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Einsam unter Männern: Frauen in Spitzenpositionen der Wirtschaft - Bourdieus „Habitus“ als Erklärungsansatz

©2012 Bachelorarbeit 53 Seiten

Zusammenfassung

Durch die Bundesfamilienministerin Kristina Schröder wurde 2011 die Diskussion um eine gesetzliche Frauenquote in der Politik angestoßen. Damit sagte sie den Aufsichtsräten und Vorstandsetagen als Antwort auf die nicht erfolgte Einführung einer freiwilligen Quote den Kampf an.
Die vorliegende Studie beschäftigt sich mit der Frage, wie es zur marginalen Vertretung von Frauen in Spitzenpositionen kommt und mit welchen Hindernissen Frauen auf dem Weg dorthin rechnen müssen. Dazu werden zunächst die empirischen Ergebnisse des Soziologen Michael Hartmann dargestellt, welche die angesprochene Problematik der Ungleichheit illustrieren. Im Zentrum der darauffolgenden Analyse steht das Habitus-Konzept Pierre Bourdieus, welches zur Entwicklung eines Erklärungsansatzes für die geringe Frauenquote herangezogen wird. Daneben unternimmt die Arbeit den Versuch, die Entwicklung der Geschlechterverteilung in Führungspositionen – basierend auf dem Vergleich verschiedener Studien sowie einer empirischen Erhebung zur Frauenquote in Spitzenpositionen der DAX 30 – nachzuzeichnen. Abschließend wird aufgezeigt, unter welchen Voraussetzungen der vorgestellte Ansatz für die Rekrutierung von Elite in der Wirtschaft, insbesondere von Frauen, verwendet werden kann.

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


2 Elitesoziologie

In seinem Werk ‚Elitesoziologie‘ führt Michael Hartmann (2008b) in die theoretischen Grundlagen dieser soziologischen Teildisziplin ein. Ausgehend von diesem werden verschiedene Elitetheorien in der Geschichte vorgestellt. Außerdem wird auf die Eliterekrutierung und den Elitebegriff eingegangen. Des Weiteren werden empirische Befunde der Rekrutierung der Wirtschaftselite dargelegt.

2.1 Elitetheorien im Zeitverlauf

Der Begriff ‚Elite‘ geht zurück auf das französische ‚élire‘, welches auf Deutsch ‚auswählen‘ bedeutet (vgl. Hartmann 2008a: 48). Er trat das erste Mal im 17. Jahrhundert in Frankreich auf und etablierte sich im Laufe der französischen Revolution im 18. Jahrhundert. Er wurde dem Bürgertum zum Begriff, mit welchem der Umstand, dass der Adel seine Herrschaftsansprüche mithilfe des Geburtsrechts geltend machte, kritisiert wurde (vgl. Hartmann 2008b: 9). Im Verlauf der Revolution wurden immer mehr auch Personen aus bürgerlichen Kreisen als Elite bezeichnet, wenn sie nicht durch ihre Herkunft, sondern durch ihre individuell erbrachte Leistung in gesellschaftliche Spitzenpositionen aufgestiegen waren (vgl. ebd.).

Durch die industrielle Revolution im 19. Jahrhundert, kam es in den Städten Europas zu einem raschen Bevölkerungsanstieg, der mit dem Entstehen der „industriellen Arbeiterklasse“ einherging (ebd.). In den mit dieser verbundenen „politischen Unruhen und revolutionären Bestrebungen“ (ebd.) sah das akademisch gebildete Bürgertum die bestehende Ordnung durch die Masse gefährdet. Dadurch wandelte sich die Verwendung des Begriffs der Elite- und zwar zum Gegenbegriff als Abgrenzung gegenüber der Masse (vgl. ebd.). Vor diesem Hintergrund entwickelten sich die frühen Theorien der Elitesoziologie, die um die Jahrhundertwende des 20. Jahrhunderts unter anderem von Gaetano Mosca, Vilfredo Pareto und Robert Michels verfasst wurden (vgl. ders.: 13).

2.1.1 Elite und Masse

Für diese klassischen Elitesoziologen stand die Beziehung zwischen Elite und Masse im Mittelpunkt ihrer Arbeit. Sie gingen davon aus, dass sich in der Gesellschaft Elite und Masse gegenüberstehen, wobei eine Minderheit, die Elite, „zu allen Zeiten, das heißt unabhängig von der jeweiligen Entwicklungsepoche und Regierungsform“ (Hartmann 2008b: 37), über die Masse herrscht. Die Elite, so Hartmann (ebd.) weiter, „verfüge dabei über die materiellen, intellektuellen und psychologischen Fähigkeiten, die zur Ausübung von Macht und damit zur Herrschaft erforderlich seien“, die Masse hingegen nicht. „Sie sei nicht nur geistig deutlich unterlegen und vollkommen von ihren Gefühlen beherrscht, sondern auch gleich im doppelten Sinne führungsbedürftig, subjektiv wie objektiv“ (ebd.).

Weiterhin teilen die klassischen Elitesoziologen im Kern die Ansicht, dass Eliten zirkulieren (vgl. ebd.). Das heißt, dass zwischen der Elite und der Masse ein fortwährender Austausch stattfindet, der dazu dient den Herrschaftsanspruch der Elite zu sichern, indem sie „die geeignetsten Elemente“ (ders.: 39) der Masse in sich aufnimmt. „Dieser Prozess wird im Verlauf der Zeit aber in wachsendem Maße durch Bemühungen der herrschenden Klasse, ihre Stellung zu vererben und damit zu monopolisieren, gebremst oder gar gestoppt“ (ebd.).

Es ist festzustellen, dass die Vererbung das entscheidende Prinzip der Eliterekrutierung darstellt, durch welches die Elite auch der sozialen Herkunft nach weitestgehend homogen bleibt. Dadurch wird der Zugang zur Elite immer weiter erschwert, bis zu dem Punkt, an dem der Kreislauf zum Erliegen kommt und „Revolutionen ausbrechen, in deren Verlauf die alte herrschende Klasse durch eine neue abgelöst wird“ (ebd.).

Mosca und Pareto teilen diese Einschätzung gänzlich. Michels hingegen ist der Ansicht, dass die herrschende Klasse nie gänzlich abgelöst wird, sondern diese ihre Stellung mit „neuen aufsteigenden Elementen“ (ebd.) eher noch verfestigt. Im Unterschied zwischen Michels und Paretos/Moscas Zirkulationsmodell offenbart sich, Hartmanns (2008b: 39-40) Ansicht nach, dessen entscheidende Schwäche: Es bleibt im Grunde ein ständiger „Kreislauf, in dem eine herrschende Klasse oder Elite die andere ablöst. Die optimistische Sicht der Aufklärung auf die Menschheit und ihre Entwicklungsmöglichkeiten wird bei allen dreien ersetzt durch eine pessimistische.“

In den Annahmen dieser klassischen Elitesoziologen zeichnet sich folgendes Muster in der Geschichte des Menschen ab: „Kleine Minderheiten kämpfen beständig um die Macht und die große Mehrheit der Bevölkerung schaut mehr oder weniger nur zu“ (Hartmann 2008b: 40). Laut Hartmann zeigt sich dies am deutlichsten an der Formulierung Michels: „Die Massen begnügen sich damit, unter Aufbietung aller Kräfte ihre Herren zu wechseln“ (ebd.).

Mit ihren Werken zur Elite und zur Masse sind Mosca, Pareto und Michels und der von ihnen geprägten Elitebegriff mit dem Aufkommen des Faschismus in Verruf geraten (ders.: 41). Ihre Arbeiten müssen Hartmanns (2008a: 49; 2008b: 41) Ansicht nach, ideologisch zu Wegbereitern des Faschismus und dessen Führerprinzip gezählt werden. Ein Elitebegriff mit einer solch negativen Konnotation war nach dem zweiten Weltkrieg nicht in eine pluralistisch geprägte demokratische Gesellschaft zu integrieren. Als Lösung dieses Problems entstand ein funktionalistisch definierter Elitebegriff- nämlich der der pluralistischen Funktionselite (vgl. ders.: 43-44).

2.1.2 Funktionseliten

Zu den Vertretern des Ansatzes der Funktionseliten sind unter anderem Ralf Dahrendorf, Hans Peter Dreitzel und Suzanne Keller zu zählen (vgl. Hartmann 2008a: 49-50). Sie gingen davon aus, „dass in modernen Gesellschaften keine einheitliche E[lite] oder gar herrschende Klasse mehr existiert, sondern nur noch einzelne, miteinander konkurrierende funktionale Teil[eliten] an der Spitze der wichtigen gesellschaftlichen Bereiche“ (ders.: 50). Zu diesen Bereichen zählen neben der Politik und der Wirtschaft, der Bereich der Wissenschaft und der Kultur (vgl. Hartmann 2008b: 71). Weiterhin, so Hartmann (2008a: 50), dominiert keine der Teilelite die anderen, anstatt dessen entsteht „ein effektives System gegenseitiger Kontrolle.“

In ihren Arbeiten, so Hartmann (2008b: 71) weiter, gelangen die Autoren Dahrendorf, Dreitzel und die Autorin Keller zu dem Schluss, dass der Zugang zu den Funktionseliten „prinzipiell jedermann offen [steht], weil die Besetzung von Elitepositionen im Wesentlichen nach (jeweils sektorspezifischen) Leistungskriterien erfolgt.“ An Stelle des in Abschnitt 2.1.1 dargestellten Prinzips der Eliterekrutierung über Vererbung erfolgt hier die Eliterekrutierung über Leistung. Demzufolge sind die Eliten „sozial auch nicht mehr homogen, sondern heterogen“ (ebd.). Der überdurchschnittlich hohe Anteil von Mitgliedern aus den oberen Sozialschichten – dem gehobenen Bürger- und Großbürgertum[1] - in den Eliten, wird von den Vertretern dieses Ansatzes, vor allem auf deren „besseren Zugang (…) zu den höheren Bildungseinrichtungen“ (ebd.) zurückgeführt.

Unter anderem werden eben die zwei letztgenannten Tatsachen – heterogene Zusammensetzung und Leistung als Rekrutierungsprinzip – von den Vertretern der kritischen Elitesoziologie stark hinterfragt.

2.1.3 Kritische Elitesoziologie

Zu den wichtigsten Vertretern der kritischen Elitesoziologie zählen Charles Wright Mills und Pierre Bourdieu (vgl. Hartmann 2008a: 50). Die Vertreter diese Ansatzes setzen sich kritisch mit dem im vorangegangen Abschnitt (2.1.2) vorgestellten Ansatz der Funktionseliten auseinander. Im Fokus ihrer Erklärungsansätze steht das Verhältnis zwischen der Stellung der Eliten zu „den anderen Klassen und Schichten der Gesellschaft“ (Hartmann 2008b:76).

Mills und Bourdieu stimmen, laut Hartmann (2008a: 50), darin überein, dass sie die Existenz einer „Vielzahl voneinander unabhängiger und prinzipiell gleichrangiger“ Teileliten bestreiten. Ihre Untersuchungen haben vielmehr ergeben, dass es nur „eine einzige Macht-E[lite] b[eziehungsweise] herrschende Klasse gibt, die ungeachtet ihrer internen Differenzierung aufgrund eines gemeinsamen Habitus und gemeinsamer Kerninteressen einen starken inneren Zusammenhalt aufweist“. Weiterhin wird diese Macht-Elite vor allem von der „mit ökonomischem Kapital ausgestatteten Fraktion der herrschenden Klasse dominiert“ (Hartmann 2008b: 98). Diese Annahmen stehen denen der Vertreter der Funktionseliten gegenüber. Zum einen dominiert hier eine Fraktion der herrschenden Klasse die anderen Klassen- nämlich die, die vorwiegend mit ökonomischem Kapital ausgestattet ist- und zum anderen wird die „soziale Offenheit des E[litez]ugangs“ (Hartmann 2008a: 50) nicht durch das Leistungsprinzip hergestellt. Mitglieder der Macht-Elite rekrutieren sich vielmehr aufgrund „einer gleichen oder zumindest ähnlichen familiären und schulischen Sozialisation“ (Hartmann 2008b: 98) und eines dadurch bedingten gemeinsamen Habitus. Leistung und dadurch erworbene Bildungstitel sind demnach zwar Voraussetzungen, jedoch keine hinreichenden. Letztgenanntes ist durch Michael Hartmann (Der Mythos von den Leistungseliten, 2002b) auch empirisch untermauert worden.

2.2. Eliterekrutierung im Bereich der deutschen Wirtschaft

Hartmann (vgl. 2002b: 23, 31-32) untersuchte rund 6.500 Biografien von promovierten Ingenieuren, Juristen und Wirtschaftswissenschaftlern der Promotionsjahrgänge 1955, 1965, 1975 und 1985. Im Zentrum seines Interesses, stand dabei die Frage, ob die soziale Herkunft bei promovierten Akademikern für die Besetzung von Spitzenpositionen, vor allem in der Wirtschaft, relevant sei (vgl. ders.: 22, 27).

Bevor auf einzelne Befunde eingegangen wird, soll an dieser Stelle noch einmal der Begriff der Elite geklärt werden, da er insbesondere für das Kapitel 4 dieser Arbeit von entscheidender Bedeutung ist.

2.2.1 Elitebegriff

Allgemein wird mit dem Begriff der Elite „eine soziale Gruppe bezeichnet, die sich durch besondere Leistungsfähigkeit auszeichnet und aufgrund ihrer Position die gesellschaftliche Entwicklung maßgeblich zu bestimmen in der Lage ist“ (Hartmann 2008a: 48-49). Nach diesem allgemeinen Verständnis handelt es sich laut Hartmann (2008b: 10) „um leistungsabhängige Positions– oder Funktionseliten“, die in den Spitzenpositionen der wichtigsten gesellschaftlichen Bereiche, wie zum Beispiel der Politik und der Wirtschaft, vertreten sind. In einem engen Begriffsverständnis zählen „nur die Eigentümer oder Topmanager der 400 größten deutschen Unternehmen, die Richter an den Bundesgerichten oder Spitzenpolitiker“ (ders. 2002b: 26) zur Elite. Im weiteren Sinne sind auch die „Mitglieder der ersten Führungsebene von Unternehmen ab 150 Beschäftigten“ (Hartmann 2004: 19), sowie „die Juristen vom Vizepräsidenten des Landesgerichtes oder einem Richter am Oberlandesgericht an aufwärts sowie Politiker beginnend mit einfachen Bundestagsabgeordneten und Oberbürgermeistern von wichtigen Großstädten“ (Hartmann 2002b: 26) zur Elite zu zählen.

Den hier beschriebenen Eliten ist neben der Funktion oder Position der „klassenspezifische Habitus“ (ders.: 21) gemeinsam. Für die vorliegende Arbeit findet Hartmanns enger Elitebegriff, insbesondere der der Wirtschaftselite Anwendung.

2.2.2 Empirische Befunde

Nachdem der den Untersuchungen Hartmanns zugrundeliegende Elitebegriff dargelegt wurde, sollen nun die zentralen Befunde dieser skizziert werden: Er konstatiert, dass vor allem in der Wirtschaft eine bürgerliche Herkunft ein entscheidender Vorteil für die Besetzung von Spitzenpositionen ist (vgl. Hartmann 2008b: 138). Demnach habe es etwa jeder fünfte Sohn aus dem Großbürgertum und etwas mehr als jeder achte aus dem gehobenen Bürgertum in die erste Führungsebene eines Unternehmens geschafft. Dem gegenüber schaffte dies nur knapp jeder zehnte aus der Mittel- und Unterschicht (vgl. ebd.).

„Differenziert man weiter (…)“, so Hartmann (2008b: 138-139), „zeigt sich, dass Arbeiterkinder die schlechtesten Chancen besitzen und die Söhne von Unternehmern die besten. Letztere sind dreimal so erfolgreich wie erstere.“ Auch in den anderen Bereichen sind die Kinder aus bürgerlichem Hause deutlich erfolgreicher, mit Ausnahme des Bereiches der Wissenschaft, dort „sind die Promovierten aus der breiten Bevölkerung sogar erfolgreicher als sie“ (ders.: 139).

Betrachtet man die Elite im engeren Sinn, verstärkt sich der zuerst genannte Befund: „In den Chefetagen der 400 größten deutschen Unternehmen, an der Spitze der größten deutschen Wirtschaftsverbände und an den Bundesgerichten dominieren die Söhne des Bürgertums und vor allem des Großbürgertums nämlich ganz deutlich“ (ebd.). So sind die Söhne des Groß- und gehobenen Bürgertums dreimal beziehungsweise doppelt so erfolgreich auf den Weg in die Vorstandsetage eines Großkonzerns, wie die Kinder aus der Mittel- und Unterschicht zusammen. Ähnlich sieht es auch in den anderen beiden Bereichen aus (vgl. ebd.).

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Vertreter der funktionalistischen Elitetheorie würden dieses Phänomen mit dem besseren Zugang der Oberschicht zu höheren Bildungsinstitutionen begründen (vgl. Abschnitt 2.1.2). Jedoch lässt sich damit nicht erklären, warum bei gleichen Bildungstiteln (Promotion) der bürgerliche Nachwuchs deutlich bessere Aufstiegschancen als der Nachwuchs der breiten Bevölkerung aufweist.

Hartmann als Vertreter der kritischen Elitesoziologie argumentiert dahingehend, dass nicht der formale Erwerb eines Bildungstitels entscheidend für den Aufstieg in Spitzenpositionen (vor allem die der Wirtschaft) ist, sondern die soziale Herkunft (vgl. Hartmann 2008b: 140). Seine Untersuchung zeigt unverkennbar, dass „[d]as Elternhaus (…)den Zugang zur deutschen Elite ganz direkt“ (ebd.) beeinflusst. Für den Wirtschaftssektor zeigt sich dies am deutlichsten.

„Der entscheidende Grund für die wesentlich höhere Erfolgsquote der Bürgerkinder [ist] in ihrem klassenspezifischen Habitus zu suchen“ (ebd.; Hervorhebung im Original).

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Denn dadurch, dass nur ein sehr kleiner Personenkreis in großen Unternehmen über die Besetzung der Spitzenpositionen der Geschäftsführung und des Vorstandes entscheidet und „das Verfahren nur wenig formalisiert ist, spielt die Übereinstimmung mit den so genannten ‚Entscheidern‘ (…), die ausschlaggebende Rolle“ (ebd.). Weiterhin leitet Hartmann (2008b: 143) daraus Folgendes ab: Je kleiner der Personenkreis der über die Besetzung von Spitzenpositionen entscheidet, und je weniger formalisiert das Auswahlverfahren ist, umso sozial geschlossener ist der Zugang zu diesen Positionen. Der klassenspezifische Habitus hat in diesen Kreisen öfter einen größeren Einfluss als rationale Kriterien (Hartmann 2008b: 140-141).

Dies wird auch anhand der von Hartmann erzielten Ergebnisse der Interviews mit Topmanagern deutlich. Er stellte fest, dass der „gewünschte Habitus (…) in den Chefetagen der deutschen Großunternehmen an vier zentralen Persönlichkeitsmerkmalen festgemacht [wird]“ (ders.: 141). Diese sind:

- eine intime Kenntnis der Dress- und Benimmcodes,
- eine breite Allgemeinbildung,
- unternehmerisches Denken und
- persönliche Souveränität in Auftreten und Verhalten.

Aus dieser Aufstellung von Merkmalen zieht Hartmann (2008b: 141) den Schluss, dass sie tatsächlich eine Beschreibung des Mannes sind, „den man in sich selber sieht“ (ebd.).

Die Mechanismen der Rekrutierung der deutschen Wirtschaftselite funktionieren Hartmann (2008b: 141-142) zufolge so:

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Kandidaten für Spitzenpositionen, die nicht in diesem Milieu aufgewachsen sind, fallen dadurch auf, dass sie mit diesem Gelände eher nicht vertraut sind. Ausdruck findet dies in Unsicherheiten im Verhalten und im Auftreten und im nicht spielerischen Umgang mit den gültigen Regeln. Kurz gesagt, fehlt es ihnen an der bereits erwähnten persönlichen Souveränität (vgl. ders.: 142).

Abschließend unterstreicht Hartmann die Annahme der kritischen Elitesoziologie, dass durch das Leistungsprinzip keine soziale Offenheit des Elitezuganges gewährleistet wird (vgl. Abschnitt 2.1.3). Vor allem in der Wirtschaft zeigt sich, dass sich der Zugang zu deren Spitzenpositionen „im Zeitverlauf gegenläufig zur Öffnung der Promotion sozial noch weiter geschlossen“ (Hartmann 2008b: 146) hat. Somit hat „[d]ie Bildungsexpansion nur den Zugang zu den Bildungsinstitutionen erleichtert, nicht aber den zu den Elitepositionen“ (ders.: 146-147).

Diese Feststellung deckt sich mit der Tatsache, dass das Bürgertum die Wirtschaftselite mit einem Anteil von über 80 Prozent und in den Spitzen von Verwaltung und Justiz mit über 60 Prozent stellt (vgl. ebd.).

Dass Hartmann vorwiegend maskuline beziehungsweise geschlechtsneutrale Termini verwendet und damit explizit auf feminine Termini verzichtet, indiziert dass die hier angesprochene Wirtschaftselite in überwiegendem Maße aus Männern besteht. Bestätigt wird diese Annahme auch durch einen Aufsatz Hartmanns (2002a: 373) aus dem Jahr 2002. In diesem stellt er fest, dass in Deutschland keines „der 100 größten Unternehmen von einer Frau geleitet wird, keine Frau eine Vorstandsposition in einem Großkonzern bekleidet und es unter 200 untersuchten[2] promovierten Frauen nur drei geschafft haben, eine Führungsposition zu erreichen“.

Wie es derzeit um Frauen in Spitzenpositionen der Wirtschaft steht, soll anhand der Ergebnisse verschiedener Studien, sowie einer eigenen Analyse der 30 größten deutschen Wirtschaftsunternehmen für das Jahr 2011/2012, im vierten Kapitel dieser Arbeit geklärt werden. Im Nachfolgenden wird der hier bereits verwendete und vor allem durch Bourdieu geprägte Begriff des Habitus näher betrachtet.

3 Bourdieus Habitus-Konzept

Im vorangegangen Kapitel ist mehrfach der Begriff des Habitus gefallen. So wurde erwähnt, dass die herrschende Klasse sich unter anderem durch einen klassenspezifischen Habitus auszeichnet (vgl. unter anderem Abschnitt 2.1.3) und dieser eine entscheidende Rolle bei der Besetzung von Spitzenpositionen der deutschen Wirtschaft spielt (vgl. Abschnitt 2.2.2). In diesem Kapitel soll geklärt werden was unter dem Konzept des Habitus zu verstehen ist. Dazu werden im Folgenden die von Bourdieu zu Grunde gelegten Kapitalformen beleuchtet, um daran anschließend die soziale Klasse und das Geschlecht als Wirkungsfelder des Habitus zu betrachtet. Die Strukturkategorie des sozialen Feldes wird in dieser Arbeit nicht näher beleuchtet, da sie nicht relevant für die Thematik der vorliegenden Arbeit ist. Grundlage für die Betrachtung des Habitus-Konzeptes ist dabei das Werk „Habitus“ (2010) von Beate Krais und Gunter Gebauer.

3.1 Habitus

Der lateinische Begriff des Habitus, welcher mit den Worten ‚Haltung‘, ‚Aussehen‘, ‚Einstellung‘, ,Verhalten‘ und ‚Gesinnung‘ (vgl. Krais 2008: 98) übersetzt werden kann, findet sich nicht erst bei Pierre Bourdieu (vgl. Krais /Gebauer 2010: 5). Er fand bereits Verwendung durch Soziologen wie etwa Max Weber, Émile Durkheim und Norbert Elias. „Sie verwandten diesen Begriff, um Mentalitäten, Dispositionen und kulturell-symbolische Praktiken oder auch körperliche Erscheinungen eines Menschen als konstituierende Elemente der sozialen Welt zu konzipieren“ (Krais 2008: 98). Für Bourdieu hat der Habitus eine weit größere Bedeutung, denn in seiner „Soziologie der Praxis“ (ebd.) steht er im Zetrum.

Bourdieu bezeichnet den Habitus als „generierendes Prinzip, das alles Handeln“ eines Menschen, „alle seine expressiven, sprachlichen, praktischen Äußerungen in einer charakteristischen persönlichen Ausprägung hervorbringt“ (ders.: 98-99). Dabei ist der Habitus nicht quar Geburt vorhanden, sondern entsteht in Auseinandersetzung des Individuums mit der ihn umgebenden Praxis. Er ist also ein Produkt, das im Laufe der Sozialisation des Individuums erworben wird (vgl. Krais / Gebauer 2010: 5). Demnach lässt sich der Habitus sowohl als „modus operandi (eine Art des Handelns oder Vorgehens)“(ebd.) als auch als „opus operatum (ein Produkt, ein Werk, etwas Hergestelltes)“ (ders.: 6) begreifen. Der Habitus ist ein System dauerhafter und übertragbarer Dispositionen[3], ein System von Mustern, die das Individuum verinnerlicht hat (vgl. Bourdieu 1987a: 98). Denk- und Handlungsmuster, Vorlieben, Verhaltensweisen und Lebensstile hängen von der Klassenzugehörigkeit ab. Diese steht in einem engen Zusammenhang mit dem sozialen Milieu, in dem ein Individuum aufwächst und von dem es geprägt wird. „Der Begriff des »Habitus« besagt genau das“ (Bourdieu 1992b: 33).

„Da er ein erworbenes System von Erzeugungsschemata ist, können mit dem Habitus alle Gedanken, Wahrnehmungen und Handlungen, und nur diese, frei hervorgebracht werden, die innerhalb der Grenzen der besonderen Bedingungen seiner eigenen Hervorbringung liegen. Über den Habitus regiert die Struktur, die ihn erzeugt hat, die Praxis und zwar nicht in den Gleisen eines mechanischen Determinismus, sondern über die Einschränkungen und Grenzen, die seinen Erfindungen von vornherein gesetzt sind“ (Bourdieu 1987b: 251). Er wird einerseits bestimmt durch die Lebensbedingungen der sozialen Lage, ist dadurch Produkt des Handelns und zugleich erzeugt der Habitus als Handlungsweise, die Art des Handelns in der Praxis. Somit ist er „strukturierte und strukturierende Struktur“ (ders.: 158).

Krais / Gebauer (2010: 5) fassen den Habitus nach Bourdieu (1987a: 98, 105) wie folgt zusammen: „Der Habitus ist zu verstehen als,

- ‚System dauerhafter und übertragbarer Dispositionen‘,
- die als ‚Erzeugungs- und Ordnungsgrundlage für Praktiken und Vorstellungen‘ fungieren,
- und zwar im Sinne einer ‚Spontaneität ohne Wissen und Bewußtsein‘. (…)
- ,Als einverleibte, zur Natur gewordene und damit als solche vergessene Geschichte ist der Habitus wirkende Präsenz der gesamten Vergangenheit, die ihn erzeugt hat.“

Als einer der prominentesteten Vertreter der kritischen Elitesoziologie (vgl. Abschnitt 2.1.3) untersuchte Bourdieu die Mechanismen zur Reproduktion sozialer Ungleichheit in der modernen Gesellschaft. Der Habitus entfaltet dabei seine Wirkung in den drei zentralen soziologischen Strukturkategorien, nämlich der der Klasse, der des Geschlechtes und der des sozialen Feldes (vgl. ders.: 34-35). Dabei bezieht sich die Strukturkategorie der sozialen Klasse auf die „vertikale soziale Ungleichheit“ (ders.: 35), welche die „ungleiche Teilhabe verschiedener Gruppen der Bevölkerung am gesellschaftlichen Reichtum und auf die Ungleichheit in der Beteiligung an gesellschaftlichen Entscheidungs- und Gestaltungsprozessen“ (ebd.) beinhaltet. In der Strukturkategorie des sozialen Feldes, welches hier nicht näher beleuchtet werden soll, spiegelt sich „die funktional differenzierte, arbeitsteilige Gliederung der modernen Gesellschaft“ (ebd.) wider. Die in allen bekannten Gesellschaften vorhandene Arbeitsteilung zwischen Mann und Frau wird letztlich durch die Strukturkategorie des Geschlechtes abgedeckt (vgl. ebd.).

Bevor auf die einzelnen Strukturkategorien, mit Ausnahme der des sozialen Feldes, eingegangen wird, werden im Folgenden die von Bourdieu zu Grunde gelegten Kapitalformen beleuchtet, da in Bezug auf die Strukturkategorie der sozialen Klasse, die Ausprägung des Habitus unter anderem vom Zugang zu diesen abhängt.

3.2 Kapitalformen

Bourdieu betrachtet in seinen Forschungen zur Reproduktion sozialer Ungleichheit in der Gesellschaft deren Klassenstrukturen. Zur Erfassung der sozialen Ungleichheit wurde neben Kapitalvolumen, Kapitalstruktur und sozialer Laufbahn, das Kapital als wichtigstes Kriterium genannt.

Das Kapital gliedert sich nach Bourdieu neben dem bereits durch Marx benannten ökonomischen Kapital, in drei weitere Formen: Das kulturelle, das soziale und das symbolische Kapital (vgl. Bourdieu 1992a: 52; Bourdieu 1985: 22).

Ökonomisches Kapital stellt dabei den materiellen Besitz jeder Art von Ware dar. Nach Bourdieu (1992a: 52) ist dieses „unmittelbar und direkt in Geld konvertierbar“. Als Beispiele für ökonomisches Kapital sind Immobilien, Grundstücke, Aktien oder aber eben auch Geld zu nennen.

Das kulturelle Kapital umfasst die Bildung. Bourdieu unterscheidet dabei in folgende drei Formen des kulturellen Kapitals:

- In „Inkorporiertes Kulturkapital“, welches „[d]ie Akkumulation von Kultur in korporiertem Zustand – also in der Form, die man (…) auf [D]eutsch ‚Bildung‘ (…) nennt“ (ders.: 55)- ist. Dieses ist körpergebunden, vom Individuum verinnerlicht und wird im Laufe der Zeit erworben (vgl. ebd).
- In „Objektiviertes Kulturkapital“ (ders.: 59). Diese Form des kulturellen Kapitals existiert nach Bourdieu (1992a: 53) „in Form von kulturellen Gütern, Bildern, Büchern, Lexika, Instrumenten oder Maschinen, in denen bestimmte Theorien und deren Kritiken, Problematiken usw. Spuren hinterlassen oder sich verwirklicht haben“.
- In „Institutionalisiertes Kulturkapital“, welches in Form von legitimen Titeln, zum Beispiel Schul- und Universitätsabschlüssen, vorliegt (ders.: 61-62).

„Das Sozialkapital ist die Gesamtheit der aktuellen und potenziellen Ressourcen, die mit dem Besitz eines dauerhaften Netzes von (…) Beziehungen gegenseitigen Kennens oder Anerkennens verbunden sind“ (ders.: 63). Solche Ressourcen können zum Beispiel Unterstützung, Hilfeleistung, Anerkennung und Wissen sein.

Nach Bourdieu (1985: 22) ist symbolisches Kapital „nichts anderes als Kapital (gleich welcher Art), wahrgenommen durch einen Akteur, dessen Wahrnehmungskategorien sich herleiten aus der Inkorporierung der verschiedenen Verteilungsstrukturen des Kapitals, mit anderen Worten: ist Kapital, das als selbstverständlich erkannt und anerkannt ist.“ Es ergibt sich aus dem Zusammenwirken der drei zuvor genannten Kapitalformen. Symbolisches Kapital tritt in Form von Körpersprache, Verhalten und Kleidung in Erscheinung und hat Auswirkungen darauf, wie ein Mensch sozial wahrgenommen wird. Das wiederum hat Effekte auf den Rang in der Hierarchie einer Gesellschaft.

Durch die unterschiedliche Verfügbarkeit über diese vier Kapitalformen lassen sich nach Bourdieu soziale Klassen identifizieren, die sich unter anderem in Denk- und Handlungsmustern, Verhaltensweisen und Vorlieben gleichen und die einen ähnlichen klassenspezifischen Habitus aufweisen.

3.3 Habitus und Klasse

Für Bourdieu ist die moderne Gesellschaft eine Klassengesellschaft. Mit diesem Gedanken schließt er sich Marx an (vgl. Krais / Gebauer 2010: 35). Im Gegensatz zu Marx sieht Bourdieu soziale Klassen nur dann in der Wirklichkeit existent, „wenn sie durch die Praxis, durch das Alltagshandeln der Individuen, Leben erhalten und am Leben erhalten werden“ (ders.: 35-36).

Ausgehend vom „sozialen Raum, einem Raum von Unterschieden“ (ders.: 36), differenziert Bourdieu Individuen, anhand deren Verfügbarkeit zu den im vorangestellten Abschnitt erwähnten Kapitalformen und deren Beziehungen zueinander (vgl. ebd.). So lassen sich Individuen, die mit ähnlichen Kapitalformen ausgestattet sind und ähnliche Beziehungen zueinander aufweisen als Gruppen in diesem sozialen Raum verorten. Dabei unterscheiden sie sich von anderen Individuen beziehungsweise Gruppen in ihrer Lebensführung, welche sich unter anderem als Unterschiede des „Geschmacks (…) [und] der Sichtweisen der sozialen Welt“ (ebd.) auffassen lassen. Gruppen von Individuen mit gleicher oder ähnlicher Verortung im sozialen Raum lassen sich wiederum zu sozialen Klassen zusammenfassen, die jedoch nur dann in der Wirklichkeit existieren, wenn sich deren Kapitalausstattung in deren Lebensführung und deren sozialem Handeln äußert (vgl. ders.: 36-37). „Die im Habitus eingelagerten Klassifikationen und Unterscheidungsprinzipien, Bewertungs- und Denkschemata schlagen sich nieder in den Praxen der Lebensführung; vermittelt über den Habitus werden die Dinge (…) und die Aktivitäten (…) umgewandelt in (…) Unterscheidungen“ (ders.: 37). So zeigen unterschiedliche Vorgehensweisen, Meinungsäußerungen oder aber Besitztümer die „sozialen Unterschiede“ (ebd.) und damit „die Zugehörigkeit zu der einen oder zu der anderen sozialen Gruppe oder Klasse“ (ebd.) an.

Weißt eine Gruppe von Individuen Gemeinsamkeiten in ihren Verhaltensweisen, Lebensführungen und ihrer materiellen Ausstattung auf, so kann von einem Klassenhabitus gesprochen werden. Mit anderen Worten: „Das Individuum hat wesentliche Elemente seines Habitus mit dem seiner Klassengenossen gemeinsam“ (ebd.). Im vorangegangen Kapitel wurde dies mit dem Begriff des klassenspezifischen Habitus ausgedrückt (vgl. Abschnitt 2.2). Durch die Beobachtung des Handelns der Individuen, die einer Klasse angehören, kann der klassenspezifische Habitus rekonstruiert werden. Somit ist es auch möglich, dass Mitglieder derselben Gruppe sich gegenseitig, bewusst oder aber eben unbewusst erkennen können, ohne sich vorher jemals begegnet zu sein.

3.4 Habitus und Geschlecht

„Geschlecht bildet eine zentrale soziologische Strukturkategorie, insofern das Geschlecht unabhängig von den Handlungen der Individuen über soziale Positionierungen hinausgehend zugleich subjektive Haltungen, moralische Vorstellungen und soziales Handeln strukturiert. Geschlechtsunterschiede sind in dieser Perspektive soziale Unterschiede, die auf biologischen Merkmalen beruhen“ (Bublitz 2000: 88). Sie tauchen in jeder uns bekannten Gesellschaft auf, auch wenn sie sich jeweilig teilweise stark darin unterscheiden, was unter ‚typisch männlich“ bzw. ‚typisch weiblich‘ verstanden wird (vgl. Krais / Gebauer 2010: 48).

Durch Institutionalisierung und Normen verfestigen sich Geschlechtsverhältnisse in einer bestimmten Kultur zu einer bestimmten Zeit und wirken sich zentral auf die Verteilung von Privilegien und den Zugang zu sozialen Räumen aus (Bublitz 2000: 89). Zudem entsteht ein soziales Konstrukt, in welchem die Differenz zwischen beiden Geschlechtern „als hierarchisches System der Unter- und Überordnung fungiert“ (vgl. Krais / Gebauer 2010: 49).

Das Geschlecht wird somit zum deterministischen Faktor für Lebens- und Berufschancen. Diese Strukturkategorie bietet zudem einen Erklärungsansatz dafür, weshalb Diskriminierung, Ausgrenzung und Benachteiligung gegenüber beiden Geschlechtern stattfinden (Bublitz 2000: 88-89) und impliziert ebenfalls unterschiedliche Machtverhältnisse (vgl. Krais / Gebauer 2010: 48). Bourdieu spricht von der ‚männlichen Herrschaft‘ als ‚alltägliche[r] Struktur‘(Krais / Gebauer 2010: 49).

Das Grundlegende der männlichen Herrschaft ist, laut Bourdieu, die symbolische Gewalt, die er auch als sanfte Gewalt bezeichnet. Sie tritt in der face-to-face-Interaktion auf und reproduziert Herrschaft unmittelbar. Diese Art der Gewalt wirkt sehr subtil, indem das Gegenüber die „verdeckte Form der Gewalt“ nicht als solche wahrnimmt. In ihr realisiert sich die soziale Ordnung, die bereits sowohl durch den Herrschenden als auch den Beherrschten habitualisiert ist. Dies setzt allerdings voraus, dass beide Interaktionspartner die subjektiven (Habitus) und die objektiven Strukturen (soziale Verhältnisse) internalisiert und in Einklang gebracht haben (vgl. Krais / Gebauer 2010: 52).

„Ein wesentliches Element symbolischer Gewalt liegt (…) noch vor der Interaktion, in der sie sich manifestiert, nämlich darin, dass die Unterdrückten (…), nicht anders können als mit der Inkorporation der geltenden Ordnung sich selbst als minderwertige Subjekte zu identifizieren. Herrschaft heißt auch, dass die der Herrschaft unterliegenden Subjekte über weite Strecken die ‚herrschende Meinung‘ (…) übernehmen, die die Herrschenden entwickelt haben, und damit ein von diesen geprägtes Selbstbild“ (ders.: 53). Das von den Männern entwickelte Frauenbild und die damit verbundenen Klassifikationsschemata spiegeln sich auch in der Wahrnehmung und im Denken der Frauen wider (vgl. ebd.).

Schon von Geburt an entsteht ein geschlechtsspezifischer Habitus, indem die bestehende Arbeitsteilung zwischen den Geschlechtern verinnerlicht wird. Das Geschlechtsverhältnis gehört sogar zu den sozialen Differenzierungen, die als erstes ausgebildet werden, weil die soziale Identität unmittelbar vom biologischen Geschlecht vorgegeben ist (vgl. Krais / Gebauer 2010: 49).

Was Männern und Frauen an typischen Eigenschaften und Verhaltensweisen zugeschrieben wird, manifestiert sich in der Gesellschaft als „Unterschied der Geschlechter, der sich scheinbar aus biologischen und psychischen Merkmalen der Geschlechter ergibt“. Die Differenz wird zur Begründung für eine soziale Geschlechterhierarchie, die legitimiert, dass Frauen aus bestimmten sozialen Räumen ausgeschlossen bleiben (ebd.)

Diese differenztheoretischen Ansätze finden sich in der Realität in einem geschlechtertypischen Arbeitsmarkt mit geschlechtsspezifischen Berufen wieder. „Strukturierendes Moment der Definitions- und Zuweisungsmuster von ‚männlicher‘ und ‚weiblicher‘ Arbeit ist hier die Bewertung und Positionierung beruflicher Tätigkeiten in einer sozialen, beruflichen und betrieblichen Hierarchie. Fundament dieser Einordnung bildet auch hier das System einer ‚natürlichen‘ Zweigeschlechtlichkeit, das im Ergebnis den Mythos von der besonderen ‚Eignung‘ von Frauen- und Männern- für bestimmte Bereiche beinhaltet“ (ebd.).

Nach Bourdieu beruht der geschlechtsspezifische Habitus auf körperlichen Grundlagen. Die Arbeitsteilung zwischen Mann und Frau nimmt durch die Subjekte Formen an. Diese Differenzierung bewirkt einen unterschiedlichen Umgang mit dem Körper bei seiner Gestaltung (z. B. Kleidung), sie schlägt sich in der Wahrnehmung des eigenen Körpers nieder und bestimmt die körperlichen Ausdrucksmöglichkeiten (geschlechtsspezifisches Körperverhalten) maßgeblich. Diese Tatsache- die Verbundenheit von Geschlecht und Habitus- bewirkt, dass diese als naturgegeben und nicht gesellschaftlich entstanden wahrgenommen wird. Dadurch produzieren und reproduzieren die Menschen diese Struktur ständig (vgl. Krais / Gebauer 2010: 50-51).

„Geschlecht wird aber (…) [auch] als soziale Gestalt einer biologischen Konstanten, nämlich eines natürlichen Fundaments von Gesellschaft und Geschichte verstanden. Dabei wird aus dem biologischen Geschlecht strikt eine soziale Rolle abgeleitet, die, insofern sie, durch die Zuschreibung von Tätigkeiten, Eigenschaften und Positionen an Männer und Frauen (…) Handlungsspielräume, Machtressourcen und Verhaltensmöglichkeiten je nach Geschlechtszugehörigkeit‘ eröffnet oder verstellt, zu einer (…) folgenreichen sozialen Wirklichkeit wird‘“ (ebd.).

Bourdieu ist einer der wenigen Soziologen, der die Differenz der Geschlechter und das Verhältnis zwischen ihnen in seinen Arbeiten berücksichtigt hat. In seinen Werken „zur Reproduktion der Klassenstruktur geht es ihm auch bei der männlichen Herrschaft darum[,] zu zeigen, wie die sozialen Subjekte- Männer und Frauen- in ihrer sozialen Praxis, in ihrem Denken und Handeln das Geschlechterverhältnis reproduzieren, modifizieren und weiterentwickeln“ (vgl. Krais / Gebauer 2010: 48). Der Habitus ist es, der „zwischen der sozialen Struktur der Zweigeschlechtlichkeit und dem Handeln der Individuen vermittelt“ (ders.: 48-49).

Hierzu ist anzumerken, dass für Bourdieu, die jeweiligen Geschlechter als Antagonisten wirken. Dass bedeutet, dass eine Frau und ein Mann gegensätzliche Identitäten entwickeln. Durch diese werden die Möglichkeiten, als Frau auch ‚männliche‘ Eigenschaften zu besitzen bzw. als Mann auch ab und zu ‚weiblich‘ zu handeln, stark begrenzt. „Der Prozess, in dem ein geschlechterspezifischer Habitus erworben wird, lässt sich beschreiben als die ständige Orientierung von Handlungen, Signalen, Wahrnehmungen und so weiter an einem binären Code, bei der ständig ‚die andere‘ von zwei Möglichkeiten des Seins verworfen und aus dem Bereich der eigenen Möglichkeiten ausgeschlossen werden“ (vgl. Krais / Gebauer 2010: 49-50).

[...]


[1] Der Begriff des Großbürgertums wird in dieser Arbeit synonym Verwendet mit dem der Oberschicht. Er bezeichnet diejenige Bevölkerungsgruppe in der Gesellschaft, die in Bezug auf ihren Besitz und ihr Einkommen als vermögend bezeichnete werden kann.

[2] Hier bezieht sich Hartmann auf Ergebnisse seiner Studie, die er im selben Jahr in „Der Mythos von den Leistungseliten“ (2002b) veröffentlicht hat.

[3] Dispositionen stellen die Tendenz des Verhaltens dar, auf bestimmte Situationen zu reagieren.

Details

Seiten
Erscheinungsform
Erstausgabe
Jahr
2012
ISBN (PDF)
9783958206854
ISBN (Paperback)
9783958201859
Dateigröße
745 KB
Sprache
Deutsch
Institution / Hochschule
Helmut-Schmidt-Universität - Universität der Bundeswehr Hamburg
Erscheinungsdatum
2015 (Februar)
Note
1,7
Schlagworte
kritische Elitesoziologie Elitesoziologie Eliterekrutierung Geschlechterstereotype Eliteforschung Habitus-Konzept

Autor

Sebastian Nothing, M.A., wurde 1985 in Oranienburg geboren. Sein Studium der Erziehungswissenschaften, der Soziologie, Psychologie und des Personalmangements an der Helmut-Schmidt-Universität, Universität der Bundeswehr Hamburg, schloss der Autor im Jahre 2014 mit dem akademischen Grad des Master of Arts erfolgreich ab. Während des Studiums sammelte der Autor praktische Erfahrungen im Projekt- und Personalmanagement. Die im Studium behandelten Themen und die in der praktischen Arbeit gesammelten Erfahrungen motivierten ihn, sich der Thematik des vorliegenden Buches zu widmen.
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Titel: Einsam unter Männern: Frauen in Spitzenpositionen der Wirtschaft - Bourdieus „Habitus“ als Erklärungsansatz
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