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Social Entrepreneurship in Deutschland: Ein Modell für die Zukunft?

©2014 Bachelorarbeit 54 Seiten

Zusammenfassung

Die globalen Entwicklungen in den vergangenen Jahrzehnten führten zu einer permanenten Erhöhung unseres Lebensstandards, jedoch verursachen sie auch radikale Veränderungen in unserer Gesellschaft und scheinen unsere gegenwärtigen Wirtschaftsformen zu überfordern. Wirtschafts- und Finanzkrisen belasten die öffentlichen Kassen, Migration oder Arbeitslosigkeit beschäftigen die Bevölkerungen der westlichen Welt.
Menschen, die sich mit diesen gesellschaftlichen Problemen auseinandersetzen, um sie mit einer unternehmerischen Herangehensweise zu lösen, hat es in der Vergangenheit schon immer gegeben, jedoch fehlte ihnen bisher eine Identität. Der Ashoka-Gründer Bill Draython bezeichnet diese Unternehmen als Social Entrepreneurs. In den vergangenen Jahren hat sich das Phänomen Social Entrepreneurship rapide ausgebreitet. Sozial orientierte Unternehmen, Non-Profit Organizations (NPO) oder Non-Governmental Organizations (NGO) erfüllen sowohl heute, als auch in der Vergangenheit einen wichtigen Beitrag, werden aber zunehmend vor komplexere Herausforderungen gestellt. Diese wissenschaftliche Arbeit analysiert Sozialunternehmen und deren typische Charakteristika in Deutschland.

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


1 Einführung in die Thematik

„Echtes Mitleid bedeutet mehr, als einem Bettler eine Münze hinzuwerfen; es ist das Verständnis dafür, dass ein Haus, das Menschen zu Bettlern macht, umgebaut werden muss“ Martin Luther King, jr.

Die globalen Entwicklungen in den vergangenen Jahrzehnten führten zu einer permanenten Erhöhung unseres Lebensstandards, jedoch verursachen sie auch radikale Veränderungen in unserer Gesellschaft und scheinen unsere gegenwärtigen Wirtschaftsformen zu überfordern.

Soziale Missstände sind in allen Regionen der Welt in unterschiedlicher Ausprägung zu finden. Während sich ein Großteil der Menschheit mit existenziellen Problemen wie Armut, Menschenrechtsverletzungen oder Hungersnot auseinandersetzen muss, sieht sich die Gesellschaft in entwickelten Industrieländern primär mit ökonomischen Problemen konfrontiert. Wirtschafts- und Finanzkrisen belasten die öffentlichen Kassen, der demografische Wandel, Migration oder Arbeitslosigkeit beschäftigen die Bevölkerungen der westlichen Welt. Durch den Einzug neuer Technologien und die immer kürzer werdenden Innovationszyklen, welche immensen Druck auf alle Akteure ausüben, verändern sich die Werte und Normen ganzer Generationen: Ein kontinuierliches Streben nach Wachstum und Konsum um jeden Preis ist die Folge.

Der deutsche Sozialstaat in seiner heutigen Form ist nicht in der Lage innovative Lösungsansätze zu neuen ökologischen, ökonomischen und sozialen Problemen zu entwickeln.[1] Menschen, die sich mit gesellschaftlichen Problemen auseinandersetzen, um diese mit einer unternehmerischen Herangehensweise zu lösen, hat es in der Vergangenheit schon immer gegeben, jedoch fehlte ihnen bisher eine Identität. Der Ashoka Gründer Bill Draython bezeichnet diese besonderen Unternehmen als Social Entrepreneurs.[2]

In den vergangenen Jahren hat sich das Phänomen Social Entrepreneurship rapide ausgebreitet und scheinbar zu einem globalen Phänomen entwickelt. Einzelne Akteure des dritten Sektors, wie sozial orientierte Unternehmen, non-profit organizations (NPO) oder non-governmental organizations (NGO) erfüllen sowohl heute, als auch in der Vergangenheit einen wichtigen Beitrag, werden aber zunehmend vor komplexere Herausforderungen gestellt.[3] In großen Teilen Europas sind die Menschen verstärkt für ökologische und soziale Themen sensibilisiert, sodass auch gewinnorientierte Unternehmen von der Öffentlichkeit angehalten werden, diese Inhalte in ihren Unternehmenszielen zu formulieren.

In der deutschen Gesellschaft herrscht immer noch die Erwartungshaltung, dass soziale Missstände von kirchlichen- oder staatlichen Trägern gelöst werden. Von dieser Mentalität muss sich die Bevölkerung befreien.

1.1 Ziel und Organisation der Arbeit

Der Forschungsfokus und das Ziel dieser Arbeit liegen in der Analyse der charakteristischen Merkmale von Sozialunternehmen, Social Business und Social Enterprise im Sinne von Social Entrepreneurship Organization.[4] Darüber hinaus soll ein Überblick über die zukünftigen Perspektiven und Potenziale von Social Entrepreneurship in Deutschland gegeben werden, um die Frage nach einem Modell für die Zukunft beantworten zu können.

Bevor die bereits dargelegte Aufgabenstellung bearbeitet wird, bedarf es einiger theoretischer Grundlagen zum Verständnis von Social Entrepreneurship. Hierbei wird bereits deutlich, dass der Begriff aufgrund der anfänglichen Entwicklungsphase des Forschungsfelds äußerst schwer zu bestimmen ist. Durch die Verbreitung von Social Entrepreneurship im angelsächsischen Raum ist eine Übersetzung der Fachterminologie aus dem Englischen kritisch zu betrachten. Die Begriffe besitzen oftmals eine falsche Konnotation, sind gar nicht erst zu übersetzen oder stellen Wortneuschöpfungen dar.[5] Einige Grafiken wurden daher bewusst nicht ins Deutsche übersetzt.

Im Hauptteil dieser Arbeit werden die typischen Charakteristika von Social Entrepreneurship Organizations analysiert. Anschließend werden die Zukunftsaussichten von Social Entrepreneurship in Deutschland an drei beeinflussenden Bereichen betrachtet. Die im Hauptteil gewonnenen Erkenntnisse werden daraufhin anhand eines Fallbeispiels einen Praxisbezug erhalten. In der Schlussbetrachtung werden die Ergebnisse zunächst reflektiert, um diese in einen Ausblick zur Entwicklung mit einbeziehen zu können.

Die vorliegende Arbeit erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit, da eine ausführliche Diskussion aller aufgegriffenen Themen der Umfang dieser Arbeit nicht gerecht werden kann und sich die Forschung, wie zuvor erwähnt, in einem sehr frühen Stadium befindet.

1.2 Methodische Vorgehensweise

Die angewandte Methodik dieser Arbeit besteht vornehmlich aus einer Auswertung der einschlägigen Fachliteratur. Die daraus belegten Erkenntnisse wurden im theoretischen Teil kenntlich gemacht. Im praxisorientierten Teil dieser Arbeit, wurden die zuvor gewonnenen Ergebnisse anhand eines empirischen Fallbeispiels erläutert. Dieses entstand aus der Auswertung eines Wirkungsberichts der Muster gUG aus dem Jahre 2012 und einem qualitativen Experteninterview mit Unternehmensgründer Felix Mayer. Der erste Teil des Interviews orientierte sich dabei an einem zuvor eigenständig erarbeiteten Gesprächsleitfadens (s. Anhang A), während der zweite Teil des Interviews explorativ geführt wurde.

Um an dieser Stelle einen ausführlichen Diskurs der Grundlagen der empirischen Sozialforschung zu vermeiden, wird hier auf den Autor Kromrey, H. mit dem Werk „Empirische Sozialforschung – Modelle und Methoden der standardisierten Datenerhebung und Datenausweitung“ verwiesen.

2 Theoretische Grundlagen

2.1 Social Entrepreneurship

Das Forschungsfeld Social Entrepreneurship ist noch relativ neu und befindet sich erst in der Anfangsphase der wissenschaftlichen Auseinandersetzung. Aufgrund des unterschiedlichen disziplinären Zugangs, sowie abweichenden Erkenntnisinteressen und Praxisbezügen der Akteure existiert in der Fachliteratur eine große Definitionsvielfalt, die zunehmend komplexer ausfällt. Diese Heterogenität bei der Absteckung des Forschungsfeldes führt zu einer Verwässerung des Begriffs zu Lasten des wissenschaftlichen Fortschritts. Im deutschsprachigen Raum wird unter Social Entrepreneurship grundsätzlich sozial oder gesellschaftlich motiviertes Unternehmertum verstanden.[6] Unternehmerisches Handeln zum Wohle der Gesellschaft hat zwar eine lange Tradition, jedoch führen neue strategische Orientierungen dazu, dass Social Entrepreneurship Organizations Charakterzüge von new-economy Unternehmen annehmen.[7]

Um den Begriff weitgehend bestimmen zu können, ist es sinnvoll zunächst den Wortbestandteil Entrepreneur zu definieren. Schumpeter gilt in der Social Entrepreneur Literatur als einflussreichster Entrepreneurship-Theoretiker.[8] Der Ökonom sieht in einem Entrepreneur – eine kreative und treibende Kraft, welche durch „ schöpferische Zerstörung[9] den Wirtschaftsprozess voran bringt. Seine Auffassung eines dynamischen und innovativen Entrepreneurs grenzt sich somit von einem Unternehmer im Sinne eines statischen Eigentümers von Betrieben ab.[10] Nicholls greift diese von Innovation geprägte Bestimmung auf und liefert eine häufig zitierte Definition von Social Entrepreneurship.

„ Social Entrepreneurship are innovative and effective activities that focus strategically on resolving social market failures and creating new opportunities to add social value systematically by using a range of resources and organizational formats to maximize social impact and bring about change.”[11]

Eine weitere verbreitete Definition aus der akteursbezogenen Perspektive kommt von Gregory Dees. Dees beschreibt Social Entrepreneurs als „ entrepreneurs with a social mission[12] und damit als eine Art Untergattung des Entrepreneurs. Er sieht in ihnen „ Initiatoren innovativer Lösungen für gesellschaftliche Herausforderungen sowie Impulsgeber für neue Ressourcenströme und soziale Märkte[13] Weiterhin deutet der Autor an, dass diese Innovatoren den sozialen Wandel vorantreiben, dabei jedoch häufig auf Subventionen, Spenden oder die Arbeit von Freiwilligen angewiesen sind.[14] Einigkeit in der Fachliteratur aus der akteurszentrierten Perspektive besteht bei der Verbindung innovative Lösungen mit Hilfe eines neuen Umgangs von Ressourcen zu generieren.[15]

Aus den verschiedenen Definitionsangeboten in der Literatur wird deutlich, dass die Autoren auch unterschiedliche Dimensionen in der Bestimmung fokussieren. Für Nicholls spielt beispielsweise das Marktversagen in einer Wettbewerbs- und Wertschöpfungsdimension eine besondere Rolle, Dees hingegen gewichtet dies weniger. Zudem überlagern sich in der Wissenschaft häufig institutionelle und akteursbezogene Perspektiven.[16]

Diese Vielzahl von Definitionsansätzen gibt Aufschluss über das weite Interpretationsspektrum des gesellschaftlichen Unternehmertums. In der Wissenschaft möchte man vermeiden durch voreilige Begriffsabgrenzung bestimmte Untersuchungsobjekte zu vernachlässigen. Dies kann jedoch als eine Ursache für die fortschreitende Verwässerung der Begrifflichkeiten angesehen werden. Besonders die unterschiedlichen Sichtweisen von altruistischem Handeln und dem Verständnis des Wortes sozial sorgen für verschiedene Ansichten.[17] Im folgenden Teil wird eine Arbeitsdefinition der untersuchten Organisationen hergeleitet, die sich auf die institutionelle Ebene von Social Entrepreneurship bezieht.

2.2 Social Entrepreneurship Organization

Spricht man in der Öffentlichkeit auf einer institutionellen Ebene von Social Entrepreneurship, so ist in der Regel von Sozialunternehmen, Social Business oder Social Enterprise die Rede. Diese Begrifflichkeiten werden häufig synonym verwendet, bieten allerdings aufgrund unterschiedlicher Auffassungen Interpretationsspielräume für ein weites aber ebenso enges Verständnis. Die Europäische Kommission definiert diese Social Entrepreneurship Organization wie folgt:

„Unternehmen, für die das soziale oder gesellschaftliche gemeinnützige Ziel Sinn und Zweck ihrer Geschäftstätigkeit darstellt, was sich oft in einem hohen Maße an sozialer Innovation äußert, deren Gewinne größtenteils wieder investiert werden, um dieses soziale Ziel zu erreichen und deren Organisationsstruktur oder Eigentumsverhältnisse dieses Ziel widerspiegeln, da sie auf Prinzipien der Mitbestimmung oder Mitarbeiterbeteiligung basieren oder auf soziale Gerechtigkeit ausgerichtet sind." [18]

Diese Definition gilt in der Fachliteratur als relativ weit gefasst. Entscheidend bei der Begriffsbestimmung ist die Gewichtung der Einkommensgenerierung. Um Sie von traditionellen Verbänden und Wohltätigkeitsorganisationen abgrenzen zu können, kommt diesem Faktor eine entscheidende Rolle zu. Eine sehr enge Definition von Social Business liefert der Friedensnobelpreisträger und Gründer der Grameen Bank [19], Muhammad Yunus.

„Das Sozialunternehmen ist keine gemeinnützige Einrichtung. Es ist in jeder Hinsicht ein Wirtschaftsbetrieb. Es muss sämtliche Betriebskosten decken, während es seine soziale Aufgabe erfüllt. Wer ein Unternehmen betreibt, der denkt und arbeitet anders als jemand, der eine gemeinnützige Organisation betreibt. Und dieser Unterschied ist entscheidend für die Definition des Sozialunternehmens und seiner gesellschaftlichen Wirkung.“[20]

Das Konzept des Sozialunternehmens, nach der Auffassung von Yunus, ist noch nicht lange existent. Es kann als eine Sonderform des Social Entrepreneurship angesehen werden, da es primär eine soziale Rendite anstrebt und währenddessen ökonomisch nachhaltig wirtschaftet. Als ein selbsttragender Wirtschaftsbetrieb besitzt ein Sozialunternehmen eine doppelte Innovationsstruktur, denn es ist sowohl sozial, als auch wirtschaftlich innovativ.[21] Eine Organisation mit einem primär sozialen Unternehmensziel, welches jedoch nicht aus eigener Geschäftstätigkeit kostendeckend arbeitet, erfüllt die Kriterien eines Sozialunternehmens nach Yunus nicht. Dabei kann bzw. sollte das Sozialunternehmen Gewinne erzielen, um diese anschließend reinvestieren zu können. So wirtschaftet das Sozialunternehmen auch ökonomisch nachhaltig, um langfristig seine sozialen Ziele verfolgen zu können. Dies gilt als ein bedeutender Aspekt für eine Abgrenzung zu einer NGO oder anderen Einrichtungen ohne Erwerbszweck.[22]

Die Ansichten bezüglich des Einkommenskriteriums von Sozialunternehmen variieren in der Literatur sehr stark. Yunus sieht bei der Kostendeckung ein essenzielles Merkmal, andere wiederum geben unterschiedliche Schwellenwerte bei dem erzielten Einkommen an.[23] Die vorliegende Arbeit wird die Schwelle einer Kostendeckung nicht als definitorisches Element verwenden, da eine saubere Trennung der Begriffe, wie in Abbildung 1 dargestellt, äußerst komplex ist.

Abbildung 1: Abgrenzung von Organisationsformen (Eigene Darstellung nach John 2006, S. 13 [Internetquelle], abgerufen am 05.01.2014 um 10.08 Uhr.)

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

In der vorliegenden Arbeit werden Social Business, Social Enterprise, Social Venture oder Sozialunternehmen im Sinne von Social Entrepreneurship Organization [folgend SEO abgekürzt] als jede Organisation bezeichnet, die mit unternehmerischem Handeln einen gesellschaftlichen Wandel bzw. eine Nutzenmaximierung als oberstes Unternehmensziel formuliert haben. Weiterhin müssen diese SEOs mit ihrer unternehmerischen Tätigkeit ein wesentliches Einkommen erzielen und die Absicht haben sich langfristig selbst zu tragen.

2.3 Social Entrepreneurship Organization im systemischen Kontext

Nachdem zuvor die Begrifflichkeiten Social Entrepreneurship und SEOs eingehend definiert wurden, erfolgt zunächst die Einordnung der Akteure in einer übergeordneten Perspektive. In der Literatur werden Unternehmen, die weder rein philanthropische, noch rein kommerzielle Elemente besitzen als Hybride Organisationen bezeichnet. SEOs sind in der Regel hybride Organisationen, ohne jedoch die Gewinnerzielungsabsichten langfristig in den Vordergrund zur rücken.[24] Wie Abbildung 2 zu entnehmen ist, vermischen sich hierbei typische non-profit mit for-profit Merkmalen.

Abbildung 2: Spektrum von Hybridorganisationen (Eigene Darstellung nach Dees aus Alter 2007, S. 14, [Internetquelle], abgerufen am 11.01.2014 um 14.08 Uhr.)

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Eine Abgrenzung von Hybriden Organisationsformen (s. Abbildung 2) kann anhand einiger Kriterien unterschieden werden. Alle hybriden Organisationen generieren sowohl einen sozialen als auch einen ökonomischen Wert. Auf der rechten Seite der Abbildung befinden sich die primär gewinnorientierten Akteure, die einen sozialen Wert generieren. Als Hauptmotive bleiben allerdings die Gewinnmaximierung und Interessensvertretung der Shareholder bestehen. Auf der linken Seite befinden sich die non-profit Organisationen mit kommerziellen Aktivitäten, um ihre sozialen Programme zu finanzieren.[25]

3 Charakteristischen Merkmale von Social Entrepreneurship Organizations

3.1 Tätigkeitsfelder

Wie in Abschnitt 2.1 erläutert, beschäftigen sich SEOs grundsätzlich mit der Lösung oder Verbesserung von gesellschaftlichen Missständen und Problemen. Die Handlungsfelder lassen sich prinzipiell nach Schwerpunktthemen von Entwicklungsländern und entwickelten Ländern aufteilen. In Entwicklungsländern sind dies vor allem existenzbedrohende Probleme wie Hunger, Armut oder Menschenrechtsverletzungen, welche in den europäischen Staaten kaum vorzufinden sind. Länderübergreifende Handlungsfelder lassen sich allerdings nicht immer detailliert abgrenzen, da die Interpretation des Begriffes sozial sehr von den gesellschaftlichen Moralvorstellungen und Normen abhängt. Demzufolge lassen sich die Handlungsfelder und sozialen Probleme nur relativ zur Situation einer Gesellschaft und ihren Moralvorstellungen bestimmen.[26] In dieser Arbeit liegt der Fokus auf den gesellschaftlichen Problemen in Deutschland.

In einem ausgeprägten Sozialstaat wie Deutschland, mit einer breiten Landschaft an Wohltätigkeitsorganisationen, werden bereits viele Themen durch diese oder den Staat abgedeckt. Handlungsfelder entstehen oftmals an Schnittstellen zu anderen Bereichen in denen Staat, Privatwirtschaft oder NPOs noch nicht tätig sind.[27] In den nächsten Jahren wird sich die Situation des finanzstarken Sozialsystems allerdings aufgrund sozialstruktureller Entwicklungstrends und dem fortschreitenden demografischen Wandel zunehmend verschlechtern. Derzeit steht ein steigender Bedarf an sozialen Dienstleistungen einer Abnahme der finanziellen Leistungsfähigkeit der öffentlichen Kassen gegenüber.[28]

Aus einer Studie des Mercator-Forscherverbunds „Innovatives Soziales Handeln – Social Entrepreneurship“ aus dem Jahr 2011 geht hervor, dass die vier größten Themenfelder in Deutschland Bildung und Wissenschaft, Arbeitsmarktintegration, Gesellschaftliche Inklusion sowie Soziale Dienste sind (siehe Abbildung 3).[29] Eine Untersuchung der Europäischen Kommission zu Tätigkeitsfeldern von Sozialunternehmen in Europa ist fast deckungsgleich mit den Themenfeldern in Deutschland.

Abbildung 3: Themenfelder von Sozialunternehmen in Deutschland (N = 239) (Eigene Darstellung nach Spiess-Knafl et al. 2013, S. 26)

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Außerdem ist zu erwähnen, dass 49,8 Prozent der befragten Unternehmen angaben, in mehr als einem Tätigkeitsfeld aktiv zu sein.[30] SEOs spezialisieren sich häufig auf Bevölkerungsgruppen, welche unverschuldet in eine permanente Notsituation gekommen sind oder anderweitig von einem Ungleichgewicht in einer Gesellschaft betroffen sind. Besonders zeichnen sie sich hier durch ihre innovativen und flexiblen Charakter aus, um Lösungen zu testen, während etablierte Organisationen hingegen häufig träge und ineffizient agieren.[31] Allerdings geraten SEOs zunehmend auch in eine Konkurrenzsituation mit staatlichen Leistungserbringern oder anderen Akteuren des Sozialsystems. Diese verhalten sich laut Achleitner wenig kooperativ bis hin zu konfrontativ, um ihre eigene Existenz nicht zu gefährden. Dieses rationale Verhalten ist vergleichbar mit den Verhältnissen auf einem freien Markt, jedoch ist dies in der oft monopolistischen Macht der staatlichen Leistungserbringer auf regionaler Ebene begründet.[32] Hier gilt es in den nächsten Jahren zu beobachten, auf welche weise sich die Marktmechanismen in diesem Bereich entwickeln. Weiterhin besteht auch die Möglichkeit, die etablierten Lösungswege von SEOs auf das staatliche- oder das Wohlfahrtssystem zu übertragen.[33]

3.2 Motivation der Social Entrepreneurs

Wie bereits in Abschnitt 2.1 erläutert, stellt die Motivation das essenzielle Unterscheidungsmerkmal von Social Entrepreneurs von traditionellen Entrepreneurs dar. Sie sind in ihrer persönlichen Motivation und ihren professionellen Eigenschaften den Unternehmerpersönlichkeiten aus der traditionellen Wirtschaft sehr ähnlich, entwickeln aber ihren pro-sozialen Leistungswillen aus einem moralischen Altruismus.[34]

Im Rahmen der Mercator-Studie konnten vier wesentliche Motive von Social Entrepreneurs identifiziert werden (s. Abbildung 4).Ein Großteil der befragten Social Entrepreneurs gab hierbei an, dass die Erfahrungen und Umstände im professionellen Kontext das wichtigste Motiv für sie gewesen sei ein Sozialunternehmen zu gründen. Im Anschluss daran folgte das Motiv, einen gesellschaftlichen Mehrwert schaffen zu wollen.[35] findet den Ursprung seiner Motivation ebenfalls in eigenen Erfahrungen bei einer Studienreise nach Südafrika begründet, sich dem Thema zu verschreiben.[36]

Abbildung 4: Gründungsmotive von Social Entrepreneurs (Eigene Darstellung nach Spiess-Knafl et al. 2013, S. 27)

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

„Die Menschen sorgen sich um ihre Welt und um einander. Sie hegen von Natur aus den Wunsch, ihren Mitmenschen zu helfen […] Dieser Wunsch bewegt Menschen dazu, Milliarden für wohltätige Zwecke zu spenden, Stiftungen einzurichten, NGO und gemeinnützige Einrichtungen zu gründen, ihre Zeit für den Dienst an einer Gemeinschaft zu opfern und (in einigen Fällen) ihr ganzes Berufsleben einer relativ schlecht bezahlten Arbeit im Sozialbereich zu widmen. Und dieselben Antriebe werden viele Menschen dazu bewegen, Sozialunternehmen zu gründen, wenn erst einmal allgemein anerkannt ist, dass solche Unternehmen funktionieren können.“[37]

3.3 Netzwerke und

Es ist schwierig SEOs isoliert zu betrachten, ohne die Verbindungen und Kooperationen mit staatlichen, privaten oder gemeinnützigen Akteuren mit einzubeziehen. belegten in einer Studie, dass der hohe Vernetzungsgrad von SEOs die Qualität der Projekte deutlich steigern kann. Interdisziplinäre Erfahrungen und verschiedene Kompetenzen der Kooperationspartner fließen in das Projekt mit ein.[38] Nach sind SEOs in Deutschland häufig „flexible und in Kooperationen eingewobene Prototypen.“[39] Der Autor macht die Verbreitung und die Größe von SEOs von den Ausprägungen der Sozialsysteme abhängig. Eine der Stärken von SEOs sieht er daher in der Verknüpfung von innovativen Lösungsansätzen mit einer interdisziplinären Zusammenarbeit der etablierten Akteure begründet.[40]

In der jüngeren Vergangenheit ist zu beobachten, dass sich in Deutschland immer mehr zivilgesellschaftliche Initiativen entwickeln, um explizit Social Entrepreneurs zu identifizieren und zu unterstützen. Eine solche Entwicklung ist u.a. auf die kaum existente öffentliche Förderinfrastruktur zurückzuführen. Diese Organisationen sind durch ihre Multiplikatorwirkung sowohl Ursache als auch Verstärker des Social Entrepreneurship Phänomens. Zu den bedeutsamsten Organisationen gehören insbesondere Ashoka, Schwab und die Skoll Foundation.[41] Für einen Social Entrepreneur ist es von Notwendigkeit sich permanent in solchen Netzwerken zu bewegen und sich mit potentiellen Stakeholdern austauschen, denn sie sind von Multiplikatoren abhängig.[42]

Die Ashoka Foundation wurde 1980 von gegründet und ist die erste und weltweit führende Organisation, die in fast 80 Ländern gesellschaftliche Innovationen sowie Social Entrepreneurs identifiziert und weiterentwickelt. In einem mehrstufigen Auswahlprozess werden Kandidaten von lokalen Scouts nominiert und im Anschluss von einer Jury befragtDie Organisation bietet ihren Fellows eine Auswahl an zahlreichen Förderprogrammen, wie beispielsweise bedarfsgerechte Lebenshaltungsstipendien, rechtliche und strategische Beratung oder Mentoring-Programme. Nach eigenen Angaben unterstützt die Organisation bereits 3.000 Fellows (Stand 2012).[43]

Die Schwab Foundation for Social Entrepreneurship geht auf den Gründer und Präsidenten des Weltwirtschaftsforums, , zurück. Die im Jahre 1998 gegründete Stiftung zeichnet jedes Jahr einen Social Entrepreneneur of the Year aus. Der Preisträger erhält u.a. eine Einladung zum Weltwirtschaftsforum in Davos, um sich präsentieren und Kontakte schließen zu können. Darüber hinaus bietet die Schwab Foundation Beratungsdienstleistungen, ein umfangreiches Netzwerk sowie ein Bildungsangebot an elitären Bildungseinrichtungen in Harvard und Stanford.[44]

Eine weitere weltweit bedeutende Institution, welche sich mit Social Entrepreneurship beschäftigt, ist die Skoll Foundation. Sie wurde 1999 von dem ersten ebay Präsidenten gegründet. Die Skoll Foundation verleiht ebenfalls einen Award for Social Entrepreneurship und unterstützt weltweit Social Entrepreneurs. Darüber hinaus hat das Skoll Center for Social Entrepreneurship an der Said Business School der Universität Oxford den Auftrag das Thema wissenschaftlich zu erforschen. Die Skoll Initiative ist überwiegend in Groß-Britannien aktiv, wo das Themenfeld Social Entrepreneurship und die Förderkultur bereits weiter entwickelt sind als in anderen Ländern Europas.[45]

3.4 Skalierungspotenziale und Hemmnisse

Die Fähigkeit, bestehende Lösungen aufzugreifen und ihre Verbreitung unternehmerisch voran zu treiben, gehört genauso zu den Kernkompetenzen von Social Entrepreneurs wie diese zu erfinden.[46] Analog zu gewinnorientierten Unternehmen, die einen Markt erschließen wollen, haben SEOs entsprechend ihrer Veränderungsvision Wachstumsabsichten, um ihren sozialen Nutzen zu maximieren. Der Wachstumsprozess von SEOs unterliegt allerdings anderen Bedingungen als in funktionierenden Märkten mit bekannten Mechanismen. Anders als klassische Unternehmen definieren sie ihr eigenes Wachstum nicht über Messgrößen wie Umsatz, Mitarbeiter oder den Unternehmenswert, sondern über die Wertschöpfung für die Gesellschaft.[47] Die Wirkungsmessung von SEOs wird in Kapitel 3.5 hinreichend erläutert.

Das größte Skalierungshemmnis, bedingt durch die Beschaffenheit der SEOs und deren Tätigkeitsfelder, ist der Mangel an finanziellen und personellen Ressourcen.[48] Profitorientierte Unternehmen generieren diese aus eigenen Erträgen oder Fremdkapital, haben jedoch immer eine finanzielle Rendite als primäres Unternehmensziel. SEOs hingegen können im Hinblick auf ihre oftmals geringen Erträge,auf diese Weise nicht aus eigener Kraft skalieren. Öffentliche Fördergelder oder Mittel aus Stiftungen sind häufig an konkrete Projekte gebunden und erlauben daher keine flexible Investitionsplanung. Neben diesen spezifischen Wachstumshemmnissen, die in der Finanzierungsstruktur (s. Kapitel 3.6) der SEOs begründet liegen, gibt es weitere Probleme, die allgemein auf die Organisationsentwicklung zurückzuführen sind, wie u.a. eine starke und komplexe lokale Verwurzelung oder Probleme bei den Wirkungsnachweisen.[49]

Ein Merkmal, das häufig bei SEO-Skalierungen zu beobachten ist, ist die gesellschaftlich problematisch wahrgenommene Zielgruppe als Multiplikator der Lösung mit einzubeziehen. stellte demnach fest, dass Social Entrepreneurs „auf mehr Ressourcen zugreifen als die, über die sie momentan verfügen.“[50] Ein oftmals genanntes Beispiel in diesem Kontext ist das Projekt Discovering Hands des Duisburger Gynäkologen Frank Hoffmann. Discovering Hands bildet blinde Frauen zu medizinischen Tastuntersucherinnen (MTUs) aus, die daraufhin Untersuchungen zur Brustkrebsvorsorge in gynäkologischen Praxen durchführen. Dieser Lösungsansatz setzt gleich bei einer Reihe von Problemen an. So entsteht u.a. ein neues Berufsfeld für Sehbehinderte, die sich ihren überlegenen Tastsinn zu Nutze machen. Zudem werden Ärzte durch die MTUs unterstützt, da Vorsorgeuntersuchungen oftmals unter Zeitdruck stattfinden und schließlich entsteht eine neue Ressource im vorsorgenden Gesundheitssystem.[51]

Oldenburg erläutert, dass durch den unternehmerischen Erfolg von SEOs und die damit verbundene Lösung eines gesellschaftlichen Problems, letztendlich die eigene Geschäftsgrundlage zerstört wird.[52] Gesellschaftliche Missstände sind nicht durch die Leistung einer einzelnen Organisation vollständig zu lösen. Für SEOs ist daher die Entstehung eines Marktes oder eine Nachahmung bereits als Erfolg zu betrachten. Wie in Abbildung 5 zu sehen ist, bieten sich für SEOs verschiedene Verbreitungsstrategien und diverse Intensitätsstufen, um ihre Wirkung zu steigern. Die Open Sourcing Methode, d.h. eine strukturlose Bereitstellung des Geschäftskonzepts, bietet beispielsweise den Vorteil einer sehr schnellen Skalierung, jedoch mit dem Nachteil fehlender Kontrollmöglichkeit im Bezug auf qualitative Mindeststandards. Im Gegensatz dazu verfügen Zentralen oder Filialen über eine größtmögliche Kontrolle, müssen aber eine deutlich geringe Wachstumsgeschwindigkeit in Kauf nehmen.[53]

Abbildung 5: Wachstums- und Verbreitungsstrategien von Sozialunternehmen (Eigene Darstellung nach Oldenburg 2011, S. 126)

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Aus der Mercator Studie bezüglich der Wachstumsoptionen von SEOs geht hervor, dass eine qualitative Verbesserung des eigenen Angebots die am häufigsten genutzten Wachstumsoptionen sind.[54] Erst dann folgen strategische Aspekte wie neue Standorte, Kooperationen/Netzwerke und das Social Franchising[55], welches zunehmend beliebter wird.

3.5 Soziale Wirkungsmessung und Reporting

Für gewinnorientierte Unternehmen ist ein ökonomischer Wert hinsichtlich des Shareholder Value Prinzips von einer zentralen Bedeutung. Mit Hilfe unterschiedlichster Methoden und standardisierten Kennzahlen ist es möglich, den oder die ökonomischen Werte eines Unternehmens zu quantifizieren. Die Erfolgsindikatoren bei traditionellen Unternehmen werden ausschließlich in vergleichbaren Geldeinheiten gemessen, wobei Nutzwerte hingegen nicht zum Ausdruck gebracht werden.[56] Ein zentrales Problem für SEOs stellt diese Quantifizierbarkeit von sozialen Werten bzw. von Nutzwerten dar (s. Abbildung 6), um diese nach außen kommunizieren zu können. Ihnen ist aufgrund der modernen Ökonomie mit ihrer gängigen Wirtschaftsform nur schwerfällig ein monetärer Wert zuzuordnen, weshalb sie häufig mit Legimitationsproblemen zu kämpfen haben.[57] Die Wirkungsmessung rückt durch den verstärkten Wettbewerb um Fördermittel sowie dem markt- und ertragsorientierten Denkens der SEOs stärker in den Fokus der beteiligten Akteure.[58]

Grundsätzlich können die Aktivitäten von SEOs eine direkte oder indirekte Wirkung zur Folge haben. Von einer direkten Wirkung ist zu sprechen, wenn sie unmittelbar auf die Aktivitäten der Organisation zurückzuführen ist, während die indirekte Wirkung häufig nicht einem Urheber zugeordnet werden kann. Eine indirekte Wirkung entsteht aus Kooperation, Adaption, Multiplikation oder gesetzlichen Regelveränderungen und kommt als Messgröße für systemveränderte Innovationen eine bedeutende Rolle zu.[59] Doch wie sind solche Auswirkungen zu erfassen? Wie kann man beispielsweise ein Bewusstsein für Nachhaltigkeit oder Menschenrechte in Geldeinheiten ausdrücken?

Abbildung 6: Impact Value Chain (Eigene Darstellung nach Repp 2013, S. 24)

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 6 veranschaulicht die gesellschaftliche Wertschöpfungskette von SEOs, um den Ressourceneinsatz, die Tätigkeiten und Wirkungsweisen einordnen zu können.

In den letzten Jahren wurden unter dem Begriff Social Impact Measurement einige Methoden und Vorgehensweisen entwickelt, die sich mit der Erfassung von sozioökonomischen Werten befassen. Die Social Return on Investment (SROI)-Analyse hat sich in diesem Bereich zunächst etabliert und versucht das Verhältnis von finanziellem Input und gesellschaftlichen Nutzen bzw. der sozialen Rendite zu bestimmen. Das Verfahren gehört zur Kategorie der Kosten-Nutzen-Analysen und monetarisiert die soziale Wirkung, um einen Bezug zum Input in gleichen Einheiten hervorzubringen.[60] Um eine soziale Wirkung allerdings greifbar bzw. messbar zu machen, müssen nach „nicht monetäre soziale Outputs unter Zuhilfenahme von Wirkungen an Quasi-Märkten einer Monetarisierung unterzogen werden.“[61]

Aus dieser Theorie wird deutlich, dass die SROI Analyse ebenfalls mit einer gewissen Komplexität verbunden ist und beispielsweise Wirkungen ausschließt, die nicht an Quasi Märkten bemessen werden können. So ist es ebenfalls nicht möglich standardisierte Indikatoren festzulegen, da diese je nach Projekt oder Tätigkeitsfeld individuell herangezogen werden. Allerdings entstehen auch hier Erfahrungswerte und neue Ansätze um dieses Verfahren weiter zu entwickeln.[62]

Der Lösungsansatz in Verbindung mit einer sozialen Wirkungsmessung stellt zugleich auch einen bedeutenden Inhalt für das Reporting der SEOs dar. Die externe Unternehmensberichterstattung dient als Entscheidungsgrundlage für Investoren, Förderer, Partnerorganisationen sowie der Öffentlichkeit und soll die Aktivitäten der SEO unterstützen.Bis vor einigen Jahren existierten keine einheitlichen Rahmenbedingungen und Indikatoren für eine Berichterstattung, welches demzufolge zu einer hohen Heterogenität der Reports führte.Im Jahre 2011 entwickelte daraufhin eine Forschungskooperation[63] eine standardisierte Berichterstattung, zugeschnitten auf SEOs – den Social Reporting Standard (SRS). Die Einführung des SRS beinhaltet, wie in Abbildung 7 zu sehen, gleich mehrere Vorteile für SEOs und ihre Förderer.[64]

Abbildung 7: Vorteile durch den Social Reporting Standard (Eigene Darstellung nach Social Reporting Initiative e.V., 2013, o. S., [Internetquelle], abgerufen am.02.01.2014 um 18.34 Uhr)

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

3.6 Finanzierungsstruktur

Das soziale Unternehmensziel von SEOs hat entscheidende Auswirkungen auf die Finanzierungsquellen und bietet demnach besondere Restriktionen aber auch neue Möglichkeiten. Zwar streben SEOs eine langfristige finanzielle Unabhängigkeit an, dennoch können sie oftmals kein marktgerechtes Einkommen von ihrer Zielgruppe beziehen. Grundsätzlich stehen SEOs die gleichen klassischen Finanzierungsmöglichkeiten wie gewinnorientierten Unternehmen zur Verfügung, jedoch kommt vielen von ihnen aufgrund der spezifischen Merkmale der Organisationen kaum eine Bedeutung zu. Sie erwirtschaften in der Regel nur eine geringe bis nicht vorhandene finanzielle Rendite mit wenigen Sicherheiten, was zu einer sehr geringen Attraktivität für Kapitalgeber führt. Bedingt durch die Fokussierung auf den gesellschaftlichen Nutzen bieten sich SEOs Zugänge zu neuen Finanzierungsquellen, welche traditionellen Unternehmen hingegen verschlossen bleiben. So besitzen Spenden, Stiftungsgelder und öffentliche Mittel in der Finanzierungsstruktur einen hohen Stellenwert. Gemäß wirken Fördermittel jedoch häufig schädlich auf die nachhaltige Entwicklung von SEOs, da sie „keine Anreize und Freiheiten für Substanzwachstum herstellen, sondern Unternehmerinnen und Unternehmer oft zeitlich beschränkt an Vorhaben binden, die danach aus Mangel an Folgefinanzierungen wieder eingestellt werden müssen.“[65]

Bevor SEOs sich den klassischen Finanzierungsquellen zuwenden, kommen zunächst andere, auf sie zugeschnittene Finanzierungsmöglichkeiten in Frage.[66] Stellvertretend für die bekannte Finanzierungsproblematik und das öffentliche Interesse an Social Entrepreneurship führte die Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) im Jahr 2012 ein Programm zur Finanzierung von Sozialunternehmen ein.[67] Die Umweltbank und die GLS Bank fördern schon seit einer gewissen Zeit ökologische und soziale Projekte mit zinsgünstigen Krediten. Zudem hat sich in den vergangenen Jahren analog zum Social Entrepreneurship Trend eine neue angepasste Klasse von Investoren und Finanzierungsarten herausgebildet. Sozial orientierte Investoren betrachten die Gesamtrendite eines Projekts und vereinen in ihren Ansprüchen finanzielle und soziale Aspekte.[68] bildet die Finanzierungsstruktur von SEOs auf drei Ebenen ab (s. Abbildung 8). Sozial orientierte Investoren gewinnen für SEOs zunehmend an Bedeutung und sind in der Abbildung zentral unter Außenfinanzierung angesiedelt.

Abbildung 8: Klassifizierung der Finanzierungsstruktur nach Innen- und Außenfinanzierung (Eigene Darstellung nach Achleitner et al. 2011, S. 271)

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Dieser neu entstandene soziale Kapitalmarkt soll die traditionellen Finanzierungsinstrumente den Bedürfnissen von SEOs anpassen. Die Bereitstellung von finanziellem Kapital für SEOs ist Teil eines Ansatzes, der in der Literatur als Venture philantrophy bezeichnet wird.

„Venture philantrophy ist eine Form des finanziellen gesellschaftlichen Engagements, die darauf beruht, dass sowohl soziale Investoren als auch social Entrepreneurs von einer unternehmerischen Vorgehensweise profitieren.“[69]

Venture philantrophy kann innerhalb eines Spektrums zwischen klassischen Spenden und gewinnorientiertem Privatsektor verschiedene Formen annehmen. Einzig die unternehmerische und strategische Herangehensweise bleibt unverändert. Eine Übersicht zu den Merkmalen und den Anwendungsbereichen von Venture philantrophy (folgend mit VP abgekürzt) ist im Anhang zu finden, da eine detaillierte Auseinandersetzung an dieser Stelle ungeeignet wäre. Zu den bekanntesten VP Organisationen im deutschsprachigen Raum gehört der Social Venture Fund, der sich auf die Expansionsfinanzierung von Sozialunternehmen konzentriert.[70] Bis vor einigen Jahren bestand am Kapitalmarkt für hybride SEOs, wie in Abbildung 9 zu sehen, noch eine Lücke, die gegenwärtig von weiteren Initiativen gefüllt wird. Ab 2014 geht beispielsweise auch die Ashoka Initiative FASE – Finanzierungsagentur für Social Entrepreneurship an den Markt, um Sozialunternehmen bei der Finanzierung zu unterstützen. Das Kapital wird dabei von Investoren aus dem eigenen Netzwerk zur Verfügung gestellt, die an einer sozialen Wirkung interessiert sind.[71]

Abbildung 9: Finanzierungslücke bei Hybridorganisationen (Eigene Darstellung nach Ananda Ventures GmbH , 2013, o. S., [Internetquelle], abgerufen am 18.01.2014 um 09.40 Uhr.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

[...]


[1] Vgl. Achleitner et al., 2007, S. 13.; Speich, 2012, S. 13 ff.

[2] Vgl. ebd., S. 4.; Bornstein, 2005, S. 12 ff.

[3] Vgl. Achleitner et al., 2007, S. 13.

[4] In Anlehnung an die Vorgehensweise der Autoren Hackenberg, H.; Empter, S. (Hrsg), 2011. Eine detaillierte Arbeitsdefinition von Social Entrepreneurship Organization erfolgt in Kapitel 2.1

[5] Vgl. Achleitner et al., 2007, S. 3.

[6] Vgl. Hackl, 2009, S. 6 ff.

[7] Vgl. Hackenberg/Empter, 2011, S. 12.

[8] Vgl. Slottke, 2013, S. 18.

[9] Schumpeter, Zit. nach Ney et al., 2013, S. 307.

[10] Vgl. Gergs, 2011, S. 176.

[11] Nicholls, Zit. nach Jansen, 2013, S. 45.

[12] Dees, Zit. nach Harbrecht, 2010, S. 30.

[13] Zit. Oldenburg, 2011, S. 119 in Anlehnung an Dees.

[14] Vgl. Harbrecht, 2010, S. 30 in Anlehnung an Dees.

[15] Vgl. Slottke, 2013, S. 18.

[16] Vgl. Jansen, 2013, S. 39 ff.

[17] Vgl. ebd., S. 28.

[18] Zit. Europäische Kommission, Sozialunternehmen, 2011, S. 2 ff., [Internetquelle], abgerufen am 12.01.2014 um 14.03 Uhr.

[19] Die Grameen Bank – „dörfliche Bank“ ist ein Mikrofinanz- Kreditinstitut das Kredite ohne klassische Sicherheiten an die Armen in Bangladesch vergibt.

[20] Zit. Yunus, 2008, S. 25.

[21] Vgl. Spiegel, 2011, S. 56.

[22] Vgl. Yunus, 2008, S. 26 ff.

[23] Vgl. Ebd., S. 26 ff.; Europäische Kommission und Generaldirektion Beschäftigung, Soziales und Integration, 2013, S. 31 ff., [Internetquelle], abgerufen am 12.01.2014 um 14.42 Uhr.; John, 2006, S. 13.

[24] Vgl. Heinze et al., 2011, S. 86 ff.

[25] Vgl. Alter, SEO Typology, 2007, S. 13 ff., [Internetquelle], abgerufen am 11.01.2014 um 14.45 Uhr.

[26] Vgl. Harbrecht, 2010, S. 51.

[27] Vgl. Oldenburg, 2011, S. 129.

[28] Vgl. Heinze et al., 2011, S. 87.

[29] Vgl. Spiess-Knafl et al., 2013, S. 26.

[30] Vgl. ebd., 2013, S. 26.

[31] Vgl. Oldenburg, 2011, S. 129 ff.

[32] Vgl. Achleitner et al., 2007, S. 13 ff.

[33] Vgl. Jansen, 2013, S. 53 ff.

[34] Vgl. Harbrecht, 2010, S. 48.

[35] Vgl. Spiess-Knafl et al., 2013, S. 26 ff.

[36] Vgl. Harbrecht, 2010, S. 1 ff.

[37] Zit. Yunus, 2008, S. 45 ff.

[38] Vgl. Heinze et al., 2011, S. 329 ff.

[39] Zit. Oldenburg, 2011, S. 130.

[40] Vgl. Oldenburg, 2011, S. 129 ff.

[41] Vgl. Harbrecht, 2010, S. 58 ff.

[42] Vgl. Vatanparast, 2013, S. 15.

[43] Vgl. Ashoka Deutschland gGmbH, Facts, 2013, o. S., [Internetquelle], abgerufen am 02.01.2014 um 18.08 Uhr.

Ashoka Deutschland gGmbH, Jahresbericht, 2012, o. S., [Internetquelle], abgerufen am 02.01.2014 um 17.50 Uhr.

[44] Vgl. Schwab Foundation, About Schwab, 2013, o. S., [Internetquelle], abgerufen am 02.01.2014 um 17.04 Uhr; Harbrecht, 2010, S. 58.

[45] Vgl. Skoll Foundation, About Skoll, 2013, o. S., [Internetquelle], abgerufen am 03.01.2014 um 11.00 Uhr.

[46] Vgl. Beckmann und Ney, 2013, S. 254.

[47] Vgl. Oldenburg, 2011, S 124.

[48] Vgl. Jansen, 2013, S. 93.

[49] Vgl. Scheuerle et al., 2013, S. 11 ff.

[50] Zit. Faltin, 2008, S. 29.

[51] Vgl. Discovering Hands gUG, Projektinformationen, 2013, o. S., [Internetquelle], abgerufen am 14.01.2014 um 11.28 Uhr; Oldenburg, 2011, S. 121.

[52] Vgl. Oldenburg, 2011, S. 121 ff.

[53] Vgl. Oldenburg, 2011, S. 124 ff.

[54] Vgl. Jansen, 2013, S. 92.

[55] Social Franchise ist ein Konzept zur effektiven Replizierung gemeinnütziger Programme, das an die Struktur des kommerziellen Franchisings angelehnt ist, um soziale Ziele zu erreichen.

[56] Vgl. Felber, 2010, S. 25.

[57] Vgl. Scheuerle et al., 2013, S. 11.

[58] Vgl. Repp, 2013, S. 25 ff.

[59] Vgl. Oldenburg, 2011, S. 125.

[60] Vgl. Rauscher et al., 2012, S. 15.

[61] Zit. Mildenberger et al., 2012, S. 295.

[62] Vgl. Mildenberger et al., 2012, S.295 ff.

[63] Forschungskooperation bestehend aus: TU München, Universität Hamburg, Ashoka gGmbH, Schwab Foundation for Social Entrepreneurship, BonVenture, Auridis gGmbH, PricewaterhouseCoopers – finanzielle Unterstützung der Heinz Nixdorf Stiftung.

[64] Vgl. Roder et al., 2011, S. 328 ff.

[65] Zit. Oldenburg, 2011, S. 124.

[66] Vgl. Achleitner et al., 2011, S. 269 ff.

[67] Vgl. Kreditanstalt für Wiederaufbau, Programm zur Finanzierung von Sozialunternehmen, 2012, o. S., [Internetquelle], abgerufen am 16.01.2014 um 15.04 Uhr.

[68] Vgl. Achleitner et al., 2011, S. 269 ff.

[69] Zit. Alberg-Seberich/Wolf, 2011, S. 287.

[70] Vgl. ebd., S. 295.

[71] Vgl. Finanzierungsagentur für Social Entrepreneurship GmbH, Über FASE, 2013, o. S., [Internetquelle], abgerufen am 17.01.2014 um 15.14 Uhr.

Details

Seiten
Erscheinungsform
Erstausgabe
Erscheinungsjahr
2014
ISBN (PDF)
9783958206663
ISBN (Paperback)
9783958201668
Dateigröße
1001 KB
Sprache
Deutsch
Institution / Hochschule
Hochschule Koblenz (ehem. FH Koblenz)
Erscheinungsdatum
2015 (Februar)
Note
1,3
Schlagworte
Soziales Unternehmertum Nachhaltiges Wirtschaften Social Business soziale Innovation gesellschaftliche Innovation Social Enterprise
Produktsicherheit
BACHELOR + MASTER Publishing

Autor

Patrick Weirich, B.Sc., wurde 1989 in Zell (Mosel) geboren. Sein Studium in Entrepreneurship and Economies of small and medium sized Enterprises an der Hochschule Koblenz und der Socio-State University Saratov (RU) schloss der Autor 2014 ab. Bereits während des Studiums befasste sich der Autor intensiv mit den Themen Nachhaltigkeit und Sozialem Unternehmertum. Darüber hinaus engagierte er sich als Vorstandsmitglied in einer internationalen Studentenorganisation und arbeitete als Werksstudent an einem Institut für nachhaltiges Wirtschaften. Weirich nahm außerdem an einem Programm einer russischen Universität zum ökonomischen Wandel teil und analysierte als Projektleiter den Markteintritt von einem deutschen Recyclingunternehmen in Russland.
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Titel: Social Entrepreneurship in Deutschland: Ein Modell für die Zukunft?
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