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Organisierte Kriminalität: Mafia und Triaden im Vergleich

©2007 Bachelorarbeit 46 Seiten

Zusammenfassung

Zweifellos nimmt die Mafia in Hinblick auf die Organisierte Kriminalität eine sehr bedeutende Rolle ein. Dies zeigt sich beispielsweise dadurch, dass der Begriff Mafia gemeinhin als Synonym für Organisierte Kriminalität verwendet wird. Der umgangssprachlich genutzte Begriff Mafia für jegliche Form organisierter Kriminalität ist jedoch sachlich falsch, da hier eine Differenzierung zwischen Mafia und anderen ähnlich angesiedelten kriminellen Organisationen auf der Welt, die lokal und historisch von der Mafia völlig unabhängig entstanden, nicht mehr stattfindet. Das Wirken krimineller Bündnisse beschränkt sich nicht nur auf das Herkunftsgebiet der Mafia, unbestritten ist auch eine zunehmende Ausbreitung der Organisierten Kriminalität über den gesamten Globus. Teil des organisierten Verbrechens sind die Triaden, die für die Gesamtheit der organisierten chinesischen Kriminalität stehen.
Da aufgrund der Literaturlage nur über ein ‚eventuelles’ Machtverhältnis spekuliert werden kann, wird ein Vergleich zwischen Mafia und Triaden angestellt, der Aufschluss über Stärken und Schwächen der Organisationen geben soll. Dabei wird insbesondere auf den Aspekt der mafiosen Strukturen geachtet, aus denen sich die besondere Macht dieser Form von Kriminalität ergibt. Des Weiteren wird analysiert, welche der beiden Gruppierungen in Deutschland präsenter ist und ob sich dies mit dem Bewusstsein in der Gesellschaft deckt.

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


IV. VORBLICK AUF DEN GANG DER UNTERSUCHUNG

Diese Arbeit ist in zwei Abschnitte, einen theoretischen und einen analytischen, gegliedert.

Um eine allgemeine Einführung in das Thema zu geben, wird im ersten Abschnitt (IV), mittels intensiver Literaturstudie definiert, was genau die Organisierte Kriminalität ist. Die Geister scheiden sich bereits an dieser Stelle. Natürlich kann meine Arbeit diese Frage ebenfalls nicht allgemeingültig und abschließend beantworten. Vielmehr soll anhand unterschiedlicher Definitionen die Problematik, die sich hinter diesem Begriff verbirgt, aufgezeigt werden. Des Weiteren soll auf die Bedeutung der Organisierten Kriminalität in der heutigen Zeit eingegangen werden.

Ausgehend von der Erläuterung des Untersuchungsgegenstandes wird, nach einer kurzen Darstellung ihrer Entwicklung, die ‚Organisation Mafia’ in allen ihren regionalen Ausprägungen aufgelistet. Die heutigen Tätigkeitsbereiche der Mafia werden beschrieben und es wird aufgezeigt in welchen Ländern diese aktiv ist.

Anschließend wird analog zum zweiten Teil auf die aus China stammende Gruppierung der Triaden näher eingegangen werden.

Nachdem die Grundsteine für eine vertiefende Analyse gelegt sind, wird, anschließend an die ‚Vorstellung’ von Mafia und Triaden, im zweiten Abschnitt (V), ein Vergleich angestellt, der Unterschiede in Hinblick auf ihre Organisationsstruktur und ihr Wirken in der Gesellschaft aufzeigen soll.

Bevor im letzten Teil die Ergebnisse zusammengefasst werden, soll zuvor die Präsenz der Organisationen in Deutschland zum Thema gemacht werden. Anhand von Daten des Bundeskriminalamtes wird deren Aktivität in Deutschland nachgewiesen, um festzustellen, welche Organisation präsenter ist. Diese Vorüberlegung ermöglicht es, auf die Diskrepanz von ‚Gefährlichkeit’ und Berichterstattung einzugehen. Während die Mafia – aufgrund der großen Medienpräsenz – einen großen Bekanntheitsgrad besitzt und von ‚Allen’ gefürchtet wird, werden andere einflussreiche Vereinigungen, wie die Triaden ‚vernachlässigt’. Es soll festgestellt werden, inwiefern in Deutschland ein mediales Interesse für die beiden kriminellen Organisationen besteht, woraus der Schluss gezogen werden soll, dass das der Grund für das geringe Bewusstsein über die Triaden in der deutschen Gesellschaft ist.

Im Schlussteil wird dann, aufbauend auf die erlangten Erkenntnisse, anhand verschiedener ‚Faktoren’ von Macht ein abschließender Vergleich zwischen Mafia und Triaden gezogen, der die Aussage von Ian Seabourn bestätigen oder widerlegen wird.

V. DIE MACHT DER ORGANISIERTEN KRIMINALITÄT

1. Das Phänomen der Organisierten Kriminalität

1.1 Begriff der Organisierten Kriminalität

In der Öffentlichkeit werden mit dem Begriff des organisierten Verbrechens in der Regel historisch gewachsene kriminelle Männerbünde verstanden, wie sie etwa in der Form der sizilianischen Mafia oder der chinesischen Triaden bekannt sind.[1] Mafiaähnliche Strukturen sind jedoch nicht die einzige Erscheinungsform der Organisierten Kriminalität. In einer weiten Definition kann bereits von Organisierter Kriminalität gesprochen werden, wenn folgende Beschreibung zutrifft: „ Ein arbeits­teiliges, bewusstes und gewolltes, auf Dauer angelegtes Zusammen­wirken mehrerer Personen zur Begehung straf­barer Handlungen – häufig unter Ausnutzung moderner Infrastrukturen – mit dem Ziel, möglichst schnell hohe finanzielle Gewinne zu erreichen."[2] Hier handelt es sich jedoch um eine Definition, die beträchtlich unter den Charakteristika bleibt, die für Mafia und Triaden typisch sind. Sie kann in vielen Fällen auch auf eine Komplizenschaft zur Begehung von zum Beispiel Bankeinbrüchen zutreffen.

Dem jährlichen Lagebild des BKA liegt folgende Definition der OK zugrunde:

Organisierte Kriminalität ist die von Gewinn- oder Machtstreben bestimmte planmäßige Begehung von Straftaten, die einzeln oder in ihrer Gesamtheit von erheblicher Bedeutung sind, wenn mehr als zwei Beteiligte auf längere oder unbestimmte Dauer arbeitsteilig

a) unter Verwendung gewerblicher oder geschäftsähnlicher Strukturen,

b) unter Anwendung von Gewalt oder anderer zur Einschüchterung geeigneter Mittel oder

c) unter Einflussnahme auf Politik, Medien, öffentliche Verwaltung, Justiz oder Wirtschaft zusammenwirken.

Der Begriff umfasst nicht Straftaten des Terrorismus.“[3]

Es sollte berücksichtigt werden, dass bezüglich einer Definition von Organisierter Kriminalität zunächst festgestellt werden kann, dass hier keine präzise Beschreibung möglich ist. Der Begriff „ eignet sich daher nicht für die Umschreibung von prozessualen Eingriffstatbeständen, kann jedoch die Öffentlichkeit für die Gefahren organisierter Straftätergruppen sensibilisieren und die Zuständigkeit spezieller Strafverfolgungsbehörden umschreiben “.[4] Der Versuch, zu einer solchen Definition zu kommen, stößt also auf einige Schwierigkeiten.

1.2 Problematik dieses Begriffs

Zunächst muss eine wichtige Abgrenzung vorgenommen werden, die vielleicht eine Möglichkeit zur Begriffsbestimmung bietet. Unter dem Begriff der Organisierten Kriminalität darf man zunächst keinen bestimmten Straftatbestand auffassen, sondern eine bestimmte Form von Verbrechen, die geprägt ist durch bestimmte Taktiken und Techniken.

Die an der Form der Verbrechensbegehung orientierte Beschreibung von Organisierter Krimi-nalität kann differenziert werden, indem die folgenden Tatbestandsmerkmale herangezogen werden:[5]

1) Vorbereitung und Planung der Tat
2) Ausführung der Tat
3) Finanzgebaren
4) Verwertung der Beute
5) Konspiratives Täterverhalten
6) Täterverbindungen/Tatzusammenhänge
7) Gruppenstruktur
8) Hilfe für Gruppenmitglieder
9) Korrumpierung
10) Monopolisierungsbestrebungen
11) Öffentlichkeitsarbeit

Mit Hilfe eines so umfassenden Begriffes von Organisierter Kriminalität kann es vielleicht gelingen, sich auch solcher Phänomene wie der Mafia, der chinesischen Triaden und ähnlicher krimineller Strukturen bzw. Parallelgesellschaften zu nähern. Dieser umfassende Begriff ist aber sicher nicht auf alle Phänomene anzuwenden, die von manchen Autoren als Ausprägungen der Organisierten Kriminalität aufgefasst werden. Viele der Bestandteile der aufgeführten Tatbestandsmerkmale können auch auf andere Formen der Kriminalität angewandt werden. Es bleibt die Frage, welche Kriterien die Kernkriterien sein sollen, die unverzichtbar sind, um von Organisierter Kriminalität sprechen zu können.

Ein weiteres Problem stellt die Frage nach dem Ausmaß des Vorliegens einzelner Kriterien dar. Bandenmäßige Verabredungen zur Begehung von Straftaten sind keine neue Erscheinung. Viele Delikte erfordern gerade eine gemeinschaftliche Begehung. Es stellt sich jedoch die Frage, was die Planung eines Bankraubs durch mehrere Personen grundsätzlich von Organisierter Kriminalität unterscheidet. Dies gilt auch dann, wenn man berücksichtigt, dass Strukturen gefordert werden, die über längere Zeit bestehen. Auch bei ‚Partnern’ bei Bankräubern und anderen Verbrechen können über längere Zeit immer wieder die gleichen Personen zusammen arbeiten. In der Regel wird hier jedoch nicht von Organisierter Kriminalität gesprochen. Auch unter dieser Perspektive stellt der Begriff der Organisierten Kriminalität kein scharfes Abgrenzungskriterium bereit, um ‚gewöhnliche’ Kriminalität von Organisierter Kriminalität unterscheiden zu können.[6]

Man könnte versuchen, den Begriff der ‚Parallelgesellschaft’ als wichtiges Kriterium für die Abgrenzung von Organisierter Kriminalität zu verwenden. Dann muss man allerdings akzeptieren, dass viele Formen von Kriminalität, die in manchen Zusammenhängen als ‚organisiert’ bezeichnet werden, aus dieser Definition herausfallen. Eine solche Definition kann aber auf die kriminellen Strukturen angewandt werden, die unter den Bezeichnungen Mafia und Triaden bekannt sind. Dann muss man allerdings auch darauf hinweisen, dass nach einer solchen Definition von Organisierter Kriminalität in Deutschland nur sehr eingeschränkt die Rede sein kann.[7]

Die vorangegangenen Ausführungen machen die Problematik in Bezug auf eine allgemein-gültige Definition von Organisierter Kriminalität deutlich. Wie bereits anfangs erwähnt, kann hier die ‚Definitionsfrage’ ebenfalls nicht beantwortet werden. Um Verwirrungen zu vermeiden, erfordert der Abschluss dieses ‚Kapitels’ zumindest die Festlegung einer ‚für diese Arbeit geltenden’ Definition. Es wird festgehalten, dass die Definition über Organisierte Kriminalität des Bundeskriminalamtes dieser Untersuchung zugrunde gelegt wird, da diese in ihren Beschreibungen am geeignetsten erscheint, Organisationen wie die Mafia oder die Triaden, in Hinblick auf ihre Struktur und ihr Handeln in der Gesellschaft, zu charakterisieren. Ferner sei zu beachten, dass diese Aussage auf dem subjektiven Empfinden der Verfasserin beruht.

1.3 Bedeutung der Organisierten Kriminalität

Es gibt weltweit identische Delikte bzw. Deliktbereiche, bei denen die Organisierte Kriminalität eine besonders große Bedeutung besitzt. Dazu werden etwa gezählt: Drogenhandel, Prostitution, Menschenhandel, Glücksspiel, Schutzgelderpressung, Kfz-Diebstahl, Raub und Hehlerei, Vertrieb von Falschgeld und Waffenhandel. Es gibt darüber hinaus in einigen Staaten typische spezielle Deliktsformen, bei denen die Organisierte Kriminalität Bedeutung besitzt. Dies gilt etwa für die USA und für Italien in Bezug auf Be-stechung und Korruption sowie für die Nachfolgestaaten der ehemaligen Sowjetunion in Bezug auf Veruntreuungen von Firmen- und Staatseigentum.[8]

Wichtige Entwicklungstendenzen innerhalb der Organisierten Kriminalität wurden von Sieber folgendermaßen beschrieben:[9]

- es gibt eine zunehmende Brutalisierung und Gewaltbereitschaft,
- die Tatausführung wird zunehmend technisiert und professionalisiert,
- die Korruption nimmt zu, d.h. es gibt mehr Verbindungen zwischen Organisierter Kriminalität, Verwaltung und Politik,
- die Straftätergruppen zeigen eine zunehmende internationale Verflechtung.

„Die OK ist heute zumeist länderübergreifend oder sogar weltweit tätig.“[10]

Europol stellte in seinem Lagebericht für das Jahr 2004 ebenfalls fest, dass die Organisierte Kriminalität immer professioneller wird und sich dabei auf externes Fachwissen stützt, in einem immer größer werdenden internationalen und heterogenen Umfeld.[11]

Bei der Beurteilung der Bedeutung der Organisierten Kriminalität kann nicht nur die Häu-figkeit und die Schwere der für diese Erscheinungsform von Kriminalität charakteristischen Delikte herangezogen werden. Es geht auch nicht nur um die berufsmäßige und mit erheb-lichen Spezialkenntnissen und hohem technischen Aufwand ausgestattete Begehung von Verbrechen. Wichtig ist vor allem, dass es sich hier um kriminelle Organisationen handelt, die über den einzelnen Straftatbestand hinaus bestehen und feste Strukturen ausbilden, die es ihnen erlauben, leichter künftige Straftaten zu begehen. Die Struktur von OK-Gruppierungen zeichnen sich vor allem durch eine Hierarchie, ein internes ‚Sanktionssystem’, gegenseitige Unterstützung und Zusammenarbeit sowie die hohe Gewaltbereitschaft aus. Charakteristisch ist ferner die Durchdringung von Politik und Wirtschaft, sowie die Profitmaximierung durch methodisches Handeln.[12]

Solche Organisationen können schließlich zu einer Art ‚Gegengesellschaft’ führen, in der planvoll und systematisch Verbrechen geplant und ausgeführt werden, und in der die Normen des Staates und der zivilen Gesellschaft keine Anwendung finden.[13]

Daraus kann sich auch eine Bedrohung der staatlichen Autorität und der gesellschaftlichen Normen ergeben, die ihre Bedeutung verlieren können, wenn sie in bestimmten Bereichen grundsätzlich nicht mehr anerkannt werden. Organisierte Kriminalität beschädigt durch die Schaffung eines Milieus, in dem die rechtsstaatliche Ordnung nicht mehr gilt, gezielt das rechtsstaatliche Funktionieren von Staat und Gesellschaft.[14]

Schon Hamacher wies 1986 darauf hin, dass die Organisierte Kriminalität eine neue Qualitätsstufe der Kriminalität darstellt und dass bei kriminellen Organisationen vor allem das vom Straftatenziel unabhängige Bezugssystem wichtig ist, das auf Dauer angelegte Kommandostrukturen und einen kanalisierten Informationsfluss einschließt. Darüber hinaus geschieht die Planung von Verbrechen innerhalb der Organisierten Kriminalität nach einer zweckrationalen und strategischen Planung bis hin zu aus dem modernen Marketing bekannten Methoden wie Bedarfsforschung und Absatzplanung.

Schließlich entstehen auf diese Weise kriminelle ‚Institutionen’ vergleichbar mit großen Unternehmen, nur mit einer autoritären Führung und quasi-staatlicher Machtausübung jenseits moralischer oder demokratischer Kontrolle. Rechtsberatung, Betreuung von Inhaftierten und deren Angehörigen, die soziale Abdeckung durch Scheinberufe bis hin zu planvoller Öffentlichkeitsarbeit zum Aufbau legaler Positionen in der Wirtschaft gehören zu einer solchen Verselbständigung von kriminellen Organisationen.[15] Die Bedeutung der Organisierten Kriminalität hängt ferner mit der Globalisierung, mit der Entwicklung der Telekommunikation und mit der zunehmenden Mobilität von Waren und Geld zusammen.[16]

Die Auswirkungen der Organisierten Kriminalität lassen sich nach Klahr folgendermaßen beschreiben: Sie führt zu Einnahmeverlusten des Staates (Steuern, …), zur Erhöhung der Ausgaben für die Strafverfolgung und zum Aufbau geschlossener Subkultursysteme mit antisozialen Normen. Die entstehende Schattenwirtschaft beeinträchtigt das wirtschaftliche Gefüge und durch ihren Einfluss auf Politik, Medien und Justiz wird das Vertrauen der Bevölkerung beeinträchtigt.[17]

2. Die Macht der Mafia

2.1 Mafia als historisches Phänomen

Der Begriff der Mafia wird heute geradezu inflationär[18] [19] gebraucht und stellt für die breite Öffentlichkeit den Prototyp Organisierter Kriminalität dar.[20] Eine verlässliche Datierung der

Entstehung der Mafia ist heute angesichts der dürftigen Quellenlage nicht mehr möglich. Zudem gehört es zum Wesen der Mafia, möglichst wenig Spuren – und schon gar keine schriftlichen – zu hinterlassen. Für Paoli steht aber fest, dass es bereits seit Mitte des 19. Jahrhunderts zumindest Mafia-Vorläufer gegeben hat.[21] Grundlage war zunächst die historische Entwicklung Siziliens mit raschen Herrschaftswechseln. Sizilien war lange Zeit ein Spielball europäischer und mediterraner Mächte.[22] Auf diese Weise konnte sich in Sizilien keine Identifikation mit der staatlichen Gewalt entwickeln. Die Rechtsprechung blieb in der Willkür örtlicher Machthaber, die das Recht zur Durchsetzung ihrer eigenen Interessen benutzten. Eine der wichtigsten Entstehensbedingungen der sizilianischen Mafia war also die Abwesenheit des Staates als einer Institution, die dem einzelnen Bürger Rechtssicherheit gewähren konnte. Auf Sizilien herrschte bis weit in die Neuzeit eine Art ‚Naturzustand’, in dem nur das Recht des Stärkeren galt.[23]

Die Gesellschaft Siziliens blieb deshalb auf der sozialen Grundlage der Familie aufgebaut, die ein informelles System von Selbsthilfeorganisationen darstellte und auf diese Weise den abwesenden Staat ersetzen konnte. In diesem Rahmen herrschten weiter archaische Ehrbegriffe.[24] Auf dieser Grundlage entstand ein Feudalsystem, das auf einer gestaffelten Ordnung von Verpachtungen von Land beruhte. Der Pächter konnte auf diese Weise selbst Herr werden, indem er andere Pächter zwang, für ihn zu arbeiten, blieb aber selbst weiterhin seinem eigenen Herrn verpflichtet. Man spricht hier von ‚Agrarmafia’.[25]

Der gleiche Ausbeutungsmechanismus dehnte sich dann in die Städte aus. Schließlich wurde dieses feudalistische Prinzip der Mafia zu einem Teil einer Subkultur, die auf Sizilien in weiten Bereichen zu einer Volkskultur wurde. Diese Entwicklung wurde auch durch die getrennte Entwicklung Italiens begünstigt, wo sich der Norden industrialisieren konnte, während die süditalienische Landwirtschaft in schwere Agrarkrisen geriet und nichts zur Entwicklung des Landes beitragen konnte. Dies führte zu starken Emigrationswellen, durch die die Mafia-Subkultur sich auch in den USA ausbreitete.

Unter dem Faschismus gelang es zeitweise, die Macht der Mafia weitgehend zu reduzieren. Dies hing auch damit zusammen, dass der Staat nun das Monopol physischer Gewalt durchzusetzen versuchte.[26] In den darauf folgenden Jahrzehnten zog die Mafia nur wenig Interesse auf sich. Loeser spricht hier von einer städtisch-unternehmerischen Phase in der Entwicklung der Mafia.[27] Dies änderte sich erst wieder, als die Öffentlichkeit durch blutige ‚Kriege’ zwischen verschiedenen ‚Familien’ aufgeschreckt wurde. Dazu kamen Morde gegen hohe Polizeibeamte und vor allem auf die beiden Richter Falcone und Borsellino im Jahr 1992.

Lange Zeit herrschte in Bezug auf die Mafia die Ansicht vor, dass es sich dabei eher um eine Lebenseinstellung als um eine Organisation handle.[28] Erst in den achtziger und neunziger Jahren des 20. Jahrhunderts zeigte sich aufgrund der Aussagen wichtiger Zeugen, dass es sich tatsächliche um eine umfassende und hierarchisch aufgebaute Organisation handelt. Inzwischen hatte sich die städtische Mafia zu einer Finanzmafia entwickelt, die rechtswidrige Geschäfte im internationalen Zusammenhang betrieb. In den neunziger Jahren setzten sich nach blutigen Auseinandersetzungen die so genannten ‚Corleonesi’ durch. Nun gab die Mafia den Anschein von ehrbaren Geschäften weitgehend auf und trat nur noch als organisiertes Verbrechen auf. Dies hing auch damit zusammen, dass der Staat nun verstärkt gegen die Mafia vorzugehen versuchte, die ihre Strukturen durch eine verstärkte Gewalt gegen die eigenen Mitglieder und gegen staatliche Organe zu bewahren suchte.[29]In den letzten 25 Jahren hat sich ein gesamtnormatives System gegen die OK entwickelt […], durch dass u. a. der Tatbestand der kriminellen Vereinigung mafioser Art eingeführt wurde.“[30] Nach Aussage von Paoli haben heute der Wegfall der Staatsgelder, die Marginalisierung im Drogengeschäft und der schleichende Prestige- und damit verbundene Autoritäts- und Machtverlust in der Gesellschaft die Mafia zunehmend geschwächt.[31] Auch andere Autoren sprechen von einer scheinbaren Schwächung ihrer Position, sehen mafiose Gruppierungen aber nach wie vor als die dominierende Kraft im Organisierten Verbrechen.[32] Die genannten Veränderungen scheinen darauf hinzuwirken, dass sich die ‚moderne Mafia’ verändert. So spricht De Gennaro u. a. davon, dass sich ‚die Familien’ besser abschotten und dass der Grad der Diskretion der Mitglieder erhöht wurde[33]

2.2 Mafia und ‚Schwesterorganisationen’

In Italien umfasste die Mafia bzw. mit der Mafia verwandte Organisationen Mitte der 90er Jahre in Süditalien etwa 475 bis 500 Familien, zu denen insgesamt etwa 18.000 bis 20.000 Mitglieder gehörten.[34] Die Struktur der 'Schwesterorgansiationen' der Mafia lässt sich aus dem folgenden Schaubild ersehen.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 1: ‚Schwesterorganisationen’ der Mafia2[35]

Als die eigentliche, klassische Mafia gilt heute die sizilianische Cosa Nostra („Unsere Sache“) mit rund 6.000 Mitgliedern. Werden die weitläufigsten Gefolgsleute hinzugezählt, wächst die Gesamtgröße nach Schätzungen auf rund 70.000 Mitglieder.[36] Die meisten und mächtigsten Clans der Cosa Nostra konzentrieren sich auf West-Sizilien.

Das Festland-Pendant zur Cosa Nostra ist die ca. 5.100 Mitglieder umfassende ´Ndrangheta („Gesellschaft der Ehrenmänner“) aus der südkalabresischen Provinz Reggio Calabria.[37] Sie entwickelte sich im Prinzip aus der gleichen Geschichte wie die Mafia bzw. Cosa Nostra in der Region Sizilien, also vor allem aus Pächterstrukturen und Familien, die in einzelnen Dörfern alle wichtigen Ämter innehatten. Loeser berichtet, dass sich die ´Ndrangheta nahezu ausschließlich über Blutsverwandte rekrutiert und die Entwicklung der mafiosen Familien vor allem über die Heirat geschieht. Hier gibt es eine organisatorisch wenig verfestigte Zusammenarbeit der Clans, also keine hierarchische Ordnung wie bei der Cosa Nostra bzw. Mafia auf Sizilien.[38]Die ´Ndrangheta’ wird heute eindeutig als die ‚am weitesten verbreitete und vielleicht gefährlichste’ Organisation ‚unter den auf nationaler Ebene bekannten Organisationen’ definiert.“[39]

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 2: Die beiden großen Reiche der Mafia in Italien.[40]

Die apulische Mafia (Sacra Corona) mit rund 1.600 Mitgliedern entstand in der Hauptsache erst nach dem 2. Weltkrieg. Apulien wird als die erste italienische Region, in der eine neue Mafia entstand, bezeichnet.[41]

In der Camorra in Kampanien besitzen die einzelnen Clans weitgehende Autonomie, die Camorra orientiert sich jedoch hinsichtlich Struktur und Normen mehr und mehr am sizilianischen Vorbild. Bemerkenswert ist, dass bei der Camorra signifikant häufig Frauen in der Rolle von Bossen zu finden sind.[42] Die Camorra fungiert als eine andere Form von Staat: Statt Steuern wird Schutzgeld eingezogen, verwundete oder inhaftierte Mitglieder erhalten Arbeitsausfall, es gibt Sozialkassen für Witwen und Kranke, […].“[43] Auch Petersen bestätigt, dass kaum irgendwo wie in Kampanien die Kriminalität Ausdruck einer Zersiedelung der Landschaft, der Massenarbeitslosigkeit unter Jugendlichen und des Zerfalls der Gesellschaft zu sein scheint. Hier sind die Kultur der Illegalität und das Gefühl der Gleichgültigkeit vorherrschend.[44]

Auf Sardinien gibt es mafia-ähnliche Organisationen, die vor allem durch Entführungen bekannt wurden. Auf Sizilien selbst soll es eine mafiose Schwesterorganisation geben, die nur bis zu einem gewissen Grade als Organisation bezeichnet werden kann, nämlich die so genannte ‚A Stidda’, es handelt sich dabei um ehemalige Mafia-Mitglieder, die vor allem im Agrigent mächtig sein sollen.[45]

2.3 Globale Präsenz

H. Hess macht darauf aufmerksam, dass die Auffassung der Mafia als Teil des organisierten Verbrechens nur eine mögliche Perspektive ist. In erster Linie geht es bei der Mafia um die Macht auf einem bestimmten Territorium. Gerade deshalb ist sie etwas anderes und mehr als nur organisiertes Verbrechen im gängigen Sinne.[46] Global konnte sich die Mafia überall dort verbreiten, wo durch zu geringe staatliche Autorität wirtschaftliche Betätigung ohne Kontrolle möglich ist: „ Auch in der modernen Industriegesellschaft zahlen sich die alten mafiosen Qualitäten aus: die Freude an riskanten Unternehmungen, die Fähigkeit zur Gewalttätigkeit und die Bereitschaft, persönliche Risiken wie etwa Haftstrafen oder Tod durch Rivalen in Kauf zu nehmen. So haben Mafiosi im wirtschaftlichen Wettbewerb Vorteile gegenüber Unternehmern, die legale und kulturelle Schranken respektieren.[47]

Die Mafia ist heute fast auf allen Kontinenten vertreten.[48] Neben den unter Punkt 3.2 erwähnten Gebieten in Italien konnten sich mafiose Strukturen vor allem in den USA aufgrund des Milieus mit zahlreichen süditalienischen Einwanderern schon Anfang der 20er Jahre des 20. Jahrhunderts ausbreiten.[49] Ursprünglich aus der Mafia entwickelt, verselbständigte sich die ‚Cosa Nostra’ im Laufe der Zeit in den USA. Eine wichtige Rolle spielte dabei die Prohibition 1919. Nach Aufhebung des Alkoholverbotes im Jahre 1934 wurde der Heroinschmuggel zum wichtigsten Tätigkeitsgebiet. 1984 schätzte eine Kommission die Einnahmen der US-Mafia auf jährlich fast 170 Mrd. Dollar, wobei der größte Teil aus Rauschgiftgeschäften stammte. Erst 1987 konnte die Cosa Nostra in den USA erheblich entmachtet werden, als nach einem spektakulären Prozess die meisten Mafia-Bosse zu langjährigen Haftstrafen verurteilt wurden.[50] Jedoch gibt es noch heute in vielen amerikanischen Großstädten (Chicago, …) ein ‚Little Italy’. Die mafiosen Vereinigungen Cosa Nostra und 'Ndrangheta unterhalten über ausgewanderte Mitglieder zudem Verbindungen ins europäische Ausland (u. a. Deutschland, Österreich, Spanien), nach Australien und Kanada.[51]

2.4 Deliktbereiche

Zu den Tätigkeitsbereichen der italienischen Mafia gehören keineswegs, wie dies in den Medien oft nahe gelegt wird, nur Schutzgelderpressungen bzw. Drogenhandel. Klahr stellt fest, dass die Mafia in Zusammenhang mit den Urbanisierungsprozessen auch in Immobilienspekulationen bzw. in Landtransaktionen und am Anfang ihrer Geschichte auch in Geschäfte mit Steuerpacht ein, darüber hinaus wurden staatliche Subventionen abgeschöpft, die für den Süden Italiens bestimmt waren, aufstieg.[52] Zu den Deliktbereichen der italienischen Mafia zählten nun also auch Geschäftsbereiche, die der klassischen Wirtschaft angehören. Die soziale Welt dieser Mafia hat nur noch wenig mit der der alten Agrarmafia zu tun. Nichtsdestoweniger beruht der Zusammenhang bei solchen Delikten auch heute noch auf dem System von Protektion, von Gewalt und Omertà (Schweigegelöbnis).[53]

Loeser zählt die hauptsächlichen Betätigungsfelder der Mafia wie folgt auf:[54]

Illegale Geschäfte:

- Rauschgifthandel und -schmuggel,
- Waffenhandel und -schmuggel sowie Nuklearkriminalität,
- Kfz-Diebstahl sowie Diebstahl von und Handel mit gestohlenen Kunstgegenständen,
- Zuhälterei, Prostitution, Menschenhandel und illegales Glücks- und Falschspiel,
- Schutzgelderpressung,
- unerlaubte Arbeitsvermittlung und Beschäftigung,
- illegale Einschleusung von Ausländern,
- illegale Entsorgung von Sonderabfall und illegaler Technologietransfer,
- Geldwäsche.

Durch ihre Verbindungen zu Politik und Verwaltung nimmt die Mafia auch großen Einfluss auf legale Bereiche.

Legale Geschäfte im Bereich

- Der Bauwirtschaft
- Des Transportwesens
- Der Finanzdienstleistung
- Der Politik

Teilweise konnte es der Mafia gelingen, als gleichrangige Partner Beziehungen zu Politikern und auch Vertretern der örtlichen Finanzwelt und Wirtschaftskreise zu knüpfen, d.h. auch die Mafiosi stehen dann den Politikern als eine Interessengruppe gegenüber, die Einflüsse auf politische Entscheidungen auszuüben versucht.[55] Müller erklärt, dass die politischen Beziehungen der italienischen Mafia vor allem in den achtziger Jahren bekannt wurden, als deutlich wurde, dass eine Freimaurer-Loge, die sich Propaganda Due (P 2) nannte, eine politische ‚Quasi-Organisation’ aufgebaut hatte, wo Staat, Gesellschaft und Entscheidungsspitzen der Mafia zusammenwirkten. Diese Freimaurerloge entwickelte sich „ zu einer Kontaktstelle zwischen legaler und illegaler Sphäre, zwischen organisierter Kriminalität, Mafia, Terrorismus, illegalem Waffenhandel, Geheimdiensten und Teilen der Regierungsmehrheit.“[56]

[...]


[1] Vgl. Freiberg; Thamm (1992, S. 107).

[2] zitiert nach Freiberg; Thamm (1992, S. 109).

[3] Wessel (2001, S. 47); Wittkämper (1996, S. 48).

[4] Sieber (1997a, S. 272).

[5] Die folgende Liste nach Luczak (2004, S, 206ff); siehe vollständig im Anhang S. 33. ähnlich auch die Kriterien in Bossert; Korte (2004, S. 46ff) und Wittkämper (1996, S. 52ff).

[6] Vgl. Klahr (1998, S. 232f).

[7] Vgl. Schaefer (1997, S. 109).

[8] zur Organisierten Kriminalität in Russland siehe ausführlich Chebotarev (1997, S. 131-144).

[9] Sieber (1997a, S. 272f).

[10] Bayerisches Staatsministerium des Innern (2002, S. 2).

[11] Europol (2004, S. 8).

[12] Vgl. Klahr (1998, S. 244).

[13] Vgl. Hofmann (2003, S. 71ff).

[14] Zachert (Frankfurter Allgemeine Zeitung,18.09.1998).

[15] Hamacher (1986, S. 20f).

[16] Vgl. Mörbel (1999, S. 45).

[17] Vgl. Klahr (1998, S. 245f).

[18] Hess weist darauf hin, dass es eigentlich nicht möglich ist, eine Geschichte der Mafia zu schreiben, denn dies müsste auf einem Missverständnis dessen beruhen, was Mafia wirklich ist. Es gibt eigentlich keine geschlossene Organisation und keinen einheitlichen Geheimbund ‚Mafia’. Es kann letztlich deshalb auch nicht die Geschichte einer solchen Institution geschrieben werden. An die Stelle einer solchen Geschichte tritt in der Regel eine Beschreibung des Verhaltens von Mafiosi in verschiedenen historischen Situationen und eine Beschreibung der Rolle, die die Mafia in der Geschichte Siziliens spielte. Es gibt also nicht eine Geschichte der Mafia, sondern es kann nur Geschichten über die Mafia geben. Vgl. Hess (1993, S. 165).

[19]wenn irgendwo auf der Welt straff organisierte Kriminalität beobachtet wird, spricht der Volksmund sofort vergröbernd von MAFIA “. Loeser (2004, S. 90).

[20] Vgl. Paoli (2004a, S. 9).

[21] Vgl. Paoli (2004b, S. 59); Dies wird auch von Petersen bestätigt.

[22] Siehe Klahr (1998, S. 194f).

[23] Hierzu Hess (1993, S. 16ff) ;vausführlich auch bei Loeser (2004, S. 66ff).

[24] Vgl. Klahr (1998, S. 195).

[25] Vgl. ebenda (S. 196ff).

[26] Vgl. Freiberg; Thamm (1992, S. 46).

[27] Loeser (2004, S. 69ff).

[28] Vgl. Hofmann (2003, S. 76).

[29] Siehe hierzu Loeser (2004, S. 70ff).

[30] Militello 2003.

[31] Vgl. Paoli (2004b, S. 63).

[32] Vgl. Neumahr (1999, S. 134).

[33] Genaro (1999, S. 133).

[34] Vgl. Thamm (1998, S. 86); zur Beschreibung der ‚Schwesterorganisationen’ siehe auch De Gennaro (1999, S. 134ff).

[35] Quelle: Thamm (1998, S. 86).

[36] Vgl. ebenda (S. 89).

[37] Vgl. Paoli (2004b, S. 59f).

[38] Loeser (2004, S. 97).

[39] De Gennaro (1999, S. 137).

[40] Die beiden großen Reiche der Cosa Nostra in Sizilien und 'Ndrangheta in der Region des südlichen Kalabriens. Quelle: Paoli (2004b, S. 62).

[41] Vgl. Thamm (1998, S. 95) und De Gennaro (1999, S. 139f).

[42] So Loeser (2004, S. 97f).

[43] Sorrentino (Frankfurter Allgemeine Zeitung, 03.11.2006).

[44] Petersen (1995, S. 99).

[45] Vgl. Loeser (2004, S. 99).

[46] Hess (1993, S. 208).

[47] Müller (1990, S. 71).

[48] Vgl. Thamm (1998, S. 84).

[49] Vgl. Freiberg; Thamm (1992, S. 57ff).

[50] Vgl. ebenda (S. 69ff).

[51] Vgl. Paoli (2004b, S. 60).

[52] Klahr (1998, S. 200).

[53] So Stölting (1983, S. 26f).

[54] Loeser (2004, S. 106f).

[55] Vgl. ebenda (S. 84).

[56] Müller (1990, S. 93).

Details

Seiten
Erscheinungsform
Erstausgabe
Jahr
2007
ISBN (PDF)
9783958205970
ISBN (Paperback)
9783958200975
Dateigröße
5.8 MB
Sprache
Deutsch
Institution / Hochschule
Universität Passau
Erscheinungsdatum
2015 (Februar)
Note
2
Schlagworte
Triade Delikt Bestechung Hongkong Italien
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