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Biografiearbeit bei Menschen mit Demenz

©2006 Studienarbeit 25 Seiten

Zusammenfassung

Von der Geburt bis zum Tod durchläuft jeder Mensch viele einzelne Situationen, die ihn in seiner Entwicklung und seinem Verhalten prägen. Biografie stellt somit eine subjektiv-individuelle Lebensbeschreibung dar, die bei jedem einzelnen Menschen einzigartig ist. Die Biographie eines Menschen kennenzulernen, ermöglicht oft ein besseres Verständnis seiner Äußerungen und Handlungen, Bedürfnisse und Gefühle. Dadurch ergeben sich Ansatzpunkte für eine positive Einflussnahme sowie zur Förderung des Wohlbefindens.
Auch im Bereich der Altenhilfe gewinnt die Biografiearbeit immer mehr an Stellenwert. Während in der Vergangenheit ein defizitäres Bild von alten Menschen herrschte, d.h. eine Betonung auf das, was der „alte Mensch“ nicht mehr kann, rückt immer mehr eine aktivierende und ressourcenorientierte Pflege in den Vordergrund. Der Fokus wird vermehrt darauf gerichtet, was der alte Mensch kann, welche Kompetenzen er noch besitzt. Es stellt sich immer häufiger die Frage „Wie wurde der Mensch zu dem was er ist?“.
In der vorliegenden Studie werden Begrifflichkeiten erklärt und es wird aufgezeigt, was unter einer Demenz zu verstehen ist. Es wird untersucht, welche Auswirkungen Demenz auf die Betroffenen hat und es werden spezielle Aspekte der Biografiearbeit im Hinblick auf demenzkranke Menschen erläutert.

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


2. Biografiearbeit und biografische Grundhaltung

Das Wort Biographie stammt aus dem griechischen. Bio bedeutet soviel wie Leben und Graphie schreiben. Biographie ist demnach eine Lebensbeschreibung (vgl. Opitz 1998, S. 31). Unter Biographie wird „die Darstellung der Lebensgeschichte eines Menschen sowohl hinsichtlich der äußeren Umstände und Ereignisse (...) als auch der geistig-seelischen Entwicklung“ (Opitz 1998, S. 31 ff.) gesehen. In diesem Zusammenhang muss jedoch die „Biografie“ von dem Begriff „Lebenslauf“ abgegrenzt werden: Während der Begriff „Lebenslauf“ die äußeren (objektiven) Daten eines gelebten Lebens umfasst, bezieht sich die Biografie eines Menschen auf seine Innenseite, d.h. auf das, was der oder die Erzählende subjektiv zu seiner oder ihrer Lebensgeschichte macht (vgl. Weingandt 2001, S. 7). Lebensgeschichtliche Erzählungen sind somit immer Rekonstruktionen der Vergangenheit aus dem Heute und stellen nach Fuchs-Heinritz strukturierte Selbstbilder dar. Diese können sich mit jeder Veränderung der Lebenslage und des jeweiligen Selbstverständnisses ändern, dabei kommen andere Ereignisse in den Vordergrund der Erinnerung und andere werden vergessen (vgl. Fuchs-Heinritz 2000, S. 51 ff.). Somit stellt die Biografie eines Menschen kein statisches Gebilde dar, sondern sie kann sich im Laufe eines Lebens durch subjektive Umdeutungen oder Neudefinitionen von Ereignissen oder Erlebnissen ändern.

Erlemeier betont eine biografische Grundhaltung gegenüber anderen Menschen. Er versteht unter Biografiearbeit in erster Linie nicht nur eine reine Wissensansammlung über das Leben eines Menschen, sondern sieht es als eine Haltung der Offenheit gegenüber dem Leben und der Geschichte eines Menschen (vgl. Erlemeier 1998, S. 207). „Eine Haltung, die sich im Respekt vor der einzigartigen Lebensgeschichte des Gegenübers ausdrückt, in der Behutsamkeit des Fragens, im Schutz der Intimsphäre, aber auch in der Offenheit, Anlässe für biografische Gespräche im Alltag wahrzunehmen und aufzugreifen, in der Neugier auf die Lebenserfahrungen des Anderen, in der Bereitschaft sich auf Erzählungen einzulassen“ (Franke 2003, S. 73).

Biografiearbeit beinhaltet oft alle drei Zeitdimensionen (vgl. Klingenberger 2001):

1. Die Erinnerung an die Vergangenheit („Lebensbilanz“)
2. Die Begleitung in der Gegenwart („Lebensbewältigung“)
3. Die Perspektive für die Zukunft („Lebensplanung“)
Dieses Zusammenwirken der Zeitdimensionen ist sehr wichtig, da sich alle drei gegenseitig beeinflussen können, d.h. „was habe ich aus der Vergangenheit gelernt“, „wie gehe ich jetzt damit um“ und „was zeigt mir diese Erkenntnis für die Zukunft“.

Biographisches Arbeiten kann weiterhin auf drei verschiedenen Ebenen basieren (vgl. Malteser Trägergesellschaft gGmbH 2002, S. 13):

- emotional: positive und negative Lebenserinnerungen
- kognitiv: Stärkung des Erinnerungsvermögens, Erweiterung der Ressourcen
- sozial: Gruppenbildung, Erhalt sozialer Kontakte, Vertiefung des Vertrauensverhältnis bspw. zwischen Pflegenden und Bewohnern

Bei der Biografiearbeit können zwei Formen unterschieden werden: die gesprächsorientierte und die aktivitätsorientierte Biographiearbeit (vgl. Gereben/Kopinitsch-Berger 1998, S. 17).

Zur gesprächsorientierten Biographiearbeit zählen bspw. Einzel- und Gruppengespräche, die zu vorgegebenen Themen angeboten werden. Solche Themen können z.B. sein: Familienleben, Schulzeit, Kindheit, Feste und Feiertage (vgl. ebd., S. 18 ff.).

Die aktivitätsorientierte Biographiearbeit zeichnet sich durch die Integration der Biographie­arbeit in eine Tätigkeit aus. Dies kann beispielsweise der Einsatz von Gegenständen, ein Museumsbesuch, aber auch das Anfertigen einer Collage, das Singen von Liedern oder das Ausführen von Alltagshandlungen (z.B. Tisch decken) sein (vgl. ebd., S. 46 ff.).

2.1 Ziele der Biografiearbeit

Robert N. Bulter geht in seinem Konzept des „life-review“ (= Lebensrückschau) davon aus, dass viele Menschen mit zunehmendem Alter den Wunsch verspüren, dem vergangenen Leben einen Sinn zu geben (vgl. KDA 2001, S. I/60)). Auch Erikson beschreibt in seinem Entwicklungsmodell als wichtigste Anforderung für den letzten Lebensabschnitt die Herausbildung von „Integrität“. Der Mensch sollte nun lernen das zurückliegende Leben, so wie es war, und seine Verantwortung dafür akzeptieren. Im Idealfall ist der alte Mensch aus der Perspektive des Rückblicks in der Lage in seiner Biografie wichtige Personen und Ereignisse sowie eigene individuelle Eigenheiten auf neue und reifere Art anzunehmen (vgl. Weingandt 2001, S. 9)

Im Allgemeinen verleiht die Auseinandersetzung mit der eigenen Vergangenheit persönliche Sicherheit, stärkt das Selbstvertrauen und hilft dabei sich mit schwierigen Situationen des

Älterwerdens auseinanderzusetzen und diese besser zu bewältigen (vgl. KDA 2001, S. I/33).

Allgemein können drei Grobziele der Biografiearbeit zusammengefasst werden:

- Die Stärkung autobiografischer Kompetenzen: d.h. fähig zu werden, sich mit der eigenen Vergangenheit auseinanderzusetzen; den Mut zum Erzählen vermitteln - denn besonders in den Geschichten der älteren Generationen liegen verborgene Schätze für die nachfolgenden.
- Die Rekonstruktion der Lebensgeschichte des Einzelnen: d.h. einzelne Geschichten sollen „wieder belebt“ werden, um so ein ganzheitliches Verständnis der eigenen Biografie zu bekommen.
- Die Integration der Lebensgeschichte: durch positive Verarbeitung können Brüche, Widersprüche und Scheitern zu einer versöhnten Lebensgeschichte reifen. Gewonnene Erkenntnisse können so sinnvoll für die Zukunft genutzt werden.

Besonders im Hinblick auf die Situation von hilfebedürftigen Menschen in stationären

Pflegeeinrichtungen können weitere Ziele der Biografiearbeit genannt werden (vgl. Gereben/Kopinitsch-Berger 1998, S. 19 ff.). Diese sind z.B.

- Aktivierung der kognitiven Fähigkeiten
- Verbesserung der Kommunikationsfähigkeit
- Bewältigung von Einsamkeit
- Abbau von Ängsten und Erhöhung des Selbstwertgefühls
- Stärkung des Gemeinschaftsgefühls
- Förderung des gegenseitigen Verständnisses
- Wecken von positiven Emotionen

Besonders bei Menschen mit Demenz stellt die Biografiearbeit eine wichtige Methode dar, um Verständnis für die alten Menschen zu entwickeln und ihr Verhalten und Erleben zu verstehen. Durch das Abnehmen des Erinnerungsvermögens bei Demenzkranken kann Biografiearbeit somit ein Schlüssel zu noch vorhandenen Fähigkeiten sein, die es bewusst zu fördern gilt, um sie noch möglichst lange zu erhalten (vgl. Klie 2002, S. 56).

3. Der Begriff Demenz

Um die Bedeutung der Biographiearbeit mit dementen Menschen zu erläutern, soll zunächst kurz erklärt werden, was man unter Demenz versteht.

Der Begriff „Demenz“ leitet sich aus dem Lateinischen von dementia ab und setzt sich aus den beiden Wortteilen „de“= weg und „mens“ (Genitiv mentis) = Geist, Verstand zusammen (vgl. Klie 2002, S. 36).

Der Oberbegriff „Demenz“ umfasst eine Reihe von Krankheitsbildern verschiedener Ursache und unterschiedlichen Verlaufs. Die häufigsten Formen einer Demenz stellen die Demenz vom Alzheimer-Typ sowie die vaskuläre Demenz dar.

Laut den Kriterien von ICD-10 (International Statistical Classification of Diseases) wird eine Demenz mit folgenden Symptomen beschrieben: Darin ist ein dementielles Syndrom durch „eine progrediente Verschlechterung mehrerer kognitiver Funktionen bei einem bewusstseinsklaren Patienten“ gekennzeichnet. Leitsymptome sind Störungen des Kurzzeit- und Langzeitgedächtnises bis hin zu Störungen der Orientierung (zur Zeit, zum Ort, zur Person und zur Situation).

Definition der Demenz nach Kriterien der ICD-10:

- Abnahme von Kurzzeit- und Langzeitgedächtnis
- Abnahme des abstrakten Denkvermögens
- Abnahme von Urteilsvermögen, Planungs- und Organisationsvermögen sowie andere Störungen höherer kortikalen Funktionen wie Aphasie, Agnosie, visuopatiale Fähigkeiten
- Keine Störung der Bewusstseinslage
- Beeinträchtigung der Affektkontrolle, des Antriebs oder des Sozialverhaltens
- Symptome bestehen seit mindestens 6 Monaten

3.1 Die (Lebens-) Welt von Demenzkranken

Um Menschen mit Demenz bei der Bewältigung krankheitsbedingter Probleme angemessen unterstützen zu können, ist es notwendig Einsicht über Veränderungen der Wahrnehmung, des Erlebens und der Reaktionen der Demenzkranken zu bekommen. Das Ergründen der inneren Welt eines stark kognitiv beeinträchtigten Menschen ist schwierig. Fundierte Aussagen lassen sich lediglich für die beginnende Demenz und ihre frühen Stadien finden. Diese werden mit zunehmendem Schweregrad der Erkrankung immer spekulativer (vgl. BmFSFJ 2002, S. 175).

Im Anfangsstadium treten Vergesslichkeit, Konzentrationsschwierigkeiten und Fehl­beurteilungen von Situationen etc. auf. Die Betroffenen erleben dies oft bewusst und reagieren teilweise mit Ängsten und Verunsicherungen. Es fällt den Betroffenen schwer sich auf neue, unbekannte Situationen einzulassen. Der Erwerb von neuem Wissen oder das Erlernen neuer Strategien wird immer weniger möglich. Oft versuchen Menschen mit Demenz ihre Defizite vor der Umgebung zu verbergen, entwickeln Kompensations­mechanismen und reagieren überwiegend gereizt auf alle Hinweise eigenen Versagens. Manche von ihnen entwickeln depressive Symptome als Reaktion auf die Störungen, typischer ist jedoch eine Angstsymptomatik (vgl. BmFSFJ 2002, S.176). Mit dem Fortschreiten der Krankheit nehmen Angst, Panik, Desorientierung und Hilflosigkeit zu. Situationen, die nicht mehr bestimmbar bzw. überschaubar zu sein scheinen, sind oft der Auslöser für diese Reaktionen (vgl. Laade 2003, S. 100). Die Fähigkeit zu einer richtigen Einschätzung sozialer Zusammenhänge, zu moralischen Urteilen und zu schwierigen Entscheidungen ist stark beeinträchtigt. Vertraute und täglich gleiche Handlungsmuster entsprechende Aktivitäten bleiben aber relativ lange erhalten und ermöglichen dem Betroffenen eine selbständige Lebensführung (vgl. BmFSFJ 2002, S. 176).

Im mittleren Stadium einer Demenz nehmen die Betroffenen ihre Störungen nicht mehr wahr oder leugnen sie. Dies ist aber kaum auf eine fehlende Krankheitseinsicht oder intellektuelle Unfähigkeit zur richtigen Beurteilung eigenen Handelns zurückzuführen, sondern es sind wahrscheinlich Auswirkungen einer veränderten Selbstwahrnehmung. Die Betroffenen sind in diesem Stadium noch in der Lage, ihre Stimmung richtig zu beurteilen und einfache Angaben über ihre Lebensqualität zu machen, überschätzen jedoch erheblich ihre Fähigkeiten und Handlungskompetenzen. Die meisten von ihnen scheinen in einer früheren Zeit zu leben, sie halten sich für jung, leistungsfähig, berufstätig, gesund und selbständig und verhalten sich auch dementsprechend. Deswegen werden oft pflegerische Maßnahmen abgelehnt. Sie reagieren auf Zwang oder Bevormundung teilweise mit psychomotorischer Unruhe oder Aggressivität. Das Verhalten ist immer mehr durch früher erlernte Verhaltensmuster geprägt, die nicht mehr an die aktuelle Situation angepasst und modifiziert werden können. Die Betroffenen reagieren immer öfter spontan und befriedigen ihre Bedürfnisse ohne Rücksicht auf die sozialen Normen und Empfindungen anderer Personen. Sie spüren, dass ihr Leben ihnen aus der Hand gleitet und erleben permanent ihre Unfähigkeit, den Alltag zu bewältigen oder einfache Tätigkeiten auszuführen (vgl. BmFSFJ 2002, S. 176). Mit zunehmender Hirnleistungsschwäche verstärkt sich die zeitliche, örtliche und situative Desorientierung und erzeugt emotionale Unsicherheit. Demente Menschen fühlen sich in ihrer Existenz erschüttert und vom Verlust ihrer Identität bedroht. Die Umgebung wird immer öfter als fremd erfahren und die Zahl „unbekannter“ Personen steigt. Die fehlende innere Sicherheit und der Mangel an Geborgenheit in der fremd erscheinenden Welt beeinträchtigt stark das Selbstvertrauen und erzeugt psychische Spannungen (vgl. BmFSFJ 2002, S. 177). Bereits Menschen mit einer mittleren Ausprägung des Demenz­syndroms zeigen eine zunehmende Apraxie, d.h. die Unfähigkeit zur Umsetzung gedanklich vorgestellter motorischer Sequenzen in entsprechende Aktivitäten sowie eine starke Beeinträchtigung bei der intellektuelle Verknüpfung zwischen Gegenständen oder Begriffen mit passenden Handlungsabläufen. Auch die Verarbeitung von visuell-räumlichen Informationen kann gestört sein, so dass Demenzkranke die Richtung ihrer Bewegungen nicht richtig beurteilen können und sich somit auch in bekannter Umgebung verirren können (vgl. BmFSFJ 2002, S. 172). Die für das mittlere Stadium typische körperliche Unruhe kann ihre Ursachen im beschriebenen Verlust der inneren Sicherheit und der eigenen Identität sowie des zunehmenden Fremdheitsgefühls haben. Die verbalen Kommunikations­fähigkeiten verringern sich in diesem Stadium deutlich. Dementiell erkrankte Menschen versuchen ihre Unfähigkeit auf konkrete Fragen zu antworten zu überspielen, indem sie häufig Floskeln oder allgemeine Phrasen verwenden. Im mittleren und letzten Stadium der Krankheit haben die Betroffenen oft psychische Probleme durch Inkontinenz. Entweder sie spüren den Harndrang nicht mehr oder wissen nicht, wie man die Toilette findet, sich entkleidet oder wieder ankleidet. Dies bereitet oft Gefühle von Angst oder Scham. Die Betroffenen verfügen trotz schwerer Demenz noch über Fähigkeiten oder Fertigkeiten insbesondere im emotionalen Bereich. Dies kann sich in Blickwendungen, Singen von Volksliedern oder bei lebenslang durchgeführten Alltagstätigkeiten äußern. Besonders im mittleren und letzten Krankheitsstadium tauchen Erinnerungen aus den wichtigsten und besonders ereignisreichen Lebensabschnitten wie Kindheit, Schulzeit, frühe Erwachsenen­jahre auf und prägen das Bild der Betroffenen von sich selbst und ihrer Umwelt. Das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend geht davon aus, dass der Rückzug in die Vergangenheit durch Langeweile, Angst oder Einsamkeit, die Verletzung der Intimsphäre, der Verlust von vertrauten Personen oder Gewohnheiten oder das Gefühl der Nutzlosigkeit gefördert wird. In der vergangenen inneren Wirklichkeit zu agieren und damit ein intakteres Selbstwert- und Identitätsgefühl zu erhalten fällt leichter. Im letzten Stadium wird das Verhalten der Betroffenen für Außenstehende immer unverständlicher (vgl. BmFSFJ 2002, S. 177).

3.2 Biografiearbeit bei Menschen mit Demenz

Menschen ohne kognitive Defizite können ihre Lebensgeschichte und das, was ihnen wichtig ist, erzählen (vgl. Leptihn 1996, S. 37). Doch besonders bei demenzkranken Menschen ist das Wissen über die Biografie sehr wichtig. Die Betroffenen können sich meist nur eingeschränkt äußern und manchmal scheint das Gesagte sinnlos und rätselhaft. Biografiekenntnisse können beim Verstehen des Verhaltens und Erlebens der verwirrten Menschen hilfreich sein, denn vor dem Hintergrund ihrer Lebensgeschichte und der aktuellen Lebenssituation ist das Handeln der dementen Menschen durchaus sinnvoll. Ihre Wirklichkeit ist nur eine andere als unsere (vgl. Leptihn 1996, S. 36). Durch ihr Krankheitsbild ist das Kurzzeitgedächtnis oft beeinträchtigt. So ziehen sie sich zurück und leben oftmals in Szenen ihrer Vergangenheit. Das, was sie aktuell erleben und fühlen, kombinieren sie oft mit alten

Erlebnissen, die ihnen im Langzeitgedächtnis zur Verfügung stehen. Der Zugang zu dieser Erlebniswelt kann durch ein einfühlendes Nachspüren und durch die biografischen Kenntnisse der einzelnen Lebensgeschichten erreicht werden (vgl. Leptihn 1996, S. 37). Das Wissen über die Biografie gibt den Pflegenden einen Zugang zum Krankheitsverstehen und hilft das schwierige und oft provozierende Verhalten von demenzkranken Menschen besser zu verstehen und handhaben zu können (vgl. Erlemeier 1998, S. 207). Auch in der täglichen

Kommunikation bietet das biografische Wissen über einen Menschen einen guten Ansatzpunkt für ein Gespräch (vgl. Leptihn 1996 , S. 37). Außerdem wird durch das biografische Interesse dem Gegenüber versucht eine Wertschätzung entgegen zu bringen, das bisherige Leben anzuerkennen. Diese Einstellung bzw. Offenheit kann die Begegnung zu diesen Menschen verändern (vgl. Leptihn 1996, S. 36). Der demente Mensch wird dadurch nicht als Pflegeobjekt mit krankheitsbedingten Defiziten betrachtet an dem nur pflegetechnisch etwas vollzogen wird, sondern er wird als Subjekt gesehen, der eine lange Lebensgeschichte hinter sich hat. Es können eher subjektbezogene Kontakte und Bindungen aufgebaut werden. Gängige Altersstereotypen können abgebaut werden (vgl. Franke 2003, S. 73). Erst wenn wir einen Menschen richtig kennen gelernt haben, können wir auch auf seine Wünsche und Bedürfnisse eingehen (vgl. Leptihn 1996, S. 37). Deswegen ist eine personenorientierte Betreuung ohne Biografiekenntnisse nicht möglich (vgl. Leptihn 1996, S. 36). Biografisches Wissen kann bei Menschen mit Demenz helfen, die Lebenskontinuität zu wahren, Identitäts- und Selbstwertgefühle zu sichern, zur Versöhnung mit der eigenen Lebensgeschichte und zum subjektiven Wohlbefinden beizutragen (vgl. Erlemeier 1998, S. 199).

Da sich demenzkranke Menschen oft nur schlecht über die biografischen Ereignisse und Erlebnisse mitteilen können, können biografische Angaben oft nur von den Angehörigen gegeben werden. Angehörige können in diesem Fall bei der Interpretation schwieriger Verhaltensweisen helfen sowie Angaben über Vorlieben, Abneigungen, Gewohnheiten sowie kritische Lebensereignisse liefern (vgl. KDA 2001, S. I/33).

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Details

Seiten
Erscheinungsform
Erstausgabe
Jahr
2006
ISBN (PDF)
9783958206359
ISBN (Paperback)
9783958201354
Dateigröße
6.6 MB
Sprache
Deutsch
Institution / Hochschule
Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg
Erscheinungsdatum
2015 (Februar)
Note
1
Schlagworte
Demenzkrank Integrative Validation Reminiszenz-Therapie Selbst-Erhaltung Psychobiografisches Pflegemodell
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