54.

[14] Vgl. ebd. (1970), S. 54.

[15] Vgl. Torgler/Schaltegger (2005), S. 16.

[16] Vgl. Song/Yarbrough (1978), S. 447.

[17] Ein Beispiel für ein Privileg verheirateter Personen in Deutschland ist das Ehegattensplitting nach § 32a Abs. 5 EStG.

[18] Vgl. Anderson/Tollison (1992), S. 376.

[19] Dies geschieht in Paulus Brief an die Römer 13.1-7: Vgl. Grasmick et al. (1991), S. 255.

[20] Anderson, G. M. und Tollison, R. D. bezeichnen Religion als „supernatural police“: Ebd. (1992), S. 376.

[21] Vgl. ebd. (1992), S. 374ff.

[22] Vgl. Grasmick et al. (1991), S. 251.

[23] Vgl. Schmid (2012), S. 120.

[24] Vgl. Torgler/Schaltegger (2005). S. 17.

[25] Vgl. WVS (o.J.).

[26] Vgl. BMF (2005), S. 50f.

[27] Vgl. Frey (2004), S. 47.

[28] Eigene Darstellung.

[29] Dies wurde zusätzlich anhand eines statistischen Verfahrens geprüft. Die Nullhypothese einer Normalverteilung der Variable der Bewertung von Steuerhinterziehung wird anhand eines Kolmogorov-Smirnov-Tests geprüft, welcher sich auch für ordinalskalierte Variablen eignet (vgl. Duller (2008), S. 108.) Die Nullhypothese wird bei einem Signifikanzwert von 0.00 verworfen: Die gegebene Verteilung weicht signifikant von der Normalverteilung ab.

[30] Zur Veranschaulichung der Häufigkeitsverteilung siehe A.1 im Anhang.

[31] Eigene Darstellung in Anlehnung an BMF (2005), S. 50.

[32] Siehe Häufigkeitstabelle in A.1 im Anhang.

[33] Der U-Test stellt eine Alternative zum t-Test dar. Letzterer wird bei intervallskalierten, normalverteilten Variablen angewandt und kann hier somit keine Anwendung finden: Vgl. Bühl (2012), S. 170.

[34] Die Nullhypothese lautet: Die Angaben zur Akzeptanz von Steuerhinterziehung entstammen der gleichen Grundgesamtheit (sie unterscheiden sich nicht zwischen den jeweiligen Ländern).

[35] Weitere Erläuterungen zum U-Test anhand des Beispiels für Deutschland und Polen und auszugsweise Testergebnisse finden sich in A.2 im Anhang.

[36] Vgl. Torgler (2002), S. 678.

[37] Vgl. Gert (2011), Definition der Moral.

[38] Vgl. Koslowski (2006), S. 12.

[39] Siehe hierzu Kapitel 4.2.

[40] Vgl. Bühl (2012), S. 420.

[41] Vgl. BMF (2005). S. 50f.

[42] Im Rahmen der für die Berechnungen verwendeten Statistiksoftware kann dieses Verfahren auch verwendet werden, wenn eine der beiden Variablen nominalskaliert ist, wie es im vorliegenden Beispiel bei Religiosität, Ehe- sowie Kinderstatus der Fall ist: Vgl. Bühl (2012), S. 419f.

[43] Für detaillierte Ergebnisse der bivariaten Korrelationen aller Determinanten und ihrer Signifikanzwerte siehe A.3 im Anhang.

[44] Eigene Darstellung.

[45] Vgl. hierzu beispielsweise Winker (2007), S. 134 ff.

[46] Diese Methode ist bei einer abhängigen ordinalskalierten Variablen möglicherweise nicht für eine bestmögliche Schätzung geeignet (vgl. Bühl (2012), S. 472). Allerdings ergeben sich bei der Berechnung ähnliche Signifikanzwerte für die Koeffizienten wie bei der Durchführung einer ordinalen Regressionsanalyse. Zur Robustheitsprüfung wird zusätzlich am Beispiel von Deutschland eine binär logistische Regression durchgeführt, auf dessen Ergebnisse kurz eingegangen wird (vgl. dazu beispielsweise Backhaus et al. 2008, S. 270ff.): Um die binäre logistische Regression anwenden zu können, wird die Steuermoral dummykodiert mit 1 für Ausprägung 1 und 0 für Ausprägungen 2 bis 10. Diese Kodierung wird gewählt, da, wie bereits beim Ländervergleich in Abschnitt 4.2 erläutert, Kategorie 1 von allen Probanden am häufigsten gewählt wird. Bei den Ergebnissen zeigen sich beinahe die gleichen Signifikanzen wie bei der linearen Regression.

[47] Vgl. Backhaus et al. (2008), S. 91.

[48] Vgl. Winker (2007), S. 163.

[49] Zur Erläuterung der Auswahl und Operationalisierung der Kontrollvariablen siehe A.5 im Anhang.

[50] Zu den Ergebnissen der multiplen linearen Regression für Spanien, Schweden und Polen siehe A.7 im Anhang.

[51] Eigene Darstellung.

[52] Vgl. Backhaus et al. (2008), S. 52.

[53] Zu beachten ist hierbei, dass die Skala der Akzeptanz einer Steuerhinterziehung von 1 bis 10 reicht, wobei 1 eine hohe Steuermoral und 10 eine niedrige darstellt.

[54] R² misst auf einer Skala von 0 bis 1, wie gut sich die Angaben zur Steuermoral tatsächlich anhand der Determinanten herleiten lassen. Es gibt Auskunft über den Anteil der erklärten Varianz: Vgl . Bauer et al. (2009), S. 210ff.

[55] Vgl. Backhaus et al. (2008), S. 93f.

[56] Vgl. Brosius (2008), S. 599.

[57] Vgl. Bauer (2009), S. 215.

[58] Zur Erläuterung des F-Tests vgl. Backhaus et al. (2008), S. 94; Bauer et al. (2009), S. 215ff.

[59] Zusätzlich ist hierbei zu erwähnen, dass das korrigierte R² für alle Länder vor Einfügen der Kontrollvariablen in das Regressionsmodell einen niedrigeren Wert aufweist, als nach der Schätzung des gesamten Modells. Dies deutet darauf hin, dass das Hinzufügen der Kontrollvariablen eine Verbesserung der Schätzung bewirkt hat: Vgl. Brosius (2008), S. 553.

Details

Seiten
Erscheinungsform
Erstausgabe
Jahr
2012
ISBN (PDF)
9783958206274
ISBN (Paperback)
9783958201279
Dateigröße
765 KB
Sprache
Deutsch
Institution / Hochschule
Gottfried Wilhelm Leibniz Universität Hannover
Erscheinungsdatum
2015 (Februar)
Note
1
Schlagworte
Verhaltensnorm Operationalisierung Bivariate Analyse lineare Regression Steuer
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Titel: Steuermoral: Eine empirische Studie zur Akzeptanz von Steuerhinterziehung
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